Die Grenzen der Täuschung bei René Descartes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

12 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Einleitung

René Descartes zählt sicherlich zu den einflussreichsten Philosophen der Neuzeit. Neben seinen berühmt gewordenen „kartesischen Koordinaten“ aus der Mathematik wird insbesondere sein substanzdualistisches Denken1 in der Philosophie als epochal empfunden.

Diese Arbeit befasst sich mit der philosophischen Bedeutung seines Hauptwerks, der „Meditationen über die erste Philosophie“, und erläutert eine berühmt gewordene Figur, die Descartes zur Illustration seines Vorhabens nutzt, nämlich den boshaften Genius, der gleich einem übermächtigen Dämon perfekte Illusionen, Täuschungen, Irrungen erschafft. Im Anschluss an die funktionale Analyse der Aufgabe dieser Figur will die Arbeit die Ergebnisse dieses methodischen Zweifels beleuchten. Descartes baut sein Denkgebäude geometrisch traditionell vom Grundlegenden hin zum allgemein Disputierten2, also wird die Arbeit auch die folgenden Schritte, für Descartes unmittelbar logisch folgende Konklusionen, betrachten. Es ist dabei unumgänglich, zum Teil sehr ausführliche Argumente in recht kompakter Form zusammen zu fassen.

Der radikale methodische Zweifel führt Descartes zu einer der berühmtesten Sentenzen der Philosophie: „Ich denke, also bin ich!“3 Dieser Satz wird Grundlage der kartesischen Philosophie, quasi sein Fundament. Es soll eine sichere Grundlage für seine weitergehenden Thesen sein, nämlich dass es Wahrheit gibt und diese erkennbar sei, wie in Kapitel 4 ausgeführt wird. Kapitel 5 zeigt präziser, wie Descartes Metaphysik fundiert und expliziert. Das sechste Kapitel zieht ein kurzes Fazit und wagt einen Blick in die „metaphysische Nachbarschaft“ des Rationalismus, inwiefern Leibniz der Herausforderung erkenntnistheoretischer Skepsis begegnet. Auch bei diesem Denker muss ich mich für die dem Format geschuldete Kompaktheit der Darstellung „entschuldigen“.

2. Der Täuscher als methodischer Zweifel zur Prüfung einer ersten Philosophie

Der junge Descartes befindet sich in schwermütiger Stimmung in einem Feldlager, als er, kränkelnd und bettlägerig und im Fieber, bemerkt, dass sich ihm bislang gewiss erscheinende „Wahrheiten“ nicht mehr so leicht durch den Kopf gehen, da er nun in Kälte, Unsicherheit und eventuell den Kampf um seine Gesundheit verlierend nachgrübelt. Er vertieft sich in diesen Gedanken und beschließt, aus dem Gefühl der Unsicherheit ein philosophisches Projekt zu beginnen, an dessen Ende nicht weniger stehen soll, als ein brandneues Fundament für eine „erste Philosophie“ (Descartes, 2009, S.1), die zwar nicht zeitlich allen anderen Philosophien vorangehen kann, dafür aber, so hofft Descartes, eine unzweifelhafte Grundlage, einen sicheren Startplatz von dem aus überhaupt solide philosophiert werden könne, ihr Eigen nennen darf.

Zu diesem Zwecke beschließt Descartes, alles Bezweifelbare, alles Hörensagen, alle Lehrmeinung, schlicht alles, was ihm bislang zugetragen ward, zumindest vorerst für unwahr zu halten und abzulehnen. Um in seinem Ansinnen nicht inkonsequent zu werden, erfindet er eine Art Wächter der konsequenten Kritik: den „boshaften Genius“ (Descartes, 2009, S.24). Diese Figur, so stellt es Descartes sich vor, täusche ihn in jedem Sachverhalte insofern, als sie ihn genau das Gegenteil dessen annehmen ließe, welches tatsächlich der Fall wäre. So täusche dieser Täuscher unsere Sinne, lasse uns schlechten Ratgebern lauschen und uns in die Irre denken.

Dieser Täuscher ist aber, man kann es nicht genug betonen, kein Instrument eines radikalen Skeptikers, der mithilfe dieser immensen skeptischen Figur eine unüberwindbare, beinahe selbst dogmatische, pyrrhonische Skepsis in Stellung bringen möchte, sondern ein methodischer Zweifel. Es ist die Methode des Descartes, diese Skepsis als Brennglas zu nutzen: alles, was der Zersetzung durch eine so radikal durchgeführte Skepsis widerstehen kann, glänzt umso heller, kann es doch beanspruchen, sich gegen einen bis dato schier unüberwindlichen Gegner durchgesetzt zu haben. Es gibt allerdings, das darf nicht unerwähnt bleiben, auch einige Denker, die Descartes ein methodisches Wirken absprechen. In der Einleitung von „Descartes and Method“ erwähnen Flage/Bonnen4, dass bereits Leibniz infrage stellte, ob Descartes die wahre Methode besessen habe und/oder sie nicht an seine Anhänger weiter gegeben habe. In den 1990er Jahren zogen auch Schuster und Garber in unterschiedlicher Rigorosität methodisches Vorgehen in Zweifel (Flage/Bonnen, Descartes and Method, S.1).

3. Cogito ergo sum

Wie aber löst Descartes dieses Problem auf, dem Täuschergott eine Wahrheit abzutrotzen, über die dieser nicht zu täuschen vermag?

Die Antwort des Descartes lautet überraschend und kurz „cogito, ergo sum“. Zwar sei der Täuschergott sehr wohl in der Lage, ihn über die Inhalte seines Wahrnehmens, Denkens, Schließens, etc. zu hintergehen, jedoch kann es schlechterdings nicht sein, dass Descartes im Moment des Denkens über den Umstand, dass er sei, in Wirklichkeit nicht sei. Zwar lässt sich dieses Gedankenexperiment nur für die erste Person Singular durchführen, also quasi in einer autistisch-solipsistischen Blase, dort aber ist die Durchsetzungsfähigkeit gegen die Täuschung bestechend: Descartes weiß, dass es unmöglich ist, dass er nicht existiere, wenn er denkt, dass er sich täusche. Oder er denkt, dass er nicht existiere, er nicht exakt wahrnehme, etc. Zwar mag jeder Inhalt seines Denkens der malignen Einflüsse des übermächtigen Täuschers geschuldet sein, über das formale Faktum seiner Existenz kann es jedoch keine Zweifel geben. 5

Das „Cogito“, wie es kurz heißt, wird somit zum Grundstein der „ersten Philosophie“. Wie Descartes angekündigt hat, ist es unbezweifelbar und fällt somit nicht dem radikalen skeptischen Feuer anheim, sondern behauptet sich. Zwar wurden im Nachhinein mehrere Kritiken am Cogito laut, insbesondere Bertrand Russell erhob ein gewichtiges caveat als er die Geschichtlichkeit des „Ego“ betonte, es lerne ein jeder ja mit der Zeit und nicht in einem blitzartigen Augenblick, was es heißt, sich per Lautierung „Ich“ von der humanoiden Umwelt abzugrenzen. Dies ist zwar ohne Frage ein richtiger Einwand, allerdings zu dem recht hohen Preis, bei konsequenter Einhaltung dieser Kritik auch den Dualismus von Subjekt und Objekt auflösen zu müssen… alles in allem würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, diese Einwände in ihrem Facettenreichtum zu würdigen. Descartes hat allerdings ohnehin nicht vor, es beim bloßen Feststellen der eigenen Existenz bewenden zu lassen. Die pure Feststellung seiner Existenz (zumindest als denkende Substanz res cogitans) als gesichertes Faktum würde bei erster vorsichtiger Abschätzung lediglich zur Fundierung eines engen Solipsismus taugen, aber darüber hinaus keine weitere Aussage über die Welt ermöglichen. Also bemüht sich Descartes, analog zur Explikation des Cogito weitere Wahrheiten zu finden, die in punkto „Selbstevidenz“ und Unmittelbarkeit parallel zum Cogito zu betrachten und als ebenso wahr zu bewerten seien.

4. Analogieschlüsse aus Evidenz

Descartes kündigte bereits im Langtitel der Meditationen, unabhängig von der Ausgabe, an, dass es ihm nicht nur um das sichere Fundament einer neuen „ersten“ Philosophie geht, sondern um die „Existenz Gottes“ (Descartes, Meditationen, Meiner, S. 1). Das ist ein enormer Schritt: während bislang lediglich das Cogito dem skeptischen Feuer widersteht, bringt Descartes sein rationalistisches System, basierend auf der Existenz (des wohlwollenden) Gottes, in Stellung. Descartes bedient sich dabei der Vorgehensweise eines Mathematikers: nachdem er das Unmögliche, die Nichtexistenz seiner selbst, ausgeschlossen hat, schaut er, ob es ähnliche, analog angelegte Argumente gibt, die in gleicher Weise wie das Cogito Wahrheit beanspruchen können:

„Darauf erwog ich im Allgemeinen, was zur Wahrheit und Gewißheit eines Satzes gehört. Denn weil ich soeben einen gefunden hatte, den ich als wahr und gewiß erkannt, so meinte ich, müsse ich auch wissen, worin jene Gewißheit bestehe. Nun hatte ich bemerkt, dass es in dem Satze: > Ich denke, also bin ich < kein anderes Kriterium der Wahrheit gebe, als daß ich ganz klar einsehe, daß, um zu denken, man sein müsse. Darum meinte ich, als allgemeine Regel den Satz annehmen zu können, daß die Dinge, welche wir sehr klar und sehr deutlich begreifen, alle wahr sind.“ (Descartes, Meditationen, S.39-40) 6

[...]


1 ROZEMOND, Marleen: Descartes‘ Dualism. Cambridge, 1998. S.12 ff.

2 Siehe dazu CLAVIUS, Christopher: The Promotion of Mathematics, in: ARIEW, Roger/COTTINGHAM, John/SORELL, Tom (Eds.): Descartes‘ Meditations. Background source materials. Cambridge, 1998. S.24 ff.

3 DESCARTES, René: Meditationen. Hamburg, 2009. S.19 ff.

4 FLAGE, Daniel/BONNEN, Clarence: Descartes and Method. New York and London, 1999. S.1.

5 RUSSELL, Bertrand: Probleme der Philosophie. Hamburg, 1991. S.21 ff.

6 MUSGRAVE, Alan: Alltagswissen, Wissenschaft und Skeptizismus. Tübingen, 1993. S. 198 ff.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Die Grenzen der Täuschung bei René Descartes
Veranstaltung
Theoretische Philosophie
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
12
Katalognummer
V989942
ISBN (eBook)
9783346350015
Sprache
Deutsch
Schlagworte
grenzen, täuschung, rené, descartes
Arbeit zitieren
Adam Ladkani (Autor:in), 2018, Die Grenzen der Täuschung bei René Descartes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/989942

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