Das Privatsprachenargument Wittgensteins. Können wir über Empfindungen sprechen?


Hausarbeit, 2020

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Einführung
1.2 Motivierung der Fragestellung

2. Funktion von Sprache

3. Wittgensteins Sprachkonzept in den Philosophischen Untersuchungen
3.1 Kritik am Augustinischen Sprachkonzept und Bedeutung als Gebrauch
3.2 Empfindungswörter
3.3 Das Privatsprachenargument
3.4 Das Käfergleichnis

4. Zusammenfassende Beantwortung der Fragestellung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Einführung

Die Sprache ist nicht nur eines der wichtigsten Elemente unserer emotionalen und sozialen Kommunikation, sondern auch das „Medium des Denkens und der Weltauffassung schlechthin“.1 Schätzungen des Dudens zufolge gibt es im Deutschen zwischen 300.000 und 500.000 Wörter, von denen ein Mensch in Deutschland durchschnittlich 50.000 problemlos verstehen kann, da er dessen Bedeutung kennt.2 Im Laufe des 19. Jahrhunderts richteten Sprachphilosophen ihre Aufmerksamkeit immer stärker auf das Problem der Bedeutung. Was bezeichnen Wörter und Sätze? Wie bezeichnen sie es, und bezeichnen alle Wörter und Sätze auf gleiche Weise? Was ist die Beziehung zwischen Bedeutung und Wahrheit?

Der österreichisch- englische Philosoph Ludwig Wittgenstein übt mit seinem Werk Philosophische Untersuchungen (1953) einen außerordentlichen Einfluss auf die Philosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus und prägt die zeitgeschichtliche Entwicklung der Sprachphilosophie nachhaltig. Statt die Umgangssprache als defizitär und daher als für die Philosophie ungeeignet und verbesserungswürdig zu postulieren, sieht der späte Wittgenstein gerade in der Beschäftigung mit der alltäglichen Sprache die Möglichkeit, Erkenntnis und Klarheit zu erlangen. Indem Wittgenstein die Behauptung aufstellt, dass die Struktur der Sprache bestimmt, wie wir die Realität wahrnehmen und über sie denken, löst er sich von der alten philosophischen Auffassung, dass Wörter eine wesensmäßige Bedeutung haben; dass sie sich auf Ideen (z.B. Platon) oder Dinge und ihre Abbildung (z.B. Positivisten) beziehen und eben dies ihr Wesen ausmache und begründet in den Philosophischen Untersuchungen die Philosophie der normalen Sprache.3

1.2 Motivierung der Fragestellung

Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Hausarbeit liegt auf dem Privatsprachenargument Wittgensteins, welchem die These zugrunde liegt, dass es keine Sprache geben kann, deren Wörter sich auf etwas beziehen, wovon nur der Sprecher selbst wissen kann. Doch wie sähen solche Wörter aus? Vorrangig geht es Wittgenstein um Wörter unserer subjektiven Empfindungen, denn „nur ich kann wissen, ob ich wirklich Schmerzen habe; der Andere kann es nur vermuten (zitiert nach: Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971. Taschenbuch 14, § 246 im Folgenden abgekürzt mit PU).“

Worin besteht der Sinn des Arguments gegen eine Privatsprache und was bedeutet die These der Unmöglichkeit einer Privatsprache für das Sprechen über unsere Empfindungen? Zum Einstieg wird anhand ausgewählter philosophischer Sprachkonzepte ein Einblick in die Funktion von Sprache gegeben, wobei sowohl die Vielfältigkeit der verschiedenen Positionen als auch die die Sprachphilosophie betreffenden Fragestellungen zum Ausdruck kommen. Für die Gewährleistung eines Grundverständnisses der Gedanken in den PU werden zunächst das wittgensteinische und das augustinische Sprachkonzept gegenübergestellt und die Begriffe „Empfindungswörter“ und „Privatheit“ näher definiert. Anschließend wird unter Berücksichtigung der zentralen Textstellen das Privatsprachenargument analysiert, um in einer zusammenfassenden Begründung eine abschließende Antwort auf die Frage zu geben, ob wir im Verständnis Wittgensteins über unsere Empfindungen sprechen können.

2. Funktion von Sprache

Die Frage nach dem Wirklichkeitsbezug der Sprache, welche schon seit der Antike diskutiert wird, fällt in den Forschungsbereich der Sprachphilosophie, in der untersucht wird, wie die Sprache als Tätigkeit des Geistes bei der Schaffung der menschlichen Wirklichkeit zu erklären ist. Die Frage nach der Verbindlichkeit von Sprache beschäftigte unter anderem bereits Demokrit und Platon. Letzterer beispielsweise meint, dass die Richtigkeit der Sprache entweder in ihrer Naturgemäßheit selbst liegt oder dass Sprache eine reine Konvention dar, woraus folgen würde, dass ihr Bedeutungsgehalt beliebig und Richtigkeit demzufolge willkürlich sei. Die Repräsentative Funktion der Sprache wird vor allem durch Aristoteles´ Auffassung Worte seien Zeichen für Vorstellungen betont. Statt die Funktion der Sprache nur noch auf ihre Bezeichnungs- und Kommunikationsfunktion zu beschränken, wird die Bedeutungsfunktion zum wesentlichen Forschungsgegenstand der Diskussionen.

Sowohl die nominalistische als auch die rationalistische Position sieht die Funktion von Sprache in der Fixierung und Erinnerung der Gedanken, woraus folgt, dass Worte als Zeichen für Begriffe, Gedanken und Ideen dienen.

Während Sprache hier also vor allem als Repräsentation der Realität funktioniert, stellen unter anderem der Humanismus die wirklichkeitserschließende Kraft der Sprache heraus. Sprache sei die Darstellung des Seienden, demzufolge kann es kein vorsprachliches Seiendes und auch kein sprachunabhängiges Denken geben. In der gegenwärtigen Diskussion hat Ferdinand de Saussure, indem er Sprache als ein System von Zeichen versteht, wobei die sprachlichen Zeichen eine Vorstellung mit einem Lautbild verknüpfen, entscheidende Arbeit geleistet. Sprache sei laut Saussure die Leistung einer Sprachgemeinschaft, welche durch die Vereinbarung gemeinsamer Bedeutungszuschreibungen und Gebrauchsregeln entstanden ist.4

Die Betrachtung der vielfältigen Ansätze sprachphilosophischer Reflexion verdeutlicht als gemeinsamer Nenner vor allem die Frage nach der Funktion von Sprache (Repräsentative Funktion, Kommunikative Funktion, mnemonische Funktion, erkenntnisfundierende Funktion). Die von Wittgenstein mitbegründete analytische Philosophie untersucht das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit und das von Sprache und Bewusstsein. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass die Sprache uns die Welt erschließt und unser Verhältnis zur Welt in ihr zum Ausdruck kommt.

3. Wittgensteins Sprachkonzept in den Philosophischen Untersuchungen

3.1 Kritik am Augustinischen Sprachkonzept und Bedeutung als Gebrauch

Wittgenstein eröffnet die PU mit dem folgenden Zitat des christlichen Kirchenlehrers Augustinus von Hippo (354 – 430) aus dessen ‚Confessiones‘ (Bekenntnisse; autobiographische Betrachtungen):

„Nannten die Erwachsenen irgend einen Gegenstand und wandten sie sich dabei ihm zu, so nahm ich das wahr und ich begriff, daß der Gegenstand durch die Laute, die sie aussprachen, bezeichnet wurde, da sie auf ihn hinweisen wollten. […] So lernte ich nach und nach verstehen, welche Dinge die Wörter bezeichneten, die ich wieder und wieder, an ihren bestimmten Stellen in verschiedenen Sätzen, aussprechen hörte (PU 1).“

Laut der Beobachtung Augustinus´ verfährt das menschliche Sprachsystem folgendermaßen: „Jedes Wort hat eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist dem Wort zugeordnet. Sie ist der Gegenstand, für welchen das Wort steht (PU 1).“

Demzufolge sind „Wörter […] nicht mehr als Benennungen von Gegenständen, Sätze lediglich die Verbindung von Wörtern.“5, wobei die Verbindung zwischen Name und Gegenstand durch Zeige- bzw. Benennungshandlungen hergestellt wird. „Das Lehren der Sprache ist hier kein Erklären, sondern ein Abrichten (PU 5).“

Indem Wittgenstein das Augustinische Sprachmodell auf andere Wortarten am Beispiel der Wörter rot und fünf überträgt (vgl. PU 1), demonstriert er dessen‘ „zu einfache […] Auffassung der Sprache (PU 4)“, welche zunächst nur Hauptwörter wie Tisch, Stuhl, Brot und die Namen von Personen, einschließt (vgl. PU 1). Mit diesem Beispiel legt Wittgenstein die Schwächen des Augustinischen Sprachkonzepts im Sinne einer Ding-Deutungs-Relation offen und bringt es in Erklärungsnöte, sobald der Bereich der Hauptwörter verlassen und sich auf Tätigkeiten und Eigenschaften bzw. andere Wortarten bezogen wird, die sich nicht durch einfaches Zeigen auf Gegenstände bestimmen lassen. Denn sobald „man auf ein rotes Farbmuster oder fünf nebeneinander gelegte Streichhölzer [deutet], so muss, damit die Definition gelingt, zuerst klar sein, dass im einen Fall auf die Farbe, im anderen auf die Anzahl gezeigt wird.“6 Wittgenstein zufolge wird die Bedeutung eines Begriffes nicht allein im Bezeichnen erklärt, sondern im Gebrauch (durch Regeln, durch die Grammatik) innerhalb der sozialen Gemeinschaft oder Kulturen bestimmt, wobei das Verständnis und die Bedeutung eines Wortes nur in der Anwendung selbst zu erlernen sei, denn „die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache (PU 43).“ Um dies zu verdeutlichen, illustriert er eine Situation, in der diese „primitive Sprache“ von einem Bauenden A und einem Gehilfen B genutzt wird. Die Aufgabe von B ist es, A Würfel, Säulen, Platten und Balken zu reichen, wenn A das dazu gelernte Wort ausruft. B hat durch das hinweisende Lehren der Wörter gelernt, den jeweiligen Gegenstand mit dem Ausruf kognitiv zu verknüpfen, sodass er A den jeweils ausgerufenen Stein reicht (vgl. PU 2) Der Grund für das Gelingen der Situation ist Wittgensteins Auffassung nach nicht die Verbindung der Bezeichnung mit dem Gegenstand, sondern die Umgebung, die Baustelle, auf der Würfel, Säulen, Platten, Balken „Elemente der Baustellenpraxis sind.“7 In einem anderen nicht gewohnten Situationskontext würde die Kommunikation nicht funktionieren, denn die Wortbedeutungen sind „mit dem Ablauf der Tätigkeit, in die die Äußerungen eingebettet sind, unentwirrbar vermischt und von ihm abhängig.“8

3.2 Empfindungswörter

Sprachliche Ausdrücke, die wir für unsere Empfindungen verwenden (wie Freude, Sympathie, Mut, Schuld, Ärger, etc.) lassen annehmen, dass hier von Gegenständen die Rede ist (und zwar psychische, Gegenstände im Inneren), welche wir durch unseren introspektiven Zugang, d.h. indem wir unseren Blick in unser Inneres Selbst richten und gewissermaßen im Inneren auf die Empfindung zeigen, erfassen können.

Wenn eine Empfindung ein Gegenstand sei, dann sei sie nur für ein jeweiliges Bewusstsein wahrnehmbar, bedeutet eine introspektive Erkenntnis gleichzeitig einen privilegierten Zugang (epistemische Privatheit) zu der Empfindung. Das innere Erlebnis einer Person würde zur privaten Empfindung des Sprechers selbst werden.

Empfindungen können in dreierlei Hinsicht privat sein: Sie können privat im Bezug auf zu Eigen oder unveräußerlich sein (ontologische Privatheit), d.h. es wird davon ausgegangen, dass niemand anderes meine Schmerzen haben kann, allerdings könne eine Person einen Schmerz empfinden, der dem meinen gleicht. Epistemische Privatheit betont meinen privilegierten Zugang zu meinen Empfindungen, während die Deutungen anderer nur auf der Beobachtung meiner Ausdrucks- und Verhaltensweisen basieren. Kombiniert man die ontologische mit der epistemischen Privatheit, ergibt sich die semantische Privatheit, welche annimmt, dass man sich beim Sprechen über Empfindungen auf ontologische und epistemisch private Empfindungen bezieht, woraus folgen würde, dass der Sprecher eine Privatsprache, eine nur ihm verständliche, auf seinen privaten Empfindungen beruhende Sprache, spricht.9

[...]


1 Vgl. Stetter 2004, S.96

2 Vgl. Ziegler (05.11.2020).

3 Im Tractatus logico philosophicus vertritt der frühe Wittgenstein als Anhänger der Philosophie der idealen Sprache (Gegenposition der Philosophie der normalen Sprache) die Ansicht, dass die Umgangssprache Defizite aufweise. Die Umgangssprache sei ungenau und genüge zahlreichen Ansprüchen der Logik nicht und sei daher für die Philosophie nicht gut geeignet. Verfolgt wurde das Ziel einer Revision der normalen Sprache für philosophische Zwecke, was die Ersetzung der normalen Sprachen durch eine „ideale“ formale Sprache beinhaltete.

4 Vgl. Prechtl/ Burkhard 2008, S.576-577.

5 Vgl. Goppelsröder 2007, S.65.

6 ebd.

7 Vgl. Goppelsröder 2007, S.68.

8 Vgl. Ogden/ Richards 1974, S. 338 und 345.

9 Vgl. Hoegl 2003, S.372.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Das Privatsprachenargument Wittgensteins. Können wir über Empfindungen sprechen?
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
14
Katalognummer
V997765
ISBN (eBook)
9783346371188
ISBN (Buch)
9783346371195
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprachphilosophie, Wittgenstein, Privatsprache, Sprache, Sprachspiele, Sprachregeln
Arbeit zitieren
Bela Selzer (Autor:in), 2020, Das Privatsprachenargument Wittgensteins. Können wir über Empfindungen sprechen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/997765

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