Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Methodologische und gesellschaftstheoretische Grundlagen
3. Freundschaft, Liebe und Familie als Fundament verwirklichter Freiheit
4. Fazit - Kritische Würdigung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Eine der größten Beschränkungen, an der die politische Philosophie heute leidet, ist die Abkoppelung von der Gesellschaftsanalyse und damit die Fixierung auf rein normative Prinzipien“ (Honneth 2015: 14). Mit dieser klar formulierten Diagnose leitet Axel Honneth sein 2011 erschienenes Werk „Das Recht der Freiheit. Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit“ ein. Im Gegensatz zu der 1971 erschienenen Gerechtigkeitstheorie von John Rawls, versucht sich Honneth an einer neohegelianischen Freiheitstheorie, die den Begriff der „individuellen Freiheit“ als einen durch und in ihren Institutionen verwirklichten Freiheitsbegriff in den Fokus rücken soll. Honneth möchte hier keine Prinzipien oder hypothetischen Verträge diskutieren, sondern durch die von ihm gewählte Methode der „normativen Rekonstruktion“, die innerhalb von Institutionen inhärenten Prinzipien offenlegen, um zugleich Ansätze zur Kritik der bestehenden sozialen Welt zu schaffen. In der vorliegenden Arbeit beschäftige ich mich mit der Methodik, mittels der Honneth zu seiner Einschätzung gelangt, dass die Sphäre persönlicher Beziehungen das Fundament verwirklichter sozialer Freiheit darstellt. Ziel ist, die seiner Monographie zugrundeliegenden Prämissen darzustellen und seine Vorgehensweise nachzuzeichnen. Im Hinblick auf den mir für diese Seminararbeit zur Verfügung stehenden Rahmen, werde ich mich auf seine Methodik und die Sphäre der persönlichen Beziehungen beschränken. Seine Kritik an den institutionalisierten Formen der negativen bzw. reflexiven Freiheit, sowie die normative Rekonstruktion der Sphären des marktwirtschaftlichen Handelns und der demokratischen Willensbildung würden den Rahmen dieser Arbeit überschreiten.
In Kapitel 2 soll zunächst sein Werkzeug näher beleuchtet und der Honneth’sche Begriff der „sozialen Freiheit“ dargelegt werden. Dieses Vorgehen erscheint deshalb als sinnvoll, weil eine Klärung des Anwendungsbereiches sowie eine genaue defmitorische Abgrenzung der Freiheitsbegriffe unentbehrlich erscheint. Die Funktion dieses Kapitels ist, einen Überblick über Honneths grundlegende Methodik zu geben und hat insofern einführenden Charakter. Das drauf folgende Kapitel 3 beschäftigt sich dann konkret mit der Sphäre persönlicher Beziehungen und wie Honneth die soziale Freiheit grundlegend in ihr verwirklicht sieht, um in Kapitel 4 die Seminararbeit mit einer kritischen Würdigung abzuschließen.
2. Methodologische und gesellschaftstheoretische Grundlagen
In diesem Kapitel sollen zunächst Honneths grundlegende Überlegungen von einer „Gerechtigkeitstheorie als Gesellschaftsanalyse“ dargelegt werden. Dabei werde ich zunächst seine vier Prämissen näher beleuchten, durch die er zur Ansicht gelangt, dass sich alle Werte innerhalb einer Gesellschaft unter den Wert der Freiheit subsumieren lassen, um anschließend auf seine Differenzierung der Freiheitskonzeptionen sowie auf den Begriff der „normativen Rekonstruktion“ näher einzugehen.
2.1 Die vier Prämissen
Honneth zufolge stellt der Wert der Freiheit im Sinne der „Autonomie des Einzelnen“ den elementarsten Wert einer Gesellschaft dar, unter den sich alle weiteren subsumieren lassen. Dieser Leitidee liegen vier Prämissen zugrunde welche auch zugleich seine Vorgehensweise skizzieren. Die erste Prämisse setzt voraus, dass die Reproduktion von Gesellschaften bis heute an die Bedingung einer gemeinsamen Orientierung an tragenden Idealen und Werten gebunden ist (Honneth 2015: 18). Diese Normen, nach Talcott Parsons auch „ultimate values“ genannt, haben zwei Funktionen (Parsons 1975: 22). Sie legen fest, welche Entwicklungen innerhalb einer Gesellschaft überhaupt als vorstellbar gelten können und woran sich der Lebensweg des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft auszurichten hat (Honneth 2015: 18). Jedes in der Gesellschaft lebende Subjekt unterliege dieser „transzendentalen Voraussetzung“ des Zwangs zur normativen Integration (Honneth 2015: 19). Unabhängig von Kultur, Ethnizität oder Religion. Mit dieser Idee geht nun die zweite Prämisse einher, welche besagt, dass die wichtigsten Werte zugleich Reproduktionsfaktoren der Gesellschaft darstellen und eine Theorie der Gerechtigkeit nur diejenigen Ideale und Werte heranziehen darf, die diese Voraussetzung erfüllen (Honneth 2015: 20). Praktiken und Institutionen können somit nur als gerecht gelten, wenn sie ihren Wertekanon auf Grundlage des Leitwertes der Freiheit verwirklichen. Um nun herausarbeiten zu können, welche Werte das Fortbestehen der Gesellschaft sicherstellen und inwiefern diese Werte in bereits existierenden Institutionen vorhanden sind, bedarf es nun drittens der „normativen Rekonstruktion“. Das bedeutet das historischen Nachzeichnen der Werteevolution innerhalb gesellschaftlicher Praktiken und Institutionen. Die vorhandenen Werte sollen auf ihre normative Leistungsfähigkeit untersucht werden, um festzustellen, wie sehr sie für die gesellschaftliche Ordnung von Bedeutung sind. Die vierte Prämisse stellt die These auf, dass eben dieses Verfahren der „normativen Rekonstruktion“ stets auch die Chance einer kritischen Anwendung bieten kann (Honneth 2015: 28). Es bestünde dann die Möglichkeit, Entwicklungspotentiale innerhalb existierender Praktiken und Institutionen aufzeigen zu können, die das allgemeine Wertekonstrukt besser verwirklichen würden (Honneth 2015: 27).
2.2 Drei Konzeptionen von Freiheit
Bevor Honneth innerhalb sozialer Sphären nach der Verkörperung des Allgemeinen Werts individueller Freiheit suchen kann, soll dargelegt werden, zwischen welchen Freiheitsverständnissen unterschieden werden muss. Im Rahmen seiner historischen Vergegenwärtigung beleuchtet Honneth drei Freiheitskonzepte der modernen Philosophie und differenziert diese.
Die negative Freiheit
Bei der Darstellung des negativen Freiheitskonzeptes bezieht sich Honneth auf die von Hobbes geprägte Definition (Hobbes 1984: 163). Demnach bestehe die Freiheit allein aus der Abwesenheit äußerer Wiederstände. Äußere Widerstände, sind somit Beschränkungen, die den natürlichen Körper an seiner Bewegung hindern können (Honneth 2015: 44). Innere Hemmnisse, so beschreibt Honneth weiter, dürfen demnach nicht als Einschränkung von Freiheit begriffen werden, weil sie den individuellen Dispositionen angehören und daher nur selbstverursacht sein können (Honneth 2015: 44). Diese sehr naturalistische Definition von Freiheit wird von Hobbes allerdings noch ergänzt, da ein Mensch mit seinem eigenen „Willen“ nicht mit einem bloßen Körper vergleichbar ist. Die Freiheit des Menschen besteht dementsprechend darin, von äußeren Widerständen befreit die selbstgesetzten Ziele realisieren zu können. Im Wortlaut Hobbes ist somit ein freier Mensch „wer nicht daran gehindert ist, Dinge, die er auf Grund seiner Stärke und seines Verstandes tun kann, seinem Willen entsprechend auszuführen“ (Hobbes 1984: 202). Auch hier dürfen keine inneren Hemmnisse als Widerstand gelten, denn psychische Faktoren wie Angst, Willensschwäche oder mangelndes Selbstvertrauen können ebenfalls nur dem „individuellen Vermögen“ angelastet werden (Honneth 2015: 45). Damit das Subjekt nicht durch äußere Widerstände daran gehindert werden kann, seine Handlungen durchzuführen, muss der Staat einen geschützten Raum bereitstellen, in dem das Subjekt diesen Handlungen nachgehen kann. An dieser von Hobbes geprägten Freiheitskonzeption bestanstandet Honneth, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht als Urheber ihrer eigenen Rechtsgrundsätze gelten würden, „denn es fehle ein höherstufiger Gesichtspunkt, von dem aus ein Interesse an der Kooperation mit anderen besteht (Regner 2014: 3).
Die reflexive Freiheit
Während die negative Freiheit das freie Belieben ohne äußerliche Einschränkungen beschreibt, setzt das reflexive Freiheitskonzept bei der Beziehung des Subjektes zu sich selber an. „Ihr zufolge ist dasjenige Individuum frei, dem es gelingt, sich auf sich selbst in der Weise zu beziehen, dass es sich in seinem Handeln nur von eigenen Absichten leiten lässt“ (Honneth 2015: 59). Durch die Fülle an Interpretationsmöglichkeiten, auf die Honneth auch bei seinen Ausführungen hinweist, ist es wichtig, den Kern dieser Freiheitskonzeption herauszuarbeiten. Reflexives Handeln beschreibt demnach die Fähigkeit zum autonomen Handeln. „Entweder im Sinne eines selbstauferlegten moralischen Gesetzes, oder in Sinne der Suche nach dem eigenen, authentischen, Selbst“ (Busen et al. 2012: 248).
Die soziale Freiheit
Als letzte und für Honneth zugleich zentrale Freiheitskonzeption, wird die „soziale Freiheit“ aufgeführt. Diese unterscheidet sich von den beiden anderen Konzeptionen durch die Tatsache, dass sie nicht nur abstrakte Prinzipien als Bestandteil ihres Freiheitsverständnisses sieht, sondern auch soziale Institutionen. „“Sozial“ an dieser neuen, diskurstheoretischen Auffassung von Freiheit ist der Umstand, dass eine bestimmte Institution der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr als bloßes Additiv gesehen wird, sondern als Medium und Vollzugsbedingung“ (Honneth 2015: 81). Das Subjekt kann somit nur eine Leistung erbringen, wenn es kooperativ mit anderen Subjekten die gleiche Leistung zu vollziehen versucht. Soziale Freiheit wird somit dann erreicht, wenn sich die Subjekte untereinander anerkennen und sie sich frei von Heteronomie und Zwang in der Realisierung ihrer Freiheit unterstützen können. Nach Hegel wird die soziale Freiheit als ein „Bei-sich-selbst-Sein im Anderen“ verstanden (Honneth 2015: 85). Ein gerechtigkeitstheoretischer Ansatz besteht hierbei in der Beschreibung ethischer Institutionen, um zu verstehen, wie die sozialen Prinzipien von Freiheit sich in der konkreten Realität verwirklichen (Busen et al 2012: 248).
2.3 Hegels Begriff der Sittlichkeit und die normative Rekonstruktion
Trotz der Tatsache, dass sowohl das negative als auch das reflexive Freiheitskonzept die Autonomie des einzelnen zu schützen versucht, bedarf es der Einbettung in soziale Strukturen. Innerhalb dieser Strukturen hat etwas als „gerecht“ zu gelten, „was den Schutz, die Förderung oder die Verwirklichung der Autonomie aller Gesellschaftsmitglieder gewährleistet“ (Honneth 2015: 40). Somit sind institutioneile Komplexe als gerecht anzusehen, wenn sie wechselseitige und systemische Anerkennung gewährleisten (Sörensen 2011: 1). Honneth nennt dies die „Chance zur Partizipation an Anerkennungssituationen“ (Honneth 2015: 115). Die Strukturen zur Gewährleistung dieser Anerkennung versucht Hegel unter dem Begriff der Sittlichkeit zusammenzufassen. Honneth nimmt sich dem an und spricht Hegel Aktualität zu. Die Eingebundenheit in soziale Strukturen stellt somit eine absolute Grundvoraussetzung dar, was eine „Umkehrung des Verhältnisses von Sozialordnung und legitimationssichemder Prozedur“ (Honneth 2015: 109) zur Folge hat, da erst in Abhängigkeit von der Existenz solcher Institutionen die Freiheit des Subjektes verwirklicht werden kann. Für das Hegelsche Bestreben, die „sittlichen Verhältnisse“ in der neuen Zeit offenzulegen heißt das, „dass er die allgemeinen, von den Individuen nur gemeinsam und in Wechselseitigkeit erreichbaren Zwecke zu identifizieren hat, um Ihnen dann reale Institutionenkomplexe - in denen diese bereits (teilweise) verwirklicht sind - zuordnen zu können“ (Sörensen 2011: 1).
[...]