Robert K. Merton versucht hier eine weitere Theorie der mittleren Reichweite zu entwickeln, die sich mit der Problematik des Rollen-Set sowie den sozialen Mechanismen, die eine Verschränkung im Rollen-Set herbeiführen, befasst.
Mertonarbeitet zunächst die Notwendigkeit und Chance für die Weiterentwicklung soziologischer Theorien aus, die für ihn in der ,,Kombination relativ einfacher Ideen" (S.256) besteht und die er als Theorie der mittleren Reichweite bezeichnet.
Theorien der mittleren Reichweite weisen, im Gegensatz zu anderen Theorien, einen viel begrenzteren Bezug auf, da sie sowohl eine begrenzte Anzahl von Fakten als auch einen begrenzten Bereich sozialer Erscheinungen in der Gesellschaft untersuchen.
Exzerpt über
MERTON, Robert K.: Der Rollen-Set: Probleme der soziologischen Theorie.
In: Hartmann, Heinz (Hrsg.): Moderne Amerikanische Soziologie. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, 1967, S. 255-267
Robert K. Merton versucht hier eine weitere Theorie der mittleren Reichweite zu entwickeln, die sich mit der Problematik des Rollen-Set sowie den sozialen Mechanismen, die eine Verschränkung im Rollen-Set herbeiführen, befasst.
Mertonarbeitet zunächst die Notwendigkeit und Chance für die Weiterentwicklung soziologischer Theorien aus, die für ihn in der ,,Kombination relativ einfacher Ideen" (S.256) besteht und die er als Theorie der mittleren Reichweite bezeichnet.
Theorien der mittleren Reichweite weisen, im Gegensatz zu anderen Theorien, einen viel begrenzteren Bezug auf, da sie sowohl eine begrenzte Anzahl von Fakten als auch einen begrenzten Bereich sozialer Erscheinungen in der Gesellschaft untersuchen.
Beispiele, dieMertonnennt, sind eine ,,Theorie der Bezugsgruppen" oder eine ,,Preistheorie" (beides S.258).
,,Die Problematik des Rollen-Set" wird vonMertonebenfalls als Beispiel einer Theorie der mittleren Reichweite betrachtet.
Im nächsten Abschnitt ,,Die Problematik des Rollen-Set" gibt er zunächst den Soziologen seiner Zeit Recht, ,,dass der soziale Status und die soziale Rolle wesentliche Bausteine der sozialen Struktur darstellen" (S.259).
Allerdings widerspricht er der AnsichtLintons, dass zu jeder Position eines Mitglieds der Gesellschaft nur eine entsprechende Rolle gehört.
Mertonvertritt die Theorie, dass ,,zu jeder sozialen Position...eine Reihe von Rollen" (S.260) gehören, die er als Rollen-Set bezeichnet.
Er definiert den Begriff Rollen-Set als ,,die Kombination von Rollen-Beziehungen, in die eine Person auf Grund ihrer Inhaberschaft eines bestimmten sozialen Status verwickelt ist" (S.260). Das heißt, dass der Status eines Lehrers beispielsweise nicht nur die Rolle seinen Schülern gegenüber mit sich bringt, sondern auch die Rolle seinen Kollegen, dem Schuldirektor, den Eltern gegenüber usf..
Mertonverdeutlicht weiterhin den Unterschied zwischen dem Begriff der Rollen-Ausstattung und dem des Rollen-Set. Dieser besteht darin, dass der Begriff RollenAusstattung sämtliche Rollen, die mit den verschiedenen sozialen Positionen zusammenhängen, meint. Die ,,Kombination sozialer Positionen, deren jede ihrerseits einen eigenen Rollen-Set besitzt" (S.260) bezeichnet Merton als Status-Set.
Ein grundsätzliches Problem siehtMertonin den Rollenkonflikten, in denen sich der Statusinhaber befindet. Diese entstehen durch die unterschiedlichen Erwartungen, die die Mitglieder des Rollen-Set an ihn haben.
Bestimmte soziale Mechanismen, d.h. Mechanismen und Prozesse, die außerhalb der Person des Statusinhabers liegen, können helfen, die Konfliktsituationen im Rollen-Set zu ,,mildern" oder, anders ausgedrückt, zu verbessern. Merton benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff ,,Verschränkung" (S.261), womit ebenfalls die Abstimmung der verschiedenen Rollen aufeinander gemeint ist.
Auf diese sozialen Mechanismen geht Merton im folgenden näher ein und unterscheidet derer sechs:
1) Relative Bedeutsamkeit verschiedener Positionen
Durch den soziologischen Umstand, dass manchen Positionen durch die Gesellschaft eine höhere Bedeutung zugeordnet wird als anderen, ergibt sich, dass manche Rollenbeziehung für manche Menschen wichtiger sind als diese für andere sind.
Der soziale Mechanismus, der in diesem Fall zu einer Verbesserung der Situation des Positionsinhabers führt, ist der, dass die Personen des Rollen-Set unterschiedlich stark in die Beziehung zum Positionsinhaber eingewickelt sind. Dadurch ergibt sich natürlich eine erhebliche Entlastung für den Positionsinhaber. Es treffen nämlich weniger viele Erwartung aufeinander, die er erfüllen soll.
2) Machtunterschiede zwischen den Personen in einem Rollen-Set
Die Mitglieder eines Rollen-Set haben verschieden starken Einfluss auf den Positionsinhaber aufgrund deren unterschiedlicher sozialer Schichtung.Merton hält gleichzeitig fest, dies bedeute nicht unbedingt, dass besonders einflussreiche Mitglieder des Rollen-Set einen stärkeren Einfluss auf den Positionsinhaber haben, da sich beispielsweise auch ,,Machtkoalitionen zwischen einigen Mitgliedern des Rollen-Set ausbilden"(S.263) können. Durch diesen Umstand wird auch der Positionsinhaber entlastet.
,,Soweit sich entgegengesetzte Kräfte in einem Rollen-Set neutralisieren, kann der Positionsinhaber in gewissen Grenzen so weitermachen, wie er selbst sowieso wollte."(S.263)
Es ergibt sich eine gewisse Freiheit für den Statusinhaber, bei gegensätzlichen Vorstellungen der Mitglieder des Rollen-Set, nicht den einflussreichsten Mitgliedern völlig ausgeliefert zu sein, sofern diese überhaupt an einer Beziehung mit ihm interessiert sind.
3) Abschirmung des Rollen-Handelns gegenüber der Beobachtung durch Mitglieder des Rollen-Set
Der dritte Mechanismus, der zur Stabilisierung des Rollen-Set beiträgt, besteht in der Tatsache, dass der Positionsinhaber nicht ständig mit allen Mitgliedern des Rollen-Set interagiert.
Dadurch kann bestimmtes Rollenverhalten, mit dem manche Mitglieder keinesfalls einverstanden gewesen wären, hätten sie mit dem Statusinhaber interagiert, überhaupt entstehen.
Deshalb ist die Sozialstruktur auch so angeordnet, dass sie den Positionsinhaber vor dem Bekanntwerden jeder Handlung vor den Mitgliedern des Rollen-Set bewahrt. Merton führt in diesem Zusammenhang das Beispiel des Hochschullehrers an, dessen Maß an Selbstbestimmung von der Funktion der Norm erhalten wird. Wäre dies nicht der Fall, so könnte er sich nicht mehr auf das Lehren konzentrieren, sondern würde seine Zeit damit verbringen, den verschiedenen Erwartungen an ihn gerecht zu werden.
Merton statuiert, dass die oben geschilderte Autonomie des Positionsinhabers zwar gewährleistet sein muss, damit soziale Strukturen überhaupt funktionieren können, gleichzeitig muss die Rollenleistung überprüfbar sein, wenn ,,die soziale Forderung nach Rechenschaftslegung erfüllt werden soll" (S.265). Diese ,,Zone der Übersehbarkeit" (S.265) fällt natürlich für jede soziale Position unterschiedlich aus.
4) Übersehbarkeit widersprüchlicher Forderungen seitens der Mitglieder eines Rollen-Set
Sind die Mitglieder eines Rollen-Set sich darüber bewusst, dass ihre Forderung sich stark unterscheiden, so ergibt sich daraus für sie die Aufgabe, diese Widersprüche untereinander ,,durch Kampf um die Vorherrschaft oder durch einen gewissen Kompromiss aufzulösen" (S. 265)
Dadurch wird der Statusinhaber oft zum ,,tertius gaudens" (S.265), der durch die zusätzliche Betonung der Widersprüchlichkeit der Forderungen, die eigene Situation entspannt.
5) Gegenseitige soziale Unterstützung zwischen den Statusinhabern
Die einzelnen Positionsinhaber unserer Gesellschaft stehen nicht alleine da, im Gegenteil, es gibt viele Personen, die in mehr oder weniger der gleichen Position sind.
Durch diese Tatsache entstehen Organisationen gleichgestellter Statusinhaber. Sie dienen als ,,Bindeglied zwischen dem Individuum und der Gesellschaft" (S.266) und helfen dem Individuum bei der Reaktion auf Probleme, die im Rollen-Set entstehen.
Weiterhin kann durch die Organisation sogar Einfluss auf die Forderungen der Mitglieder des Rollen-Set genommen werden.
Die Organisationen ,,bilden auch normative Systeme aus, die solche widersprüchlichen Erwartungen vorwegnehmen und dadurch abschwächen sollen" (S.266).
6) Beschränkungen des Rollen-Set
Im letzten Abschnitt seines Textes fasstMertonnochmals seine Rollen-Theorie und die Mechanismen, die zu einer Verschränkung im Rollen-Set führen können, zusammen.
Er geht aber zusätzlich auf das verbleibende Problem ein, dass die Rollensysteme, trotz der o.g. Mechanismen, unter Umständen mit erheblich beschränkter Wirksamkeit arbeiten, da die Erwartungen der Mitglieder des Rollen-Set nicht immer unter das Maß gedrückt werden können, ,,das die Sozialstruktur erst wirklich wirksam funktionieren lässt" (S.267)
[Mertons Darstellung der Rollen-Theorie halte ich für äußerst gelungen. Diese mir vorher unbekannte Theorie wird durch viele Beispiele veranschaulicht, was mir den Zugang zu ihr stark vereinfacht hat. Ich stimme eigentlich in allem, was Merton feststellt, mit ihm überein und denke, dass diese Theorie immer noch zeitgemäß ist, was ja bei über 40 Jahre altenTheorien nicht der Fall sein muss, da unsere Gesellschaft einem starken Wandel unterzogen ist.
Häufig gestellte Fragen zu "Der Rollen-Set: Probleme der soziologischen Theorie" von Robert K. Merton
Was ist die Theorie der mittleren Reichweite nach Merton?
Merton beschreibt die Notwendigkeit soziologischer Theorien, die auf der Kombination relativ einfacher Ideen basieren. Diese Theorien sind im Vergleich zu umfassenderen Theorien auf eine begrenzte Anzahl von Fakten und soziale Erscheinungen in der Gesellschaft beschränkt. Beispiele hierfür sind die Theorie der Bezugsgruppen oder eine Preistheorie.
Was versteht Merton unter dem Begriff "Rollen-Set"?
Merton definiert den Rollen-Set als die Kombination von Rollenbeziehungen, in die eine Person aufgrund ihres sozialen Status verwickelt ist. Das bedeutet, dass zu jeder sozialen Position (z.B. Lehrer) eine Reihe von Rollen gehört, die sich auf verschiedene Interaktionspartner (Schüler, Kollegen, Direktor, Eltern) beziehen.
Was ist der Unterschied zwischen Rollen-Ausstattung und Rollen-Set?
Die Rollen-Ausstattung umfasst sämtliche Rollen, die mit den verschiedenen sozialen Positionen zusammenhängen, während der Rollen-Set sich spezifisch auf die Rollenbeziehungen bezieht, die mit einer einzigen sozialen Position verbunden sind. Das Status-Set bezeichnet die Kombination sozialer Positionen, deren jede ihrerseits einen eigenen Rollen-Set besitzt.
Welches grundlegende Problem sieht Merton im Rollen-Set?
Merton sieht ein grundsätzliches Problem in den Rollenkonflikten, die durch die unterschiedlichen Erwartungen der Mitglieder des Rollen-Set an den Statusinhaber entstehen. Diese Konflikte können durch soziale Mechanismen gemildert oder verschränkt werden.
Welche sozialen Mechanismen zur "Verschränkung" im Rollen-Set nennt Merton?
Merton unterscheidet sechs soziale Mechanismen, die zur Stabilisierung des Rollen-Set beitragen:
- Relative Bedeutsamkeit verschiedener Positionen
- Machtunterschiede zwischen den Personen in einem Rollen-Set
- Abschirmung des Rollen-Handelns gegenüber der Beobachtung durch Mitglieder des Rollen-Set
- Übersehbarkeit widersprüchlicher Forderungen seitens der Mitglieder eines Rollen-Set
- Gegenseitige soziale Unterstützung zwischen den Statusinhabern
- Beschränkungen des Rollen-Set
Wie tragen Machtunterschiede zur Stabilisierung des Rollen-Sets bei?
Die Mitglieder eines Rollen-Sets haben unterschiedlichen Einfluss auf den Positionsinhaber aufgrund ihrer sozialen Schichtung. Dies bedeutet jedoch nicht immer, dass einflussreiche Mitglieder mehr Einfluss haben, da sich Machtkoalitionen bilden können. Durch neutralisierende Kräfte im Rollen-Set kann der Positionsinhaber in gewissen Grenzen seinen eigenen Vorstellungen folgen.
Wie schützt die Sozialstruktur den Positionsinhaber vor dem Bekanntwerden jeder Handlung?
Die Sozialstruktur ist so angeordnet, dass sie verhindert, dass jede Handlung des Positionsinhabers allen Mitgliedern des Rollen-Sets bekannt wird. Dies ermöglicht ein bestimmtes Rollenverhalten, das sonst nicht möglich wäre, da nicht ständig alle Erwartungen gleichzeitig erfüllt werden müssten. Die Autonomie des Positionsinhabers muss jedoch mit der sozialen Forderung nach Rechenschaftslegung in Einklang stehen.
Welche Rolle spielen Organisationen gleichgestellter Statusinhaber?
Organisationen gleichgestellter Statusinhaber dienen als Bindeglied zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Sie helfen bei der Reaktion auf Probleme, die im Rollen-Set entstehen, und können sogar Einfluss auf die Forderungen der Mitglieder des Rollen-Set nehmen. Sie bilden auch normative Systeme aus, die widersprüchliche Erwartungen vorwegnehmen und abschwächen sollen.
Welches verbleibende Problem sieht Merton trotz der genannten Mechanismen?
Trotz der genannten Mechanismen zur Verschränkung im Rollen-Set arbeiten die Rollensysteme unter Umständen mit erheblich beschränkter Wirksamkeit, da die Erwartungen der Mitglieder des Rollen-Set nicht immer unter das Maß gedrückt werden können, das eine wirksame Funktionsweise der Sozialstruktur ermöglicht.
- Arbeit zitieren
- Sahra Yavari (Autor:in), 2001, Exzerpt zu Merton - Der Rollen-Set, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99256