Ethnomethodologie


Hausarbeit, 2000

25 Seiten


Leseprobe


INHALT

Einleitung

1 Ethnomethodologie - Theorie
1.1 Grundlegende Annahmen
1.2 Interesse
1.3 Aufgaben
1.4 Ziele

2 Ethnomethodologie – Fallbeispiele
2.1 Dorothy E. Smith: K. ist geisteskrank. Die Anatomie einesTatsachenberichtes
2.1.1 Einleitung
2.1.2 Analyse des Interviews
2.1.2.1 Darstellung durch Instruktionen
2.1.2.2 Darstellung als Tatsachenbericht
2.1.2.3 Darstellung durch Kontraststrukturen
2.1.2.4 Zusammenfassung
2.2 Bruce A. Katz und Wesley W. Sharrock. Eine Darstellung des Kodierens
2.2.1 Das Kodieren als Technik der Sozialwissenschaft
2.2.2 Inhalt und Daten der Untersuchung
2.2.3 Die Funktion der natürlichen Sprache im Kontext des Kodierens
2.2.3.1 Das Problem der doppeldeutigen Zuordnung - Das Planschbecken
2.2.3.2 Eindeutige Zuordnung - Bsp. Stall, Schuppen
2.2.4 Zusammenfassung Literatur

Anhang

Einleitung

Ethnomethodologie zählt zur Soziologie, der Lehre von den Formen und der Entwicklung menschlichen Zusammenlebens.

“Was uns beschäftigt ist, wie die Gesellschaft zusammengefügt wird; das Wie-es-gemacht-wird; das wie-es-zu-machen-ist.”

Mit diesem ersten Satz seiner Definition von Ethnomethodologie kennzeichnet Garfinkel, der Begründer dieser jungen Wissenschaft, deren Anliegen und Leitfragen.

Ansonsten tut man sich auf diesem Gebiet mit Definitionen recht schwer:

Als Grund hierfür kommt zunächst das junge Alter dieser Wissenschaft in Frage sowie auch die noch nicht erreichte, oder vielleicht auch nie erreichbare, Geschlossenheit des Themas.

Jede Definition ist immer mit einem konkreten Anwendungszusammenhang verbunden, denn Ethnomethodologie erschließt sich erst in der konkreten Durchführung ethnomethodologischer Forschung.

Daher soll in dieser Hausarbeit die junge Wissenschaft der Ethnomethodologie in einem Theorieteil vorgestellt sowie ein Einblick in ethnomethodologisches Arbeiten durch zwei ausgewählte Fallbeispiele gegeben werden.

1 Ethnomethodologie

1.1 Grundlegende Annahmen

Garfinkel und eine Reihe seiner Mitarbeiter prägten den Begriff

„Ethnomethodologie“ zur Charakterisierung ihrer Arbeit.

Das Interesse von Garfinkel richtet sich in diesem Zusammenhang besonders auf die routinisierten Handlungen des Alltagsleben:

“was uns beschäftigt, wie die Gesellschaft zusammengefügt wird; das Wie-es- gemacht-wird; das Wie-es-zu-machen-ist; die sozialen Strukturen der Alltagshandlungen. Ich möchte sagen, wir machen Untersuchungen darüber, wie die Menschen als Teilnehmer alltäglicher Arrangements die Merkmale dieser Arrangements verwenden, um für die Mitglieder die erkennbar organisierten Eigenschaften dieser Arrangements geschehen zu lassen” (Hill und Crittenden, S. 12, zitiert nach: Weingarten 1976, S. 9).

Für Garfinkel bezieht sich das Präfix „Ethno“ darauf, ob und wie ein Mitglied der Gesellschaft über das Alltagswissen dieser Gesellschaft verfügt. Das Handeln und die Interaktion der Gesellschaftsmitgliedern basiert auf dem Alltagswissen, dem Bestand an Wissen, „das sich die Gesellschaftsmitglieder gegenseitig als selbstverständlichen und sicheren Wissensbestand unterstellen müssen, um überhaupt agieren zu können“ (Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1981, Bd. 1, S. 20). Der Bestandteil „Methodologie“ im Begriff „Ethnomethodologie“ verweist auf die Methoden der Interaktion der Gesellschaftsmitglieder als Gegenstand der Untersuchung (vgl. Weingarten 1976, S. 10).

Dieses Wissen will die Ethnomethodologie aufdecken. Sie will das Wissen und die Methoden aufzudecken, derer sich die Gesellschaftsmitglieder bedienen, um die Vielzahl ihrer Alltagshandlungen durchzuführen. Ethnomethodologie beschäftigt sich mit den alltäglichen Aktivitäten (Praktiken des täglichen Lebens), die Menschen in der Gesellschaft entfalten, um sich selbst und anderen ihre alltäglichen Angelegenheiten verständlich und erklärbar 3 zu machen.

In diesem Zusammenhang gilt der Begriff der „gesellschaftlichen Wirklichkeit“ als bezeichnend, denn nach der Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen sind mit „gesellschaftlicher Wirklichkeit“ all die Ereignisse und Tatbestände gemeint, die das Handeln der Gesellschaftsmitgliedern ausmachen und bestimmen (vgl. Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1981, Bd. 1, S. 11). Für die Produktion und Veränderung der „gesellschaftlichen Wirklichkeit“ sind Probleme relevant, die in der unmittelbaren Lebensbewältigung auftauchen.

Die alltägliche Interaktion zwischen Menschen steht im Zentrum dieser Theorie, denn Interaktionen erzeugen Ereignisse und Tatbestände beständig neu.

Eine grundlegende Annahme der Sozialwissenschaften und somit der Ethnomethodologie als Teil der Sozialwissenschaft ist die Stellung der Menschen zur Umwelt:

Die Menschen sind nicht allein Objekt in einer naturalen Umwelt, die von den Wissenschaftlern beobachtet werden können, sondern die Menschen sind zugleich auch Produzenten und Schöpfer der kulturellen Welt. Sie stehen ständig in Interaktion zueinander und prägen durch diese Interaktion ihre eigene Welt.

Das Handeln, d.h. die Interaktion innerhalb der Gesellschaft ist jedoch nur auf der Basis des Alltagswissen möglich. Es ist Grundbestand des Alltagsleben, dass Menschen für sich in Anspruch nehmen und danach handeln, so dass sie andere verstehen können und verstehen, d.h. dass sie die subjektive “Welt” anderer kennen können. Im Alltagsleben gibt es wenig Zweifel an der “Kennbarkeit” der “Welt” des anderen und daran, dass der andere die eigene Welt kennen kann. Alltagswissen besteht weniger aus reflektierten Wissensbeständen, als aus unterschiedlichen Schichten unbewussten Routinewissens und gerät nur in Krisensituationen in den Bereich bewusster Reflexion.

Der Bestand an Denkvoraussetzungen, die das Handeln der Gesellschaftsmitglieder bestimmen, werde im tagtäglichen Lebensablauf geschöpft, angewendet und dadurch natürlich auch fortlaufend verändert (vgl. Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1981, Bd. 1, S. 11).

Allerdings stellt das beobachtbare Verhalten nur ein Fragment des Gesamtverhaltens dar. Die besondere Aufgabe des Sozialwissenschaftlers liegt nach Weingarten somit darin, „die Bedeutungen und den Sinn zu erschließen, die das Handeln für den Akteur selber hat“ (vgl. A. B. Soziologen 1981, Bd. 2, S. 270).

1.2 Interesse

Es geht der Ethnomethodologie darum festzustellen, „wie die Mitglieder der Gesellschaft die Aufgabe lösen, die Welt, in der sie leben, zu sehen, zu beschreiben und zu erklären“ (Zimmermann und Wieder 1970, S. 289, zitiert nach Weingarten 1976, S. 14). Es sollen die Methoden entdeckt und erforscht werden, die die Menschen in ihrem Alltagsleben einsetzen, um ihrer Welt Bedeutung und Sinn zu verleihen und soziale Wirklichkeit zu konstruieren. Diese Methoden, derer sich die Gesellschaftsmitglieder bedienen, um die Vielzahl ihrer Alltagshandlungen durchzuführen, sollen aufgedeckt werden.

Die soziale Ordnung wird durch tagtägliche Handlungen hergestellt,

„die den Zweck verfolgen, die Geordnetheit, Rationalität und Darstellbarkeit des Alltagsleben herzustellen, bzw. erkennbar zu machen“ (vgl. Weingarten 1976, S. 13).

Aufgrund der Kenntnis der grundlegende Merkmale der alltäglichen Interaktion, kann das Problem angegangen werden, wie Bedeutungs- und Sinnzusammenhänge konstruiert werden, und wie aus den miteinander verbundenen und aufeinander bezogenen Handlungen soziale Wirklichkeit geschaffen wird.

Für den Ethnomethodologen ist jedoch nicht interessant, „warum“ die Menschen bestimmte Handlungen durchführen, sondern das „Wie“ steht im Vordergrund des Interesses.

1.3 Aufgabe

„Die Aufgabe des Sozialwissenschaftlers besteht darin, die Art und Weise zu rekonstruieren, in der Menschen im täglichen Leben ihre eigene Welt sehen und deuten“ (A. B. S. 1981, Bd. 2, S. 271).

Die Ethnomethodologie will die Methoden der Menschen erforschen, die sie einsetzen, um ihrer Welt Sinn zu verleihen. Dabei konzentriert sie sich besonders auf die Methoden, die auf menschliches Verhalten im allgemeinen übertragbar sind.

Es wird die „phänomenologische Absicht“ übernommen, die grundlegende Struktur eines Prozesses zu erfassen und versucht, zu Aussagen und Folgerungen zu gelangen, die sich verallgemeinern lassen und somit in ihrer Gültigkeit kulturell und zeitlich nicht beschränkt sind.

Als charakteristische Beispiele für Ergebnisse phänomenologischer Analyse gelte die „natürliche Einstellung“ und die „intersubjektive Welt des Alltagsleben“ als Teil der grundlegenden Bedingungsstruktur menschlicher Existenz (vgl. Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1981, Bd. 2, S. 273).

Ein Beispiel für die grundlegende Bedingungsstruktur menschlicher Existenz ist die Existenz der Welt. Die Existenz der Welt wird intersubjektiv für gesichert genommen und angenommen. Es wird unterstellt, dass diese Welt gestern bereits existierte und morgen existieren wird.

Ein weiteres Beispiel ist, dass „alle meine Handlungen auf dem Glauben daran gründen, dass andere diese Handlungen als verständlich wahrnehmen können, vorausgesetzt, dass sie den Wissensbestand unserer Gesellschaft teilen“ (ebd.).

Angenommen diesen Merkmalen der Bedingungsstruktur menschlicher Existenz kommt universale Geltung zu, so geben sie den Hintergrund oder den Bezugsrahmen des sinnhaften Handelns von Menschen in Alltagssituationen ab. Somit ist es möglich, nach jenen gemeinsamen Elementen in einer Mehrzahl von Kulturen zu suchen.

Die Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen beschreibt die Aufgabe der Ethnomethodologie als Erarbeitung „objektiver idealtypologischer Konstrukte, die sich auf die wechselseitigen Verstehensweisen und die Typisierungen beziehen, die Menschen voneinander haben.

Ethnomethodologie vollzieht Abstraktionen und baut Konstrukte, um das Wesentliche an den Typisierungen der Akteure zu bestimmen“ (Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1981, Bd. 2, S. 278).

1.4 Ziel

Das Ziel des Ethnomethodologen lässt sich ganz klar in der Aussage formulieren, die Welt so verstehen zu wollen, wie sie von Menschen 7 im Alltagsleben gesehen und ausgelegt wird. Hierfür sollen Methoden entwickelt werden, mit Hilfe derer es möglich wird, die geistige Struktur und Vorstellungsweise anderer wirklich kennenzulernen.

Die Ergebnisse, die Aussagen und Folgerungen ethnomethodologischer Forschung sollen sich verallgemeinern lassen, d.h. zeitlich und kulturell nicht beschränkt sein.

2 Ethnomethodologie – Fallbeispiele

2.1 Dorothy E. Smith: K. ist geisteskrank. Die Anatomie eines Tatsachenberichtes

2.1.1 Einleitung

In ihrer obengenannten Arbeit analysiert Dorothy E. Smith “ein Interview, welches darstellt, wie es dazu kommt, daß K. von ihren Freunden für geisteskrank gehalten wird” (Smith 1976, S. 368). Hierbei handelt es sich nicht etwa um die einfache Aufzeichnung von Tatsachen und wie diese sich ereigneten, sondern vielmehr um eine Darstellung der Tatsachen, “die als relevant für den Prozeß der Entscheidung über den wirklichen Charakter dieser Ereignisse angesehen werden” (Smith 1976, S. 368f).

Aus ethnomethodologischer Sicht interessieren demnach nicht besondere Vorkommnisse, die Freunde in ihrer Meinung festigten, sondern deren Schritte und Tätigkeiten, dem Leser bzw. Hörer zu verdeutlichen, warum sie der Meinung sind, daß K. geisteskrank ist.

Zu diesem Sachverhalt sei angemerkt, dass “eine Reihe von Studien in dem Bereich der Geisteskrankheit (Goffman 1961, Scheff 1964, Mechanic 1962) zeigt, dass eine Beschreibung der Tätigkeiten der offiziellen Agenten alles andere als hinreichend ist, wenn erklärt werden soll, wie es dazu kommt, daß jemand als geisteskrank definiert wird” (ebd.).

In diesem Fall leisten K.`s Freunde die Vorarbeiten. Sie gelangt nicht bis zu den formellen psychiatrischen Institutionen, obwohl sich dies ankündigt (vgl. ebd.).

Der Entstehung des Interviews liegt die Arbeit eines Universitätskurses zugrunde, in dem man sich mit der Frage beschäftigte, wie ein Laie dazu kommt, jemanden als geisteskrank einzustufen. Die Studierenden führten in diesem Zusammenhang Interviews durch, in denen der Befragte zunächst den Begriff “Geisteskrankheit” definieren und anschließend seine Geschichte zu diesem Thema aus seinem Bekanntenkreis erzählen sollte.

Das Interview des hier behandelten Fallbeispiels, befindet sich im Anhang dieser Hausarbeit.

Es kann durchaus “unter der Perspektive einer Geisteskrankheit gelesen werden” (ebd., S. 372) und folglich einen solchen Eindruck beim Leser hinterlassen. Analysiert man es jedoch im Hinblick auf die obengenannte ethnomethodologische Fragestellung, “dann wird es schwierig, nochmals jenes zu sehen, worin die Betreffende geisteskrank ist” (ebd.).

“Ein solches Interview ist ein Prozeß, in welchem die Befragte den Status ihrer Erfahrung, ihres Wissens und ihrer Definition von Ereignissen ausarbeitet und an dem Wissen etc. kontrolliert, das dem Interviewer als Repräsentanten der Kultur insgesamt zugeschrieben wird. Dieser Bericht ist daher ein weiterer Schritt in der Rechtfertigung der Definitionen, die dem Interview vorausgingen” (ebd., S. 374f).

Die dem Interview zugrunde liegenden tatsächlichen Ereignisse wurden von der interviewten Person auch noch während der 9 Befragung, “verarbeitet und in eine intelligible Form gebracht, eine Form, in der sie die Gestalt und die Richtung dieser Ereignisse sehen konnte” (ebd., S. 375).

Insgesamt gesehen sind die Kriterien der Zugehörigkeit zur Kategorie “Geisteskrankheit” jedoch unklar. “Es ist nicht klar, welche Normen verletzt worden sind, wenn jemand als geisteskrank eingestuft wird. Es ist aber eindeutig möglich, Verhalten in einer solchen Weise zu beschreiben, dass jeder diese Einstufung vollziehen wird und zwar voll überzeugt von deren Berechtigung. Daher muss es eine Menge von Regeln oder Verfahren geben, verhalten als Typ des geisteskranken Verhaltens darzustellen, und diese Verfahren müssen die normativen Bedingungen dafür erfüllen, daß Individuen als Mitglieder der Klasse der Geisteskranken eingestuft werden” (ebd., S. 373).

Ob K. wirklich eine Geisteskrankheit aufweist oder nicht, ist für die Analyse des Interviews irrelevant. Es ist nur wichtig, dass der Leser weiss, dass das Interview ausschließlich in der getippten Fassung (s. Anhang) vorliegt.

2.1.2 Analyse des Interviews

2.1.2.1 Darstellung durch Instruktionen

“Der erste Teil des Interviews – Zeile 1-20 – ist die Darstellung dessen, was Angela, die Befragte, aus der Perspektive des Interviewers erzählt hatte. In Zeile 21 wird die Erzählperspektive gewechselt. Die Geschichte wird von Angela erzählt mit der hinzugefügten Erklärung des Interviewers (Zeilen 25-28), daß Angela es leichter fand, die Geschichte in chronologischer Reihenfolge zu erzählen. In Zeile 21-24 erhält der Leser/Hörer eine Menge von 10

Instruktionen, wie das Interview zu lesen ist” (ebd., S. 382f).

Interessant sind beim Lesen des Interviews insbesondere zwei Punkte, die in auffälliger Art und Weise Instruktionen darstellen, wie der Bericht zu lesen ist:

“1. Dass K. >geisteskrank wird<, wird von Anfang an als Tatsache behauptet und diese Behauptung wird bis zum Ende aufrechterhalten” (ebd.) (Beispiele, s. 113-114, 135-136, 146-147).

Es wirkt also so, als ob K.`s Zustand eine Tatsache ist und bereits vorliegt, bevor er von den Freunden akzeptiert, erkannt, eingesehen oder zugegeben wird (vgl. ebd.).

2. Zugleich finden sich im gesamten Text Instruktionen, die K.`s Verhalten als “eigentümlich”, “fehlerhaft” etc. klassifizieren (vgl. ebd.). Diese sind zu lesen als Verhaltensweisen von jemandem, der im Begriff ist geisteskrank zu werden” (ebd.).

Die einzelnen Abschnitte des Interviews werden immer wieder zusammengefasst. “Dies kann aufgefasst werden sowohl als Zusammenfassung der vorangegangenen Beschreibung wie auch als Erneuerung der Instruktionen an den Leser/Hörer, wie das Folgende zu lesen sei (44-45, 82-84, 112-114, 143-144)” (ebd., S. 383f).

Die Tatsache, daß K.`s Geisteskrankheit dem Leser von vornherein mitgeteilt wird, legitimiert die Version der Freunde, die Krankheit nach und nach einsehen oder allmählich zugeben. Diesbezüglich dienen auch K.`s Verhaltensweisen, die durch die bereits erwähnten Instruktionen als abweichend wahrgenommen werden dazu, die Korrektheit des Urteils der Freunde zu legitimieren (vgl. ebd.).

Die Art der Berichterstattung definiert von vornherein, daß K. 11 geisteskrank ist, nicht jedoch ihre Freunde. Dadurch wird sie ausgeschlossen. Ihr Verhalten entspricht demnach nicht der Norm. Die Norm wird durch das Verhalten ihres sozialen Umfeldes bzw. ihrer Freunde festgelegt (vgl. ebd.) (Beispiele, s. 29-32, 16-18).

Folgt man beim Lesen des Interviews den erwähnten Instruktionen, finden sich im gesamten Text keine Informationen und Erklärungen von K.. Zusätzlich fällt es nicht auf, oder soll es nicht auffallen, dass an keiner Stelle irgendein Hinweis darauf erfolgt, daß K. um Erklärung, Information etc. gebeten wurde (vgl. ebd., S. 386).

“Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Satz von Regeln, Normen, Informationen, Beobachtungen etc., der dem Erzähler der Geschichte vorgelegt wird, von dem Leser/Hörer als der einzig gültige aufgefasst werden soll” (ebd.).

2.1.2.2 Darstellung als Tatsachenbericht

“Die Ereignisse selbst sind nicht Tatsachen. Es ist die Anwendung angemessener Kategorisierungsverfahren, welche aus ihnen Tatsachen macht. Eine Tatsache ist etwas, das bereits kategorisiert wurde, das bereits so aufgearbeitet wurde, dass es der Modellvorstellung entspricht, wie eine Tatsache auszusehen hat. Wenn etwas als Tatsache beschrieben oder behandelt wird, impliziert dies, dass die Ereignisse selbst – was vor sich ging – dem Erzähler der Geschichte ermächtigen oder autorisieren, eine bestimmte Kategorisierung als zwingend aufzufassen” (ebd., S. 387).

“Wenn etwas als Tatsache hingestellt werden soll, dann muss gezeigt werden, daß angemessene Verfahren angewandt wurden, um sie als objektiv auszuweisen. Es muss deutlich sein, daß sie jedem in gleicher Weise erscheint” (ebd.).

Einige einschlägige Verfahrenstechniken in dem vorliegenden Interview sollen an dieser Stelle kurz vorgestellt werden:

Dadurch, dass die Befragte angibt K.`s Freundin zu sein, wird eine positive Haltung ihr gegenüber suggeriert, so dass beim Leser/Hörer kein Zweifel an den Schilderungen aufkommt (vgl. ebd.).

Des weiteren “lässt sich eine Reihe von Schritten identifizieren, die dadurch definiert sind, dass jeweils eine Person zu dem Kreis derjenigen hinzugefügt wird, der erkennt oder weiß, dass etwas nicht in Ordnung ist” (ebd., S. 387f). Eine Gliederung des Textes gibt Aufschluß über diese “additive Struktur”:

I. Zeile 29-45, Angela allein
II. Zeile 40-45, Angela und Trudi
III. Zeile 78-102, Angela, Trudi und Angelas Mutter
IV. Zeile 164-184, Angela, Trudi, Angelas Mutter und Betty
V. Zeile 189-196, Angela, Trudi, Angelas Mutter, Betty und eine befreundete Dame der Familie (vgl. ebd.)

Es wird der Anschein erweckt, dass keine der hinzugefügten Personen vorher in die Geschichte involviert war. Sie kommen hinzu und erkennen, dass etwas mit K. nicht in Ordnung ist (vgl. ebd.).

“Diese Konstruktion ist besonders bemerkenswert, weil sie im Interview vorhandene Hinweise hinfällig macht, dass einige Personen bereits vorher dabei gewesen sind” (ebd.).

Hinweise im Text machen deutlich, dass alle auftauchenden Personen miteinander verbunden sind (z.B. eine Gesellschaftsschicht, gemeinsamer Freundeskreis, gemeinsames Auto usw.) (vgl. ebd.).

2.1.2.3 Darstellung durch Kontraststrukturen

Die oben erwähnte Kontextarbeit des Erzählers wird besonders durch die Verwendung sogenannter Kontraststrukturen deutlich. “Kontraststrukturen liegen vor, wenn einer Beschreibung von K.`s Verhalten eine Aussage vorangeht, welche die Instruktionen liefert, wie dieses Verhalten als anomal zu sehen ist” (ebd., S. 394) (Beispiele, s. 47-49, 114-116, 125-127).

“Der erste Teil der Kontraststruktur bietet die Instruktionen zur Auswahl der Kategorien passenden Verhaltens; der Zweite Teil zeigt das Verhalten, welches nicht passend war. Meistens definiert der erste Teil eine soziale Regel oder eine bestimmte Gelegenheit oder irgendein Merkmal in K.`s Verhalten” (ebd.).

Im gesamten Interview lassen sich sechs unterschiedliche Kontraststrukturen feststellen, die hier kurz vorgestellt werden sollen:

1. Hier scheint K. den anderen etwas vorspielen zu wollen, um ihre vermeintliche Schwäche zu vertuschen (Beispiele, s. 59-63, 125- 127).
2. Diese Art liefert zunächst eine Regel die durch K.`s Verhalten bestätigt wird. Anschließend wird eben diese Regel von K. gebrochen (Beispiele, s. 114-116, 117, 49-55).
3. Einem Verhalten K.`s in einer bestimmten Situation wird das normative Verhalten der anderen gegenübergestellt und macht es so zu einem “merkwürdigen” Verhalten (Beispiel, s. 29-32).
4. Hierbei handelt es sich um eine zusammengesetzte Kontraststruktur, die zwei Kontrastebenen enthält (Beispiel, s. 16- 17).
5. Bei dieser Art werden K.`s Verhaltensweisen so kommentiert, dass sie sinnlos erscheinen (Beispiel, s. 148f).
6. Dies ist keine eigentliche Kontraststruktur, sondern wird hier K.`s unsachgemäßer Umgang mit unterschiedlichen Gegenständen beschrieben (Beispiel, s. 121, 128- 131, 131-135).

2.1.2.4 Zusammenfassung

Es lässt sich erkennen, dass die Sammlung von Einzelheiten in diesem Bericht nicht sehr überzeugend sind. “Es gibt wenige Punkte, wenn überhaupt welche, die sofort überzeugen. Der Erzähler hat eine ganze Menge an Ausgestaltungsarbeit zu leisten, um K.`s Verhalten als den Verhaltenstyp Geisteskrank darzustellen. Die Sichtbarkeit dieser Ausgestaltungsarbeit ist einer der Gründe, derentwegen es sich lohnt, den Bericht derart detailliert zu analysieren” (ebd., S. 393).

So sind einige Schilderungen über K.`s Verhalten, betrachtet man sie außerhalb des vom Erzähler geschaffenen Kontext, alles andere als ausgefallen oder merkwürdig. Einige könnten bei einer leicht verschobenen Perspektive sogar als positive Eigenschaften gelten (vgl. ebd.).

Der Erzähler hat schon eine ganze Menge an Kontextarbeit zu leisten, um aufzuzeigen, wie das Verhalten als der Verhaltenstyp Geisteskrank angesehen werden kann (vgl. ebd.).

Abschließend läßt sich sagen, dass dieses Fallbeispiel einen guten Einblick in ethnomethodologisches Arbeiten bietet. Es zeigt genau mit welchen Methoden versucht wird, dem Leser/Hörer zu vermitteln, daß hier von einer Geisteskranken berichtet wird. Das “Wie” leitet den Weg der Analyse des Interviews und macht versteckte Instruktionen, den Anschein von Tatsachen und die Verwendung von Kontraststrukturen sichtbar.

2.2 Bruce A. Katz und Wesley W. Sharrock. Eine Darstellung des Kodierens.

2.2.1 Das Kodieren als Technik der Sozialwissenschaft

Die Befragungen von Gesellschaftsmitgliedern und die Auswertung der von ihnen „als Zeugnisse ihrer gesellschaftlichen Aktivitäten hervorgebrachten Dokumente“ (Katz / Sharrock 1976, S. 244) zählen zu den beliebtesten Techniken der Soziologie, um etwas über die Gesellschaft zu erfahren.

Die Aufzeichnungen von Antworten werden gesammelt und zur Auswertung bereitgestellt. Die gesamte Anzahl der Aufzeichnungen wird zusammengestellt, die Zusammenstellung der Dokumente als Materialkorpus bezeichnet. Der Forscher betrachtet bei seiner Arbeit nicht jede einzelne Aufzeichnung für sich, sondern er betrachtet das vollständige Materialkorpus als Untersuchungsobjekt. Allerdings ist das Materialkorpus nur dann brauchbar, wenn es einer Transformation unterzogen wird, wenn es dem Forscher zusammengefasst zur Verfügung gestellt wird.

„Diese Materialtransformation wird in einer Operation durchgeführt, die man als ´Kodierung` kennt“ (ebd.).

Die Kodierung stellt eine Zusammenfassung jeder einzelnen Aufzeichnung dar, die immer unter speziellen Anweisungen der Forscher erfolgen. Es geht nicht darum den Inhalt irgendwie zusammenzufassen, sondern der Inhalt der einen Aufzeichnung muss mit dem Inhalt der nächsten Aufzeichnung vergleichbar sein.

Der Forscher entwickelt Anweisungen für den Kodierer, unter welchem Schwerpunkt das Dokument betrachtet werden soll.

„Kodieren ist eine Tätigkeit, die ´nach Anweisung` verrichtet wird, und zwar so, daß sie schließlich Zusammenfassungen, die als das Ergebnis standardisierter Tätigkeit angesehen werden können, produziert und nicht solche, die alles das enthalten , was der Kodierer gerade für wertvoll hielt, für interessant, für aufbewahrenswert etc.“ (ebd., S. 245). 16

Die Kodieranweisungen werden vorbereitet und diejenigen, die die Kodierarbeit ausführen sollen, sind aufgefordert, sich bei der Verrichtung der Arbeit an diese Anweisungen zu halten.

Es ist jedoch bekannt, dass der Kodierer auch in der Befolgung der Anweisungen seine persönliche Entscheidungsfähigkeit einsetzen wird.

„Coden ist das technische Verfahren, durch welches die Daten in Kategorien eingeteilt werden. Durch Coden werden die rohen Daten in Symbole - gewöhnlich Zahlen - transformiert, die tabuliert und gezählt werden können. Die Umsetzung erfolgt indessen nicht automatisch; sie erfordert Urteilsfähigkeit von seiten des Coders“ (Selltiz et al. 1962, S. 401, zitiert nach: Katz / Sharrock 1976, S. 245).

Der Sozialforscher ist somit aufgefordert, die Kodierarbeit zu überwachen und sicherzustellen, dass die Kodierer bei der Anwendung der Kodieranweisungen die gleichen Resultate erzielen und dass sie jede Anweisung befolgen.

Die vorliegende Arbeit von Katz und Sharrock will nicht das Kodieren als ein Verfahren soziologischer Forschung kritisieren, sondern das Kodieren selbst wird in den Mittelpunkt der Forschung gestellt. „Wir sind also am Kodieren als einem sozialen Phänomen interessiert, das, wie jedes andere, soziologisch erforscht werden kann“ (Katz / Sharrock 1976, S. 247).

2.2.2 Inhalt und Daten der Untersuchung

Die Materialien, auf die sich die Untersuchung bezieht, bestehen aus transkribierten Tonbandaufnahmen von Gesprächen, die sich zwischen Personen ergaben, die mit der Durchführung eines Forschungsunternehmen beschäftigt waren. Die Forschung sollte etwas über „die Organisation der häuslichen Angelegenheiten in der Gesellschaft herausfinden, speziell etwas über die Art der materiellen Ausstattung dieser Haushalte und die Weise, in der jene in den Haushalten eingesetzt wird“ (ebd.).

Zur Untersuchung gehört der Einsatz eines Interviewbogens und die anschließende Kodierung dieser Bögen. Die Art der Fragen wird genau festgelegt und bestimmt. Für die Befragung wurde eine Auswahl der Bevölkerung einer großen nordamerikanischen Stadt getroffen.

Die für die Arbeit von Katz und Sharrock verwandte Tonbandaufzeichnung wurde im Verlauf der Untersuchung von einem Forscher gemacht, um eine Aufzeichnung von einigen der Dinge zu haben, die sich während des Kodierens ereignen.

Die Absicht der Aufzeichnung der Gespräche liegt darin, dem Forscher durch einen Bericht des Kodierers darüber Aufschluss zu geben,wiedie Kodierarbeit durchgeführt wurde. Das Gespräch enthält somit für den Forscher eine Aufzeichnung der Mittel und Methoden der praktischen Kodierarbeit.

Der Bericht besteht hauptsächlich aus der Darstellung der Probleme, die im Verlaufe des Kodierens auftauchten, und der Lösungen, mit denen diesen Problemen begegnet wurde.

Die Gespräche sind nach zwei Mustern aufgebaut (vgl. ebd., S. 249):

1. Der Kodierer berichtet, ob es mit dem betreffenden Kodiertem Probleme gab oder nicht:

Bsp. Äußerung 60. Forscher: Hm, okay. Was ist mit dem

Schwimmbecken?

61. Kodierer: Okay, das einzige wirkliche Problem mit Schwimmbecken waren die Kinderschwimmbecken, bei denen es fraglich war, ob sie als acht oder neun, als Schwimmbecken, oder als zweiundzwanzig, als Teil der Kinderspielausrüstung klassifiziert werden sollten.

2. Der Forscher fragt, ob sich irgendwelche Probleme bei dem betreffenden Kodiertem ergaben:

Bsp. Äußerung 90. Forscher: Achtzehn ist in Ordnung, was ist mit dem

Tennisplatz? Irgendwelche Probleme?

91. Kodierer: Ach nein, nur wenige Leute hatten weche...

Diese Gesprächsanlage deutet darauf hin, dass der Forscher selbstverständlich annimmt, dass bei der Kodierarbeit Probleme auftauchen können. „Es ist für ihn eine alte Einsicht, daß es Probleme geben könnte, und es ist auch kein außergewöhnliches Stadium der Untersuchung, daß sich tatsächlich Probleme ergaben“ (ebd.).

Aufgrund der Aufzeichnungen kann der Forscher die Probleme, die sich aufgrund der Kodieranweisungen ergaben, erkennen und weiterhin feststellen, wenn etwas Unerwartetes eingetreten ist, für das die Kodierarbeiten nichts vorgesehen haben.

2.2.3 Die Funktion der natürlichen Sprache im Kontext des Kodierens

Die Sprache bildet das Material für die Tätigkeit der Untersuchenden, gilt jedoch nicht als Thema.

Der Kodierer arbeitet mit den ausgefüllten Interviewbögen und unterstellt, dass die Bögen das wiedergeben, was die Interviewten „gesagt“ haben. Er spricht gewöhnlich nicht von den Bögen als „geschriebenen“ Materialien, sondern spricht meist davon, was der Befragte zu den einzelnen Themen „zu sagen hatte“ (ebd., S. 250). (Bsp.: 47. Kodierer: „Wenn zum Beispiel die Leute Gartensagen, was tut man da?“ (ebd.)).

Für die Auswertung der Untersuchung ist es notwendig zu unterstellen, dass die am Forschungsvorhaben Beteiligten eine gemeinsame Sprache sprechen. Man geht von der Voraussetzung aus, dass das Reden des befragten Gesellschaftsmitgliedes für Interviewer wie Kodierer verständlich ist, denn nur so kann die Bedeutung der Aussage erfasst werden. Im Vorgang des Kodierens stellt „Sprache“ kein Thema dar; „Sprache“ wird genutzt, um andere Dinge herauszufinden.

Die Untersuchung von Katz und Sharrock wiederum stellt die im Sprachgebrauch selbst liegenden Eigenschaften und Methoden in den Mittelpunkt:

„Wir wollen verstehen, wie Sprachbenutzer in sozialen Situationen (welcher Art sie auch sind) dem Reden anderer Reaktionsweisen zuordnen, wie sie seine Bedeutung und Glaubwürdigkeit und eine angemessenen Organisatorische Handhabung bestimmen. Wir beabsichtigen, einige Auszüge der Transkription zu untersuchen, um Einblick zu erhalten, wie die vorausgesetzte Beherrschung der natürlichen Sprache durch den Kodierer bei der Kodiertätigkeit eingesetzt wird...“ (ebd., S. 252).

Der Kodierer trifft während seiner Arbeit auf Aussagen der Interviewten, die sich teilweise nicht eindeutig in Kodierkategorien zuordnen lassen. In diesen Situationen ist der Kodierer gefordert, die Äußerungen den Kodierkategorien auf eine Weise zuzuordnen, die eine richtige Unterbringung erkennen lässt. „In seiner Sicht verlangt die Praxis des Kodierens von ihm, eine Vielfalt von Antworten auf Interviewfragen als einwandfreie Fälle derselben Kodierkategorie zu identifizieren“ (ebd.). Eine Spalte in der Kodieranleitung trägt zum Beispiel die Überschrift „Kinderspielausrüstung“.

Der Kodierer ordnet dieser Spalte jedoch nicht nur die Antworten der Interviewten zu, die eindeutig als „Kinderspielausrüstung“ benannt wurden, sondern er weiss, dass Hinweise auf „Schaukel“, „Wippe“, „Klettergerüst“ oder „Sandkasten“ unter „Kinderspielausrüstung“ zusammengefasst werden können, „wenn jene Identifizierung als Kategorie behandelt wird“ (ebd.).

Der Kodierer nimmt somit an, dass er von seiner Fähigkeit Gebrauch machen soll, beispielsweise Synonyme und Metaphern zu erkennen, um die Kodierung einer Antwort festzulegen.

In den folgenden Beispielen werden mögliche Probleme beschrieben und verdeutlicht, wie die „Sprachbeherrschung“ des Kodierers bei der Ermittlung der genauen und tatsächlichen Bedeutung von Aussagen verwendet wird.

2.2.3.1 Das Problem der doppeldeutigen Zuordnung - Das Planschbecken (ebd., S. 254 f.)

„Der Kodierer handelt, als sei er verpflichtet, den Dingen nur eine einzige Bestimmung im Kode zu geben, und steht darum vor dem Problem der Wahl zwischen ´alternativen` Möglichkeiten der Kodierung des gleichen Items“ (ebd., S. 255).

Einige der benannten Objekte lassen sich scheinbar in verschiedene Spalten der Kodierliste eintragen. Die Kategorie „Schwimmbecken“ wird anscheinend so behandelt, dass sie „Becken“ aller Art vereinigt und somit fällt auch das „Planschbecken“ in diese Kategorie.

Nun ist es jedoch so, dass „Planschbecken“ nach gewöhnlicher Vorstellung ausschließlich von Kindern zum Spielen gebraucht werden und daher auch unter „Kinderspielausrüstung“ kodiert werden könnten. Der Kodierer löst das Problem, indem er sich für eine Form der Zuordnung entscheidet und diese dann konsequent anwendet.

Allerdings hat diese vom Kodierer getroffenen Auffassung meist zur Folge, dass er sich verpflichtet fühlt, sein Verfahren, „ist es erst einmal eingeführt, zu respektieren und es auch auf andere Fälle als jene anzuwenden, für deren Lösung es zuerst bestimmt war“ (ebd.). Am Beispiel „Planschbecken“ bedeutet das, dass durch die Zuordnung des „Planschbeckens“ in die Kategorie „Kinderspielausrüstung“ die Kodierung von „Schwimmbecken“ schwierig geworden ist.

Es gibt bestimmte Dinge, die Leute „Schwimmbecken“ nennen, die aber auch zur „Spielausrüstung“ gezählt werden könnten. So gibt es zum Beispiel „Schwimmbecken“, die nur kurzfristig aufgebaut werden, kleiner als „eingebaute Schwimmbecken“ sind und somit den „Planschbecken“ ähnlicher erscheinen.

Der Kodierer weiss jedoch nicht unabhängig von den Formulierungen der Befragten, was mit der von ihnen getroffenen Aussage „Schwimmbecken“ gemeint ist und kann darum nicht wissen, wann er sein Verfahren einsetzen soll. Somit kann er mögliche Fehler innerhalb der Kodierergebnisse hervorbringen (Bsp.: 71. Kodierer: „So kann eine ganze Reihe von Planschbecken dabei sein“ (ebd., S. 257)).

Dieses Beispiel zeigt, dass der Kodierer daran interessiert ist, „vielmehr ´die Tatsachen` als die von den Befragten gemachten Aussagen zu kodieren“ (ebd.).

2.2.3.2 Eindeutige Zuordnung - Bsp. Stall, Schuppen (ebd., S. 258)

Der Forscher erkundigt sich nach den Kategorien Stall und Schuppen und erhält die Antwort des Kodierers, dass es sich hierbei um eine eindeutige Zuordnung handelt:

109. Kodierer: „Das war recht eindeutig, weil Leute, die welche haben, sich dessen wahrscheinlich ganz bewußt sind, daß sie Ställe haben, und sie beabsichtigen, dir darüber zu erzählen.“ [...]

118. Forscher: „Du hast das wörtlich genommen, wenn sie sagten ( )“

119. Kodierer: „Ja, besonders diese Sachen, die nur sehr wohlhabende Leute haben, natürlich neigen diese Leute dazu so gut wies geht, alles ganz genau aufzuführen und lassen einen vielleicht ganz gern wissen, was sie haben. Also da gab es keine wirkliche Zweideutigkeit bei dieser Art Ausstattung“ (ebd., S. 258).

In diesem Beispiel werden die getroffenen Aussagen der Befragten vom Kodierer nicht bezweifelt, sondern als Tatsache hingenommen. Hierfür liegt die Begründung darin, dass der Kodierer als Mitglied der gleichen sozialen Welt, die Bedeutung des Redens eines Gesellschaftsmitgliedes begreifen kann.

Zusätzlich behandelt er einige Mitglieder gegenüber anderen als sprachkundiger, da er sie für fähig hält, ihr Eigentum genau und präzise zu bezeichnen. „Wenn jene Personen daher beanspruchen, dieses oder jenes zu besitzen, dann gäbe es keinen Anlaß zu vermuten, daß sie es falsch benannt oder falsch identifiziert haben“ (ebd., S. 259).

Er kann aufgrund seiner Kompetenz als Gemeinschaftsmitglied entscheiden, wann er das vom Befragten akzeptiert und somit die Behauptungen der Interviewten als unzweifelbar betrachtet.

2.2.4 Zusammenfassung

Die Zuordnung einer Antwort in eine bestimmte Kategorie durch den Kodierer erfolgt bloß auf der Basis von Materialien, die er in Form von ausgefüllten Bögen zur Hand hat, der Kodieranweisungen und seinem Alltagsverständnis von der Gesellschaft.

Diese Sachen müssen ausreichen, um eine Klärung zustande zu bringen. Kann eine Bestimmung nicht auf der Grundlage dieser Materialien geleistet werden, wird der Kodierer sie unklar lassen und auf der Basis einiger schon durchgeführter Kodierungen entscheiden (vgl. ebd., S. 262).

Eine bisher noch nicht benannte Methode, um eine Kategorie eindeutig zu bestimmen, liegt darin, „jede einzelne Antwort unter Bezugnahme auf andere Antworten“ (ebd., S. 263) zu behandeln.

Um eine Entscheidung über eine problematische Antwort zu fällen, werden die anderen Antworten mit verwendet:

26. Kodierer: „weil man auf Leute stößt, die angeben, daß sie einen Garten haben, und die dann sagen, daß sie ah ihre Kinder in ihm spielen und sie abends in ihm sitzen. Jetzt konnte ich ermitteln, daß das kein Gemüsegarten war.“

27. Forscher: „Hm.“

28. Kodierer: „Aber so recht oft gab es da keine solchen Hinweise, auch wenn ich eine Ahnung hatte. In solchem Fall habe ich es so kodiert, wie es angegeben wurde, eben als Garten (ebd.)

Der Kodierer ist wie bereits erwähnt, daran interessiert, Tatsachen herzustellen. Er verwendet bestimmte Methoden, um sicherzustellen, dass Tatsachen und nicht die Behauptungen der Befragten kodiert werden. Diese von ihm zustande gebrachten Lösungen sind „durch seine Übereinstimmung mit demZweckdes Kodierunternehmens motiviert und nicht durch seine eigenen spezifischen Präferenzen, Neigungen, Gefühle,...“ (ebd., S. 268). Das obige Beispiel zeigt, dass er nicht bereit ist, eine Kodierung auf der Grundlage seines eigenen Verdachts vorzunehmen, sondern er ist „statt dessen bereit, seinen eigenen Verdacht ohne Konkretisierung zu verwerfen, falls er nicht irgendeinen augenscheinlichen Hinweis auf die Existenz der vermuteten Tatsachen bestimmen kann“ (ebd.).

Nach Katz und Sharrock sehe der Kodierer die Vermeidung eigener Urteile als ein angemessenes Merkmal der Kodierarbeit an (vgl. ebd., S. 269).

Der Kodierer hat nur dann eine andere Zuordnung des benannten Merkmals in eine andere Kategorie, als von den Interviewten selbst benannt, vorgenommen, wenn er als kompetenter Sprachverwender in der Lage war, seine eigenen Schlüsse über das „was gemeint war“ zu ziehen. Auf diese Weise werde die Bemühung des Kodierers um die Objektivität des Unternehmens sichtbar (ebd., S. 270).

Die Darstellung der Arbeit durch den Kodierer selbst macht die Tatsache beobachtbar, daß der Kodierer während der Kodierarbeit eigene Schlüsse zog und Veränderungen vornahm, „aber daß er seine Kodierarbeit nicht auf dieser Basis organisierte“ (ebd.).

„Er wird somit als bewusster Kodierer erkennbar, als einer, der die Erfordernisse seiner Aufgabe respektiert hat, obwohl er auch anders gekonnt hätte“ (ebd.).

Literatur

1. Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Bd. I Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie. Reinbek 1973.

2. Weingarten, E.: Ethnomethodologie. Die methodische Konstruktion der Realität. In: Elmar Weingarten (Hrsg.): Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1976. S. 7-26.

3. Hill, Richard J. und Kathleen S. Crittenden: Proceedings of the Purdue Sympsium on Ethnomethodology. Lafayette (Ind.). Institut for the Study of Social Change, Purdue University, Monograph No. I 1968.

4. Katz, Bruce A. / Sharrock, Wesley W.: Eine Darstellung des Kodierens. In: Elmar Weingarten (Hrsg.): Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1976. S. 244 - 270.

5. Selltiz, Claire, Marie Jahoda, Morton Deutsch und Stuart W. Cook: Untersuchungsmethoden der Sozialforschung, Teil I und II. Neuwied / Darmstadt 1972.

6. Smith, Dorothy E.: K. ist geisteskrank. Die Anatomie eines Tatsachenberichtes. In: Elmar Weingarten (Hrsg.): Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1976. S. 368 - 415.

Anhang

1. Smith, Dorothy E.: K. ist geisteskrank. Die Anatomie eines Tatsachenberichtes. In: Elmar Weingarten (Hrsg.): Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1976. S. 376 - 380.

2. Hand - Out zum Referrat vom 08. 06. 2000

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Ethnomethodologie
Autor
Jahr
2000
Seiten
25
Katalognummer
V99734
ISBN (eBook)
9783638981712
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethnomethodologie
Arbeit zitieren
Eva Müller (Autor:in), 2000, Ethnomethodologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99734

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