Die Burchardiflut 1634 und die Weihnachtsflut 1717. Deutung zweier Naturkatastrophen in der Frühen Neuzeit

Als das Wasser den Norden verwüstete


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zur Entstehung von Sturmfluten

3 Geografiegeschichtliche Analyse der Naturkatastrophen

4 Deutungsmuster der beiden Katastrophen

5 Auswirkungen der Flutkatastrophen auf den Deichbau

6 Die Weihnachtsflut von 1717 als Zeitenwende? – ein Fazit

7 Bibliografie

1 Einleitung

In der folgenden Einleitung werden die thematischen Schwerpunkte, mit denen sich die Arbeit auseinandersetzt, genannt und begründet. Darüber hinaus werden Fragestellungen aufgeworfen und der Aufbau der Arbeit skizziert, sowie der Forschungsstand erläutert.

In der heutigen globalisierten Welt berichten die Medien fast tagtäglich von natürlichen Extremereignissen wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen oder Sturmfluten. Besonders Letztere sind in der Geowissenschaft wieder zu einem besonders aktuellem Thema geworden. Dabei lässt vor allem der enorme Wasserspiegelanstieg der Weltmeere die Problematik des Küstenschutzes wieder aufkommen. Auch wenn die Größe und die Frequenz von Naturkatastrophen gegenwärtig zuzunehmen scheint, so waren diese tatsächlich schon immer steter Begleiter der Menschheit. Vor allem in den Regionen, die im Laufe der Jahrhunderte wiederholt schwere Verwüstungen durch Flutkatastrophen erleiden mussten, bleibt die Erinnerung an diese permanent wach. So war das Leben der Küstenbewohner jahrhundertelang ein Kampf gegen das Meer, in dem der Mensch versuchte, die See in ihre Schranken zu weisen.1

Unabhängig von der Bewältigung von Naturkatastrophen, zeichnete sich die Epoche der Frühen Neuzeit durch die Etablierung technischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Errungenschaften innerhalb der europäischen Bevölkerung, aber auch durch eine zunehmend aufgebaute Distanz zu theologischen Denkmustern sowie das damit einhergehende Zurückgreifen auf logische, vernunftgeprägte und wissenschaftlich gestützte Erklärungen aus. In der vorliegenden Abhandlung wird daher unter anderem untersucht, inwiefern die Deutungsmuster der beiden thematisierten Sturmfluten, den beschriebenen Entwicklungen in der Frühen Neuzeit entsprachen.

Zum systematischen Vorgehen der vorliegenden Hausarbeit sind folgende Aussagen zu treffen. Mit der Burchardiflut von 1634 und der Weihnachtsflut von 1717, werden zwei Flutkatastrophen der Frühen Neuzeit vergleichend gegenübergestellt. Dabei wird im 3. Gliederungspunkt der Arbeit zunächst der faktische Verlauf und das Ausmaß der beiden Sturmfluten skizziert. Anschließend wird der Frage nachgegangen, wie die Menschen jener Zeit mit der Bedrohung durch Naturereignisse umgegangen sind, welche Rolle die Religion bei der Deutung der Katastrophen spielte und ob es Veränderungen im Bereich der Prävention gab. Somit werden nicht ausschließlich geografie- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte, sondern auch kirchen- und ideengeschichtliche Fragestellungen behandelt. Um den aufgeworfenen Schwerpunkten gründlich nachgehen zu können, muss zunächst jedoch theoretisch ergründet werden, wie Sturmfluten tatsächlich entstehen. Mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der heutigen Forschung fällt eine Bewertung vergangener Zeiten leichter und ermöglicht erst eine kritische Beleuchtung des Themas. Im Schlussteil werden dann zunächst die wesentlichsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst. Anschließend geht es darum, die in der Einleitung aufgeworfene Fragestellung zu beantworten.

Die Hausarbeit geht der zentralen Frage nach, ob die Weihnachtsflut von 1717 eine Zeitenwende in Bezug auf die Deutungsmuster und das Deichbauwesen darstellte. Um darauf eine begründete Antwort zu finden, wird neben der Weihnachtsflut von 1717 auch die Burchardiflut von 1634 in Bezug auf ihre Deutung analysiert. Ein kompakter Vergleich der beiden Katastrophen dient letztendlich der fundierten Bewertung, inwiefern sich naturwissenschaftliche Herangehensweisen tatsächlich gegenüber den theologischen Traditionen durchgesetzt haben.

Die Disziplin der Umweltgeschichte und der Naturkatastrophenforschung ist ein vergleichsweise junges Forschungsfeld. Die Geschichtswissenschaft widmete sich in der Vergangenheit überwiegend der politischen Geschichte und hatte dabei nur wenig Sinn für jene Ereignisse, die nicht dem menschlichen Handeln entsprangen, sondern von der Natur verursacht wurden. Allein aufgrund dieser Tatsache wird bis heute verkannt, welche immensen Auswirkungen Naturkatastrophen für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben hatten. Nichtsdestotrotz kann sich für die Untersuchung der ausgewählten Naturkatastrophen auf eine Vielzahl von Sekundärtexte gestützt werden. Für die Burchadiflut von 1634 dient unter anderem das Werk von Boy Hinrichs „Flutkatastrophe 1634. Natur Geschichte Dichtung“ als Grundlage der vorliegenden Hausarbeit.2 Die Forschung zur Weihnachtsflut 1717 wurde maßgeblich von Manfred Jakubowski-Tiessen geprägt, dessen zahlreiche Werke und Aufsätze für die Auseinandersetzung mit dem ausgewählten Thema unerlässlich sind.3 Im Gegensatz zu Jakubowski-Tiessen beschäftigten sich die meisten anderen Autoren nicht mit der Sturmflut 1717 im Einzelnen, sondern betrachteten dieses Naturereignis stets im Kontext anderer Schwerpunkte. Insbesondere die Deutung von Naturphänomenen in der Frühen Neuzeit bildet dabei einen Forschungsschwerpunkt. Im Bereich des frühneuzeitlichen Deichbauwesens war es vor allem Marie Luisa Allemeyer, die mit ihren Veröffentlichungen wichtige Erkenntnisse lieferte. Neben der Sekundärliteratur stehen der Forschung im Zusammenhang mit diesem Thema eine Vielzahl von Primärquellen zur Verfügung. Beispielsweise gewährte Curt Weikinn mit seinen Quellentexten zur Witterungsgeschichte Europas einen aufschlussreichen Einblick in jene Zeit.4

2 Zur Entstehung von Sturmfluten

Grundsätzlich spricht man von einer Sturmflut, wenn es hohe Wasserstände an der Küste gibt, die durch starken Wind hervorgerufen werden. Starker Wind oder Stürme entstehen dann, wenn zwischen benachbarten Luftmassen große Druck- und Temperaturunterschiede herrschen. In diesem Fall strömt die Luft vom Hoch zum Tief beziehungsweise vom Warmen ins Kalte, um diese Unterschiede auszugleichen. Die Winde werden um so stärker, je größer die Druck- und Temperaturdifferenz ist. Solange diese Gegensätze nur von kleiner Natur sind, ergibt sich lediglich eine leichte Brise, je größer aber das Gefälle ausfällt, desto stärker werden die Stürme und Wellenbewegungen, die sich im äußersten Fall bis hin zu einem Orkan entwickeln können. Neben der Windgeschwindigkeit ist ebenfalls die Windrichtung für die Höhe der Wasserstände verantwortlich. Die Gefahr für die Deiche ist dann am größten, wenn der Wind direkt auf sie zurast.5

Die Schwere einer Sturmflut hängt jedoch nicht ausschließlich vom Wind ab, sondern ist von weiteren Faktoren abhängig. Die Nordseeküste wird deshalb so häufig von schweren Hochwassern heimgesucht, da die Region sehr stark von Ebbe und Flut geprägt ist, was sie beispielsweise von der Ostsee unterscheidet. Der daraus resultierende Wechsel zwischen Hoch- und Niedrigwasser, die sogenannte Tide, bildet eine weitere Voraussetzung für die Entstehung von Sturmfluten. Die Anziehungskraft des Mondes bedingt jenen Wechsel des Wasserstandes. Während sich der Mond um die Erde dreht, bildet sich auf der dem Mond zugewandten Seite ein Flutberg heraus. Das Resultat ist, dass sich deutlich sichtbar zwei Mal pro Tag Hochwasser und dazwischen Niedrigwasser einstellt. Dabei ist es besonders wichtig, zu welcher der beiden Tidephasen der Sturm herrscht. Ist die Windstärke zur Ebbe am höchsten, so werden die Wasserstände nicht so hoch auflaufen, als wenn dieser Zustand zur Flutzeit eintritt. Wächst der Wasserstand mehr als 3m über den Wert des mittleren Hochwassers an, so folgt die Bezeichnung einer sehr schweren Sturmflut. Eben jenen Wert erreichte sowohl die Burchardi- als auch die Weihnachtsflut, weshalb diese in der Sekundärliteratur oftmals als zwei der schwersten Sturmfluten der Frühen Neuzeit betitelt werden.6

Neben den meteorologischen Faktoren entscheiden auch die örtlichen Gegebenheiten darüber, wie schwer eine Flut die Küsten trifft. Dabei werden die Wellen um so höher, je tiefer das Wasser an der jeweiligen Stelle ist. Darüber hinaus spielen auch die Küstengestalt und der Zustand der Deiche eine wichtige Rolle. Insgesamt lässt sich aus all diesen Voraussetzungen der sogenannte Sturmflut-GAU, also die schlimmste Kombination, die eine vernichtende Sturmflut zur Folge hätte, zusammensetzen. Grundsätzlich ist das Phänomen der Sturmfluten keineswegs selten im Nordseeraum, vielmehr ist es durchaus charakteristisch für die Region. So traten auch sowohl vor als auch nach den Sturmfluten von 1634 und 1717 häufig vergleichbare Naturereignisse auf, nur erreichten diese Sturmfluten selten die Höhe dieser zerstörerischen Fluten.7

3 Geografiegeschichtliche Analyse der Naturkatastrophen

3.1. Verlauf und Ausmaß der Burchardiflut 1634

Der 11. Oktober 1634 sollte als Schicksalstag Nordfrieslands und der gesamten schleswig-holsteinischen Westküste in die Geschichte eingehen. Die damalige Sturmflut zählt bis heute zu den größten Naturkatastrophen der europäischen Geschichte. In den Tagen vor der Katastrophe herrschte noch sonniges und ruhiges Herbstwetter. Selbst am Morgen des 11. Oktober konnten Augenzeugen noch lieblichen Sonnenschein an der nordfriesischen Küste beobachten. Gegen Mittag setzte dann aber Regen ein, bis sich am frühen Abend ein immer stärker werdender Sturm aus Südwesten erhob, der sich später auf Nordwest drehen sollte. „... und Gott der Herr ließ donnern, regnen, hageln, blitzen und den Wind so kräftig wehen, dass die Grundfeste der Erde sich bewegten.“, schrieb der Chronist Peter Sax, der die Flut im Eiderstedter Dorf Koldenbüttel erlebte.8

Nach der Drehung des Südweststurms auf Nordwest nahm dieser die Stärke eines Orkans an und drückte in Folge ungeheure Wassermassen gegen die Deiche. Gegen 10 Uhr Abends brach als erster Seedeich der Stintebüller Deich in der Nähe von Gaikebüll. Daraufhin trat eine Überflutung ein, welche zwei Stunden nach Mitternacht ihren Höhepunkt erreichte. Die Angaben über die Fluthöhe weichen dabei erheblich voneinander ab. Auf dem Festland erreichte das Wasser wohl eine Höhe von 4m über dem mittleren Tidehochwasser.9 Die Burchardiflut, benannt nach dem Heiligen Bischof Burkhard von Würzburg, richtete an der Küste der Herzogtümer Schleswig und Holstein verheerende Schäden an. Die Deiche, welche in Folge der vorangegangenen von 1612 und der Eisflut von 1625 bereits in einem miserablem Zustand waren, konnten den Wassermassen nicht Stand halten.10

Wie viele Menschen bei der Burchardiflut, auch als „Zweite grote Mandränke“ bezeichnet, ums Leben kamen, wird sich nie genau ermitteln lassen. Die Zahlenangaben variieren dabei je nach Chronist. Mit 10.000 ist die Zahl der Opfer vermutlich eher zu niedrig angesetzt, da nur die Einheimischen, nicht aber die vorübergehend stationierten Erntehelfer und Deichbauarbeiter erfasst wurden. Besonders schwer wurde Nordfriesland von der Sturmflut getroffen. Im Amt Tondern ertranken beispielsweise 600 Personen. Für die Halbinsel Eiderstedt bezifferte der Chronist Anton Heimreich, der die Flut als Junge miterlebte, die Zahl der Ertrunkenen auf 2107. Am schlimmsten aber traf die zweite Große Mandränke die einst 250 Quadratkilometer umfassende Insel Alt-Nordstrand, welche sich wie ein großes Hufeisen in der Bucht von Husum erstreckte. Von den Wassermassen überspült, brachen die Deiche insgesamt an über 40 Stellen, was zu einer Überflutung des gesamten Landes binnen weniger Stunden führte. Hier verloren mit mindestens 6100 Menschen mehr als zwei Drittel der Einwohner ihr Leben. Darüber hinaus wurden über 1300 Häuser verwüstet und 30 Mühlen umgerissen. Die Flut schwemmte außerdem die gesamte Ernte fort und forderte Tausende Stück Vieh als Opfer, was manchen Überlebenden noch nach der Flut das Leben nahm.11

Letztendlich war die Burchardiflut von 1634 auch deshalb so verheerend, weil sie nach einigen sonnigen und milden Herbsttagen völlig überraschend einsetzte. Zum anderen hatten die Anwohner nach Einbrechen des Sturms nur circa 4 Stunden Zeit für ihre Rettung. Nachdem das Meer die Häuser auf den Warften zerschlug, trieben die Dächer und Hausreste davon, auf die sich die Menschen geflüchtet hatten. Andere gerieten in das kalte stürmische Wasser und ertranken sofort oder erfroren binnen kürzester Zeit. Selbst von denjenigen, die bereits an Sturmfluten gewöhnt waren, wurde die Burchardiflut als bis dato unvorstellbare Katastrophe erlebt.12 Über die bereits beschriebenen Ausmaße liegen mehrere gesicherte Berichte vor. So schilderte der Zeitgenosse Matthias Lobedantz, der damalige Pastor von Gaikebüll auf Nordstrand, in seiner „KlagPredigt“ die grauenvollen Einzelheiten der Sturmflutnacht. Eine Frau ertrinkt mitten in der Geburt eines Kindes. Ist auf dem Dachboden Feuer ausgebrochen, haben Menschen den zweifachen Tod vor Augen und springen aus Verzweiflung in die Fluten. Familien, die keine Aussicht auf Rettung haben, binden sich mit Stricken aneinander, um gemeinsam zu sterben. Auch im Nachgang der Katastrophe waren die Überlebenden nahezu keinerorts in der Lage, die über 40 Deichlücken zu schließen. Da der Marschboden vor der Flut von den Friesen durch ein umfangreiches Grabennetz entwässert worden war, um es ertragreicher zu machen, lag das Inselland zu großen Teilen unter dem mittleren Tidehochwasser. Dieser Umstand sollte sich nun als verhängnisvoll erweisen, da die Wassermassen nun zwei mal täglich, bei jeder normalen Tide ein und ausströmten und so die Landabtragung beschleunigten.13

3.2. Verlauf und Ausmaß der Weihnachtsflut 1717

Ebenso wie die Burchardiflut zählt auch die Weihnachtsflut von 1717 zu den verheerendsten Naturkatastrophen im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Sie ergoss sich in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember nach vorausgegangenen dreitägigen Stürmen über die gesamte Nordseeküste. Dabei gab es nicht einen Küstenabschnitt von den Niederlanden, über Hamburg, bis nach Dänemark, der keine Überschwemmungen bzw. Deichbrüche zu verzeichnen hatte. So schrieb Curt Weikinn in seinen Quellentexten über die Weihnachtsflut von 1717: „Diese Flut gehört zu den wenigen, die sich über die ganze Nordseeküste erstreckte; von Holland bis nach Jütland richtete sie unsäglichen Schaden an.“ 14

In den deutschen Küstenländern forderte sie mindestens 9000 Tote, darunter zählte man allein im Ritzebühl umgebenden Herzogtum Bremen 816 Opfer. Hinzu kam eine hohe Opferzahl, die an Folgeerkrankungen beispielsweise durch verunreinigtes Trinkwasser oder durch das in den überschwemmten Gebieten vermehrt auftretende Marschenfieber, litten. Darüber hinaus wurden fast 5000 Gebäude vollständig zerstört und circa 6000 km² Land überflutet. Ebenso wird häufig von rund 100.000 Vieh gesprochen, die dem Meer zum Opfer fielen.15

Nicht nur aufgrund der immens hohen Opferzahlen stellte die Weihnachtsflut von 1717 eine der bedeutendsten Zäsuren in der Küstengeschichte der Frühen Neuzeit dar. Hinzu kommt die Tatsache, dass sie die erste schwere Sturmflutkatastrophe der deutschen Nordseeküste ist, die von einer Vielzahl archivalischer Quellen dokumentiert wurde.16 Was also war am besagten Heiligabend geschehen? Am 23. Dezember hatte ein starker Wind aus Südwest geweht, welcher am Morgen des 24. Dezember an Heftigkeit zunahm. Der Wind drehte noch am selben Tag mittags auf Westen und nachmittags auf Nordwesten. Allgemein galt schon zur damaligen Zeit der Nordwestwind als gefährlich, besonders wenn vorher Südwestwind geherrscht hatte, weil dieser das Wasser in die Nordsee trieb und dort staute.17 Da der Wind gegen Mitternacht jedoch wieder abflaute, rechneten die Küstenbewohner nach dem Besuch des Gottesdienstes an Heiligabend nicht mehr mit einer Bedrohung. Kurz nach 1 Uhr nachts nahm der Wind aus Nordwesten plötzlich wieder zu und entwickelte sich schnell zu einem Orkan. Mancherorts war dieser zusätzlich mit einem Gewitter verbunden, wodurch das Wasser der Nordsee stark anstieg und mit enormer Wucht gegen die Deiche der Küstenländer gepeitscht wurde.

Obwohl das für diesen Tag erwartete Hochwasser je nach Lage des Ortes erst zwischen 6:30 und 8:00 Uhr eintreten sollte, konnten die Deiche aufgrund der Gewalt der Wellen bereits 2-3 Stunden früher nicht mehr standhalten und brachen.18

Aufgrund der Tatsache, dass es in den Tagen zuvor und am 24.12.1717 zu stürmischen Winden kam, erwarteten die Marschbewohner zwar ein Hochwasser, doch stellte sich niemand auf eine Sturmflut solchen Ausmaßes ein. Da die Flut die Deiche derart schnell überschritt, war eine wie sonst übliche Warnung der Bevölkerung durch das Läuten von Kirchenglocken schlichtweg nicht möglich. Die einzigen Warnungen, die vorgenommen werden konnten, spielten sich im kleinstmöglichen Rahmen ab, indem Nachbarn sich untereinander weckten und zur Hilfe kamen. Diese Maßnahmen retteten einigen Menschen das Leben, sie blieben jedoch die Ausnahme. Zahlreiche Küstenbewohner waren der Flut weitestgehend schutzlos ausgeliefert. Bereits eine Stunde nach dem Eintreffen der Weihnachtsflut blieb den meisten Betroffenen nur noch die Flucht auf den Dachboden bzw. auf die Dächer ihrer Häuser, denn die Gebäude liefen in Windeseile bis zu drei Meter hoch mit Wasser voll. Die etwas höher gelegenen Häuser sicherten auf diese Weise ihren Bewohnern das Leben. Teilweise bot jedoch nicht einmal der Dachstuhl den notwendigen Schutz, da die Wassermassen etliche Häuser einrissen und völlig zerstörten. Als letzte Option blieben so nur die Bäume, auf die sich einige Menschen retteten.19 Der Pastor Johann Christian Hekelius, ein selbst betroffener Zeitzeuge der Weihnachtsflut 1717, schilderte die Ereignisse wie folgt: die Flut sei „in einer entsetzlichen Höhe und zwar Manns hoch und noch höher beim Einbruch übers Land her gelauffen [sic]20. Die Berichte und dramatisch formulierten Aussagen von Hekelius und anderen Augenzeugen verschaffen dem Leser durchaus einen Eindruck, wie mächtig und bedrohlich die Flut an Heiligabend von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde.

Die Auswirkungen der Weihnachtsflut waren auch deshalb so verheerend, da an vielen Orten nicht nur die See- und Flussdeiche brachen, sondern auch die im Innern der Marsch liegenden Mitteldeiche, die weniger stark und oft vernachlässigt waren. So floss das Wasser in den Marschgebieten monatelang ein und aus, sodass manche Gegend erst Jahre nach der Katastrophe vor dem Wasser gesichert wurde. Insgesamt wirkte sich die Weihnachtsflut auf viele Bereiche des Lebens in den betroffenen Gebieten aus, wobei es den zeitlichen Rahmen der Arbeit sprengen würde, jede kurz- oder langfristige Auswirkung detailliert zu analysieren. Letztendlich geriet vor allem die für die Küstenregion so wichtige Landwirtschaft in eine große Krise. Der versalzte Boden aufgrund des täglich ein- und ablaufenden Wassers und die Zerstörungen der Flut trieben viele Bauernfamilien in den wirtschaftlichen Ruin. Jene Familien, die noch zahlungsfähig waren, mussten um so mehr zahlen , da das Geld für den Deichbau benötigt wurde. Viele aufgegebene Höfe wurden zu billigen Preisen versteigert. In Folge dieser Entwicklung verließen viele Marschbewohner ihre Heimat. Die Abwanderungen erwiesen sich wiederum als sehr misslich, da die Arbeitskraft der Menschen für die Wiederherstellung der Deiche benötigt wurde.21

[...]


1 Sönnichsen, Uwe; Moseberg, Jochen (Hrsg.): Wenn die Deiche brechen. Sturmfluten und Küstenschutz an der schleswig-holsteinischen Westküste und in Hamburg. Husum 1997. S. 6.

2 Hinrichs, Boy; Panten, Albert; Riecken, Guntram: Flutkatastrophe 1634. Natur Geschichte Dichtung. Neumünster 1991.

3 Jakubowski-Tiessen, Manfred: Sturmflut 1717. Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit. München 1992.

4 Weikinn, Curt: Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas von der Zeitwende bis zum Jahre1850. Hydrographie Teil 4 (1701 – 1750). Berlin 1963.

5 Sönnichsen, Uwe; Moseberg, Jochen. S. 10.

6 Rieken, Bernd: Nordsee ist Mordsee. Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen. Münster 2005. S. 258.

7 Ebenda. S. 257.

8 Steensen, Thomas: „...dass die Grundfeste der Erde sich bewegten“. Vor 375 Jahren: die „Mandränke“ vom 11. Oktober 1634. In: Nordfriesland 167 (September 2009). S. 14.

9 Riecken, Guntram: Die Flutkatastrophe am 11. Oktober 1634 – Ursachen, Schäden und Auswirkungen auf die Küstengestalt Nordfrieslands. In: Hinrichs, Boy; Panten, Albert; Riecken, Guntram: Flutkatastrophe 1634. Natur Geschichte Dichtung. Neumünster 1991. S. 35.

10 Meier, Dirk; Kühn, Hans Joachim; Borger, Guus J.: Der Küstenatlas. Das schleswig-holsteinische Wattenmeer in Zukunft und Gegenwart. Heide 2013. S. 104.

11 Steensen. S. 15.

12 Meier, Dirk; Kühn, Hans Joachim; Borger, Guus J. S. 107.

13 Riecken, Guntram in Hinrichs, Boy; Panten, Albert; Riecken, Guntram. S. 42.

14 Weikinn, Curt: Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas von der Zeitwende bis zum Jahre1850. Hydrographie Teil 4 (1701 – 1750). Berlin 1963. S. 104.

15 Fischer, Norbert: Von Seedeichen und Sturmfluten. Zur Geschichte der Deiche in Cuxhaven. Stade 2016. S. 128.

16 Ebenda. S. 129.

17 Jakubowski-Tiessen, Manfred: Sturmflut 1717. Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit. München 1992. S. 15.

18 Ebenda. S. 14.

19 Rieken. S. 258.

20 Hekelius, Johann Christian: Ausführliche und ordentliche Beschreibung derer beyden erschricklichen und fast nie erhöhten Wasserfluthen in Ost-Frießland und denen meisten an der Nordsee gelegenen schönen Ländern. Halle 1719. S. 76.

21 Meier, Dirk; Kühn, Hans Joachim; Borger, Guus J. S. 137.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Burchardiflut 1634 und die Weihnachtsflut 1717. Deutung zweier Naturkatastrophen in der Frühen Neuzeit
Untertitel
Als das Wasser den Norden verwüstete
Hochschule
Universität Rostock
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
23
Katalognummer
V994739
ISBN (eBook)
9783346361615
ISBN (Buch)
9783346361622
Sprache
Deutsch
Schlagworte
burchardiflut, weihnachtsflut, deutung, naturkatastrophen, frühen, neuzeit, wasser, norden
Arbeit zitieren
Philip Sell (Autor:in), 2019, Die Burchardiflut 1634 und die Weihnachtsflut 1717. Deutung zweier Naturkatastrophen in der Frühen Neuzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/994739

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