Innenansichten eines Außenseiters. Selbst-und angenommenes Fremdbild von Brasilianern in "Um Brasileiro em Berlim"


Bachelorarbeit, 2018

45 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Teil
2.1 Kultur
2.1.1 Kulturstandards nach Thomas
2.1.2 Kulturdimensionen nach Hofstede
2.1.3 Kulturdimensionen nach Hall
2.1.4 Kulturdimensionen nach Trompenaars
2.2 Stereotyp
2.2.1 Auto- und Heterostereotyp
2.2.2 Abgrenzung zum Vorurteil
2.3 Selbstbild und Fremdbild
2.4 Identität

3 Analytischer Teil
3.1 Autor
3.2 Um Brasileiro em Berlim
3.3 Methodik
3.4 Das Selbstbild von Brasilianern
3.4.1 Anpassungsfähigkeit
3.4.2 Gastfreundschaft und Kollektivismus
3.4.3 Jeito, Gewaltbereitschaft und Rache
3.4.4 Humor, Zeitverständnis, Ehrlichkeit, Amazonas und Indianer
3.4.5 Blicke und Erotik
3.5 Das angenommene Fremdbild von Brasilianern

4 Schluss: Synthese des Selbstbildes und angenommenen Fremdbildes von Brasilianern

Literatur- und Quellenverzeichnis

1 Einleitung

Fünfzehn Monate verbrachte João Ubaldo Ribeiro, Autor des in dieser Arbeit untersuchten Buches Um Brasileiro em Berlim, mit seiner Frau und ihren zwei Kindern in Deutschland. Fünfzehn Monate, in denen die Familie dieses ihnen fremde Land, seine Bewohner sowie die Kultur kennen und schätzen gelernt hat. Fünfzehn Monate, die dazu beitrugen, durch den Kontakt mit dem anderen, sich selbst zu entdecken.

In zwischenmenschlichen Beziehungen, vor allem aber in interkulturellen Situationen, spielen Stereotype dabei eine bedeutende Rolle. Sie sind in den Vorstellungen der Interaktionspartner meist unbewusst allgegenwärtig und beeinflussen die Wahrnehmung genauso wie die Kommunikation und Interaktion. Um die Entstehung von Stereotypen verstehen zu können, ist es sinnvoll, sich mit dem Thema Kultur auseinanderzusetzen. Denn bestimmte kulturelle Rahmenbedingungen und Schemata begünstigen die Stereotypenbildung. Während Stereotypen sich hauptsächlich auf das Fremdbild beziehen, existieren durchaus auch Autostereotypen im Selbstbild. Interessant ist, welche Bedeutung Stereotypen für die Identität haben.

Ziel dieser Arbeit ist es, herauszufinden, ob es eine brasilianische Identität gibt. Diese Bachelorarbeit gliedert sich zu dem Zweck in einen theoretischen und einen analytischen Teil. Im theoretischen Teil werden zunächst die Grundlagen für den analytischen Teil gelegt, indem konzeptuelle und definitorische Aspekte behandelt werden. So werden die Konzepte Kultur, Stereotyp, Selbst- und Fremdbild sowie Identität definiert und erläutert. Anschließend wird eine Analyse der genannten Konzepte auf Grundlage des Buches Um Brasileiro em Berlim durchgeführt. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Bachelorarbeit können lediglich ausgewählte Aspekte näher betrachtet werden. Für eine tiefergehende Untersuchung wäre es ratsam, beispielsweise verschiedene empirische Studien zum Thema durchzuführen und die einzelnen Aspekte eingehender zu betrachten. Im Schlusskapitel werden das Selbstbild der Brasilianer und das angenommene Fremdbild von Brasilianern gegenübergestellt und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede verglichen. Darauf aufbauend werden Rückschlüsse über die brasilianische Identität gezogen.

Zur Verwendung von Sprache in dieser Arbeit sei angemerkt, dass an vielen Stellen, vor allem bei Nationalitätsbezeichnungen, ausschließlich die männliche Form verwendet wird. Dies geschieht aus Gründen der Lesbarkeit. Der Ausdruck Brasilianer umfasst ebenso die Brasilianerinnen.

2 Theoretischer Teil

2.1 Kultur

Der Begriff Kultur wird auf derart heterogene Weise verwendet, dass es unmöglich ist, eine allumfassende Definition zu finden. Die Bedeutung des Begriffs variiert je nach verwendetem Feld (Wissenschaft, Alltag) und umfasst jeweils unterschiedliche Elemente. Es existiert eine Vielzahl an Definitionen, welche je nach Untersuchungsgegenstand entsprechend passend oder unpassend sein können. Für diese Arbeit wird folgende Definition zugrunde gelegt: Kultur ist ein „[e]rlerntes Orientierungs- und Referenzsystem von à Werten, à Praktiken und à Artefakten, das von Angehörigen einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaft kollektiv gelebt und tradiert wird und sie von Angehörigen anderer Gruppen und Gesellschaften unterscheidet“ (TI 2012, s.v. Kultur). Die Größe der Gruppe kann von zwei Personen (z. B. Ehepaar) bis hin zu ganzen Nationen reichen, wobei Kultur als entsprechendes Struktur gebendes System gilt, welches das Zusammenleben reguliert. Dabei sind es die Gemeinsamkeiten der Gruppenmitglieder, welche vorrangig die Kultur bestimmen. Durch „[...] gemeinsame[] und als selbstverständlich und natürlich erachtete[] Vorstellungen, Zeichen, Symbole[] und Bedeutungen [...]“ (TI 2012, s.v. Kultur) wird innerhalb einer Gruppe „[...] Eindeutigkeit, Sinnstiftung, geteiltes Wissen, zielführende Kommunikation und Kooperation [...]“ (TI 2012, s.v. Kultur) ermöglicht. Folglich können für Außenstehende Schwierigkeiten bei der Interpretation von Interaktionssituationen auftreten.

Die Vermittlung von Kultur entspricht einem Lernprozess. Im Rahmen der Sozialisation und Enkulturation erwirbt das Individuum „[...] bestimmte Muster des Denkens, Fühlens und Handelns, die ein emotionales und kognitives System konstituieren und für seine Gesellschaft spezifisch sind“ (TI 2012, s.v. Kultur). Dabei beinhaltet Sozialisation das bewusste und unbewusste Erlernen und Verinnerlichen von Werten und sozialen Praktiken, während sich Enkulturation auf kulturelle Spezifika bezieht (vgl. TI 2012, s.v. Enkulturation). In der Phase der Primärsozialisation erlernen Kinder, hauptsächlich durch das familiäre Umfeld, unbewusst kulturelle Normen, Werte und Verhaltensweisen. Das Erlernte wird infolgedessen als normal wahrgenommen. Auch nach Abschluss der Primärsozialisation wird der Prozess der kulturellen Vermittlung fortgeführt. Kultur ist in dem Sinne nicht statisch und bis zu einem gewissen Grad von jedem erlernbar (vgl. TI 2012, s.v. Kultur). Dabei kann es im Zuge einer längerfristigen Kontaktsituation zwischen Angehörigen unterschiedlicher kultureller Systeme zu einer Art Anpassungsprozess kommen, welcher Akkulturation genannt wird. Es werden Charakteristika des jeweils anderen Referenzsystems erlernt und in das eigene aufgenommen. Während der Primärsozialisation erlernte Muster können sich überlagern (vgl. TI 2012, s.v. Akkulturation). Zusätzlich stellt Kultur gewissermaßen ein System verschiedener Lösungsstrategien zur Zielerreichung und Problembewältigung dar. Aufgrund von Erfahrungen und Werten haben sich über die Zeit bestimmte Lösungsansätze bewährt, auf die in entsprechenden Situationen zurückgegriffen werden kann (vgl. TI 2012, s.v. Kultur).

In der Regel werden Personen, welche in einer anderen Kultur aufgewachsen sind, schnell als Ausländer (Nationalkultur) oder Außenseiter identifiziert. Davon abgesehen, ist es möglich, parallel Angehöriger verschiedener Kulturen zu sein (beispielsweise Motorradgang, Mitglied in einer Kirchengemeinde und Deutscher). Durch die Gesamtheit der Kulturen, denen sich ein Individuum zugehörig fühlt, wird die Identität definiert (vgl. Kapitel 2.4).

2.1.1 Kulturstandards nach Thomas

Der Psychologe Alexander Thomas beschreibt Kulturstandards als „[...] Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen werden“ (Thomas 2005: 25). Kulturstandards besitzen eine „Regulationsfunktion“ (Thomas 2005: 25), das heißt, sie tragen in gewisser Weise dazu bei, das eigene und fremde Verhalten zu regulieren und zu beurteilen, wobei abweichendes Verhalten sogar sanktioniert werden kann (vgl. Thomas 2005: 25). Es gibt keine feste Anzahl solcher Standards. Sie werden „[...] auf der Basis von historischen, soziologischen und psychologischen Erhebungen ermittelt [...]“ (TI 2012, s.v. Kulturstandards). Thomas unterscheidet verschiedene Arten von Kulturstandards, wobei für diese Arbeit lediglich die zentralen Kulturstandards relevant sind. Dies sind „[...] bereichsübergreifende kulturspezifische Orientierungen, die für ein Land oder einen Kulturraum charakteristisch sind“ (TI 2012, s.v. Kulturstandards). Zu den brasilianischen Kulturstandards gehören Personenorientierung, interpersonelle Harmonieorientierung, Kontakt- und Kommunikationsfreudigkeit, Emotionalismus, Hierarchieorientierung, Gegenwartsorientierung und Flexibilität (vgl. Brökelmann 2005: 19-111).

2.1.2 Kulturdimensionen nach Hofstede

Die Kulturdimensionen des Niederländers Geert Hofstede basieren auf den Ergebnissen einer breit angelegten internationalen Studie, im Rahmen derer 116.000 Mitarbeiter des Computerkonzerns IBM weltweit zu ihren Werteinstellungen befragt wurden. Die Studie fand im Zeitraum 1967 – 1973 in zwei Runden statt. Es wurden Mitarbeiter in 72 Ländern, in 20 verschiedenen Sprachen, befragt. Der Fokus der Analyse lag auf nationalen Unterschieden in Bezug auf die Einstellungen und Werte der Angestellten. Aus den Ergebnissen der Umfrage filterte Hofstede vier Dimensionen heraus: Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung, Individualismus und Maskulinität. Eine fünfte Dimension, Langzeit- versus Kurzzeitorientierung, kam 1980 durch die Chinese Value Survey (CVS) hinzu (vgl. Hofstede 2001: 41). In der überarbeiteten Neuauflage von Cultures and Organizations (Hofstede et al. 2010) übernahm Hofstede eine sechste Dimension von seinem Kollegen Minkov: Nachgiebigkeit versus Beherrschung (vgl. Towers/Peppler 2017: 16).

Die erste der sechs Dimensionen ist die der Machtdistanz. Diese beschreibt, wie Kulturen mit Ungleichheit umgehen und bis zu welchem Grad Hierarchien gesellschaftlich akzeptiert werden (vgl. Hofstede 2001: 79). Ungleichheit kann sich auf ganz unterschiedliche Arten zeigen. Sie kann beispielsweise körperlicher oder geistiger Natur sein oder sich im sozialen Status und Ansehen widerspiegeln. Sie kann im Besitz und der Macht einer Person demonstriert werden oder Teil von Gesetzen, Rechten und Regeln sein (vgl. Hofstede 2001: 80). Ein hoher Machtdistanzindex (MDI) gibt an, dass hohe Machtgefälle erwartet und akzeptiert werden, wodurch vielschichtige Hierarchiesysteme entstehen. Ein niedriger MDI ist ein Zeichen für flache Hierarchiesysteme. In derartigen Kulturen werden hohe Machtgefälle in der Regel nicht akzeptiert, sondern im Gegenteil eher bekämpft (vgl. Layes 2005: 61).

Die zweite Dimension ist die der Unsicherheitsvermeidung. Hier handelt es sich um Bewältigungsstrategien (Technologie, Recht, Religion) in Bezug auf die Unsicherheit der Zukunft, beziehungsweise die Ungewissheiten, welche das Leben mit sich bringt (vgl. Hofstede 2001: 145). Gesellschaften haben über die Zeit unterschiedliche Strategien entwickelt, welche über essentielle Institutionen wie die Familie, die Schule oder den Staat vermittelt und bestätigt werden (vgl. Hofstede 2001: 146). Unsicherheitsvermeidung ist nicht mit Risikovermeidung gleichzusetzen, da ein Risiko mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit berechnet werden kann, Unsicherheit jedoch lediglich einem vagen Gefühl entspricht (vgl. Hofstede 2001: 148). Ein hoher Unsicherheitsvermeidungsindex (UVI) besagt, dass entsprechende Kulturen Regeln als verbindlich betrachten und sie durch unklare, mehrdeutige Situationen verunsichert werden. Das Gegenteil gilt für Kulturen mit einem niedrigen UVI. Die Regelsysteme der jeweiligen Kultur sind flexibler, auf Unsicherheiten wird gelassener reagiert und Regeln sind allgemein weniger verbindlich (vgl. Layes 2005: 62).

Individualismus stellt die dritte Kulturdimension dar, deren Gegenstück Kollektivismus ist. Sie beschreibt das Verhältnis des Individuums zum Kollektiv und spiegelt sich in der Art und Weise des menschlichen Zusammenlebens wider (vgl. Hofstede 2001: 209). Ein hoher Individualismusindex (II) hebt die Bedeutung des Einzelnen im Vergleich zur Gruppe hervor. Die Interessen und Ziele des Individuums stehen über denen des Kollektivs, Verpflichtungen gelten gegenüber einem selbst und der engsten Familie. Kulturen mit einem niedrigen II sind eher kollektivistisch geprägt. Das heißt, dass die Gesellschaft oder auch die Gruppe höher angesehen wird als das Individuum. Bereits durch die Geburt wird eine Person in verschiedene Gruppen integriert, ist diesen im Umkehrschluss aber auch unbedingte Treue schuldig (vgl. TI 2012, s.v. Individualismus/Kollektivismus).

Als vierte Kulturdimension beschreibt Maskulinität das Ausmaß, in welchem die Geschlechterrollen klar definiert sind: „Von Männern wird erwartet, hart, bestimmt, unabhängig, materiell und leistungsorientiert zu sein; Frauen dagegen sollen bescheiden und sensibel sein und zwischenmenschlichen [sic] Beziehungen pflegen“ (TI 2012, s.v. Maskulinität/Femininität). In femininen Gesellschaften hingegen überschneiden sich die Geschlechterrollen und gesellschaftliche Funktionen können sowohl von Männern als auch von Frauen erfüllt werden (vgl. Layes 2005: 62).

Die fünfte Dimension Langzeit- versus Kurzzeitorientierung, wurde unabhängig von der IBM-Studie durch die Chinese Value Survey hinzugefügt. Hofstede sieht diese Dimension im konfuzianischen Denken verankert: „It opposes long-term, to short-term aspects of Confucian thinking: persistence and thrift to personal stability and respect for tradition“ (Hofstede 2001: 351). In Gesellschaften mit einem hohen Langzeitorientierungsindex (LOI) sind besonders auf die Zukunft und langfristige Planung ausgerichtete Werte wie Ausdauer und Beharrlichkeit hoch angesehen. Kulturen mit einem niedrigen LOI hingegen erachten auf die Vergangenheit und Gegenwart bezogene Werte als wichtiger (vgl. TI 2012, s.v. Langfristorientierung).

Als letzte Dimension beschreibt Nachgiebigkeit versus Beherrschung, in welchem Ausmaß die Befriedigung von Gefühlen und Wünschen frei, beziehungsweise beschränkt ist (vgl. Maleki/de Jong 2014: 120). Ein hoher Indexwert spricht dafür, dass persönlichen Wünschen und Impulsen nachgegangen wird. Ein niedriger Wert hingegen ist ein Zeichen für Beherrschung und Kontrolle (vgl. Towers/Peppler 2017: 16).

An dieser Stelle soll in wenigen Sätzen aufgezeigt werden, wo Brasilien in Bezug auf die sechs Dimensionen im Vergleich zu 50 anderen Ländern und drei Regionen wiederzufinden ist. Die Indexspannweite reicht von 0 (sehr gering) bis 100 (sehr hoch). Neben dem Index wird ebenfalls der Rang angegeben, welchen Brasilien im Vergleich zu den anderen Ländern hat. Brasiliens MDI liegt bei 69, womit das Land Rang 14 einnimmt. Im Vergleich dazu liegt Deutschland mit einem MDI von 35 auf Platz 42/44 (vgl. Hofstede 2001: 87). Dementsprechend gehört Brasilien zu den Ländern mit einer eher hohen Machtdistanz. In Bezug auf die Unsicherheitsvermeidung liegt das südamerikanische Land mit einem UVI von 76 (Deutschland 65) auf Platz 21/22 (Deutschland Platz 29), also im oberen Mittelfeld, wobei der Indexwert hoch ist (vgl. Hofstede 2001: 151). Dies bedeutet, dass Brasilien durchaus auf strikte und komplexe Regelsysteme zur Regulierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens zurückgreift. Der II Brasiliens dahingegen ist mit 38 Punkten sehr gering (Deutschland 67). Wieder einmal liegt das Land damit regelrecht im Mittelfeld der befragten Länder (Platz 26/27; Deutschland Platz 15) (vgl. Hofstede 2001: 215). Dies spricht für eine kollektivistische Ausrichtung der Gesellschaft. Der Maskulinitätsindex (MI) Brasiliens liegt mit 49 Punkten (Platz 27) deutlich unter dem MI Deutschlands von 66 (Platz 9/10) (vgl. Hofstede 2001: 286). Damit sind die Geschlechterrollen in Brasilien weniger klar voneinander abgegrenzt als zum Beispiel in der Bundesrepublik. Anders sieht es bei der letzten Dimension aus: Brasiliens Nachgiebigkeitsindex liegt bei 59, während Deutschland eine Ausprägung von 40 aufweist (vgl. Scheitza 2012: 16). Folglich wird die Befriedigung von Bedürfnissen in Brasilien weniger streng durch soziale Normen und Regeln reguliert als in Deutschland, beziehungsweise das Handeln ist impulsgeleiteter. Zudem wird Freizeit in Brasilien höher priorisiert als Arbeit (vgl. Towers/Peppler 2017: 18). Bei der CVS liegt der LOI von 23 Ländern vor, wobei die höchste Ausprägung der vorliegenden Tabelle 118 Punkte (China) beträgt und die niedrigste 0 Punkte (Pakistan). Brasilien liegt mit 65 Punkten auf Platz 6, Deutschland mit 31 Punkten auf Platz 14 (vgl. Hofstede 2001: 356). Somit ist das Denken der brasilianischen Gesellschaft überraschenderweise zukunftsorientierter als das der deutschen. Allerdings bleibt zu beachten, dass die Daten an die 40 Jahre alt sind. Durch neue Befragungen würden eventuell neue Ergebnisse erzielt werden. Für die Analyse dieser Arbeit jedoch sind die vorliegenden Daten ausreichend, zumal die Kulturdimensionen Hofstedes nicht die einzigen sind, auf welche sich die Arbeit stützt.

2.1.3 Kulturdimensionen nach Hall

Auch der Anthropologe Edward T. Hall beschäftigte sich mit kulturellen Unterschieden und versuchte, Dimensionen menschlichen Zusammenlebens herauszufiltern, mit welchen sich alle Kulturen auseinandersetzen müssen. Hall zufolge sind das Raum, Zeit und Kommunikation (vgl. Layes 2005: 63).

Für die Dimension des Raums prägte Hall den Begriff Proxemik, mit welchem er die menschliche Nutzung des Raums als kulturelle Besonderheit beschreibt (vgl. Hall 1966: 1). Dafür definiert er vier Distanzzonen: „[...] intimate, personal, social, and public [...]“ (Hall 1966: 114). Je nach Kultur und Vertrautheit zwischen den entsprechenden Personen beziehungsweise Interaktionspartnern kann die Distanz der jeweiligen Zone variieren und sich mit der Zeit verändern. Entscheidend ist das Einhalten einer adäquaten Distanz. Ein zu geringer Abstand kann als Eindringen in die eigene „[...] small protective sphere [...]“ (Hall 1966: 119) gedeutet werden, ein zu großer Abstand als Ablehnung (vgl. Haß 2013: 40).

In puncto Zeit differenziert Hall zwischen monochronem (M-time) und polychronem (P-time) Zeitverständnis. M-time bedeutet „[...] one-thing-at-a-time, following a linear form [...]“ (Hall 1983: 230). Zeit wird als sequentielle, oft voneinander unabhängige Ereignisse betrachtet, Ungewissheiten wird durch Planung entgegengewirkt. Treten doch einmal unerwartete Situationen ein, können diese von leichter Verunsicherung bis hin zu Orientierungslosigkeit führen (vgl. TI 2012, s.v. Monochronie). In P-time Kulturen hingegen, wird Zeit als „[...] many-things-at-a-time“ (Hall 1983: 230) betrachtet. In diesem Fall stellt Zeit keine Linie, sondern vielmehr einen Zirkel dar, im Rahmen dessen Handlungen parallel ausgeführt werden können, Unterbrechungen möglich sind und auf Veränderungen flexibler reagiert werden kann, da diese keineswegs zur Orientierungslosigkeit führen. Pünktlichkeit spielt in polychronen Gesellschaften eine untergeordnete Rolle, zwischenmenschliche Beziehungen sind wichtiger als feste Abläufe (vgl. TI 2012, s.v. Polychronie). Diese Einteilung entspricht in etwa der Kulturdimension konsekutives versus synchrones Zeitverständnis von Trompenaars (vgl. Kapitel 2.1.4).

In Bezug auf die Dimension der Kommunikation unterscheidet Hall zwischen high und low context. Dies beschreibt die Menge an in Kommunikationssituationen enthaltenen Informationen, „[...] von denen der Sender annimmt, dass der Empfänger über sie verfügt“ (TI 2012, s.v. Context, High/Low). In einer high context Kommunikation ist der Großteil der Information im Kontext enthalten, während die übermittelte Nachricht wenige Informationen enthält (vgl. Hall 1983: 229). Dies entspricht einem impliziten Kommunikationsverhalten, bei welchem vor allem auch Körpersprache von großer Bedeutung ist. Das Gegenteil ist bei expliziter low context Kommunikation der Fall, wo der Kontext eine untergeordnete Rolle spielt, die Menge an übermittelten Informationen hingegen ausgesprochen wichtig ist (vgl. TI 2012, s.v. Context, High/Low).

Im Hinblick auf Proxemik kann festgehalten werden, dass Brasilianer ein anderes Raumverständnis haben als beispielsweise Deutsche. Die Distanzen zwischen Interaktionspartnern sind geringer, Körperkontakt spielt nicht nur in der intimen Distanzzone, sondern auch in der personalen und sozialen eine wichtige Rolle. Das brasilianische Zeitverständnis entspricht entgegen dem Deutschen vielmehr dem der P-time Kulturen. Freundschaften und Beziehungen sind nicht nur in Notfällen entscheidend, Pläne und zeitliche Abläufe werden nicht selten verworfen (vgl. Hall 1983: 77). Die Kommunikation beruht in Brasilien in der Regel auf einem high context, was bedeutet, dass ein Großteil der Informationen indirekt übermittelt wird und Konflikte normalerweise vermieden werden.

2.1.4 Kulturdimensionen nach Trompenaars

Der Niederländer Fons Trompenaars hat kulturelle Unterschiede im Managementverhalten untersucht. Durch jahrelange Beobachtungen und Befragungen von Unternehmen und deren Mitarbeitern hat er sieben fundamentale Kulturdimensionen herausgearbeitet. Diese spiegeln die spezifischen Problemlösungsstrategien von Kulturen wider, wobei Probleme unterschiedlich betrachtet werden. Es gibt „solche, die aus der Beziehung zu anderen Menschen entstehen, solche, die vom Verlauf der Zeit herrühren, und solche, die aus Umwelt und Umgebung erwachsen“ (Trompenaars 1993: 21).

In die erste Kategorie, die sich mit menschlichen Beziehungen beschäftigt, fallen fünf Dimensionen. Die erste Dimension ist Universalismus versus Partikularismus, wobei Universalisten davon ausgehen, dass für menschliches Verhalten allgemeingültige Regeln definiert werden können. In partikularistischen Kulturen hingegen liegt das Augenmerk auf dem situativen Einzelfall und menschliche Beziehungen stehen über universell gültigen Regeln (vgl. Trompenaars 1993: 21f.). Die zweite Dimension beschreibt den Unterschied zwischen Individualismus und Kollektivismus. Im ersten Fall werden die „[...] Wünsche[] und Erwartungen jedes Einzelnen [...] den Interessen der Gruppe [...]“ (Trompenaars 1993: 73) vorangestellt, wobei im zweiten Fall die Bedürfnisse der Gemeinschaft im Vordergrund stehen. Neutral versus affektiv stellt die dritte Dimension dar. Untersucht wird, ob Interaktionen von „[...] Objektivität und Vorurteilsfreiheit geprägt [...]“ (Trompenaars 1993: 22) sind oder ob „[...] der Ausdruck von Gefühlen toleriert“ (Trompenaars 1993: 22) wird. Die vierte Dimension bezieht sich auf spezifische versus diffuse Kulturen. Hierbei ist das Maß entscheidend, in welchem Angehörige der jeweiligen Kultur persönliche und private Beziehungen von geschäftlichen trennen (vgl. Trompenaars 1993: 109). In spezifischen Kulturen sind die Trennlinien klar gezeichnet, in diffusen hingegen können sich Lebensbereiche und damit zusammenhängende Bekanntschaften und Beziehungen überlagern. Die letzte Dimension dieser Kategorie bezieht sich auf Statusfragen. Leistungsstatus gilt in jenen Kulturen, welche „[...] Status auf der Grundlage der von den betreffenden Menschen erbrachten Leistungen gewähren [...]“ (Trompenaars 1993: 135), wobei man diese Art der Statuszuschreibung „[...] errungenen [Hervorhebung des Autors] Status [...]“ (Trompenaars 1993: 135) nennt. Das Gegenstück bildet der „[...] zugeschriebene [] [Hervorhebung des Autors] Status“ (Trompenaars 1993: 135), welcher den Mitgliedern einer Kultur durch ihre Herkunft und ihr Sein (bspw. Geschlecht, Alter, Klasse, etc.) (vgl. Trompenaars 1993: 135) zuteil wird.

Die nächste Kategorie der Dimensionen bezieht sich auf die Frage, wie Menschen mit der Zeit umgehen. Trompenaars unterscheidet Kulturen hinsichtlich eines konsekutiven und synchronen Zeitverständnisses (vgl. Trompenaars 1993: 157). Die konsekutive Sichtweise betrachtet Zeit als linear, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stellen einen Ablauf dar und sind voneinander getrennt. Bei dem synchronen Verständnis gilt „[...] Zeit als ein Zirkel [Hervorhebung des Autors] [...]“ (Trompenaars 1993: 158), wodurch alles miteinander verwoben scheint. Diese Einteilung entspricht in etwa der Kulturdimension Monochronie versus Polychronie von Hall (vgl. Kapitel 2.1.3).

Als letzte Kategorie und letzte Dimension nennt Trompenaars die Einstellung zur Umwelt. Auch hier gibt es ein Gegensatzpaar, bestehend aus den Kulturen, welche meinen, über der Natur zu stehen und diese kontrollieren zu können und denen, welche sich als Teil der Natur betrachten und sich den natürlichen Gesetzen und Kräften unterordnen (vgl. Trompenaars 1993: 181f.). Erstere bezeichnet Trompenaars als selbstbestimmt, letztere als außengeleitet (vgl. Trompenaars 1993: 182).

Laut der Ergebnisse Trompenaars ist die brasilianische Kultur universalistisch geprägt (72% der Befragten sprachen sich für ein universalistisches System aus; vgl. Trompenaars 1993: 57). In der Kategorie Individualismus/Kollektivismus sind die Ergebnisse nicht so eindeutig. Vielmehr lässt das Ergebnis von 56% (Prozentsatz der Befürworter individueller Freiheit, vgl. Trompenaars 1993: 75) darauf schließen, dass sich Brasilien zwischen den beiden Ausprägungen bewegt. In Bezug auf die Dimension neutral/affektiv sowie die Dimension spezifisch/diffus weisen die Ergebnisse Brasilien den Aspekten affektiv und diffus zu (vgl. Trompenaars 1993: 130). Bei der Statusfrage zeigt sich, dass die brasilianische Gesellschaft mehr auf den errungenen als auf den zugeschriebenen Status ausgerichtet ist. 70% der Befragten befürworten es, seinen eigenen Weg trotz ausbleibendem Erfolg zu gehen (vgl. Trompenaars 1993: 140). Knapp 2/3 stimmen gegen die Behauptung, das Ansehen hänge vom familiären Hintergrund ab (vgl. Trompenaars 1993: 141). Für den Umgang mit der Zeit liegen speziell für Brasilien keine konkreten Ergebnisse vor. Bei dem Bezug zur Natur sieht es etwas anders aus. Dort ist eine Tendenz zur Kontrolle der Natur erkennbar (vgl. Trompenaars 1993: 183f.). Dementsprechend können Brasilianer als selbstbestimmt bezeichnet werden.

2.2 Stereotyp

Liest man den letzten Satz des vorangehenden Kapitels unabhängig vom Kontext, so würde die Aussage „Brasilianer sind selbstbestimmt“ eine stereotype Eigenschaft ihres Wesens beschreiben. Dies führt direkt zum Inhalt dieses Kapitels. Als Begründer der Stereotypenforschung gilt Walter Lippmann, der den Begriff Stereotyp 1922 in seinem sozialwissenschaftlichen Werk Public Opinion erstmals verwendete. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Druckersprache und bedeutet in dem Sinne „mit feststehender Schrift“ (WDW 2006, s.v. stereotyp). Lippmann beschreibt Stereotypen als „[...] an ordered, more or less consistent picture of the world, to which our habits, our tastes, our capacities, our comforts and our hopes have adjusted themselves“ (Lippmann 1922: 71). Er ergänzt, dass diese kein vollständiges Bild der Welt lieferten, sondern lediglich das einer möglichen Welt (vgl. Lippmann 1922: 71). Aus beiden Definitionen lässt sich schließen, dass Stereotypen starre, reduzierte, mentale Konzepte sind, die wir vor allem von anderen Menschen, beziehungsweise von Personen anderskultureller sozialer Gruppen, haben. In allen Bereichen menschlichen Zusammenlebens können Stereotypen erzeugt werden. Hans Henning Hahn behauptet, es herrsche Einigkeit darüber, dass „[...] Stereotypen subjektive, von Emotionen beeinflußte und verallgemeinernde Werturteile sind, die auf Gruppen von Menschen angewendet werden (bzw. auf Einzelne als Mitglieder einer Gruppe) [...]“ (Hahn 2002: 21). Wichtig zu beachten ist, dass Stereotypen keineswegs das Verhalten eines Individuums beschreiben, sondern „[...] lediglich das erwartete Verhalten, das man allen Mitgliedern einer Gruppe zuschreibt“ (TI 2012, s.v. Stereotypen). Die Definition von Hahn impliziert den nicht normativen Charakter von Stereotypen. Sie beruhen auf Wahrnehmungen, Einschätzungen und dem Befinden des bezeichnenden Subjekts. Dabei muss das bezeichnete Objekt mit dem Inhalt des ihn Betreffenden nicht einverstanden sein. Da Stereotype sozialisatorisch und emotional tradiert werden, „[...]weisen [sie] eine oft erstaunliche Resistenz gegen rationale Kritik auf und sind unabhängig von eigener Erfahrung, also nicht falsifizierbar“ (Hahn 2002: 22). Dementsprechend ist es schwer, Stereotypen zu ändern, auch wenn sie trotz allem dem Wandel der Zeit unterliegen.

Uta Quasthoff schreibt Stereotypen drei wesentliche Funktionen zu: kognitiv, affektiv und sozial (vgl. Quasthoff 1989: 40). Der kognitiven Funktion fallen Aspekte wie Orientierung und Komplexitätsreduktion zu. Informationen werden aufgenommen und durch Generalisierungen verarbeitet. In Bezug auf die affektive Funktion erklärt Quasthoff, ein „gewisses Maß an Ethnozentrismus“ (Quasthoff 1989: 40) unterstütze die „Identitätsbildung“ (Quasthoff 1989: 40). Ethnozentrismus ist eine „Haltung, die unreflektiert Normen und Auffassungen der eigenen Gruppe oder Gesellschaft auf andere Gruppen oder Gesellschaften überträgt“ (TI 2012, s.v. Ethnozentrismus). Die soziale Funktion ist die Herstellung sozialer Struktur durch Abgrenzung, durch Trennung von Eigenem und Fremden, die vor allem bei Nationalitäten eine bedeutende Rolle spielt (vgl. Quasthoff 1989: 40). Während Stereotypen auf den ersten Blick Informationen über das bezeichnete Objekt zu vermitteln scheinen, sagen sie in Wahrheit oft etwas über das bezeichnende Subjekt aus. Dabei haben sie in der Regel eine nach innen integrierende und eine nach außen ab- oder gar ausgrenzende Funktion (vgl. Hahn 2002: 28). Was genau das bedeutet, wird anhand der Unterscheidung in Auto- und Heterostereotyp im folgenden Kapitel genauer erklärt.

Die Starrheit von Stereotypen führt dazu, dass Abweichungen dieser Annahmen meist als Ausnahmen gesehen werden. Tritt ein Fall auf, in welchem ein Stereotyp widerlegt wird, so findet in der Regel keine Modifizierung des Stereotyps statt, sondern der Fall wird als deviant konstatiert. Eine mögliche Erklärung bietet Magda Telus: „Die Stereotypisierung dient der Untermauerung der verinnerlichten sozialen Wirklichkeit“ (Telus 2002: 112). Dies bestätigt, was Lippmann bereits schrieb: Stereotypen sind „[...] the guarantee of our self-respect [...]. They are the fortress of our tradition, and behind its defenses we can continue to feel ourselves safe in the position we occupy“ (Lippmann 1922: 71f.). Auch hier wird vor allem die Abgrenzungsfunktion deutlich. Durch stereotype Darstellungen der anderen wird die eigene Position verdeutlicht und gestärkt. Ein Infragestellen von Stereotypen würde folglich zum Anzweifeln der eigenen Position, der eigenen sozialen Wirklichkeit und somit der eigenen Identität führen.

Neben den bereits genannten Funktionen kann Stereotypen ebenfalls eine Entlastungsfunktion zugeschrieben werden. Mittels stereotypen Geschichten und Witzen werden ernste Sachverhalte derart kaschiert, dass sie auf eine humorvolle Art vermittelt und dennoch verstanden werden. Zudem kann dies zu einer Befreiung von Ängsten führen (vgl. Müns 2002: 128). Da „[...]bedrohliche Situationen anscheinend nicht ernst genommen werden oder aus eigener Kraft nicht verändert werden können“ (Müns 2002: 132) sind gerade stereotype Witze ein geeignetes Medium, um Befreiung zu erwirken. Oft werden gesellschaftliche Probleme stereotypisiert, welche eng mit der eigenen Identität zusammenhängen, sodass das Lachen über die Probleme Abhilfe schafft. Bei der Analyse des Buches Um Brasileiro em Berlim fällt gerade dieser letzte Aspekt auf. Der humorvolle Umgang mit Stereotypen zum Relativieren der oft tristen Wirklichkeit stellt ein Kernelement der brasilianischen Identität dar.

2.2.1 Auto- und Heterostereotyp

Ausgehend von der Annahme, dass Stereotypen sich stets auf eine Gruppe, bzw. auf Individuen als Teil dieser (vgl. Hahn 2002: 21) beziehen, lässt sich feststellen, dass sich Autostereotypen auf die eigene Gruppe beziehen. Die Vorsilbe auto wird abgeleitet vom Griechischen autos und bedeutet ‚selbst‘ (vgl. WDW 2006, s.v. auto). Heterostereotypen hingegen, vom Griechischen heteros, zu Deutsch ‚anders‘, ‚verschieden‘ (vgl. WDW 2006, s.v. hetero), verweisen auf andere Gruppen oder deren Mitglieder. Sowohl Auto- als auch Heterostereotypen weisen die in Kapitel 2.2 genannte Bifunktionalität von Stereotypen auf, das heißt, sie wirken nach innen integrierend und nach außen ab- oder ausgrenzend (vgl. Hahn 2002: 28). Das bedeutet, dass Stereotypen nicht nur dazu dienen, jemanden oder etwas zu bezeichnen, sondern dass sie vor allem auch „[...] in entscheidendem Maße gruppenbildend wirken, entscheidend, weil durch die qualitative typisierende Bezeichnung der ‚Anderen‘ gleichzeitig eine qualitative Selbstbezeichnung, daß und wie ‚Wir‘ sind, vorgenommen wird“ (Hahn 2002: 34). Mit den Worten „die anderen sind ...“ wird in der Regel ausgedrückt „So sind wir nicht.“ Dies bietet insbesondere dem Sender, aber auch dem Empfänger, die Möglichkeit, sich zu orientieren und sich zu positionieren. Mit den Bezeichnungen ich oder wir liefert der Sender Informationen über seine eigene Zugehörigkeit, mit der Bezeichnung die anderen, schließt er jene aus seiner eigenen Gruppe aus.

Auto- und Heterostereotype weisen zudem eine wechselseitige Bedingtheit auf. Hahn erklärt, dass „[f]ast jedes Mal, wenn ein negatives Heterostereo­typ benutzt wird, wird gleichzeitig das positive Autostereotyp mitgedacht“ (Hahn 2002: 31). Auch andersherum gilt dieser Satz, nur der Charakter der jeweiligen Aussagen ändert sich. Während im ersten Fall in der Regel durch eine negative Darstellung der anderen ein positives Selbstbild impliziert wird, haben Aussagen mit einem negativen Autostereotyp einen eher „appellativen Charakter: ‚Wir sind leider so bzw. nicht so, aber wir sollten so werden‘“ (Hahn 2002: 32). Der Charakter dieser Aussage ist keineswegs normativ, sondern vielmehr warnend. Es soll sich ein Beispiel am anderen genommen werden. In den meisten Fällen sind es die Heterostereotypen, welche artikuliert und die Autostereotypen, welche impliziert werden.

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Details

Titel
Innenansichten eines Außenseiters. Selbst-und angenommenes Fremdbild von Brasilianern in "Um Brasileiro em Berlim"
Hochschule
Universität Passau
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
45
Katalognummer
V993463
ISBN (eBook)
9783346359551
ISBN (Buch)
9783346359568
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Brasilien, Kultur, Identität
Arbeit zitieren
Ronja Tewes (Autor:in), 2018, Innenansichten eines Außenseiters. Selbst-und angenommenes Fremdbild von Brasilianern in "Um Brasileiro em Berlim", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/993463

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Titel: Innenansichten eines Außenseiters. Selbst-und angenommenes Fremdbild von Brasilianern in "Um Brasileiro em Berlim"



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