I Einleitung
Liest man Aristoteles, so hat man nicht zwangsläufig den Eindruck, sich mit antiker und deswegen antiquierter Lektüre zu befassen.
Vielmehr hat die ,,Politik" große Ähnlichkeit mit moderner politischer Programmatik: Ablehnung der Beherrschung von oben, statt dessen Selbstbestimmung der freien und gleichen Bürger, Berücksichtigung und Fruchtbarmachen von sozialen Unterschieden, Rechte des Bürgers... Weiterhin stammen so gut wie alle Begriffe des öffentlichen Lebens von Aristoteles. Hieraus könnte man die Schlußfolgerung ziehen, daß unsere mitunter so hart erkämpfte Demokratie, die wir als Errungenschaft der Moderne betrachten, in Wahrheit ein Erbe der griechischen Antike ist.1
Die Ideen der Politie waren über Jahrhunderte unter Feudalismus und Absolutismus verschüttet; an die Stelle des Bürgers trat der Untertan, Glückseligkeit war nicht mehr Ziel des Staates sondern von der katholischen Kirche im Jenseits versprochen - im Gegenzug für hingenommene Unterdrückung im Diesseits.
Erst mit der Französischen Revolution wurden diese Strukturen in Europa wirksam aufgebrochen. Trotz herber Rückschläge und zahlreicher Irr- und Umwege kann man den roten Faden sehen, der sich von 1789 bis heute zieht. Freiheit und Gleichheit (die Brüderlichkeit kam erst später hinzu) bilden noch heute die Quintessenz aller modernen (westlichen) Menschenrechtsauffassungen. Das Original schließlich, die Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 ist bis zum heutigen Tag geltendes Verfassungsrecht.
II Was ist ein Staat?
II.1 bei Aristoteles
,,Der Staat ist nun eine Gemeinschaft von Ebenbürtigen zum Zwecke eines möglichst guten Lebens."2 Diese Ebenbürtigen sind Bürger.
,,Ce qui définit la polis, c'est que, contrairement à la tribu ou aux grandes monarchies, contrairement à la communauté familiale, nul n'y poss è de a priori le pouvoir.3 " (kursiv im Original). In diesem Sinne ist also die Polis ein herrschaftsfreier Raum. Dabei ist zu beachten, daß Aristoteles` Definition vom Staat eine sehr enge Definition ist. Dolf Sternberger schreibt dazu: ,,Dieser Bereich der Gleichen, der Pairs, dieser Bereich der Bürgerschaft ist nach dem Aristoteles ein herrschaftsfreier Bereich, und ebendieser herrschaftsfreie Bereich, einzig dieser herrschaftsfreie Bereich ist der Staat."4
II.2 Heute
Die enge Definition des Aristoteles, die besagt, nur dort wo gleichberechtigte Bürger abwechselnd regieren und regiert werden, wo somit Freiheit und Gleichheit herrscht, existiere ein Staat, findet sich in ähnlicher Weise auch ein einem Dokument der Neuzeit wieder. Der Artikel 16 der Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen von 1789 besagt: ,,Toute societé dans laquelle la garantie des droits n'est pas assurée, ni la séparation des pouvoirs déterminée, n'a point de constitution."
Heute dürfte diese Vorstellung nicht sonderlich verbreitet sein, zumindest nicht auf allzu große Zustimmung stoßen.
Manfred G. Schmidt gibt folgende Definition des Staates: "Eine politisch-rechtliche Ordnung, die eine Personengemeinschaft auf der Grundlage eines Staatsvolkes innerhalb eines räumlich abgegrenzten Gebietes zur Sicherstellung bestimmter Zwecke auf Dauer bindet und einer souveränen Herrschaftsgewalt unterwirft. Im Sinn eines weiten institutionellen Begriffs die öffentlich politischen Institutionen zur Regelung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten eines Gemeinwesens, insb. ihres inneren Aufbaus und ihrer äußeren Form, der Aufgaben und Kompetenzen der mit Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung und Rechtsprechung beauftragten Einrichtungen und der Rechtstellung der Bürger."5 In dieser Definition kommen mehrere Punkte vor, die sich auch im aristotelischen Staatsverständnis finden:
- die ,,Personengemeinschaft"
- das ,,Staatsvolk": Aristoteles` Vollbürger
- die ,,Sicherstellung bestimmter Zwecke"
- die ,,Regelung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten" (und eben gerade nicht der privaten Angelegenheiten, die in den Bereich des Oikos fallen).
III Warum existiert der Staat und was sind seine Ziele ?
III.1 bei Aristoteles
Der Staat, zunächst nur um des ,,bloßen Lebens willen" entstanden, besteht weiter um des ,,vollkommenen Lebens willen". 6
Der Ursprung des Staates ist natürlich und liegt in der Natur des Menschen als zoon politikon.7 Erst in der Gemeinschaft gelangt der Mensch zu seiner Vollendung und kann zum ,,besten Lebewesen" werden.
Im Staat, und nur dort, herrscht Gerechtigkeit: ,,Die Gerechtigkeit dagegen ist der staatlichen Einheit eigen. Denn das Recht ist die Ordnung der staatlichen Gemeinschaft, und die Gerechtigkeit urteilt darüber, was gerecht sei". Somit ist der Staat unabdingbare Voraussetzung für das Gute Leben, denn ohne Gerechtigkeit ist der ,,Mensch ohne Tugend das gottloseste und wildeste aller Wesen und in Liebeslust und Eßgier das schlimmste".8
Interessanterweise stellt für Aristoteles das Zusammenleben gerade nicht ein Leben nach den Regeln des kleinsten, gemeinsamen Nenners dar, im Gegenteil: gerade das höchste Ziel ist raison d'être der Polis.9
Indem Aristoteles die staatliche Gemeinschaft für naturgegeben und dem Wesen des Menschen innewohnend erklärt, wird ihre Rechtfertigung drastisch vereinfacht: sie entfällt schlicht. Damit ist eines der großen Probleme, wenn nicht gar das größte, des neuzeitlichen Verfassungsstaates ausgeräumt, der aristotelische Staat hat seine Legitimation in sich selbst.
Eines der wesentliche Merkmale und Ziele der Polis, Grundvoraussetzung für das Gute Leben, ist die Autarkie. ,,Die Autarkie aber ist das Ziel und das Beste."10 Somit sollte im großen gelebt werden, was auch für jeden Einzelnen Bedingung der Glückseligkeit ist: die Selbstgenügsamkeit.
Im historischen Blickwinkel freilich erscheint das Gute Leben als unzureichendes Staatsziel. Zwar war die Erhaltung der Demokratie allgemeiner Willen, doch dürfte der Beweggrund dafür eher ein angenehmes Leben gewesen sein, weniger das Gute Leben in Aristoteles` Sinne.11
III.2 Heute
Das Zusammenleben in komplexen Gesellschaften ist ohne verbindliche Regeln und feste Institutionen auf Dauer nicht möglich.
Sobald zwei oder mehr Menschen aufeinandertreffen, entstehen Machtverhältnisse. Der machtfreie Raum ist eine Illusion, die Abwesenheit von Macht bedeutet in Wahrheit nur Machtgleichheit. Umso dringender ist also die verbindliche Regelung und Überwachung des Machtgebrauches und dessen Grenzen. Die Institution, der diese Aufgabe zufällt, ist der Staat, dessen Legitimation heute daraus entsteht, daß er der Staat aller ist.
Somit hat der Staat ein konkretes Ziel: ,,Le but de toute association politique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l'homme."12 In diesem Sinne spricht Dolf Sternberger auch vom ,,humanistischen Staat", der darauf angelegt ist ,,seinen Bürgern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen".13 Dies gilt sowohl für den Staat des Aristoteles als auch für den modernen Verfassungsstaat.
Die Herkunft und Entstehung dieser moderner Staaten ist frei von jeder Mystik. Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland nicht gerade ,,dem Deutschen innewohnt", ist sie doch ausschließlich das Ergebnis menschlichen Handelns, ein Resultat der Geschichte. So heißt es schließlich im ersten Satz der Präambel des Grundgesetzes: ,,...hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.". Das deutsche Volk selbst hat also (zumindest indirekt) beschlossen, seinen Staat nach den Regeln des Grundgesetzes zu organisieren.
Zu den aktuellen Staatszielen zählt die Autarkie, wenn überhaupt, nur noch am Rande. Die Glückseligkeit ist dabei völlig in den Hintergrund getreten. Der Staat hat zwar Freiräume für Selbstverwirklichung zu wahren, doch ist es jedem Bürger selbst überlassen, sein Glück zu suchen. Die Maßstäbe für ,,Glück" sind dabei persönlicher Natur.
Gerade im Hinblick auf Globalisierung und Europäische Integration kann die fehlende wirtschaftliche Autarkie als positiv gesehen werden: Handel über die Grenzen hinweg schafft Verbindungen und Kontakte.
IV Wie funktioniert das Staatswesen?
IV.1 bei Aristoteles
IV.1.a Die Verfassung
Aristoteles definiert ,,Verfassung" folgendermaßen: ,,Die Verfassung wiederum ist eine Art von Ordnung unter denjenigen, die den Staat bevölkern.".14 Man könnte somit auch von der ,,Verfaßtheit" der Polis sprechen, denn der aristotelische Verfassungsbegriff umfaßt mehr als die Organisation der Staatsorgane und der Normen, an die diese sich zu halten haben. Die Verfassung in seinem Sinne ist vielmehr die Festlegung der Gesellschaftsordnung, die ,,Spielregel" für das gesamte öffentliche Leben im Staat.
Die ideale Verfassung des Staates ist die Politie, eine Mischverfassung gebildet aus Oligarchie und Demokratie. Durch die Kombination dieser beiden ,,entarteten" Typen kommt Aristoteles zu einer Art System der Checks and Balances. Reiche und Arme kontrollieren und beschränken sich gegenseitig in ihrer Machtausübung, Extreme werden verhindert oder zumindest abgeschwächt, so daß die Existenz des Staates langfristig gesichert ist. In der Politie wird sozio-ökonomische Gewaltenteilung praktiziert und der Ausgleich zwischen den ,,Klassen" garantiert.
In der Politie regieren alle Bürger um des Wohls aller willen: ,,Tout régime, et seul le régime, qui vise l'intérêt général est juste."15
Um eine möglichst sinnvolle Regierung zu garantieren, darf die Polis nicht zu groß und somit unübersichtlich werden, allerdings muß sie immer noch groß genug sein, um autark sein zu können.
Die bedeutendste Institution Athens war die Volksversammlung: ,,Sie ist als die Gesamtheit aller politisch berechtigten Athener mit dem athenischen Staat identisch. Aber die Volksversammlung steht nicht nur stellvertretend für den Staat; sie ist auch gleichbedeutend mit der politischen Ordnung dieser Stadt, der Demokratie."16
IV.1.b Der Bürger
Der aktive Bürger ist für die Politie unabdingbar.
Bürger ist, wer am Gericht und an der Regierung teilnimmt.17 Dieser Bürger lebt in der Polis als Gleicher unter Gleichen, wobei ,,gleich" die Bedeutung von ,,gleichwertig", nicht ,,gleichartig" zukommt. Erst diese Gleichheit ermöglicht es, abwechselnd zu regieren und regiert zu werden, dies wiederum ist Freiheit.
Das höchste Leben in der staatlichen Gemeinschaft ist es, eben jener zu dienen: ,,Ainsi, ,faire de la politique`, c'est-à-dire participer à la vie commune, n'est pas, à l'époque classique, une activité parmi d`autres possibles: c'est l'activité noble par excellence, la seule qui vaille qu'on lui sacrifie sa vie."18
Die Befähigung dazu kann prinzipiell jeder Bürger erlangen. Aristoteles sieht die Voraussetzung für das gute Regieren gerade nicht darin, ,,die Ideen geblickt zu haben". Es geht vielmehr darum, erlebt statt erlernt zu haben, erfahren zu sein, Phronesis zu haben. Diese ,,Demokratisierung" (im heutigen Sinne des Wortes) der Politik wird gerade dadurch möglich, daß Aristoteles einen entscheidenden Schritt in der politischen Philosophie vollführt: die Polis wird nicht mehr als Teil des unveränderlichen, mystischen Ganzen gesehen, jede Art von Transzendenz oder Gottesgnadentum sind ihr fremd. Statt dessen ist auch sie autonom im Weltsystem, im Hier und Jetzt, ihr Schicksal ist einzig und allein abhängig davon, was ihre Bürger tun.19 Sie ist somit ein ,,durchschaubares" und ,,unmythisches" Wesen.
Die Funktion der Bürger ist es ,,die bedeutendsten Angelegenheiten" zu entscheiden. Politische Tätigkeit, Aristoteles nennt es gar ,,Regierungsfunktion", besteht folglich nicht nur darin, Ämter auszufüllen, sondern bereits schon in der Abstimmung in der Ekklesia.20
In Aristoteles` Konzept sind die Fremden, Sklaven und Frauen von der Politik kategorisch ausgeschlossen, ihnen wird die Befähigung zur Politik von vorneherein abgesprochen. Nur einer Minderheit der Bewohner der Polis bleibt folglich das Recht, sich als Bürger an deren Gestaltung zu beteiligen. So ist auch die Idee der Politie, der Mischverfassung aus Demokratie und Oligarchie, zunächst stark aristokratisch geprägt. Mit Sicherheit geht durch diese ausgrenzende Verteilung der Bürgerrechte sehr viel wertvolles Potential an begabten Politikern verloren, die immer schon der Garant für eine lebendige Politie waren.
Zudem kommt, daß im alten Athen noch lange nicht jeder Inhaber der Bürgerrechte die Lust, aber auch die Eignung, zur Politik hat. Mit dieser Frage beschäftigt sich Aristoteles in 1277/1278 der Politik Aus der Frage, ob denn auch ,,Banausen" Bürger sein können wird deutlich, daß noch lange nicht jeder gebürtige Athener, der kein Sklave ist, auch die nötige Tugend besitzt. Diejenigen Athener, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, sind nicht in der Lage ohne jegliche Berücksichtigung des eigenen Vorteils zum Wohle aller zu regieren.
Die basisdemokratische Idylle Athens hatte, wie heutige Demokratien auch, bisweilen unter dem Desinteresse seiner Bürger zu leiden. Schon wenn nur jeder fünfte Bürger anwesend war, sprach man von der ,,Masse des Volkes".
Dennoch war die Mobilisierung für die Demokratie in der Regel fast erstaunlich hoch, Politik wurde mit großer Motivation betrieben. Dies ist insbesondere dann bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß die antike Demokratie niemals erkämpft werden mußte, sondern sich mehr oder weniger ,,so ergeben" hatte.21
Bei der Beurteilung des politischen Engagements ist es eben wichtig, nicht zu vergessen, daß auch in der Moderne Beteiligungen von 100 Prozent bei freien Wahlen utopisch sind.
Die unterschiedlichen Berufs- und Gesellschaftsgruppen -,,Gesellschaft" freilich hier nur innerhalb des Bürgertums- waren keineswegs proportional vertreten ( wie auch in heutigen Parlamenten). Allerdings war dies auch gar nicht so gedacht, das Bürgerrecht war Ausdruck der athener Staatsbürgerschaft, nicht der sozialen oder professionellen Zugehörigkeit. Die Polis war keine Räterepublik.
Das Thema der anstehenden Parlamentssitzungen schließlich übte unterschiedliche Anziehungskraft auf die verschiedenen Bürger aus, was auf ein von persönlichen Interessen geleitetes politisches Handeln schließen läßt.22
Die historischen Tatsachen decken sich offensichtlich weniger mit dem Konzept des Aristoteles. Das Ziel des Guten Lebens im Sinne Aristoteles` war in der Praxis nicht präsent, wie überhaupt die athenische Demokratie dadurch gekennzeichnet ist, daß ihr jegliche Staatsziele fehlen.23
IV.2 Heute
IV.2.a Die Verfassung
Die Verfassungen der Neuzeit dienen in erster Linie dazu, Organisationsprinzipien der Staatsorgane in der Form positiven Rechts festzuschreiben. Nach kontinentaleuropäischem (und nordamerikanischem) Verständnis ist es dabei charakteristisch für Verfassungen, daß sie über allen anderen Rechtsgrundsätzen stehen.
Im Laufe der Zeit ist noch ein weiterer Anspruch entstanden, den die Verfassung zu erfüllen hat. Neben den staatlichen Organisationsprinzipien sollen auch Menschen- und Bürgerrechte auf die höchste Stufe der Rechtsnormen erhoben werden. Sie werden somit bindend für alle staatlichen Akteure.
Wird der Staat, der aus dieser Verfassung (= Konstitition · konstituieren!) hervorgeht, von seinen Bürgern als legitim empfunden, ist seine Stabilität (zumindest von innen) gesichert, da, politologisch gesprochen, die Systemakzeptanz gegeben ist. Aristoteles formuliert dies so: "Der Teil, der die Erhaltung des Staates will, muß immer stärker sein, als der, der sie nicht will.".24
Der moderne Verfassungsstaat ist demokratisch (Demokratie im Sinne von Volkssouveränität), freiheitlich und pluralistisch.
Er setzt und achtet gleichzeitig die Grundsätze der Glaubens-, Meinungs-, und Gewissensfreiheit, alle seine Bürger sind (de jure) vor dem Gesetz gleich und haben Anspruch auf faire und angemessene Rechtsprechung.
Zumindest in Westeuropa ist der moderne Verfassungsstaat auch Sozialstaat.
Auch im modernen Staat ist die ,,Demokratie" im strengen Sinne eine Politie, denn das demokratische Element beschränkt sich im Grunde auf regelmäßige Wahlen. Die eigentlichen politischen Funktionen werden von der ,,Aristokratie", den Berufspolitikern wahrgenommen; ohne dieses aristokratische Prinzip wären das repräsentative System des Parlamentarismus gar nicht denkbar. Im Amt des Bundespräsidenten oder in Institutionen wie der sogenannten Richtlinienkompetenz werden gar monarchische Züge deutlich.
Befristete Amtszeiten gehörten in der Polis wie auch heute zu den fundamentalen Kennzeichen der ,,Demokratie" (was insbesondere auch für die ,,monarchischen" Ämter im modernen Staat gilt). Dolf Sternberger verweist darauf, daß sowohl in Athen als auch in der Moderne eine vierjährige Amtszeit die häufigste Dauer war, wie auch noch heute die des US-
Präsidenten oder die deutsche Legislaturperiode.25 Hierzu sei allerdings bemerkt, daß in Frankreich kein einziges der wichtigen Ämter für einen festgelegten Zeitraum von vier Jahren vergeben wird.
Die prinzipielle Zugänglichkeit aller Ämter für jedermann ist in Gemeinwesen aus prinzipiell Gleichen unabdingbar. Im Vergleich zu antiken Vorstellungen muß in dieser Frage auf ein ,,Demokratiedefizit" in unseren modernen Verfassungsstaaten hingewiesen werden. Streng genommen ist heute der Ämterzugang rein aristokratisch geregelt, nämlich durch Wahlen. Schlüge jemand vor, die Bundestags"wahlen" per Los durchzuführen, müßte er allerdings eher mit seiner Diskreditierung als mit einer ernsthaften politischen Debatte rechnen.
Neben die befristete Ausübung der Ämter und die prinzipielle Möglichkeit für alle Bürger, sie zu bekleiden tritt als drittes der Wechsel ihrer Inhaber: ,,Das Moment des Wechsels in den Ämtern wollen wir festhalten wie dasjenige der befristeten Amtsausübung: das sind die Züge, die ganz besonders für den modernen Verfassungsstaat gelten, wenn freilich auch die Ämter selber weithin von anderer Natur sind."26
Wenn Aristoteles sagt, Bürger sei derjenige, der an Gericht und Regierung teilnimmt, fällt auf, daß dies einem der wichtigsten Prinzipien des modernen Verfassungsstaates zuwiderläuft. Die Teilung der Gewalten ist für uns Indikator für den Zustand und die Qualität einer Demokratie. Nach der aristotelischen Definition des Bürgers wäre sie von vorneherein permanent durchbrochen.
Das Herz der modernen Verfassungen sind heute die Grundrechte. Jeder Mensch hat allein aufgrund der Tatsache, daß er Mensch ist, unveräußerliche Rechte, - sie werden ihm nicht zugesprochen, er hat sie - die wiederum vom Staat respektiert werden müssen. Gustav Radbruch schreibt: ,,Es gibt also Rechtsgrundsätze, die stärker sind als jede rechtliche Satzung, so daß ein Gesetz, das ihnen widerspricht, der Geltung bar ist. Man nennt diese Grundrechte das Naturrecht oder das Vernunftrecht. Gewiß sind sie im Einzelnen von manchem Zweifel umgeben, aber die Arbeit der Jahrhunderte hat doch einen festen Bestandteil herausgearbeitet, und in den sogenannten Erklärungen der Menschen- und der Bürgerrechte mit so weitreichenden Übereinstimmungen gesammelt, daß in Hinblick auf manche von ihnen nur noch gewollte Skepsis den Zweifel aufrecht erhalten kann."27
In dieser Frage der Menschenrechte wird ein großer, vielleicht sogar entscheidender, Unterschied zum Staat des Aristoteles deutlich. War in der antiken Polis die Gewährung von (Grund-) Rechten an die Staatsbürgerschaft gekoppelt, so ist dieses Verhältnis heute gerade umgekehrt. Ausgehend von den ,,droits naturels, inaliénables et sacrés de l'homme" und der ,,unantastbaren Menschenwürde" werden dem Mitglied des Staatsvolkes die Bürgerrechte attribuiert. Auch die Nicht-Bürger verharren nicht im rechtsfreien Raum, die Bürgerrechte bilden lediglich eine weitere Stufe in der Rechtspyramide. Die sogenannten Grundrechte sind ein Kind der Neuzeit, der rationalistischen Naturrechtslehre in der Tradition Lockes, Rousseaus und Kants. Sie sind also gerade nicht auf die Antike zurückzuführen (genausowenig wie auf christliches Gedankengut).28
Doch ist die Betonung der Freiheitsrechte erst in der Neuzeit notwendig geworden. Für Aristoteles waren Freiheit und Gleichheit eins, wobei erstere sich unmittelbar aus letzterer ergab. Das Spannungsverhältnis, gar der Gegensatz, zwischen ihnen war ihm fremd. Erst nach dem Zeitalter der athenischen Demokratie wird es nötig, den Menschen vor dem Staat in Schutz zu nehmen, genauer gesagt, dem Staat Selbstbeschränkung aufzuerlegen.
IV.2.b Der Bürger
Die Summe aller Bürger ist der Souverän: ,,Toutes les démocraties font du peuple le titulaire de la souveraineté."29
Ähnlich wie bei Aristoteles besteht die politische Betätigung der Bürger im ,,Entscheiden der wichtigsten Dinge", sei dies auch ,,nur" die Wahl des Parlaments und der Regierung.
Schon in den Anfangsstadien der Französischen Revolution kristallisiert sich eine neue ,,Aristokratie", eine politische Klasse heraus: ,,De l'agrégat des élus aux Etats généraux, une classe politique est née, qui se différencie en partis, en groupes tout au moins..."30
In Athen wie heute kann de facto nicht jeder ein politisches Amt innehaben, zumindest nicht in den höheren Ebenen der (professionellen) Politik.
Ganz abgesehen davon, daß dafür besondere Talente und Fähigkeiten nötig sind (im Medienzeitalter mehr denn je), ist es auch traurige Tatsache, daß unterschiedliche Berufsgruppen mehr oder minder begünstigt sind. Beispielsweise kann ein Beamter wesentlich leichter für eine Legislaturperiode ,,nach Berlin gehen" als ein selbständiger Handwerker; letzteren könnte der Ausflug in die Demokratie die Existenz kosten.
Auch das Grundgesetz trifft eine Unterscheidung zwischen Menschen und Bürgern. So sind zum Beispiel zwar ,,alle Menschen" vor dem Gesetz gleich (Art.3 GG), das Recht, sich zu versammeln dagegen haben nur ,,alle Deutschen" (Art. 8 GG)
Wie in der Polis werden auch im modernen Verfassungsstaat die ,,Fremden" größtenteils von der Politik ausgeschlossen (Ausnahmen gelten lediglich für EU-Bürger auf kommunaler und europäischer Ebene). Zumindest in Deutschland gilt nach wie vor das gleiche Staatsangehörigkeitsrecht wie auch in Athen (451 v.Chr. durch Perikles festgesetzt): Bürgerrecht genießt der, dessen Eltern Bürger sind.31
In den seltensten Fällen wird heute in Westeuropa (die amerikanischen Präsidentschaftswahlen lassen für die USA etwas andere Verhältnisse erwarten) von einem Bürger Politik gemacht. Seit der Etablierung der Demokratie war auch der Erfolg von Parteien nicht mehr aufzuhalten, ein Phänomen das Aristoteles nicht kannte. Hätte er es gekannt, hätte er die offensichtliche und explizite Leitung durch Interessen nicht gutgeheißen. Interessengruppen und Lobbyistenverbände haben einen kaum vorstellbaren Einfluß auf politische Entscheidungen, die Bedeutung des Einzelnen geht merklich zurück. Interessenvertretung ist dabei durchaus legitim, Aristoteles` ,,Banausen" sind heute die tatkräftigsten politischen Akteure.
All dies ist die unausweichliche Konsequenz der parlamentarischen Demokratie, die auf dem Grundsatz der Repräsentation beruht. Wie anders sollte aber sollte Volkssouveränität sonst funktionieren, wenn das betreffende Volk 60, 80 oder mehr Millionen Menschen zählt?
Plädierte Aristoteles noch für die Trennung von Oikos und Politik, so ist diese heute gleichzeitig strikter und gleichzeitig verwaschener als je zuvor. Der Staat hat im Privatleben seiner Bürger (theoretisch) nichts zu suchen, andererseits greift er über Steuer- und Wirtschaftspolitik mitunter massiv in die Ökonomie ein.
V Fazit
Die strenge Staatsdefinition des Aristoteles ist im modernen Verfassungsstaat nicht (mehr) gültig. Der politische Raum der Gleichberechtigung, in der die Bürger regieren und regiert werden reicht nicht aus, um dem eher diffusen Begriff ,,Staat" Konturen zu verleihen. Zwar ist auch heute noch die Zugehörigkeit zu einer ,,Polis" (Nation...?) von großer Bedeutung, doch diese Zugehörigkeit bedarf der Illustration durch Symbole. Hymnen, Flaggen und Devisen (Art. 2 der frz. Verfassung vom 4. Oktober 1958 :"La devise de la République est: ,Liberté, Egalité, Fraternité.`"!) sind Ausdrucksmittel der modernen Polis. Im Französischen gibt es zudem noch den schönen Begriff der ,,grand`messes républicaines", es existiert wohl keine treffendere Bezeichnung beispielsweise für François Mitterrands Gang in den Panthéon von 1981
Die Vorstellung vom Staat, die heute in den Köpfen der meisten Menschen zu leben scheint, hat mit der des Aristoteles nur wenig gemein. Es herrscht die liberale Sichtweise des Dualismus vor, Bürger und Gesellschaft auf der einen Seite, der potentiell bedrohliche Leviathan auf der anderen.
Die Idee der Freiheit in der Gleichheit ist freilich passée, und dies ist ein Fortschritt. Die Freiheit, die ihre Grenzen in der Freiheit der anderen findet, ist wesentlich weiter gefaßt als die des Aristoteles, schon alleine dadurch, daß sie von der Staatsbürgerschaft unabhängig ist. Sie ermöglicht die Emanzipation von der Gemeinschaft - ohne daß Gemeinschaft und Freiheit einen Widerspruch darstellen müssen!
Denn die Auffassung vom Staat als Angelegenheit aller lebt glücklicherweise fort, sie erfährt in den letzten Jahren vielleicht gar eine Art Renaissance nach der ,,Ära Reagan/Thatcher", man denke nur an die Kommunitaristen.
Laurent FABIUS, Präsident der französischen Nationalversammlung, sagt vor der Académie des sciences morales et politiques: ,,... Car beaucoup de compatriotes peuvent malheureusement se dire aujourd'hui:` L'Etat, ce n'est pas nous.` L'Etat est assimilé au gouvernement, alors qu'il couvre, faut-il le rapeller, une réalité beaucoup plus large. Son aggiornamento nécessaire devrait être notre affaire à tous Expression de la volonté générale, les institutions donnent en effet corps au pacte républicain." (kursiv im Original).32
Der deutsche Bundeskanzler ruft ebenfalls zur ,,Neubestimmung der Aufgaben von Staat und Gesellschaft" auf und setzt dies unter den Titel ,,Die zivile Bürgergesellschaft". Allerdings irrt er gewaltig, wenn er dabei feststellt, die Diskussion um Staat und zivile Bürgergesellschaft stehe erst noch am Anfang...33
In Bezug auf die ethischen Anforderungen, die Aristoteles an seine Bürger stellt, bleibt zu fragen, ob diese nicht trotz aller Bemühungen immer noch zu hoch sind. Zwar stellen die Vollbürger schon eine Selektion der geeignetsten ,,Demokraten" dar, doch dürfte selbst bei ihnen die von persönlichen Interessen losgelöste Politik utopisch sein. Was ist auch schlimmes daran, wenn in der Politik jeder das Beste für sich zu erreichen sucht - vorausgesetzt, wirklich jeder hat die Möglichkeit dazu?
Mehr als fragwürdig ist dabei schließlich gerade diese o.g. Selektion und die Ausgrenzung die sie daraus ergibt. Demokratie für Auserwählte ist ein Widerspruch in sich.
Gerade im Rückblick auf das XX. Jahrhundert wird deutlich, daß Verfehlungen in der Politik keine Ausnahme sind - und schon gar nicht dadurch, daß wenige regieren, zu verhindern sind. Auch die Massendemokratie bietet davor nicht prinzipiell Schutz. Doch besteht die Hoffnung, daß eine große Zahl Regierender vielleicht eher den Weg zur Mitte findet - der ja auch Aristoteles` Weg zur Tugend ist.
Persönliche Tugend als ,,Zulassungsvoraussetzung" für Politik ist nicht haltbar. An deren Stelle muß der ,,Grundkonsens der Demokraten" treten, aus Überzeugung und durch Erziehung. Aristoteles nennt dies so: ,,Die Menschen müssen ja im Hinblick auf die jeweilige Verfassung erzogen werden.".34
Die Demokratien Europas sind besser als ihr Ruf. Scheinbar bringt Meinungsfreiheit mit sich, daß überwiegend kritische Meinungen zum Ausdruck kommen. So wichtig - und berechtigt! - dies auch sein mag, man sollte darüber nicht vergessen, daß die guten Seiten der heutigen Verfassungsstaaten überwiegen. Unter den realisierbaren Regierungsformen ist die Demokratie schlicht die beste. Wir müssen der aristotelischen Polis weder nachtrauern, noch müssen wir sie zu einem übermenschlichen Ideal stilisieren.
VI Schluß
Im alten Athen wie in unseren heutigen Staaten haben Anspruch und Wirklichkeit nicht (unbedingt) miteinander zu tun. Doch ist die Frage, ob der Anspruch tatsächlich zur obersten Staatszielbestimmung taugt.
Der ideale Staat wird ein Ideal bleiben, und dies aus mindestens zwei Gründen.
Zum einen pflegen Ideale unrealistisch - weil unerreichbar - zu sein, da schon ihre
Ausgangspunkte (der tugendhafte - modern: mündige- Bürger) in der Wirklichkeit nur schwer zu finden sind, zumindest in der nötigen Quantität.
Zum zweiten sind auch Ideale nicht universal, was allein schon an der Existenz verschiedener politischer Programmatiken deutlich wird.
Trotzdem ist das Bild vom idealen Staat ungeheuer wichtig: Es dient als Prüfstein für den politischen Alltag.
VII Literaturangaben
Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen du 26 août 1789, z.B. in: GODECHOT, Jacques, Les Constitutions de la France depuis 1789, éd. Garnier-Flammarion, Paris 1970
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, z.B. C.H. Beck Verlag, München, 1998
Constitution du 4 octobre 1958, z.B. in: DUVERGER, Maurice, Le système politique français, Presses Universitaires de France, Paris, 1996
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
1 Dolf STERNBERGER, Der Staat des Aristoteles und der unsere, Schriften, Band IV, InselVerlag, Frankfurt am Main, 1980, S. 40 f.
2 ARISTOTELES, Politik, , übers. und hrsg. von Olof GIGON, dtv, München, 1998, S. 230 (Buch VII Kap. 8, 1328 a 37)
3 Francis WOLFF, Aristote et la politique, Presses Universitaires de France, Paris, 1997, S. 9
4 Dolf STERNBERGER, Der Staat des Aristoteles und der unsere, S. 46
5 Manfred G. SCHMIDT, Wörterbuch zur Politik, Kröner Verlag, Stuttgart, 1995, S.896
6 ARISTOTELES, Politik, S. 49 (Buch I, Kap.2 1253a 27)
7 ebd. S. 49 (1253a)
8 ebd., S. 49/50 (Buch I Kap. 2)
9 Francis WOLFF, Aristote et la politique, S. 29
10 ARISTOTELES, Politik, S. 49 (Buch I, Kap. 2, 1253a 37)
11 Jochen BLEICKEN; Die athenische Demokratie, UTB 1330, Paderborn, 1986, S.274 ff.
12 Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen (du 26 août 1789), Art. 2 Satz 1
13 Dolf STERNBERGER, Der Staat des Aristoteles und der unsere, S. 37
14 ARISTOTELES, Politik, S. 103 (Buch III, Kap. 1, 1275a, 37)
15 Francis WOLFF, Aristote et la politique, S. 88
16 Jochen BLEICKEN, Die athenische Demokratie, S. 128
17 ARISTOTELES, Politik, S. 104 (Buch III, Kap.1 1275a 22)
18 Francis WOLFF, Aristote et la politique, S. 8
19 Francis WOLFF, Aristote et la politique, S. 14 f.
20 ARISTOTELES, Politik, S. 104 (Buch III, Kap. 1, 1275 a 30)
21 Jochen BLEICKEN, Die athenische Demokratie, S. 275
22 Jochen BLEICKEN, Die athenische Demokratie., S. 129 f.
23 ebd., S. 294 ff.
24 ARISTOTELES, Politik, S. 154 (Buch IV, Kap.12, 1296b 15)
25 Dolf STERNBERGER, Der Staat des Aristoteles und der moderne Verfassungsstaat, in: Schriften, Band X, Insel Verlag, Frankfurt a. Main, 1990, S. 141
26 Dolf STERNBERGER, Der Staat des Aristoteles und der moderne Verfassungsstaat, S. 141
27 Gustav RADBRUCH, Fünf Minuten Rechtsphilosophie, erstmals erschienen in: RheinNeckar-Zeitung vom 12. September 1945, nachgedruckt in: Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. von Erik Wolf und Hans-Peter Schneider, K.F. Koehler-Verlag, Stuttgart, 1973, S. 328
28 siehe: Horst DREIER (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Band I (Art. 1 bis 19), Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1996, S. 35 ff.
29 Maurice DUVERGER, Le système politique français, Presses Universitaires de France, Paris, 1996, S. 192
30 Georges DUBY (Hrsg.), Histoire de la France, Thome II, éd. Larousse, Paris, 1971, S. 271
31 Karl-Wilhelm WELWEI, Die griechische Polis, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1983, S.
32 Vortag vom 21. Februar 2000, abgedruckt in: Le Monde vom 23. Februar 2000 unter dem Titel ,,Le nouvel âge de l'Etat"
33 Gerhard SCHRÖDER, Die zivile Bürgergesellschaft, in: Süddeutsche Zeitung vom 24. März 2000
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Gegenstand der Analyse in „Der Staat des Aristoteles und der unsere“?
Der Text analysiert das Staatsverständnis des Aristoteles im Vergleich zum modernen Staatsverständnis, insbesondere des Verfassungsstaates. Es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf die Definition des Staates, seine Ziele, seine Funktionsweise (Verfassung, Bürger) und seine Legitimation untersucht.
Wie definiert Aristoteles den Staat?
Aristoteles definiert den Staat als eine Gemeinschaft von Ebenbürtigen zum Zwecke eines möglichst guten Lebens. Der Staat ist ein herrschaftsfreier Bereich, in dem Bürger abwechselnd regieren und regiert werden.
Wie wird der Staat heute definiert?
Heutige Definitionen umfassen eine politisch-rechtliche Ordnung, die eine Personengemeinschaft auf der Grundlage eines Staatsvolkes innerhalb eines räumlich abgegrenzten Gebietes zur Sicherstellung bestimmter Zwecke auf Dauer bindet und einer souveränen Herrschaftsgewalt unterwirft. Es werden auch die öffentlich politischen Institutionen zur Regelung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten berücksichtigt.
Was sind die Ziele des Staates nach Aristoteles?
Nach Aristoteles entstand der Staat zunächst um des bloßen Lebens willen, besteht aber weiter um des vollkommenen Lebens willen. Der Staat ist natürlich und liegt in der Natur des Menschen als zoon politikon. Gerechtigkeit herrscht nur im Staat, und Autarkie ist ein wesentliches Ziel.
Was sind die Ziele des modernen Staates?
Der moderne Staat dient der Sicherung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte. Er soll ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und wird durch menschliches Handeln legitimiert. Autarkie und Glückseligkeit sind weniger wichtig, im Vordergrund steht die Wahrung von Freiräumen zur Selbstverwirklichung.
Wie funktioniert das Staatswesen nach Aristoteles?
Die Verfassung ist eine Ordnung unter denjenigen, die den Staat bevölkern. Die ideale Verfassung ist die Politie, eine Mischverfassung aus Oligarchie und Demokratie. Bürger sind diejenigen, die am Gericht und an der Regierung teilnehmen und gleichwertig sind.
Wie funktioniert das moderne Staatswesen?
Moderne Verfassungen dienen der Festschreibung von Organisationsprinzipien der Staatsorgane und der Menschen- und Bürgerrechte. Der Staat ist demokratisch, freiheitlich und pluralistisch. Es gibt eine Gewaltenteilung, und die Grundrechte sind zentral. Der moderne Staat ist oft auch ein Sozialstaat.
Was ist die Rolle des Bürgers bei Aristoteles?
Der aktive Bürger ist für die Politie unabdingbar. Er nimmt am Gericht und an der Regierung teil und dient der staatlichen Gemeinschaft.
Was ist die Rolle des Bürgers im modernen Staat?
Die Summe aller Bürger ist der Souverän. Die politische Betätigung besteht im Entscheiden der wichtigsten Dinge, z.B. durch die Wahl des Parlaments und der Regierung. Es gibt aber auch im modernen Staat eine politische Klasse.
Welche Unterschiede bestehen zwischen Aristoteles' Staatsverständnis und dem modernen?
Wesentliche Unterschiede bestehen in der Legitimation des Staates (natürlich vs. Ergebnis menschlichen Handelns), dem Stellenwert der Autarkie und Glückseligkeit, der Konzeption des Bürgers (Teilnahme an Gericht und Regierung vs. Wahlrecht) und der Bedeutung der Menschenrechte (an Staatsbürgerschaft gekoppelt vs. unveräußerlich).
Was sind die Grundrechte?
Die Grundrechte sind unveräußerliche Rechte, die jeder Mensch allein aufgrund der Tatsache, dass er Mensch ist, besitzt und die vom Staat respektiert werden müssen.
Welche Rolle spielen Parteien im modernen Staat, und wie unterscheidet sich dies von Aristoteles' Vorstellungen?
Im modernen Staat spielen Parteien eine zentrale Rolle bei der politischen Willensbildung. Dies unterscheidet sich von Aristoteles' Vorstellungen, da er die Leitung durch Interessen kritisch gesehen hätte.
- Arbeit zitieren
- Kunz, Barbara (Autor:in), 2000, "Wir sind der Staat" - Staatsvorstellungen bei Aristoteles und im modernen Verfassungsstaat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99366