Häufig gestellte Fragen zum Text: Anorexia und Bulimia nervosa
Was ist der Inhalt des Textes "Anorexia und Bulimia nervosa"?
Der Text bietet einen umfassenden Überblick über Anorexia nervosa und Bulimia nervosa. Er enthält ein Inhaltsverzeichnis, eine Einleitung, Kapitel zu den diagnostischen Merkmalen beider Essstörungen (nach DSM-IV), ihren Verläufen, Ursachen und Zusammenhängen. Weiterhin werden verschiedene Therapiekonzepte wie psychomotorische Therapie, stationäre und ambulante Verhaltenstherapie sowie Familientherapie vorgestellt. Ein Literaturverzeichnis und internetadressen ergänzen den Text.
Was sind die wichtigsten Themen des Textes?
Die zentralen Themen sind die Beschreibung und Differenzierung von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, die Darstellung der diagnostischen Kriterien nach DSM-IV, die Erläuterung der Krankheitsverläufe und -ursachen (biologische, psychologische und gesellschaftliche Faktoren), sowie die Vorstellung verschiedener Therapieansätze.
Wie werden Anorexia nervosa und Bulimia nervosa im Text unterschieden?
Der Text differenziert zwischen Anorexia nervosa (Magersucht) und Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht). Anorexia nervosa zeichnet sich durch absichtliches Untergewicht, Angst vor Gewichtszunahme, gestörte Körperwahrnehmung und (bei Frauen) Ausbleiben der Menstruation aus. Bulimia nervosa beinhaltet wiederholte Heißhungerattacken mit anschließendem unangemessenen Kompensationsverhalten (z.B. Erbrechen, Abführmittelmissbrauch). Der Text betont jedoch auch die Überschneidungen und den fließenden Übergang zwischen beiden Störungen.
Welche diagnostischen Kriterien für Anorexia nervosa und Bulimia nervosa werden genannt?
Für Anorexia nervosa werden vier Kriterien nach DSM-IV aufgeführt: absichtliches Untergewicht, große Angst vor Gewichtszunahme, gestörte Körperwahrnehmung und Amenorrhoe (Ausbleiben der Menstruation). Für Bulimia nervosa werden fünf Kriterien genannt: wiederholte Heißhungerattacken mit Kontrollverlust, unangemessenes Kompensationsverhalten (Purging oder Nicht-Purging), übermäßiger Einfluss von Figur und Gewicht auf die Selbstbewertung, und das Auftreten der Störung nicht ausschließlich im Verlauf einer Anorexia nervosa.
Welche Ursachen für Anorexia und Bulimia nervosa werden im Text diskutiert?
Der Text beschreibt einen multifaktoriellen Ansatz zur Entstehung beider Essstörungen. Biologische Faktoren umfassen mögliche Störungen in Hirnregionen, die das Essverhalten steuern, und eine genetische Veranlagung. Psychologische Faktoren beinhalten den Umgang mit den Problemen der Pubertät, der Entwicklung einer neuen Identität und dem Streben nach Kontrolle. Gesellschaftliche Einflüsse konzentrieren sich auf das Schlankheitsideal und den gesellschaftlichen Druck auf Frauen.
Welche Therapiekonzepte werden für Anorexia und Bulimia nervosa vorgestellt?
Der Text beschreibt verschiedene Therapieansätze: Psychomotorische Therapie zielt auf die Verbesserung des Körperbildes und die Entwicklung von Bewältigungsstrategien ab. Stationäre Verhaltenstherapie konzentriert sich auf Gewichtsstabilisierung und Normalisierung des Essverhaltens. Ambulante Verhaltenstherapie umfasst Informationsvermittlung, Verhaltensanalyse, Entwicklung eines Essensplans und Rückfallprophylaxe. Familientherapie integriert die Familie in den Behandlungsprozess und fokussiert auf die Veränderung des Familiensystems.
Welche Erfolgsaussichten haben die beschriebenen Therapien?
Der Text präsentiert Studienergebnisse zu den Erfolgsaussichten der verschiedenen Therapieformen. Die Ergebnisse zeigen unterschiedliche Erfolge je nach Therapieform und Störung. Insgesamt wird jedoch die Wirksamkeit der multifaktoriellen Ansätze betont. Langfristige Stabilität der Ergebnisse ist jedoch von verschiedenen Faktoren abhängig und individuell unterschiedlich.
Welche Rolle spielt das gesellschaftliche Schlankheitsideal im Text?
Der Text betont die starke Rolle des gesellschaftlichen Schlankheitsideals als einen wichtigen Faktor in der Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexia und Bulimia nervosa, insbesondere bei Frauen. Der Druck, schlank zu sein, wird als ein wesentlicher gesellschaftlicher Einfluss auf die Entwicklung dieser Essstörungen hervorgehoben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung (Svenja Kohn)
2. Anorexia Nervosa (Anne Gerbig)
2.1 Diagnostische Merkmale (nach DSM IV)
2.2 Verlauf
2.3 Grundlagen und Ursachen
3. Zusammenhang Anorexie und Bulimie (Anne Gerbig)
4. Bulimia nervosa (Svenja Kohn) Diagnostische Merkmale der Bulimia nervosa (nach DSM IV)
4.1 Zugehörige Merkmale und Störungen im Rahmen der Bulimia nervosa
4.2 Verlauf
4.3 Besondere Merkmale von Bulimia nervosa Patientinnen
5. Therapiekonzepte für Anorexia und Bulimia nervosa (A.G. & S.K.)
5.1 Psychomotorische Therapie (A.G. & S.K.)
5.2 Stationäre Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie (A.G.)
5.3 Ambulante Verhaltenstherapie bei Bulimia nervosa (S.K.)
5.4 Familientherapie (S.K.)
6. Schlußbetrachtung
7. Literaturverzeichnis
1. Einführung
Die Nahrungsaufnahme ist für den Menschen essentiell lebensnotwendig, und deshalb auch ein Thema mit dem er sich zwangsläufig immer auseinanderzusetzen hat. Welche Nahrungsmittel gesund sind, wie sie richtig und wohlschmeckend zubereitet werden, sind nur einige Fragen, die die Menschen immer schon beschäftigten. Dabei wurden mit dem Essen auch indirekt Assoziationen geschaffen. Früher war es ein Zeichen von Wohlstand, wenn man viel essen konnte, denn Lebensmittel waren teuer oder nur schwer zu beschaffen. So gab die Figur einer Person Auskunft darüber, ob sie sich es leisten konnte, gut zu essen oder auch nicht.
In einer Zeit, in der sich jedoch nahezu jeder Lebensmittel ohne größere Probleme in ausreichender Menge leisten kann, funktioniert diese Assoziation nicht mehr, sondern wurde durch andere ersetzt. Heute, in der Zeit des Überflusses, ist es vorteilhaft, wenn man sich zurückhalten kann. In der Gesellschaft hat sich die Assoziation gebildet, daß schlanke Menschen diszipliniert sind, d.h. sich selbst und auch ihre Umwelt unter Kontrolle haben. Sie werden als vitaler, gesünder, stärker und lebensfroher angesehen. Täglich bekommen wir zudem dieses Bild in den Medien suggeriert.
,,Üppigere" Menschen hingegen werden als faul, unbeherrscht und schwach angesehen. Es ist also kein Wunder, daß ein Großteil der Gesellschaft dem Schlankheitsideal nacheifert. Folgende Zahlen belegen diesen Trend:
1989 hatte jede zweite Frau und jeder vierte Mann in Deutschland schon einmal eine Schlankheitsdiät gemacht. Ein zumindest gezügeltes Eßverhalten, d.h. bewußt weniger zu essen, ist zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Alltags geworden. D.h. auch, daß nur die Hälfte der deutschen Frauen immer so viel ißt, wie sie eigentlich möchte.
Um ihr Gewicht zu kontrollieren, steigen 69% der deutschen Frauen mindestens einmal in der Woche auf die Waage und die Hälfte davon sogar täglich (vgl. KEPPLER 1995, S.159f). Bei diesen Zahlen stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß die Beschäftigung mit dem eigenen Körper ,,normal" ist und wann nicht mehr.
Wo wird die Grenze zwischen gesundem Eßverhalten und einer Eßstörung gezogen?
Diese Frage soll in dieser Arbeit anhand der Krankheitsbilder der Anorexia nervosa und der Bulimia nervosa beantwortet werden.
2. Anorexia Nervosa (Magersucht)
Kaum eine andere psychische Störung ist in den letzten Jahren so häufig in der Presse erwähnt worden wie die Magersucht. Immer wieder ist von Schauspielerinnen oder Models zu lesen, die sich zu dieser Krankheit bekennen. Das Krankheitsbild der Anorexia nervosa ist erstmals bereits 1873 beschrieben worden.
In letzer Zeit ist diese Diagnose immer häufiger getroffen worden, wobei noch nicht geklärt ist, ob die gesteigerte Aufmerksamkeit oder ein vermehrtes Auftreten eine Ursache dafür ist. Wörtlich übersetzt bedeutet Anorexie "Appetitverlust oder -verminderung" - eine irreführende Bezeichnung, da nicht unbedingt der Appetit, sondern in erster Linie das Eßverhalten gestört ist. Der Zusatz "nervosa" weist auf die psychischen Ursachen der Eßstörung hin.
Diese lebensbedrohende Störung kommt meist in Gesellschaften mit einem Überfluß an Nahrung vor und in denen Attraktivität mit Schlankheit verbunden wird. Magersucht ist nicht mit einer bekannten, körperlichen Krankheit in Verbindung zu bringen. Patienten mit Anorexia nervosa weigern sich häufig ein Minimum des normalen Körpergewichts zu halten. Sie haben große Angst Gewicht zu zunehmen und ihre Körperwahrnehmung ist deutlich gestört.
Die Selbstaushungerung führt zu physiologischen Veränderungen, die in einigen Fällen nicht mehr rückgängig zu machen sind. Es gibt unterschiedliche Schätzungen über die Sterblichkeitsrate, aber etwa 5% der Patienten überleben nicht.
Trotz hervortretender Knochen, ausgezehrten Gesichtszügen und dünnen Gliedmaßen, sehen sich Magersüchtige als zu dick an.
Anorexie tritt meist nicht vor Beginn der Pubertät auf, es gibt aber Hinweise, daß die Schwere, der mit einhergehenden psychischen Störungen bei Patienten, die die Krankheit schon präpubertär entwickeln, schwerer sind. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung tritt die Anorexie jedoch relativ selten auf. Bei Frauen in der Altersspanne vom 15. bis zum 25. Lebensjahr, die als Risikogruppe gelten, findet sich die Erkrankung allerdings bei ca. 1% der Betroffenen.
In mehr als 80% der Fälle betrifft die Krankheit Frauen, was sich relativ einfach erklären läßt. Das gesellschaftliche Idealbild der Frau suggeriert, daß ,,Frau" schlank sein muß, um dem gängigen Ideal zu entsprechen. Wooley und Wooley (1980), die ihren Forschungsschwerpunkt in diesen Bereich legten, fassen ihre Ergebnisse folgendermaßen zusammen: "...das Ausmaß der Affekte um die Frage der Gewichtskontrolle vorwiegend auf kulturelle Normen zurückzuführen ist, die auf Frauen deutlich größere Auswirkungen haben als auf Männer." (Wooley, S.C. & Wooley, O.W. (1980))
Dieser öffentliche Druck spiegelt sich auch in anderen Aspekten wider, beispielsweise ist zu beobachten, daß 95% der Frauen, sportliche Aktivitäten explizit zu Gewichtskontrolle bzw. - reduktion einsetzen, wohingegen bei Männern eher die Leistungsfähigkeit im Vordergrund steht. (Jacobi & Paul, 1991, S.14)
Neben dem Ausbleiben der Monatsblutung gibt es noch weitere körperliche Merkmale der Magersucht. Meist haben die Patient(innen) trockene, schuppige Haut, feines, dünnes, flaumiges Haar im Gesicht und im Nacken, brüchige Fingernägel, gelbliche Färbung der Haut, gesteigerter Herzschlag, Verstopfung, verminderte Körpertemperatur und Muskelschwäche. Der Mineralstoffhaushalt ist in der Regel gestört.
Desweitern ist zu bemerken, daß Magersüchtige fast immer mit Essen beschäftigt sind. Sie sammeln Rezepte, Kochbücher, kochen gerne und probieren neue Gerichte aus, allerdings nur für andere, sie selbst leugnen jegliches Hungergefühl. Abschließend läßt sich noch bemerken, daß Anorektiker(innen) häufig als wohlerzogen, brav, gewissenhaft, ruhig und perfektionistisch bezeichnet werden. (Davison & Neal, 1998, S. 518)
Neben diesen offensichtlichen äußeren Merkmalen, gibt es klare diagnostische Kriterien, nach denen Anorexie festgestellt wird. Diese sollen im folgenden Abschnitt vorgestellt werden.
2.1 Diagnostische Merkmale (nach DSM IV)
Der DSM IV teilt Anorexia nervosa nach vier Kriterien ein.
- Körpergewicht wird absichtlich unter dem angemessenen Minimum gehalten
- Patienten haben große Angst an Gewicht zu zunehmen
- Patienten haben eine gestörte Körperwahrnehmnung
- Ausbleiben der Monatsblutung bzw. Verlust der Libido
Diese sollen im folgenden etwas ausführlicher dargestellt werden.
Kriterium A:
Das K ö rpergewicht der Betroffenen wird absichtlich unter dem für die Körpergröße und dem Alter angemessenen Minimum gehalten. Sollte es zum Auftreten der Magersucht schon vor oder während der Pubertät kommen, dann kann entsprechend eine Gewichtszunahme ausbleiben.
Mit diesem Kriterium wird eine Richtlinie geliefert, wann ein Patient, die Bedingung untergewichtig zu sein, erfüllt hat. Das Normalgewicht wird üblicherweise durch Tabellen der Metropolitan Life Insurance bzw. pädiatrischen Wachstumstabellen festgelegt. Liegt das Gewicht einer Person unter 85% der entsprechenden Werte, dann klassifiziert man sie als untergewichtig.
Wobei hier zu bemerken ist, daß sich der Untersucher nicht nur an den Richtlinien orientieren soll, sondern zusätzlich am Körperbau und an der Gewichtsentwicklung der Person. Viele Patientinnen magern bis auf 30 Kilogramm ab.
Eine Gewichtsreduktion wird meist durch eine Verringerung der Nahrungsaufnahme herbeigeführt. Zunächst werden einzelne Nahrungsmittel aus dem Ernährungsplan ausgeschlossen, aber nach und nach entwickelt sich dies zu einer sehr rigiden Diät. Des weiteren kann es zu Purgin-Verhalten kommen, d.h. selbstinduziertem Erbrechen bzw. Mißbrauch von Abführmitteln und zu übermäßiger körperlicher Betätigung.
Kriterium B:
Anorexia nervosa Patienten haben gro ß e Angst an Gewicht zu zunehmen bzw. dick zu werden. Allerdings wird diese Angst durch Gewichtsreduktion nicht gemindert. Vielmehr steigt die Angst mit zunehmendem Gewichtsverlust noch an.
Der Verlust an Kontrolle über den Körper, scheint für viele Magersüchtige eine Niederlage über sich selbst zu sein. Der Körper wird als etwas Fremdes angesehen, was davor geschützt werden muß, zu ,,fett" zu werden.
Kriterium C:
Die gest ö rte K ö rperwahrnehmung ist charakteristisch für dieses Kriterium. Einiger der Patienten fühlen sich übergewichtig, andere empfinden sich zwar als zu dünn, aber bestimmt Köperstellen, insbesondere Bauch, Po, Beine, erachten sie noch als zu dick.
Es werden verschiedenste Verhaltensweisen gezeigt, um das Gewicht und den Körperumfang einzuschätzen. Beispielsweise zwanghaftes Wiegen, Abmessen von Körperpatien und ständiges Betrachten und Untersuchen der ,,betroffenen" Körperstellen im Spiegel. Der Gewichtsverlust ist bei diesen Personen gleichbedeutend mit einer Erhöhung des Selbstwertgefühls. Es wird als eine beachtliche Leistung angesehen, Gewicht zu verlieren und umgekehrt natürlich als undiszipliniert und inakzeptabel, wenn Gewicht zugenommen wird. Körperbild oder anders Body-Image-Störungen können bei Anorexie Patient unterschiedliche Ausprägung haben.
Bruch äußerte 1973 folgenden Zusammenhang zwischen Wahrnehmungsstörung und Bereitschaft zur Therapie: "Je stärker sie sich verschätzen, desto stärker ist ihr Widerstand gegen eine Behandlung." (Paul & Jacobi, 1991, S. 72)
Kriterium D:
Aufgrund einer extrem niedrigen Ausschüttung von Östrogen kommt es bei postmenarchalen Frauen zum Ausbleiben der Monatsblutung (Amenorrhoe).
Bei präpubertären Mädchen kann es durch das niedrige Gewicht, zu einem verzögerten Einsetzen dieser kommen. Bei Männer findet sich äquvivalent ein Verlust des sexuellen Verlangens.
Dieses Kriterium ist umstritten, da man auch so argumentieren kann, daß das Ausbleiben der Menstruation aus dem großen Gewichtsverlust resultiert. Nach C.G. Fairburn könnte dieses Kriterium auch weggelassen werden (in Jacobi, C. & Paul, Th., 1991, S.4)
2.2 Verlauf
Im Durchschnitt beginnt Anorexia nervosa im Alter von 17 Jahren, wobei diese Aussage insofern irreführend ist, da sowohl bei 14 als auch bei 18 Jahren die Häufigkeit der erfaßten Fälle gleich ist. Sehr selten tritt die Krankheit bei Frauen auf, die älter als 40 sind. Das auslösende Ereignis ist meistens eine belastende Situation, wie z.B. das Verlassen des Elternhauses wegen Studienbeginn oder ähnliches. Ein typischer Verlauf ist schwierig aufzuzeigen, da er doch sehr durch individuelle Einflüsse geprägt ist.
Die Heilungschancen sind auch nicht einfach zu quantifizieren, einige der Patienten genesen schon nach einer einzigen Episode und werden nicht mehr rückfällig, andere wiederum erleben häufig Rückfälle, die von mal zu mal schlimmer werden und sich so über Jahre hinziehen können.
2.3 Grundlagen und Ursachen
Bei der Entstehung von Anorexie wirken verschiedene Ursachen zusammen, die in der folgenden Grafik noch einmal zusammenfassend dargestellt und erläutert werden sollen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zusammenhang der Ursachen von Anorexie (Quelle: medicine-online)
Biologische Einflüsse:
Es wird vermutet, daß bei vielen anorektischen Patientinnen die Hirnregion gestört ist, die der Steuerung des Eßverhaltens, der sexueller Aktivität und der Menstruation dient. Eine alternative Erklärung ist, daß die Funktionsstörung dieser Hirnregion erst im Laufe der Erkrankung, z.B. als Folge des Gewichtsverlustes, auftritt und zur Aufrechterhaltung der Störung beiträgt, aber nicht ihre eigentliche Ursache ist.
,,Für eine biologische Verursachung der Magersucht sprechen jedoch Untersuchungen, die zeigen, daß die Wahrscheinlichkeit, daß der eineiige Zwilling von einer anorektischen Patientin ebenfalls an Magersucht leidet, etwa 50% beträgt. Bei zweieiigen Zwillingen liegt diese Wahrscheinlichkeit bei unter 10%. Diese Ergebnisse belegen, daß eine genetische Veranlagung an der Entstehung der Anorexie beteiligt ist." (Quelle: Internet, Medicine- Wordwide)
Psychologische Einflüsse:
Da Magersucht häufig mit Beginn der Pubertät auftritt, ist man zu der Ansicht gelangt, daß die Erkrankung zum Ausbruch kommt, wenn junge Frauen sich von der Bewältigung der alterstypischen Probleme überfordert fühlen. Die Entwicklung von Mädchen zu Frau, bedarf auch der Entwicklung einer neuen Identität und dazu fühlen sich die Betroffenen nicht in der Lage. Es entsteht ein tiefes Gefühl der Unsicherheit. Für viele Patientinnen scheint der Versuch, Kontrolle über ihr Körpergewicht ausüben zu können, ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Das Körpergewicht wird eine wichtige Quelle für das Selbstwertgefühl.
Gesellschaftliche Einflüsse:
Das Gesellschaftsbild der Frau ist in den vergangenen Jahren immer schlanker geworden. Übergewicht wird insbesondere bei Frauen gesellschaftlich sehr negativ bewertet. Übergewichtige Männer werden als stattlich bezeichnet, Frauen hingegen als fett. Gerade junge Frauen, die während der Pubertät körperliche Veränderungen durchlaufen und erst ein Gefühl für ihren "neuen" Körper entwickeln müssen, können durch dieses Schlankheitsideal stark verunsichert werden.
Symptome, die zur Aufrechterhaltung der Störung beitragen
Körperschema-Störung:
Bei anorektischen Patientinnen kommt es zu einer Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Auch wenn sie im Laufe der Erkrankung schon extrem viel Gewicht verloren haben, überschätzen sie ihren Körperumfang und halten sich für zu dick.
Verändertes Eßverhalten:
Nahrungsmittel mit hohem kalorischen Wert werden anfänglich aus dem Ernähungsplan ausgeschlossen und nach und nach kommen immer mehr Lebensmittel dazu. Es wird viel Energie darauf verwendet Hungergefühle zu unterdrücken.
Gewichtsverlust
Magersüchtige halten eine strenge Diät und setzen zum Teil auch Appetitzügler und Abführmittel ein. Verlieren sie mehr als 15% des statistisch ermittelten Idealgewichts, so bezeichnet man sie als untergewichtig.
Körperliche Veränderungen
Bei Frauen bleibt die Menstruation aus. Die Pubertäre Entwicklung ist gestört. Auch Verlangsamung des Herzschlags, niedriger Blutdruck, Absinken der Körpertemperatur, Hautprobleme, flaumartige Behaarung des Rückens, Muskelschwäche, Haarausfall und Wassereinlagerung im Gewebe können als Folgen der Anorexie auftreten.
Psychische Veränderungen
Das Streben nach Gewichtsabnahme steht bei Magersüchtigen im Vordergrund. Die Angst vor Gewichtszunahme ist groß und wird als Mißerfolgserlebnis empfunden.
Viele Patienten mit Anorexia nervosa zeigen depressive Symptome wie depressive Stimmung, sozialer Rückzug, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit und vermindertes sexuelles Interesse.
Das Symptombild stimmt zum Teil mit dem der Major Depression überein.
Es kommt auch häufig vor, daß Magersuchtpatienten bestimmt Zwangsverhalten an den Tag legen, die nicht unbedingt im Zusammenhang mit Nahrung stehen müssen. Einige sammeln Kochbücher oder Rezepte, andere horten Lebensmittel.
Stehen die gezeigten Zwangsverhalten nicht im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln, dann ist es gerechtfertigt, neben der Anorexia nervosa, noch eine Zwangsstörung zu diagnostizieren. Oft ist auch zu beobachten, daß die Patienten sich scheuen in der Öffentlichkeit zu essen, da sie Angst haben, die Kontrolle über ihr Verhalten zu kontrollieren.
3. Zusammenhang Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
Patienten mit Anorexia nervosa werden aufgrund ihrer Eßgewohnheiten in 2 Gruppen aufgeteilt. Es gibt eine kontrollierte (restricting) Gruppe, die ihr Eßverhalten erfolgreich kontrollieren und eine bulimische (bulimic) Gruppe, deren Bemühen, die Nahrungsaufnahme zu kontrollieren von bulimischen Episoden unterbrochen wird (Jacobi, C & Paul, Th., 1991, S.3).
Die Beziehung zwischen den beiden Gruppen wird durch die diagnostischen Kriterien nicht eindeutig festgelegt. Von verschiedenen Autoren werden die beiden Gruppen als völlig getrennt voneinander betrachtet, was nach Jacobi und Paul (1991, S.8) nicht korrekt ist. Dafür sprechen 3 Tatsachen, zum einen weisen 50% von Anorektierinnen das Symptom Bulimie auf (z.B. Casper et al. 1980, S.1030-1035), viele Patientinnen pendeln zeitweise zwischen Anorexie und Bulimie hin- und her (Vandereyken & Meermann, 1984) und außerdem gibt es mehrere Merkmale, die für beide Störungen zu treffen.
Es erscheint daher sinnvoll, die beiden Krankheiten nicht völlig getrennt zu betrachten, sondern Regeln aufzustellen, die die beiden unterscheidbar machen.
Die Beziehung zwischen Anorexie und Bulimie läßt sich durch folgendes Diagramm veranschaulichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der strittige Punkt sind die Personen im Schnittbereich. Momentan neigt man dazu die Diagnose Bulimia nervosa nur bei Personen zu stellen, deren Gewicht im Normalbereich oder sogar darüber liegt.
Bei allen andern Patienten ordnet man Bulimie der Anorexie unter. Die Personengruppe, die in die Schnittmenge fällt geht man momentan davon aus, daß sie unter Anorexie in bulimischer Form leiden. Nach Jacobi und Paul sollte allerdings die Überlegung angestellt werden, ob man nicht bei Betroffenen, die mehr als 3 zentrale Merkmale der Bulimie aufweisen, von Bulimia nervosa sprechen sollte, egal welches Gewicht sie haben. Die Konsequenz wäre, daß man nur noch bei solchen Betroffenen die Diagnose Anorexia nervosa stellen würde, die keine bulimischen Episoden haben.
Für die Behandlung sollte aber klar gestellt werden, daß hier die Gemeinsamkeiten im Vordergrund stehen und somit ein gemeinsames bzw. ähnliches Behandlungskonzept gewählt werden sollt. Diese werden zum Abschluß der Arbeit dargestellt. Zunächst sollen aber die wesentlichen Gesichtspunkt der Bulimia nervosa vorgestellt werden (Jacobi & Paul, 1991, S. 8-9).
4. Diagnostische Merkmale der Bulimia nervosa (nach DSM IV)
Bulimie bedeutet übersetzt ,,Stierhunger" (von griechisch bous = Stier und limos = Hunger) und bezeichnet den Heißhungeranfall als Symptom der Krankheit Bulimia nervosa (Ess-Brech Sucht).
Bereits in der Antike kannte man diesen Stierhunger. Seneca berichtet von Festgelagen mit riesigen Nahrungsmengen, für die immer wieder durch Erbrechen Platz im Körper geschaffen wurde (vgl. WAADT 1992, S.3).
Trotz dieser langen Geschichte, ist die Bulimia nervosa eine relativ ,,junge" anerkannte Krankheit, denn sie wurde 1980 das erste Mal in das DSM III aufgenommen. Seitdem wurden die Diagnosekriterien für Bulimia nervosa kontinuierlich überarbeitet.
Da die Prävalenzrate für Bulimia nervosa bei jungen Frauen etwa 1-3% beträgt und bei Männern nur etwa 0,1-0,3%, soll im folgenden vor allem von Patientinnen und Bulimikerinnen die Rede sein, wobei die Prävalenz bei Männern weiter steigt.
In der mittlerweile 4. Auflage des DSM werden folgende Kriterien für die Diagnose einer Bulimia nervosa genannt:
Kriterium A:
Es finden wiederholte Episoden von ,,Freßattacken" statt. Dabei ist eine ,,Freßattacken" Episode durch beide der folgenden Merkmale gekennzeichnet:
A (1)
Es wird in einem bestimmten Zeitraum (z.B. innerhalb von 2 Stunden) eine Nahrungsmenge verzehrt, die erheblich gr öß er ist, als die Menge, die die meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitraum unter vergleichbaren Bedingungen essen w ü rden.
Dabei müssen auf jeden Fall die Umstände, unter denen die Nahrungsaufnahme erfolgt, berücksichtigt werden. Die Nahrungsmengen, die beispielsweise bei einem Festmahl verspeist werden, stellen für eine durchschnittliche Mahlzeit keinen Maßstab dar, und wären somit übermäßig. In dem Kontext des Festmahls können diese Mengen jedoch als normal gelten. Es ist auch möglich, daß sich eine ,,Freßattacke" nicht nur auf einen Ort beschränkt, das kann z.B. bedeuten, daß jemand seinen Freßanfall in einem Restaurant beginnt und ihn dann auf dem Nachhauseweg und zu Hause weiterführt.
In einer Studie von Katzman und Wolchik wird berichtet, daß normalgewichtige Bulimikerinnen, die nicht in Behandlung waren, durchschnittlich 23 Heißhungeranfälle pro Monat hatten, während Mitchell, Pyle und Eckert bei einer normalgewichtigen Stichprobe von Bulimikerinnen, die sich in Behandlung befanden, herausfanden, daß diese etwa 11,7 Heißhungeranfälle pro Woche mit einem Range von 1-46 hatten (vgl. WEISS 1989, S.18). Diese unterschiedlichen Ausprägungen zeigen, welche Formen die Krankheit annehmen kann.
A (2)
W ä hrend einer Episode besteht das Gef ü hl, die Kontrolle ü ber das E ß verhalten zu verlieren (z.B. das Gef ü hl, weder mit dem Essen aufh ö ren zu k ö nnen, noch Kontrolle ü ber Art und Menge der Nahrung zu haben).
Es kann passieren, daß bei einem Freßanfall bis zu 15000 Kalorien aufgenommen werden (vgl. FICHTER 1989, S.17).
Die Nahrungsmittel sind dabei meist leicht eßbar, so daß sie keiner oder nur geringfügiger Zubereitung bedürfen, wie z.B. Kekse, Eis, Kuchen etc.
Ein Freßanfall kann z.B. aus 2 Packungen Keksen, einem Laib Brot, einem Liter Milch, einem halben Liter Eiskreme, einem Brathähnchen und etlichen Süßigkeiten bestehen (vgl. DAVISON 1998, S.520).
Diese süßen und zugleich kalorienreichen Nahrungsmittel werden meist auch von den Patienten(innen) als ,,verboten" angesehen, da sie bei ,,normalem Verzehr" ohne anschließendem Erbrechen zu Gewichtszunahme führen würden. Auslöser für einen Freßanfall kann z.B. ein intensives Hungergefühl nach diätischer Einschränkung sein.
Da es während einer Diät immer ,,erlaubte" und ,,verbotene" Lebensmittel gibt, steigt im Verlauf der Diät auch das Verlangen nach diesen ,,verbotenen" Genüssen. Diesem Verlangen wird dann im Freßanfall exzessiv nachgegeben.
Auslöser sind aber auch dysphorische (ängstlich bedrückte, traurige) Stimmungszustände oder zwischenmenschliche Belastungssituationen.
Der Kontrollverlust ist ein wichtiges Kriterium der Bulimia nervosa, denn während oder nach einer Freßattacke können besonders zu Beginn der Krankheit ekstatische Zustände erreicht werden, die auch dissoziative Qualitäten besitzen. Dadurch können sich die dysphorischen Stimmungslagen während des Essanfalls vorübergehend bessern. Jedoch kommt es nach Beendigung meist zu Schuldgefühlen, vernichtenden Selbstvorwürfen und depressiven Verstimmungen, was dann das Brechverhalten zur Folge hat. Durch das Erbrechen versucht die Patientin sich einerseits vor einer Gewichtszunahme zu schützen und andererseits, sich von ihren Schuldgefühlen bezüglich des Kontrollverlusts zu befreien.
Kriterium B:
Es werden wiederholt unangemessene Ma ß nahmen angewendet, die eine Gewichtszunahme verhindern sollen, wie z.B. selbstinduziertes Erbrechen, Mi ß brauch von Laxantien (Abf ü hrmittel), Diurektika (Medikamente, die eine erh ö hte Urinausscheidung verursachen), Klistieren oder anderen Arzneimittel, Fasten oder ü berm äß iger k ö rperlicher Bet ä tigung.
Selbstinduziertes Erbrechen, sog. Purging-Verhalten, ist dabei eine Methode, die von 80-90% der Patientinnen verwendet wird.
Um das Erbrechen auszulösen verwenden die Patientinnen einen Finger oder andere Gegenstände, um den Würgereflex hervorzurufen oder sie trinken Seifen- bzw. Salzwasser oder Alkohol, damit es ihnen automatisch übel sind, und sie so erbrechen können. Bei einigen Patientinnen reicht der bloße Gedanke an das Erbrechen, um es schließlich auszulösen.
Der Nicht-Purging Typus kompensiert die Freßattacken nicht durch regelmäßiges Erbrechen, sondern durch Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung. Eine übermäßige körperliche Betätigung liegt dann vor, wenn sie mit anderen wichtigen Aktivitäten kollidiert, wenn sie zu unangemessenen Zeiten oder in einer unangemessenen Umgebung durchgeführt wird oder wenn sie trotz Verletzungen oder medizinischer Komplikationen fortgesetzt wird.
Hier besteht eine Parallele zur Anorexia nervosa, bei der sich die Patientinnen auch übermäßig körperlich bewegen, um der Gewichtszunahme zu entgehen.
Kriterium C:
Die ,,Fre ß attacken" und das unangemessene Kompensationsverhalten kommen drei Monate lang im Durchschnitt mindestens zweimal pro Woche vor.
Personen, die das beschriebene Verhalten nur gelegentlich zeigen, erfüllen somit nicht die diagnostischen Kriterien der Bulimia nervosa. Es ist jedoch ersichtlich, daß selbst gelegentliches übermäßige Fressanfälle und anschließendes unangemessenes Kompensationsverhalten bereits nicht mehr als ,,normal" bzw. gesund angesehen werden kann.
Kriterium D:
Figur und K ö rpergewicht ü ben einen ü berm äß igen Einflu ß auf die Selbstbewertung aus.
Andere Faktoren, wie z.B. Erfolg, Intelligenz oder soziale Kompetenz nehmen einen untergeordneten Stellenwert in der Bildung des Selbstwertgefühls der Frauen ein. Sie bewerten sich selbst aufgrund ihres Erscheinungsbildes.
Kriterium E:
Die St ö rung tritt nicht ausschlie ß lich im Verlauf von Episoden einer Anorexia nervosa auf.
Diese Abgrenzung wird getroffen, da es im Rahmen der Anorexia nervosa auch zu bulimischen Verhalten kommen kann. In diesem Fall wird jedoch nicht eine Bulimia nervosa sondern eine Anorexia nervosa vom bulimic Typus diagnostiziert.
4.1 Zugehörige Merkmale und Störungen im Rahmen der Bulimia nervosa
Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen:
Bulimikerinnen sind im Durchschnitt normalgewichtig. Manche sind auch leicht über- bzw. untergewichtig, da ihr Gewicht häufig um bis zu +/- 5kg schwankt (vgl. WARDETZKI 1990). Diese Schwankungen werden durch den Wechsel von Episoden von Heißhungerattacken und Zeiten des Fastens bzw. des kontrollierten Essens verursacht. Beim kontrollierten Essen schränken die Patientinnen ihre Gesamtkalorienaufnahme ein und bevorzugen kalorienreduzierte Nahrungsmittel sowie Lebensmittel bei denen sie davon ausgehen, daß diese keine Freßattacke auslösen.
Im Rahmen der Bulimia nervosa treten auch häufig depressive Symptome, wie etwa das Gefühl von Wertlosigkeit, Stimmungslabilität Schuld- und Suizidgedanken auf (vgl. WAADT 1992, S.8). Dabei tauchen Suizidgedanken entweder im Anschluß an die Heißhungerattacke auf, weil zu diesem Zeitpunkt das Selbstwertgefühl der Patientin sehr niedrig ist und sie sich schuldig fühlt, sich nicht unter Kontrolle gehabt zu haben, oder sie tauchen im Anschluß an das Erbrechen auf, weil sich die Betroffene zu diesem Zeitpunkt selbst für ihr Tun verachtet und sehr niedergeschlagen ist. So haben etwa 40% der Bulimikerinnen bereits einen oder mehrere Suizidversuche hinter sich.
Häufig entwickeln sich diese depressiven Symptome im Verlauf der Bulimia nervosa auch zu einer manifesten Depression.
Außerdem kommt es zu affektiven Störungen und auch Angststörungen. Die Patientinnen empfinden Angst, den Erwartungen anderer, besonders denen von Männern, nicht gerecht werden zu können und deshalb zurückgewiesen zu werden. Symptome für Angststörungen können z.B. Angst vor sozialen Situationen sein, weil die Patientin befürchtet, in solchen Situationen ihre Selbstkontrolle zu verlieren.
Deshalb verhält sie sich im sozialen Kontakt überangepaßt, um den Erwartungen anderer zu entsprechen und zeigt weder Ärger noch Wut. Diese Gefühle bringt sie in einer indirekten Form von Trotz und Verweigerung zum Ausdruck. Durch diese Verhaltensweisen verliert die Betroffene jedoch immer mehr den Bezug zu sich selbst, was durch ein extrem selbstbeherrschtes Verhalten noch unterstützt wird. Hinter diesen Verhaltensweisen stecken jedoch lediglich der Wunsch und das Bedürfnis nach Anerkennung und Liebe.
Durch diese Ängste und das extreme Eßverhalten, das wenig Raum und Zeit für andere Aktivitäten läßt, gerät die Bulimia nervosa Patientin in eine soziale Isolation.
Häufig fangen Bulimikerinnen auch an zu stehlen, um ihre Eßsucht zu finanzieren oder sich auf diese Art direkt Lebensmittel zu besorgen. Es ist auch möglich, daß die Patientinnen in eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit geraten. Diese Substanzen werden dazu mißbraucht, um den Hunger zu zügeln und um sich von unangenehmen Gefühlen wie z.B. Schuldgefühlen zu befreien.
Es wird außerdem angenommen, daß zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bulimikerinnen, Persönlichkeitszüge aufweisen, die die Kriterien für eine oder mehrere Persönlichkeitsstörungen erfüllen (am häufigsten ist die Borderline Persönlichkeitsstörung). Es wird außerdem vermutet, daß Bulimikerinnen mit Purging-Verhalten dabei mehr depressive Symptome und größere Besorgnis um Figur und Gewicht zeigen als Patientinnen vom Nicht-Purging-Typus.
Zugehörige Laborbefunde, körperliche Untersuchungsbefunde und medizinische Krankheitsfaktoren
Durch das häufige Erbrechen können Flüssigkeits- und Elektrolytanomalien entstehen.
Besonders gefährlich ist ein Kaliummangel, der an einem niedrigen Serum-Kalium Spiegel zu erkennen ist. Ein Kaliumverlust macht sich als Herzmuskelschwäche und Rhythmusstörungen sowie Verwirrtheit, Muskelschwäche und Krämpfen bemerkbar (vgl. WAADT 1992, S.14). Außerdem kann durch hohen Elektrolytverlust, Nierenversagen ausgelöst werden.
Besonders betroffen ist auch der Mundraum, der durch das Erbrechen übersäuert ist. Die Magensäure führt u.a. auch zu Entzündungen der Speiseröhre und der Speicheldrüsen und zu kariösen Schädigungen des Zahnschmelzes bis hin zu Zahnfleischschwund und Zahnverfall, da die Zähne von der Innenseite angegriffen und ausgehöhlt werden.
Außerdem kommt es aufgrund der umfangreichen Nahrungsaufnahme zu akuten Magenerweiterungen, die u.a. zu Rissen in der Magenwand und dadurch im Extremfall zum Tod führen können (vgl. WADETZKI 1990, S.15).
Patientinnen vom Purging-Typus weisen oft Wunden, Narben und Schwielen auf dem Handrücken auf, welche durch die Zähne beim Auslösen des Würgereflexes durch die Finger entstehen.
Die Bulimia nervosa Patientinnen berichten selbst über starkes Kälteempfinden, Kopf-, Herz-, Brust-, und Rückenschmerzen, Schwindelgefühlen, chronischer Müdigkeit und Haarausfall. Das häufige Erbrechen führt desweiteren zu Blutungen in der Bindehaut der Augen. Es wird auch eine erhöhte Infektionsanfälligkeit aufgrund einer Beeinträchtigung des Immunsystems beobachtet sowie ein niedriger Blutdruck und gelegentliche Menstruationsstörungen sowie Amenorrhoe (Ausbleiben der Menstruation).
Die körperlichen Störungen bilden sich je nach Ausprägungsgrad im Laufe der Zeit weitestgehend bei Heilung der Bulimia nervosa zurück.
4.2 Verlauf
Frauen erkranken meist im Alter zwischen 18 und 30 Jahren an Bulimia nervosa. Dabei geht der Erkrankung meist eine Diät oder sogar eine Anorexia nervosa voraus. Meist dauert es mehrere Jahre, bis das Umfeld auf die Krankheit der Betroffenen aufmerksam wird. Die durchschnittliche Dauer der Erkrankung wird dabei mit 5-7 Jahren angegeben.
Es gibt aber auch Fälle, bei denen Patientinnen seit 22 Jahren unter der Bulimia nervosa leiden. In dieser langen Zeit können sich Remissionsphasen mit immer wieder neuen Phasen von Heißhungeranfällen abwechseln.
4.3 Besondere Merkmale von Bulimia nervosa Patientinnen
Die typische Bulimia nervosa Patientin ist weiß, stammt aus einer Ober- oder Mittelschichtfamilie, wohnt in einem Industrieland, hat eine akademische Ausbildung und ist alleinstehend (vgl. WEISS 1989, S.16).
Die Bulimikerin ist im allgemein sehr leistungsorientiert und perfektionistisch, was sich u.a. in der panischen Angst manifestiert, schwach zu sein und Hilfe zu benötigen. Mit Hilfe dieser Eigenschafen versucht die Betroffene, das Gefühl von Minderwertigkeit zu kompensieren. Dabei geht das Minderwertigkeitsgefühl außerdem mit Gefühlen von Traurigkeit, Versagensangst, Langeweile, innerer Leere und Einsamkeit einher. Da sich die Bulimikerin mit solchen Gefühlszuständen oder anderen Belastungssituationen, wie etwa Kritik oder sozialer Isolation, überfordert sieht und keine adäquaten Bewältigungsstrategien besitzt, werden die Freßattacken dazu verwendet, diese unangenehmen Gefühle zu überdecken. Das Essen wirkt so als Verstärker in dem es zum einen gut schmeckt und zum anderen die Anspannung sowie Streß lindert.
Gleichzeitig empfindet sich die Patientin aber immer als zu dick, egal wieviel sie wiegt. Ihr Körperbild ist gestört, d.h. daß das mentale Bild welches die Betroffene von ihrem Äußeren hat und die Einstellungen und Gefühle, die sie mit diesem Bild verbindet, nicht normal sind. Dabei entspricht das Körperbild meist nicht der anatomischen Repräsentation des Körpers. An dieser Stelle beginnt ein Zirkelschluß, denn die Patientin definiert ihr Selbstwertgefühl über ihr Äußeres und ihr Gewicht. Das Völlegefühl und Sattsein im Anschluß an das Essen wird von der Bulimikerin mit Dicksein gleichgesetzt und somit abgelehnt.
Um die Angst vor der Gewichtszunahme zu reduzieren, entleert sich die Betroffene, was dazu führt, daß sie sich unbeherrscht, schwach und unnormal fühlt. An dieser Stelle schließt sich der Kreis, denn diese Gefühle stellen wiederum den Auslöser für eine Freßattacke dar. Die Aufrechterhaltung des bulimischen Verhaltens soll durch die folgende Abbildung abschließend noch einmal verdeutlicht werden.
Im Rahmen pathogenetischer Untersuchungen der Bulimia nervosa wurde festgestellt, daß biologische Verwandte ersten Grades von Bulimia nervosa Patientinnen mit einer erhöhten Häufigkeit selbst an Bulimia nervosa, einer affektiven Störung oder einer Substanzabhängigkeit leiden.
Der Bulimia nervosa liegen im allgemeinen mehrere Faktoren zugrunde, die in einer Therapie behandelt werden müssen. U.a. sind soziokulturelle, physiologische, kognitive, emotionale und persönlichkeitsbezogene Aspekte zu nennen.
Im weiteren sollen nun einige Therapiekonzepte im Rahmen der Behandlung vorgestellt werden.
5. Therapiekonzepte für Anorexia und Bulimia nervosa
Da sowohl Anorexia als auch Bulimia nervosa wie bereits erwähnt, von vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflußt wird, sind dementsprechend auch die Therapiekonzepte recht vielfältig. Früher wurden die beiden Patientengruppen häufig getrennt voneinander behandelt, mittlerweile ist man aber zu der Ansicht gelangt, daß die eine Gruppe jeweils von der ,,Andersartigkeit" der anderen profitieren kann. Es werden meist mehrere Komponenten in einer Therapieform vereint, um die Krankheit möglichst umfassend zu behandeln. Einige Bestandteile sind: Selbstbeobachtung und -kontrolle, kognitive Umstrukturierung, Informationsvermittlung, unspezifisches und differenziertes Ernährungstraining, Exposition, Selbstsicherheitstraining, Stimuluskontrolle, Reaktionsverhinderung, einsichtsorientierte Verfahren, Problemlösetechniken, Entspannungsverfahren, sportliche Aktivität etc. (vgl. WAADT 1992, S.29).
In den folgenden Abschnitten sollen nun verschiedene Behandlungskonzepte vorgestellt werden, die teilweise für nur eine der Patientengruppen gelten oder aber für beide Gruppen anwendbar sind.
5.1 Psychomotorische Therapie
Die psychomotorische Therapie zielt auf die bewußte Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper ab, da dieser im Fall der Anorexie und auch Bulimie aversiv erlebt wird und die Einstellungen bezüglich des Äußeren angstbesetzt sind. Die Patientinnen zeigen massive Body-Image-Störungen.
Man versucht mit Hilfe verhaltenstherapeutischer Maßnahmen, wie etwa der Reizkonfrontation oder dem Habitutationstraining die negativen affektiven Reaktionen und Gefühlszustände bewußt hervorzurufen, um sie direkt behandeln zu können. Das Ziel der Behandlung besteht darin, kognitive und verhaltensbezogene Bewältigungsstrategien zu entwickeln, die es der Patientin erlauben, mit Belastungssituationen besser umzugehen, und nicht wieder in das entsprechende krankhafte Verhalten zu verfallen.
Ein weiterer Teil der Therapie besteht darin, daß die Betroffenen neue Erfahrungen mit ihrem Körper machen sollen, wozu ihnen bei Übungen zum Körperausdruck (Pantomime, freies Tanzen, etc.) und Übungen zur Körpererfahrung (Massage, Entspannungsübungen, Atemübungen, Abtasten verschiedener Körperproportionen etc.) Gelegenheit gegeben wird. Es soll auch mit Hilfe von Übungen zur Kontaktaufnahme und Vertrauensübungen gelernt werden, daß der Körper ein integrativer Teil der Patientin ist, und sie im Umgang mit ihm Freude empfinden kann.
Die psychomotorische Therapie ist eine Gruppentherapie, bei der Patientinnen unterschiedlichen Schweregrads der Erkrankung zusammen sind, was die Auseinandersetzung auch mit anderen Körperformen noch unterstützt. Die Therapie findet 2 mal in der Woche 45 min in einem verspiegelten Gymnastikraum oder einem Schwimmbad statt und sollte von einem Sporttherapeuten und einem Diplompsychologen betreut werden.
Dabei werden die Übungen auf Video aufgezeichnet und mit den Patientinnen im Anschluß in der Gruppe oder einzeln besprochen. Die Videokonfrontation soll den Betroffenen helfen, ihre eigenen Empfindungen bezüglich ihres Körpers genauer zu erfahren und zu hinterfragen, da auch immer die Gruppe, beschreibt, wie sie die jeweilige Person sieht. Der Patientin wird so also die Möglichkeit gegeben, ihr Körperbild aufgrund der Aussagen der anderen zu korrigieren.
Das Ziel ist also, daß bei den Betroffenen eine Veränderung der kognitiven Prozesse bezüglich der Körperwahrnehmung stattfinden soll.
Die Gruppenarbeit beschleunigt außerdem den Motivationsprozeß, d.h. daß sich die Patientin eher eingesteht, daß sie krank ist. Durch die soziale Einbindung in die Gruppe, fällt es den Patientinnen leichter, ein realistisches und positives Körperbild zu entwickeln.
Es kann allerdings auch passieren, daß eine Symptomverschlechterung eintritt und das Selbstwertgefühl der Patientinnen weiter sinkt. Es muß also im Einzelfall entschieden werden, ob diese Therapieform geeignet ist oder nicht.
Insgesamt erscheint die psychomotorische Therapie jedoch als sehr erfolgversprechend, obwohl noch keine genaueren Forschungsergebnisse zu diesem Thema vorliegen (vgl. JACOBI 1991, S.106ff).
5.2 Stationäre Verhaltenstherapie bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
Bevor die Patientinnen in die Behandlung aufgenommen werden, müssen in einem Vorgespräch verschiedene Punkte geklärt werden, sowie das Zielgewicht festgelegt werden.
Zunächst wird eine Differentialdiagnose gestellt und eventuell zusätzlich bestehende Problembereiche angesprochen werden. Der Patientin wird das therapeutische Konzept vorgestellt und sie selbst wird nach ihren Erfahrungen mit bereits durchgeführten Therapien befragt. Wichtig ist auch gegebenenfalls die Gründe für einen Abbruch dieser zu erfahren. Es ist auch essentiell, daß die Erwartungen der Betroffenen sowohl an die Therapie als auch an die Gruppe in Erfahrung gebracht werden. Sie sollte zudem ein Verständnis für ihre Rolle bekommen und sich im Klaren darüber sein, daß sie verpflichtet ist auf keinen Fall an Gewicht zu verlieren, sondern vielmehr bestrebt sein sollte ihr Zielgewicht zu erreichen. Sind diese Punkte abgeklärt, läßt sich häufig schon erkennen, ob die Gefahr besteht, daß die Patientin die Therapie vorzeitig beenden wird.
Im Vordergrund der Behandlung stehen gleichwertig zum einen die Stabilisierung des Gewichtes und zum anderen die Normalisierung des Eßverhaltens.
In den Sitzungen erhalten die Betroffenen zudem umfangreiche Informationen zu verschiedenen assoziierten Themen, wie Allgemeine Zusammenhänge zwischen Diätverhalten und Eßstörungen, Set-Point-Theorien usw., die dann auch im Plenum diskutiert werden.
Um die vordergründigen Ziele zu erreichen, werden eine Reihe von Regeln aufgestellt, die als ,,das Programm" bezeichnet werden. Die Patientinnen erhalten Freiheiten in bestimmten Rahmen, allerdings in Abhängigkeit von der Gewichtszunahme. Es gibt 3 verschiedene Konzepte, die entsprechend der Voraussetzungen der Patientinnen angewendet werden.
,,Die Programme":
1. Das Selbstkontrollprogramm beinhaltet, sofern die Patientinnen pro Woche 700g (max. 3kg) zunehmen, keinerlei Einschränkungen. Was das Eßverhalten betrifft gibt es auch keine Auflagen.
2. Das normale Programm setzt sich aus drei Phasen zusammen, in denen jeweils 1/3 der Gewichtsdifferenz zum Zielgewicht zugenommen werden muß. In den ersten beiden Phasen gelten bestimmt Einschränkungen. In Phase 1 darf die Patientin beispielsweise nur auf ihrem Zimmer essen, keine Besuche empfangen oder Telefonate führen, die Teilnahme an außertherapeutischen Maßnahmen, wie z.B. Sport sind nicht möglich. In Phase 2 werden diese Einschränkungen gelockert. Die Betroffenen darf mit den anderen Essen, Besuche empfangen und zu abgesprochenen Zeiträumen die Klinik verlassen. In Phase 3 gelten dann die selben Bestimmungen wie für die Teilnehmer des Selbstkontrollprogramms.
3. Ausnahmebedingungen werden dann verwendet, wenn die Patienten im normalen Programm nicht an Gewicht zunimmt. Befindet sich die Betroffene in Phase 1 oder 2 werden die Einschränken noch verstärkt. Befindet sie sich in Phase 3 wird sie zurückgestuft in Phase 1
Neben diesen Bedingungen gelten besondere Regeln im Umgang mit dem Essen und dem Gewicht. Ziel dieser Regeln ist es, daß die Patientinnen lernen Verantwortung für die vorgenommenen Veränderungen übernimmt und die erzielten Erfolge auf eigene Anstrengungen und Fähigkeiten zurückzuführen.
Die Regeln beinhalten im wesentlichen Vorgaben was Gewichtszunahme und -kontrolle betreffen.
Erfolgsaussichten:
Nach einer Studie von Pauli et al. (1990) betrug die durchschnittliche Dauer der Therapie bei Anorektikerinnen 125 Tage (Range 50-194) und bei den Bulimikerinnen 108 Tage (Range 42- 164).
Es läßt sich sagen, daß bei der zitierten Untersuchung die Normalisierung des Eßverhaltens bei Bulimikerinnen längerfristig stabil blieben als bei Anorektikerinnen. Die Gewichtsnormalisierung wurde zwar von fast allen Anorexie Patientinnen erreicht, allerdings hatten sie Schwierigkeiten dieses auch über einen längeren Zeitraum zu halten (Jacobi & Paul, 1991, S.131ff).
5.3 Ambulante Verhaltenstherapie bei Bulimia nervosa
Im folgenden soll ein Therapiekonzept von JACOBI und PAUL dargestellt werden, daß auf Bestandteile allgemeiner Verhaltenstherapie und Erfahrungen von ambulanter Gruppentherapie bei bulimischen Patientinnen aufbaut. Die Therapie dauert ca. 6-9 Monate, findet in wöchentlichen Sitzungen statt und besteht aus 4 Phasen.
Konzept der ambulanten Verhaltenstherapie bei Bulimia nervosa nach JACOBI und PAUL:
1. Vorgespr ä ch und Motivationsabkl ä rung
Das Vorgespräch findet zur Einschätzung von Art und Schwere der Symptomatik statt. Es soll auch geklärt werden, ob die bulimische Patientin motiviert ist, die Therapie durchzuhalten, oder ob ein frühzeitiger Therapieabbruch anzunehmen ist. Desweiteren werden folgende Punkte abgeklärt: Diagnoseerstellung, Abklären zusätzlicher Problembereiche (Alkohol, Drogen, Suizidalität), Verständnis der Rolle der Patientin (aktiv-passiv), Vorerfahrungen mit bisherigen Therapien (Bewertung dieser, Gründe für eventuelles Abbrechen), Erwartungen an die Therapie, allgemeine Beschreibung des ambulanten verhaltenstherapeutischen Konzepts, Verpflichtung, während der Therapie nicht an Gewicht zu verlieren, Verpflichtung zur Einhaltung eines Essensplans ab der 3. Therapiephase, Inkaufnahme einer möglichen Gewichtszunahme.
Die Abklärung der Punkte, die direkt mit dem Essen bzw. dem Gewicht zu tun haben ist besonders wichtig, da dadurch die körperlichen und physiologischen Bedingungen verändert werden können, die für das Freß-Brech Verhalten auf jeden Fall mitverantwortlich sind. D.h. es dürfen z.B. keine diätischen Phasen mehr eingelegt werden, die die Wahrscheinlichkeit eines Heißhungeranfalls noch erhöhen.
2. Informationsvermittlung und Verhaltensdiagnostik (Dauer ca. 2 Monate)
In dieser Phase erfolgt eine ausführliche Verhaltensananlyse, d.h. daß die Patientin lernt, welche individuellen, spezifischen Auslöser für ihre Heißhungerattacken und das Diätverhalten verantwortlich sind. Dadurch wird eine Art Krankheitsmodell erarbeitet, an dem funktional gezeigt werden kann, was die Entstehung und Aufrechterhaltung der Bulimia nervosa bestimmt.
Außerdem wird nach Alternativmöglichkeiten gesucht, um die Auslösung weiterer Heißhungeranfälle zu verhindern. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Informationsvermittlung über die Zusammenhänge der Krankheit. Dabei werden den Patientinnen z.B. Informationen über den Set-point (eines vom Körper vorprogrammierten, individuellen Gewichts) und dem Zusammenhang von diätischem Verhalten und anschließenden Heißhungerattacken gegeben.
3. Aufbau eines ver ä nderten Verhalten (Dauer ca. 2 Monate)
In dieser Phase steht die Entwicklung eines individuellen Essensplans für die Patientinnen im Mittelpunkt. Außerdem werden mittels kognitiver Techniken verzerrte Einstellungen im Selbstkonzept aufgedeckt und möglichst durch rationalere ersetzt. Die Patientin soll lernen, daß ihr Selbstwertgefühl nicht ausschließlich durch das Äußere bestimmt wird. Unterstützt wird dies durch körperliche Übungen, ähnlich der psychomotorischen Therapie, die es der Patientin ermöglicht, ein neues Körperbild zu entwickeln.
Desweiteren erfolgt eine Erarbeitung von Alternativen zur Bewältigung von Belastungssituationen und konkret möglichen Maßnahmen gegen Heißhungerattacken. Es wird den Patientinnen bewußt gemacht, welche Kontrollmöglichkeiten sie im Einzelfall besitzen, und wie sie diese am effektivsten anwenden können. Außerdem werden weitere Problembereiche wie etwa mangelndes Durchsetzungsvermögen oder Probleme in der Partnerschaft erörtert.
4. Stabilisierung und R ü ckfallanalyse (Dauer mind. 2 Monate)
In der vierten und letzten Phase steht das Ausblenden des Essensplans im Vordergrund. Die Patientinnen sollen lernen, sich ab sofort nach ihren Hunger- und Sättigungsgefühlen und nicht nach dem kognitiv gesteuerten Essensplan zu richten. Wichtig ist auch eine Analyse von und Umgang mit Rückfallsituationen, da die Betroffenen in diesem Stadium sozusagen langsam von der Unterstützung der Gruppe und dem Therapeuten entwöhnt werden sollen. Die Sitzungen werden in der letzten Phase reduziert und finden nur noch alle 2-3 Wochen statt.
Bei in der Vergangenheit durchgeführten Studien über die Effizienz von ambulanten Gruppentherapien für Bulimia nervosa lag der Anteil der symptomfreien Patientinnen bei Therapieende bei 33% und zum Katamnesezeitpunkt bei 39%. Bei Therapieende gelten außerdem etwa 45% der Patientinnen als ,,gebessert" (vgl. JACOBI 1991, S.119). Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Kriterien ,,symptomfrei" und ,,gebessert" teilweise nicht völlig einheitlich verwendet werden. Im großen und ganzen läßt sich jedoch sagen, daß diese Therapieform als anerkannt und sehr erfolgversprechend gilt.
5.4 Familientherapie bei Bulimia nervosa
An dieser Stelle soll der familientherapeutische Ansatz von VANDEREYCKEN et al. dargestellt werden (vgl. JACOBI 1991, S.184).
Dieser Ansatz wird im Rahmen eines im Durchschnitt 3 monatigen stationären Behandlungsprogramms angewendet und durch eine intensive Nachsorge abgeschlossen. Das Behandlungsprogramm umfaßt Gruppentherapie, Beschäftigungs- und Kunsttherapie, psychomotorische Therapie, ein verhaltenstherapeutisches Kontraktsystem, welches auf Essen und Gewicht bezogen ist, und ist sehr familienorientiert, da es erlaubt, verschiedene Komponenten von der Erziehungsberatung über Elternberatungsgruppen bis hin zur Familientherapie in einfließen zu lassen.
Der Familientherapeut übernimmt eine zentrale Rolle im Behandlungsteam, so daß er auch immer über die Entwicklung der Patientin in anderen Teilen des Programms auf dem laufenden ist. Die Familientherapie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Analyse der Hier- und-jetzt Situation im Mittelpunkt steht und aktuelle Probleme der Familie bearbeitet werden sollen. Das Therapiekonzept ist dabei entsprechend flexibel, so daß auf die Entwicklungen der Patientin und den Familienmitgliedern eingegangen und dementsprechend das weitere Vorgehen abgestimmt werden kann.
Dieses Behandlungskonzept besteht aus folgenden Phasen:
1. Anfangsphase: Die Vorbereitung des Familiensystems auf Ver ä nderungen
Es soll eine unparteiische, positive Atmosphäre geschaffen werden, die den Beteiligten die Angst vor der Therapie nehmen soll. Das Familiensystem sowie der persönliche Entwicklungsprozeß und das psychosoziale Agieren der Patientin und der Familienmitglieder werden analysiert, um herauszufinden, ob die Erkrankung der Tochter etwas mit der Familie zu tun hat. So kann es z.B. sein, daß die Bulimie der Tochter als Blitzableiter für Eheprobleme dient. Stellt sich tatsächlich heraus, daß die Bulimie eine Funktion in einem dysfunktionalen Familiensystem übernimmt, wird die Hypothese so formuliert, daß dieser Zusammenhang deutlich zum Ausdruck kommt.
2. Mittlere Phase: F ü hrung des Familiensystems zur Eigenst ä ndigkeit der Patientin
In dieser Phase soll erreicht werden, daß die Patientin lernt, sich von dem Familiensystem abzulösen. Dabei regt der Therapeut auf der einen Seite die Familie direkt zu Veränderungen an und bremst diese jedoch auch, wenn damit zu große Ängste (wie z.B. größere Unabhängigkeit) verbunden sind, die erst abgebaut werden müssen.
3. Die Stabilisierung der Ver ä nderungen
Der Therapeut übernimmt in dieser Phase eine erzieherische Position, denn das Familiensystem versucht sich neu zu definieren. Die Familienmitglieder erkunden neue Gefühle und Verhaltensweisen, die sie mit Hilfe des Therapeuten erst noch erlernen müssen. Außerdem wird der Ablöseprozeß der Tochter von der Familie weiter dadurch unterstützt, in dem sie möglichst das Umfeld der Familie verlassen soll. Dadurch soll zum einen erreicht werden, daß die Patientin sich wieder mit ihren Gefühlen auseinandersetzt und zum anderen, daß sich auch die Familie mit ihren eigenen bzw. den Gefühlen bezüglich der Tochter beschäftigt.
4. Endphase: Sicherung des Langzeitergebnisses
In der Endphase erfolgt eine Trennung der Sitzungen, d.h. daß die Patientin und die Familie in unterschiedlichen Sitzungen nachbetreut werden. Die Betroffene soll sich bewußt werden, daß sie die Verantwortung für ihr Eßverhalten und Gewicht trägt und daß es klare Grenzen in der Familie gibt. Die Dauer dieser Nachbetreuung ist nicht genau festgelegt und erfolgt je nach Bedarf.
VANDEREYCKEN et al. haben die Erfahrung gemacht, daß die Familientherapie ein weiterer wichtiger Baustein im Behandlungsprogramm ist, da sonst die Einbettung der Krankheit in den psychosozialen Kontext nicht ausreichend beachtet wird.
Bei der Behandlung der Bulimia nervosa sollte nicht nur die Erreichung von Symptomfreiheit, sondern auch die konkrete tieferliegende Ursachenbehandlung beachtet werden.
6. Schlußbetrachtung
Es dürfte deutlich geworden sein, daß es aufgrund der Komplexität der beiden Krankheitsbilder nicht möglich ist, ,,die" eine richtige Therapie anzuwenden, wie es bei rein physischen Erkrankungen möglich ist. Vielmehr ist aus der Vielzahl von Konzepten die Kombination auszuwählen, die den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen am angemessensten erscheint.
Grundsätzlich wäre es jedoch wünschenswerter, wenn die eigentlichen, gesellschaftsimmanenten Ursachen der Eßstörungen ebenfalls ,,behandelt" werden würden. Eine Abkehr vom Schlankheitsideal hin zum Gesundheitsideal würde den Eßstörungen einen Teil des Nährbodens entziehen.
7. Literaturverzeichnis
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- Davison, Gerald, C. & Neale, John, M. (1998). Klinische Psychologie (5. aktul. Auflage) Weinheim: Psychologie Verlags Union.
- Fichter, M. (1989). Bulimia nervosa: Grundlagen und Behandlung. Stuttgart: Enke
- Jacobi, Corinna & Paul, Thomas (1991). Bulimia und Anorexia nervosa. Berlin: Springer.
- Keppler, C. (1995). Bulimie: Wenn Nahrung und Krankheit die Mutter ersetzen. Düsseldorf: Walter
- Vandereycken, W. & Meermann, R. (1984). Anorexia nervosa: a clinician's guide to treatment. Berlin: de Gruyter.
- Waadt, S., Laessle, R.G., Pirke, K.M. (1992). Bulimie: Ursachen und Therapie. Berlin: Springer
- Wardetzki, B. (1990) Weiblicher Narzissmus und Bulimie. Dissertation, München
- Weiss, L., Katzman, M., Wolchik, S. (1989). Bulimie. Ein Behandlungsplan. Stuttgart: Huber
- Wooley, S.C. & Wooley O.W. (1980). Eating disorders: obesity and anorexia in: Brodsky, A., Hare-Mustin R. (Hrsg.). Women and psychotherapy: an assessment of research and practice. New York: Guilford
Internetadressen:
www.medicine-worldwide.de/psychische_krankheiten/anorexia.html
- Arbeit zitieren
- Anne Gerbig (Autor:in), 1999, Eßstörungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98923