Die Rolle von Erziehung und natürlichen Anlagen in Parzivals Verhalten bei Wolfram von Eschenbach


Vordiplomarbeit, 2002

26 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Wolframs Parzival
II. 1. Kurze Zusammenfassung der Geschichte

III. Das Versäumnis der Gralsfrage und die Hintergründe
III. 1. Parzivals Kindheit
III. 2. Parzivals art
III.3. Parzivals tumpheit
III.4. Die Lehren
III.4.1. Herzeloyde
III.4.2. Gurnemanz
III.4.3. Trevrizent

IV. Waren die Lehren schuld an Parzivals Versagen?
IV.1. Lehrer und Lehren nach Augustinus
IV.2. Parzival oder die Lehren

V. Resümee

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Das geistige Leben des Mittelalters ist mit untrennbaren Fäden an das Altertum gebunden. In den literarischen Studien des Schulunterrichts lernte man die lateinischen Autoren kennen, vor allem aber hatten antiken Ideen den Geist des Christentums schon in der Frühzeit befruchtet. Kunst und Wissenschaft des Mittelalters als die Grundlagen der Bildung sind das Erbe des klassischen Altertums. Selbstverständlich ist diese Wirkung auch an den literarischen Werken zu erkennen.

Die Entwicklung der sowohl lateinischen als auch volkssprachlichen Dichtung des Mittelalters muss aber im Zusammenhang mit den geistigen Erneuerungsbewegungen gesehen werden.[1] Das neue Interesse, die Unterscheidung der Seelenkräfte und die Beschreibung der Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesse wurde in diesen Dichtungen beschrieben. Dazu gehört auch der „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach. Der neue Gedanke, dass alle wahre Erkenntnis aus dem Inneren kommt, lässt sich in dieser Dichtung erkennen.

Im 12. Jahrhundert wurden die Minne-Lyrik und der Versroman zu den wichtigsten literarischen Gattungen. In Deutschland wurden meistens französische Vorlagen und Vorbilder überarbeitet. Abgesehen von dem „Nibelungenlied“ sind alle großen deutschen Epen der Zeit um 1200 nach französischen Vorlagen gedichtet. Das höfische Epos wurde in dieser Zeit schon schriftlich aufgezeichnet.[2]

Obwohl die Klöster noch als Zentrum für Bildung und Kultur dominierten, gewann die Laienbildung eine größere Bedeutung. Der Eintritt der Laien in den Literaturprozess zog Veränderungen in der Literaturgesellschaft nach sich. Die Hauptschriften von Augustinus und anderen bedeutenden antiken Denkern, die Grundzüge ihrer Lehren waren den Gebildeten, wahrscheinlich auch Wolfram von Eschenbach, im 12. Jahrhundert allgemein zugänglich. Für Joachim Bumke gilt die Tatsache als gesichert, dass auch „Wolfram vielfachen Zugang zum Bildungsgut seiner Zeit hatte, auch zum lateinischen [...und] dass er in der Lage war, mit solchem Material umzugehen“.[3] Von bewusster und systematisch angewandter Kenntnis durch Wolfram kann keine Rede sein, „aber die Grundgedanken der Augustinischen Theorien lebten in der Theologie des Augustinismus und im 12. und im beginnenden 13. Jahrhundert, und sie leben in den Grundzügen der katholischen Frömmigkeit Wolframs und seiner Zeit.“[4]

Mit diesen Gedanken im Hintergrund möchte ich den „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach betrachten und analysieren.[5] Nach dem Überblick von dem Werk Wolframs gehe ich zu deren Analyse über. Für ein besseres Verständnis meiner Analyse werde ich vorher die wichtigsten Ereignisse in Parzivals Leben kurz zusammenfassen.

Ich werde die Gründe für Parzivals Versagen in seiner Natur und in ihm zugeteilten Lehren suchen. Obwohl nicht als gesichert gilt, dass Wolfram die Bildungsgüter der Antike bzw. des Augustinus kannte, lassen sich Parallelen zwischen augustinischen Erziehungsgedanken und der Erziehung von Parzival ziehen. Aus diesem Grund gehe ich näher auf Augustinus Illuminationstheorie ein, und versuche ich mittels dieser Lehre die Situation zu analysieren.

II. Wolframs Parzival

Der „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach wird als eine der großen Arbeiten der deutschen mittelalterlichen Literatur angesehen.[6]

Die Geschichte von Parzival und dem Gral gehört zum Stoffkreis der keltischen Sagen um König Artus und seinen Rittern. Sie zählt zu den zentralen Mythen des Abendlandes.

Über Wolfram von Eschenbach wissen wir sehr wenig. Die Vermutungen über seinen Beruf und sein Leben gehen sehr auseinander.[7] Seine vermutlich berühmteste Dichtung „Parzival“ ist um ca. 1200-1210 entstanden.[8] Das Epos ist in 83 Handschriften erhalten, und es existiert ein Druck von 1477. Die Einteilung auf 16 Bücher geht auf Karl Lachmann zurück.[9]

Als Vorlage diente der Roman von Chrétiens de Troyes, der „Conte du Graal“. Wolfram hat die Geschichte übernommen, ist aber damit sehr frei verfahren. An einigen Stellen hat er bedeutende Veränderungen vorgenommen.[10] In der deutschen Bearbeitung ist der Weg des Helden so gestaltet, dass hinter den Stationen der Abenteuer-Handlung ein innerer Weg erkennbar wird, welcher der äußeren Handlung Zusammenhalt und Sinn verleiht.[11] Am Anfang der Erzählung scheint es so, als ob Parzival die Aufgabe gestellt wäre, sich dem Artusrittertum anzugleichen. Die Handlung ist aber anders strukturiert. Als er dieses Ziel erreicht, und zum Ritter der Tafelrunde gemacht wird, ist dieser Moment kein Triumph mehr.[12] Nach dem Versagen auf Munsalvaesche und dem Treffen mit Sigune bekommt sein Leben einen neuen Sinn.

II. 1. Kurze Zusammenfassung der Geschichte

Wolfram von Eschenbach beschreibt in seiner Erzählung „Parzival“, wie der junge unerfahrene Parzival zunächst Ritter und dann Gralskönig wird. Doch bevor letzteres geschieht, lässt der Autor seinen Helden einen mühseligen Weg gehen, damit er lernt, was Demut ist.

Königin Herzeloyde zog ihren Sohn sehr liebevoll, aber in völliger Unwissenheit über die Welt in einem Wald, in Soltane, auf. Parzival hatte eine sehr behütete Kindheit, z.B. wusste er nicht, wie man tötet, oder was Tod eigentlich bedeutet, bis er größer und älter wurde und sich selber Pfeil und Bogen basteln konnte. Als er einmal alleine im Wald jagen war, begegneten ihm drei Ritter. Zuerst hielt er sie für Gott, weil ihre Rüstungen so glänzten. Doch die Ritter verhielten sich ganz und gar nicht so, wie seine Mutter Gottes Verhalten beschrieben hatte.

Die Erscheinung der Ritter verzauberte ihn so, dass er unbedingt auch ein Ritter werden wollte. Seine Mutter hielt ihn zurück und sagte, sie wolle ihm noch ein Kleid nähen für die "andere Welt". Sie hatte sich einen Plan ausgedacht, wie sie Parzival so schnell wie möglich zurückholen konnte. Sie nähte Parzival ein Narrenkostüm. Sie dachte sich, wenn er immer ausgelacht und verspottet wird, gefällt es ihm dort draußen sicher nicht.

Also zog Parzival hinaus in die Welt. Er wusste nur eins: Er musste zu König Artus kommen, der ihn zum Ritter machen würde. Auf seiner Reise begegnete ihm der Rote Ritter, den er nach einem Streit tötete. Parzival nahm Pferd und Rüstung des Roten Ritters an sich und gelangte schließlich zu Gurnemanz. Der Fürst Gurnemanz sollte fortan sein Lehrer sein. Er brachte Parzival fast alles bei, was ein Ritter können muss, z. B. das Fechten, das Kämpfen, die höfische Sitte etc.

Parzivals großes Abenteuer begann. Zuerst ritt er zu Königin Kondwiramurs. Er kämpfte für sie, denn ihre Burg war belagert von einem Heer, dessen Heerführer unbedingt die Königin zur Frau wollte. Er gewann alle Zweikämpfe und schlussendlich war die Burg wieder unbesetzt. Nach einiger Zeit nahm Parzival die Königin zur Frau. Aufgrund der Sehnsucht nach seiner Mutter zog er wieder weiter. So kam er zu der Gralsburg.

Parzival versäumte bei seinem ersten Besuch auf der Gralsburg Anfortas die alles entscheidende Frage zu stellen. Er hätte den König nach dem Grund von seines Leidens fragen müssen. Damit wäre Anfortas von seinen Schmerzen erlöst worden. Jedoch tat er dies nicht aus Bosheit, sondern aus Unwissenheit und dem Drang, ein vorbildlicher Ritter zu sein, denn Gurnemanz riet ihm, er solle keine aufdringlichen Fragen stellen. Da Parzival nur das Ziel vor Augen hatte, ein Ritter zu werden, befolgte er hundertprozentig Gurnemanz¢s Rat, anstatt nach dem Willen Gottes zu handeln. Er versuchte weiter die höchste Ehre eines Ritters zu erlangen, nämlich König Artus zu dienen. Als ihm dies gelang und er das langersehnte Ziel erreichte, erschien die Gralsbotin Kundry, die auf seinen Fehler auf der Gralsburg aufmerksam machte. Parzival verlies Artus um sich auf die Suche nach dem Gral zu machen, damit er seinen Fehler wiedergutmachen kann. Allerdings erkennte und akzeptierte er erst dann wirklich seine Schuld, als er seinem Onkel Trevrizent begegnete, der ihm die Beichte abnahm; Parzival berichtete ihm zunächst von dem Mord am Roten Ritter aus Habgier und Dummheit und später auch vom Versagen auf der Gralsburg. Durch Trevrizent fand er seinen Glauben an Gott wieder, denn er erkannte nun zum ersten Mal Gottes Macht, und verstand, was Demut bedeutet. So waren seine folgenden Taten nicht darauf ausgerichtet ritterlichen Ruhm zu erlangen wie bisher. Er konnte so im Kampf gegen Gramoflanz z. B. Gnade walten lassen. Und als er eine Niederlage im Kampf gegen seinen Halbbruder erleiden musste, der wiederum ihn am Leben lies, erkannte Parzival auch, was es heißt, zu verlieren. Nun erst schien er dem Gral würdig zu sein, denn durch Kundry wurde nun seine göttliche Berufung zum Gralskönig verkündet.

III. Das Versäumnis der Gralsfrage und die Hintergründe

Die Frage, warum Parzival in Munsalvaesche beim Anblick des Grals stumm bleibt, ist in gewisser Hinsicht die Schlüsselfrage der „Parzival“ - Interpretation.[13] In der Fachliteratur erhalten die Lehren, welche Parzival erteilt werden, die meiste Schuld zugewiesen. Hierbei wird besonders die Ritterlehre von Gurnemanz hervorgehoben.

[...]


[1] Mehr über die geistigen Grundbedingungen dieses Zeitalters in: Ehrismann 1954 S. 3ff

[2] In wie weit Wolfram seine Zeitgenossen und dessen Werke gekannt hat, in: Bumke 1970 S. 76ff

[3] Bumke 2001. S. 12 Auslassung und Einfügung: M. D.

Auf welchen Wegen das Bildungsgut zu Wolfram gelangt ist, ist unsicher. Man muss für die Zeit um 1200 davon ausgehen, dass interessierte Laien auf anderen Wegen als durch klerikalen Schulausbildung Zugang zu gelehrten Überlieferungen finden konnten.

[4] Vgl. Maurer 1951 S. 146

[5] In mehrere Parzival - Interpretationen werden die augustinische Gedanken mit einbezogen, es geht aber meistens um den Sündenbegriff von Augustinus. Siehe Maurer 1951

[6] „Über keinen Dichter des deutschen Mittelalters, ja über kaum einen deutschen Dichter außer Goethe ist in den letzten Jahren so viel Literatur erschienen wie über ihn [Wolfram; M.D.].“-hat Peter Wapnewski im Jahr 1955 festgestellt. Diese These hat ihre Richtigkeit bis heute bewahrt. In: Wapnewski 1955, S. 9; Einfügung: M. D.

[7] Aus Urkunden und Chroniken ist über Wolfram von Eschenbach wenig zu erfahren. Die Vermutung, dass er ein „ritterlicher Ministeriale“ war, wie in der Literaturgeschichte oft aufgeführt ist, ist nicht bezeugt. Auch die Selbstaussagen ergeben kein klares Bild. Vgl. Bumke 1981 S. 1ff

[8] Der Zeitraum für das Entstehen des Epos kann nur geschätzt werden. Eine Schlüsselstelle dazu ist die Anspielung auf die Verwüstung der Erfurter Weingärten im VII. Buch, die sich auf die Ereignisse im Sommer 1203 bezieht, als König Philipp von Schwaben von dem Landgrafen von Thüringen und seinen Verbündeten in Erfurt belagert wurde. Vgl. Bumke 1990 S. 95

[9] Garnerus 1999. S. 15. Nicht alle Autoren legen ihren Forschungen diese Aufteilung auf 16 Bücher zugrunde, so z.B. stützt sich Lampe (Lampe, Bernd: Parzival-Gralsuche und Schicksalserkenntnis Band 1. Verlag der Kooperative Dürnau, 1986) in seiner Arbeit auf die St. Galler-Handschrift, die den Text durch 24 Großinitialen gliedert.

[10] Am stärksten verändert ist alles, was mit dem Gral zusammenhängt. Dazu siehe Wolfgang Golther: Parzival in der deutschen Literatur in: Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur Band 4. Walter de Gruyter & Co. Berlin, 1929 S. 23ff

Die ersten zwei Bücher und der Abschluss sind unabhängig von Chrétien. Die Lehre von der Mutter hat er aber z.B. abgekürzt. Vgl. Bumke 1990 S. 166

[11] Bumke 2001. S. 27 In der Fachliteratur wird dieser Weg gerne als ein Hinweis dafür angesehen, dass es sich um einen Entwicklungs- oder Erziehungsroman handelt. „Parzivals Lebensweg ist ein Erziehungsroman. Er wird durchs Leben erzogen.“ - sagt Ehrismann am Anfang des letzten Jahrhunderts. In: Ehrismann 1954 S. 259. Gerhard sieht es ähnlich: „Der „Parzival“ stellt die seelische Entwicklung eines Menschen dar. Nicht die Ereignisse und Zusammenstöße des äußeren Daseins machen den Gehalt der Dichtung aus, ihr Kern ist der innere Werdegang, dessen Aufbau und Veranschaulichung alles übrige dient.“ In: Gerhard 1968 S. 41. Schröder dagegen analysiert den Lebensweg von Parzival nach der Ordnung der drei Lehren. Nach dieser These ist der Mensch durch den Sündenfall an seiner Substanz geschädigt worden, er muß wiederhergestellt werden. Diese Wiederherstellung ist der Lebensvorgang. Diese Vorstellung schließt aber jeden Begriff der Entwicklung, auch den der Erziehung aus. Der Mensch ist Rest eines vordem schon vorhandenen Seins, das wieder aufgerichtet werden soll. In diesem Sinne kann Parzivals Lebensweg nicht als Entwicklung angesehen werden. Vgl. Schröder 1963 S. 79ff

[12] Bumke 2001 S. 4 Als Parzival aus Soltane aufbrach, hatte er nur ein Ziel: er wollte Artusritter werden. An dem Tag, an dem er morgens die Blutstropfen sieht, wird er zum Ritter der Tafelrunde gemacht. Gleich darauf erscheint Kundry, deren Flucht zur Folge hat, dass Parzival aus dem Artuskreis ausscheidet. Bei seiner nächsten Begegnung mit dem Artushof wirkt er schon wie ein Fremder.

[13] Bumke 2001. S. 71 Diese Frage wird auch als die Mitleidsfrage diskutiert. Es setzt voraus, dass das natürliche Mitgefühl, das Parzival noch bei der ersten Begegnung mit Sigune zeigt, durch die höfische Dichtung unterdrückt worden ist. Nach der Meinung von Gerhard ist dies aber nicht vorstellbar. Wolfram hätte nicht seinen Helden zuerst alle Rittertugenden (somit auch das Mitleid) erwerben lassen, und dann „Die Vertreter rein weltlichen Rittertums nicht bei aller Distanz doch mit unleugbarer Sympathie und Anerkennung dargestellt.“ Gerhard 1968. S. 19

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Rolle von Erziehung und natürlichen Anlagen in Parzivals Verhalten bei Wolfram von Eschenbach
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft)
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
26
Katalognummer
V9957
ISBN (eBook)
9783638165327
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vordiplomarbeit. 336 KB
Schlagworte
Rolle, Erziehung, Anlagen, Parzivals, Verhalten, Wolfram, Eschenbach, Thema Parzival
Arbeit zitieren
Marianna Dreska (Autor:in), 2002, Die Rolle von Erziehung und natürlichen Anlagen in Parzivals Verhalten bei Wolfram von Eschenbach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9957

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