Die Feminisierung von Berufsbezeichnungen im frankophonen Kanada


Hausarbeit, 2000

18 Seiten


Leseprobe


Feminisierung von Berufsbezeichnungen im frankophonen Kanada

Vorbemerkung

Dem Thema zur Feminisierung von Berufsbezeichnungen im frankophonen Kanada widme ich meine erste Hausarbeit.

Ich entschied mich ganz spontan und aus reiner Neugier dafür. Schon in der ersten Beschäftigungsphase zeigte sich die Komplexität und Vielschichtigkeit der Problematik.

Sie fordert auf zur intensiven Auseinandersetzung mit und zum Nachdenken über Funktion und Potenzial von Sprache. Nicht zuletzt macht sie einen Blick über Frankreichs Grenzen hinaus notwendig. Eine ganz komplexe Beschäftigung in viele verschiedene Richtungen musste erfolgen, v.a. eine Abkehr von rein linguistischer Betrachtung der Problematik.

Ich habe mich zu folgender Vorgehensweise entschlossen: Zuerst werde ich eine kurze Einführung in das Thema geben und die spezifische Komplexität der Diskussion erläutern. Anschließend soll es um die Genusproblematik innerhalb der französischen Sprache gehen. Dann werde ich mich dem Engagement um die Einführung femininer Berufsbezeichnungen widmen und die daran beteiligten Institutionen mit den von ihnen getroffenen linguistischen Entscheidungen zum Thema vorstellen. Ich werde im Anschluss versuchen, einen Vergleich Frankreichs und Kanadas zu diesem Thema vorzunehmen. Zum Schluss soll es um die femininen Bezeichnungen in der Praxis gehen.

Ich hoffe, diese von mir gestellten Anforderungen erfüllen zu können und dem Thema in seiner Komplexität gerecht zu werden.

Es geht mir um einen dokumentarischen Vergleich zwischen Kanada und Frankreich hinsichtlich der Entwicklung der Problematik und um die Grundlagen und Hintergründe der Diskussion um die Einführung femininer Berufsbezeichnungen.

Anmerkung: Die Provinz Quebec soll hier stellvertretend stehen für den gesamten frankophonen Teil Kanadas. Dort lebt die größte frankophone Sprachgemeinschaft nach Frankreich selbst.

1. Einleitung

Das Engagement um die Feminisierung der französischen Sprache, ist kein Phänomen der 90er Jahre.

Seit vielen Jahren beteiligen sich Linguisten, Politiker, Soziologen und Feministinnen an der Diskussion um Sinn und Unsinn der maskulinen Dominanz innerhalb der französischen Sprache.

Berufsbezeichnungen und die Frage, inwiefern diese das Geschlecht des Arbeitenden erkennen lassen sollen, stehen dabei im Zentrum der Debatten.

Bereits 1891 erschien die Petition einer französischen Schriftstellerin an die Académie française, in der sie forderte, feminine Formen von maskulinen Berufsbezeichnungen zuzulassen.

Aber in der langen Geschichte um diesen Gegenstand zeigt sich bis heute, dass die Bildung neuer Begriffe ähnlich schwierig ist wie die Zulassung von Frauen zu den entsprechenden Berufen.

Feministinnen begründen immer wieder die Notwendigkeit des Nachdenkens über die Genusproblematik innerhalb der französischen Sprache. Auch die Öffentlichkeit nimmt Anteil an diesen Debatten, die nicht nur auf linguistischer Ebene ausgefochten werden, sondern notwendigerweise ihren Einzug auch in die Sitzungssäle von Politik und Wirtschaft halten.

Mögen uns diese Diskussionen auf den ersten Blick etwas banal und übermäßig mit Bedeutung aufgeladen erscheinen, so werden die verschiedenen Aspekte und die Komplexität der Problematik beim genaueren Hinsehen deutlich. Denn die Diskussion dreht sich nicht nur um ein paar Wortendungen.

Nicht nur seitens der Linguistik gibt Beteiligung an der Diskussion, auch Soziologen und nicht zuletzt Wirtschaftsexperten argumentieren für, öfter allerdings gegen eine rigorose Einführung femininer Berufsbezeichnungen. Doch Feministinnen sprechen sich ganz deutlich für ein Umdenken, für größere Toleranz und Offenheit aus. Sie erklären das Thema zur Staatsangelegenheit und kämpfen gegen eine Banalisierung ihrer Forderungen.

Sowohl in Frankreich als auch im frankophonen Kanada wird und wurde das Problem thematisiert und mehr oder weniger bearbeitet. So ähnlich die Art und Weise des Engagements im Mutterland und in der Ex-Provinz für den verstärkten Einsatz femininer Titel verläuft, so unterschiedlich fallen die Reaktionen und die Entscheidungen aus.

Mit den kontroversen Debatten um das Thema, das sich nicht in der Entscheidung über ein paar Buchstaben erschöpft, sei nur ein weiteres Mal bewiesen, welche Bedeutung Sprache in ihrer Selbstverständlichkeit zukommt.

2. Die Genera in der französischen Sprache

In der französischen Sprache existieren im Unterschied zum Deutschen nur zwei Genera. Im Zuge der Vereinfachung der Sprache in der Entwicklung vom Klassischen zum Vulgärlatein wurde die Unterscheidung in drei Genera aufgegeben: die Neutren schlossen sich entweder den Maskulina oder den Feminina an.

Das Maskuline dominiert im modernen Französisch. Es fungiert als Nennform für Nomen, herrscht u.a. in sog. Witterungs- oder Geschehensverben, gilt als neutral und ausgleichend.

Die französische Grammatik stellt zur Feminisierung von Nomen, und damit auch von Berufsbezeichnungen folgende Regeln auf (wobei ich auf die Unterschiede beim Französisch in Frankreich1 und dem in Kanada gleich hinweisen werde):

Determinierend funktioniert bei der Entscheidung über die Art der femininen Endung die Endung des maskulinen Nomens, das sozusagen als Matrix dient.

1)

a) Endet ein Nomen auf einem Vokal, so wird ein -e angehängt, wie in une chargée. (Diese analoge Variante ist auch die häufigste Art der Bildung.)
b) Endet die maskuline Form von sich aus schon auf einem -e, dann ist die feminine mit der maskulinen Form identisch, man spricht in diesem Fall von einem "therme épicène2 ", wie z.B. bei la dentiste. Die Genuskennzeichnung erfolgt dann durch Begleitwörter (Adjektive, Artikel).

Es sollen keine neuen Wörter auf -esse gebildet werden, diese Formen gelten als veraltet und z.T. als pejorativ. (Bereits vitale Formen werden aber beibehalten.)

2)

Endet ein Nomen auf einem Konsonanten, so gilt allgemein wie in 1a), dass ein -e angehängt wird. Diese Maßnahme geht manchmal mit orthographischen und/oder phonetischen Veränderungen einher:

Aus -el wird -elle, wie in wie in une industrielle,

aus -ien wird -ienne, wie in une chirurgienne,

aus -on wird -onne, wie in une maçonne,

aus -er wird -ère wie in une banquière,

aus -et wird -ète, wie in une préfète.

3)

Endet das maskuline Nomen auf -eur, so machen Frankreich und Quebec Unterschiede in der Bildung der femininen Form:

a) Frankreich empfiehlt die Bildung auf -euse 3 , wenn das Nomen direkt aus dem Verb hervorgegangen ist, wie bei une vendeuse (vendre). Liegt wie bei un docteur kein direkter Verbbezug vor, so sollte die Endung -eur beibehalten werden, und so die Genusunterscheidung allein durch den Begleiter realisiert werden.

b) Quebec differenziert hier ebenfalls, aber interessanterweise nicht nach linguistischen und grammatikalischen, sondern nach sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten. Handelt es sich um niedriggestellte Berufe, so sollte die Endung -euse Verwendung finden, wie in une vendeuse, bei Intellektuellen- und Prestigeberufen sollte die feminine Bezeichnung auf -eure, wie in une professeure, une docteure enden.

4)

Einigkeit zwischen Frankreich und Quebec besteht wieder dann, wenn ein maskulines Nomen auf -teur endet.

Wenn, wie bei un chanteur, ein korrespondierendes Verb existiert (chanter), so sollte die feminine Form auf -teuse enden, wie in une chanteuse.

Bietet der Wortschatz kein entsprechendes Verb, so sollte die Endung -trice, wie in une oratrice verwendet werden.

Grundsätzlich wird keine juxtaposition mit femme + maskulines Nomen empfohlen, solche Formen werden aber vom Sprachgebrauch spontan kreiert. (vergleiche dazu Kapitel 7 - zu den femininen Berufsbezeichnungen in der Praxis.)

Außerdem bringt der Alltagsgebrauch auch Ausnahmen von anderen, oben erwähnten Regeln, hervor, wie z.B. uneéditrice (éditer) oder une inspectrice (inspecter).

Bei dieser Aufstellung wird vor allem deutlich: es liegt eine Vielzahl von potenziellen Bildungsmöglichkeiten vor mit den „üblichen“ femininen Endungen wie - ée, -trice, -euse, -ienne ...

Darüber hinaus lassen sich bereits weitere Varianten wie femme- + Nomen oder auch, hier bisher nicht erwähnt Madame le... erahnen. Diese erfreuen sich unterschiedlicher Akzeptanz und Konnotation. Mehr dazu in Kapitel 7.

3. Engagement für Gleichberechtigung in der Sprache

Nicht erst seit Simone de Beauvoir denken Frauen laut über ihre Position nach. Christine de Pizan4 erfand im 15. Jahrhundert die „Stadt der Frauen“ und avancierte damit zur Alice Schwarzer des Mittelalters. Fast unnötig zu erwähnen, dass sie mit ihren Utopien zu radikal dachte, um nicht für verrückt erklärt zu werden.

Im selben Jahrhundert erschien die "Querelle des Femmes", 891 Texte zur Frauenfrage. Aber der Weg zur (beruflichen) Unabhängigkeit war lang. Erst seit 1965 brauchen Frauen zur Berufsausübung nicht mehr die Erlaubnis ihrer Ehemänner.

Noch extremer ist die Geschichte des Scheidungsrechts: Erließ man(n) 1792 das Gesetz über das Recht auf Ehescheidung, so wurde es im Laufe seiner Geschichte wieder annulliert. Erst 1975 wurde die Scheidung durch die Ehescheidungsreform entkriminalisiert!

Dieses Beispiel will zeigen, wie lange und in welchem Ausmaß Frauen von männlichen Entscheidungen abhängig waren, wie sie entmündigt und in ihren Bedürfnissen ausgebremst wurden (und laut feministischer Stimmen auch heute noch werden.).

Trotzdem ließen (und lassen) sie sich weder Mund noch Tat verbieten.

So gründete Elisa Lemmonier bereits 1862 die Gesellschaft für die Berufsausbildung von Frauen und eröffnete die erste Mädchenschule in Paris. Solche Ideen wie die eines Sylvain Maréchal, der 1801 den Entwurf eines Gesetzes veröffentlichte, das Frauen das Lesenlernen verbieten sollte, konnten der Frauenbewegung nicht wirklich schaden, steigerten höchstens noch ihre Kampflust.

Als Ungerechtigkeit und Provokation wurde und wird der Mangel an femininen Berufsbezeichnungen empfunden. Wenn Frauen Männerberufe erobern, müsse sich das in der Sprache zeigen, heißt es. Sprache müsse sozialer Evolution folgen, sonst käme es zu Störungen innerhalb der Kommunikation, so die Stimme der Fordernden.

In der Art und Weise des Engagements um die Einführung femininer Berufsbezeichnungen ähneln sich die französischen und kanadischen Aktivistinnen. In beiden Staaten existieren eine Vielzahl von Kommissionen, die sich dieser Problematik widmen. Die vielleicht wichtigste ist die französische, von Yvette Roudy (ehemalige Ministerin für Frauenrechte) gegründete „commission de féminisation“, der Benoîte Groult, bekannte französische Schriftstellerin, seit vielen Jahren als Präsidentin vorsteht. Von Groult stammt auch der Ausdruck, Sprache sei "le miroir d'une société"5 ; sie unterstützt damit die Auffassung, dass Sprache sozialer Evolution folge müsse.

Schon Heinrich Mann sagte: "An seiner Sprache erkennt man sein Regime!"6, zwar vor einem völlig anderen politischen Hintergrund, doch meinte er dasselbe Prinzip: Sprache als Ausdruck einer ganz bestimmten Geisteshaltung, als Machtmittel auch, als eine Möglichkeit der Ab- und Ausgrenzung.

Die neuen Realitäten, bestehend in der Form, dass Frauen in Männerdomänen eindringen oder sich im Laufe der Geschichte überhaupt erst das Recht auf Berufsleben erkämpft haben, sollen gezeigt werden. Stolz auf das Erkämpfte fordern Frauen "Korrekturen" an ihrer Sprache. Was für sie Selbstverständlichkeiten sind, erscheinen anderen als unerhörte Forderungen und als Zeichen von Respektlosigkeit gegenüber Sprache. Begründet werden diese Vorbehalte gegenüber Veränderungen mit linguistischen Argumenten. Die maskuline Form in der Sprache sei neutralen Charakters, heißt es.

Frauen erwehren sich gegen diese Behauptung, fühlen sich unterrepräsentiert, empfinden die maskuline Dominanz in der Sprache als sexistisch und marginalisierend. Sie stellen die Frage, inwieweit maskuline Formen Frauen wirklich berücksichtigen. Warum z.B. heißt es: « 1000 femmes et un hommes se sont réunis? » Die eindeutige Mehrheit femininer Personen wird nebensächlich, sobald ein Mann hinzukommt- das finite Verb bekommt trotzdem eine maskuline Endung. Die angebliche Neutralität erweist sich als Pseudo-Neutralität.

Tatsächlich handelt man das Fortschreiten der Feminisierung von Berufsbezeichnungen als Gradmesser für die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf und im Leben!

Dabei wird deutlich, wie stark eine Identifikation mit Sprache stattfindet, welche Bedeutung ihr zukommt und wie erheblich sie politische und soziale Aspekte tangiert.

Immer wieder gibt es vernichtende Stimmen, die die Forderungen banalisieren, verspotten oder verwerfen:

Der Linguist Charles Bally ließ einmal verlauten, das Französische habe eine grundsätzliche Abneigung gegenüber der "formation de féminins par suffixe" habe, da sie einen pejorativen Beigeschmack mit sich bringe7.

Eine Äußerung, die nur zu neuen Forderungen provoziert...

Soziale Diskrepanzen

Im Rahmen dieser Diskussionen um eine Einführung femininer Titel tritt ein weiteres Phänomen zutage: Feministinnen prangern die unterschiedliche soziale Bewertung von Berufen gleicher Bezeichnung bei Männern und Frauen an; also bei manchen Berufen, die sexusspezifische Bezeichnungen für ihre männliche und weibliche Arbeiterschaft haben. Beispiele dafür sind z.B. le secrétaire vs. la secrétaire, le cuisinier vs. la cuisinière oder un vieux maître vs. une vielle maîtresse.

Le cuisinier beispielsweise lässt denken an Küchenchefs à la Paul Bocuse - eine Bezeichnung, die Starqualitäten verlangt. Der individuell- künstlerische Aspekt ist von enormer Bedeutung. La cuisinère dagegen bezeichnet ein weitaus weniger angesehenes Berufsbild - Arbeit in einer Großküche vielleicht. Gespür für Sinnlichkeit ist hier weder erfordert noch erwünscht, hier wird Masse produziert. Vielleicht lässt sich hier auch die Homonymie mit la cuisinière als Übersetzung für „Kochherd“ verstehen. Handelt es sich bei den mit maskulinen Bezeichnungen ausgestatteten Berufen um gutbezahlte, mit Prestige und sozialen Aufstiegschancen verbundenen Tätigkeiten, so verbergen sich hinter den femininen Bezeichnungen weitaus weniger anspruchsvolle, weitaus geringer bezahltere Berufe von wenig sozialem Ansehen oder gar pejorativ anmutende Äußerungen wie im letzten Beispiel.

Bei diesen Erwähnungen erahnt man die Dimension der Problematik um die Berufsbezeichnungen - sie nimmt Einfluss auf soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte des Lebens.

Simone de Beauvoir ließ einst verlauten: "Ich war eine Ausnahmefrau, und - ich habe es akzeptiert. Heute weigern sich die Feministinnen, Alibi-Frauen zu sein. Und sie haben recht. Man muss kämpfen! Das fängt schon bei der Sprache an."8

Und sie kämpfen - für eine modere Sprache, ohne Sexismus.

4. Sprachpolitische Maßnahmen und Entscheidungen in Quebec

Eine wichtige Rolle innerhalb der sprachpolitischen Landschaft Quebecs spielt das Office de la langue française (OLF), gegründet 1961 und in seinen Tätigkeitsbereichen mit der Académie française vergleichbar: Hauptaufgabe ist die Terminologiearbeit und die Sicherung der französischen Sprache vor allem gegenüber der angloamerikanischen Dominanz.

Letzteres scheint eine durchaus ernstzunehmende Bedrohung- das sog. "Franglais" ist ein weitverbreitetes Phänomen.

(Auch bei der Informationsrecherche bekommt man die Übermacht der englischen Sprache in Kanada durchaus zu spüren- wenig französische Literatur zu einem frankophonem Thema, auch im Internet präsentiert sich Kanada vornehmlich anglophon und -phil!)

Zwischen 1979 und 1984 veröffentlichte das Office drei erste Beiträge zum Thema "féminisation des titres“.

Auch Ontario publizierte u.a. 1994 zum Thema einen „Guide de féminisation“.

Die Veröffentlichungen zum Thema unterstützen die Auffassung der Fordernden hinsichtlich der Antastbarkeit von Sprache:

Or, la langue n'est pas statique, elleévolue constamment pour refléter les nouvelles réalités, les changements sociaux et politiques. 9

Gewillt, diesen «neuen Realitäten» , in denen auch Frauen boxen, operieren und regieren, gerecht zu werden, unterstützt das Office die Anwendung femininer Berufsbezeichnungen, empfiehlt grundsätzlich deren verstärkten Gebrauch, macht jedoch im gleichen Augenblick auch Einschränkungen :

"Il faut, bien sûr ... éviter de créer de féminins irréguliers et inutiles."10

Man spricht sich also aus gegen "unregelmäßige und unnütze" Formen und provoziert dadurch nicht nur neuen Unmut, sondern auch eine ganze Reihe von Fragen. Was sind "unnütze" Feminina? Wie könnten die Bezeichnungen für nützliche Tätigkeit "unnütz" sein?

Auch die Warnung vor Unregelmäßigkeit bei der Bildung eckt an. Um welche Regeln handelt es sich, die Maßstab sein wollen? Und muss grammatisches Regelwerk nicht ebenso wandelbar sein wie Wortschatz angesichts dieser Veränderungen?

Aber in der Tat sind die Schwierigkeiten bei der Bildung nicht zu unterschätzen. Und es leuchtet ein, dass doch gewisse feste Regeln gefordert sind, schon um eine für das öffentliche Leben notwendige Einheitlichkeit zu gewährleisten und um Missverständnisse zu umgehen.

Linguistische Einschränkungen

Aus linguistischer Sicht sind schon von vornherein Einschränkungen zu machen, die die Euphorie bei den Vertretern der kategorischen Feminisierung bremst:

Ein Problem besteht dann, wenn eine Femininform durch Homo- und Polysemie blockiert ist, das heißt, die Bildung einer Form ist theoretisch zwar möglich, doch käme es dann zum Gleichklang mit bereits existenten Wörtern. Beispiele dafür sind la*mèdecine oder la *critique als feminine Pendants zu le mèdecin und le critique. Man muss bei dieser Betrachtung aber einräumen, dass solche Bildungen in der Sprachgeschichte bereits vorgenommen wurden und sich durchsetzten. Der Gebrauch im Alltag relativiert und beseitigt grammatikalische Bedenken. Beispielsweise zu nennen wäre (wie oben bereits erwähnt) la cuisinière, was sowohl den Beruf der Köchin, als auch das Küchengerät, den Kochherd, bezeichnet.

Eine weitere Einschränkung besteht auch dann, wenn die Berufsbezeichnung schon als Personenbezeichnung existiert, wie es zum Beispiel bei la mairesse der Fall ist. La mairesse bezeichnet eigentlich die Ehefrau dessen, welcher das Bürgermeisteramt ausführt, nun wird diese Form gewünscht als Bezeichnung einer Frau, die dieses Amt selbst bekleidet. Vorbehalte dagegen stammen freilich aus ganz anderen Zeiten und bedürfen einer gründlichen Überdenkung. Eine derartige Konkurrenz der Formen darf heute kein Problem mehr darstellen!

Empfehlungen des OLF

Aus der Vielzahl der Bildungsmöglichkeiten resultiert Unsicherheit, wenn die Bildung mit den "üblichen" Suffixen nicht möglich ist.

In diesem Fall macht das Office folgende Empfehlungen:

1. sollten sogenannte "noms ambigues" ( dabei handelt es sich um die oben erläuterten "thermes épicènes") mit femininem Genus gebildet werden, z.B. "la ministre",

2. sollten Generalisierungen vorgenommen werden, das heißt ohne Genusunterscheidungen, wie z.B. le professeur.

3. empfiehlt man die Suffigierung "-esse", z.B. "la poétesse"

4. wird die Verwendung von "femme + Substantiv", z.B. in "femme-écrivain" und 5. die Verwendung neutraler Abstrakta wie "les gens", "la personne" etc. empfohlen.

Wir sehen, dass es hier bereits Abweichungen gibt zu den allgemeinen Grammatikregeln zur Feminisierung von Nomen. Die Suffigierung -esse sollte laut der Normen nicht mehr vital sein, auch die „noms ambigues“ und die Generalisierungen wurden nicht erwähnt. Auch die juxtaposition femme- + Nomen erfuhr dort keine Erwähnung.

Auch in den Folgejahren erblickten immer wieder Publikationen zu diesem heiß umstrittenen Thema das Licht der Welt. Sie stellen den Versuch dar, Hilfestellungen und Orientierung im Bezeichnungsdschungel zu geben: "Au feminin. Guide de féminisation des titres, de fonctions et des textes."11 oder "A juste titre. Guide de rédaction non sexiste"12

Nicht nur offizielle Stellen wie das OLF, sondern auch Frauen- und feministische Vereinigungen und Organisationen, aber auch feministische Zeitschriften mischen mit. Beispiele dafür sind "La vie en rose" oder "La Gazette des femmes".

Die Veröffentlichungen und Äußerungen zur Feminisierung von Berufsbezeichnungen - ja oder nein, in welchem Maße usw. widmen sich dem Thema aber nicht nur in ernster Weise. Die große Präsenz der Diskussion in der Öffentlichkeit, die regen Debatten bringen ihm auch Spott und Tadel ein. Es leuchtet ein, dass das Thema angesichts der tagespolitischen Ereignisse manchem banal und die Behandlung, die es erfährt, überflüssig und zeitverschwenderisch erscheinen mag. Andererseits ist das rege Interesse von verschiedensten Seiten auch Beweis genug für die Brisanz der Problematik.

Sie ist ein Teil der "Sprachkultur"13.

Ganz abgesehen von den linguistischen oder politischen Diskussionen, spielt aber letztendlich nur eine Rolle, was auch tatsächlich in den allgemeinen Sprachgebrauch und Wortschatz Zugang findet.

5. Ein Vergleich Quebecs und Frankreichs zur Diskussion

Der Stand der Dinge

Professor Klaus Bochmann fand in einem Beitrag im Zusammenhang mit vergleichenden Betrachtungen über Frankreich und Quebec die Bezeichnungen "répressif" vs. "émancipateur14 ".

Sie beschreiben auch die Art und Weise des Umgangs mit der Diskussion um die Einführung femininer Berufsbezeichnungen.

Vergleicht man die sprachpolitischen Maßnahmen Quebecs mit denen Frankreichs hinsichtlich Quanti- und Qualität, so zeigt sich die ehemalige französische Kolonie um einiges offener und veränderungsbereiter gegenüber der Einführung von speziellen Bezeichnungen für ihre arbeitende weibliche Bevölkerung als Frankreich. Und tatsächlich gilt Quebec als "précurseur"15 auf diesem Gebiet.

Wichtig ist hervorzuheben, dass sich dieser lobenswerte Beiname auf quantitative und nicht chronologische Aspekte dieser Evolution bezieht. So akzeptiert Quebec eine stärkere Vernachlässigung des grammatikalischen Rahmens zugunsten einer größeren Formenvielfalt, befürwortet eine größere "concurrence des formes". Damit bejaht es die unterschiedliche Bewertung der verschiedenen Formen durch den Einzelnen und unterstützt so die Möglichkeit der sprachlichen Auswahl.

Frankreich empfiehlt eine geringere Auswahl an Bildungsmöglichkeiten und vertritt eine deutliche Ablehnung einiger Bildungen auf -esse. Die Möglichkeit, Femina auf -eure zu bilden, wie Quebec sie empfiehlt, wird gar nicht erwähnt, statt dessen sollte die maskuline Form mit femininem Artikel verwendet werden. Damit entsprechen die französischen Empfehlungen in stärkerer Weise den allgemeinen Regeln als die kanadischen Richtlinien.

Doch, ganz allgemein gesagt, tut sich Frankreich mit der allgemeinen Einführung femininer Titel um einiges schwerer als die ehemalige Kolonie und deren Sprecher.

Anfangs erschienen Veröffentlichungen zum Thema "féminisation des titres" in Frankreich nur in ganz geringem Umfang und gingen dann meist im politischen Tagesgeschehen unter. Die Problematik erfuhr eine recht stiefmütterliche Behandlung. Frauen wie Benoîte Groult sind deswegen um so mehr bemüht, das Interesse immer wieder auf die Art und Weise der Präsentation von Frauen in der Öffentlichkeit wachzuhalten und werben für eine größere Offenheit im Umgang mit linguistischen Veränderungen. Frei nach dem Motto: "ce qui n'est pas nommé n'existe pas!"16, kämpfen sie für die sprachliche Repräsentation arbeitender Frauen.

Quebec also gilt auf diesem Gebiet als fortschrittlicher gegenüber dem Mutterland und auch gegenüber anderen frankophonen Sprachgemeinschaften.

Hintergründe

In ihrem sehr informativen Beitrag zum Thema La féminisation des noms de métier et des titres au Canada francophone: une comparaison avec la France, la Suisse et la Belgique 17 formulieren Anke Gladischefski und Maria G. Lieber es folgendermaßen: "Cependant, il devrait être plus facile de féminiser la langue qu'au Canada qu'en France parce qu'au Canada, le pois de l'idéologie linguistique, qui nous empêche souvent de voir la réalité est moins important.18

Meines Erachtens ist diese Erwähnung der "idéologie linguistique" sehr wichtig, vielleicht lassen sich so Haltungen gegenüber Sprache seitens Politik und Gesellschaft verstehen.

Dass Frankreich sich einer konservativen Sprachpolitik verschrieben hat, ist offensichtlich, Gesetze wie das Loi Toubon19 verstärken diesen Anschein. Eher konstruiert man umständliche Wortungetüme, als sich zu Wortschatzübernahmen aus anderen modernen Sprachen hinreißen zu lassen. Besonders das Angloamerikanische gilt dabei als Feind Nummer 1. Quebec kann sich solche Phobien nicht erlauben. Der weitaus größere Teil des kanadischen Staates ist anglophon. (6,5 Millionen Kanadier sind frankophon, das entspricht 23% der kanadischen Bevölkerung.) Eine bewusste Abgrenzung davon hätte aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse enorme Folgen.

Mit der größeren Fortschrittlichkeit im Umgang mit Sprache in Quebec geht auch ein größerer Mut seitens Feministinnen einher, Forderungen nach Veränderung zu stellen. Man mag es Dreistigkeit, Blasphemie oder Humor nennen, wenn die Forderung nach einer femininen Form "dieu" laut wird...

Bei einem Blick auf die sprachpolitischen Landschaften Quebecs und Frankreich lassen sich diese unterschiedlichen Handhabungen vielleicht verstehen:

Frankreich, ein starkes Land im Herzen Europas pflegt eine zentralistische Politik, die Organisation der Frankophonen Gemeinschaft hingegen ist geprägt von einer pluralistischen Politik, derart, dass sie in keiner direkten Abhängigkeit zu Entscheidungen stehen, die im europäischen Mutterland getroffen werden.

Kleineidam erklärt, dass Frankreich gerade in der ersten Phase nach der Entkolonialisierung kleineren, privaten Initiativen verstärkt Entscheidungsfreiheit zugestand, um sich dem eventuellen Verdacht des Neokolonialismus zu entziehen.20

In der Folge ist das Fehlen einer hierarchischen Struktur und ein Nebeneinander vieler frankophoner Verbände in den ehemaligen Kolonien auf institutioneller Ebene zu beobachten.

Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Typen von interner Organisation: Zentralismus in einem einsprachig dominiertem Land (pays monolingue) gegenüber einem föderalistischem mehrsprachig geprägtem Staat (pays bilingues oder polyglottes).

In den 80er Jahren kam es in Frankreich auf Initiative der Sozialisten zu einer verstärkten Intervention des Staates in linguistische Bereiche.

Als Yvette Roudy, die damalige Ministre des Droits de la femme, am 29.2.1984 die commission de féminisation des noms de métier ausrief, bekam sie die Herrschaft einer extrem konservativen Sprachpolitik zu spüren - heftigster Widerstand v.a. seitens der Académie française führte zu Einschränkungen der Veröffentlichungen der commission, so blieb es häufig bei kurzen, relativ unbedeutenden Erwähnungen in Wörterbüchern.

...les efforts de féminisation sont passés presque inaperçus. 21

Auf der Suche nach Ursachen lohnt sich ein Blick in die Geschichte der ehemaligen französischen Kolonie.

Im Zuge seiner bewegten Geschichte war das Französische immer wieder starken Einflüssen unterworfen: von Anfang an gab es rege Kontakte mit Eingeborenen (sogenannte sauvages, indiens oder amérindiens), die zu Toleranz gegenüber fremder Sprachen erzogen, aber auch zu Wortschatzübernahmen führten. Die Kolonialisierung durch England im 18.Jh. durch den "traité de Paris" war ein einschneidender Schritt; der daraus entbrannte Konflikt zwischen Distanzierung oder Anpassung an den anglophonen Part des Landes dauert bis heute an. Prozesse der Anpassung waren ständig notwendig

Innerhalb seiner Geschichte musste Quebec immer wieder seine Sprache verteidigen und für seine Unabhängigkeit kämpfen. Ein langer Prozess der Identitätsfindung ging dem heutigen Selbstbewusstsein Quebecs voraus.

Den Rahmen für diesen Prozess stellt die sogenannte Stille Revolution ( la révolution tranquille) dar, eine Reformbewegung der 60er Jahre, ausgelöst durch die junge frankophone Elite Quebecs. Dabei wurde der Grundstein für Säkularisierungs- und Modernisierungsprozesse gelegt, deren Folgen die sozioökonomische und politische Entwicklung Quebecs bis in die 90er Jahre hinein beeinflussen. Das Besinnen auf die französischen Wurzeln spielte ebenso eine wichtige Rolle wie das Erlangen eines neuen Selbstbewusstseins nach einer langen Zeit des Gefühls der Minderwertigkeit und Abhängigkeit vom Mutterland. Dem Wunsch nach anerkannter Mitgliedschaft in der frankophonen Sprach- und Kulturgemeinschaft wurde Ausdruck verliehen. Dem Besuch Charles de Gaulles 1967 kommt bis heute große Bedeutung zu, wenn sein legendärer Ausruf "Vive le Québec libre" auch umstritten ist.

Schlagwörter aus dieser Zeit waren "le réformisme" und "le nationalisme".

Es ging neben einer Annäherung auch darum, die soziale und wirtschaftliche Vorherrschaft des Englischen zu brechen und die Unabhängigkeit des kanadischen vom hexagonalen Französisch zu demonstrieren. Dabei distanzierte sich Quebec vom französischen System und rechtfertigte eine autonome Sprache

Elmar Schafroth22 erläutert dazu folgende Beobachtungen:

Die Empfehlungen des OLF seien in großem Umfang in den Sprachgebrauch eingegangen.

Die Rolle des Staates als Sprachnormierungsinstitution sei in Quebec ein anderer als in Frankreich, das ist historisch begründet. Seit der Stillen Revolution seien sprachliche Fragen in der Quebecer Öffentlichkeit heftig diskutiert worden.

In Quebec herrsche eine große feministische Bewegung, erheblicher und einflussreicher als in Frankreich.

Das erstarkte Selbstbewusstsein Quebecs erlaube es, Sprache auch ohne Rückversicherung aus Frankreich zu normieren.

Bildungen auf - eure entwickelten sich rasch, da das addierte -e im kanadischen Französisch auch phonetisch realisiert werde.

Außerdem führe die geringere ideologische Beladung der Formen zu einer größeren Akzeptanz in der Öffentlichkeit.

In Frankreich existiere eine vergleichsweise geringe Breitenwirkung des Themas. Stellungnahmen zu sprachlichen Problemen erschienen als vage Formulierungen, als lückenhafte Vorschläge. Eine geringe Resonanz in der Öffentlichkeit sei die logische Folge. Es komme zu einem verstärkten Gebrauch des Maskulinem und damit verbundene Formen wie femme + Nomen.

In Frankreich obliegt der Sprache ein anderer Status. Sie ist Teil der "exéption française" und bedient einen wichtigen Bereich bei der Repräsentation der französischen Gesellschaft. Französisch ist hier alleinherrschende Nationalsprache. Daraus erwächst ein ungeheures Schutzbedürfnis gegenüber der Sprache und Misstrauen gegenüber Forderungen, die historisch gewachsene sprachliche Traditionen hinterfragen.

Diese größere Ablehnung gegenüber Veränderungen der Sprache erschwert den Kampf um Neuerungen, wie den der Frauen, die geschlechtsspezifische Berufsbezeichnungen fordern.

Zu Quebec möchte ich zu diesem Punkt zusammenfassend aus einer Veröffentlichung Ontarios zitieren:

"Le Canada se trouve à l'avant garde de l'ensemble de la francophonie en matière de féminisation des titres et d'élimination du sexisme dans la langue. Cela veut dire qu'il va de l'avant, contredisant parfois la grammaire qui ne suit pas le courant. Les termes crées et les procédés stylistiques proposés ne se retrouvent pas toujours dans les dictionnaires et les ouvrages de référence."23

7. Die neuen Berufsbezeichnungen in der Praxis

Anfang der 80er Jahre kam es zu einem regelrechten "Boom" der neuen femininen Berufsbezeichnungen. Eine größere Toleranz, Offenheit und Reformbereitschaft gegenüber Sprache und kommunikativen Bedürfnissen, besonders in den ersten Jahren nach der Stillen Revolution sind die Ursachen. Formulare, Firmenadressbücher, Stellenangebote u.s.w. wurden kategorischen Prüfungen unterzogen und die neuen Bezeichnungen eingeführt. Gewerkschaften zeigten sich bei der Feminisierung ihrer Stellenangebote am innovativsten.

Journalistinnen verwandten die neuen Formen schon vor dieser Reformierungsphase und wurden dafür häufig kritisiert und ihre Beiträge einer Korrektur unterzogen.

Auch in Frankreich sind die meisten Vorbehalte in den Hintergrund getreten. Selbst in der Assemblée Nationale gehören feminine Berufsbezeichnungen inzwischen zum "guten Ton".

In diesem Zusammenhang tritt jedoch noch ein anderes Phänomen zutage:

Die Terminologiereform stößt bei vielen Frauen besonders in prestigeträchtigen Berufen, wie Politik, Rechtswesen und Verwaltung auf Widerstand. Viele wollen keine Geschlechtsspezifizierung durch eine gesonderte Bezeichnung.

So ließ selbst Georgina Dufoix, zu ihrer Zeit französische Ministerin für nationale Solidarität und soziale Angelegenheiten, verlauten: " Je trouve que Madame le ministre est le plus beau titre qui existe."24

Ursache ist die Befürchtung einer pejorativen Bewertung ihrer Tätigkeit, die durchaus begründet erscheint. So wurden manche, inzwischen vitale Formen früher scherzhaft oder ablehnend gebraucht, wie z.B. l'avocate. Außerdem werden feminine Bildungen auf -esse in einschlägiger französischer Literatur noch immer als "bas et vulgaire" bezeichnet.

Aus diesen Vorbehalten gegenüber den neuen Formen resultiert der Umstand, dass die Feminisierung bei niedriggestellteren Berufen inzwischen weiter verbreitet ist als bei Berufen, die mit höherem Ansehen, mit Verantwortung und besserer Bezahlung verbunden sind.

Die französische Académie française unterstützt im übrigen diese negative Haltung gegenüber vielen femininen Titeln und verweist auf die Neutralität und die übergeschlechtliche Funktion des Maskulinen. Sie betont, dass Genus und Sexus nicht zwingend übereinstimmen müssen, gibt es doch auch Bezeichnungen von äußerlich femininer Form, die aber vornehmlich männliche Berufsbilder beschreiben wie la recrue, la sentinelle, une vedette.

Alternativ empfiehlt die Académie eine Unterscheidung zwischen "genre non marqué" als Umschreibung für die maskulinen und "genre marqué" als Bezeichnung für die femininen Formen. In Beiträgen zum Thema wird der Befürchtung Ausdruck gegeben, dass eine kategorische Feminisierung unter Verkennung linguistischer Tatsachen zu neuer Geschlechtertrennung führen könnte.

In seinem Beitrag zum Thema, "Docteure, docteuse, doctoresse?"25 untersucht der Autor Paul Fischer einen, meiner Meinung nach essentiellen Aspekt der ganzen Diskussion, nämlich wie und in wie weit die neuen Berufsbezeichnungen, die in einem langen Prozess entwickelt und debattiert worden sind, im Alltag angewandt werden. Denn letztendlich ist nur das von Bedeutung und hat nur Fortbestand, was auch in der Praxis funktioniert.

Da unterscheidet Fischer zwei Haupttendenzen:

Im français populaire wird die Femininform durch Analogie aus der Maskulinform gebildet.

Im français officiel herrscht der Gebrauch der Maskulinform noch vor, da kein Nachdruck auf das Geschlecht, sondern vielmehr auf Funktion oder rechtliche Eigenschaften der ausführenden Person gelegt wird.

Fischer erklärt zwei verschiedene Untersuchungs- ("Enquête) Methoden zur Überprüfung der Haltung der Sprecher gegenüber den neuen Bezeichnungen und deren Anwendungsbereitschaft:

Zum ersten erwähnt er die Enqu ê te de production, wobei eine Bestandsaufnahme bereits verwendeter Bezeichnungen gemacht wird. Zum zweiten nennt Fischer die enqu ê te d'attitude, bei der es sich um metasprachliche Umfragen handelt, die virtuelle (wie docteure, docteuse) oder schon vitale Formen (wie doctoresse, poétesse) auf ihre Verwendbarkeit im Sprachgebrauch hin testen.

Der Autor des Artikels „Feminine Berufsbezeichnungen in Kanada und Frankreich“ Elmar Schafroth vergleicht das Phänomen in Frankreich und Quebec.

Ein Teil seines Beitrages widmet sich der praktischen Anwendung der femininen Berufsbezeichnungen im Alltag beider Sprachgemeinschaften. Dazu hat er französischen und frankokanadischen Sprechern unabhängig voneinander Fragebögen zum Thema vorgelegt.

Ich möchte diese Umfrage hier kurz vorstellen, weil ich glaube, dass die Ergebnisse sehr repräsentativ sind für die unterschiedliche Art des Umgangs mit der Problematik. Ich habe einige besonders relevante Fragen ausgewählt. In tabellarischer Form lassen sich die Unterschiede in der Beantwortung schnell erfassen (besonders relevante Unterschiede sind gekennzeichnet):

Anmerkung: „+“ bedeutet „d’accord“

„-„ bedeutet „en désaccord“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Antworten auf diese Fragen geben nicht nur Aufschluss über eine grundsätzliche Haltung gegenüber femininen Berufsbezeichnungen, sondern auch über die Konnotation spezieller Formulierungen.

Deutlich wird, dass eine grundsätzliche Befürwortung der spezifischen Berufsbezeichnungen sowohl in Frankreich, als auch in Quebec herrscht. Nur 25% der befragten Franzosen sprechen sich dagegen aus, 25% sind es auch in Quebec.

Sichtbar ist allerdings, dass in Frankreich eine größere Skepsis gegenüber femininer Titel besteht. Das französische Mutterland zeigt ein größeres Festhalten an sprachlichen Normen und grammatischem Regelwerk (Frage 8). Scheinbar ist der Mut zu Neubildungen, mögen sie auch gewagt und ungewöhnlich erscheinen, in Quebec stärker ausgeprägt (Fragen 5 und 9). So kämen sich nur 15% der befragten Quebecer lächerlich vor, ungebräuchliche Formen zu verwenden, gegenüber 37% der befragten Franzosen.

Quebec zeigt einen lockereren Umgang damit, eine größere Bereitschaft zu Neubildungen, eine grundsätzlich offenere Haltung gegenüber femininen Berufsbezeichnungen.

Frankreich hält eher fest an Normen und bewertet das Maskuline und damit verbundene Bildungen als die gelungeneren Alternativen. In 6 und 7 zeigt sich eine französische Befürwortung von Bildungen, die mit weniger Veränderungen einhergehen und die in der Basis das maskuline Nomen beibehalten, wie z.B. „ Madame le ministre “ oder „ femme-écrivain “.

Schafroth untersuchte auch Wörterbücher nach Einträgen von neuen femininen Berufsbezeichnungen und stellte dabei folgendes fest:

Die meisten Wörterbücher geben nur das maskuline Genus an und schließen die femininen Formen dabei von vornherein aus.

Jedoch orientieren sich die meisten Wörterbücher am tatsächlichen Sprachgebrauch.

Außerdem untersuchte Schafroth auch einige Quebecer und französische Zeitungen und Zeitschriften:

Bei sozial höher bewerteten Berufen tritt so gut wie gar kein Gebrauch femininer Bezeichnungen auf, z.T. erkannte S. sogar bewusst ablehnende Haltungen denen gegenüber. Bei sozial niedriger bewerteten Tätigkeiten fanden sich jedoch auch Formen wie femmes soldats.

Quebecer Zeitungen bedienen sich laut Schafroth vieler unterschiedlicher Bezeichnungen (la ministre, la secrètaire, la mairesse, la députée).

In Stellenangeboten in Le monde fand ich folgende interessante Vorgehensweise, um dem Vorwurf der Diskriminierung zu entgehen:

Bei Stellen in Frankreich fand sich häufig der Zusatz H/F oder eine Umschreibung durch Ziffern zur Umgehung von Artikeln wie bei 1 journaliste santéet 1 mèdecin.

Oder man entschied sich für das unverfängliche candidat(e).

Deutlich werden die Unterschiede, wenn Firmen aus dem frankophonen Ausland inserieren - dann finden sich auch Formen wie professeur-e.

8. Fazit

Das Thema um die Feminisierung von Berufsbezeichnungen gestaltet sich kontroverser, als man auf den ersten Blick vermuten möchte.

Nicht nur grammatische Normen reiben sich mit den gewünschten Änderungen an der Sprache. Soziale und ökonomische Aspekte tangierend, wird das Problem gesellschaftsumfassend.

Im frankophonen Kanada werden die gleichen Kämpfe wie in Frankreich zur Durchsetzung der Forderungen ausgefochten; augenscheinlich ist die Resonanz in der Öffentlichkeit, verbunden mit größerer Offenheit und Veränderungsbereitschaft im nordamerikanischen Staat erheblicher als im europäischen Mutterland.

Bei der Untersuchung dieses Themas wird deutlich, welche Kraft Sprache besitzt - sie kategorisiert, klassifiziert, grenzt ein (und aus); wie wir etwas nennen, entscheidet mitunter über seine Akzeptanz und damit über seine Lebensumstände (sprich: Lebensqualität) - ein soziolinguistischer Aspekt, über den nachzudenken und -zu forschen interessant und lohnenswert wäre. (Berufsbezeichnungen bedienen da eher noch banalere Facetten des Phänomens, denken wir an sprachliche Klassifizierungen von Menschen(gruppen) im politischen Kontext.)

Das Thema ist jedenfalls nicht ausdiskutiert und es bleibt abzuwarten, in welchem Maße die (feministischen) Forderungen nach einer weiteren Feminisierung von Bezeichnungen berücksichtigt werden, inwiefern überhaupt die französische Sprache, sei es in Kanada oder in Europa, Prüfungen unterzogen und feminisiert wird.

Vielleicht sollte man es mit Humor nehmen bei der Frage, inwieweit diese Diskussionen ihren Sinn haben und noch realistisch sind. So fragt F. Guenette in einem Artikel: „Parlez- vous française?“ und überträgt die Diskussion damit , auf die gesamte französische Sprache - „Quelle heure est-elle? ... Elle ne pleut pas aujourd’hui!...“26

S. Lotbinière- Harwood schrieb: "S'inscrire dans le langage c'est prendre sa place dans le monde."27 - und bringt damit das Hauptanliegen der Fordernden auf den Punkt.

Das alles verdeutlicht jedoch, dass auch Sprache beweglich bleiben muss in einer sich bewegenden Welt. Ingeborg Bachmann formulierte es so: „Keine neue Welt ohne neue Sprache.“28 Das Umgekehrte bestätigt das: Eine rigide, verfestigte Sprache bremst die Entwicklung einer Gesellschaft, ja einer Kultur, Sprache muss die sich ändernde Welt begleiten.

Verzeichnis der verwendeten Quellen

CHRISTADLER, Marieluise / HERVÉ, Florence: Bewegte Jahre- Frankreichs Frauen. Düsseldorf. 1994.

EICHELBERGER, Ursula (Hg.): Zitatenlexikon. Leipzig. 1983.

FISCHER, Paul: "Docteure, docteuse, doctoresse?". In: Lebende Sprachen, 3, 1995. Berlin. 1995.

GLADISCHEFSKI, Anke/ LIEBER, Maria Gesina: La féminisation des noms de métier et des titres au Canada francophone: une comparaison avec la France, la Suisse et la Belgique. In: Québec : Société et Cultures. Les enjeux identitaire d'une francophonie lointaine. Dresden. 1998. S. 275- 292.

HOERKENS, Waltraud: Die Renaissance der französischen Sprache in Québec. Bonn.1998.

HOLTUS, Günter/ METZELTIN, Michael/ Schmitt, Christian (Hg.): Lexikon der Romanistischen Linguistik. Tübingen. 1988.

KOLBOOM, Ingo/ LIEBER, Maria/ REICHEL, Edward (Hg.): Le Quebec : Société et Cultures. Dresden. 1998.

KRAUSE, Sabine (Zusammenstellung): Lectures: Formation des mots en français moderne. Dossier zum Seminar "Wortbildung im Französischen der Gegenwart". Sommersemester 2000. Institut für Romanistik. Universität Leipzig. 2000

SCHAFROTH, Elmar: "Feminine Berufsbezeichnungen in Kanada und Frankreich". In: Zeitschrift für Kanada- Studien, 12, 1992.

WIENECKE, Susanne: Der Staat aus feministischer Sicht. Zur Diskussion in Kanada. In: Geschlechterrollen in Kanada. Zeitschrift für Kanada-Studien, 2/1992, Band 22.

http:// viandrina.euv-frankfurt-o.de (Linguistik online 1, 1/98). (Stand: 11.9.2000)

[...]


1 In der Literatur findet sich für das europäische Französisch manchmal der Ausdruck "hexagonales Französisch".

2 therme épicène = morphologisch geschlechtsneutrale Nomina.

3 nach Schafroth besitzt die Endung -euse gelegentlich pejorativen Charakter, worauf französische Regelwerke nicht hinweisen (Schafroth, S.113).

4 Christine de Pizan: Die Stadt der Frauen. Nach: Frauenkalender 2000.

5 B. Groult : Un crime de lèse- masculin. In : Lectures : "Formation des mots" zum Seminar " Wortbildung ", SS 2000. S.25b.

6 Heinrich Mann: Der Weg der deutschen Arbeiter. zitiert nach: Zitatenlexikon S. 724.

7 Ch. Bally, zit. nach P. Fischer, S. 22.

8 zitiert nach: Frauenkalender 2000.Köln 1999.

9 Ontario 1994. S.3.

10 Québec 1991. S. 6 et 9.

11 Office de la langue française, Quebec. 1991.

12 Diréction de la condition générale féminine de l'Ontario, 1994.

13 Professor K. Bochmann : Sprachkultur bezeichnet Normkorrekturen an etablierten Standartsprachen ... (sie entstehen aus kommunikativen Bedürfnissen einer Gesellschaft heraus. K.H.) Bochmann 1993, S. 39. zitiert nach: Gladischefski/Lieber, S. 278.

14 Bochmann 1993, S. 10/11, 16 und 40. zitiert nach: Gladischefski/Lieber, S. 276.

15 dst. "Wegbereiter", "Bahnbrecher".

16 L. Lapostolle: Pas ridicules les précieuses. In: Lectures: "Formation des mots". S.26.

17 Gladischefski/ Lieber. Dresden 1998. In: Kolboom/Lieber/Reichel. S.275-292. Dresden 1998.

18 Gladischefski/Lieber. S.276.

19 Erlassen 1994 zum Schutz der französischen Sprache vor Anglizismen, benannt nach dem damaligen Bildungsminister Jacques Toubon.

20 Kleineidam. zitiert nach Gladischfski/Lieber. S.275.

21 Gladischefski/Lieber. S.276.

22 Schafroth.1992.

23 Ontario 1994, S. 5.

24 zit. nach P. Fischer. S. 22.

25 P.Fischer. 1985.

26 Guénette, F.: Parlez- vous française?., in: Lectures: Formation des mots en francais modernes, S.21.

27 Lotbinière-Harwood: La grammaire intèrieure. In: Lectures:"Formation des mots". S. 29.

28 I. Bachmann: Das dreißigste Jahr. zit. nach: Zitatenlexikon. S. 721.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Feminisierung von Berufsbezeichnungen im frankophonen Kanada
Autor
Jahr
2000
Seiten
18
Katalognummer
V98980
ISBN (eBook)
9783638974301
Dateigröße
635 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Feminisierung, Berufsbezeichnungen, Kanada
Arbeit zitieren
Katharina Horn (Autor:in), 2000, Die Feminisierung von Berufsbezeichnungen im frankophonen Kanada, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98980

Kommentare

  • Gast am 15.7.2002

    Bewertung und Anfrage.

    Liebe Katharina,

    mir gefällt die differenzierte Betrachtung einzelner Themenbereiche und Deine Offenheit für verschiedene Blickwinkel.

    Desweiteren würde ich gerne mehr über den Autor "Elmar Schafroth" erfahren. Vielleicht sind noch weitere Informationen über Literatur, Lehrstuhl, etc. zu erhalten ?

    Viele Grüße, Sonja

Blick ins Buch
Titel: Die Feminisierung von Berufsbezeichnungen im frankophonen Kanada



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