Alexanders Zug durch die Gedrosische Wüste


Referat / Aufsatz (Schule), 2000

5 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Alexanders Zug durch die Gedrosische Wüste

Martin Köppel

Wer kennt es nicht, das Gefühl, dass sich einem aufdrängt, wenn man von etwas tage-, wochen-, vielleicht sogar schon monatelang geträumt hat und sich dann das aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen nicht in die Tat umsetzen lässt? Diese Sache, auf die man sich so sehr gefreut hat. Zum Beispiel der nächste große Urlaub, den man sich seit Wochen im Kopf ausmalt. Vielleicht auch eine Fusion der eigenen Firma mit einem anderen Unternehmen, die man schon monatelang plant - und dann bricht plötzlich eine ganze Welt für einen zusammen. Vielleicht, weil derjenige, mit dem man in den Urlaub fahren wollte auf einmal keine Lust oder auch keine Zeit mehr hat. Vielleicht aber auch, weil die eigenen Aktionäre gegen die geplante Fusion stimmen. Was macht man in so einem Fall? Wut, Verzweiflung, Ohnmacht steigen in einem auf. Natürlich kann man alleine in Urlaub fahren. Die Fusion mit der anderen Firma ist jedoch geplatzt. Sinnt man auf Rache? Will man von dem Freund nichts mehr hören oder versucht man die Firma zu ruinieren, um sich an den Aktionären zu rächen?

Gerade die Kluft zwischen Traum und Wirklichkeit, wenn das, wonach man sich so lange gesehnt hat, sich nicht realisieren lässt, führt auf allen Ebenen zu Enttäuschung - im Großen wie im Kleinen. Daran hat sich heute, wie auch vor über 2000 Jahren nichts geändert.

Alexander, im Jahr 326 vor Christus, inzwischen 30 Jahre alt, persischer Großkönig und Sohn des Ammon Zeus, steht vor der Überquerung des Hyphasis, um den letzten Eckstein der Oikumene zu erobern - die Vereinigung der gesamten bewohnten Welt. Ein neuer Abschnitt des Heerzuges sollte beginnen, der letzte im Osten. War es vor allem die Erforschung des Ungewissen, der neuen, Kulturen, die ihn lockten und von denen er seit seiner Jugend träumte. War es vor allem das, was ihn schon in seiner Jugend von vielen, vielleicht sogar allen anderen Fürstensöhnen seiner Zeit unterschied. Wissenschaft und vor allem Geographie waren für ihn nicht nur von brennendem Interesse, als Schüler des Aristoteles, einem der bedeutendsten Wissenschaftler Griechenlands, standen ihm zudem für die damalige Zeit unbekannte Möglichkeiten offen. Während die meisten anderen Fürstensöhne die Welt lediglich von ihrem Lande aus überblickten, konnte Alexander anhand der Landkarten, die Aristoteles erstellt hatte, sein Land aus dem Blickwinkel der damals bekannten Welt sehen.

Wie lange muss er sich auf den Moment gefreut haben, das Unbekannte zu entdecken, die Oikumene zu erobern? Wie oft muss er von der anderen, ihm unbekannten Welt geträumt haben, sich seine Eroberungen bis in die letzte Ecke vor seinem geistigen Auge ausgemalt haben?

Doch dann, kurz vor der Erfüllung seines Traumes, verweigern seine Soldaten ihm die Gefolgschaft. Sie wollen den Hyphasis nicht überqueren, keine weiteren Eroberungen im Osten unternehmen. Tagelang soll sich Alexander in seinem Zelt eingeschlossen und gegrollt haben. Nach drei Tagen beschloss er dann den Rückmarsch.

Muss Alexander sich nicht gekränkt gefühlt haben? Zurückgewiesen? Von den eigenen Leuten, den Freunden, die nur zu gut von seinem Traum gewusst haben, verraten? Hat er nicht beabsichtigt sich dafür zu rächen?

Ungefähr ein Jahr später dann der Rückmarsch durch die Gedrosische Wüste. Während Nearch mit Alexanders Flotte an der Küste entlang bis zur Mündung des Euphrats segelte, um die Möglichkeit eines regelmäßigen Seeverkehrs auf dieser Strecke zu erkunden, und Krateros mit der Elite-Truppe, der Hatairenreiterei durch Süd-Afghanistan vorstieß, durchquerte Alexander mit dem Rest des Heeres den als äußerst schwierig geltenden Weg durch die Gedrosische Wüste. Für eine kleine Gruppe wäre der Weg gut gangbar gewesen, für solch ein großes Heer war er jedoch die Hölle. Durch unvorstellbare Hitze, Sandstürme und Wassermangel war das Heer gezwungen, nur in der Nacht zu marschieren. Schlangen und Giftpflanzen forderten zahlreiche Opfer, fernerhin noch die Lebensmittelknappheit, so dass außerdem Zugtiere geschlachtet werden mussten. Erschöpfte blieben am Wegrand liegen und starben einen qualvollen Tod. Eine Katastrophe bahnte sich an.

Insgesamt dauerte der Marsch durch die Gedrosische Wüste, bei dem der größte Teil des Weges völlig unfruchtbar und unbewohnt war, 60 Tage, wobei bis zu dreiviertel des Heeres umgekommen seien sollen.

Woran lag es, dass Alexander so einen Fehler begangen hat und mit dem Großteil seines Heeres ins Verderben gezogen ist?

War der Zug durch die Gedrosische Wüste einfach nur schlecht vorbereitet?

Die Durchquerung galt schon für seine Zeitgenossen als unmöglich. Jedoch soll etwas, das als undurchführbar galt, Alexander noch nie an der Verwirklichung seiner Pläne, dem Erfüllen seines Traumes - der Eroberung der Oikumene, aufgehalten haben. Dies zeigt sich ganz deutlich an dem Beispiel Tyros, das niemand vor Alexander, nicht einmal Nebukadnezer, der babylonische König jemals erobert hat. Auch die Lösung des Gordischen Knotens, den bislang noch niemand gelöst hatte, stellt ein weiteres Indiz für Alexanders Drang, das Unmögliche möglich zu machen, dar. Er zerschlägt den Knoten mit seinem Schwert und kann damit, der Vorhersage nach, Herr von Asien werden.

Wollte Alexander die Expedition des Nearch vom Land aus unterstützen? Sicher, doch warum werden zum Bauen von Brunnen und zur Sicherstellung der Nahrung mehr als 60.000 Soldaten benötigt?

Warum hat Alexander die Gedrosische Wüste nicht vorher erkunden lassen? Durch Überlieferungen von Kyros und Semiramis, wusste er von den Schwierigkeiten, die ihn erwarteten. Überlebten auf Semiramis Flucht aus Indien nach Berichten von Einheimischen gerade noch 20 Mann den Zug durch die Gedrosische Wüste, so waren es bei Kyros gar nur sieben seines Heeres.

Auch dies hat Alexander nicht davon abgehalten, die Gedrosische Wüste zu durchqueren.

Vielleicht war es eine gewisse caesarische Unbekümmertheit, die Alexander dazu veranlasste die Realitäten der Welt außer acht zu lassen. Vielleicht aber war es auch AlexandersRache am Heer, das ihm am Hyphasis die Gefolgschaft verweigert hatte.

War doch die Umkehr am Hyphasis kaum beachtlich länger als ein Jahr her. Die Wut, vielleicht sogar der Hass Alexanders auf das Heer noch nicht verflogen? Drängte sich der Gedanke nach Rache und Wiedergutmachung nicht mehr allzu sehr auf?

Alexander galt, wie seine Mutter Olympias, als besonders leidenschaftlich und war ebenfalls verheerenden Gefühlsausbrüchen unterworfen, die sogar dazu geführt hatten, dass er seinen Freund Kleitos nach einem Trinkgelage im Jähzorn umgebracht hat. Und ist Alexander gegen Mitglieder des Heeres, sogar Freunden, die ihm die Gefolgschaft verweigert haben, nicht schon immer hart und gefühllos vorgegangen?

Alexander wollte alles. Er kannte in seinem Durchsetzungsdrang keine Grenzen. Das Ende der Welt zu erreichen war sein Traum. Andauernd befiel ihn eine innere Unruhe, das Streben nach dem Äußersten trieb ihn immer weiter. Seine wesentliche Prägung hatte er schon in seiner Jugend, in den homerischen Epen erfahren, der Mentalität des ,,immer der Beste zu sein und die anderen zu übertreffen".

Konnte er dem Heer überhaupt jemals die Zerstörung seines Traumes verzeihen?

Wäre es uns überhaupt möglich, jemandem für das Beenden solch eines Traumes zu vergeben? Will ich von dem Freund, der mich bei der Erfüllung meines Traumes im Stich lässt, nichts mehr hören und versuche ich die Firma aus Rache zu ruinieren, weil sich die Aktionäre gegen die Vollendung meines Traumes stellen?

Ohne Zweifel litten die Makedonen und Griechen, also diejenigen, von denen Alexander sich verraten fühlte und an denen er sich rächen wollte, mehr an dem Zug durch die Gedrosische Wüste, als die an das Klima gewöhnten Asiaten. Auch ist das Heer bei Beginn des Rückzuges aus Indien durch den Zuzug barbarischer Hilfsvölker ohnehin schon stark angewachsen.

Benötigte Alexander überhaupt so viele Soldaten für seine weiteren Pläne? War der Zug durch die Gedrosische Wüste folglich nicht so etwas wie eine natürliche Auslese, überlebten doch nur die Stärksten den Marsch durch die Wüste? Schwächeren, die nicht mehr weiter konnten, ohnmächtig vor Hitze, Durst und Erschöpfung am Boden liegen bleibend, half niemand, und so starben sie einen qualvollen Tod.

So konnte Alexander sich mit dem Zug durch die Gedrosische Wüste an seinem Heer, vor allem aber an den Makedonen, für den Verrat am Hyphasis rächen, ohne dass er des Motivs der Rache ernsthaft beschuldigt werden konnte.

Dieser Zug durch die Gedrosische Wüste ist, selbst bis in die heutige Zeit, einzigartig geblieben. Nur Napoleons Rückzug aus Russland kann einem Vergleich standhalten, wenn auch Napoleon, im Gegensatz zu Alexander, ein geschlagenes Heer durch die Schneefelder Russlands, mit ähnlichen Verlusten, führte.

In der heutigen Zeit ist es schwer vorstellbar, dass der Inhaber sein Unternehmen ruiniert, weil seine Aktionäre gegen eine geplante Fusion sind, von der dieser Unternehmer schon seit langem geträumt hat. Oder man von dem Freund, der unerwartet nicht mehr mit einem in den seit langem ersehnten Urlaub fahren kann, dann nichts mehr hören will. Nicht selten hat die eigene Firma oder eine Freundschaft eben einen höheren Wert, als der Gedanke an Rache für einen zerstörten Traum.

Wie sah das jedoch vor über 2000 Jahren aus? Natürlich gab es zu der Zeit noch keine Aktien, das Wort Firma dürfte den Griechen, Makedonen und anderen auch noch nicht bekannt gewesen sein. Ebenfalls war die Sozialisation, die Erziehung und die Vermittlung der Werte eine andere. Gefühle der Rache, der Eifersucht werden durch die heutige Erziehung zu minimieren versucht. Ob das in jedem Fall gelingt, ist eine andere Frage. Im Gegensatz zu vor

über 2000 Jahren wird jedoch durch die heutige Sozialisation versucht, ein friedliches Zusammenleben zwischen den Menschen zu ermöglichen.

Gerade ein Charakter wie Alexander, der als jähzornig und unglaublich leidenschaftlich galt, hatte selbstverständlich eine andere Auffassung von dem Wert des Lebens, wie wir das heute haben.

Wenn wir uns heute, jedoch ohne unsere durch die Sozialisation vermittelten Werte, versuchen in Alexanders Situation am Hyphasis hinein zu versetzen, können wir uns dann nicht vorstellen, dass wir an Alexanders Stelle uns am Heer, vor allem an den Griechen, rächen wollen? Wäre es für uns nicht eine Genugtuung, wenn genau diejenigen, die gegen den Weitermarsch am Hyphasis waren, jetzt vor uns in der Gedrosische Wüste am Verdursten liegen würden? Ohne Zweifel, das wäre es. Warum soll es für Alexander also anders gewesen sein?

Ende der Leseprobe aus 5 Seiten

Details

Titel
Alexanders Zug durch die Gedrosische Wüste
Hochschule
Real Centro Universitario Maria Cristina
Note
2,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
5
Katalognummer
V99317
ISBN (eBook)
9783638977616
Dateigröße
382 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alexanders, Gedrosische, Wüste
Arbeit zitieren
Martin Köppel (Autor:in), 2000, Alexanders Zug durch die Gedrosische Wüste, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99317

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