Das Modell der erlernten Hilflosigkeit im Zusammenhang mit Depression


Seminararbeit, 1997

22 Seiten, Note: 1


Leseprobe


I. Fragestellung

Der Begriff ,,Erlernte Hilflosigkeit" fällt oft im Zusammenhang mit dem Begriff ,,Depression". Diese Arbeit soll einen kurzen Überblick über den Zusammenhang von erlernter Hilflosigkeit und Depression geben. Außerdem sollen die Entwicklung des Modells der Hilflosigkeit zum Modell der Hoffnungslosigkeit und die Bedeutung dieser Theorie für die Depressionsforschung dargestellt werden.

II. Einführung

Daß Menschen in schwierigen Lebenssituationen oft mit Depressionen zu kämpfen haben, ist seit langem bekannt. Aber erst in den 60er Jahren wurden im Zusammenhang mit der sozialen Lerntheorie erste Erklärungsansätze gefunden und darauf basierende Therapieverfahren entwickelt.

Daß erlernte Hilflosigkeit eng mit der Genese von depressiven Störungen zusammenhängen kann, verdeutlicht die Definition von W. D. Fröhlich (S. 204): Erlernte Hilflosigkeit ist ein ,,Zustand negativer Erwartungen, die auf der Einsicht oder Überzeugung beruhen, Probleme seien mit den vorhandenen Denk- und Handlungsmöglichkeiten nicht zu lösen. In extremen Fällen besteht eine Ähnlichkeit des Zustandsbildes zu Depression, Erschöpfungsdepression und psychischem Streß."

Eine gute Beschreibung für Depression liefern Davison und Neale (S. 252): ,,Depression ist ein emotionaler Zustand, der durch starke Traurigkeit und Niedergeschlagenheit, Gefühle der Wertlosigkeit und Schuld, sozialen Rückzug, Schlafstörungen, Verlust von Appetit und sexuellem Verlangen oder dem Verlust von Interesse und Freude an alltäglichen Handlungen gekennzeichnet ist. (...) Depression geht häufig mit anderen psychischen Problemen und körperlichen Krankheiten einher."

Bis geklärt ist, welche Vorgänge bei Depressionen im Menschen ablaufen und wodurch sie ausgelöst werden, wird noch einige Zeit vergehen. Es gibt jedoch vielversprechende Ansätze, darunter den der Attributionstheorie der erlernten Hilflosigkeit.

III. Das Modell der erlernten Hilflosigkeit

1. Erlernte Hilflosigkeit im Tierversuch

Das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit wurde 1967 durch Zufall im Rahmen einer Untersuchung zur klassischen Angstkonditionierung von Overmier und Seligman entdeckt. Diese wurde anhand eines Tierversuchs mit Hunden nach einem triadischen Versuchsplan durchgeführt.

Die Hunde in der ersten Versuchsgruppe wurden schmerzhaften Elektroschocks ausgesetzt, denen sie aber durch das Überspringen einer Barriere entkommen konnten. Die Hunde in der zweiten waren den Elektroschocks ohne die Möglichkeit, flüchten zu können, ausgeliefert, da sie angeleint waren. Die dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe, mit diesen Tieren wurde kein Vorversuch durchgeführt.

Im Hauptversuch sollten die Tiere lernen, auf ein Lichtzeichen hin, das die Elektroschocks ankündigte, in die andere Hälfte des Käfigs zu springen. Die Tiere aus der ersten und die aus der Kontrollgruppe hatten das Vermeidungsverhalten schon nach wenigen Durchgängen erlernt, wohingegen die aus der zweiten Versuchsgruppe, die vorher keine Kontingenz zwischen ihrem Abwehrverhalten und dem Auftreten der Elektroschocks erfahren hatten, keine Fluchtversuche mehr unternahmen. Sie ließen die Schmerzreize widerstandslos über sich ergehen und waren angesichts der aversiven Reize ,,hilflos", obwohl sie den Elektroschocks nun hätten entkommen können.

Seligman (1979, S.15) definiert die objektiven Bedingungen, unter denen es zu Hilflosigkeit kommt, folgendermaßen:

,,Ein Individuum oder ein Tier sind hilflos gegenüber einer Konsequenz, wenn diese unabhängig von allen ihren willentlichen Reaktionen eintrifft."

Durch die Unkontrollierbarkeitserfahrung im Vorversuch hatten die Hunde also gelernt, daß es sowieso keinen Zweck hat, sich gegen die Schmerzreize aufzulehnen. Sie zeigten ,,erlernte

Hilflosigkeit"

Das Experiment wurde daraufhin auch von anderen Autoren mit anderen Versuchstieren, u.a. Katzen, Mäusen und Fischen durchgeführt und bestätigt.

2. Erlernte Hilflosigkeit im Humanversuch

Erlernte Hilflosigkeit beim Menschen nachzuweisen, zeigte sich als sehr schwierig. Als einem der ersten gelang dies Hiroto, einem Mitarbeiter Seligmans 1974. Er wählte einen Versuchsplan, der dem des Tierversuchs von Seligman sehr ähnlich war: Er teilte die Versuchspersonen, allesamt Studenten, in drei Gruppen ein, von denen zwei an einem Vorversuch teilnahmen, bei dem sie unangenehmen Geräuschen ausgesetzt waren. Die Versuchspersonen in der ersten Gruppe hatten die Möglichkeit, das unangenehme Geräusch per Knopfdruck abzustellen, für die in der zweiten war der unangenehme Ton unvermeidbar und unkontrollierbar, da er unabhängig vom Knopfdruck ein- und aussetzte In der zweiten Versuchsphase, die die erlernte Hilflosigkeit testen sollte, konnten alle Versuchspersonen das unangenehme Geräusch, das zuvor durch ein Lichtsignal angekündigt worden war, vermeiden, indem sie einen Knopf noch während des Lichtsignals abwechselnd nach rechts oder links drehten.

Das Ergebnis war eindeutig und entsprach den Tierversuchen: Die Versuchspersonen der ersten sowie die der Kontrollgruppe hatten schnell gelernt, den aversiven Reiz zu vermeiden. Die Studenten, die im Vorversuch jedoch die Erfahrung der Unkontrollierbarkeit gemacht hatten, brauchten wesentlich länger als die anderen, um den Lärm abzustellen, außerdem kamen sie nicht auf die Lösung, das Geräusch schon aufgrund des Vorsignals zu vermeiden. Die Hilflosigkeit, die im Vorversuch erlernt worden war, wurde also auf die aversive, aber kontrollierbare Situation im zweiten Versuchsabschnitt übertragen.

Daß unkontrollierbare Vorerfahrungen das Auftreten von Hilflosigkeit fördern, war aus Seligmans Tierversuchen bekannt. Hiroto wies aber noch zwei weitere für das Auftreten von Hilflosigkeit bedeutende Faktoren nach: Zum einen kommt es darauf an, ob die erfahrene Hilflosigkeit zufalls- oder fähigkeitsabhängig attribuiert wird, d.h. ob die Versuchsperson instruiert wird, die Unkontrollierbarkeit der Situation dem Versuchs- plan oder ihrer eigenen Unzulänglichkeit zuzuschreiben. Zum zweiten mißt er der internalen gegenüber der externalen Kontrolle nach Rotter1 eine große Bedeutung bei.

Als Ergebnis von Hirotos Experiment kann demnach zusammenfassend gesagt werden, daß Hilflosigkeit durch eine Addition von nicht - kontrollierbaren Vorerfahrungen, angeblicher Zufallsabhängigkeit und externaler Kontrolle gefördert wird.

3. Die Hilflosigkeitstheorie von Seligman

1975 postulierte Seligman die Theorie der gelernten Hilflosigkeit, die die Forschungsergebnisse aus Tier- und Humanversuchen verbindet.

Die Hauptaussage der Theorie ist diejenige, daß eine Person, die die Erfahrung gemacht hat, daß Handlungsergebnisse unabhängig von ihrem Verhalten und Bemühen sind, lernt, daß zwischen diesen beiden Faktoren kein Zusammenhang besteht. Nach wiederholten Unkontrollierbarkeitserfahrungen bildet sie die Erwartung zukünftiger Unkontrollierbarkeit auch für Situationen aus, die kontrollierbar sind. Gelernte Hilflosigkeit wird als ,,intervenierende Variable" aufgefaßt, die das Bindeglied zwischen bestimmten Erfahrungen und den Folgen dieser Erfahrungen darstellt. Unkontrollierbarkeit ist die für motivationale, kognitive und emotionale Beeinträchtigungen entscheidende Größe.

Seligman hält vier Defizite im Verhalten des betroffenen Individuums charakteristisch für die erlernte Hilflosigkeit. Sie beeinträchtigen die Motivation, die Kognition, die Emotionen und den Selbstwert einer hilflos gewordenen Person.

Das motivationale Defizit äußert sich durch Lethargie und verminderte Leistungsbereitschaft, da die hilflose Person erwartet, daß aktives Handeln ohnehin keinen Einfluß auf das Handlungsergebnis hat.

Das kognitive Defizit beschreibt die Beeinträchtigung, die die erlernte Hilflosigkeit auf spätere Lernprozesse ausübt: Wurde einmal erlernt, daß es keinen Zusammenhang zwischen einem gezeigten Verhalten und den Handlungsergebnissen gibt, ist es sehr schwer, diese Ansicht später wieder zu revidieren.

Das emotionale Defizit zeigt den Einfluß auf, den die erlernte Hilflosigkeit auf die Gefühlswelt ausübt. Mutlosigkeit, Traurigkeit , Hoffnungslosigkeit und auch Angst sind die beherrschenden Gefühle in dieser Situation, da das eigene Handeln als ergebnislos gesehen wird und das Gefühl, dem Gang der Welt hilflos ausgeliefert zu sein, überhand nimmt.

Der Selbstwertverlust ergibt sich aus dem Zusammenwirken der anderen Defizitklassen, das dazu beiträgt, daß sich die Person subjektiv negativer sieht als sie in Wirklichkeit auf andere wirkt und sich weniger zutraut als das, was sie zu leisten imstande ist.

Die Entstehung von Hilflosigkeit könnte nach Seligman kurz so zusammengefaßt werden: Zuerst gerät die betroffene Person in eine objektiv unkontrollierbare Situation, diese Nichtkontingenz wird daraufhin subjektiv wahrgenommen, was zu einer Erwartung zukünftiger Nichtkontingenz führt. Folge dieser Erwartungshaltung sind erste Symptome der Hilflosigkeit.

4. Kritik am Modell der erlernten Hilflosigkeit

Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit erwies sich allerdings schon bald als unzulänglich, da die verschiedenen Defizite experimentell nicht belegbar waren. Ferner stellte die Autoren fest, daß es Menschen große Schwierigkeiten bereitet, eine Situation überhaupt als unkontrollierbar zu erfassen.

Außerdem erwies sich die Formulierung als zu unspezifisch, da beispielsweise nicht zwischen den Begriffen ,,Unkontrollierbarkeit" und ,,Nichtkontingenz" nicht klar differenziert wurde2. Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, daß einige Aussagen der Theorie eindeutig widerlegt wurden. Alloy und Abramson fanden beispielsweise 1979 heraus, daß depressive Menschen die Kontrolle über ihr Leben sehr treffend einschätzen, und daß sie die Kontrollmöglichkeiten nicht, wie in der Theorie postuliert, unterschätzen.

Problematisch war auch, daß festgestellt wurde, daß Personen, denen Hilflosigkeit induziert worden war, nachfolgend sogar leichter lernten (z.B. Wortman & Brehm, 1975) Deshalb wurde die Theorie 1978 von Abramson, Seligman und Teasdale revidiert und erweitert.

IV. Die attributionsbezogene Umformulierung der Theorie der gelernten Hilflosigkeit als Depressionsmodell

1. Die attributionsbezogene Umformulierung der Theorie der erlernten Hilflosigkeit

Es stellten sich mehrere Fragen, die die ursprüngliche Theorie von Seligman nicht beantworten konnte, z.B. unter welchen Umständen Hilflosigkeit zu einem Selbstwertverlust führt, wodurch die Dauer des Zustands der Hilflosigkeit bestimmt wird und wie die enorme situative Bandbreite der Hilflosigkeitserfahrungen zu erklären ist.

Die neu formulierte Theorie, die einem lerntheoretischen Ansatz entsprungen ist, mißt kognitiven Prozessen bei der Genese von Depressionen eine zentrale Bedeutung bei.

Die Autoren postulierten, daß bei der erlernten Hilflosigkeit der Attribution, d.h. der Erklärung, die eine betroffene Person für ihre Hilflosigkeit heranzieht, eine hohe Bedeutung zukommt.

Es müssen also verschiedene Formen der Attribution und somit auch der Hilflosigkeit unterschieden werden. Deshalb führten die Autoren drei Attributionsdimensionen bei der erlernten Hilflosigkeit ein:

Internalität - Externalität,

Stabilität - Variabilität und Globalität - Spezifität.

Die Frage nach einem Selbstwertverlust bei Hilflosigkeit konnte mit der

Internalitätsdimension, der Unterscheidung von internaler und externaler Attribuierung, erklärt werden: Wird die Unkontrollierbarkeitserfahrung internal attribuiert (,,Nur ich empfinde diese Situation als unkontrollierbar") kann es zu einem Selbstwertverlust kommen, da die betroffenen Personen die Gründe für die Unkontrollierbarkeit bei sich selbst suchen und somit an ihren Fähigkeiten zu zweifeln beginnen. Bei externaler Attribuierung, d.h. der Annahme, daß die Unkontrollierbarkeit einer bestimmten Situation durch äußere Umstände bedingt ist und von anderen ebenfalls als unkontrollierbar empfunden wird, ist dies nicht der Fall, da zwischen der negativen Unkontrollierbarkeitserfahrung und den eigenen Fähigkeiten kein Bezug geschaffen wird. Da die Form der Hilflosigkeit durch die vorgenommene Attribuierung bestimmt wird, unterscheiden die Autoren persönliche und universelle Hilflosigkeit, wobei die persönliche Hilflosigkeit durch eine internale und die universelle durch eine externale Attribution ausgelöst wird.

Auch zu Aussagen über die Dauer der Hilflosigkeit kann eine bereits bekannte Dimension herangezogen werden: Die Dimension der Stabilität. Je stabiler die Attribution, desto dauerhafter werden die Versagenseffekte, desto länger dauert die Hilflosigkeit an. Dabei führt eine stabile Attribution zu chronischer, eine variable zu akuter Hilflosigkeit. Als dritte Dimension wurde die Globalität eingeführt. Die Autoren erkannten, daß eine sehr globale Attribution - eine Mißerfolgsattribution wird auf viele Situationen verallgemeinert - eine Generalisierung negativer Erwartungen zur Folge hat, was wiederum zu einer Verstärkung der oben schon erwähnten Defizite führt. Eine globale Attribution führt zu globaler, eine spezifische zu spezifischer Hilflosigkeit.

Die verschiedenen Attributionsdimensionen möchte ich am Beispiel einer Frau veranschaulichen, deren Annäherungsversuche von einem Mann abgelehnt werden. Dieses Beispiel wurde in leicht modifizierter Form von Schwarz, S.151 übernommen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Daraus wird deutlich, daß sich die Art der Mißerfolgsattribution deren Auswirkung nachhaltig bestimmt. Eine internale stabile globale Attribuierung wirkt sich demnach am vernichtendsten auf den Selbstwert der betroffenen Person aus.

Dieser Attributionsstil, bei dem negative Ereignisse und Mißerfolge auf internale, stabile und globale Ursachen, positive Ereignisse und Erfolge jedoch auf externale, instabile und spezifische Ursachen zurückgeführt werden, ist besonders fatal und wird deshalb als ,,heimtückischer Attributionsstil" oder ,,depressiver Attributionsstil" bezeichnet. Dieser wurde in vielen Studien untersucht, und es konnte inzwischen ein Zusammenhang zwischen einem ungünstigen Attributionsstil und erhöhter Depressivität nachgewiesen werden. (z.B. Sweeney, Anderson & Bailey, 1986)

Auf den Zusammenhang von erlernter Hilflosigkeit und Depression soll später noch eingegangen werden.

Von der ursprünglichen Theorie beibehalten wurde die Annahme, daß die Erwartung von Hilflosigkeit die entscheidende Determinante für die Symptome der erlernten Hilflosigkeit ist. Ebenso wird die Behauptung aufrechterhalten, daß schon die bloße Erwartung, daß zwischen dem eigenen Handeln und den Handlungsergebnissen keine Kontingenz besteht, ausreicht, um ein motivationales und kognitives Defizit auszulösen.

Die Autoren haben aber erkannt, daß die in der ursprünglichen Theorie postulierten Defizite, die aus einer Erfahrung der Unkontrollierbarkeit resultieren, nicht ausreichen, um die typischen Symptome für Hilflosigkeit auszulösen, da die Autoren das Auftreten von erlernter Hilflosigkeit eng mit dem Auftreten von Depression verbinden, was wesentlich komplexer ist. Deshalb führten sie ein weiteres Defizit ein, das sog. ,,affektive Defizit", das Gefühlsschwankungen beschreibt, die für das Auftreten von Depression eine entscheidende Rolle spielen. Dieses Defizit ist nach Ansicht der Autoren von der Erwartungshaltung der betroffenen Person, daß negative Handlungsergebnisse auftreten, abhängig. Nach dem neu formulierten Modell der erlernten Hilflosigkeit entsteht erlernte Hilflosigkeit folgendermaßen:

Am Anfang steht wiederum ein objektiv nicht kontingentes Ereignis. Darauf folgt die Wahrnehmung der vorhergehenden objektiv und aktuell subjektiv unkontrollierbaren Situation. Nun wird diese Situation mit den drei Attributionsdimensionen verknüpft. Diese wirken sich direkt auf zukünftige Nichtkontingenzerwartungen aus, die ihrerseits zu den Symptomen der erlernten Hilflosigkeit führen.

2. Erlernte Hilflosigkeit und Depression

Die attributionsbezogene Umformulierung des Modells der erlernten Hilflosigkeit hatte einen nachhaltigen Einfluß auf die Depressionsforschung.

Die neu formulierte Theorie, die einem lerntheoretischen Ansatz entsprungen ist, mißt kognitiven Prozessen bei der Genese von Depressionen eine zentrale Bedeutung bei.

Seligman und seine Mitarbeiter führten nach dem oben schon erwähnten Versuch zur klassischen Konditionierung noch weitere Untersuchungen zur erlernten Hliflosigkeit durch und stellten schon früh die Vermutung auf , daß erlernte Hilflosigkeit zumindest für einige Depressionsformen ein wirkungsvolles Erklärungsmodell sein könnte.

Die Depressionstheorie nach dem Modell der erlernten Hilflosigkeit geht davon aus, daß viele Symptome klinischer Depressionen wie Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und der Verlust von Eigeninitiative den Reaktionen entsprechen, die nach einer Unkontrollierbarkeitserfahrung auftreten.

Sie stellten zudem einige Gemeinsamkeiten zwischen den hilflos gewordenen Labortieren und Versuchspersonen und Depressionssymptomen fest:

a) eine verringerte Motivation und Eigeninitiative
b) eine negative kognitive Denkstruktur
c) Gemeinsamkeiten im zeitlichen Verlauf
d) eine verminderte Aggressivität
e) Analogien in physiologischen Veränderungen

Die einzelnen Gemeinsamkeiten und Parallelen sollen nun zur Verdeutlichung des Zusammenhangs von erlernter Hilflosigkeit und Depression näher erläutert werden.

Zu a) Tiere und Menschen, die Nichtkontingenz erfahren haben, zeigen motivationale Defizite. Depressive Menschen leiden oft darunter, daß sie sich zu nichts aufraffen können und sie jegliche Initiative große Anstrengung kostet. Die Bezeichnung ,,Depression" selbst charakterisiert schon treffend die Lage der betroffenen Individuen: Sie stammt aus dem Lateinischen und bedeutet ,,niedergedrückt". Die Niedergeschlagenheit und die daraus resultierende fehlende Eigeninitiative beeinflussen das Leben des Depressiven in vielerlei Weise. Es kommt zu einer Kettenreaktion, an deren Anfang Passivität und an deren Ende nicht selten soziale Vereinsamung steht.

Zu b) Genauso wie hilflosen Tieren und Menschen fällt es auch Depressiven schwer zu lernen, daß sie mit aktivem Handeln auf Handlungsergebnisse Einfluß nehmen können, weil sie eine negative kognitive Denkstruktur (cognitive set) angenommen haben. Depressive Menschen sehen sich häufig wesentlich negativer, als sie es wirklich sind, und sind schwer davon zu überzeugen, daß ihre Bemühungen Erfolg zeigen.

Der Versuch von Hiroto s.o. wurde inzwischen auch unter der Prämisse durchgeführt, daß die Hälfte der Versuchspersonen dem BDI3 zufolge depressiv waren. Es zeigte sich eine eindeutige Parallelität zwischen den Defiziten, die Depressive bei der Aufgabenstellung zeigten, und denen, die bei erlernter Hilflosigkeit durch induziererte Unkontrollierbarkeit auftraten. Diese Ergebnisse bestätigen die erlernte Hilflosigkeit als Modell der Depression.

Zu c) Depressionen haben in der Regel einen sehr unterschiedlichen zeitlichen Verlauf, der unter anderem davon abhängt, wie internal, stabil und global die Attribuierung ist. Aber auch hier gelang es, zeitliche Verläufe zu finden, die denen experimentell induzierter Hilflosigkeit gleichen.

Dies zeigte sich z.B. in einer Untersuchung (Wallace, 1956b), die in der Stadt Worcester in Massachusetts durchgeführt wurde, die von einem schweren Wirbelsturm verwüstet wurde. Während der Vorbereitungen in der Erwartung des Sturms und während des Sturms selbst hatte die Bevölkerung alles nur mögliche getan, um den Schaden möglichst gering zu halten. Nach dem Sturm brachen viele Einwohner emotional zusammen, waren vollkommen hilflos und verfielen in Depressionen, unfähig, sich zu den Aufräumarbeiten aufzuraffen. Dieser Zustand legte sich aber nach kurzer Zeit wieder. Auch hier zeigt sich eine klare Analogie zu den Symptomen der erlernten Hilflosigkeit.

d) Ein weiterer Punkt, auf den bislang noch nicht eingegangen wurde, ist die verminderte Aggressionsbereitschaft im Zustand der Hilflosigkeit und während einer Depression. Unter den Tierexperimenten zum Nachweis von verminderter Aggressivität bei Hilflosigkeit belegt die ,,Schacht-Studie" mit Rhesusaffen von S. Suomi und H. Harlow besonders eindrucksvoll, daß auch bei Primaten Verhaltensdefizite auftreten, die mit denen übereinstimmen, die durch Unkontrollierbarkeit hervorgerufen werden und die mit Depressionen beim Menschen einhergehen. Im Laborexperiment mit Depressiven fand Klein 1975 heraus, daß natürlich auftretende Depressionen ebenso wie durch Unkontrollierbarkeit induzierte Hilflosigkeit Konkurrenzverhalten mindern und Passivität verstärken.

Zu e) Nichtzuletzt können sowohl Hilflosigkeit als auch Depressionen körperliche Auswirkungen haben. Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust wurde sowohl bei den Labortieren, denen Hilflosigkeit induziert worden war, als auch bei depressiven Menschen festgestellt. Außerdem ergaben physiologische Untersuchungen, daß bei Seligmans Labortieren der Neurotransmitter Noradrenalin stark abgenommen hatte und manche depressiven Störungen durch ein Anheben des Noradrenalinspiegels gelindert werden können.

Das Modell der erlernten Hilflosigkeit von 1975 bot eine einfache Erklärung für die Entstehung von Depression: Unkontrollierbare Ereignisse lösen ein Gefühl der Hilflosigkeit aus (s.o.), das so stark werden kann, daß es eine Depression auslöst.

Leider erwies sich die Erklärung von Depressionen als wesentlich komplexer, und so wurde das Attributionskonzept, das Elemente von Kognition und Lernen in sich vereint, in das Modell integriert.

Das revidierte Modell von 1978 geht davon aus, daß eine Mißerfolgsattribution der entscheidende Faktor für die Entstehung von Depressionen ist. Aversive Ereignisse werden auf globale und stabile Faktoren attribuiert. Dadurch kommt es zu einem Gefühl der Hilflosigkeit, wobei der Betroffene meint, dieses nicht ändern zu können was schließlich zu Depressionen führt.

Die Aussagen der neu formulierten Theorie der erlernten Hilflosigkeit zur Entstehung von Depressionen können in drei Punkten kurz zusammengefaßt werden:

1. Depressionen werden ausgelöst, indem die beiden Faktoren Attributionsstil mit den daraus resultierenden Defiziten sowie ein bedeutendes Ereignis gemeinsam eine ungünstige Attribution begünstigen, die dann zu depressiven Verstimmungen führen kann.
2. Depressionen entstehen dadurch, daß aversive Ereignisse als sehr wahrscheinlich und erwünschte Ereignisse als sehr unwahrscheinlich angesehen werden und der Betroffene keine Möglichkeit sieht, an diesen Wahrscheinlichkeiten selbst etwas zu ändern. Je unkontrollierbarer ihm die Zukunft erscheint, desto wahrscheinlicher ist es, daß er Symptome der Hilflosigkeit zeigt.
3. Die Dimension der für das Ausmaß von Depressionen entscheidenden Defizite ist von der Art der vorgenommenen Attribution abhängig. Entscheidend für die Stabilität von Depressionen ist die Stabilität der Attribution. Ob es zu einem Selbstwertverlust kommt, ist von der Internalität der Attribution abhängig.

Das Ausmaß der Defizite hängt ferner davon ab, als wie stark und wie gesichert die Erwartung von Unkontrollierbarkeit eingestuft wird. Im Falle des selbstwertenden und des affektiven Defizits ist das Ausmaß abhängig von der Wichtigkeit und der Bedeutung des Handlungsergebnisses.

1979 führten M. Seligman, L. Abramson, A.Semmel und C. v. Baeyer einen Versuch mit 145 Psychologiestudenten durch, der die 1978 postulierte Theorie bestätigte: Depressive Studenten bezogen im Gegensatz zu nicht-depressiven unerwünschte Handlungsergebnisse auf internale, stabile und globale Faktoren. Die Untersuchung ergab in Bezug auf negative Handlungsergebnisse eine signifikante Korrelation von Internalität, Stabilität und Globalität mit den Depressionsskalen BDI und MAACL4. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen der Attribution von negativen Handlungsergebnissen und Depression. Der ,,heimtückische Attributionsstil" im Zusammenhang mit negativen Handlungsergebnissen ist demnach Auslöser von Depressionen.

Zur Kontrolle wurde der Versuch mit anderen Psychologiestudenten wiederholt, wodurch die Ergebnisse bestätigt wurden

V. Empirische Untersuchungen zum Modell der erlernten Hilflosigkeit durch Gerold I. Metalsky et al.

1. Die Untersuchung von 1982

In seiner Publikation mit Abramson, Seligman, Semmel und Peterson von 1982 führte Metalsky für das 1978 von Seligman et al. veröffentlichte neu formulierte Modell der erlernten Hilflosigkeit die Bezeichnung ,,Diathese-Streß-Modell" ein. Dabei wurde der Attributionsstil, internal, stabil und global zu attribuieren, als Diathese5 für depressive Reaktionen angenommen. Negative Erlebnisse werden als Streßfaktoren interpretiert, die Depressionen auslösen können.

Des weiteren führt er an, daß sich Menschen mit verschiedenen Attributionsstilen in einer Lebensphase, in der sich vorwiegend positive und kaum negative Erlebnisse ereignen, in ihrer Anfälligkeit für Depressionen nicht voneinander unterscheiden. Besonders wichtig erscheint ihm auch, daß das ,,Diathese-Streß-Modell" Depressionen begünstigen kann, aber keine unbedingte Voraussetzung für die Entstehung von Depressionen ist.

Schließlich betont er, daß es sich beim ,,Diathese-Streß-Modell" sowohl um eine Persönlichkeitstheorie als auch um eine klinische Theorie handelt, die sowohl bei kurzzeitigen depressiven Verstimmungen im Alltag als auch bei schweren depressiven Syndromen angewendet werden kann.

Ziel der Untersuchung von Metalsky et al. war es, nähere Aussagen über die von Seligman et al. vorgestellten Attributionsstile und die mit ihnen verbundene Anfälligkeit für kurzzeitige depressive Verstimmungen machen zu können. Die Autoren erwarteten folgendes Ergebnis: Studenten, die die Tendenz zeigen, Mißerfolg internal, stabil oder global zu attribuieren, und ein schlechtes Prüfungsergebnis erhalten, sollten eher eine depressive Einstellung in Bezug auf das Lernen entwickeln als Studenten, die den Mißerfolg auf externale, variable oder spezifische Faktoren zurückführen.

Davon abgesehen stellten Metalsky et al. die Hypothese auf, daß es bei Studenten, die nach dem depressiven Attributionsstil attribuieren, aber eine gute Leistung in der Prüfung zeigen, genauso unwahrscheinlich ist, daß sie depresssive Verstimmungen zeigen, wie bei Studenten, die äußere Faktoren für ihre Leistungen verantwortlich machen.

An der Untersuchung nahmen zweihundertsiebenundzwanzig Teilnehmer einer Einführungsveranstaltung in die Psychologie teil. Um zu messen, welche Attributionsdimensionen die Versuchspersonen bei Attributionen verwenden, wurden der 1979 von Seligman et al. entwickelte ASQ6 und die MAACL herangezogen. Zudem wurde eigens für diese Studie ein neuer Fragebogen entwickelt, der das angestrebte Ziel der Studenten in der Prüfung erfassen sollte, da es den Autoren angemessener erschien, ,,gute" und ,,schlechte" Noten nach den Erwartungen der Studenten zu definieren, als sie selber festzulegen. So wurde jede Versuchsperson befragt, über welche Note sie glücklich bzw. unglücklich wäre, und anhand der Ergebnisse eine 13-Punkte-Skala erstellt. Die eigentliche Untersuchung bestand aus drei Versuchsphasen: Die Fragebögen wurden zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten, nämlich vor der Prüfung sowie vor und kurz nach der Notenbekanntgabe in der Veranstaltung ausgeteilt und beantwortet.

Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigten zum Teil die Hypothese der Autoren: Bei den Versuchspersonen, die angegeben hatten, eher internal, stabil und global zu attribuieren, und eine schlechtere Note erhalten hatten als die, von der sie angegeben hatten, über sie unglücklich zu sein, ergaben sich signifikante Werte auf der MAACL Depressionsskala. Es stellte sich heraus, daß je internaler und oder globaler die Mißerfolgsattributionen vor der Prüfung waren, desto gravierender auch die depressiven Verstimmungen ausfielen, die aufgrund einer schlechten Prüfungsleistung auftraten.

Keine Korrelation zu depressiven Verstimmungen ergaben sich dagegen bei den Versuchspersonen, die schon vor der Prüfung einen eventuellen Mißerfolg sehr external, variabel und spezifisch attribuierten.

Diese Untersuchungsergebnisse stützten das Diathese-Streß-Modell von Seligman et al. in Bezug auf einen internalen und globalen Attributionsstil. Es konnte jedoch kein Einfluß der Stabilitätsdimension auf Anfälligkeit für depressive Verstimmungen nachgewiesen werden. Die Autoren räumten jedoch ein, daß ihre Untersuchungsergebnisse auch Ungereimtheiten enthielten: Trotz der Vorhersage, daß bei positiven Erlebnissen (bessere Note als erwartet) keine signifikante Korrelation zwischen dem depressiven Attributionsstil und einer depressiven Gefühlsreaktion eintreten wird, war diese Korrelation signifikant. Als weitere Unsicherheit im Modell von Seligman et al. führten Metalsky und seine Mitarbeiter weiterhin an, daß bis zu diesem Zeitpunkt immer nur Bruchstücke, aber nie das Modell in seiner Gesamtheit hatte nachgewiesen werden können. Dies ist nach Ansicht der Autoren auf eine inadäquate Versuchsplanung zurückzuführen, da bislang nie das interaktive Zusammenwirken von Attributionsstilen, situativen Bedingungen und der Wahrnehmung dieser Situationsgegebenheiten, welches depressive Reaktionen bedingt, untersucht worden war.

Als wichtige noch zu untersuchende Fragestellung führten Metalsky et al. die Anwendbarkeit des Diathese-Streß-Modells auf schwere depressive Syndrome an.

2. Die Untersuchung von 1987

1987 publizierte Metalsky zusammen mit L. Halberstadt und L. Abramson die überarbeitete und erweiterte Fassung der Untersuchung von 1982. Sie sollte die Ungereimtheiten aus der ersten Untersuchung klären.

Die Autoren variierten den Versuchsplan folgendermaßen: Der Attributionsstil wurde außerhalb der Veranstaltung experimentell gemessen. Außerdem wurde darauf geachtet, daß die Versuchspersonen keinen Zusammenhang zwischen dem Experiment zur Einschätzung des Attributionsstils und der in der Veranstaltung durchgeführten Untersuchung erkennen konnten. Auch war den Studenten nicht bekannt, was mit dieser Studie untersucht werden sollte. Ebenfalls wichtiger Bestandteil des geänderten Versuchs war das Faktum, daß die Fragebögen leicht modifiziert worden waren.

An der Untersuchung nahmen diesmal 94 Studenten teil. Sie füllten zu Beginn des Semesters einen Fragebogen aus, auf dem sie ihre persönlichen Erwartungen für die Abschlußklausur einschätzen sollten. Diese wurden später mit den tatsächlichen Leistungen verglichen. Ihre momentane Stimmung wurde zu insgesamt vier Zeitpunkten durch die MAACL erfaßt: Zwei mal vor der Prüfung, unmittelbar nach Bekanntgabe der Noten und zwei Tage später. Gemäß den Erwartungen nach den vorausgegangenen Untersuchungen wurde nachgewiesen, daß die depressiven Verstimmungen, die aufgrund einer schlechten Prüfungsleistung aufgetreten waren, um so gravierender waren, je internaler und oder globaler das Ergebnis vor der Prüfung attribuiert worden war.

Überraschenderweise stellte sich heraus, daß sowohl die Studenten, die das Prüfungsergebnis stabil und global, als auch die, die es variabel und spezifisch attribuierten, kurz nach der Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse depressive Verstimmungen zeigten, wenn die Leistung sehr schlecht beurteilt worden war. Diese depressive Verstimmung war lediglich vom Prüfungsergebnis abhängig, dem Attributionsstil konnte in diesem Falle kein Einfluß nachgewiesen werden. Bei denjenigen, die stabil und global attribuierten, hielt die depressive Stimmung jedoch auch zwei Tage nach der Notenbekanntgabe noch an, während sie sich bei variabel und spezifisch Attribuierenden zu diesem Zeitpunkt schon wieder gegeben hatte. Zur Interpretation des kurzzeitigen Stimmungstiefs nach negativen Erlebnissen wurde ein von Weiner 1986 veröffentlichter Ansatz herangezogen, welcher besagt, daß ein negatives Ereignis eine unmittelbare Stimmungsreaktion zur Folge haben kann. Diese Stimmungsreaktionen treten auf, bevor überhaupt eine Attribution stattfinden kann. Wenn die betroffene Person nach Erklärungen für diese Stimmungsänderung sucht, kommt der Attributionsstil zum Tragen, er beeinflußt die Dauer und das Ausmaß der Depression. Dem Zeitpunkt, zu dem die Stimmung nach Eintreten des aversiven Erlebnisses erfaßt wird, fällt demnach eine entscheidende Rolle zu.

Bei guten Prüfungsergebnissen waren keine erwähnenswerten Änderungen im Gefühlszustand im Bezug auf Depression festzustellen.

VI. Die Weiterentwicklung der Theorie der erlernten Hilflosigkeit zur Hoffnungslosigkeitstheorie

1. Die Hoffnungslosigkeitsdepression

1989 stellten die Autoren L. Abramson, G. Metalsky und L. Alloy die

Hoffnungslosigkeitstheorie vor, die auf der Theorie der erlernten Hilflosigkeit von Seligman et al. basiert.

Die Theorie der Hoffnungslosigkeit geht wie viele Kliniker davon aus, daß Depressionen nicht auf einer einzigen Störung beruhen, sondern auf mehreren verschiedenartigen Störungen, die zusammenkommen. Als Ergänzung zu klinischen Ansätzen stellt die Hoffnungslosigkeitstheorie einen theoretischen Ansatz dar, der einen Teil der depressiven Störungen zu klassifizieren versucht und die Hoffnungslosigkeit als einen bis dahin nicht näher beschriebenen Depressionstyp nachweisen soll.

Die Autoren formulierten folgende Hauptaussagen:

1. Die Hoffnungslosigkeitsdepression ist eine von vielen Erscheinungsformen der Depression.
2. Hoffnungslosigkeit ist hinreichender und unmittelbarer Auslöser der Hoffnunglosigkeitsdepression, Hilflosigkeit ist ein notwendiger Faktor für Hoffnungsloskeit, reicht aber allein nicht aus, um diese hervorzurufen.
3. Die Bedeutung von Attributionen als Ursache von Depressionen wird abgeschwächt, indem eine zweite Diathese, nämlich die des erniedrigten Selbstwerts eingeführt wird.

Eine Hoffnungslosigkeitsdepression wird durch einen Zustand der Hoffnungslosigkeit ausgelöst. Zu dieser kommt es durch das Zusammenwirken vieler Faktoren in einer Kausalkette.

Am Anfang stehen Kontextinformationen (z. B. Informationen über Konsens und Distinktheit einer Situation, wodurch diese als kontrollierbar oder unkontrollierbar erlebt wird) sowie die kognitive Diathese ,,depressogener Inferenzstile" die, auf Attributionen, Ergebniserwartungen und das Selbstwertgefühl einwirken. Diese beiden Faktoren können negativen Erlebnisse und Streß auslösen, die aber auch von anderen Ursachen herrühren können. Dies alles kann dazu führen, daß es zu einer stabilen, globalen Attribution des negativen Erlebnisses kommt, diesem eine besonders hohe Bedeutung zugeschrieben wird, es außerdem weitreichende negative Konsequenzen nach sich zieht und eine Erniedrigung des Selbstwerts auftritt.

Das Zusammenwirken dieser Interferenzen zusammen mit anderen sozialen Ursachen führt zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Es entsteht wie die erlernte Hilflosigkeit dadurch, daß negative Ereignisse als sehr wahrscheinlich und positive als sehr unwahrscheinlich angesehen werden und eine ausgeprägte Erwartung von Unkontrollierbarkeit besteht. Die Autoren unterschieden ,,generalisierte Hoffnungslosigkeit", bei der die Erwartung negativer Handlungsergebnisse und die Erwartung von Hoffnungslosigkeit auf viele Lebensbereiche bezogen wird, und ,,situationsabhängigen Pessimismus", bei dem diese Erwartungshaltung nur für einen eingeschränkten Lebensbereich gilt. Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit führt schließlich zu den Symptomen der Hoffnugslosigkeitsdepression. Eine Hoffnungslosigkeitsdepression entsteht demzufolge durch eine Interaktion von negativen Erlebnissen und den postulierten Diathesen.

Der Zusammenhang zwischen der Hoffnungslosigkeitsdepression und Depression in der allgemeinen Form besteht darin, daß bestimmte Symptome dieser speziellen Form von Depression die fast allen depressiven Menschen zu finden sind (z.B. Traurigkeit). Andere nur stimmen jedoch nur teilweise mit den allgemein auftretenden Depressionssymptomen überein (z.B. das motivationale Defizit) und schließlich gibt es Symtome, die spezifisch für die Hoffnungslosigkeitsdepression sind (z.B. Suizidgedanken).

Ein bedeutender Pluspunkt der Hoffnungslosigkeitstheorie ist die Tatsache, daß sie viele Bereiche, die mit Depressionen zu tun haben, umfaßt. So enthält sie Aussagen zur Depressionsentstehung und zur Depressionserholung, aber auch Vorschläge zur Prävention einer Hoffnungslosigkeitsdepression sowie Interventionsmöglichkeiten.

2. Die Empirische Überprüfung der Hoffnungslosigkeitstheorie von 1993

Metalsky und seine Mitarbeiter führten 1993 eine Untersuchung zur Prüfung der Hoffnungslosigkeitstheorie durch. Der Versuch glich den vorangegangenen: Wieder dienten vor einer Prüfung stehende Studenten als Versuchspersonen. Zusätzlich zu den alten Faktoren wurden die Hoffnungslosigkeit und der Selbstwert gemessen.

Gemäß den Ergebnissen vorangegangener Untersuchungen hatte die globale und stabile Attribution schlechter Prüfungsergebnisse eine länger anhaltende depressive Stimmung zur Folge als eine spezifische und variable Attribution. Neu war dahingegen das Ergebnis, daß dies nur für Versuchspersonen zutraf, die über ein sehr niedriges Selbstwertgefühl verfügten. Daß dieses durch das Gefühl der Hoffnungslosigkeit beeinträchtigt wurde, lieferte die Bestätigung für die Theorie der Hoffnungslosigkeit.

3. Kritik an der Hoffnungslosigkeitstheorie

Als entscheidendster Kritikpunkt wird in der Literatur angeführt, daß die Versuchspersonen, mit denen die Theorie der erlernten Hilflosigkeit und die Theorie der Hoffnungslosigkeit bewiesen wurden, abgesehen von der Untersuchung von Seligman und seinen Mitarbeitern 1978, immer Studenten waren und keine Ergebnisse über Bestätigungen der Theorie mit depressiven Patienten vorliegen.

Des weiteren wird die Art der Auswahl ,,depressiv veranlagter" Studenten kritisiert. Hierzu wurde meistens der BDI verwendet, der aber zur Einschätzung der Schwere einer Depression und nicht zur Feststellung einer vermeintlichen Tendenz zu depressiven Verstimmungen, gedacht ist.

VII. Abschließende Betrachtung

Das Modell der erlernten Hilflosigkeit spielt trotz seiner Unzulänglichkeiten eine wichtige Rolle in der Depressionsforschung. Es regte eine Vielzahl empirischer Untersuchungen an, die wiederum zur Weiterentwicklung der Theorie und der Depressionsforschung führten. So ist der Zusammenhang zwischen Attribution und Depression mittlerweile empirisch belegt, wenn auch die Frage nach der Bedeutung dieses Ergebnisses noch nicht geklärt ist. Heute wird angenommen, daß depressive Verstimmungen Kausalattributionen beeinflussen können.

An einigen Aussagen der Theorie der erlernten Hilflosigkeit wird also weiterhin festgehalten. Kausalattributionen sollen aber auch eine entscheidende Rolle bei der Depressionsresistenz und bei der Erholung von einer Depression spielen. Belege dafür, daß Personen internal stabil global attribuieren, gibt es noch nicht, auch die Behauptung daß ein solcher Attributionsstil im Zusammenhang mit negativen Lebensereignissen zu depressiven Verstimmungen führen kann, konnte empirisch noch nicht untermauert werden.

Es konnte eine Relation zwischen speziellen Attributionsstilien und Persönlichkeitsvariabllen, wie Ängstlichkeit und niedrigem Selbstwert nachgewiesen werden. Allerdings lies sich kein ausschließli-cher Zusammenhang zwischen einem Attributionsmuster und depressiven Störungen nachweisen.

Einige Aussagen der Theorie der erlernten Hilflosigkeit haben in leicht veränderter Form also auch heute noch Gültigkeit. Um das Entstehen von Depressionen zu erklären müssen sie jedoch noch erweitert und andere Ansätze in die Überlegungen miteinbezogen werden. Die Emotionsforschung und auch die Hirnforschung könnten dabei eine große Hilfe sein.

Literaturangaben

Abramson, L. Y., Metalsky, G. I. & Alloy, L. B. Hopelessness Depression: A Theory -Based Subtype of Depression. Psychological Review 1989, 96, No.2, 358 - 372.

Abramson, L. Y., Seligman, M. E. P. & Teasdale, J. D. Learned Helplessness in Humans: Critique and Reformulation. Journal of Abnormal Psychology, 1978, No. 1, 49 - 74. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage, Mannheim 1990

Davison / Neale. Klinische Psychologie, 4. Auflage, Psychologie Verlags Union, Weinheim 1996

Dorsch, F. Psychologisches Wörterbuch, 11., Auflage. Verlag Hans Huber, Bern 1987 Fröhlich, W. D. dtv - Wörterbuch zur Psychologie, 20.Auflage, Deutscher TaschenbuchVerlag, München 1994

Herkner, Werner. Attribution - Psychologie der Kausalität, Verlag Hans Huber, Bern 1980 Heckhausen, H. Motivation und Handeln, Springer - Verlag, Berlin 1989 Metalsky, G. I., Abramson, L. Y., Seligman, M. E. P., Semmel, A. & Peterson C. Attributional Styles and Life Events in the Classroom: Vulnerability and Invulnerability to depressive Mood reactions. Journal of Personality and Social Psychology, 1982, 43, No.3, 612 - 617. Metalsky, G. I., Halberstadt, L. & Abramson, L.Y. Vulnerability to Depressive Mood Reactions:

Toward a More Powerful Test of the Diathesis-Stress and Causal Mediation Components of the Reformulated Theory of Depression. Journal of Personality and Psychology, 1987, 52, No.2, 386 - 393.

Mundt, Ch., Fiedler, P., Lang, H. & Kraus, A. (Hrsg.). Depressionskonzepte heute:

Psychopathologie oder Pathopsychologie? Springer - Verlag Berlin, Heidelberg 1991

Rotter, J. B., Hochreich, D. J. Persönlichkeit. Theorien - Messung - Forschung. Springer - Verlag Berlin, Heidelberg 1979

Schwarzer, R. Streß, Angst und Handlungsregulation, 3. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart, 1993

Seligman, E. P., Abramson, L. Y., Semmel, A. & Baeyer von C. Depressive Attributional Style.

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Seligman, M. E. P. Erlernte Hilflosigkeit, Urban & Schwarzenberg, München - Wien - Baltimore 1979

Zuckerman, M. Biological Bases of Sensation Rotter, J. B., Hochreich, D. J.: Persönlichkeit.

[...]


[1] Externale gegenüber internaler Kontrolle nach Rotter: Internale Kontrolle ist, ,,daß manche Menschen annehmen, daß das, was ihnen passiert, das Ergebnis ihrer eigenen Verhaltensweisen und Eigenschaften ist. (...) Unter externaler Kontrolle versteht man, ,,daß andere Menschen annehmen, daß das, was ihnen passiert, das Ergebnis von Glück, Schicksal oder der Macht anderer ist." (Rotter, Hochreich, S. 118)

[2] Da Seligman die Begriffe ,,Unkontrollierbarkeit" und ,,Nichtkontingenz" nicht klar differenziert und gleichbedeutend verwendet, übernehme ich diese sprachliche Ungenauigkeit in dieser Arbeit

[3] BDI = Beck Depression Inventury

[4] MAACL = Multiple Affect Adjective Check List (Zuckerman & Lubin, 1965): Liste von Eigenschaftswörtern, die ,,trait - version" soll die allgemeine Stimmung einer Person erfassen, die ,,state - version" die Stimmung, in der sie sich augenblicklich befindet. Die MAACL ist kurz und daher leicht anzuwenden. Metalsky et al. verwendeten diese Untersuchungsmethode, um bei den Versuchspersonen das Niveau kurzzeitiger depressiver Verstimmungen zu erfassen.

[5] Diathese = In der Konstitution (...) begründete Bereitschaft für bestimmte Krankheiten und persönliche Anfälligkeiten (Dorsch, S. 138)

[6] ASQ = Attributional Style Questionnaire (Seligman et al., 1978): Fragebogen, der im Zusammenhang mit dem Modell der erlernten Hilflosigkeit von Seligman und seinen Mitarbeitern entwickelt wurde. Er soll erfassen, in welchem Maße Personen positive und negative Handlungsergebnisse internal vs. external, stabil vs. variabel und global vs. spezifisch attribuieren. Dazu werden hypothetische, leistungsbezogene und soziale Situationen, für die jeweils ein positiver und ein negativer Ausgang vorgegeben wird, herangezogen Die Aufgabe der Versuchspersonen ist es, sich in die jeweilige Situation hineinzuversetzen, die Ursachen für den jeweiligen Ausgang der Situation zu nennen, und sie schließlich in den drei Attributionsdimensionen einzustufen. Ziel des Fragebogens ist es, Aussagen über Internalität, Stabilität und Globalität des Attributionsstils einer Person in Bezug auf positive und negative Handlungsergebnisse machen zu können.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das Modell der erlernten Hilflosigkeit im Zusammenhang mit Depression
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Veranstaltung
Seminar Themen der Differentiellen Psychologie
Note
1
Autor
Jahr
1997
Seiten
22
Katalognummer
V99333
ISBN (eBook)
9783638977777
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
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Schlagworte
Modell, Hilflosigkeit, Zusammenhang, Depression, Seminar, Themen, Differentiellen, Psychologie
Arbeit zitieren
Michaela Werner (Autor:in), 1997, Das Modell der erlernten Hilflosigkeit im Zusammenhang mit Depression, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99333

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