Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Unfälle & Public Health
2.2. Unfallstatistik in Deutschland
2.3. Besonderheiten und rechtliche Rahmenbedingungen
2.4. Das DALY-Konzept als Beispiel einer Kennzahl
2.5. Der Familienlebenszyklus
3. Methodisches Vorgehen
4. Ergebnisse
4.1. Zielgruppenorientierte Interventionskampagnen
4.1.1. Zielgruppen
4.1.2. Tabellarische Übersicht der Rechercheergebnisse
4.1.3. Beschreibung von 5 Kampagnen
4.1.3.1. Die Aktion „Das sichere Haus“
4.1.3.2. AXA Kindersicherheit
4.1.3.3. VDEK
4.1.3.4. BIVA
4.1.3.5. BFR – Bundesinstitut für Risikobewertung
4.1.3.6. Exkurs: DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung
4.2. Sturzprävention als besonderer Schwerpunkt
5. Diskussion
5.1. Zusammenfassung der Ergebnisse
5.2. Zielgruppenerreichbarkeit/Präventionsdilemma
5.3. Handlungsempfehlungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Unfälle stellen einen bedeutsamen Kostenfaktor für das Gesundheitssystem dar (vgl. Leodolter 1999, S. 315) und verursachen hohes persönliches und finanzielles Leid (vgl. Helmus et al. 2010, S. 1). Die BAUA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) veröffentlichte aus dem Jahre 2015 die Verteilung der Unfälle nach Kategorien. Hiernach stehen 3,15 Mio. Unfallverletzten und 9.816 Unfalltoten aus dem häuslichen Umfeld lediglich 0,99 Mio. Unfallverletzte und 480 Unfalltote im Betrieb gegenüber (vgl. BAUA 2017, S. 1 f). Im Jahre 2014 hatten ca. 11 % aller Männer und 7 % aller deutschen Frauen aus Deutschland einen Unfall. Im Alter von 18 - 29 Jahren sind die Unfallzahlen geschlechterübergreifend am höchsten (m: 18,1 %, w: 9,8 %) und nehmen im Folgenden stetig ab (vgl. RKI 2017, S. 98, 100).
Auch in Prävention und Gesundheitsförderung sind Ressourcen limitiert und somit zu schonen (vgl. Lauterbach, Lüngen, Schrappe 2010, S. 192). Ziel der Hausarbeit ist die Grundlagenarbeit. Auf dieser Grundlage könnten ressourcenschonend Interventions-kampagnen für relevante Schwerpunktthemen auf Mikro- und Meso-Ebene (Personen direkt und Settings/Lebenswelten) erstellt werden. Leodolter hält hierzu fest, dass in der Unfallverhütung ganzheitliche und integrative Interventionsmodelle angewendet werden müssen, bei dem die Menschen eigenverantwortlich die vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen auch nutzen (vgl. Leodolter 1999, S. 316).
Die Anwendung von Marketing-Techniken zur Erstellung und Optimierung von Präventionsinterventionen sowie zur Erreichung der Zielgruppe stellt eine moderne Herangehensweise dar. Im Rahmen der Leistungspolitik (Produktpolitik) werden u.a. Situationsanalysen der Zielgruppe(n) herangezogen, um Präventionsinterventionen zu designen (vgl. Scherenberg 2017, S. 74, 128). Somit empfiehlt sich zumindest anteilig die Verwendung des sog. Familienlebenszyklus zur weiteren Unterteilung der Individuen des Settings privater Haushalt. Der Familienlebenszyklus beschreibt die realen Lebensumstände besser als z.B. die sog. A und E Segmentierung (Alter und Einkommen) (vgl. Rehbach, 2003, S. 133). Der Familienlebenszyklus wird in Kapitel 2.5 näher beschrieben, ebenso eine für diese Hausarbeit notwendige Modifizierung.
Im Rahmen dieser Hausarbeit wird folgende Forschungsfrage untersucht:
Sind Unfallpräventionskampagnen für alle Untergruppen der privaten Haushalte vorhanden?
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Unfälle & Public Health
Unfälle stellen eine der Hauptursachen für Mortalität und Morbidität dar und sind somit ein relevanter Aspekt im Public Health (vgl. Leodolter 1999, S. 315; Niemann, Saß 2018, S. 430). Während weltweit ca. 1,3 Mio. Menschen p.a. im Straßenverkehr sterben, steigen in Industrieländern primär die häuslichen Unfälle an (vgl. Niemann, Saß 2014, S. 284). Unfälle werden an dieser Stelle als plötzlich auftretenden jedoch unbeabsichtigten Schaden am Körper durch thermische, mechanische, elektrische oder chemische Energie definiert (vgl. Niemann, Saß 2014, S. 284 ff).
Lob weist darauf hin, dass Deutschland im internationalen Vergleich ungenügend Programme zur Unfallprävention im häuslichen Umfeld entwickelt hat bzw. anwendet. Als Positivbeispiele können lediglich die betriebliche Unfallprävention sowie die Verkehrssicherheit genannt werden (vgl. Lob et al. 2008, S. 3).
2.2. Unfallstatistik in Deutschland
Einleitend kann festgehalten werden, dass derzeit in Deutschland keine systematische Erfassung von häuslichen Unfällen vorgenommen wird. Das Robert-Koch-Institut (RKI) konkretisiert hierzu, dass dies für die Unfälle im Haushalt, in der Freizeit und im Straßenverkehr (ohne Polizeibeteiligung, z.B. Alleinunfälle) gilt und somit auch keine Altersdifferenzierungen für private Haushalte vorliegen (vgl. RKI 2017, S. 97 f).
Die Bundesärztekammer (BÄK) kritisierte bereits im Jahre 2001, dass für ein so stark die Volkswirtschaft belastendes Problem bisher weder ein Traumaregister eingerichtet noch ein nationales Unfallpräventionsprogramm aufgestellt wurden (vgl. BÄK 2001, S. 69 f). Ein neues nationales Traumaregister konnte im Rahmen der Recherchen zu dieser Hausarbeit nicht aufgefunden werden; das bereits 1993 aufgebaute Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) (www. http://www.traumaregister-dgu.de) scheint nicht den Forderungen der BÄK zu genügen.
Eine auf das Bevölkerungsstatistikgesetz (BevStatG) begründete offizielle Todesursachenstatistik kann beim Statistischen Bundesamt bezogen werden (vgl. DESTATIS 2019, o.S.; Schmidt 2018, o.S.).
Das RKI veröffentlichte im Rahmen der Gesundheitsberichtserstattung des Bundes Unfallzahlen aus den privaten Haushalten, die im Rahmen der „Gesundheit in Deutschland Aktuell“ (GEDA) 2010 erhoben wurden. Nach Angaben des RKI wurden Daten dieser Qualität und inklusive der nicht tödlichen Heimunfälle (Anmerkung des Verfassers: dieser Begriff steht hier nicht umgangssprachlich für Pflegeheime) im Rahmen der GEDA 2010 erstmalig seit langer Zeit wieder erhoben (vgl. RKI 2013, S. 5, 21, 24, 28, 92). Der Aspekt der häuslichen Unfälle wurde ebenso in der GEDA 2014/2015 berücksichtigt. Somit stellt die systematische Gesundheitsstudie GEDA die wichtigste repräsentative Befragung dar, die vorhandene amtliche Statistiken ergänzt (RKI 2017, S. 98). Im Rahmen des GEDA 2019-EHIS (Gesundheit in Deutschland aktuell 2019-European Health Interview Survey) werden derzeit Folgedaten mittels telefonischer Befragungen gesammelt (vgl. RKI 2019, o.S.).
Im Jahre 2015 verletzten sich in den Bereichen Haushalt, Verkehr, Freizeit, Arbeit und Schule geschätzt ca. 9,73 Mio. Menschen in Deutschland bei Unfällen (vgl. RKI 2017, S. 98, 100). Die Hauptursachen sind hierbei häufig menschliches Fehlverhalten und Bewegung. So sind 91,2 % der Straßenverkehrsunfälle (vgl. DVR, BMVI o.J.) und 20 % der Brandursachen auf jenes menschliche Fehlverhalten zurückzuführen (vgl. IFS o.J.). 71 % der Unfälle geschehen bei Bewegung und Sport (vgl. BAUA 2002, S. 12). Stürze sind mit gut 50 % der Hauptunfallmechanismus (vgl. BAUA 2002, S. 14). Im Gegensatz zum privaten Umfeld ist im Betrieb seit 1960 ein stetiger Rückgang der Unfallzahlen auffällig. Hierfür werden primär 2 Faktoren genannt:
1. Veränderungen des Arbeitsmarktes mit sinkenden Angestelltenzahlen im produzierenden Gewerbe und
2. Erhöhung der Arbeitssicherheit durch Präventionsmaßnahmen (vgl. Niemann, Saß 2014, S. 284 ff).
Präventionskampagnen stellen eine Möglichkeit dar, um die Bekanntheit möglicher Präventionsmaßnahmen im privaten Haushalt zu erhöhen.
Zusätzlich können einige nicht-amtliche Daten über Versicherungsunternehmen bezogen werden. Nennenswert ist hier u.a. der AXA Kindersicherheitsreport 2015. Hiernach haben Kinder ca. 60 % ihrer Unfälle im häuslichen Umfeld und in der Freizeit (vgl. AXA 2015, S. 16).
Auch im Betrieb stellen SRS-Unfälle (Sturz, Rutschen, Stolpern) einen Schwerpunkt dar. Im Jahre 2017 meldeten 168.840 Versicherte einen SRS-Unfall, weitere 9 SRS-Unfälle verliefen tödlich (vgl. DGUV 2018/2, S. 10, 14, 59). 61 % der Unfälle hatten eine persönliche, 43 % eine organisatorische und 29 % eine technische Ursache (vgl. Wetzel 2018, o.S.). Eine zumindest anteilige Übertragbarkeit betrieblicher Lösungs-ansätze auf das Setting privater Haushalt wird an dieser Stelle angenommen.
2.3. Besonderheiten und rechtliche Rahmenbedingungen
Wie bereits dargestellt werden in Deutschland keine Unfalldaten aus dem Setting privater Haushalt systematisch oder gar umfassend erhoben. Dennoch sind gesetzlich Versicherte zur Mitwirkung bei der Ursachenaufklärung angehalten. Hierzu versenden die gesetzlichen Krankenversicherungen in der Regel einen Unfallfragebogen. Leistungsbeschränkungen seitens der gesetzlichen Krankenversicherung sind gemäß § 52 SGB V (Sozialgesetzbuch 5) ausschließlich bei vorsätzlich verursachter Krankheit vorgesehen. Fahrlässige Unfälle im privaten Haushalt sind hiervon somit nicht betroffen. Exemplarisch erklärt die Betriebskrankenkasse RWE (BKK RWE) zu dem von ihr automatisch versendetem Unfallfragebogen, dass dies primär der Aufdeckung von Fremdverschulden dient, da hier die in Vorleistung gegangene Krankenkasse einen Anspruch auf Schadensersatz hat (vgl. BKK RWE o.J.). Die Hanseatische Krankenkasse (HKK) konkretisiert im Rahmen der bereitgestellten Informationen zum Datenschutz, dass der alleinige Zweck der Befragung die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Krankenkasse gegenüber Dritten ist (vgl. HKK o.J.). Somit sollte hier keine Datennutzung im Rahmen einer Unfallstatistik erfolgen.
Eine Pflicht zur Unfallverhütung, wie sie z.B. für Arbeitgeber vorgeschrieben ist (vgl. §§ 2, 15 DGUV Vorschrift 1), besteht im privaten Haushalt somit nicht. Es ist den Mitgliedern des Haushaltes freigestellt wie bzw. womit sie ihre Aufgaben erledigen und ihre Freizeit verbringen. Dem privaten Haushalt ist gemäß Art. 13 GG (Grundgesetz) staatlicher Schutz zugesichert. Ein Hemmnis bei der Erreichbarkeit der Zielgruppe(n) stellt insbesondere dieser staatlich zugesicherte Schutz der Wohnung selbst (vgl. Art. 13 GG) dar. Hinzu kommen interne soziale Normen sowie zeitliche, räumliche und finanzielle Hemmnisse (vgl. Kirch, Hoffmann, Pfaff 2012, S. 387). Die Freiwilligkeit der Haushaltsmitglieder steht hier im Fokus (vgl. Lutz 2012, S. 141; Brähler,Herzog 2018, S. 41 f; Geene 2015, o.S.).
2.4. Das DALY-Konzept als Beispiel einer Kennzahl
Unfälle verursachen neben volkswirtschaftlichen Kosten großes individuelles Leid, temporäre Beeinträchtigungen und bleibende Behinderungen. Die DALY Kennzahl (disability-adjusted life years; behinderungskorrigierte Lebenszeit) wurde entwickelt, um Gesundheitsbelastungen in unterschiedlichen Ländern mit einander vergleichbar zu machen. Sie gibt an wie viele Jahre in Krankheit verbracht wurden oder durch vorzeitiges Versterben verloren gingen (vgl. Rothgangel 2010, S. 130; Kovács, Kipke, Lutz 2016, S. 241). Plass et al. betrachten die Krankheitslast in Deutschland mittels der Global Burden of Disease Studie (GBD-Studie). Die Gruppe III der GBD-Klassifikation gibt an, dass im Jahre 2010 8,4 % der Gesamtkrankheitslast in Deutschland Unfälle und Verletzungen ausmachten. Dies entspricht etwa 2 Mio. DALY. Stürze stehen bei Männern hierbei an Stelle 5 der DALY (431 937), bei Frauen an Stelle 7 (373 720). Da in dieser Hausarbeit lediglich Unfälle betrachtet werden sollen, stellen Stürze somit die Hauptursache dar. Gefolgt werden sie von den Verkehrsunfällen der Männer (Platz 9), die jedoch aufgrund der außerhäuslichen Verortung ebenso nicht Bestandteil dieser Hausarbeit sind (vgl. Plass et al. 2014, S. 633 f).
2.5. Der Familienlebenszyklus
Der Familienlebenszyklus dient im Marketing als Hilfsmittel zur Zielgruppen-konkretisierung bzw. Segmentierung (vgl. Runia et al. 2019, S. 51). Im Rahmen der Recherche zu dieser Hausarbeit stellte sich jedoch heraus, dass relevante Untergruppen dieser Lebenswelt nicht ausreichend benannt oder berücksichtigt wurden. Notwendige Ergänzungen weiterer Zielgruppen sowie begründete Zusammenfassungen der Zielgruppen des Familienlebenszyklus werden im Folgenden vorgenommen und erklärt. Der Einfluss des Familienlebenszyklus auf das Konsumverhalten konnte inzwischen empirisch bewiesen werden. Dies gilt ebenso für seine Weiterentwicklungsstufen. Der klassische Familienlebenszyklus wird in 8 Phasen unterteilt (vgl. Freter 2008, S. 102 ff):
Phase I: Jung, alleinstehend, nicht mehr im Elternhaus lebend
Phase II: Verheiratet, jung, ohne Kinder
Phase III: Volles Nest I - Jüngstes Kind unter 6
Phase IV: Volles Nest II - Jüngstes Kind 6 oder älter
Phase V: Volles Nest III - Ältere Paare mit abhängigen Kindern
Phase VI: Leeres Nest I - Kinder haben das Elternhaus verlassen
Phase VII: Leeres Nest II - Ehemann (sic!) pensioniert
Phase VIII: Ehepartner gestorben
Da die Anzahl der Kinder voraussichtlich für die Unfallprävention ohne Bedeutung ist, wurden die klassischen Phasen III - V zu einer Lebensphase zusammengefasst. Stürze stellen in der Unfallprävention einen relevanten Aspekt dar (s. Kapitel 2.2.). Das Deutsche Netzwerk für Qualität in der Pflege (DNQP) konkretisiert hierzu, dass als Sturzursachen neben Unachtsamkeit und Sport besonders der Verlust der Fähigkeiten zur Sturzvermeidung zu nennen ist. Ältere Menschen sowie Menschen mit einem schlechten Gesundheitszustand sind hiervon primär betroffen (vgl. DNQP 2013, S. 20). Diese Zielgruppen sind somit ebenso im Rahmen dieser Hausarbeit zu berücksichtigen. In der Modifikation und Recherche wurde ebenso die soziale Lage der Menschen berücksichtigt. Der Begriff der sozialen Lage geht über die klassische Betrachtung von Gehalt und Stellung bzw. der hieraus resultierenden Schichtenbildung hinaus und ermöglicht so eine bessere Berücksichtigung der Situation von Rentnern, Kindern, Hausmännern und -frauen (vgl. bpb 2012, o.S.). Diese Betrachtung findet sich in dem für diese Hausarbeit modifizierten Familienlebenszyklus wieder, jedoch wurden keine Unfallpräventionskampagnen für Arbeitslose gefunden. Das erhöhte Gesundheitsrisiko innerhalb dieser Zielgruppe ist belegt (vgl. Hollederer, Voigtländer 2016, S. 381; Kroll, Müters, Lampert 2016, S. 228) und findet u.a. in spezifischen Gesundheitsförderungsprogrammen für arbeitslose Menschen Anwendung. Als Beispiel guter Praxis kann hier das Gesundheitsförderungsprogramm des Jobcenters in Leer genannt werden. Stürze und häusliche Unfälle finden hier jedoch keine Erwähnung (vgl. Rühle, Tielking 2016, S. 21 ff). Für diese Hausarbeit wurden folgende Untergruppen definiert:
Modifizierter Familienlebenszyklus (eigene Darstellung):
1. Alleinstehende:
a) beschäftigt;
b) arbeitslos
2. Paare:
a) beide beschäftigt;
b) mindestens ein Partner arbeitslos;
c) beide arbeitslos
3. Eltern junger Kinder (Kampagnen für Eltern):
a) beide beschäftigt;
b) mindestens ein Partner arbeitslos;
c) beide arbeitslos
4. Kinder (Kampagnen für Kinder)
5. Senioren (hier höheres Alter und bereits im Ruhestand)
6. Erkrankte Personen:
a) mit Pflegestufe;
b) ohne Pflegestufe
3. Methodisches Vorgehen
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde primär eine systematische Onlinerecherche vorgenommen. Ebenso wurden relevante (Präventionskurs-) Datenbanken (Datenbanken der Krankenkassen und der BZgA) nach aktuellen Interventionen/Kampagnen gesichtet, um hierzu parallel für die jeweilige Zielgruppe veröffentlichte Literatur (Zusammenfassungen, Handouts etc.) leichter auffinden zu können. Des Weiteren wurden Datenbanken- (u.a. Genesis online/DESTATIS) und Literaturrecherchen (Fachbücher und staatliche Vorgaben (Gesetze etc.)) zur theoretischen Fundierung des Themas durchgeführt. Verfügbare Statistiken wurden bereits aufgezählt und ersetzen eine eigene Primärforschung.
Die eingehende Recherche über die Präventionskurs-Datenbanken der gesetzlichen Krankenkassen führte zu keinen Ergebnissen. Eine klärende Anfrage an die Zentrale Prüfstelle Prävention (ZPP) blieb unbeantwortet, jedoch konnte durch Sichtung des Präventionsgesetztes und der Bundesrahmenempfehlungen der Nationalen Präventionskonferenzsowie über Suchmaschinenrecherche nachgewiesen werden, dass dieses Handlungsfeld in Deutschland ungenügend bearbeitet wird (s. Kapitel 2.1).
Die Suchmaschinenrecherche über Google, DESTATIS und Springer Link führte zu einer weiteren nennenswerten Datenbank, der grünen Liste Prävention des Landespräventionsrates (LPR) Niedersachsen. Diese Datenbank beinhaltet abweichend zu Datenbanken mit ZPP-zertifizierten Kursen auch Unfall-präventionskurse. Sie fokussiert primär die Settings (= Lebenswelten) (besonders Familie, Schule, Nachbarschaft sowie explizit die Zielgruppe Kinder/Jugendliche) und bewertet die vorhandenen/gemeldeten Interventionen anhand eines Kriterienkatalogs (vgl. LPR o.J.). Auch hier fehlen Angebote für private Haushalte.
Folgende Stichwörter (bzw. deren Kombinationen und Erweiterungen mittels Operatoren (z.B.*)) wurden bei der Literaturrecherche sowie vorhergehenden Themenfeldabgrenzung und -konkretisierung berücksichtigt: Haushalt, Unfall, Statistik, Familie, DALY, Prävention, Intervention, Setting, Public Health, Sturz, Sturzprävention, Sturzprophylaxe, Pflege und neue Medien.
Da bei Arbeitsunfällen eine Erfassung und regelmäßige Veröffentlichung der Ursachen vorgenommen wird und ein Wissenstransfer sowie eine Übertragung von Verhaltensmustern zwischen Settings stattfindet (vgl. NPK 2018, S. 17), wurde ein kurzer Exkurs in die Systematik der hier vorherrschenden Präventionsstrategien vorgenommen. Die DGUV veröffentlicht ihre Publikationen in einer eigenen und frei zugängigen Datenbank (https:\\publikationen.dguv.de).
Die Datenbanken Cochrane, PubMed und researchgate.net wurden zusätzlich mit den Begriffen „Household Accidents“ und „Home Accident“ gesichtet. Der dort festzustellende hohe internationale Bezug sowie die große Vielzahl von fremdsprachiger Literatur auf PubMed (mit Schwerpunkt Kindersicherheit und Senioren) kann im Rahmen dieser Hausarbeit mit lediglich 20 Seiten nicht umfassend berücksichtigt werden. Ebenso wird auf eine tiefere Beschreibung von mehr als 5 Interventionen/Kampagnen oder regionalen Print-Kampagnen verzichtet. Eine tabellarische Auflistung aller recherchierten aktuellen bzw. aktuell genutzten Kampagnen wird jedoch in Kapitel 4.1.2 dargestellt.
Die in der Recherche aufgefundenen Interventionskampagnen wurden primär über das Vorhandensein relevanter Themen bewertet. Da in der Statistik (GEDA, DGUV, Todesursachenstatistik) Sturzunfälle einen Schwerpunkt darstellen, wird die Qualität der Präventionskampagnen besonders anhand dieses Aspektes gemessen. In der Todesursachenstatistik sind Stürze mit 86 % sogar die Hauptursache (vgl. DSH 2017, o.S.; DESTATIS 2017).
4. Ergebnisse
4.1. Zielgruppenorientierte Interventionskampagnen
Die Hausarbeit fokussiert die privaten Haushalte, deren internen Abläufe generell als schwer beeinflussbar beschrieben werden (vgl. Lutz 2012, S. 141; Brähler,Herzog 2018, S. 41 f; Geene 2015, o.S.). Die Präventionsangebote der Krankenkassen haben als Schwerpunkte (Handlungsfelder) Bewegungsgewohnheiten, Ernährung, Stressmanagement und Suchtmittelkonsum (vgl. GKV 2018, S. 59 ff). Der Leitfaden Prävention sieht derzeit nur eine Sturzprävention für bereits erkrankte Personen vor. Als Hauptakteure werden deshalb auch Pflegekräfte bzw. Altenpflegekräfte genannt (vgl. GKV 2018, S. 64 f, 126). Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin kritisierte im Gesundheitsausschuss des Bundestages die fehlende Berücksichtigung der Unfallprävention im aktuellen Präventionsgesetz (vgl. Bundestag 2015, o.S.). Dies könnte erklären, warum keine von der ZPP zertifizierten Unfallpräventionsangebote über die Datenbanken verfügbar sind.
Wie bereits beschrieben, wird im Folgenden eine Konkretisierung der Zielgruppen mittels eines modifizierten Familienlebenszyklus vorgenommen. Eine Betrachtung des Einkommens kann hierbei nicht gesondert vorgenommen werden, da hierzu keine Daten aus Deutschland vorliegen. Eine Erhebung von Mayes, Roberts und Stough konnte jedoch belegen, dass unabhängig vom Unfallmechanismus eine Intervention Haushalte mit hohem und niedrigem ökonomischem Status erreichen sollte (vgl. Mayes, Roberts, Stough 2014, S. 87 ff). Ebenso kann nicht beurteilt werden, ob innerhalb Deutschlands bestimmte häusliche Unfälle vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund betreffen. Dies würde bestenfalls direkten Einfluss auf die Gestaltung (z.B. Hautfarbe der Testimonials) und die Sprache (z.B. Türkisch) der Kampagnen ausüben.
4.1.1. Zielgruppen
Generell können folgende Besonderheiten bei den Untergruppen beobachtet werden:
I. Alleinstehende
Kampagnen für Alleinstehende konnten nicht aufgefunden werden. Im Betrieb ist Alleinarbeit hingegen teilweise (tätigkeitsgebunden) nur unter strikten Auflagen genehmigungsfähig. Besonders relevant ist hierbei der Erhalt der Handlungsfähigkeit nach einem Unfall, um selbstständig einen Notruf absetzen zu können (vgl. DGUV 2016, S. 5 f, 7).
Junge Menschen haben ein höheres Risiko, da sich ihr Risikoverhalten deutlich unterscheidet. Sie akzeptieren oft Unsicherheiten bzw. entscheiden sich bewusst gegen die Einholung weiterer Informationen zur Risikoreduzierung (vgl. MPG 2017, o.S.). Ältere Alleinstehende haben im Vergleich zu verheirateten Personen ein höheres Mortalitätsrisiko (vgl. Waldenmaier 2017 S. 6, 10 ff).
II. Paare
In Ehe bzw. fester Partnerschaft sinkt das Mortalitätsrisiko. Dies kann einerseits durch eine Verhaltensänderung (protektiver Ansatz) oder durch eine primäre Selektion von gesünderen Menschen in die Ehe erfolgen (Selektionstheorie). Die Ehe/Partnerschaft wird hierbei als eine soziale Institution und nicht nur als eine intime Beziehung verstanden (vgl. Waldenmaier 2017 S. 6, 10 ff).
III. Kinder
Kinder haben laut dem AXA Kindersicherheitsreport 2015 ca. 60 % ihrer Unfälle im häuslichen Umfeld und in der Freizeit (vgl. AXA 2015, S. 16). In Kindergärten und weiterführenden Bildungseinrichtungen greifen Unfallpräventionsvorgaben der DGUV (ähnlich der gesetzlichen Unfallversicherung im Betrieb). Exemplarisch können hier die für die Einrichtung konkreten Hilfestellungen der DGUV Information 202-093 - die Jüngsten in Kindertageseinrichtungen sicher bilden und betreuen (vgl. DGUV 2017/1), der DGUV Information 202-022 - Außenspielflächen und Spielplatzgeräte (vgl. DGUV 2008/2) sowie die verbindlichen Vorgaben der DGUV Vorschrift 82 - Kindertageseinrichtungen (vgl. DGUV 2007/2) genannt werden. Trotz des nationalen Jugend-schutzgesetzes werden häusliche Aspekte hier nicht berücksichtigt. Vielmehr stehen hier öffentliche Orte und Medien im Fokus. Ebenso fehlen Kinderrechte im Grundgesetz (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk o.J.). Über den § 8a des SGB VIII wird dem Jugendamt ein allgemeiner Schutzauftrag erteilt. Seit 2012 ergänzt das Bundeskinderschutzgesetz den Kinderschutz in Deutschland (vgl. BMFSFJ 2018, o.S.).
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