Der Essay "Rasender Stillstand" von Paul Virilio. Prognosen für die zukünftige Gesellschaft

Eine kurze Analyse


Hausarbeit, 2021

12 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Rasender Stillstand

Beschleunigung und Stillstand der drei Revolutionen
Technische Beschleunigung im Transportwesen
Elektromagnetische Übertragung
Transplantationstechniken

Smartphone: Phänomen der heutigen Zeit

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Paul Virilio war vor allem als Virtualitäts-, Simulations- und Geschwindigkeitstheoretiker sowie als Begründer der Dromologie bekannt. Seine technikphilosophische Perspektive basiert zu einem großen Teil auf seinen eigenen Wahrnehmungen von Technik. Da Virilio zu Kriegszeiten aufwuchs, spiegelt es sich auch in seiner kritischen Meinung gegenüber der Technik wieder, vor allem auf die Entwicklung der Technik blickt er skeptisch und negativ. Dies lässt sich auch anhand seiner wissenschaftlichen Betrachtung der Geschwindigkeit in der Dromologie wiederfinden. Die Dromologie1 ist eine Kulturtheorie, die der französische Philosoph und Kritiker der Mediengesellschaft Virilio entwickelte. Es ist die Lehre von Geschwindigkeit und Beschleunigung. „Eine Kulturtheorie, die die Geschichte der Menschheit unter dem Gesichtspunkt der diversen Revolutionen der Beschleunigung neu schreibt.“2 Dieser Wissenschaft widmete er sich auch zeitlebens. Etliche seiner Werke behandeln dieses Thema und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Welt und darauf existierende Gesellschaft. Er wird auch als Denker der Geschwindigkeit bezeichnet. Diese rasant fortschreitende Entwicklung kritisiert er und fürchtet davor, dass die Menschheit in eine Art Ohnmacht fällt, eben durch diesen Fortschritt, der die Welt größer erscheinen lässt und hingegen in der Realität immer weiter schrumpft. Obwohl die Erde grenzenlos erscheint, so ist ihr Raum doch endlich. Die Menschen streben nach immer mehr, dass im Grunde genommen auch nicht verwerflich ist. Jedoch ist zu bedenken, dass jede rasante Entwicklung irgendwann zu einem Punkt kommt, an dem es vorerst nicht weitergeht, das wird laut Virilio auch als rasender Stillstand bezeichnet.3

Virilio geht auf diese Thematik in einigen seiner Arbeiten ein, unter anderem in seinem Essay „Rasender Stillstand“ und kritisiert die darauf folgende Entwicklung. Virilio beschreibt in seinem Essay eine immer schneller werdende Welt, in der Informationen in Echtzeit vermittelt und Maschinen und Fahrzeuge immer schneller werden und arbeiten. So passen sich auch die Menschen dem an und hetzen sich immer mehr durch das Leben. Der Gedanke, immer auf dem neuesten Stand zu sein, was den Besitz von Technologie und das Wissen zum jeweiligen Zeitpunkt angeht, setzt Menschen unter Druck und sie kommen nicht zur Ruhe. Vor allem seit der Digitalisierung die letzten Jahre sind Individuen ständig erreichbar und begeben sich auch selbst in diese Welt, die nie schläft und immer weiter funktioniert. Erst wenn der Bildschirm schwarz ist und die Zeit zum Schlafen ist, tritt der nötige Abstand ein.4

In dieser Hausarbeit wird der Inhalt seines Essays „Rasender Stillstand“ thematisiert und auch analysiert. Dabei werden Fragen behandelt wie: Was genau prophezeit Virilio aus seinem im Jahr 1990 erschienenen Essay für die Zukunft und die gesellschaftliche Entwicklung? Der Inhalt wird dabei im ersten Teil der Hausarbeit zusammengefasst, um dann im nächsten Kapitel auf die (Vor)Aussagen Virilios einzugehen, die er die letzten Jahre vor seinem Tode publizierte. Einerseits auch wirklich eingetretene Prognosen und inwieweit die Gesellschaft sich dadurch verändert hat. Trat der rasende Stillstand ein? Falls dies zutrifft, woran ist das für den Philosophen Virilio erkennbar, wie argumentiert er dies? Liegen Beispiele der heutigen Gesellschaft vor, die seine aufgestellten Thesen stützen?

Rasender Stillstand

Das im Jahr 1990 veröffentlichte Essay "Rasender Stillstand“ und zwei Jahre später ins Deutsche übersetzte Werk Virilios, beschäftigt sich mit dem Lieblingsthema des Philosophen: Der Beschleunigung der Realität. Virilio warnt in dem Essay von einem Endzustand, der die Grenzen der Körperlichkeit übertrifft und uns machtlos und ohnmächtig werden lässt. Der französische Philosoph Paul Virilio hat den Begriff des „Rasenden Stillstands“ geprägt – als Endstadium einer Periode stetiger Beschleunigung. In sich ist der Begriff des rasenden Stillstands paradox, da kein rasender Stillstand wissenschaftlich existiert.5 Daher beschreibt Virilio aus der philosophischen Perspektive, dass es vergleichbar ist wie mit einem Flug und blickt während des Starts aus dem Fenster. Je höher dabei das Flugzeug steigt, umso langsamer scheint sich alles zu bewegen, bis der Stillstand eintritt. So scheint es zumindest, denn ein Flugzeug bewegt sich dennoch mit einer beachtlichen Geschwindigkeit von circa bis zu 1000 km/h fort. Diese Denkweise versucht er in seinem Essay zu erläutern und bezieht hiermit die gesellschaftliche Entwicklung ein, die aus den drei Revolutionen der letzten Jahrhunderte hervorging. Angefangen bei der Industrialisierung und den neuen Fortbewegungsmitteln bis hin zu Übertragungstechniken, die einen Raum und Zeit überwinden lassen, ohne dass man sich bewegt.

Insgesamt sechs Kapitel, die nicht immer leicht zu verstehen sind, entwickelt Virilio seine Thesen. Alltägliche Beobachtungen in der Pariser Metro, die Relativitätstheorie Albert Einsteins und vieles mehr sind Bestandteile seines Essays. Er schrieb das Essay kurz nachdem das World Wide Web entstand und teilte seine Prognosen mit. Somit war er damals ahnungslos, welche Auswirkungen das Internet und die weltweite Vernetzung auf die Menschheit haben wird, und dennoch waren seine (Vor)Aussagen treffender als zum damaligen Zeitpunkt vorstellbar.

Zu Beginn befasst er sich mit der Wahrnehmung des Menschen und stellt fest, dass diese sich mit der Zeit verändert hat und der Mensch nun selbst im Fokus ist und sich auch so betrachtet. Die Erde wird von der menschlichen Gesellschaft nicht mehr als Zentrum des Universums angesehen. Sondern die geozentrische Umwelt hat sich in die entgegensetzte Richtung entwickelt. Der Mensch betrachtet sich selbst nun als Zentrum allen Geschehens und bewertet dementsprechend Ereignisse aus der eigenen Perspektive. So lautet auch seine Diagnose, dass die Gesellschaft die Menschheit vor einer "medialen Gettoisierung“ steht. Damit ist der drohende Endzustand der gewalttätigen Beschleunigung in der alles beherrschenden Telekommunikation gemeint. Der Wahn, dank elektronischer Telekommunikation überall und jederzeit dabei zu sein, die Verführung der simultanen Teilhabe an allem die Erfahrung der geschichtslosen Augenblicklichkeit im Beobachten: Virilio hat diesen Zustand eben die mediale Gettoisierung, als elektronische Apartheid und als Koma diagnostiziert. Der rasende Stillstand einer Gesellschaft, die Zeit und Raum hochtechnologisch beherrscht, aber damit an der Auslöschung ihrer selbst arbeitet. Menschen sind der Verführung der simultanen Teilhabe an allem ausgesetzt.

Beschleunigung und Stillstand der drei Revolutionen

Drei Revolutionen6 werden dabei von Virilio in seinen Essays besonders beleuchtet, da diese direkt am technischen Wandel mitgewirkt oder sich mit diesem in den letzten Jahren enorm entwickelt haben. Das Transportwesen schritt innerhalb der letzten Jahrhunderte voran und das mit Beginn der Dampfmaschine ab dem 19. Jahrhundert. Extrem schnell entwickelten sich die Kommunikationsprozesse und das ab dem 20. Jahrhundert mit dem Fernsehen und Radio, die durch die elektromagnetische Übertragung revolutioniert wurden. Gefolgt von der letzten Revolution, den Transplantationstechniken ab dem 21. Jahrhundert, die vor allem dank dem World Wide Web ein ungeahntes Ausmaß annahmen. Schließlich befindet sich diese Technologie nicht nur bereits in Smartphones, sondern auch schon in vielen Lebewesen in Form von Prothesen und Nanotechnologie. Die Bewegung ist dabei einer der wichtigsten Aspekte des technischen Fortschritts. Schließlich spielt die Bewegung bei allen drei Bereichen eine enorme Rolle und verbindet diese drei Revolutionen auch miteinander. Durch die Weiterentwicklung auf technischer Ebene wird die Mobilität gesteigert, unabhängig ob physisch oder psychisch. Dabei wird auch die Kontrolle über die Umwelt erhöht. Vor allem seit der Einführung des Smartphones verlieren viele den Boden unter den Füßen und gleiten in eine digitale Welt ab. Physisch noch im Hier und Jetzt, aber psychisch bewegen sich die Menschen nur noch im Cyberspace, im World Wide Web voran. So ändert sich auch die Wahrnehmung der Zeit. Im Internet sind schon so manche Stunden einfach verschwunden, auch wenn man den Anschein hatte, man sei nur kurz online gewesen. Die Menschen erleben einen Verfall der Bezugszeit, das wiederum löst ein Empfinden aus, das die Zeit immer knapper wird und der Raum dabei immer enger erscheint. Daher sagt auch Virilio, dass die Erde durch die Entwicklung immer zerbrechlicher wird, genauso wie auch Ressourcen erschöpft werden und der Raum dahin schwindet. Daher entstand auch einer seiner wichtigsten Thesen im Essay "Rasender Stillstand“ und zwar, dass die Technik die Umwelt zerstört, indem sie „nacheinander jeden äußeren Bezug auslöscht, jede unserer äußeren Bezugspunkte den Bezug auf irgendeinen „Schöpfer“ eingeschlossen.“7 Die Beschleunigung ist ein in sich fortschreitender Prozess, der kaum noch aufzuhalten ist. Das Fatale dabei ist die Tatsache, dass jede Entwicklung irgendwann einmal zu einem Punkt kommt, an dem es vorerst nicht weiter geht, sozusagen zu einem Ende kommt. Damit meint Paul Virilio auch den rasenden Stillstand. Nach dem Zeitpunkt des Rasens geht es vorerst nicht weiter und die Menschen wie auch die Technik verharren in diesem Zustand, bis der nächste Trend oder Hype kommt und es weiter vorangeht. Es soll ihnen wieder das Gefühl des Fortschritts geben, wobei es offensichtlich nur ein anderer Hype ist wie zum Beispiel mit Social Media. Ein Social Media Kanal löst den Nächsten ab. Jeder Einzelne behauptet von sich der Bessere und Interessantere zu sein, doch letztendlich bindet es die Menschheit nur an einen Bildschirm weg von der realen Welt hin in eine fiktive, die ihre Lebenszeit nur so verschlingt.

Technische Beschleunigung im Transportwesen

„Lebendig sein heißt Geschwindigkeit sein.“, sagte einst Virilio.8 Für den Philosophen bedeutet „mobil sein“ die Äquivalenz zum Sein selbst. Die technische Beschleunigung beinhaltet unter anderem die Beschleunigung innerhalb der Transportprozesse für die Gesellschaft. Die Mobilität steht in den letzten Jahrhunderten im Fokus. Sei es körperlich, geistig oder produktionsbedingt. Schneller, besser und am besten überall. Nach diesem Motto entwickeln die Firmen und leben die Menschen. Mit der Erfindung der Dampfmaschine wurde der Weg zur Mobilität hin geebnet und führte damit zur ersten großen Revolution des Verkehrs- und Transportwesens. Somit dann zur Revolution der Mobilität, die sich im Vergleich zu früheren Transportmitteln, was die Geschwindigkeit angeht, nun regulieren lassen wie mit der Dampfmaschine. Das wirkt sich auf die natürlich Mobilität aus.9 Den Menschen reicht nun diese natürliche Mobilität mit den Füßen nicht mehr aus und sie wollen sich schnell von A nach B bewegen. Die Ungeduld, die damit einhergeht, führt zu einer Übernahme und Kontrolle der Transportmittel durch die Menschen. So reihten sich mit der Zeit immer wieder neuere und schnellere Transportmittel an wie die Eisenbahn, Straßenbahn, Autos, Motorräder und Flugzeuge. Dies führte zu einem immer größer werdenden Mobilitätslevel. Zwar ermöglicht diese gewonnene Mobilität einen flexiblen und geografisch unabhängigen Standpunkt. Doch genauso führt diese Mobilität zu einer immer fauler werdenden Gesellschaft. Es setzt sich eine Art Bewegungslosigkeit ein und führt dazu, dass das Bewegungspotenzial des eigenen Körpers kaum noch beansprucht wird.10 Begann alles noch mit den eigenen Füßen, die als einziges Transportmittel zur Verfügung standen, später dann abgelöst durch die Kraft der Tiere wie Pferde, die uns ans Ziel brachten. Angekommen im 21. Jahrhundert verlassen die Menschen das Haus und steigen entweder ins Auto, die Bahn oder ein Flugzeug und verharren dort in einem bewegungslosen Zustand bis zur Ankunft in ihrem Ziel. Nun ist den Menschen im 21. Jahrhundert die Erde nicht mehr genug, es wird mit modernsten Mitteln geforscht, um auf andere Planeten zu kommen. Einige der vielen Eigenschaften, die die Menschen in den digitalisierten Ländern kaum noch begreifen. Wir leben nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern wollen immer mehr. Anstatt, dass die Menschen diesen Planeten schützen und sich hier um alles kümmern, wird schon das Universum angestrebt. Wie auch schon Wernher von Braun in Virilios Essay zitiert wurde: „In Zukunft wird es genauso wichtig sein, den Weltraum kennenzulernen, wie ein Auto fahren zu können.“ Genau bei diesem Punkt sind wir nun angekommen. Den Menschen reicht die Welt hier nun nicht mehr aus.

[...]


1 https://de.wikipedia.org/wiki/Dromologie

2 https://tribes.hypotheses.org/695

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Virilio#cite_note-1

4 Vgl. Virilio, 1990

5 Vgl. Virilio, 1990

6 Vgl. Virilio, 1993

7 Vgl. Virilio, 1990

8 https://www.daton.de/pips/archiv/2-00/kultportrait.html

9 Vgl. Virilio, 1993

10 Vgl. Virilio, 1990. S. 36, 44, 124

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Der Essay "Rasender Stillstand" von Paul Virilio. Prognosen für die zukünftige Gesellschaft
Untertitel
Eine kurze Analyse
Hochschule
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
Note
2,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
12
Katalognummer
V994319
ISBN (eBook)
9783346369161
ISBN (Buch)
9783346369178
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Paul Virilio, Rasender Stillstand, Dromologie, Smartphone, Drei Revolutionen
Arbeit zitieren
Kristina Konrad (Autor:in), 2021, Der Essay "Rasender Stillstand" von Paul Virilio. Prognosen für die zukünftige Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/994319

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