Die sog. Bauernbefreiung im Rahmen der Preußischen Reformen


Seminararbeit, 1996

20 Seiten, Note: 13 Punkte


Leseprobe


Gliederung

A. Die Situation in Preußen vor den Reformen
I. Die allgemeine Lage Preußens
II. Die Lage der Bauern in Preußen

B. Die sog. Bauernbefreiung im Rahmen der Preußischen Reformen
I. Verlauf der Bauernbefreiung
II. Ziele und Bedeutung der sog. Bauernbefreiung
III. Auswirkungen
1. politische Folgen
2. wirtschaftliche und soziale Folgen
C. Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Situation in Preußen vor den Reformen

I. Die Allgemeine Lage Preußens

Am 9.7.1807 besiegelte der Tilsiter Friede die Niederlage Preußens. Kurz zuvor waren die preußischen Truppen bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen worden. In der Folge blieb Preußen besetzt. Das Staatsgebiet schrumpfte um mehr als die Hälfte auf die Provinzen Brandenburg, Schlesien, Pommern und Preußen. Die Kosten der Be- satzung mußten von Preußen getragen werden. Außerdem waren die Kriegsentschädigungen noch nicht festgesetzt, die bis zum Abzug der fremden Truppen zu leisten waren. Da vor allem in Ostpreußen die Kampfhandlungen von Januar bis Juli 1807 dauerten1, war das Land weitgehend zerstört. Grundherren und Bauern waren ruiniert oder ü- berschuldet, viele Höfe durch Brandschatzen vernichtet und das Vieh durch die Besatzer genommen. Damit befand sich Preußen in einer tiefenökonomischen und auch politischen Krise. Die staatliche Wil- lensbildung als die zentrale Verfassungsfunktion vollzog sich nicht mehr durch die freie Selbstbestimmung. Sie wurde durch die Besatzer bestimmt, die in allen Bereichen des Staates und der Gesellschaft eine dominierende Rolle spielten. So wurden die Finanzverfassung, die Verwaltung und das Heeressystem von ihnen beeinflußt. Preußen als Staat konnte nur durch eine einschneidende Neuordnung in Staat und Gesellschaft gerettet oder besser gesagt, aus der fremden Herrschaft geführt werden. Dazu gab es zwei Möglichkeiten. Zum einen die Schaffung eines neuen nationalen und liberalen Staates in Form einer Revolution, also eines gewaltsamen Umbruchs der staatlichen Struktu- ren, oder aber durch Reformen. Mit Hilfe von Reformen wiederum konnten eine Restauration des alten Staatsgefüges mit all ihren ständi- schen Hindernissen oder eine Weiterentwicklung der Verfassung zu einer bürgerlichen Gesellschaft, in der Gleichheit und Freiheit für alle Staatsuntertanen herrschen, angestrebt werden. Da es keine revolutio- näre Partei in Preußen gab, die auf einen gewaltsamen Umsturz dräng te, blieben nur noch die Reformen für einen Umbau der gesellschaftli- chen Strukturen. Einer der bedeutendsten Reformer war der Freiherr von Stein, dessen Arbeit ab 1810 von Hardenberg fortgesetzt wurde. Ziel von ihnen und ihren Anhängern war es, den Staat durch eine all- mähliche, fortschreitende Entwicklung in eine neue Verfassung zu bringen, indem das Überlieferte und das Fortschrittliche sich verbin- den sollten. Dabei kann bei den Reformern nicht von einer Partei wie wir sie heute kennen gesprochen werden. Weder waren sie organisato- risch gebunden, noch legten sie ihre Ziele oder Ideen deröffentlich- keit vor. Sie waren vor allem daran interessiert, Schlüsselpositionen in der Regierung, der Verwaltung und er Armee zu erlangen. So konnten sie - Macht ihren Amtes - ihre Reformideen durchsetzen und gleich- zeitig diejenigen Kräfte im Auge behalten die an einem Auferstehen und Beibehalten der alten Machtstrukturen interessiert waren. In der Zusammensetzung der „Reformpartei“ überwogen die Kräfte die aus der Inneren- und der Finanzverwaltung stammen. Meist waren sie nach ihrer Ausbildung in Rechts- und Staatswissenschaften in den Kriegs- und Domänenkammern tätig und stiegen dann zu Kriegs- und Domänenräten auf. Aus dem Justiz- oder Diplomatendienst kamen nur wenige Reformer2. Ihnen gegenüber standen die Vertreter der preußi- schen Restaurationspartei, vor allem Angehörige des Adels und des Militärs sowie Beamte und Juristen. Sie wollten die alte ständisch- provinzielle Verfassung, die Adelsverfassung wiederherstellen.

II. Die Lage der Bauern in Preußen

In Wirtschaft und Gesellschaft bestand zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine strenge geburtsständische Gliederung. Diese beinhaltete, daß z.B. nur der Adel Rittergüter erwerben und das Bürgertum nur bürgerliches Gewerbe und Ämter ausüben durfte. Dies waren alles Schranken, die der freien Entfaltung der Wirtschaft entgegenstanden. Auf dem Land unterstanden dem Gutsherren der Gutshof mit dem dazugehörigen Land in Eigenwirtschaft. Die Bauernhöfe und deren Ländereien, sowie die Gärtnereien, Mühlen, Brennereien usw. unterstanden ihnen indi- rekt. Daneben hatten sie eine soziale Fürsorgepflicht gegenüber dem Bauern, den Bauerschutz. Ein wichtiger Punkt ihrer Macht war die Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit in den Patrimonialgerichten. Der Gutsbezirk war zugleich Rechtsbezirk als auch Verwaltungsbe- zirk, in dem der Gutsherr wiederum die Polizeigewalt und staatliche Auftragsverwaltung ausübte.

Die Erbuntertänigkeit welche zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Preußen herrschte beruhte auf deröffentlich rechtlichen Hoheitsgewalt des Gutsherren gegenüber dem Gutsuntertanen. Sie war eine abge- schwächte Form der alten Leibeigenschaft. Zur Erbuntertänigkeit ge- hörte z.B. die Schollenpflichtigkeit und der Gesindezwang. Die Schol- lenpflichtigkeit fesselte den Bauern an die „Scholle“, ein Wohnsitz- wechsel oder das Wechseln seines Tätigkeitsbereiches mußte vom Gutsherren genehmigt werden. Der Gesindezwang verpflichtete den Erbuntertänigen für eine bestimmte Zeit, in der Regel vom 19. bis 21. Lebensjahr, dem Gutsherren auf seinem Hof als Knecht oder Magd zu dienen und auch später für Dienste zur Verfügung zu stehen. Im Laufe der Zeit war eine Milderung der Erbuntertänigkeit dadurch eingetre- ten, daß man sich durch Loslassungsgelder von der Schollenpflichtig- keit und durch Ablösungsgelder vom Gesindezwang loskaufen konnte. Der Bauer hatte weiterhin die Pflicht neben dem „eigenen“ z.B. durch Erbpacht überlassenen Land, das Land des Gutsherren zu bearbeiten. Gegenüber dem Staat mußte er Grundsteuern zahlen, von denen der Gutsherr befreit war. Ihm gegenüber mußten wiederum die Erbpacht oder Pacht aufgebracht werden. Hinzu kam als produktives Hindernis die von der Bauernversammlung beschlossene Fruchtfolge, Beginn der Bestellung und der Ernte, also der Flurzwang.

Es darf jedoch nicht unbeachtet bleiben, daß es schon vor 1807 Re- formversuche und Reformen gab. So hatten schon zwischen 1799 und 1805 die Domänenbauern auf Grund königlicher Anordnung ihre per- sönliche Freiheit und Eigentum erlangen können3. Dies betraf ca. 50000 spannfähige Bauern der Staatsdomänen in den alten preußi- schen Provinzen (außer Schlesien) und es geschah ohne großes Aufse- hen, eben weil die befreiten Bauern aus Staatsdomänen kamen und es so keinen Widerstand von Seiten der Gutsherren oder des Rittertums gab. Außerdem traten auch einige Adlige für die Aufhebung der Erb- untertänigkeit und Milderung der Frondienste ein und setzten dies auch in die Tat um.4Besonders in Ostpreußen standen schon zu Be- ginn des 19. Jahrhunderts 55000 Arbeiter in den Diensten der Adligen, weil diese die Wirtschaftlichkeit von Tagelöhnern erkannt hatten.

B. Die sog. Bauerbefreiung im Rahmen der Preußischen Reformen

I. Verlauf der Bauernbefreiung

Die Reformen setzten unmittelbar nach Friedensabschluß ein. Die Reform der Gesellschaft erfaßte alle drei wesentlichen Wirtschaftsbe- reiche: die Landwirtschaft, das Gewerbe und den Handel. Auf dem Land hatte sich die allgemeine Verarmung Preußens auch auf die Gutsherren ausgewirkt, die so ihrer patriarchalisch, fürsorgerischen Pflicht nicht mehr nachkamen. Ein Ziel, das die Reformer mit dem Edikt vom 9. Oktober 1807 - dem Oktoberedikt - verfolgten, war gleichzeitig auch die Not der Bauern auf dem Lande zu lindern, was dann aber nur in beschränkten Umfang gelang. Dabei betraf die Agrar- reform ca. 80% der Gesellschaft.

Fortsetzung fand die Agrarreform im Edikt über die Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse vom 14. September 1811 durch Initiative Hardenbergs. Die Ausführung des Edikts wurde je doch gestoppt und erst 1816 mit wesentlichen Abschwächungen weitergeführt. Dieses Edikt ermöglichte den Bauern freie Landeigentümer zu werden. Einschränkungen ergaben sich aber dadurch, daß nur große Bauernstellen betroffen waren, Kleinbauern also in Dienstabhängigkeit zu den Gutsherrschaften blieben.

Die Befreiung der Erbuntertänigkeit vollzog sich in 3 Etappen.

1. Vom 9.10.1807 ab konnte eine neue Untertänigkeit in keiner Form mehr begründet werden.

2. Von der Verkündung des Edikts an waren alle erbuntertänigen nicht-lassitischen Bauern mit ihren Familien frei.

3. Vom 11.11.1810 ab erlangten alle anderen abhängigen Leute die volle persönliche Freiheit (Laßbauern, Gesinde, Gutshandwerker usw.).

II. Ziele und Bedeutung der sog. Bauernbefreiung

Aufökonomischen Gebiet wurde folgendes Ziel mit dem Oktoberedikt verfolgt: der Wiederaufbau des Landes durch den Übergang zum wirt- schaftlichen Liberalismus. Nicht alle hatten durch den Krieg verloren. Dem Kapital, welches sichy in der Hand von aufstrebenden Kapitalis- ten, wie Heereslieferanten befand, durften keine Schranken mehr ge- setzt werden. Es mußte frei investiert werden können, um noch mehr Kapital zu schaffen und damit wiederum den Handel und das Gewerbe zu stärken Dieses Ziel trat auch im Oktoberedikt in den Vordergrund, obwohl die Verfasser der Reformen ein Hauptaugenmerk auf die staats- und rechtspolitischen Ziele legten. Diese waren zum einen die Überführung der Nation in eine zeitgemäße Gesellschaftsordnung. Zum anderen sollte durch die Schaffung persönlicher Freiheit und freien Eigentums dem Menschen die Möglichkeit erschlossen werden, als freier, gleichberechtigter und wirtschaftlich selbständiger Bürger an den staatlichen Geschäften teilzunehmen. Zudem wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Unfreiheit und Ungleichheit in der sich die Erbuntertänigen befanden, als ein Verstoß gegen das natürliche Sitten- und Rechtsgesetz angesehen. Die Reformen sollten außerdem den friedlichen und überschaubaren Übergang in die neue Gesellschafts- ordnung gewährleisten. Es sollte eine revolutionäre Entwicklung wie sie z.B. in Frankreich stattgefunden hatte vermieden werden.

Das „Edikt über den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums so wie die persönlichen Verhältnisse der Land-Bewohner betreffend“5trägt auch den Namen „Edikt zur Bau- ernbefreiung“. Diese Bezeichnung ist so aber im eigentlichen Sinne falsch. Denn durch das Oktoberedikt wurden die Bauern nicht wirklich befreit, es vollzog sich lediglich eine Aufhebung und Abschaffung des alten, feudalen Abhängigkeitsverhältnisses. Sie wurden nur von der Erbuntertänigkeit „befreit“. Andererseits wurde eine wirtschaftliche Umgestaltung der Gesellschaft eingeleitet, die für alle Geburtsstände, also nicht nur für die Bauern, wesentliche Veränderungen mit sich brachte.

Mit dem Oktoberedikt war jeder Preuße zum Erwerb jeden Grund- stücks berechtigt, egal welcher Herkunft er war. Das ländliche Grund- eigentum war frei für den Rechtsverkehr. Adlige Güter konnten ab jetzt auch von Bürgerlichen erworben werden. Andererseits wurde dem Adel auch das Bürgertum geöffnet. Adlige konnten nun bürgerli- che Berufe ergreifen.

Mit dem Edikt vom 9. Oktober 1807 wurden die Restbestände der Leibeigenschaft bzw. der Erbuntertänigkeit der Bauern beseitigt. Es kam zur Aufhebung der bäuerlichen Dienstpflichten (Fronen, Gesin- dezwang), von Rentenzahlungen an den Leib- bzw. Grundherren, der Schollenpflichtigkeit und der persönlichen Beschränkungen, wie sie z.B. beim Vermögenserwerb oder der Heirat (Einholen der Erlaubnis des Gutsherren) bestanden. Das bewirtschaftete Land sollte zu frei verfügbarem Eigentum werden, der Wegfall der Grundherrschaft wur- de angestrebt. Mit Einschränkungen wurde das Einziehen und Zu sammenlegen von Bauernwirtschaften zum Gut wieder möglich. Es sollte auch die grundherrliche Gerichtsbarkeit entfallen. Das Gemein- deeigentum der Dörfer wurde aufgeteilt und der Flurzwang beseitigt. Das Edikt beschränkte sich jedoch auf die Aufhebung der persönlichen Hörigkeitsformen, die mit dem Martinstag 1810 erlöschen sollten. Die dinglichen Rechte an den bäuerlichen Grundstücken blieben unbe- rührt.

III. Auswirkungen des Befreiungsedikts

1. Politische Folgen

Durch das Oktoberedikt kam es zum Auslösen von ca. 45000 Bauern- stellen des damaligen preußischen Staatsgebietes aus der Erbuntertä- nigkeit. Dadurch wurden die Erbuntertänigen, die bis dahin als Hofhö- rige oder Hintersassen gelebt hatten, zu Staatsuntertanen im eigentli- chen Sinne. Vorher waren sie Gutsuntertanen mit der Konsequenz, daß es eine Zwischengewalt der feudalen Gutsobrigkeit gab, die das direkte Einwirken des Staates auf die in Erbuntertänigkeit Lebenden verhinderte. Der Feudalstaat wurde somit in seinen letzten Resten auf- gehoben und es kam zu der Ausbildung eines Obrigkeitsstaates. Kenn- zeichnend für den Obrigkeitsstaat ist, daß der Staat, als einzige Obrig- keit in einem unmittelbaren Rechtsverhältnis zu allen seinen Bewoh- nern steht. Er basiert auf der Zuordnung aller einzelnen zur Staatsge- walt. Das Oktoberedikt setzte somit den Anfang für den direkten Zugriff der Staatsgewalt auf jeden einzelnen Bürger des Staates, ohne auf die feudale Zwischengewalt angewiesen zu sein.

Nach Absicht der Reformer sollten aus den Erbuntertänigen nicht nur Staatsuntertanen werden, sondern freie Staatsbürger. Dies erwies sich aber als schwierig, da zwar eine wirtschaftliche Gleichberechti- gung aller bestand, die politischen und sozialen Privilegien aber wei- testgehend bestehen blieben. Sie wurden zwar auch dem Bauern zu gänglich gemacht, der aber hatte genug mit seinem Kampf um das wirtschaftliche Überleben zu tun, als an die Ausübung von staatsbürgerlichen Rechten zu denken.

Eine Auswirkung des Oktoberedikts war die langsame Herausbil- dung der Klasse des Großgrundbesitzers, der vornehmlich aus dem Ritterstand hervorging, und der Klasse der Landarbeiterschaft. Ein Ziel des Oktoberedikts, nämlich die Beseitigung der ständischen Schranken zwischen dem Adel und dem reichen Bürgertum war er- reicht worden. Die Schaffung eines freien Arbeitsmarktes dagegen war schwerer durchzusetzen. Die Bauern blieben weiterhin an die Vermitt- lung der unteren, ständischen Gerichtsbarkeiten gebunden, die das Recht besaßen, die Abschoß- und Abfahrtsgelder einzuziehen6. Die alte Gerichts- und Gemeindeverfassung blieb erhalten, die politische Verfassungsreform blieb hinter der wirtschaftlichen weit zurück. So war die Bildung freien Eigentums der Bauern durch das Oktoberedikt noch nicht erfüllt, es schuf nur eine Voraussetzung dafür.

Erst 1816, also fast 10 Jahre nach dem Oktoberedikt, wurden den Gutsherren die Gerichtsbarkeit entzogen. Von diesem Zeitpunkt an war die inländische Freizügigkeit sichergestellt und eine Staatsangehö- rigkeit möglich. Die Binnenzölle fielen und aus den vielen kleinen Gutsbezirken und Ländern wurde ein Land. Durch das Wegfallen der regionalen Schranken und dem festlegen von Auswanderungsbestim- mungen im Landrecht, wodurch die Freizügigkeit auch nach außen manifestiert wurde, kam es zur Ausformung des Preußen zum Staats- bürger. Der Begriff des Staatsbürgers selbst tritt zu jener Zeit aber nur im Zusammenhang mit dem Emanzipationsedikt für die Juden vom

11. März 1812 auf7. So kann auch nur von staatsbürgerlicher Gleich- heit auf dem Gebiet der Wirtschaft gesprochen werden, welche sich zur selben Zeit mit dem Abnehmen ständischer Rechte und Schranken ausbreitete und so das eigentliche Gebiet des Staatsbürgers entstehen ließ. Auf politischem Gebiet blieben die alten ständischen Schranken weitestgehend erhalten.

Die Rationalisierung der Wirtschaft auf dem Land kam da wo der Staat unmittelbare Untertanen hatte am schnellsten voran. Wie schwierig das Aufbrechen der alten Strukturen war, ist auch gut er- sichtlich beim Vergleich der Bauernbefreiung mit der Einführung der Gewerbefreiheit. Die Bauernbefreiung zog sich über einen sehr langen Zeitraum hin und war erst nach der Klärung der Rechtsansprüche und der Begleichung der daraus abgeleiteten Entschädigungsleistungen beendet. Die Entschädigung wurde zu einer Vorleistung für den Erhalt freien Eigentums. Die Gewerbefreiheit trat sofort in Kraft. Sie kam denjenigen sofort zugute, die diese Freiheit nutzen wollten. Erst im Laufe der Zeit wurden Entschädigungssummen ermittelt und auf die Gewerbetreibenden verteilt. Möglich wurde dies durch die größere Staatsnähe der Stadtbürger. Die Verwaltung hatte direkten Zugriff, was auf die Landbevölkerung nicht zutraf, weil sich die Ritter ihre ständischen Rechte über lange Zeit zu wahren wußten. Die Liberalisie- rung hatte zwar die Ritter und die daraus entstehenden Gutsherren, das städtische Gewerbe sowie die befreiten Bauern erreicht, innerhalb des Bauernstandes aber nicht alle Klassen.

Aber, erst die allgemeine Freiheit und Gleichheit, die durch das Oktoberedikt geschaffen wurde, macht die Fundamentaleinrichtun- gen8, auf die sich der Staat des 19. Jahrhunderts gründet, möglich. Diese Fundamentaleinrichtungen sind das allgemeine Wahlrecht, die allgemeine Wehrpflicht und die allgemeine Steuerpflicht und können nur mit einem dem Staat gegenüber freien Bürger verwirklicht werden.

2. wirtschaftliche und soziale Folgen

Zu den direkten Auswirkungen des Bauernedikts zählen hier die Stei- gerung der Produktion in der Landwirtschaft, die Aufhebung des Bau- ernschutzes und die Veränderung der ländlichen Sozialstruktur.

Die Beseitigung der alten feudalen Flurordnung war von großer Be- deutung für den Übergang zur kapitalistischen Landwirtschaft. Dies konnte nur durch die Ablösung der Hüttungsberechtigung, durch Ein- führung einer modernen Bodenbewirtschaftung und neuer Produkti- onsmethoden (Vergrößerung der Anbaufläche, Übergang der Anbau- weise zur verbesserten Dreifelderwirtschaft bzw. zur Fruchtwechsel- wirtschaft) erreicht werden, was wiederum nur durch die Bauernbe- freiung im Rahmen der Agrarreform des 19. Jahrhunderts möglich war. Der Übergang zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen und die erhebliche Erweiterung der Gesamtanbaufläche in Preußen führte dazu, daß einerseits ein großer Bedarf an Tagelöhnern entstand, und andererseits die agrarische Produktion stark anstieg. So kam es, daß die Gutsherren vorübergehend sogar in akuten Arbeitskräftemangel gerieten. Das Bevölkerungswachstum, welches nach der Bauernbe- freiung einsetzte und z.B. auf die Beseitigung der Ehehindernisse, den Rückgang der Säuglingssterblichkeit, der Steigerung der Lebenserwar- tung und ersten Erfolgen bei der Bekämpfung von Seuchen durch Imp- fungen zurückzuführen war, konnte bis ca. 1840 fast vollständig in den ländlichen Arbeitskräftemarkt aufgenommen werden. Erst die dann heranwachsenden Generationen verließen das Land aus Mangel an Arbeitsplätzen und zogen in die neu entstehenden Industriegebiete Deutschlands oder wanderten aus. Die agrarische Produktion stieg vom Jahr 1800 bis zum Jahr 1850 um 98 %, die Bevölkerung um 38 %9! Der Begriff der Agrarkrise, der für den Zeitraum nach der Bau- ernbefreiung auftaucht, muß in diesem Zusammenhang mit dem Preis- verfall der Agrargüter gesehen werden, nicht etwa mit ihrer unzurei- chenden Produktion. So gelangten viele Rittergüter in bürgerlichen Besitz, weil bedingt durch die Überproduktion und die fehlende Auf- nahmefähigkeit der heimischen Märkte, diese von den alten Herren nicht mehr gehalten werden konnten.

Die Auswirkungen der Bauernbefreiung waren für Teile der ländli- chen Bevölkerung jedoch nicht nur von positiver Natur. Eine negative Erscheinung war das Wegfallen des Bauernschutzes. Bis zum Okto- beredikt von 1807 stand der Gutsherr in einer Fürsorgepflicht zu sei- nen Untertanen. Dieser Fürsorgepflicht wurde zwar in einzelnen Fäl- len nicht oder nur in ungenügendem Maße nachgekommen, von der Mehrheit der Gutsherren aber verwirklicht. Zum einen, weil in Preu- ßen der Bauernschutz durch Gesetzeöffentlich anerkannt war, zum anderen wurde so für die Schollenpflichtigkeit und den Gesindezwang eine Art sozialer Ausgleich geschaffen. Dieser bestand darin, daß der Gutsherr dem Untertänigen ein Existenzminimum gewähren mußte, durch das Gewähren des Rechts auf Unterkunft und Ernährung, das auch im Alter und bei Krankheit galt, durch das Stellen von Baumate- rial, Ackergerät und auch Vieh und Saatgut. So konnten sich die Un- tertänigen ihrer Existenz sicher sein, auch wenn eine Mißernte oder Unwetter den größten Teil ihrer Arbeit zerstörten. Der Gutsherr sicherte sich dadurch aber auch seine Arbeitskräfte und ein bestimmtes Niveau der Produktivität der Gutsuntertänigen. Das Oktoberedikt löste dieses wechselseitige Verhältnis zwischen Gutsherren und Untertäni- gen auf. Es entließ den Bauern in die volle persönliche Freiheit, ent- band den Gutsherren aber auch gleichzeitig von seiner Fürsorgepflicht. Das Entfallen der Fürsorgepflicht hatte für das nun entstehende Land- proletariat äußerst negative soziale Folgen. Zwar konnte der jetzt freie Bauer hingehen wohin er wollte, er brauchte sich kein Arbeitsplatz- wechsel und kein Wohnortswechsel mehr genehmigen lassen, auch konnte er nun heiraten wann und wen er wollte, stand aber sozial völ- lig schutzlos da. Es gab keinen Gutsherren mehr, der sich um das Wohl seiner Untertänigen kümmern mußte. Für ihn zählte fortan nur noch die Arbeitskraft. Dabei kam es dem Gutsherren natürlich wesent- lich kostengünstiger, Tagelöhner für die anfallenden Arbeiten zu ver- pflichten. Diese mußten nur in den Zeiten ernährt werden, in denen sie gebraucht wurden, was in der Regel zur Saat- und Erntezeit war. Dar- über hinaus bestanden keinerlei soziale Verpflichtungen mehr. Dies ist auch der Grund, warum zumindest der weitblickende Teil der landsäs- sigen Aristokratie sich für denökonomischen Liberalismus aussprach.

Es kam zum Aufblühen der freien Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit und somit zum Einzug des Agrarkapitalismus in Preußen. Eine weitere äußerst negative Folge des Wegfalls des Bauernschut-zes war das bis dahin gesetzlich verbotene Bauernlegen. Das Oktober-edikt erlaubte zwar nach den §§ 6, 7 das Bauernlegen, also das Einzie-hen von Land, nur in bestimmten Fällen. So konnte aber z.B. nicht erbliches Bauernland zum Guts- oder Vorwerksland eingezogen und zusammengelegt werden, wenn gleichzeitig ebensoviel Land zu einer größeren Hofstelle zusammengeschlossen und zum erblichen Besitz ausgegeben wurde. Durch das Bauernlegen und die Ablösung entstan-den die Großgrundbesitze, die bis in das 20. Jahrhundert hinein beste-hen blieben. Vomökonomischen Standpunkt waren die kleinen, nicht spannfähigen Hofstellen zu produktiver Bewirtschaftung wenig geeig-net. Wurde durch das Zusammenlegen von kleinen Bauernhöfen die Wirtschaftlichkeit auch wesentlich erhöht, so bedeutete das für das Kleinbauerntum aber, daß es in die wirtschaftlich abhängige Gutsar-beiterschaft absank und oft am Rande des Existenzminimums wirt-schaftete. Dem gegenüber bildete sich auf den vergrößerten Hofstellen ein leistungsfähiges Bauerntum aus.

Durch das Oktoberedikt hatten die Bauern zwar ihre persönliche Freiheit, nicht jedoch freies Eigentum erworben. Zuerst hatte der § 10 des Oktoberedikts zu Unklarheiten geführt. Mancher Bauer glaubte, daß auch die dinglichen und wirtschaftlichen Bindungen, wie die Pacht aufgehoben waren. So zwang sich die Regierung im April 1808 nochmals zu erklären, daß nur die Erbuntertänigkeit aufgehoben sei.10 Danach kam es in Schlesien sogar zu Bauernaufständen, die vom fran- zösischen Militär niedergeworfen wurden. Ziel der Bauernbefreiung war es aber einen freien und auch besitzenden Bauernstand zu schaf- fen, der als ein Element der neuen Bürgerlichen Gesellschaft fungierte. Gleichzeitig sah man aber auch die Herrenrechte als Eigentumsrecht an und gestand den Gutsherren eine Entschädigung für Aufhebung der Diensttage und Abgaben zu. Durch das „Edikt die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse betreffend“ sollten die gesetzlichen Grundlagen für einen tiefgreifenden Wandel in der preu- ßischen Agrarverfassung geschaffen werden. Wenn auch dieses Edikt in seiner Ausführung gestoppt und erst in einer Deklaration vom 29. Mai 1816, in abgeschwächter Form wieder aufgegriffen wurde, so ermöglichte es den Bauern doch, endlich auch freie Landeigentümer zu werden. Das Ablöseverfahren, durch das die Bauern zu freien Ei- gentümern werden sollten, war aber antragspflichtig und auf größere, spannfähige Bauernstellen beschränkt. Spannfähige Bauernstellen wa- ren solche, die über ein eigenes Gespann zur Bestellung ihrer Felder verfügten.

Durch die Ablösung erhielten die Bauern zwar das volle Eigentum an bewirtschaftetem Boden, Hardenberg hatte aber dem Druck der Gutsherren in der Hinsicht nachgegeben, daß die Bauern ihre Hand- und Spanndienste sowie die Pacht ablösen mußten. So beglichen die Bauern durch Landabtretung das Wegfallen der gutsherrlichen Rechte. Das konnte bei einem erblich gesicherten Besitz 1/3 bis zur Hälfte des Landes bedeuten. Von großem Nachteil für die Bauern war es, daß dieser Ausgleich sofort und im vollen Umfang erfolgen mußte, was sehr hohe Belastungen bedeutete. Dadurch ist ersichtlich, warum nur größere Bauernstellen nach dem Ablöseverfahren noch wirtschaftlich arbeiten konnten. Kleinere Bauernstellen, so sie überhaupt freiwillig eine Ablösung in Betracht zogen, wurden so klein, daß ihre zu bewirt- schaftende Fläche nicht mehr ausreichte um davon existieren zu kön- nen. Dies hatte entweder den Ruin sehr vieler Kleinbauern zur Folge, oder sie blieben in der alten Dienstabhängigkeit zum Gutsherren, ge- bunden durch Dienste oder Pacht. Da aber auch die Kleinbauern frei- zügig in Bezug auf ihre Person waren, wanderten im Laufe des Jahr- hunderts ca. 100000 Kleinbauern vom Lande ab. Es kann daher gesagt werden, daß eine Auswirkung der Bauernbefreiung die Landflucht in Preußen war, mit dem Ergebnis, daß aus dieser Massenabwanderung gleichzeitig das Industrieproletariat entstand, welches einen große Rolle in der Revolution des Jahres 1848 spielte.

Andererseits darf aber auch nicht der positive wirtschaftliche Effekt der Ablösung, auch solcher Bauernstellen die sich dann nur gerade so halten konnten, verkannt werden. Durch den Zwang, Lasten abzutra- gen und im Kampf um das Überleben der Familie, wurde oft eine er- hebliche Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und Produk- tivität erreicht. Außerdem entstand ein großer Anreiz für andere Dorf- bewohner, sich etwas Land zu schaffen. Wie hoch die Strebsamkeit und Entbehrungsfähigkeit der Bauern mit geringem Landbesitz waren, kann aus den Darstellungen der damals eingesetzten Generalkommis- sionen entnommen werden. Diese wurden bereits 1811 von Harden- berg geschaffen und hatten die Aufgabe, die Agrargesetze umzusetzen, die Eigentumsbildung zu überwachen und voranzutreiben, sowie die- sen Prozeß in legalen Bahnen zu gestalten. In der Zusammensetzung findet dies ihren Ausdruck. So bestanden die 9 Generalkommissionen zunächst aus je zwei Landwirtschaftsexperten und einem Rechtskun- digen auf dem Gebiet der Landwirtschaft. 1821 kam ein zweiter Jurist zu jeder Kommission hinzu, die in der Folge alleiniges Stimmrecht bei rechtlichen Fragen hatten. Ab 1844 bekamen die Nichtjuristen zwar ihr Stimmrecht wieder, ein dritter Jurist garantierte aber wiederum die Mehrheit.

Zusammenfassung

Für den Staat Preußen brachten die Reformen das gewünschte Ergeb- nis. Es kam zu keiner Revolution von unten, wirtschaftlich erholte sich das Land und konnte sich so aus der tiefen Krise, die durch die Niederlage gegen die Franzosen entstanden war, befreien. Durch die enormen Ablösesummen sanierten sich Gutsbesitzer, der Staat erhielt durch Steuern eine neue Einnahmequelle auf dem Lande.

Die sog. Bauernbefreiung im Rahmen der Preußischen Reformen zog sich zwar über einen größeren Zeitraum hin, brachte den Bauern aber zuerst ihre persönliche Freiheit, später - zumindest einem Teil von ihnen - auch freies Eigentum. Wichtig ist auch, daß durch die Bauernbefreiung ständische Schranken fielen, kapitalistische Produk- tionsverhältnisse auf dem Lande Einzug hielten, aus den abwandern- den Bauern das Arbeitskräftepotential der Industrie wurde und daß durch die Beseitigung der Untertänigkeit auch der Bauer zu einer di- rekt dem Staat unterstehenden Klasse wurde. Nur so war die Entwick- lung zu einer modernen Gesellschaftsordnung möglich.

[...]


1 Hermann Witte, in: Bauernbefreiung und Städteordnung und die Ostpreußen (1951), S. 8

2Ernst Rudolf Huber, in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 (1967), Band I S. 126

3Ernst Rudolf Huber, in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 (1967), Band I S. 185

4 Hermann Witte, in: Bauernbefreiung und Städteordnung und die Ostpreußen (1951), S. 7

5 Preußische Gesetz-Sammlung 1806-10 S.170 ff

6 Reinhardt Koselleck, in: Preußen zwischen Reform und Revolution (1975), S. 58

7Preußische Gesetz-Sammlung 1812, S.17

8Ernst Rudolf Huber, in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 (1967), Band I S. 189

9 Rainer Koch, in: Deutsche Geschichte 1815 -1848, S. 154

10 Hermann Witte, in: Bauernbefreiung und Städteordnung und die Ostpreußen (1951), S. 10

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die sog. Bauernbefreiung im Rahmen der Preußischen Reformen
Veranstaltung
Verfassungsgeschichte der Neuzeit
Note
13 Punkte
Autor
Jahr
1996
Seiten
20
Katalognummer
V98877
ISBN (eBook)
9783638973281
Dateigröße
417 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bauernbefreiung, Rahmen, Preußischen, Reformen, Verfassungsgeschichte, Neuzeit
Arbeit zitieren
Sandra Steineke (Autor:in), 1996, Die sog. Bauernbefreiung im Rahmen der Preußischen Reformen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98877

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die sog. Bauernbefreiung im Rahmen der Preußischen Reformen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden