Der Erwerb von zwei Erstsprachen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

18 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Erwerb von zwei Erstsprachen
2.1. Strategien für eine mehrsprachige Erziehung
2.1.1 Strategie der Zweiteilung oder Dichotomie
2.1.1.1 Personenstrategie
2.1.1.2 Ortsstrategie
2.1.1.3 Zeit-, Thema- und Aktivitätsstrategie
2.1.2 Alternationsstrategie
2.2. Ein oder zwei Sprachsysteme?
2.2.1 The unitary-language hypothesis
2.2.2. The differentiated-language hypothesis

3. Soziolinguistische Aspekte einer zwei- oder mehrsprachigen Erziehung
3.1 Code-switching
3.2 Rolle des Inputs und der starken Sprache

4. Schlußfolgerungen

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wenn man bedenkt, daß die Hälfte der Weltbevölkerung zwei- oder mehrsprachig ist, wird die Bedeutung der Mehrsprachigkeitsforschung deutlich. Oft kommt es zur Mehrsprachigkeit, ohne daß man sich bewußt dafür entscheidet; Mehrsprachigkeit entsteht dann, wenn das Bedürfnis zur Kommunikation und Interaktion mit der Umwelt vorhanden und notwendig ist.1 Häufig wird angenommen, daß Mehrsprachige ihre Sprachen gleich gut beherrschen, was nicht immer der Fall ist: Manche sprechen die eine Sprache besser als die andere oder sie benutzen eine Sprache nur in bestimmten Situationen; andere können in der einen Sprache nur noch lesen oder schreiben. Diese Unterschiede im mehrsprachigen Sprachgebrauch können u.a. soziolinguistische Ursachen haben, wie z.B. die Häufigkeit und die Umstände, unter denen die eine oder mehrere Sprachen in der Familie oder außerhalb von ihr gebraucht werden. Kinder lernen dadurch die Fähigkeit, sich dem Gesprächspartner oder dem Gesprächskontext anzupassen. Auch der Grad der Sprachbeherrschung spielt dabei eine große Rolle, denn er hängt vom sprachlichen Kontext ab.

In der vorliegenden Arbeit wird das Thema Mehrsprachigkeit als Ergebnis eines natürlichen Prozesses, nämlich als Erwerb (und später auch der Gebrauch) zweier Sprachen von Geburt an, im Gegensatz zu dem formalen Erwerb einer zweiten Sprache im Sprachunterricht, behandelt. Obwohl in dieser Arbeit die Rede von Zweisprachigkeit ist, treffen die Aspekte für den Erwerb zweier Sprachen auch auf den der mehrsprachigen Spracherziehung zu, wenn man Mehrsprachigkeit in einem weiteren Sinne versteht, und zwar als " [...] the ability of a person to use here and now two or more languages as a means of communication in most situations, and to switch from one to another if necessary "(Oksaar 1983: 19).

Zuerst werden im ersten Kapitel die verschiedenen Methoden und ihre Vor- und Nachteile dargestellt, die eine zweisprachige Spracherziehung ermöglichen. Es werden einige linguistische Theorien zu der Entwicklung dieser Erziehung geschildert, die die Problematik der Differenzierung oder Unterscheidung der Sprachen bei mehrsprachigen Kindern behandeln. Danach werden im zweiten Kapitel die soziolinguistischen Aspekte der erworbenen Zweisprachigkeit erörtert. Diese ermöglichen einem Kind, sich im Sprachgebrauch den Bedürfnissen seiner Umgebung anzupassen, indem es lernt, die "richtige" Sprache im "richtigen" Kontext zu wählen. Anschließend werden die Ergebnisse kommentiert.

2. Der Erwerb von zwei Erstsprachen

Unter dem Erwerb von zwei Erstsprachen wird der zweisprachige Spracherwerb bei Kindern unter 3 Jahren verstanden, die von Geburt an mit beiden Sprachen gleichzeitig konfrontiert werden. Seit Beginn der Mehrsprachigkeitsforschung hat es viele Meinungen zur zwei- oder mehrsprachigen Erziehung gegeben. Diese fallen sehr unterschiedlich aus: Studien vor 1960 sprechen von einer negativen Wirkung der Mehrsprachigkeit bei Kindern sowohl auf ihre linguistische und kognitive Entwicklung wie auch auf ihre Bildung (Grosjean 1982:221). Die Urteile reichen von Überforderung der Kinder durch die Zweisprachigkeit, verspätete Sprachentwicklung, Semilingualismus oder Halbsprachigkeit bis hin zur gespaltenen Persönlichkeit und Neigung zur Schizophrenie (Kielhöfer und Jonekeit 1998: 9). Spätere Studien dagegen betonen die Vorteile der Zweisprachigkeit auch auf der Intelligenz- und Kognitionsebene. In diesen ist die Rede- im Gegensatz zum Schulunterricht- von der spielerischen und mühelosen Art auf die Kinder eine zweite Sprache von Geburt an lernen. Den Studienergebnissen zufolge sind zweisprachige Kinder sprachgewandter, toleranter, anpassungsfähiger und intelligenter als Einsprachige (Kielhöfer und Jonekeit 1998: 9). Grosjean (1982: 226) zeigt eine zurückhaltende Meinung zu diesen Behauptungen, die auf zweifelhaften Verfahrensweisen und Methoden der Studien basieren. Oft waren die Gründe für eine negative Auswertung der Ergebnisse eher psychosozialer Art, wie z.B. bei der Untersuchung von Einwandererkindern, die gezwungen wurden, die zusätzliche Sprache unter ungünstigen Bedingungen zu lernen. Grosjean (1982: 168 ff) erwähnt den Fall vom fünfjährigen Dieudonné, einem Einwandererkind aus Haiti, das anfangs sehr traumatische Erfahrungen beim Erwerb des Englischen in den Vereinigten Staaten durchmachen mußte. Die Schule, die er besuchte, bot kein zweisprachiges Programm für seine Muttersprache, die haitianische Kreolsprache an. Er hatte große Schwierigkeiten, die Anweisungen des Lehrers zu verstehen. Er wurde von anderen Kindern ausgelacht und vor allem hatte er ständig Heimweh. Unter solchen Umständen ist es verständlich, daß er beim Erwerb der zweiten Sprache kaum Fortschritte zeigen konnte. Im Fall der positiven Ergebnisse für Zweisprachigkeit dagegen wurden oft zweisprachige Kinder untersucht, deren Sprachbeherrschung überdurchschnittlich war, und die dadurch, ob nun zwei- oder einsprachig, auch einen hohen Intelligenzquotient zeigen würden. Häufig gehörten diese mehrsprachigen Kinder auch höheren Sozialschichten an, in denen der Erwerb einer zweiten Sprache großes Ansehen genoß.

Nach diesen Stellungnahmen ist es nicht leicht, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob Zweisprachigkeit für das Kind nun gut oder schlecht ist. Auf jeden Fall sollten die Kriterien bei der Auswahl der Kinder für eine Untersuchung etwas genauer analysiert werden, bevor man voreilige Rückschlüsse zieht.

Grosjean (1982: viii) befürwortet daher eine natürliche Annäherung an das Thema Zweisprachigkeit: "bilingualism is neither a problem nor an asset but quite simply a fact of life that should be dealt with in as unbiased a way as possible".

2.1 Strategien für eine mehrsprachige Erziehung

Die immer häufigeren Fälle von "sprachlichen 'Mischehen'" (Kielhöfer und Jonekeit 1998: 7), sowie Einwanderung und Vielfalt von linguistischen Gruppen in einer Region usw. sind Faktoren, die zur Zweisprachigkeit führen können. Auf der Ebene der Familie stellt sich dann oft die Frage, ob Kinder zweisprachig erzogen werden oder nicht. Die Eltern müssen sich entscheiden, wie sie mit ihren Kindern sprechen werden und wie sie ihre Kinder zu Zweisprachigen erziehen können, sei es, um sie auf den Schuleintritt vorzubereiten, um ihnen die Kommunikation mit anderen Familienmitgliedern zu ermöglichen, o.ä.

Die Methoden hierfür sind sehr verschieden. Schmidt-Mackey (1977: 132 ff.)2 spricht von drei Möglichkeiten: a) alle in der Familie benutzen entweder die Sprache des Vaters oder b) die Sprache der Mutter oder c) beide Sprachen werden nach bestimmten oder impliziten Regeln gebraucht. Die Ausführung dieser Möglichkeiten kann unbewußt oder bewußt erfolgen, unbeabsichtigt oder beabsichtigt sein. Wenn sie unbewußt und unbeabsichtigt geschieht, ist es wahrscheinlich, daß die "dominante" oder besser beherrschte Sprache sich durchsetzt und es zur Einsprachigkeit kommt. Der Begriff "dominante" oder "starke" (im Gegensatz zur "schwachen") Sprache ist sehr vielschichtig. Faktoren wie Intensität des Gebrauchs und damit die Sprachübung sowie emotionale, soziale und persönliche Vorlieben machen eine bestimmte Sprache zur starken oder besser beherrschten Sprache. Dazu Kielhöfer und Jonekeit (1998: 12): "Der Zweisprachige bevorzugt sie bei freier Sprachwahl, weil er sie besser kann, und er beherrscht sie wiederum besser, weil er sie häufiger benutzt. Hier besteht ein Kreislauf von Ursache und Wirkung.".

Wenn aber die Sprachen bewußt und beabsichtigt getrennt werden und eine ausdrückliche Entscheidung, beide zu erhalten, vorhanden ist, dann spricht Schmidt-Mackey (Ebd.)3 von "geplanter Sprachverteilung". Bei dieser Art der sind zwei Kategorien möglich: 1. Strategie der Zweiteilung oder Dichotomie und 2. Alternationsstrategie mit spontaner Abwechslung der Sprachen. Diese sollen im folgenden beschrieben werden.

2.1.1 Strategie der Zweiteilung oder Dichotomie

Diese Strategie ist gekennzeichnet von einer festen Trennung der Alternativen zum Sprachgebrauch und unterteilt sich wiederum in drei weitere, nämlich: 1) Personenstrategie,

2) Ortsstrategie,

3) Zeit-, Thema- und Aktivitätsstrategie.

2.1.1.1 Personenstrategie

Zur Jahrhundertwende wurde Jules Ronjat (1913: 94) vom französischen Phonetiker Maurice Grammont das Prinzip "une personne, une langue" (eine Person, eine Sprache) als Erziehungsprinzip für Zweisprachige vorgeschlagen. Ronjat war Franzose, seine Frau Deutsche, und beide wollten ihren Sohn Louis zweisprachig erziehen. Ronjat sprach daraufhin nur Französisch mit Louis, die Mutter nur Deutsch. Diese Strategie war sehr erfolgreich und nach einer kurzen Anfangsperiode, in der Louis beide Sprachen mischte, war er in der Lage sie wie ein Muttersprachler zu gebrauchen (Grosjean 1982: 173). Eine weitere Studie, die ebenfalls diesem Prinzip folgte, war diejenige von Werner Leopold (1939-1950) über seine erste Tochter Hildegard. Er sprach Deutsch mit Hildegard, seine Frau, die Amerikanerin war, Englisch. Seitdem die Tochter zwei Monate alt war, machte Leopold detaillierte phonetische Notizen über die Sprachentwicklung seiner Tochter. Hier zeigten sich auch verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Fall von Louis. Allerdings waren beide Sprachen bei beiden Kindern nie gleich stark dominant. Wie Kielhöfer und Jonekeit (1998: 12) zurecht bemerken, kann sich die besser beherrschte Sprache unter bestimmten Umständen zur schwachen Sprache entwickeln:

"Der Gebrauch einer bestimmten Sprache wird meist durch einen bestimmten Anlaß vorgegeben. Unter diesen besonderen Bedingungen sind die Beziehungen zwischen starker und schwacher Sprache sehr komplex und in ständiger Bewegung. Es kann durchaus sein, daß die starke Sprache als Lesesprache gerade nicht gut beherrscht wird. [...] Es kann sein, und ist oft so, daß Zweisprachige gewisse Erlebnisbereiche und Themen lieber und besser in einer bestimmten Sprache behandeln.[...] Die Verteilung von starker und schwacher Sprache ist in diesem Fall erlebnis- und themengebunden . Sie hängt natürlich auch von der Umgebung ab; reist ein Zweisprachiger einige Zeit in das Land der ursprünglich schwachen Sprache, so wird diese stärker, die ursprünglich starke Sprache kann sich abschwächen. Kurz, wir haben es mit einem sehr vielschichtigen dynamischen Kontinuum zu tun, in dem sich beide Sprachen ständig zwischen den Polen 'stark' und 'schwach' verschieben."

Das war auch bei Hildegard der Fall. Nach einem Sprachumgebungswechsel änderte sich auch die Art, in der Hildegard ihre Sprachen gebrauchte. "There were periodic shifts in dominance as the language contexts changed, as for example during a trip to Germany when the child spoke only German. Returning to the United States, she spoke more and more English, until that language became stabilized as her dominant one" (Schmidt-Mackey 1977: 134).

2.1.1.2 Ortsstrategie

Wenn die Sprachen verschiedenen Orten zugeteilt werden, redet man von einer Ortsstrategie. Es handelt sich um eine Strategie, die häufig aus der Notwendigkeit heraus entsteht. Vor allem bei Einwanderer- und Gastarbeiterfamilien kommt es oft dazu. Eine Familie, die in eine Umgebung zieht, in der eine andere Sprache gesprochen wird, wird zunächst ausschließlich die eigene Sprache gebrauchen. Stufenweise wird sie dann die Umgebungssprache annehmen, während zu Hause die eigene überwiegt. Auf diese Art entwickeln Kinder eine Zweiteilung in Zu-Hause-Sprache und Umgebungssprache. Später kann es dazu kommen, daß die Zu- Hause-Sprache allmählich in immer mehr Bereichen von der Umgebungssprache ersetzt wird. Das geschieht durch den Einfluß von Nachbarn, Schulfreunden, Partnerschaften usw. und hauptsächlich dann, wenn Geschwister beim Kommunizieren unter sich die frühere Sprache nicht mehr benutzen.

Zu diesem Prinzip gibt es eine geringere Menge an Berichten. Eine der ersten ist diejenige von Pavlovitch (1920). Die Familie stammte aus Serbien und wanderte nach dem ersten Weltkrieg nach Paris aus. Serbisch war die Zu-Hause-Sprache und Französisch die der Umgebung. Von seinem Sohn Dusan berichtet er nur über die ersten zwei Jahre, in denen Dusan hauptsächlich Serbisch sprach. Jedenfalls waren die Ergebnisse denen von Ronjat sehr ähnlich. Über eine neuere Studie informieren Penfield und Roberts (1959). Die Penfields sprachen Englisch, wollten aber, daß ihre zwei Kinder (6 und 18 Monate alt) Deutsch lernten. Daraufhin stellten sie eine deutschsprechende Erzieherin ein, und beschlossen, daß Deutsch die einzige im Kinderzimmer gebrauchte Sprache sein sollte. Dieses Prinzip verfolgten sie auch selbst. Als die Kinder jeweils drei und vier Jahre alt waren, kamen sie in einen französischen Kindergarten Mit dem Schuleintritt setzten sie das Englische fort. Penfield erzählt, daß keinerlei Verspätungen oder Verwirrung der Sprachen stattfand. Sobald die Kinder das Kinderzimmer oder den Kindergarten betraten, wurde die Sprache dementsprechend angepaßt. Schmidt-Mackey (1977: 136) bemerkt, daß Kinder genauso schnell eine Sprache lernen können, wie sie sie auch vergessen. Die Gründe dafür scheinen auch diese Ortswechsel zu sein, wovon wiederum die Häufigkeit des Sprachgebrauchs und die Sprachbeherrschung abhängt, wie Kielhöfer und Jonekeit (siehe Zitat 5-6) erwähnen.

2.1.1.3 Zeit-, Thema- und Aktivitätsstrategie

Die Erfolgsquoten bei einer Sprachverteilung nach Zeit, Thema und Aktivität zeigen ungleiche Ergebnisse. Bei der Zeitstrategie gibt es nochmals zwei Möglichkeiten: Entweder lernen Kinder zunächst nur eine Sprache, bis sie diese fließend sprechen, und dann die nächste ( in Stadien, sog. "staging"), oder die Sprachen werden in verschiedenen Zeiteinheiten, wie z.B. Schul- und Wochenendtage, alternierend gebraucht. Als Beispiel für die erste Möglichkeit erwähnt Grosjean (1982: 174) den Fall eines deutsch-peruanischen Kindes. Seine Eltern wollten, daß es vor dem Schuleintritt zweisprachig würde. Sie begannen mit der in Perú schwachen Sprache, Deutsch, für die ersten zwei Jahre. Sie sprachen unter sich und mit dem Kind nur Deutsch und suchten für das Kind deutschsprechende Spielkameraden. Sie baten sogar die peruanische Großmutter darum, nicht mit dem Kind Spanisch zu sprechen. Als das Kind 2;10 4 Jahre alt war und die deutsche Sprache beherrschte, ließen die Eltern das Kind mit spanischsprechenden Kindern spielen. Innerhalb von vier Monaten lernte das Kind Spanisch.

Die zweite Möglichkeit der Zeitstrategie erweist sich als schwieriger. Die Trennung nach festgesetzten Zeiteinheiten wird oft nicht eingehalten. Ein denkbarer Grund wäre, daß man eine bewußtere Entscheidung treffen muß, um die andere Sprache zu sprechen. Bei so einer Zeitstrategie muß der Wechsel zur anderen Sprache absichtlich geschehen, anstatt zu einem Reflex zu werden, der durch unbewußte Assoziationen hervorgerufen wird und daher weniger anstrengend ist. Und so kommt es dann schneller dazu, daß die häufiger benutzte Sprache die schwache beiseite drängt.

In der Themastrategie werden gewisse Themen in der einen Sprache und andere in der zweiten, dritten, usw. besprochen. Eine Familie kann eine bestimmte Sprache nur dazu benutzen, um Befehle zu erteilen, während die andere Sprache zum Beten, Lernen, Singen, oder Telefonieren gebraucht wird.

In der Aktivitätsstrategie dagegen kommt es seltener vor, daß man absichtlich beschließt, eine bestimmte Sprache für eine bestimmte Aktivität zu wählen. Der Wechsel geschieht eher aus anderen Gründen, wie z. B. wenn die Aktivität mit einer anderen Gruppe außerhalb des Zuhauses verbunden wird.

2.1.2 Alternationsstrategie

Im Unterschied zu der Dichotomiestrategie (siehe 6) ist diese daran erkennbar, daß sie keine feste Trennung in der Benutzung der Sprachen anwendet. Der alternierende Gebrauch ist erlaubt, und zwar in allen Bereichen wie Person, Ort, Zeit, Thema und Aktivität. Der Gebrauch kann bedingt oder frei sein.

Unter bedingten Gebrauch fallen solche Momente, in denen der Wechsel von der einen zur anderen Sprache aus verschiedenen Gründen naheliegt, wenn z. B. der Familienvater eine Sprache bei der Arbeit spricht, und dazu tendiert, in diese Sprache zu wechseln, wenn er im Kreise seiner Familie die Arbeit betreffende Themen anspricht. Eine andere Möglichkeit nennt Clyne (1967), nämlich den halbbewußten Sprachwechsel oder "triggering" (vom Englischen "trigger": Auslöser), wenn der Wechsel aus innerlinguistischen Faktoren geschieht: Wenn eine Person ein Wort sagt, das in beiden Sprachen ähnlich klingt, kann sie auf einmal vergessen, welcher Sprache sie sich bediente, so daß sie in der anderen weiterredet. Romaine (1995 : 229 ff.) nennt das Beispiel von einem Kind, Frank (5;5), das in Australien aufwuchs. Die Mutter sprach Englisch mit ihm, sein Vater Deutsch:

Frank: Mum, what can I have to drink?

Mother: Do you want some "Prima"? Frank: Ja, bitte.

Prima ist eine australische Orangensaft- Marke. Als der Junge das Wort hört, verknüpft er es mit dem deutschen Homophon prima für ausgezeichnet und redet weiter auf Deutsch, obwohl er den Satz auf Englisch angefangen hat. Die andere Sprache wird sozusagen aktiviert, sobald ein Wort "in die Nähe" dieser Sprache kommt. Zur Umschaltung innerhalb Äußerungen bemerken Kielhöfer und Jonekeit (1998: 44) "Wird innerhalb einer Äußerung umgeschaltet, so passiert das häufiger bei bestimmten Umschaltwörtern. Es handelt sich dabei um Wörter, die in beiden Sprachen ähnlich klingen, und die die Sprachen darum auf das andere Gleis zu schieben vermögen.". Man könnte behaupten, daß das Kind weiter auf Englisch mit der Mutter gesprochen hätte, wenn der Saft kein ähnlich klingendes deutsches Pendant gehabt hätte.

2.2 Ein oder zwei Sprachsysteme?

Im vorigen Abschnitt war die Rede von den Strategien, die verfolgt werden können, um Kinder zweisprachig zu erziehen. Aber was passiert mit den Sprachen, die sie lernen? Wie werden sie vom Kind verarbeitet? Lernt das Kind dabei ein oder mehrere Sprachsysteme? Können Kinder die Sprachen voneinander trennen? Solche Fragen, vor allem die letztere, haben verschiedene Autoren zu beantworten versucht. Einige unter ihnen meinen anhand der Sprachmischung5, die in den ersten Stadien der zweisprachigen Sprachentwicklung zu beobachten ist (wie in den erwähnten Fällen bei Hildegard, Louis, Dusan; siehe 6-7) beweisen zu können, daß das Kind nicht in der Lage sei, die Sprachen auseinanderzuhalten (z.

B. Redlinger und Park 1980, Volterra und Taeschner 1978). Diese These heißt "unitary- language system hypothesis" oder "one system theory". Andere sind der Ansicht, daß Kinder sehr wohl die Fähigkeit besitzen, die Sprachen zu unterscheiden (u. a. Lindholm und Padilla 1978, Genesee 1989, Meisel 1989, Lanza 1992). Der Name für diese Theorie ist "differentiated-language hypothesis" oder "two system theory". Im folgenden Abschnitt sollen beide näher erklärt werden.

2.2.1. The unitary-language system hypothesis

Diese These besagt, daß ein mehrsprachiges Kind in den ersten Stadien der Sprachentwicklung zwischen den verschiedenen Sprachen nicht unterscheiden kann und daher nur ein Sprachsystem hat. Redlinger und Park (1980: 337) sprechen von "an initial mixed stage in language production consisting in indiscriminate combinations of elements from each language". Sobald sich das Kind linguistisch weiterentwickelt, wächst dementsprechend seine Fähigkeit, die Sprachen voneinander zu trennen. Dadurch kommt es weniger zur Sprachmischung.

Es scheint so zu sein, daß im Sprachentwicklungsprozeß des Kindes einige Elemente des linguistischen Systems Phasen zeigen, in denen es zur "Fusion" oder zur "Differenzierung" der Sprachen kommt (Romaine 1989, 206). Unter "Fusion" versteht Meisel (1989: 36-37) die

Unfähigkeit, zwei grammatikalische Systeme zu unterscheiden. "Differenzierung" ist also dann vorhanden, wenn das Kind sie voneinander trennen kann. Im Synonymenerwerb kann man auch den Prozeß der Differenzierung gut verfolgen, behauptet Taeschner (1983: 23). Kinder lernen z. B. das Wort Baum in einem bestimmten Kontext und dann das Wort tree in einem anderen. So haben sie zwei pragmatisch-semantische Felder und müssen dann lernen, das zwei Wörter dasselbe bedeuten können, auch wenn sie in verschiedenen Zusammenhängen gelernt wurden. Wenn sie das können, merken sie, daß sie mit zwei verschiedenen Sprachen zu tun haben und daß die Objektnamen willkürlich sind. Später sind die Kinder in der Lage, ihr linguistisches System je nach der Person zu wählen, mit der sie sprechen. Dazu Romaine (1995: 188) "Some have taken this as an indication of the child's separation of what originates as a merged system".

Die Sprachmischung gilt als Indiz für die Unfähigkeit zur Sprachdifferenzierung, sie wird für eine unbewußte Zweisprachigkeit gehalten. Daher wird dem Prinzip der Sprachtrennung bei den Eltern große Bedeutung beigemessen. Wenn die Sprachen nach Personen (Eltern) getrennt werden, scheinen die Kinder schneller und leichter unter den Sprachen zu differenzieren. Hierzu Redlinger und Park (1980: 351): "[...] it was noted that a separation of language by person or the lack of it may affect the speed and ease with which a bilingual child learns to differentiate the languages".

2.2.2. The differentiated-language hypothesis

Die Anhänger dieser These behaupten, im Gegensatz zu denen der vorigen, daß mehrsprachige Kinder die Sprachen von Anfang an auseinanderhalten können. Bei dieser Theorie gilt die Sprachmischung nicht als Beweis für eine unbewußte Zweisprachigkeit, sondern als Anwendung der reduzierten Mittel, die dem Kind zur Verfügung stehen, um sich auszudrücken. So wie einsprachige Kinder dazu tendieren, die Wörter zu über- oder zu unterdehnen6, so tun es auch mehrsprachige Kinder, wenn sie Elemente der anderen Sprachen in einem Satz benutzen. Nach Genesee (1989: 167-168) besteht der Unterschied darin, daß einsprachige Kinder nur intralingual (innerhalb einer Sprache) Wörter über- oder unterdehnen, während mehrsprachige Kinder es zusätzlich interlingual (zwischen den verschiedenen Sprachen) tun. Einsprachige Kinder "dehnen" die Wörter nicht mehr, wenn sie die passenden Bezeichnungen lernen. So läßt sich auch erklären, warum mehrsprachige Kinder ihre Sprachen auch nicht mehr mischen, sobald sie in den Sprachen geübter sind:

"Mixing may decline with development, not because separation of the languages is taking place but rather because the children are acquiring more linguistic complete repertoires and, therefore, do not need to borrow from or overextend between languages. [...] developing bilingual children can be seen to be using whatever grammatical devices they have in their repertoire or whatever devices they are able to use given their current language ability. In neither of these cases is it necessary to assume that the languages are represented in a unified system" (Genesee 1989: 166ff.).

Woran merkt man, daß mehrsprachige Kinder die Sprachen differenzieren können? Vielleicht wird es mit einem Gegenbeispiel deutlicher: Wenn Kinder nicht in der Lage wären, die Sprachen zu differenzieren, würde man erwarten, daß sie die Sprachen wahllos auf jeder Ebene mischen. Das geschieht laut Genesee e.a.(1995: 612) eben nicht. Sie bemerken dagegen, daß man nach Äußerungen bei mehrsprachigen Kindern suchen muß, die eine bewußte Sprachwahl im Hinblick auf Gesprächspartner und Kontext zeigen, d.h. eine funktionale Sprachtrennung. Dabei ist entscheidend, "daß die Sprachen nicht willkürlich gewechselt und benutzt werden, sondern daß jede Sprache bestimmten Funktionen zugeordnet ist." (Kielhöfer und Jonekeit 1998: 20). So kann man dann behaupten, daß Kinder in den verschiedenen Zusammenhängen die Sprachen voneinander trennen können. Um die Äußerungen der Kinder richtig einschätzen zu können, muß man daher die Umgebung mit einbeziehen. Die Tatsache, daß Kinder die Sprachen auseinanderhalten können, ist als eine Anpassungsreaktion an den unmittelbaren Sprachkontext zu verstehen (Genesee e.a.1995: 627). Dazu braucht das Kind gewisse Mechanismen, die es im Laufe der Sprachentwicklung lernt. Da jetzt die Rede von Kontext ist, muß man auch die Sprache als Mittel zur Kommunikation in einem sozialen Kontext betrachten. Im nächsten Kapitel werden diese soziolinguistischen Aspekte näher betrachtet.

3. Soziolinguistische Aspekte einer zwei- oder mehrsprachigen Erziehung

Wenn Kinder Sprechen lernen, erwerben sie auch die Fähigkeit, mit anderen zu kommunizieren und so sich ihrer Umgebung anzupassen. Sprache wird daher nicht nur als die Summe der grammatikalischen Sprachregeln verstanden, sondern auch als erfolgreiche Anpassung an die Umgebung:

"A goal of education, bilingual or other, presumably is to enable children to develop their capacity for creative use of language as part of successful adaptation of themselves and their communities in the continuously changing circumstances characteristic of contemporary life" (Hymes 1977: 119).

Daher ist es wichtig, wie bereits erwähnt, bei frühen Mehrsprachigkeit auch den Sprachkontext, in dem Kinder diese Sprachen lernen und anwenden, zu berücksichtigen. Wenn mehrsprachige Kinder ihre Sprachen mischen, dann ist auch die Sprache der Umgebung zu beachten. Dazu Lanza (1992: 636) "It is difficult to draw conclusions about the bilingual two-years-old's mixing in language OUTPUT without also investigating the child's language INPUT." In diesem Abschnitt wird die kommunikative Kompetenz eines mehrsprachigen Kindes anhand des Begriffs Code-switching sowie der Rolle des Inputs und der starken Sprache bearbeitet.

3.1. Code-switching

Nach der "unitary-language hypothesis" ( Abschnitt 2.2.2, 11) sind mehrsprachige Kinder schon früh in der Lage, verschiedene Sprachen den unterschiedlichen Personen oder Zusammenhängen zuzuordnen und so die richtige Sprache zu wählen. Ein anderer Name für diese anerkannte Fähigkeit bei mehrsprachigen Kindern und Erwachsenen ist Code switching 7. Meisel (1994: 414) versteht darunter, "the ability to select the language according to the interlocutor, the situational context, the topic of conversation, and so forth, and to change languages within an interactional sequence in accordance with sociolinguistic rules and without violating specific grammatical constraints.".

Es gibt verschiedene Aspekte, unter denen der Sprachwechsel analysiert werden kann. Einerseits kann man Code-switching nach Faktoren untersuchen, die rein linguistisch einen Sprachwechsel ermöglichen, z. B. ob dabei nur Nomen oder ganze Sätze in der anderen Sprache gebraucht werden. Man geht davon aus, daß das Einfügen ganzer Sätze in einer anderen Sprache eine höhere linguistische Kompetenz in den Sprachen voraussetzt, als wenn nur einzelne Elemente eingeführt werden.

Andererseits kann man den Sprachwechsel nach pragmatischen Faktoren erklären, wie die kommunikativen Funktionen, die das Umschalten erfüllen kann. Letzter Aspekt ist für die vorliegende Arbeit bedeutungsvoll, denn hier wird immer wieder den Unterschied zwischen Sprachmischung und Sprachwechsel beim Erwerb mehrerer Sprachen hervorgehoben, der wiederum die Frage aufwirft, inwiefern Kinder dazu fähig sind, die Sprachen zu unterscheiden. In der Forschung hat man u.a. versucht, anhand der Berücksichtigung der Sprachwechselfunktionen eine mögliche Antwort auf diese Frage zu finden. Bei Kindern unter drei Jahren ist es sehr schwierig festzustellen, ob sie die Sprache mischen oder ob sie die Sprache einfach nur wechseln: "Einsprachigen erscheinen diese ständigen Sprachwechsel oft als Sprachmischung, weil sie die mannigfaltigen Funktionen des Umschaltens nicht wahrnehmen." (Kielhöfer und Jonekeit 1998: 44).

Welche Funktionen erfüllt der Sprachwechsel? Köppe und Meisel (1995: 278ff.) erkennen zwei Typen von Sprachwechselfunktionen, die nacheinander erworben werden: 1. "situationsgebundene Sprachwahl" 8: Bezieht sich auf die Fähigkeit, eine dem Gesprächspartner, dem Thema und dem Kontext der Umgebung entsprechende Sprache als Grundsprache einer Unterhaltung zu wählen. Die Gewohnheit, eine Sprache nach Umgebungsfaktoren zu wählen, ist schon sehr früh vorhanden. Die Sprache des Gesprächspartners scheint die erste und wichtigste Sprachwahlursache zu sein. Ungefähr ab dem zweiten Lebensjahr beginnen mehrsprachige Kinder sich an das Prinzip "eine Person - eine Sprache" zu halten, indem sie angemessen die Sprache nach dem Gesprächspartner wählen. Kinder korrigieren sich selbst, wenn sie merken, daß sie jemanden in der "falschen" Sprache angesprochen haben (Vihmnan 1985: 313; Taeschner 1983: 171). Die situationsgebundene Sprachwahl je nach Gesprächspartner kann allerdings im Laufe der kindlichen Sprachentwicklung komplexer werden: das mehrsprachige Kind muß erstens herausfinden, welche Sprache(n) der Gesprächspartner spricht, zweitens, mit welche oder welchen er angesprochen werden möchte, und drittens, ob er Code-switching akzeptiert.

2. "Unterhaltungssprachwechsel" 9: Im Gegensatz zur situationsgebundenen Sprachwahl, bedarf diese Art von Sprachwechsel eines mehrsprachigen Gesprächspartners. Diese Wechsel vermitteln spezifische pragmatische Information wie metasprachliche Kommentare, Zitate anderer Personen, Sprachspiele, usw.

Grosjean (1982: 206) erwähnt, daß Kinder im frühen Alter die Sprache wechseln können, um ein Wort auszudrücken, das ihnen nicht unmittelbar in der anderen Sprache zugänglich ist.

Das wird von Meisel (1989: 14) als "relief stragegy" 10. Später benutzen die Kinder den Sprachwechsel als eine verbale oder kommunikative Strategie, wenn dadurch ein Mißverständnis geklärt werden soll, wie im Gespräch zwischen Interviewer (I) und einem dreijährigen Mädchen (M): ( McClure 1977, zit. nach Grosjean: 1982: 204) M: You dog.

I: You dog? My woof?11

M: You dog! T ú perro (Du Hund).

Das Mädchen schafft Klarheit, indem sie ins Spanische übergeht und deutlicher sagt, daß You nicht als ein Possessivpronomen (dein) sondern als ein Personalpronomen (du) verstanden werden sollte. In den Sprachspiele mehrsprachiger Kinder kann man absichtliche Sprachmischungen finden, wie es auch bei einsprachigen Kinder der Fall ist, wenn sie Reime entdecken oder neue Wörter erfinden. Mehrsprachige Kinder mischen die Sprachen, weil sie es witzig finden, wenn Erwachsene sich gegen jede Art von Code-switching wehren und auf die Sprachmischung schockiert reagieren. Manchmal sprechen sie auch deswegen bewußt eine Person in der "falschen" Sprache an. (Grosjean: 1982: 206)

Es bleibt nun noch die Frage, wie es dazu kommt, daß Kinder die richtige Sprache nach Person, Kontext und Situation wählen. Das soll das Thema des nächsten Kapitels sein.

3.2 Rolle des Input und der starken Sprache

Wie oben bereits erwähnt (siehe 13) ist eine Untersuchung des Input bei mehrsprachigen Kindern unerläßlich, denn nur so kann man ihre Sprachproduktion im Hinblick auf Sprachwechsel und Sprachmischung besser verstehen. Je nach Strategie, die gewählt wird, um Kinder mehrsprachig aufzuziehen, variiert die Neigung, Sprachmischungen oder Sprachwechsel beim Sprechen zu machen. Wenn die nächste Umgebung die Sprachmischung fördert, wie es bei der Alternationsstrategie (siehe 9) der Fall ist, dann ist es wahrscheinlicher, daß Kinder auch die Neigung zeigen werden, die Sprache zu mischen.

Genesee (1989: 174) ist der Meinung, daß der elterliche Input in enger Beziehung zur Sprachmischungtendenz bei mehrsprachigen Kindern steht. In einer späteren Studie untersuchten Nicoladis und Genesee (1997) die Rolle des elterlichen Inputs und der starken Sprache bei mehrsprachigen Kindern als mögliche Gründe für Sprachmischungen. Die Ergebnisse lauten:

Unter dem Aspekt der starken Sprache konnten drei Modelle von Eltern- und Kindersprachmischung unterschieden werden: 1) Kinder, deren starke Sprache dieselbe wie die eines Elternteils war, mischten die Sprachen so gut wie nie; mit der Zeit veränderte sich diese Sprachtrennung nur in dem Maße, wie die Eltern es auch taten. 2) Bei Kindern, deren starke Sprache eine andere war, als die der Eltern, erhöhte sich die Tendenz zur Sprachmischung, sobald diese auch bei den Eltern auftrat. 3) Kinder, welche die Sprachen gleich gut beherrschten, vermieden mit der Zeit ebenso wie die Eltern, die Sprachen zu mischen. Daraus folgern die Autoren, daß mehrsprachige Kinder wie die Erwachsenen in ihrer nächsten Umgebung die Sprache zu mischen lernen. Andere Faktoren wie der Kontext, in dem einige Wörter gelernt werden, oder der Einfluß von anderen Personen wie Großeltern, Freunde, Nachbarn usw. wurden nicht einbezogen, aber auch nicht als mögliche Faktoren für Sprachmischung ausgeschlossen. Kielhöfer und Jonekeit (1998: 76) sind ebenso der Meinung daß Sprachmischung zwar zur Rede des Zweisprachigen gehört, ihr Ausmaß aber je nach Normbewußtsein und Sprachkompetenz sehr variabel ist: Es hängt ab von der Strenge der eigenen Ordnungsprinzipien oder Strategien, dem Vorbild der Eltern, dem Formalitätsgrad der Situation, der Einschätzung des Gesprächspartners, der Art des Gesprächsthemas usw.

4. Schlußfolgerungen

Die vorliegende Arbeit hatte zum Ziel, den Erwerb der Mehrsprachigkeit von Geburt an als einen natürlichen Prozeß zu behandeln. Es wurde geschildert, wie Kinder in einer mehrsprachigen Umgebung durch bestimmte Strategien zu Mehrsprachigen erzogen werden können. Dabei wurde klargestellt, daß der Erwerb einer oder mehrerer Sprachen immer kontextgebunden ist und bleiben wird. Die Fähigkeiten, die sie als Mehrsprachige erwerben werden, sind in ihrer Prägnanz ebenfalls von der Umgebung abhängig. Das Prinzip der funktionalen Sprachtrennung, vor allem das personenabhängige, erweist sich, wenn es möglichst konsequent eingehalten wird, als das adäquateste. Durch diese klare Trennung nach Personen (im zweitbesten Falle nach Umgebungen) wird es dem Kind erleichtert, die Sprachen schneller zu unterscheiden und sie weniger untereinander zu mischen. Sprachmischung kann nur dann bedenklich werden, wenn es zu einer Mischsprache kommt, in der keine Regeln für den Sprachwechsel mehr vorhanden sind, und vor allem dann, wenn die Sprache so nicht mehr dem Zweck dient, mit anderen zu kommunizieren und sich erfolgreich dem Kontext und somit der Gesellschaft anzupassen.

5. Literaturverzeichnis

Clyne, M. 1967. Transference and Triggering. The Hague: Martinis Nijhoff.

Genesse, Fred. 1989. "Early bilingual development: one language or two?". In: Journal of Child Language 16. Cambridge: Cambridge University Press. 161-179.

Genesee, F.; Nicoladis, E.; Paradis, J. 1995."Language differentiation in early bilingual

development". In: Journal of Child Language 22. Cambridge: Cambridge University Press. S: 611-631.

Goodz, N. 1989. "Parental language mixing in bilingual families". In: Infant Mental Health Journal 10, 25-43.

Grosjean, François 1982. Life with two Languages. An Introduction to Bilingualism. Cambridge; London: Harvard University Press.

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[...]


1 Für eine Einführung in die Mehrsprachigkeit siehe: Grosjean, François 1982. Life with two Languages. An Introduction to Bilingualism. Cambridge; London: Harvard University Press, und: Romaine, Suzanne. 1989, 21995. Bilingualism. Oxford: Blackwell Publishers.

2 Freie Übersetzung d. V.

3 Im folgenden werden die beschriebenen Strategien von Schmidt-Mackey (1977) dargestellt.

4 Zwei Jahre und zehn Monate alt.

5 Obwohl die Sprachmischung wie der Sprachwechsel (oder Code-switching, siehe 13) zur Rede des Zweisprachigen gehört, wird hier unter Sprachmischung das Mischen von verschiedenen Sprachen, in dem keine Botschaft erkennbar ist, verstanden.

6 Überdehnung: ungeeignete Bezeichnung von mehreren Objekten mit einem Wort: Hund für Hund, Kuh, Pferd, usw.; Unterdehnung: schwieriger festzustellen, denn das Kind macht keine Fehler im eigentlichen Sinne, wenn nur eine kleine Menge oder ganz bestimmte Objekte mit einem Namen bezeichnet werden, wie z.B. wenn nur kleine struppige Hunde als Hund benannt werden.

7 Übersetzt: Sprachwechsel oder Umschalten. Künftig werden alle drei Begriffe gleichrangig benutzt.

8 Im Original "language choice" oder "situational switching". Freie Übersetzung d.V.

9 Vom Englischen "conversational switching".

10 Übersetzt: "Erleichterungsstrategie".

11 Das deutsche Wort für "woof" ist "wauwau".

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der Erwerb von zwei Erstsprachen
Note
1,5
Autor
Jahr
2000
Seiten
18
Katalognummer
V99062
ISBN (eBook)
9783638975117
Dateigröße
373 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erwerb, Erstsprachen
Arbeit zitieren
Ledda Salazar Piaggio (Autor:in), 2000, Der Erwerb von zwei Erstsprachen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99062

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