Der soziale Aufstieg der deutschen Juden im 19. Jahrhundert


Trabajo Escrito, 2019

19 Páginas, Calificación: 1,7

Anónimo


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Weg bis zur Emanzipation
2.1 Vom Schutzjuden zum Staatsbürger

3. Gründe für den Aufstieg
3.1 Religiös-kulturelle Anpassung
3.2 Sozio-ökonomische Verhältnisse

4. Fazit
4.1 War der soziale Aufstieg der deutschen Juden im 19. Jahrhundert auch eine erfolgreiche Verbürgerlichung?

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Den deutschen Juden gelang im 19. Jahrhundert ein sozialer und wirtschaftlicher Aufstieg, wie es ihn weder zuvor, noch erneut in Europa gegeben hat. Lebten die Meisten von ihnen knapp zwei Drittel um 1800 noch in Armut, hatte die Mehrheit der deutschen Juden in den Jahrzehnten nach der Reichsgründung den Sprung in die Mittel- oder Oberschicht geschafft.1

Simone Lässig beschreibt den Aufstieg der deutschen Juden als erfolgreichen Verbürgerlichungsprozess.2

Diese Arbeit soll sich im Folgenden vor allem mit zwei Themen beschäftigen: Erstens mit der Grundlage, beziehungsweise den Gegebenheiten, welche den rasanten Aufstieg der deutschen Juden ermöglichten und zweitens, ob sich dieser Aufstieg als erfolgreiche Verbürgerlichung beschreiben lässt.

2. Der Weg bis zur Emanzipation

Lange Zeit waren die Lebensbedingungen der deutschen Juden nicht einheitlich. Die rechtlichen, sowie die sozioökonomischen Rahmenbedingungen richteten sich stets nach den unterschiedlichen Territorien, welche sich erst 1871 zum Deutschen Reich zusammenschlossen. Zudem gab es auch innerhalb der einzelnen Staaten gravierende Unterschiede, beispielsweise zwischen den großen Städten und dem Land. Zwar waren offene Verfolgung, Ausweisungen und Pogrome nach dem Dreißigjährigen Krieg eher eine Ausnahme, dennoch wurden die Juden in vielerlei Hinsicht in ihrer Freiheit eingeschränkt. In der Regel wurden die Juden je nach ihrer Nützlichkeit für die einzelnen Herrscher mit mehr oder weniger Privilegien ausgestattet. Innerhalb der jüdischen Gemeinde bildete sich so eine kleine Oberschicht der Hofjuden, welche sich durch ihre direkte Verbindung zu den Herrschaftshäusern, sowohl von den übrigen Juden als auch der restlichen Bevölkerung abhob.3

Wie stark sich die soziale Stellung und die rechtlichen Rahmenbedingungen innerhalb der jüdischen Gemeinde unterschieden, zeigt zum Beispiel ein Blick auf Preußen, wo der oft als religiös tolerant bezeichnete König Friedrich II. 1750 das „Generaljudenreglement“ erließ, welches die in Preußen lebenden Juden in sechs Gruppen einteilte.

Die kleinste „generalprivilegierte“ Gruppe, die nur die reichsten Juden umfasste, hatte das Recht, Häuser und Grundstücke zu erwerben. Sie war im Handel den christlichen Kaufleuten gleichgestellt und ihr Status wurde auf alle Nachkommen übertragen. Die zweite Gruppe der „ordentlichen Schutzjuden“ durfte sich zwar beruflich betätigen, konnte ihren Wohnort allerdings nicht frei bestimmen. Außerdem konnten sie ihren Status nur an zwei Nachkommen vererben. Bei der dritten Gruppe, welche Ärzte, Maler etc. umfasste und die als „außerordentliche Schutzjuden“ bezeichnet wurden, bezog sich der Status nur auf Einzelpersonen. Ihre Familien konnten somit nach ihrem Tod ausgewiesen werden. Die vierte Gruppe umfasste alle Beamten einer jüdischen Gemeinde wie zum Beispiel den Rabbiner. Sie durften kein Gewerbe oder Handel betreiben und behielten ihren Status als „außerordentliche Schutzjuden“ nur solange sie im Amt waren. Die fünfte Gruppe bestand aus den Nachkommen der „außerordentlichen Schutzjuden“ oder der „ordentlichen Schutzjuden“, welche ihren Status nicht vererben konnten. Diese Gruppe der „geduldeten Juden“ hatte keinerlei rechtliche Grundlage und durfte keinen Handel oder Handwerk betreiben. Die letzte Gruppe umfasste das Personal der privilegierten Juden der ersten Gruppe. Sie wurden nur solange geduldet, wie sie eine Anstellung hatten.4

Diese Einteilung in Gruppen, welche die gesellschaftlichen Rechte der Juden nur anhand ihres individuellen Nutzens für den Staat ausmachte, wurde „vom französischen Aufklärer Mirabeau als >eines Kannibalen würdig< bezeichnet“.5 Auch Gotthold Ephraim Lessing, einer der bedeutendsten, deutschen Aufklärer, sowie enger Freund des Philosophen Moses Mendelssohn, welcher versuchte religiöse Gesetze mit aufklärerischer Meinungsfreiheit zu einen, bemängelte die Unterdrückung des jüdischen Volkes.6

Im Zuge der Aufklärung wurde es seit dem späten 18. Jahrhundert immer schwerer, die von oben verordnete soziale Benachteiligung der Juden durchzusetzen, da sich langsam eine liberale, auf Konkurrenz beruhende Leistungsgesellschaft, entwickelte. Die bürgerliche Bewegung der Aufklärer versuchte zudem, die Verbindung von Staat und Kirche beziehungsweise Religion, zu überwinden, womit die Religionszugehörigkeit immer mehr zur Privatangelegenheit werden sollte.7

Die jüdische Emanzipation, sowie die einhergehende Abschaffung der auf Religion basierenden Benachteiligung der Juden, lässt sich also als ein Teilaspekt im Übergang „vom statischen Privilegiensystem zur dynamischen Klassengesellschaft“8 beschreiben.

2.1 Vom Schutzjuden zum Staatsbürger

Trotz erster Verbesserungen der Lebensbedingungen der deutschen Juden im ausgehenden 18. Jahrhundert, war es bis zu einer abgeschlossenen Emanzipation, beziehungsweise einer gesellschaftlichen Gleichstellung, noch ein weiter Weg. So lebten die meisten Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch immer in einer isolierten Randgruppe. Im Gegensatz zu Frankreich, wo im Zuge der Nationalversammlung von 1790 alle in Frankreich lebenden Juden als Teil des neuen Bürgertums eine sofortige Gleichberechtigung, mit allen Rechten und Pflichten eines Staatsbürgers, erfuhren und auf die integrative Kraft der Gesellschaft an sich vertraut wurde, setzte man beim preußischen Emanzipationsmodell auf eine erzieherische Funktion des Staates.9

Einer derjenigen, der dieses Model maßgeblich beeinflusste, war der preußische Stadtrat Christian Wilhelm von Dohm. In seinem Buch „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“, welches 1781 erschien, machte er deutlich, dass die schlechte soziale Situation der Juden nicht auf natürlichen Anlagen oder religiösen Besonderheiten zurückzuführen sei, sondern an der jahrhundertelangen Unterdrückung einer christlichen Umwelt läge.10 Des Weiteren schlug er vor, „den Juden als Belohnung für soziales Wohlverhalten und als Vorschuß für künftige Leistungen bürgerliche Rechte zu gewähren.“11

Während in Frankreich also ein einziger, legislatorischer Akt alle rechtlichen Unterschiede zwischen den französischen Juden und der restlichen Gesellschaft aufhob und sie damit eine sofortige Gleichstellung erhielten, war die Judenemanzipation in den deutschen Staaten geprägt von bürokratischen Reformen, die über Generationen hinweg den Juden stückweise eine Gleichstellung als Lohn für eine erfolgreiche Anpassung versprach.12 Vergleicht man die verschiedenen Verbürgerlichungsprozesse der europäischen Juden, so lassen sich die Emanzipation in Frankreich oder auch den Niederlanden als eine Verbürgerlichung von „unten“, sprich durch die Kraft der Gesellschaft, beschreiben. Die preußische Emanzipation hingegen wird von „oben“, also vom Staat gelenkt und gefördert.

Zwar gab es einige Stimmen, welche die preußische Emanzipationspolitik ablehnten, wie zum Beispiel Wilhelm von Humboldt, der der Ansicht war, nur eine sofortige Gleichstellung könne die sozialen Unterschiede zwischen den Juden und dem Rest der vorwiegend christlichen Gesellschaft beseitigen. Er bemängelte, dass der Staat die Funktion eines Rechtsinstituts habe und kein Erziehungsorgan sei.13 Trotzdem befürworteten selbst viele der deutschen Aufklärer das preußische Modell. Simone Lässig sieht die Gründe für diese breite Zustimmung innerhalb der deutschen Gesellschaft unter anderem in der verspäteten Nationsbildung. Ihrer Meinung nach sorgte dieser Umstand für ein starkes Verlangen nach Homogenität auch im liberalen Bürgertum. Es wurde also von den Juden eine Anpassung an die soziokulturellen Normen der bürgerlichen Schicht verlangt, während in anderen Nationalstaaten wie etwa Frankreich eine politische Loyalität gegenüber des Staates beziehungsweise der Nation für wichtiger angesehen wurde, als die Anpassung an Mentalität und Habitus.14

In der Anfangsphase des 19. Jahrhunderts, welche auch als erste Phase der Judenemanzipation gilt, hatten sich Dohms Ideen, beziehungsweise die der preußischen, erzieherischen Emanzipation der Juden, in fast allen deutschen Territorialstaaten durchgesetzt und dessen Gesetze, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, geprägt. Die Einschränkungen reichten dabei von einer Beschränkung der Berufstätigkeit bis hin zur Erteilung von Heiratserlaubnissen. Nur im Königreich Westfalen kam es bereits in dieser Phase zu einer vollständigen Gleichstellung der Juden. In der Zeit zwischen 1815 und 1848 war die Emanzipationspolitik der deutschen Staaten dann von einige Rückschlägen gezeichnet. Zum Teil wurden Stimmen laut, die eine Integration der Juden kategorisch ablehnten. Diese Umstände, im noch nicht geeinten deutschen Gebiet, führten dazu, dass sich die Gleichstellung der deutschen Juden über fast 100 Jahre hinzog und flächendeckend erst im Norddeutschenbund beziehungsweise mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 erreicht wurde.15

3. Gründe für den Aufstieg

Oft wurde in der Forschung Dohms Ansatz der Judenemanzipation stark kritisiert. Das lag vor allem am Erziehungsgedanken. Die Gleichstellung der Juden war demnach kein Grundrecht, wie es allen Staatsbürgern, egal welche Religion oder Lebensweise sie hatten, zustand, sondern nur ein Lohn für erfolgreiche Anpassung. Diese Kritik ist zwar durchaus nachzuvollziehen und auch berechtigt, allerdings wird dabei oft außeracht gelassen, dass den deutschen Juden durch die aufklärerische Bildungsidee ein sehr wirksames „Integrationsinstrument“ zur Verfügung gestellt wurde. Sie hatten so in einer Zeit, in der sich ein auf neuen Werten basierendes Bildungsbürgertum entwickelte, beste Chancen, nicht nur eine formale, rechtliche Gleichheit auf dem Papier zu erlangen, sondern auch sozial aufzusteigen.16 Ebenso war es aus jüdischer Sicht besonders attraktiv, dass dieses auf Bildung basierende System keine „generelle Ablösung von den jüdischen Wurzeln verlangte.“17 So besticht das Konzept der Integration durch Bildung, wenigstens in seiner Theorie, durch seine Allgemeingültigkeit.

Hinzu kommt, dass in den anderen europäischen Staaten, wie zum Beispiel Frankreich, durch die laissez-faire Herangehensweise sich jeder Jude selbst aussuchen konnte, an welcher sozialen Schicht er sich orientierte, während die deutschen Juden bis in die untersten Schichten dazu angehalten waren bürgerliche, Standards zu erreichen. Vermutlich weitaus relevanter für den sozialen Aufstieg als der Druck von außen war jedoch, dass auch im innerjüdischen Diskurs die Figur eines gebildeten Bürgers und der damit verbundene Aufstieg zu einem zentralen Lebensziel wurde.18 Die Besonderheit liegt also nicht nur in der Tatsache, dass die deutschen Juden einen von oben diktierten Geleichstellungsprozess durchlebten, sondern dieser auch eine Anpassung an eine spezifische, sich neu bildende, bildungsbürgerliche Schicht forderte. Mit dieser konnte sich ein Großteil der deutschen Juden gut arrangieren, da sie zumindest in Teilen ein Beibehalten der jüdischen Kultur zuließ. Die Verlagerung von religiösen Werten hin zum aufgeklärten Bildungsideal galt also nicht nur für die Juden, sondern auch für die restliche, weitgehend christliche Bevölkerung.

Vergleicht man die beiden Emanzipationsmodelle, bleibt die Frage, in wieweit der Staat das Recht dazu hat, über seine Gesetzgebung aktiv in die Gestaltung beziehungsweise Bildung einer Gesellschaft, einzugreifen? Und worüber sich das Bürgertum beziehungsweise die Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts definiert?

Nach Simone Lässig wird unter dem Begriff des Bürgertums „die Ansammlung verschiedener Sozialgruppen verstanden, die im 19. Jahrhundert bereits existierten oder sich neu bildeten und sich trotz extrem unterschiedlicher Besitz- und Erwerbsverhältnisse zunehmend vergesellschafteten.“19 Das Bürgertum ist damit ein sehr heterogenes, soziales Gefüge, welches sich eher als ein idealtypisches Konstrukt beschreiben lässt und keine spezifische Klasse darstellt. Es definiert sich in erster Linie über Normen, Überzeugungen, Verhaltensweisen und habituelle Praktiken.20

[...]


1 Vgl.: Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 13.

2 Vgl.: Ebd.

3 Vgl.: Reinke, Andreas: Geschichte der Juden in Deutschland, S. 9ff.

4 Vgl.: Grab, Walter: Der Deutsche Weg der Juden-Emanzipation, S. 11f.

5 Ebd.: S. 11.

6 Vgl.: Ebd., S. 12.

7 Vgl.: Ebd., S. 13.

8 Ebd.

9 Vgl.: Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 61f.

10 Vgl.: Grab, Walter: Der Deutsche Weg der Judenemanzipation, S. 13.

11 Ebd., S. 14.

12 Vgl.: Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 62.

13 Vgl.: Battenberg, Friedrich: Das europäische Zeitalter der Juden, S. 86ff.

14 Vgl.: Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 62f.

15 Vgl.: Reinke, Andreas: Geschichte der Juden in Deutschland, S. 16ff.

16 Vgl.: Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 657.

17 Ebd., S. 658.

18 Vgl.: Ebd.

19 Ebd., S. 18.

20 Vgl.: Ebd., S. 19.

Final del extracto de 19 páginas

Detalles

Título
Der soziale Aufstieg der deutschen Juden im 19. Jahrhundert
Universidad
University of Flensburg
Calificación
1,7
Año
2019
Páginas
19
No. de catálogo
V997065
ISBN (Ebook)
9783346368621
ISBN (Libro)
9783346368638
Idioma
Alemán
Palabras clave
sozialer Aufstieg, Juden, Verbürgerlichung
Citar trabajo
Anónimo, 2019, Der soziale Aufstieg der deutschen Juden im 19. Jahrhundert, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/997065

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