Die sukzessive Assimilation in "Blauvogel" (1979) als ideologisiertes Atheismus-Postulat


Hausarbeit, 2020

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Klassischer Western und DEFA-Indianerfilm - eine Gegenüberstellung

2. „Blauvogel“ - der englische Junge, der zum Irokesen wurde

3. Der Protagonist „zwischen den Stühlen“ (Figurenkonstellation/-cha- rakterisierung)

4. Zentrale discours-Aspekte (nach Genette 2010) in „Blauvogel“

5. Sujetlos/-haft - Die der zentralen These zugrunde liegende Analyse der semantischen Räume und ihrer Grenzen (vgl. Lotman)

6. Raumtilgung nach Abschluss der eigentlichen Handlung?

7. Sukzessive Assimilation in „Blauvogel“ als ideologisiertes Atheismus-Postulat

8. Fazit

9. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Klassischer Western und DEFA-Indianerfilm - eine Gegenüberstellung

Nahezu jeder TV- und Filmrezipient der letzten knapp 100 Jahre kann synekdochisch - mal detaillierter oder auch nur grob - umschreiben, was der „klassische“ Western ist, abbildet und thematisiert. Dieser „klassische“ Western als schier unsterbliches Genre soll nun anhand seiner wesentlichen Merkmale entschlüsselt werden, insofern diese Operation nicht plausibler als bloße Zusammenfasssung deklariert werden kann. Gleichzeitig wird dieses Paradigma dann mit der „Ostblock-Version“ verglichen. Der historische Hintergrund, auf dem nahezu jeder Western sein Weltmodell entwirft, bezieht sich laut Faulstich (2013) „[...] auf den Westen des nordamerikanischen Kontinents und im Kern auf die Zeitspanne von 1860 bis 1900.“(32) Lange (2007) bestätigt dieses Ergebnis, sie eröffnet dem Western allerdings einen größeren zeitlichen Rahmen (Unabhängigkeitserklärung 1776 bis nach dem Bürgerkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts; vgl. 96). Keiner der Autoren spannt allerdings einen für den im Anschluss zu analysierenden Film „Blauvogel“ (spielt im Jahre 1756) passenden Rahmen auf. „[. ] [D]er typische Topos der großen Freiheit [. ]“(ebd., 97), unter dem die Autorin die schon fast stereotype Dialektik (Gesetzlos - Gerecht, Gut - Böse, Prärie - Stadt, etc.) als zentrales Merkmal neben der authentischen Musik und vielen weiteren subsumiert, bildet ein zentrales Charakteristikum ab. Faulstich (2013) führt an, dass „der Wilde Westen für Bewegung, Veränderung, [...] den Eroberer [steht]“(35). Die eben behandelte Dialektik spiegelt sich allerdings auch im Bezug auf den sozialistischen „Western“ - wohl eher Indianerfilm - wider, da dieser die Zeitgeschichte aus oppositioneller Perspektive retrospektiert, indem er das Schicksal der Indianer in den Blick nimmt und die expansive „[...] Neuschöpfung eines naturnahen Lebens ohne Verzicht auf Kultur“(Lange 2007, 96) abwertet. Diese damit einhergehende Ideologisierung soll allerdings erst später und vor allem fokussierter beleuchtet werden.

2. „Blauvogel“ - der englische Junge, der zum Irokesen wurde

Besonders in „Blauvogel“ (1979), dem dieser Analyse zugrunde liegenden Film, sticht dieser divergente Blick besonders hervor. Der Film, der 1979 in der DDR unter der Federführung von Regisseur Ulrich Weiß als DEFA-Indianerfilm entstanden ist, führt dem Zuschauer über 92 Minuten Laufzeit den sukzessiven Wandel eines Jungen namens George Ruster vor, der von Indianern entführt wird und bei diesen heranwächst. Er spielt im Jahre 1756 und beginnt mit der Ankunft des Protagonisten George Ruster auf der Farm seines Vaters John (Pionier). Anschließend hilft George seinem Vater beim Roden des Waldes, um Ackerland zu schaffen, was er beim darauffolgenden Gespräch der Familie vor dem Haus ebenso wenig nachvollziehen kann, wie die von seiner Mutter vorgetragenen Bibel-Verse. Daran anknüpfend wird der Junge allerdings nach einem Gespräch mit seinem Vater auf dem an einen Wald angrenzenden Acker von Irokesen entführt, die ihn trotz seiner offensichtlichen äußeren und inneren Differenzen als Ersatz für den vestorbenen HäuptlingsSohn namens Blauvogel heranziehen wollen. Nachdem George/Blauvogel sinnbildlich vom „weißen Blut reingewaschen wurde“ und einer Auseinandersetzung mit Fuchs, einem gleichaltrigen Indianer-Jungen, versucht er mit einem Boot zu fliehen, kentert allerdings aufgrund der Strömung und wird wieder zurück in das Indianerdorf gebracht. Ihm wird Einblick in die Rituale (Dankbarkeit) und Jagdpraktiken der Irokesen gewährt und die Figur wirkt, als ob sie sich mit ihrem neuen Leben durchaus arrangieren kann. Er begleitet seinen Adoptiv-Vater Kleinbär und dessen Tochter Malia zu einem französischen Fort, wo sie mit Tierfellen Handel betreiben. Beim Essen, zudem ihn ein französischer Junge namens Alfons einlädt, erkennt George, dass er seine eigene gesittete Familie wohl doch vermisst, muss allerdings das Fort und auch die gastfreundschaftliche französische Familie mit Kleinbär und Malia wieder verlassen. In der nächsten Einstellung feiern die Schildkröten (Name des Irokesen-Stammes) ein „Fest“, um der Natur ihren Dank zu erweisen. Nach dem die Irokesen beschließen, selbst als Akteure (nicht nur passiv/defensiv) im Krieg zu wirken, trifft George den Entschluss, seinen Rivalen Fuchs, der zum „Spaß“ einen Hund tötet und durchaus Interesse für den Krieg zeigt, zu erschießen, lässt von diesem Vorhaben allerdings in letzter Sekunde ab. Nach schwerer Krankheit unternimmt George einen zweiten Fluchtversuch, erschießt dabei allerdings einen Bären und kehrt triumphierend ins Dorf zurück, da zu dem Zeitpunkt der Erzählung Winter und damit Nahrungsmangel im Dorf herrscht. Dadurch wird George neben Fuchs ebenfalls große Ehre (werden zu Männern erklärt) zu Teil. Die nächste Szene zeigt den Protagonisten, wie er zusammen mit Fuchs auf einem Baum herumklettert und bewaffnete englische Grenzer entdeckt. Unwissend seines Verrates (offenbart den böswilligen Grenzern den Indianer-Stamm am Flussbett) kommt es zu einem Gefecht, bei dem sein „Rivale“ Fuchs stirbt und George einen der Grenzer erschießt. Nach einem Zeitsprung von sieben Jahren muss der mittlerweile junge Mann das Dorf verlassen und kehrt auf die inzwischen stark erweiterte Farm der Rüsters zurück, die nun auch Sklaven besitzen. Zwischen seinem Verhalten, seinen Werten und Vorstellungen und denen seiner Familie existieren keine Überschneidungen mehr und so entschließt er sich in der End-Szene, in der ihm die große Ehre zuteil werden soll, den letzten großen Baum zu fällen, die Farm und damit seine Familie endgültig zu verlassen.

3. Der Protagonist „zwischen den Stühlen“ (FigurenkonstellationV-charakteri-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhand des Schemas lassen sich sowohl die bedeutendsten Figuren (anhand ihrer markierten Relevanz) als auch Beziehungen zwischen diesen herausarbeiten. Die zentrale das Schaubild halbierende Stellung des Protagonisten gibt somit bereits einen Einblick in die Handlung als Grenzüberschreitung (vgl. Gräf et al. 2017, 334; Krah 2015, 205), welche allerdings erst im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung genauer erläutert werden soll. Aktuell fokussiert wird die Frage, warum die markierten Figuren solch hohe Relevanz aufweisen. Eine Figur konstituiert sich aus den Merkmalen des semantischen Raums, in dem sie explizit oder implizit verortet werden kann. Daraus folgt, dass Figuren unterschiedlich große Mengen des Raumes, dem sie zuzuordnen sind, repräsentieren und somit kann die Figur, welche am meisten dieser Merkmale in sich bündelt, als Extremfigur konstatiert werden. Der unter dem Paradigma der „Kultur“ semantisierte Raum weist allerdings keine klare Extremfigur in diesem Sinne auf, weshalb sowohl John Ruster (expansiv, gläubig, sesshaft, kapitalistisch), bzw. die Familie Ruster im Allgemeinen den semantischen Raum der „Kultur“ abbilden. Der in der Figurenkonstellation als zentrale „Achse“ der Handlung zu konstatierende George Ruster bildet anhand seiner im Anschluss noch genauer zu analysierenden Merkmalsbrüche und der damit verbundenen Ereignishaftigkeit den Protagonisten bzw. nach der Definition von Lotman den Helden ab (vgl. Lotman 1993, 342). Titzmann (2017) stellt fest: „Die Zugehörigkeit zu einem sRi ist die Regel der dargestellten Welt, der Übergang von sRi zu sRnon-i die Abweichung- und daher ein erzählenswertes Ereignis“ (Krah 2017, 118). Der „Held“ George Ruster wird zu Beginn im „Kultur“-Raum sR21 verortet, er befindet sich allerdings oft in der Natur, vertritt nicht die väterlichen Ansichten, versteht die Bibeltexte nicht und bewundert den freiheitlichen Archie („für seine Uniform, und wie er reiten konnte“). Dies impliziert bereits eine starke Kohärenz zum „Natur“-Raum sR1, in dem die Extremfigur(en) sowohl durch die Adoptivfamilie des Protagonisten (Kleinbär, Mittagssonne, Malia) als auch durch nahezu den gesamten IrokesenStamm allgemein abgebildet werden. Eine Figur, die aufgrund ihrer Abweichung (neben dem zu George oppositionell arrangierten Fuchs) besonders ins Auge fällt und deshalb auch parallel zur bereits erwähnten Figur des Archie noch genauer beleuchtet werden soll, ist Onandaga2. Anhand der dieser Figur zugeordneten Topographie (Wald, nicht „sesshaft“ im Dorf der Irokesen) einerseits und dem Ausruf gegen die Franzosen und Engländer (aggressive Kriegsführung) andererseits (Merkmale aus sR1 und sR2) lässt sich hier festhalten, dass diese dialektale Ausprägung gewissermaßen auch im sR2 existiert, konkret realisiert in Archie, der als freiheitlicher und ebenso nicht sesshafter, reitender Soldat in Uniform auftritt, ehe er die Szene verlässt, um in den Krieg zu ziehen. Die beiden Figuren weisen beide also Merkmale des jeweils oppositionellen Raumes auf, was für eine Analyse ebenfalls als ergiebiges Thema erscheint, hier allerdings nur deklarativ abgebildet werden sollte. Die Steigerung dieser innerräumlichen Opposition bildet Fuchs, der eindeutig als Figur des sR2 charakterisiert werden könnte, dessen „falsche“ Verortung und der damit einhergehende Merkmalsbruch in der Handlung eine Sanktion (Szene am Fluss, Tod) bedingt.

4. Zentrale discours-Aspekte (nach Genette 2010) in „Blauvogel“

Um den Begriff des discours, der im Folgenden näher beleuchtet werden soll, einzugrenzen, orientieren sich die folgenden Ergebnisse sowohl an den Ausführungen Genettes (2010), als auch Krahs, der wiederum erstere in seinen Ergebnissen ebenfalls berücksichtigt (vgl. Krah 2015, Kapitel 5). Grundsätzlich unterscheidet Genette zwischen dem tempo- ral-ordnenden und dem modalen Aspekt.

Wenn wir nun den Blick auf „Blauvogel“ wenden, so lässt sich im Bezug auf die Zeitstruktur des Textes festhalten, dass die erzählte Geschichte bis auf die explizit angegebene Ellipse (der Erzähler weißt darauf hin:„Sieben Sommer sind vergangen, sieben Winter“), die somit Zeitraffung nachweist und später noch genauer behandelt werden soll, „die temporale Sukzession der Histoire beibe[hält] [.. ,]“(Krah 2015, 257).

„In der Tat kann man das,was man erzählt, mehr oder weniger nachdrücklich erzählen, und es unter diesem oder jenem Blickwinkel erzählen [,..]“(Genette 2010, 103). Der Tatsache geschuldet, dass es sich um einen autodiegetischen Erzähler handelt (Blauvogel erzählt, wie aus seinem jüngeren Ich George im Film Blauvogel wurde) subsumiert sowohl, dass der Erzähler in der Handlung vorkommt, als auch, dass die Ereignisse von innen (siehe viergliedrige Typologie In: Genette 2010, 119; vgl. Krah 2015, 253) analysiert werden und gibt damit auch Aufschluss über die Wissensmenge, die dem Erzähler vorliegt, da dieser das „Geschehene“ quasi retrospektiert und somit mehr „weiß“, als der Protagonist. Diese Retrospektion durch den Erzähler wird in der zentralen These dieser Ausarbeitung noch näher zu interpretieren sein.

5. Sujetlos/-haft - Die der zentralen These zugrunde liegende Analyse der semantischen Räume und ihrer Grenzen (vgl. Lotman)

Die verschiedensten Elemente (ungeachtet ihrer Funktion) von Texten lassen sich einem Konstrukt zuordnen, welches einen Komplex aus divergenten Merkmalen darstellt, unter dem sich, vorgegeben durch diesen einen Text, viele Elemente subsumieren lassen, wobei dieser „Merkmalskomplex [...] in Opposition zu anderen semantischen Räumen [...] steht.“(Krah 2015, 188) Diese Feststellung postuliert also eine Paradigmen-Bildung durch den semantischen Raum , der sich durch die Gegensätzlichkeit zu anderen „eingrenzen“ lässt. Diese oppositionelle Gegenüberstellung bezeichnen Gräf et al. (2017) als die „Dis- junktheit“(185) semantischer Räume. Die Indianerfilme der DEFA grenzen sich insofern (mit Bezug auf die Raumsemantik) dadurch von den „klassischen“ Western ab, dass sie die Ureinwohner darin legitimieren, „sich berechtigt gegen die Unterdrückung der Weißen zur Wehr zu setzen.“(Wacker 2017, 220). Diese damit bereits in gewisser Weise vorweggenommene implizierte Ideologie und ihre angestrebte plakative Darstellung, die diesen Texten (bzw. Filmen) zugrunde gelegt wurde, soll in unserem Beispiel „Blauvogel“ als die Opposition zwischen den ostdeutschen Werten und Normen und den negativ konnotierten Aspekten, die dem Westen zugeschrieben werden, abgebildet werden. Der semantische Raum des (defensiven) Sozialismus soll deshalb durch den Oberbegriff „Natur“ abgebildet werden und definiert somit seinen Gegenraum als den Raum der „Kultur“. „Die Form der binären Opposition entspricht einer Minimalstruktur [,..]“(Krah 2015, 189), deren Zweckmäßigkeit vor allem „[...] in dominant ideologisch ausgerichteten Texten [,..]“(ebd.,190) zum Vorschein kommt, was wiederum für die Analyse besonders von in der DDR produzierten - und damit relativ wahrscheinlich intendiert sozialistische Ideologie transportierenden - Texten impliziert, dass der semantische Raum des Protagonisten (nahe- zu immer sozialistisch konnotiert) in der Abbildung seines Gegenraumes das textuell-fun- damentale Weltmodell aufspannt. Der Naturraum in „Blauvogel“ subsubsumiert die zentralen Aspekte der Defensive (Verteidigung gegen die kapitalistische Expansion der Weißen), der symbiotischen und sozialistischen Grundstruktur (Ureinwohner vermeiden jegliche Verschwendung, Teilen miteinander) und der sprituellen Naturverbundenheit (Ritual des Dankens). Nach zuvor angeführter These und kontrastierend dazu symbolisiert sein Gegenraum sR2 also die negierten eben genannten Merkmale. Die zentralen Paradigmen des „Kultur“-Raumes sind daher Angriff bzw. Aggressivität (Krieg), die parasitäre und kapitalistische Grundstruktur (Expandieren, Individuelle Ziele) und die funktionalisierte Ausbeutung der Natur (zur Schaffung eines Paradieses). Neben diesen als zentral zu konstatierenden Charakteristika existieren noch weitere Merkmale dieser beiden semantischen Räume, wobei der christliche Glauben, der deutlich in sR2 verortet werden kann, für die später erfolgende zentrale Analyse dieser Ausarbeitung dienen soll.

[...]


1 sR wird im Folgenden als Abkürzung für „semantischer Raum“ verwendet, sR1 steht für den „Natur“-Raum, sR2 für den „Kultur“-Raum.

2 über die genaue schriftliche Realisierung des Namens sind keine Belege auffindbar. Gemeint ist die Figur, die Zukunftsdeutungen macht und nicht als dem Stamm der Schildkröten zugehörig erscheint (nicht sesshaft).

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die sukzessive Assimilation in "Blauvogel" (1979) als ideologisiertes Atheismus-Postulat
Hochschule
Universität Passau
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
21
Katalognummer
V990071
ISBN (eBook)
9783346352484
ISBN (Buch)
9783346352491
Sprache
Deutsch
Schlagworte
assimilation, blauvogel, atheismus-postulat
Arbeit zitieren
Fabian Jobst (Autor:in), 2020, Die sukzessive Assimilation in "Blauvogel" (1979) als ideologisiertes Atheismus-Postulat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/990071

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