Ein Drama als Reformvorschlag? Eine Untersuchung von "Die Soldaten" von Jakob Michael Reinhold Lenz


Ausarbeitung, 2020

12 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Historischer Hintergrund und biographische Bezüge

3. Reformvorschläge Lenz‘

4. Analyse
4.1 „Ihre Ehre ist hin []“Die Verführungsstrategie des Soldatenstandes
4.2 „Eine Pflanzschule an Soldatenweibern “ – die Schlussszene

5. Fazit

6. Literaturliste

1. Einleitung

O Soldatenstand, furchtbare Ehrlosigkeit, was für Karikaturen machst du aus den Menschen! 1

Die Gattung Drama diente vielen Autoren in der literarischen „Protestepoche“ 2 des Sturm und Drang als Mittel die volkstümliche Sprache, und auch die gesamtgesellschaftlichen Probleme der Zeit, auf die Bühne zu bringen. So wurden die reformatorischen Gedanken und Ideen der Autoren nicht nur einem breiten Publikum nähergebracht, sondern auch mit den bisherigen, strengen literarischen Konventionen zur Sprach- und Themengestaltung gebrochen.3 Ziel war unter anderem, nach Vorbild ausländischer Entwicklungen, vor allem der französischen Revolution, die Verbreitung der Ideen zur nationalen Erneuerung. Der Sturm und Drang ging als Form der Jugendbewegung in die Literaturgeschichte ein und verdeutlicht das bei den Zeitzeugen stets vermisste Nationalgefühl als die Deutschen. Die Nation ohne Staat wird neben anderen Autoren auch durch J.M.R. Lenz thematisiert.4

Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) äußert und transportiert mit seinem Werk Die Soldaten seine persönlichen Ansichten und reformatorischen Vorschläge für eine umfassende militärische Reform im deutschen Staatenbund des 18. Jahrhunderts. Die folgende Ausarbeitung soll sich (ergänzend zum Referat vom 05.12.2019) mit den Reformvorschlägen Lenz‘ beschäftigen und herausstellen wie diese im Drama transportiert und vermittelt werden. Im Vordergrund stehen dabei Lenz‘ Überlegungen zu den Themenbereichen der Heiratserlaubnis für Soldaten, die Umgestaltung des Heeres und die Rekrutierung neuer Soldaten in die Armee. Dafür soll zunächst der historische und biographische Hintergrund des Dramas beleuchtet werden und die einzelnen Thesen aus der Reformschrift „Über die Soldatenehen ausgearbeitet werden. In einer textbasierten Analyse soll dann die Vermittlung der Reformvorschläge und deren Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung des Dramas herausgestellt werden. Den Schwerpunkt soll vor allem die Untersuchung der Darstellung des Soldatenstandes bilden. von J.M.R: Lenz herausgearbeitet werden. aus gearbeitet werden

2. Historischer Hintergrund und biographische Bezüge

„Deutschland“ der späten siebziger Jahre des 18. Jahrhundert ist kein geeinter und politisch autonom agierender Staat. Erst viele Jahre später kommt es zu einer ersten Form der Einigung: dem Deutschen Kaiserreich, 1815. Zu Lebzeiten Lenz‘ findet er ein „politisch machtloses Gefüge an Einzelstaaten“ vor, das absolutistisch aus Preußen heraus regiert wird.5 Zur Entstehungszeit des Dramas „Die Soldaten“ versucht die Bewegung des Sturm und Drang in Form von gesellschaftlicher Kritik die Ist-Situation im Staat anzuprangern. Eine große Rolle spielt dabei das Militär. Dieses steht zur Zeit des 18. Jahrhunderts nicht als Gegenpol zur kritischen, intellektuellen Welt dar, sondern ist eine bedeutende soziale und politische Institution. Somit erklären sich viele reformatorische Projekte der Zeit, die das Militär betrafen. Als Teil des bürgerlichen Aufklärungsgedanken kommt dem Militär in Diskussionen in intellektuellen Kreisen eine hohe Bedeutung zu. Ein Idealbild der Zeit bildet unter anderem der „patriotische Intellektuelle“, welcher auch Vorbild für viele literarische Werke wird.6

Das Militär des 18. Jahrhunderts ist durch die Form des stehenden Heeres gekennzeichnet. Ein Großteil der Rekruten wird aus niedrigen Schichten, mit meist wenig anderen beruflichen Möglichkeiten, angeworben. Diese Rekruten dienten als einfache Fußsoldaten und Unteroffiziere und hatten kaum Zugang zu höheren militärischen Rängen der Armee. Höhere Offiziersstellen und Leitungen wurden stets innerhalb der adeligen Familien besetzt und sogar weitervererbt. „Der Soldatenstand“ bildet also, genau wie die zivile Gesellschaft, mehrere Stände und spiegelt die sozial voneinander getrennten Welten in der Armee ab. Neben den sozialen Unterschieden und den somit einhergehenden Differenzen in Bildung, Finanzen und Wertesystem, gab es auch die Problematik der eingeschränkten Möglichkeiten zur Gestaltung der persönlichen Lebensführung für die Soldaten. Durch militärische Gesetze war es den Soldaten verboten sich in Ehe oder eheähnlichen Partnerschaften zu binden. Zudem waren sie verpflichtet innerhalb der Garnisonsstädte in den Kasernen zu wohnen um auf mögliche Einsätze vorbereitet zu sein. Ein Beziehungsleben oder gar die Gründung einer Familie war undenkbar. In wenigen Ausnahmefällen, vor allem bei Soldaten aus dem adeligen Stand, wurden Heiraten bedingt erlaubt, diese mussten jedoch durch ranghöhere Militärs genehmigt werden.7 Kritische Stimmen in der Aufklärung bemängelten zudem die Praxis des stehenden Heeres aus angeworbenen Söldnern und den Soldatenhandel. Kritiken am Heiratsverbots traten nur vereinzelt und meist unberücksichtigt auf.8

Auch Lenz selbst hatte persönliche Bezüge zum Soldatenstand und auch persönliches Interesse an der Kriegswissenschaft.9 Ab 1771 dient er den adeligen Brüdern von Kleist während deren Aufenthalt in Straßburg fünf Jahre als Dolmetscher. Die Barone waren Offizieren im dort stationierten Heer der preußischen Armee und waren Freunde und Studienkollegen Lenz‘. Während des Aufenthalts im Elsass erlebt Lenz die Beziehung zwischen Friedrich von Kleist und der Tochter eines bürgerlichen Händlers. Seine Gedanken und Eindrücke hält Lenz in einem Tagebuch fest, welches später durch Goethe publiziert wird und anhand dessen die Literaturwissenschaft eindeutige Parallelen zwischen den Erlebnissen Lenz‘ und dem Inhalt des Dramas „Die Soldaten“ ziehen kann. So können sogar charakterliche Eigenschaften der Figuren des Dramas auf die real existierenden Personen in Lenz‘ Umfeld zurückverfolgt werden. Einen weiteren Hinweis auf die Nutzung seiner Erlebnisse als Vorlage für sein Drama, hinterlässt Lenz selbst, indem er in einem Brief an seinen Freund und Verleger Herder Bedenken äußert sich selbst als Autoren des Dramas zu veröffentlichen, um mögliche Rückschlüsse in sein Umfeld zu vermeiden. Vor allem aufgrund des laufenden Gerichtsprozesses zwischen von Kleist und der von ihm verschmähten bürgerlichen Tochter, äußert Lenz Zweifel an der Veröffentlichung des Werkes.10 Welche genauen Eigenschaften und Handlungsstränge auf real existierenden Personen und Erfahrungen basieren, kann anhand der Briefe und Tagebucheinträge Lenz‘ gut rekonstruiert werden.11 Trotz dessen kann „Die Soldaten nicht als autobiographisches Werk eingeordnet werden, die transportieren Ansichten und Werte seien eine Verallgemeinerung, ein „Mittel für politische Zwecke“, so Lenz selbst in einem Brief an Herder.12 Die Bedenken Lenz‘ führten jedoch zu einer verspäteten Veröffentlichung des Werkes.13

3. Reformvorschläge Lenz‘

Ihr Monarchen! Ach seyd ihr so fremd mit der menschlichen Natur geworden, es nicht in seiner ganzen Stärke zu fühlen, was für ein neues Leben, was für wunderthätige Kräfte in eure Soldaten strömen müssen, wenn sie für Weiber und Kinder fechten.“14

Lenz verfasst 1776 parallel zu seinem Drama die Reformschrift Über die Soldatenehen mit politischen Vorschlägen für eine umfassende Heeresreform und suchte damit Einfluss in Weimar und am preußischen Königshof.15 Er fordert darin unter anderem eine vollständige Heiratserlaubnis für Soldaten. Diese soll der sozialen Ausgrenzung des Soldatenstandes entgegenwirken und vor allem einen „sinnlichen“ Vorteil für die Soldaten und motivationale Grundlage für die Kampfbereitschaft bilden. So sollte dem Problem der Fahnenflucht entgegengewirkt werden.16 Für die Familien der Frauen sollten steuerliche Vorteile und Zollfreiheit als Entschädigung für die Verheiratung der Töchter in den Soldatenstand dienen. Ein besonderes Augenmerk der Reformschrift lag auf der sexuellen Disziplinierung der Soldaten.17 Langfristig sollte nach Lenz‘ Vorstellungen die gesamte Armee umgestaltet werden. Das bisher als stehendes Heer, also jederzeit kampfbereite, fest stationierte Truppe, organisierte Militär sollte in eine Bürgerarmee umgewandelt werden, die als eine Miliz im Bedarfsfall aufgestellt wird und das Vaterland patriotisch verteidigen sollte. Die Soldaten sollten die Möglichkeit im kriegsfreien Winter bei ihren Familien zu wohnen und im Sommer in den Kasernen bereitstehen. Neben der Organisationsform der Armee, war auch die Frage nach der Rekrutierung von Nachwuchs für die Bereitstellung im Heer ein Diskussionspunkt. Lenz sieht hier den Nachwuchs aus den von ihm vorgeschlagenen Soldatenehen als großes Potenzial. Die Söhne aus diesen Ehen sollten bereits ab Kindesalter an die militärische Erziehung herangeführt werden. Hierfür sollten spezielle Erziehungsanstalten aufgebaut werden, in denen ausgediente Soldaten den Unterricht für die Rekruten übernehmen sollten. Hier ergaben sich durch Lenz‘ Vorschläge militärpolitische und finanzielle Vorteile für den Staat, da sich die bisherige Soldatenausbildung kostspielig und mangelhaft gestaltete.18 Lenz‘ Reform bringt eine gesellschaftliche Neuordnung mit sich, mithilfe derer sich der Soldatenstand besser in die Gesellschaft einfügen sollte und somit, neben der Motivation durch die Familie, eine stärkere patriotische Anbindung an den Staat erfahren sollte. Ein organisch-harmonisches Zusammenleben zwischen Soldatenstand und Gesellschaft, sollte das bisherige Leiden der Bevölkerung und vor allem der Frauen durch die ungezügelten Machenschaften der Soldaten beenden.

4. Analyse

Lenz untertitelt sein (zunächst anonymisiert veröffentlichtes) Drama als Komödie. Nach der bisherigen literarischen und poetischen Tradition behandelt eine Komödie eine komische Handlung, meist innerhalb des niederen Standes, da die scherzhafte Auseinandersetzung mit dem Adel zu damaliger Zeit noch undenkbar schien. Lenz‘ Komödienbegriff ist jedoch ein anderer: Er vereint tragische und komische Elemente und behandelt sogar gesellschaftliche Übergänge zwischen Adel und niederem Stand.19 Für die Definition seines Komödienbegriffs verfasste Lenz eigene dramentheoretische Werke.20 Lenz geht mit seinem Werk die Soldaten also über die Konventionen einer Komödie und die des bürgerlichen Trauerspiels hinaus, indem er sein Drama nicht mehr ständedistinkt entwirft und die gesamte Gesellschaft als Akteure miteinbezieht. Inwieweit das Drama gesamtgesellschaftlich rezipiert wurde, bleibt vor historischen Hintergründen wie Verbreitung, Aufführungspraxis und Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung fraglich.21 Lenz‘ definiert also bereits im Titel seinen Anspruch das gesamtgesellschaftliche Leben darzustellen. Wie schon in seiner Reformschrift propagiert, kann nur das harmonische Zusammenleben der Gesellschaft mit dem Soldatenstand die Problematiken in und mit der Armee lösen.

4.1 „Ihre Ehre ist hin […]“ – Die Verführungsstrategie des Soldatenstandes

Anders als im klassischen Dramenaufbau22 vorgesehen, verzichtet Lenz auf eine typische Expositionsszene, in der sich das dramatische Ereignis ankündigt. In der ersten Szene des ersten Aktes wird auf die Liebesbeziehung zwischen Marie und Stolzius hingewiesen und in das bürgerliche Umfeld der Handlung eingeführt. Es folgt eine Schlüsselszene, in der zum einen der Soldatenstand, verkörpert durch Desportes, zum ersten Mal auftritt und in der dem Rezipienten die Verführungsstrategie der Soldaten gegenüber (bürgerlichen) Mädchen veranschaulicht wird.23 „Ich schwöre Ihnen, daß [sic!] ich noch in meinem Leben nichts Vollkommeneres gesehen habe, als Sie sind.“24 Desportes betont gegenüber der noch unbeeindruckten Marie seine ehrlichen Absichten und seine Bemühungen, dass er sich extra die Mühe mache „nur um das Glück zu haben, Sie zu sehen.“ Unterbrochen wird sein Umwerben durch das Erscheinen des Vaters Wesener. Der Vater lenkt das Gespräch auf geschäftliche Details und unterbricht so die Kommunikation zwischen Marie und dem Baron.

[...]


1 J.M.R. Lenz: Die Soldaten. Eine Komödie, Reclam 1971, (III,4).

2 Vgl. McInnes (1977): S.68.

3 Vgl. Ranke (2004): S.5.

4 Vgl. McInnes (1977): S.69.

5 Vgl. McInnes (1977): S.69.

6 Vgl. Kagel (2017): S.416.

7 Vgl. Ranke (2004): S.41.

8 Vgl. Ebd.: S.42.

9 Vgl. Kagel (2017): S.417.

10 Vgl. Luserke (2001): S.120.

11 Ranke (2004): S.31.

12 Vgl. Ebd.: S.39.

13 Vgl. McInnes (1977): S.17.

14 J.M.R. Lenz: Über die Soldatenehen, Hrsg: Karl Freye, Leipzig: Wolff, 1914. S.28f.

15 Vgl. Kagel (2017): S.418.

16 Vgl. Ebd. S.419.

17 Vgl. Kagel (2017): S.420.

18 Vgl. Ranke (2004): S.45.

19 Vgl. Ebd.: S.6.

20 U.a. Jakob Michael Reinhold Lenz: Anmerkungen übers Theater. Nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears . Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774.

21 Vgl. Luserke (2001): S.121.

22 Lenz (1776): Die Soldaten: (V/5).

23 Vgl. Luserke (2001): S.121.

24 Lenz (1776): (I/3). Dieses und folgende Zitate beziehen sich, wenn nicht anders vermerkt, auf (I/3).

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Ein Drama als Reformvorschlag? Eine Untersuchung von "Die Soldaten" von Jakob Michael Reinhold Lenz
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Die Moderne im 18. und 19. Jahrhundert
Note
2,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
12
Katalognummer
V992895
ISBN (eBook)
9783346357427
ISBN (Buch)
9783346357434
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Moderne, Umbruch, Epochenliteratur, Jakob Michael Reinhold Lenz, 1776, Die Soldaten, Sturm und Drang, Reformliteratur, Protestepoche
Arbeit zitieren
Lina Mintzlaff (Autor:in), 2020, Ein Drama als Reformvorschlag? Eine Untersuchung von "Die Soldaten" von Jakob Michael Reinhold Lenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/992895

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