Zwischen Information und Manipulation. Untersuchung von strategisch-politischer Sprache mithilfe der Framing-Theorie am Fallbeispiel öffentlich-rechtlicher Polit-Talkshows in Deutschland


Bachelorarbeit, 2020

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Framing in der Linguistik - Definition
2.1 Politische Sprache als Handlung
2.2 Das Denken in Metaphern

3 Öffentlich-rechtliche Polit-Talkshows

4 Polit-Talkshows und deren Rahmensetzung
4.1 Linguistische Framing-Analyse ausgewählter Sendungstitel
4.1.1 Thema-Islam
4.1.2 Thema - Zuwanderung nach Deutschland
4.1.3 Thema - Klimadebatte

5 „Agenda-Setting bei ARD und ZDF?“ - Studie
5.1 Aufbau und Vorgehensweise
5.2 Ergebnisse der Studie

6 Framing-Effekte: Information versus Manipulation

7 Schlusswort

Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der politische Diskurs hat sich im Zuge der digitalen Massenmedien, der Medienöffentlichkeit und populistischer Strömungen stark gewandelt. Heutzutage ist von einer Streitkultur die Rede, die an demokratischer Substanz verloren hat und vorrangig einen Unterhaltungsfaktor aufweist. Hierbei sind Sprache und Politik eng miteinander verbunden. Erstere steht zudem im Verhältnis zur sozialen Wirklichkeit und Kognition. Das bedeutet, dass Denken und Sprache Zusammenhängen sowie schließlich einen Einfluss auf Handlungen und Entscheidungen haben. Zur Eingrenzung des Themas wird der Schwerpunkt des Untersuchungsgegenstands auf die Sprache deutscher Polit- Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gelegt.1 Durch Sprache werden nicht nur Informationen ausgetauscht, sondern auch Emotionen und Meinungen. Vereinfacht dargestellt ist von Bedeutung, was, auf welchem Weg mittels Sprache transportiert wird, zu wem sowie welche Intentionen und Wirkungen sich dahinter verbergen. Der Prozess von Sprache und Denken wird mit der linguistischen Framing-Theorie untersucht. Der Begriff Framing wird im folgenden Kapitel erläutert. Zusätzlich stehen das politische Framing sowie die Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson im Fokus, die besonders für die kognitive Linguistik von Bedeutung sind. Die Sendungen Anne Will, Maischberger, maybrit illner sowie hart aber fair verzeichnen Millionen von regelmäßigen Zuschauerinnen und Zuschauern, obwohl sie in der jüngeren Vergangenheit starker Kritik ausgesetzt waren. Woher diese rührt, wird im weiteren Verlauf der Bachelorarbeit untersucht. Zunächst erfolgt ein Überblick über die genannten Formate. Deren öffentlich-rechtlicher Charakter wird hierbei ebenfalls betrachtet. Die Framing-Analyse in Kapitel 4.1 beinhaltet eine linguistische Analyse verschiedener Sendungstitel. Die Einbindung und Auswertung der Studie ^Agenda-Setting bei ARD und ZDF?“ der Otto-Brenner-Stiftung aus dem Jahr 2019 erfolgt in Kapitel 5. Hierbei wird untersucht, ob die Festlegung bestimmter politischer Themen sowie die Auswahl, was relevant ist und was nicht, Agenda-Setting-Effekte konstruieren. Zuletzt wird der Fokus auf eine mögliche Informations- und Meinungsverschiebung gelegt. Die Bachelorarbeit endet mit einem Schlusswort.

2 Framing in der Linguistik - Definition

„By the word ‘frame’ I have in mind any system of concepts related in such a way that to understand any of them you have to understand the whole structure in which its fits. [...] The framing words in a text reveal the multiple ways in which the speaker or author schematizes the situation and induce the hearer to construct that envisionment of the text world.“ (Fillmore 1982, S. 111).

Das angeführte Zitat von Charles Fillmore stellt Frames als einen verständniskonstruierenden Deutungsrahmen dar. Hierbei löst dieser beim Empfänger nicht nur ein Konzept aus, sondern mehrere, die die Gesamtheit der Semantik eines Wortes darstellen. Die soziale Wirklichkeit und Erfahrung jedes Menschen ist hierbei besonders von Bedeutung, da das bereits angeeignete Weltwissen durch das alltäglich erfahrbare angereichert wird und dadurch Deutungsmuster im Gehirn abgespeichert werden. Die Framing-Forschung lässt sich nicht einer wissenschaftlichen Disziplin zuordnen. Sie ist in der Kommunikations- und Sprachwissenschaft, aber auch in der Soziologie bekannt. Aufgrund dessen ist eine eindeutige Definition nicht möglich. Der Fokus der vorliegenden Bachelorarbeit liegt in der Framing-Forschung der Sprachwissenschaft. Begründer des Begriffs und der Framing-Theorie ist Charles Fillmore. Dessen Konzept der semantischen Netzwerkstruktur wurde von George Lakoff für die kognitive Linguistik ausgebaut. Hierfür forschte Letzterer gemeinsam mit der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling am Berkeley International Framing Institute. In der kognitiven Linguistik geht es um das Erkennen und Wahmehmen von Dingen sowie Geschehnissen in Relation zur Sprache. Laut Lakoff und Wehling denken Menschen zu 80 Prozent völlig unbewusst (Lakoff & Wehling 2016, S. 22). Demzufolge ist ein Teil des Denkens weder reflektier- noch kontrollierbar. Den Ausgangspunkt selbst bildet nicht mehr das Sprachsystem als solches, sondern die kognitive Verarbeitung. Die Rezeption von Sprache ist eng mit neuronaler Simulation verbunden, der ,embodied cognition‘ (Lakoff & Johnson 2014, S. 43).

„Um Worte zu begreifen, aktiviert unser Gehirn ganze Vorratslager abgespeicherten Wissens - zum Beispiel Bewegungsabläufe, Gefühle, Gerüche oder visuelle Erinnerungen - und simuliert diese Dinge gedanklich, um linguistischen Konzepten eine Bedeutung zuschreiben zu können.“ (Wehling 2016, S. 20).

Demnach begreifen Menschen Worte, Konzepte oder Handlungen dadurch, dass das Gehirn die dazugehörigen Abläufe im dafür zuständigen Bereich simuliert. Diese Simulation der Frames geschieht unbewusst und wirkt sich auf die Wahrnehmung der Umwelt aus (Wehling 2016, S. 21). Das Abfragen von Wörtern im Gehirn löst weitere Abläufe aus, die letztlich eine lange Wissenskette bilden. Der Linguist Dietrich Busse hinterfragt hierbei die historische Semantik, da diese Sprache lediglich in Lexikon und Grammatik unterteilt, sodass Untersuchungen von Bedeutungen im übertragenen Sinn nicht möglich sind. Folglich stuft er die semantische Konzeption, die darauf beruht, dass eine bestimmte sprachliche Einheit lediglich eine bestimmte Bedeutung aufweist, als überholt ein. Des Weiteren bezeichnet Busse die Frame-Semantik als ein Modell, das Grenzzäune einreißt (2012, S. 15). Diese Grenzzäune bilden „sprachliche Bedeutung“ und „kommunikativer Sinn“ (Busse 2012, S. 15). Es ist Weltwissen nötig, um in einem Satz einen kommunikativen Sinn erkennen zu können, da das Sprachverstehen über das sprachlich Geäußerte hinausgeht. Die semantische Wissenskette sieht bei jedem unterschiedlich aus,je nachdem welche Erfahrungen Menschen in ihrem Leben gemacht haben und aus welchen gesellschaftlichen Milieus sie stammen. Durch diese sind Menschen erst dazu in der Lage, Fakten eine Bedeutung zu verleihen oder Sätzen einen Sinn zuzuschreiben (Wehling 2016, S. 20). Lakoff und Wehling unterscheiden hierbei zwischen Surface-Frames und Deep-Seated-Frames (Lakoff & Wehling 2016, S. 73). Letztere sind „in unserem Gehirn tief verankerte Frames, die unser generelles Verständnis der Welt, unsere Annahmen von der Welt zum Beispiel aufgrund unserer moralischen und politischen Prinzipien strukturieren, und die für uns schlicht ,wahr‘ sind“ (Lakoff & Wehling 2016, S. 73). Deep-Seated-Frames sind jedoch zunächst nicht gefestigt, sie müssen von Surface-Frames erst aktiviert oder beeinflusst werden. Frames sind grundsätzlich selektiv. Das bedeutet, dass sie bestimmte Fakten und Realitäten hervorheben, andere wiederum unberücksichtigt lassen. Durch dieses Bewerten sowie Interpretieren leiten Frames unbewusst das Denken und Handeln. Im Folgenden wird auf politische Sprache sowie auf die kognitiv-linguistische Metapherntheorie von Lakoff und Johnson eingegangen. Dies ist für die spätere Untersuchung von Polit-Talkshows in Deutschland von Relevanz.

2.1 Politische Sprache als Handlung

Sprache ist nicht mehr nur ein Zeichensystem zur zwischenmenschlichen Kommunikation, sondern zugleich „das zentrale Medium der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ (Sarcinelli 2020, S. 302). Für die Politik ist sie zudem vor allem sprachliches Handeln.

„Politik wird durch (mit) Sprache entworfen, vorbereitet, ausgelöst, von Sprache begleitet, beeinflußt, gesteuert, geregelt, durch Sprache beschrieben, erläutert, motiviert, gerechtfertigt, verantwortet, kontrolliert, kritisiert, be- und verurteilt.“ (Grünert 1983, S. 43).

So bildet Sprache für politische Akteurinnen und Akteure ein Mittel zur Ausführung und Legitimation politischer Handlungen. Hochkomplexe Diskurse sollen hierbei auf ihre Substanz heruntergebrochen werden, sodass sie für alle Menschen greifbar sind. Zusätzlich werden diese positiv und/oder negativ aufgeladen, um Zuspruch und Bestätigung seitens der Bevölkerung zu bekommen. Die Medien des 21. Jahrhunderts sind soziale, Print-, und Onlinemedien sowie das Fernsehen. Im Fokus dieser Arbeit stehen Polit-Talkshows. Die bewusste und unbewusste Darstellung politisch Agierender in der Öffentlichkeit bildet für sie eine Möglichkeit zur Ausübung von Macht. Vor allem in politischen Diskussionsrunden in Form von Talkshows werden diese Möglichkeiten der Inszenierung genutzt, um nicht nur das Publikum im Saal, sondern auch die vor dem Fernseher Sitzenden vom Gesagten zu überzeugen. So unterscheidet sich politische Sprache durchaus von der Alltagssprache (Gimth 2015, S. 44). Politische Akteurinnen und Akteure verfolgen eine Intention, die letztlich durch Sprache realisiert wird. Die massenmediale Ausrichtung politischer Kommunikation erleichtert die Verbreitung politischer sowie gesellschaftlicher Diskurse in der heutigen Zeit, da sie sich bereits in allen Lebensbereichen etabliert hat. Laut Girnth (2015, S. 47) gibt es vier Funktionen politischer Sprache. Eine der fundamentalsten stellt hierbei die informativ-persuasive dar. Durch sprachliche Mittel wird versucht, die Meinung und/oder die politische Einstellung der Empfängerin bzw. des Empfängers zu beeinflussen sowie maßgeblich zu prägen und zu konstruieren (Girnth 2015, S. 48). Das Ergebnis, die politische Inszenierung, bildet sich zusätzlich durch das bewusste Verschweigen oder die Hervorhebung von Informationen, um so den politischen Diskurs in eine gewünschte Richtung zu lenken. Hierbei ist die politische Kommunikation in der Öffentlichkeit maßgeblich, da durch die heutige Massenmedialität sprachliches Handeln oft mehrfachadressiert ist (Girnth 2015, S. 40f). Das bedeutet, dass damit ein größerer Personenkreis erreicht wird. Dieser Aspekt trifft beispielsweise auf Polit-Talkshows zu, denn durch das anwesende Publikum im Studio und die Zuschauenden am Bildschirm wird ein hoher Personenkreis erreicht und mit sprachlichem Handeln konfrontiert. Die informativ-persuasive Sprachfunktion konzentriert sich hierbei auf die Bewusstseinsbildung und dient folglich als Motivation sowie zugleich als Begründung im politischen Sprachgebrauch. Klassisch wird sie in Debatten-, Wahlreden sowie Wahlslogans verwendet, um so gewisse Gegebenheiten auszublenden und andere wiederum hervorzuheben (Girnth 2015, S. 48). Außerdem ist politische Sprache eng verbunden mit der Machtfrage. Die Intention, wie eingangs erwähnt, ist zum einen die „Erlangung, Sicherung, Ausübung und Kontrolle von Macht“ (Gimth 2015, S. 47). Weitere sind die integrative, regulative und poskative Funktion. Erstere ermöglicht es in der politischen Kommunikation, kollektive Einstellungen und Überzeugungen öffentlich zu etablieren sowie zugleich zu verankern (Girnth 2015, S. 48). Hierbei steht die Inszenierung einer politischen Einheit im Vordergrund. Die regulative Funktion kommt schwerpunktmäßig bei der behördlich geregelten Kommunikation zwischen Exekutiven und Bürgerinnen und Bürgern zum Einsatz. Sie regelt die Beziehung zwischen Politik und Gesellschaft und zeichnet sich durch eine Kommunikationsrichtung von oben nach unten aus (Gimth 2015, S. 49). Forderungen, Wünsche sowie Widerstände werden durch die poskative Funktion sprachlich realisiert (Girnth 2015, S. 49f.). Häufig werden politische Diskurse hierbei von anderen abgegrenzt, legitimiert und profiliert. Dies kann seitens der Politik sowie auch der Gesellschaft im Rahmen der politischen Kommunikation erfolgen. Ausgehend von der Theorie, dass Worte über Frames begriffen werden, ist dies ebenso auf politische Debatten anwendbar.

2.2 Das Denken in Metaphern

In politischen Debatten werden einzelne Wörter in einen sinngebenden Frame eingefügt. Durch die Semantik des aktivierten Frames erhält es seine Bedeutung. Laut Wehling sind Frames in der Politik „ideologisch selektiv“ (Wehling 2016, S. 42). Das bedeutet, dass diese bestimmte Gegebenheiten oder auch Fakten hervorheben sollen, andere hingegen ausblenden. Dies trifft besonders auf persuasive Äußerungen zu. Wehling betont an dieser Stelle, dass es nicht möglich ist, außerhalb von Frames über Politik zu sprechen oder zu denken (2016, S. 43). Zudem ist die Auswahl von Frames für den Ausgang des Diskurses entscheidend. Häufig entsprechen die verwendeten Frames nicht der eigenen Weitsicht. Hinzu kommt, dass Menschen ihre gesamtgesellschaftlichen Entscheidungen nicht aufgrund von Zahlenmaterial und Tatsachen treffen, sondern basierend auf sinngebenden Frames (Wehling 2016, S. 42). Um ideologisch authentisch zu kommunizieren, gilt es, die eigene Weitsicht darzustellen. Einen Frame zu negieren bedeutet dessen gleichzeitige Aktivierung (Wehling 2016, S. 44). Zusätzlich spielt die Häufigkeit der Nennung politischer Themen eine Rolle. Das gilt insbesondere für Wörter und Sätze. Je öfter diese realisiert werden und gewisse Konstrukte miteinander verknüpfen, desto natürlicher werden diese Assoziationen zu einem Grundbaustein des alltäglichen Denkens (Wehling 2016, S. 58). Dadurch wird langfristig die Wahrnehmung geformt. Ausgehend von dieser Verfestigung werden andere, neue Zustände anders wahrgenommen, besonders in politischen Diskursen. Ferner ist die kognitiv-linguistische Metapherntheorie von Lakoff und Johnson ausschlaggebend. Hierbei unterscheiden sich konzeptuelle Metaphern grundlegend von traditionellen Metaphern der Substitutionstheorie. Bisher wurden sie als eine Art Vergleich definiert, der dadurch stattfindet, dass ein bestimmtes Wort durch ein anderes ersetzt wird. Dies lässt sich auf die Ähnlichkeiten in der Semantik von Wörtern zurückführen. Vorrangig werden traditionelle Metaphern für den stilistischen Gebrauch verwendet, konzeptuelle dagegen konstruieren und strukturieren das Denken, sodass sie sich letztlich in der Kommunikation widerspiegeln (Wehling 2016, S. 70). Sprache aktiviert sie und festigt sie im menschlichen Gehirn. Folgendes Beispiel verdeutlicht die Metaphemtheorie: „Moral ist Reinheit (Wehling 2016, S. 75). In nachstehenden Sätzen ist eine Assoziation mit dem Wort Reinheit möglich:

„Frau Schneider hat schmutzige Gedanken.

Was liest Du denn da für einen Dreckskram!

Mit dieser Politik beschmutzen Sie das Ansehen unserer Nation!

Ich wasche meine Hände in Unschuld.

Ich habe damit rein gar nichts zu tun.“ (Wehling 2016, S. 75)

Da die Ausgangsmetapher Moral ist Reinheit ausgesprochen produktiv ist, läuft die Aktivierung weiterer Metaphern automatisch ab. Durch die Worte schmutzige“ oder „Dreckskram“ simuliert das Gehirn „physischen Ekel“ (Wehling 2016, S. 75). Das führt dazu, dass die Wahrnehmung und das Handeln beeinflusst werden. Verdeutlicht wird dies anhand einer Studie (Zhong & Liljenquist 2006, S. 1451f.), in der zwei Gruppen einen Text lesen und abschreiben mussten. Die eine bekam einen Text über eine gute Tat, die andere einen über eine schlechte. Im Anschluss sollten die Teilnehmenden eine Anzahl von Produkten bewerten, die sie ansprach. Hierbei handelte es sich um Artikel wie Zahnpasta, Glasreiniger, Desinfektionstücher - Produkte aus einem herkömmlichen Drogeriemarkt. Diejenigen, die den Text über die schlechte Tat lasen und abschrieben, empfanden die Reinigungsprodukte als ansprechender, als die Gruppe, die den anderen Text bekommen hatte. So hatte die „metaphorische Vernetzung von Moral und Reinheit direkten Einfluss auf die Wahrnehmung der Produkte“ (Wehling 2016, S. 76). Nach einem historischen Überblick über Polit-Talkshows wird genauer analysiert, mit welchen Frames und konzeptuellen Metaphern in diesen gearbeitet wird.

3 Öffentlich-rechtliche Polit-Talkshows

Für diese Arbeit werden politische Talkshows nach Schultz (2006) als „nicht-fiktionale Fernsehsendungen, in denen im weitesten Sinne politische Fragen in der Form eines Gesprächs thematisiert werden“ (S. 91), definiert. Dessen Aufbau folgt in der Regel einem bestimmten Schema. Das Gespräch findet zwischen den eingeladenen Gästen statt und wird von einer weiteren Person moderiert. Oft sind diese Sendungen nach den Moderatorinnen bzw. Moderatoren benannt. Politische Talkshows sind in Deutschland zentrale Orte des öffentlichen Gesprächs. Die Einschaltquoten der Formate Anne Will, maybrit illner, Maischberger und hart aber fair mit rund drei bis vier Millionen Zuschauern (Huber 2019) wöchentlich bestätigen dies. In der Weimarer Republik waren die Rundfunkanstalten allerdings von Beginn an „starker Zensur unterworfen, die auf Überparteilichkeit und politische Neutralität bedacht war“ (Weber 2019, S. 21f.). Im Radio wurde über Politik gesprochen und berichtet, allerdings nur in Form von Parteivorträgen und Wahlkampfansprachen. Zum Ende der 1920er Jahre entstanden Formate, wie die Sendereihe Gedanken der Zeit, die sich erstmals mit Alltagsfragen und aufklärerischen Themen auseinandersetzten. Hierbei stand das Pluralitätsprinzip im Mittelpunkt. Der Fokus lag darauf, eine demokratische Parteienvielfalt zu manifestieren. Unter nationalsozialistischer Herrschaft verschwanden diese Sendungen schließlich. Während der Besatzungszeit der Alliierten bestand die Notwendigkeit der Rehabilitation bezüglich der Diskussionsfähigkeit. Die Bevölkerung der Bundesrepublik schätzte die Talkshows, da sie politische Pluralität und Übung an der demokratischen Praxis gewährleisteten. Schließlich bekam das öffentlich-rechtliche Fernsehen spätestens 1984 die Privatwirtschaft als Konkurrenten. Das Talk-Angebot konnte sich dadurch innerhalb weniger Jahre vervielfachen (Weber 2019, S. 34). Die neuen Formate definierten das klassische Streitgespräch neu. Die privaten Talkshows waren selten in der Lage, die Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Nachdenken anzuregen oder ihnen neue Perspektiven zu einem Thema zu vermitteln. Sie verabsolutierten einen einzigen Aspekt der Diskussion - den Streit -, während der Konsens der Auseinandersetzung in den Hintergrund rückte (Weber 2019, S. 35f.). Im Fokus stand nun nicht mehr die Demokratiesicherung, sondern die Erhaltung der Einschaltquoten. Das entwickelte sich so weit, dass diese Talkshows anfällig für jegliche Instrumentalisierung durch Politik und Wirtschaft wurden. Mit der Sendung Sabine Christiansen begann eine Ära der Krisenbeschwörung mit deren Entwicklung zur Normalität. Jeden Sonntagnachmittag diskutierte sie Themen wie die hohe Arbeitslosigkeit oder geringe Wachstumsraten folgendermaßen: „Was können wir uns noch leisten? Warum geht schon wieder nichts voran? Vor welchem Abgrund steht Deutschland heute?“ (Weber 2019, S. 36). Hierbei verschwammen nicht nur die Krisendiskurse der medialen und politischen Sphäre, sie suggerierten einen gewissen „apokalyptischen Dauerzustand“ (Weber 2019, S. 37). Die heutigen politischen Talkshows unterscheiden sich nicht grundlegend von damaligen. Das Format ist dasselbe. Talkshows sollen kontrovers sein, relevante Themen aufgreifen und durch die eingeladenen Gäste unabhängige Meinungen vertreten. Allerdings rücken sie Weber zufolge politische Debatten in einen Rahmen und gewährleisten dadurch das Misslingen politischer Gespräche, indem sie diese als Normalität verkaufen (Weber 2019, S. 44). Moderatoren wie Frank Plasberg von hart aber fair sind davon überzeugt „keinen volkspädagogischen Auftrag“ (Brauck & Kühn 2017) erfüllen zu müssen. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden der Auftrag öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten näher untersucht. Das ist deshalb von Bedeutung, da die „Adressatenstruktur“ (Plake 1999, S. 22) politischer Talkshows umfangreich ist. Zwar sprechen die Teilnehmenden untereinander, allerdings kommunizieren sie zugleich mit dem Publikum und den Zuschauenden an den Bildschirmen. Dadurch vergrößert sich die Zahl der Rezipierenden, was wiederum die Frage aufwirft, welchen Auftrag öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten haben. Artikel 5 des Grundgesetzes zur Ausübung der Meinungsfreiheit bildet die Basis für die demokratische und zivilgesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sollen die technische und inhaltliche Erreichung der gesamten Bevölkerung gewährleisten sowie ein umfassendes Programmangebot bieten. Folglich steht die Erfüllung demokratischer, sozialer sowie kultureller Interessen im Fokus (Hofmann 2016). Zusätzlich ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Ausgewogenheit verhalten, um Meinungspluralität zu ermöglichen (Hofmann 2016). In Bezug auf die Berichterstattung müssen die vermittelten Informationen sich stets durch Unabhängigkeit, Sachlichkeit sowie Überparteilichkeit auszeichnen. Vor deren Verbreitung müssen sie auf Aktualität, Nachhaltigkeit sowie Glaubwürdigkeit geprüft werden (Hofmann 2016). Für die vorliegende Arbeit wird der Fokus auf Polit-Talkshows gelegt, die über das Kollektiv der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) und das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) übertragen werden (Hofmann 2016). Die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk rührt aus der zwangsinduzierten Abgabe in Form von Rundfunkbeiträgen. Hinzu kommt die Kritik an den Sendeinhalten und zudem die Rahmen- und Schwerpunktsetzung politischer Debatten. Dies gilt insbesondere für Polit-Talkshows. In einer umfassenden Analyse von Fabian Goldmann aus dem Jahr 2019 untersuchte dieser 135 Themen, 728 Gäste und 8800 Sendeminuten unter dem Aspekt Diversität. Das Ergebnis verdeutlicht, dass Anne Will, hart aber fair, Maischberger und maybrit illner große Teile der deutschen Gesellschaft ausgrenzen (Goldmann 2019). Untersucht wurden hierbei die Nationalität, Herkunft sowie der Migrationshintergrund und die Besetzung der Gäste nach Geschlechtern. Bereits nach der Bundestagswahl 2017 kritisierten Politikerinnen und Politiker parteiübergreifend die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, insbesondere ARD und ZDF. Ein Jahr später beklagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats ebenfalls die einseitige Themenauswahl sowie Qualität der Polit-Talkshows der ARD/ZDF und schlug eine einjährige Sendepause für alle Talkshows zur Umgestaltung derjeweiligen Formate vor (Liesching & Hooffacker 2019, S. 7). Deutlich wird, dass verschiedene Kritikpunkte gegenüber Polit-Talkshows geäußert wurden. Die Rahmensetzung politischer Diskurse und die dazugehörige sprachliche Vermittlung ist hierbei besonders zu beachten. Im Nachfolgenden wird die Rahmensetzung in Polit-Talkshows genauer untersucht.

4 Polit-Talkshows und deren Rahmensetzung

In Polit-Talkshows werden kontroverse, aktuelle, nationale sowie internationale und besonders konfliktbeladene politische Ereignisse und Themen behandelt. Die Show selbst wird erst durch die Gäste- und Themenauswahl politisch (Roth 2016, S. 23). Erstere erfolgt anhand der gewählten Themen. Anne Will, Moderatorin der gleichnamigen Sendung Anne Will, veranschaulichte dies in einem Interview mit Daniel Erk vom Tagesspiegel folgendermaßen:

„Wir formulieren - um esjetzt mal ganz einfach zu sagen - eine Grundfrage. Dann setzen wir jemanden in die Runde, der sagt Ja, und jemand anderen, der sagt Nein. [...] So haben wirWumms in derRunde.“ (Erk 2018)

Weber setzt dem entgegen, dass eine gesellschaftliche Frage nicht deswegen so konfliktreich ist, weil es eine zustimmende und eine widersprechende Person zu einem Thema gibt, sondern weil sie von beiden Seiten unterschiedlich gestellt wird (Weber 2019 S. 48). Wie bereits in Kapitel 2.1 erwähnt, bedeutet das Negieren eines Frames, sich gedanklich auf diesen einzulassen, sodass die politische Diskussion bereits verloren ist. Die Aktivierung des Frames durch Negieren bedeutet zugleich eine neuronale Verstärkung, beziehungsweise eine Verankerung im Gehirn (Wehling 2016, S. 57). Die

[...]


1 Aufgrund der aktuellen gesundheitspolitischen Gegebenheiten (Corona-Virus) hat sich die Verfasserin für eine Literaturarbeit als methodisches Vorgehen entschieden. Auch war die Verfasserin auf vorrangig digital verfügbare sowie medial aufbereitete Literatur weitgehend angewiesen. Ursprünglich sollten Experteninterviews geführt werden, die als Basis für eine qualitative Forschungsmethode dienen sollten.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Zwischen Information und Manipulation. Untersuchung von strategisch-politischer Sprache mithilfe der Framing-Theorie am Fallbeispiel öffentlich-rechtlicher Polit-Talkshows in Deutschland
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Deutsche Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
35
Katalognummer
V989157
ISBN (eBook)
9783346348487
ISBN (Buch)
9783346348494
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Linguistik Framing Agenda-Setting Öffentlich-rechtliche Talkshows
Arbeit zitieren
Laureta Mullaali (Autor:in), 2020, Zwischen Information und Manipulation. Untersuchung von strategisch-politischer Sprache mithilfe der Framing-Theorie am Fallbeispiel öffentlich-rechtlicher Polit-Talkshows in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/989157

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