Inhaltsverzeichnis
1. Zwischen Bestimmtheit und Selbstbestimmung
1.1. Vorsprachliche Interaktion
1.2. Sprache und Denken: Symbolische Aneignung
1.3. Symbolische Aneignung und Interaktion
2. Rollenübernahme
2.1. Die wachsende Welt von ,,signifikanten" und ,,generalisierten Anderen"
2.2. Rollenübernahme, Perspektivenwechsel und Identität
3. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Vorwort
Diese Schrift versteht sich als wissenschaftlicher Entwurf. Sie ist das Ergebnis eines Seminars, das ich im Sommersemester 2000 an der Universität Rostock unter dem Titel ,,Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten in der Soziologie" belegt habe.
Nach einer kurzen Einführung in das Erstellen von wissenschaftlichen Arbeiten wurden die Studenten gebeten, zu einem selbstgewählten Thema einen Entwurf zu erstellen. Ich habe mich für das Thema ,,Interaktion und Rollenübernahme" entschieden, weil mich dieses Gebiet nach vorherigem Lesen einiger Literatur über Sozialisation und Interaktion besonders interessierte und eine Herausforderung darstellte.
Es wurden für die Anfertigung einer solchen Arbeit einige Rahmenbedingungen gestellt. So sollten nicht mehr als höchstens vier Seiten Haupttext geschrieben werden. Das erklärt den Umfang des Entwurfes. Es wurde erforderlich, den Text möglichst kurz und klar zu formulieren. Das erwies sich aufgrund der komplexen Prozesse in der Entwicklung eines Menschen und aufgrund der überaus zahlreichen Literatur zu diesem Thema als äußerst schwierig.
Ich habe versucht, in einige grundlegende Begriffe und Entwicklungen einzuführen und Neugier auf dieses Thema zu wecken. Dazu habe ich verschiedenste Quellen genutzt und wichtigste Aspekte gewissermaßen zusammengefasst.
Meine Eltern machten nach einer Durchsicht wertvolle Verbesserungsvorschläge und unterstützten mich durch ihre Geduld und Diskussionsbereitschaft.
1. Zwischen Bestimmtheit und Selbstbestimmung
1.1. Vorsprachliche Interaktion
Unter Interaktion wird die gegenseitige Beeinflussung von Individuen durch nonverbales oder sprachliches Verhalten verstanden.1 Bei Säuglingen vollzieht sich die vorsprachliche Interaktion in Form von Wahrnehmung der Erwartungen, die durch unterschiedliche Reaktionen der Mutter auf das Verhalten des Kindes erlernt werden. Das wird vorerst von körperlichen und emotionalen Bedürfnissen gesteuert. Allmählich verknüpft das Kind das Verhalten der Mutter mit unterschiedlichen Bedeutungen und übernimmt die Erfahrungen in sein eigenes Verhalten. In der weiteren Entwicklung erweitert sich durch die Verbesserung der motorischen Fähigkeiten der Handlungs- und Erfahrungsraum. Die Mutter wird zur Repräsentantin gesellschaftlicher Regeln und trägt somit zu einer ersten Ordnung im Leben des Kleinkindes bei.
Die primäre Sozialisation ist jedoch keine einseitige Prägung, sondern wird auch durch die eigenen Interessen gegenüber den Ansprüchen der Mutter beeinflusst. Während die Mutter für das Kind einen besonders hohen Stellenwert besitzt, orientiert sich die Mutter in ihrem Verhalten auch an den sozialen Erwartungen anderer. Es fließen Erinnerungen an die Art und Weise ihrer eigenen Eltern, die Vorstellungen des Ehepartners, gutgemeinte Ratschläge oder abschreckende Beispiele von Verwandten, Freunden und Nachbarn und schließlich auch Bilder, die Fernsehsendungen, Zeitschriftenartikel und Bücher vermitteln, in ihr Verhalten ein.
1.2. Sprache und Denken: Symbolische Aneignung
Sprache ist die Voraussetzung für den Aufbau von Sozialstrukturen und man kann das Erlernen von Sprache auch als Lernen von Bedeutungen kennzeichnen. Mit Hilfe der Verständigung ist es dem Kind jetzt möglich, sich auch in Gedanken mit einem Objekt auseinander zusetzen. ,,Es lernt, mit einem Objekt umzugehen, sein Handeln darauf zu beziehen, auch wenn das Objekt sich nicht im Bereich seiner unmittelbaren sinnlichen Erfahrungsmöglichkeiten befindet."2
Die Entwicklung der Sprache und die Entwicklung des Denkens (kognitive Entwicklung) sind eng miteinander verbunden. Das Denken ermöglicht dem Individuum, ,,Erfahrungen" im Kopf zu machen, indem Dinge aus der Umwelt durch die gedankliche Repräsentation in Form von sprachlichen Symbolen bewegt werden können. Das ist Voraussetzung für die Erkenntnis von Zusammenhängen und Strukturen und wird ein Leben lang trainiert, erweitert und verbessert.
Dabei übernimmt die Sprache eine Entlastungsfunktion, da der Mensch nicht mehr gezwungen ist, sich ständig direkt mit konkreten Gegenständen und sozialen Anlässen auseinander zusetzen. Es wird Raum für Planung geschaffen und die Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht.
1.3. Symbolische Aneignung und Interaktion
Wichtig für das Denken ist der ,,Begriff". Worte dienen als Symbolisierung von Begriffen und stellen oft nicht nur eine einfache Bedeutung dar, sondern stehen für ganze Gedankenketten. Durch die Symbolisierungen sind Interaktionen mitteilbar und gewinnen Realitätscharakter. Der Erwerb der Sprachfähigkeit bedeutet also den Schritt zur symbolischen Interaktion. Dabei muss von beiden Interaktionspartnern eine andauernde und routinisierte Interpretationsleistung erbracht werden, um zu verstehen, was der andere will. Als Beispiel könnte man das Einkaufen angeben. Schon allein der Begriff enthält für jeden Beteiligten und Beobachter einen festgelegten Sinn. Niemand würde das Entnehmen der Waren aus dem Regal als Diebstahl und die stumme Erwartung der Kassiererin als Vorstufe für einen Raubüberfall halten.
2. Rollenübernahme
2.1. Die wachsende Welt von ,,signifikanten" und ,,generalisierten Anderen"
Um den anderen zu verstehen, muss ich mich in ihn hineinversetzen und seine Perspektive übernehmen. Weil jeder Teilnehmer eine durch soziale Erwartungen umrissene ,,Rolle" spielt, wird der Vorgang des Sich-Hineinversetzens als ,,Rollenübernahme" bezeichnet. Diese Fähigkeit ist ein entscheidender Schritt in der Sozialisation des Kindes. Durch die Perspektivenübernahme werden Sinn und Bedeutung des Verhaltens des anderen vermittelt. Das Kind lernt nicht nur die Rollenübernahme der wichtigen Menschen in seinem Leben, sondern nimmt diese Perspektive ,,nach innen", internalisiert sie. ,,Diese wichtigen Menschen werden ,Bezugspersonen' oder nach George Herbert Mead ,signifikante Andere' genannt."3 Der Prozess ist ein wichtiger Schritt für die Entwicklung des Gewissen und wird auch Über- Ich genannt. Der Standpunkt der Mutter hat sich im Denken des Kindes verankert und bleibt auch bestehen, wenn die Mutter keine direkte Kontrolle ausübt oder nicht anwesend ist. Langsam erweitert sich jedoch die Welt und auch ,,Nicht-Signifikante" verändern die Wahrnehmung. Aus der ,,internalisierten Mutter" wird allmählich ein ,,man", was die Gesellschaft repräsentiert und als ,,generalisierte Andere" bezeichnet wird. Es ist der nach innen genommene Standpunkt der Gesellschaft.4
Die Generalisierungsfähigkeit ist die Voraussetzung für eine gelungene Sozialisation und die Aneignung von Gesellschaft.
2.2. Rollenübernahme, Perspektivenwechsel und Identität
Es ist sicher, dass der Mensch sich auf die Erwartungen anderer einlassen muss. Das bezieht sich auf das gemeinsame Handeln und auch auf das Bild, das der Mensch von sich selbst hat. Denn eines ist sicher: wie wir uns sehen, ist nicht zuletzt von dem bestimmt, was die anderen von uns denken oder wovon wir annehmen, dass die anderen über uns denken.5 Dieses Einlassen auf andere vollzieht sich in Form von einem Perspektivenwechsel. Dabei sieht jeder Interaktionspartner sich selbst aus der Sicht seines Gegenübers. In diesem Zusammenhang kann man dann von dem ,,Me" sprechen, der Verinnerlichung der Erwartungen des Interaktionspartners an mich selbst. Einfacher ausgedrückt ist ,,Me" die soziale Spiegelung des Selbst. Der Vorgang des Sichselbstbetrachtens ist ein reflexiver Akt und wird auch als Selbstbewusstsein bezeichnet. Als Ergebnis bildet sich ein Selbstbild - die Identität. Die Sinnstruktur der Alltagswelt formt die Erfahrungsmöglichkeiten und entwickelt die Identität.
3. Zusammenfassung
Die Aneignung von Sprache als abstraktes Symbolsystem ist Voraussetzung für die Aneignung von Gesellschaft. Die Interaktionsfähigkeit entwickelt sich im Umgang mit den signifikanten Anderen der familialen Welt und ist normalerweise vollständig auf die Familie konzentriert. Die Erfahrung allgemeiner interaktioneller Grundregeln ist Voraussetzung für die Rollenübernahme im Umgang mit nicht-signifikanten Anderen. Es wird gelernt, fremdes und eigenes Handeln vom Standpunkt eines ,,generalisierten Anderen" zu beurteilen. Die Gesellschaftserfahrungen werden nicht nur gesammelt, sondern auch geordnet. Dadurch werden die Spiegelungen des Selbst in einen Zusammenhang gebracht. Die Organisation sozialer Erfahrungen ist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung der Identität.
Literaturverzeichnis
Abels, H. und Stenger, H.: Grundkurs Soziologie, Hagen 1984.
Fuchs, W. u.a. (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie, 2 Bde., Reinbek bei Hamburg 1975.
Joas, H.: Rollen - und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung; in: Hurrelmann, K. und Ulich, D.(Hrsg.): Handbuch der Sozialisationsforschung, Weinheim 1980. Krappmann, L.: Soziologische Dimensionen der Identität, Stuttgart 1971.
Oevermann, K.: Sprache und soziale Herkunft, Frankfurt a. Main 1970.
Watzlawick, P. und Weakland, J.H.: Interaktion. Menschliche Probleme und Familientherapie, München 1997.
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Häufig gestellte Fragen
Was ist der Inhalt dieses Textes über Interaktion und Rollenübernahme?
Dieser Text ist ein wissenschaftlicher Entwurf, der aus einem Seminar zum wissenschaftlichen Arbeiten in der Soziologie entstanden ist. Er behandelt das Thema Interaktion und Rollenübernahme, wobei der Fokus auf der Entwicklung von Individuen durch soziale Interaktion, Sprache und die Übernahme von Rollen liegt.
Welche Themen werden im Inhaltsverzeichnis aufgeführt?
Das Inhaltsverzeichnis gliedert sich in folgende Hauptpunkte:
- 1. Zwischen Bestimmtheit und Selbstbestimmung
- 1.1. Vorsprachliche Interaktion
- 1.2. Sprache und Denken: Symbolische Aneignung
- 1.3. Symbolische Aneignung und Interaktion
- 2. Rollenübernahme
- 2.1. Die wachsende Welt von ,,signifikanten" und ,,generalisierten Anderen"
- 2.2. Rollenübernahme, Perspektivenwechsel und Identität
- 3. Zusammenfassung
- Literaturverzeichnis
Was versteht der Text unter vorsprachlicher Interaktion?
Vorsprachliche Interaktion bezieht sich auf die gegenseitige Beeinflussung von Individuen durch nonverbales Verhalten, insbesondere bei Säuglingen. Es beinhaltet die Wahrnehmung von Erwartungen durch Reaktionen der Mutter und wird durch körperliche und emotionale Bedürfnisse gesteuert.
Welche Rolle spielt die Sprache bei der Entwicklung des Denkens?
Sprache ist laut dem Text eine Voraussetzung für den Aufbau von Sozialstrukturen und ermöglicht es dem Kind, sich auch in Gedanken mit einem Objekt auseinanderzusetzen. Die Entwicklung der Sprache und des Denkens sind eng miteinander verbunden, da die Sprache die gedankliche Repräsentation von Dingen in Form von Symbolen ermöglicht.
Was bedeutet der Begriff "Rollenübernahme" im Kontext des Textes?
Rollenübernahme ist die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und deren Perspektive zu übernehmen. Dies ist ein entscheidender Schritt in der Sozialisation, da durch die Perspektivenübernahme Sinn und Bedeutung des Verhaltens anderer vermittelt werden.
Wer sind "signifikante Andere" und "generalisierte Andere"?
"Signifikante Andere" sind wichtige Bezugspersonen im Leben eines Kindes, deren Perspektive internalisiert wird. Der "generalisierte Andere" repräsentiert die Gesellschaft und ist der nach innen genommene Standpunkt der Gesellschaft.
Wie beeinflusst die Interaktion die Entwicklung der Identität?
Die Interaktion beeinflusst die Entwicklung der Identität durch Perspektivenwechsel und die Verinnerlichung der Erwartungen anderer. Das Selbstbild entsteht durch die soziale Spiegelung des Selbst ("Me") und die Organisation sozialer Erfahrungen.
Was ist die Hauptaussage der Zusammenfassung?
Die Zusammenfassung betont, dass die Aneignung von Sprache Voraussetzung für die Aneignung von Gesellschaft ist. Die Interaktionsfähigkeit entwickelt sich im Umgang mit signifikanten Anderen, und die Erfahrung allgemeiner interaktioneller Grundregeln ist Voraussetzung für die Rollenübernahme im Umgang mit nicht-signifikanten Anderen. Die Gesellschaftserfahrungen werden geordnet und bilden die Grundlage für die Entwicklung der Identität.
- Arbeit zitieren
- Juliane König (Autor:in), 2000, Interaktion und Rollenübernahme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99255