Fontane, Theodor - Effi Briest - Ein selbstbestimmtes Leben?


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

11 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Julia Groß

Effi Briest - Ein selbstbestimmtes Leben?

Vorwort

Um die Frage beantworten zu können ob das Leben der Effi Briest von Theodor Fontane, der den Roman 1895 veröffentlichte, ein von ihr selbst bestimmtes war, so muss man sich nicht nur mit deren Lebensweg, sondern auch mit der Rolle, die die Frau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt auseinandersetzen.

Deshalb wird im ersten Kapitel das Frauenbild, das in dieser Zeit vorherrscht dargestellt. In den darauffolgenden Kapiteln wird Effis Leben anhand wichtiger Stationen nachgezeichnet, um die Entscheidungsfreiheit der jungen Adeligen genauer zu beleuchten.

Fontane und das Frauenbild im 19. Jahrhundert

Wenn man sich die Aussage des Philosophen Schopenhauer, dessen Gedankengut das Bild der Frau, vor allem im Adel und Bürgertum in dieser Zeit stark beeinflusst, vor Augen hält, wird man sich über den Platz den die Selbstbestimmung in dem Leben der Frauen spielt, schnell klar: ,,Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass das Weib weder zu großen geistigen noch körperlichen Arbeiten fähig ist. Es trägt die Schuld des Lebens nicht durch Tun sondern durch Leiden ab, durch die Wehen der Geburt, die Sorgfalt für das Kind, die Unterwürfigkeit unter den Mann, dem es eine geduldige und aufheiternde Gefährtin sein soll."1

Fontane selbst kritisiert diese haarsträubende Frauenfeindlichkeit. Er äußert sich über Arthur Schopenhauers Stellungnahme folgendermaßen: ,,Das ganze ,,Kapitel über die Weiber" zählt zu den schwächsten was man sich denken kann; es ist das Gequackel eines eigensinnigen, vorurteilsvollen, persönlich vergrätzten alten Herren."2

Trotzdem kann man ihn nicht als Frauenrechtler bezeichnen. Wenn man folgende Äußerung aus einem Brief an seine Ehefrau zur Debatte über das Frauenstimmrecht bedenkt: ,,Man kann allen diesen Dingen gegenüber sagen warum nicht! aber doch mit größerem Recht wozu?"2 Das Leben im 19 Jahrhundert ist also von dem Konflikt zwischen dem Individuum und den geltenden Normen, Konventionen und Bewusst-seinsinhalten geprägt, die das Leben aller und das des einzelnen stark dominieren; zum Teil so stark, dass kein Platz für eigene Entscheidungen mehr bleibt. Die Frau ist in ein gesellschaftliches Korsett eingezwängt und der Versuch daraus auszubrechen wird zum Teil mit lebenslanger gesell-schaftlicher Ächtung bestraft. Fontane thematisiert diese Verletzung moralischer Normen (z.B. Ehebruch) in seinen Romanen.

Die Ehe war der ,,Normalzustand" erwachsener Menschen im 19. Jahrhundert und in ihr finden vor allem Frauen ihre Legitimation. Durch sie wird der Mann zum Vormund seiner Frau, ohne dessen Erlaubnis sie weder einen Beruf ausüben, noch Rechtsgeschäfte tätigen kann. Ehen wurden genau berechnet und geplant, Geld war das wichtigste Motiv. Man versucht immer die bestmögliche Partie zu machen, die Verbindung zwischen Geld und hoher sozialer Stellung gilt als ideal. Theodor Fontane kennt den Zwiespalt zwischen persönlicher Interessen und den gesellschaftlichen Vorschriften bei der Partnerwahl. Er lehnt sich dagegen aber nur relativ wenig auf, da er sie als von der Gesellschaft diktierte Normen akzeptiert, die keine Freiräume lassen.

Eine Tochter muss sich bis zu ihrer Heirat der Autorität ihres Vaters unterordnen, von dem meist der Ehepartner nach rein rationalen Kriterien ausgewählt wird. Unverheiratete Frauen werden nicht akzeptiert. Die Abhängigkeit der Frauen in der männerdominierten Gesellschaft wird noch durch die ungenügenden Bildungsmöglichkeiten unterstüt zt. Ledige Frauen, die den Unterschichten angehören müssen als Hausangestellte oder als Arbeiterinnen ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Arbeit als Broterwerb gilt für Adelige und Bürgerinnen als nicht standesgemäß.

Der Frau wird im 19. Jahrhundert das emotional- irrationale Naturell zugeordnet, während der Mann als rationales Gesellschaftswesen gilt. Diesen Unterschied greift Fontane in seinen Werken auf.. An seinen Frauenfiguren wird das Spannungsverhältnis zwischen individuellen Sehnsüchten und gesellschaftlichen Normen geschildert.

Das Bild der Frau ist von strikten Verhaltensregeln gezeichnet. Nur die Familie wird der Ehefrau als Wirkungskreis zugestanden. Sie gehört sozusagen zum Inventar und ist gänzlich abhängig von ihrem Ernährer. Die Frau ist ge zwungen sich makellos zu verhalten, und das Anknüpfen einer intimen Beziehung hat immer vom Mann auszugehen. Eheliche Treue wird als selbstverständlich erachtet. Da die Bildung der Frau auf das sträflichste vernachlässigt wird und man von den Frauen nur erwartet, dem Haushalt vorzustehen, was bedeutet das Hausmädchen und die Wirtschafterin zu kontrollieren sehen sich Adelige und Bürgerinnen dauernder Langeweile ausgesetzt. Sie sind zum Nichtstun verurteilt und sehnen sich oft nach Abwechslung, Aufmerksamkeit und Bestätigung. ,,Auszubrechen aus dieser Enge ist gleichzeitig Reiz und größte Gefahr, denn Ehebruch ist die schlimmste Sünde im Leben einer

Frau, ein unverzeihliches Vergehen, bei dem sie ihre Ehre und damit ihre soziale Stellung verliert."3

Die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts lässt also wenig Platz für Liebe, Träume und Selbstverwirklichung. Fontane, wie auch der Rest der Gesellschaft kennt die Regeln und Konventionen, und er hat sie als allgemeingültig anerkannt, wenn er sie auch nicht für gut heißt.

Charakterisierung und Kindheit Effis

Effi ist die 17-jährige, behütete Tochter aus dem Hause der Familie Briest. Sie verlebt in Hohen-Cremmen eine glückliche und freie Kindheit in Gesellschaft ihrer Familie und ihrer Freundinnen. Effis Persönlichkeit ist durch einen kindlichen Bewegungsdrang gekennzeichnet, dessen Natürlichkeit sich kaum mit den Ansprüchen der Adelsgesellschaft vereinbaren lässt. Effi spiegelt das Bild eines verspielten, naiven Mädchens, das sorglos in den Tag hinein lebt. ,,In allem, was sie tat, paarte sich Übermut und Grazie während ihre lachenden, braunen Auge eine große, natürliche Klugheit verriet".( S.8 )

Effi ist eine ,,Tochter der Luft" ( S.8 ) was von ihrer Leidenschaft für das Schaukeln und Klettern herführt, denn das schenkt ihr ein Gefühl von Freiheit, was gleichzeitig mit der Angst vor dem Stürzen begleitet wird und den Reiz des Schaukelns nur noch erhöht. Effis Lebenslust erfüllt sich mit dem Fliegen und Schweben und ist noch ungebändigt und von gesellschaftlichen Zwängen uneingeschränkt.

Führt man sich das Bild dieses verspielten Kindes vor Augen, so wird einem bewusst, wie unvorbereitet, ja wie unreif Effi für die bevorstehende Verlobung und Ehe ist. Sie ist nicht dazu in der Lage, die Kons equenzen, die diese neue Situation, die der Verlobung mit einem viel älteren Mann, mit sich bringt, zu erfassen. Wie könnte sie auch, wo sie doch kaum mit sozialen Konventionen in Berührung gekommen ist. Die junge Adelige kann den Ernst der Lage nicht überblicken und so ist es ihr auch nicht möglich selbstständige Entscheidungen zu fällen. Statt dessen fügt sie sich den Wünschen ihrer Mutter und verdrängt Anzeichen künftiger Realität. Alle für ihre Zukunft relevanten Beschlüsse überlässt sie ihrer Mutter und weicht wenn es um ihr zukünftiges Leben als Ehefrau in Kessin geht auf Phantasien aus, denn sie liebt es, sich Kessin als einen sibirischen Ort vorzustellen, was wiederum ihre Unreife kenntlich macht. Auch als sie ihrer Mutter Einblick in ihre Gefühlswelt gewährt, wird deutlich, dass sie sich unter Liebe noch nichts Konkretes vorstellen kann. ,,Nein, Mama, das ist mein völliger Ernst. Liebe kommt zuerst, aber gleich dahinter kommt Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung, immer was Neues, immer was, dass ich lachen oder weinen muss.

Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile." ( S.32 ) Sie ist der Meinung, dass die Ehe nützlich sei, um gesellschaftlich aufzusteigen. Denkt man an Effis Unerfahrenheit mit gesellschaftlichen Normen, wird schnell klar, wie aufgesetzt dieser Ehrgeiz ist. Außerdem zeigt Effi, dass sie nichts so sehr verabscheut wie Langeweile. Sie verhält sich also genauso wie ein Kind und wünscht sich Zerstreuung und Abwechslung anstatt sich über ihre Gefühle ihrem zukünftigem Mann gegenüber, oder ihrem eigen Willen, wie sich ihre Zukunft gestalten soll auseinanderzusetzen. Wenn es ihr nicht gelingt der bevorstehenden Wirklichkeit auszuweichen, so kommt ihr Innstetten, als Mann von Grundsätzen in den Sinn und Angst befällt sie. Doch über diese Furcht nachzudenken wird ihr gar keine Zeit gelassen. Besonders als ihr ihre Mutter eröffnet, dass der Baron soeben um die Hand ihrer Tochter angehalten hat, wird deutlich wie sehr das junge Mädchen von den Ereignissen überrollt wird. Zuvor lagen Heiratspläne noch in weiter Zukunft für Effi, die zwar zwischen Kindheit und dem Erwachsenwerden schwankt, sich aber im Zweifelsfall für die Kindheit entscheidet. (S. 9) "Warum machst Du keine Dame aus mir?" fragt Effi ihre Mutter, diese fragt daraufhin: ,,Möchtest du's?" worauf Effi mit einem entschiedenen ,,nein" antwortet, also an ihrem Kindsein festhalten will. Die Mutter beantwortet die Frage, ob Effi den Baron heiraten will im Grunde selbst, indem sie sogleich verlauten lässt, dass sie es sich ,,von ihrer klugen Effi" gar kein ,,Nein" vorstellen kann ( S.18 ): Dafür, dass Effi über ihre Zukunft selbst bestimmen kann fehlt ihr die Reife und Erfahrung und so wird sie von ihrer Mutter zu einem Schritt gedrängt, dessen Folgen sie nicht überschaut.

Effis Verhältnis zu Innstetten

Die ungestüme Effi, das Kind der Lüfte erlebt in ihrer Ehe Beherrschung und Einschränkung durch ihren Gatten, Baron von Innstetten, der ein ,,Mann von Charakter, ein Mann von Prinzipien" ( S.35 ) aber leider kein Liebhaber ist. Hinzu kommt der Druck, der sozialen Konventionen, der durch ihre neue gesellschaftliche Stellung auf ihr lastet und dem sie sich auf Grund ihrer Erziehung und ihrem Naturell nicht entgegenstellen kann. Es treffen in der Ehe zwei von Grund auf verschiedene Welten zusammen, was schon in der Hochzeitsreise deutlich wird: Innstettens tote Welt der Museen und Effis Hingabe an die Lebendigkeit des Lebens. ,,Instetten ist ein vorzüglicher Kerl, aber er hat so was von einem Kunstfex, und Effi, Gott, unsere arme Effi ist ein Naturkind."( S.37 )

Rasch kommt an die Oberfläche, dass Instetten, der Jugendfreund der Mutter, um einige Jahre älter als Effi, den beruflichen Pflichten gegenüber dem privaten Leben den Vorrang gibt.

Auch er trägt das Zwangskorsett gesellschaftlicher Konventionen, denen er letzten Endes selbst zum Opfer fällt. Innstetten ist so pflichtbewusst, dass er seiner jungen Ehefrau keinerlei Abwechslung bieten kann, da er der Meinung ist, das verderbe die Karriere. Er schränkt Effi ein, und da sie von ihrem Ehemann abhängig ist, ist es ihr nicht erlaubt eigenständig gesellschaftliche Kontakte zu knüpfen. Effi beginnt sich schnell zu langweilen, ein Zustand der ihr zutiefst widerspricht. Innstetten hat den Anpassungsdruck fast schon verinnerlicht, weshalb er zu selbstständigen Entscheidungen kaum in der Lage ist. Es ist ihm nicht möglich mehr auf Effi einzugehen, als seinem Ansehen gut tun würde, weshalb sie immer mehr vereinsamt und ihre Bedürfnisse unerfüllt bleiben. Er versteht das junge Mädchen nicht, und unterstützt sie folglich auch nicht, was ihre Entscheidungsfreiheit noch mehr einengt, denn er gibt ihr keinen Raum, in dem sie ihr Verlangen nach Liebe und Zerstreuung stillen könnte. Ruft man sich nun Effis Charakterzüge ins Gedächtnis, so wird klar, dass, hätte die junge Frau die Möglichkeit über ihr Leben frei zu entscheiden, sie bestimmt nicht diese eintönige und triste Lebensweise gewählt hätte. Geert von Innstetten ist der Garant für die gesellschaftliche Ordnung , was man an seiner Äußerung nach dem ,,Trippelli-Abend" erkennen kann: ,,...Hüte dich vor dem Apartem oder was man so Apartes nennt- Was dir so verlockend erscheint...das bezahlt man in der Regel mit seinem Glück" (S.87). Er ist für die naive Effi mehr ein ,,Erzieher als ein Ehemann", und anstatt ihr die Angst vor dem Spuk in Effis neuem Zuhause in Kessin zu nehmen, schürt er Effis Ängste weiter, und wiegt sie in Unsicherheit. Mann kann, wie Major Crampas, zu dem Schluss kommen, dass der Baron den Spuk absichtlich nicht zerstreut, um Effi mehr an sich zu binden, sie abhängiger von sich zu machen, was ihm auch gelingt. Sie ist nicht mehr das ausgelassene, abenteuerliche Kind, aber an dessen Stelle ist auch nicht eine selbstbewusste, eigenständige junge Frau getreten, sondern nur ein verschüchtertes und unglückliches Mädchen, in dessen Leben Selbstbestimmung in weite Ferne gerückt ist. Gerade, dass Instetten einen so konträren Charakter zu seiner jungen Gattin besitzt, verringert Effis Eigenständigkeit sehr, da ihr aus persönlichen wie gesellschaftlichen Gründen gar nichts anders übrig bleibt als sich ihrem Mann anzupassen. Handlungsalternativen bietet die damalige Gesellschaftsstruktur einfach nicht. Und so wird Effi immer unzufriedener mit ihrem langweiligen und mitunter lieblosen Eheleben, das sie doch nicht ändern kann.

Der Seitensprung

Die sonst so fröhliche und von allen geliebte und bewunderte Effi sehnt sich nach Aufmerksamkeit, Abwechslung und Bestätigung, die erstmals durch den Major Crampas einen ,,Damenmann" ( S.146 ) in ihr Leben gelangt. In ihm, einem verheirateten und leichtsinnigen "Frauenkenner" ( S.145 ) und Prinzipienverächter findet sie all das, was sie an ihrem Ehemann vermisst: Charme, Komplimente, Bewunderung, Spontaneität und auch endlich einen Zuhörer, so dass sie Ehebruch begeht. Dies bedeutet für sie gleichzeitig Freiheit und Angst, wie die Schaukel zu Hause im vermissten Hohen-Cremmen. Effis Seitensprung ist weniger das Ergebnis ihres eigenen Willens, als vielmehr ihre Unfähigkeit, sich dem Willen des Major Crampas zu widersetze n. Der Major enthüllt ihr die Schwächen ihres Mannes, vor allem dessen pädagogische Neigung: ,,Er operiert nämlich immer erzieherisch, ist der geborene Pädagoge"( S.133 ). Die Unmöglichkeit des Spuks wäre demnach nichts weiter als eine erzieherische Maßnahme Effi gegenüber. Das gibt Effi zu denken, und trägt auch dazu bei, dass sie kurze Zeit später ein Verhältnis mit dem Major eingeht. Effi, die sich eine Kindheitskonstellation aus dem Apotheker Gieshübler als Ersatzvater, Roswitha als Kindermädchen und schließlich der eigenen Tochter Annie als Spielzeug aufgebaut hat, wird langsam erwachsen. Und so genügt ihr diese Konstruktion nicht mehr. Ihre Bedürfnisse als Frau müssen anderweitig gestillt werden und Innstetten, dem diese ,,Aufgabe" eigentlich zukäme, ist nicht der Mann, um die entstehende emotionale Lücke zu schließen. So erscheint die Affäre mit Crampas mehr vorprogrammiert, als von der jungen Frau gewollt, ,,die Kugel war im Rollen, und was an diesem Tag noch geschah, machte das Tun des anderen zur Notwendigkeit."( S.170 )

Beinahe ohne eigenes Zutun geht Effi eine Beziehung mit dem Major ein. Sie verhält sich auch hier wie fast immer eher passiv und lässt mit sich geschehen. Über ihr waltet der gesellschaftliche Moralkodex, durch den sie in die Rolle der Ehefrau geraten ist, von der erwartet wird, dass sie ihren Gatten angemessen repräsentiert, von dessen Wohlwollen sie abhängig ist. Diese Rolle entspricht so gar nicht Effis eigentlichem Naturell, ein weiterer Grund für den Seitensprung.

Crampas offensichtlicher Leichtsinn, ,,ohne den das ganze Leben keinen Schuss Pulver wert sei"( S.129 ), ist für die junge Adelige ebenfalls ein Reiz, über den Ihr Ehemann in keinster Weise verfügt, und dem sie kaum widerstehen kann, denn er entspricht ihrer Vorliebe für das Schaukeln, das ja ebenfalls eine Spur von Leichtsinn beinhaltet.

Außerdem entwickelt sich zwischen den beiden ein vertrautes Verhältnis, in dem Effi durch viele Anzüglichkeiten ihr Wunsch nach Anerkennung und Bestätigung gestillt wird. Sie ist allerdings nicht in der Lage die Folgen der Affäre mit Crampas abzusehen, noch nicht einmal, dass ihre anfänglich platonische Freundschaft auf Ehebruch hinausläuft, begreift sie. So wird sie zum Opfer ihres Leichtsinns.

Der Schloon, diese Naturerscheinung spielt im Roman eine große Rolle: (,,Eigentlich handelt es sich um eine Graben, der in die Ostsee mündet"4, hier ist es ein ,,Sog, und am stärksten immer dann, wenn der Wind nach dem Lande hin steht. Dann drückt der Wind das Meerwasser in das kleine Rinnsal hinein, aber nicht so, dass man es sehen kann." S.159 ), , da er die Verführung Effis begünstigt. ,,Diese unterirdische Strömung ist Symbol und verweist auf die Ehebruchgefährdung der jungen Frau und wohl auch ganz allgemein auf die gefährlichen Unterströmungen des Lebens hin."4 Effi, die in ihrer Vergangenheit nie einer solchen Gefahr begegnet ist, hat nie gelernt damit um zugehen und ist so ein leichtes Opfer für den weitaus erfahreneren Crampas.

Entdeckung der Schuld

Nach sechs Jahren ruhigen, gemeinsamen Ehelebens findet Innstetten durch Zufall Crampas alte Briefe an Effi. Für ihn ist sein Lebensglück zerstört - nicht aufgrund von Rache- oder Hassgefühlen, sondern allein um der Gesellschaft willen , einem Begriff zuliebe. Er allein beschließt, Crampas zu einem Duell herauszufordern, eine Entscheidung die sein und Effis Leben entscheidend verändert. Durch die Duellforderung legt er die Schuld seiner Ehefrau offen.

Auch das Handeln des Barons wird von der Gesellschaft bestimmt, aber doch ist Instetten in der Lage Beschlüsse zu treffen und zu entscheiden ob er der Öffentlichkeit das Mitspracherecht erteilt oder nicht. Verschwiegenheit wäre zumindest eine Handlungsalternative gewesen! Seine Frau besitzt dieses Privileg selbst zu entscheiden nicht, über sie wird entschieden.

Durch die Scheidung muss Effi ihre Familie verlassen, sie ist gesellschaftlich isoliert und hat noch nicht einmal die Erlaubnis mit ihrer Tochter, ihrem einzigem Kind in Verbindung zu bleiben. Ihr Leben verändert sich schlagartig, aber es ist nicht sie, die diese Veränderung bestimmt hat. Der Ehebruch bedeutet den Verlust ihrer Ehre und damit auch den Verlust ihres Platzes in der Gesellschaft. Das Duell, wird nicht aus verletzter Liebe geführt, sondern um den moralischen Konventionen gerecht zu werden. Es ist für Effi eine Art öffentliche ,,Aburteilung", gegen die sie sich nicht wehren kann, sondern deren Opfer sie ist. Nun darf die junge Frau nicht mehr in ihr einstiges Heim zurückkehren: Weder in die Wohnung in Berlin noch in ihrem Elternhaus wird ihr Zuflucht gewährt. Bei dem letzteren aus Angst vor der daraus resultierenden gesellschaftlichen Ächtung.

Als Effi nach langem Betteln die Erlaubnis erhält ihre Tochter Annie zu treffen, ist diese von ihrem Vater regelrecht ,,abgerichtet" worden und antwortet auf alle Fragen ihrer Mutter mit der Phrase: ,,O gewiß wenn ich darf." ( S.274 ) Effi merkt an dieser Stelle überdeutlich, dass sie keinerlei Einfluss auf ihr einziges Kind ausüben kann, genauso wenig wie auf ihr eigenes Leben. Als die junge Frau das erkennen muss, bricht sie hilflos und verzweifelt in sich zusammen. Effi wird sich zum ersten mal richtig bewusst wie wenig sie über ihr eigenes Leben bestimmen darf und als sie das begriffen hat erscheint ihr der Tod als Erlösung. Sie gibt auf, um ein selbstbestimmtes Leben zu kämpfen, da sie versteht, dass es so etwas für sie noch nie gegeben hat und wohl auch nie geben wird.

Effis Tod

Effi wird nach dem Besuch ihrer Tochter immer schwächer und beginnt an einem Nervenleiden zu erkranken. Auf dringendes Anraten ihres Arztes erlauben ihre Eltern ihr zu ihnen nach Hohen-Cremmen zurückkehren zu dürfen. Auch hier eine entscheidender Schritt in Effis Leben, der aber nicht von ihr selbst bestimmt worden ist. In ihrem geliebten Elternhaus verbringt sie sorglose Tage, in denen sie vorläufig zumindest wieder aufzuleben scheint., ,,Aber so schön alles auch war, auf Effis Gesundheit hingesehen, war es doch alles nur Schein, in Wahrheit ging die Krankheit weiter und zehrte still das Leben auf" ( S.278 ) Das Wort ,,Schein" zeigt hier, dass das Leben auf Hohen-Cremmen eben nicht das wirkliche ist, denn hier wird alles, was in Effis Vergangenheit Trauriges vorgefallen ist verdrängt und nicht verarbeitet. Effi weiß, zumindest unterbewusst, dass sie zwar auf Hohen-Cremmen leben darf, dass sie aber nie mehr die Möglichkeit hat außerhalb ihres Elternhauses ein eigenständiges Leben, innerhalb der Gesellschaft zu führen, denn dorthin bleiben ihr alle Wege verschlossen. Sie vereinsamt immer mehr. Sie ist nicht mehr das kleine, verspielte Kind von damals, sie ist erwachsen geworden und deshalb genügt Hohen-Cremmen, das ihr zwar immer ,,der schönste Platz auf Erden" ist, nicht mehr um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Auch dass sie nicht mehr die Möglichkeit hat den Ort ihrer Kindheit zu verlassen und irgendwo anders ein neues Leben aufzubauen, ja dass es ihr an jeglicher Perspektive mangelt, die ihr Leben verändern könnte lässt sie immer schwächer werden. Sie ist nicht mehr das junge Mädchen, die das Schaukeln so liebte, das glaubte in den Himmel fliegen zu können (S. 281). Angstvoll fragt sie nun den Pfarrer, ,,der es ja wissen muss": ,,Komm ich in den Himmel?" Dieser kann sie mit seiner Antwort beruhigen, und so erscheint ihr der Tod als einziger Ausweg, der ihr Leben noch verändern könnte. Denkt man daran, dass Effi einst Bewegung so liebte, wird klar, wie sehr es gegen ihr Naturell gehen muss, dass sich in ihrem Leben kaum etwas noch verändern kann. Als sie etwas stärker geworden ist, wird ihr vorgeschlagen in Kur zu fa hren, aber sie schlägt das Angebot aus, da sie weiß, dass sie dort die Gesellschaft nicht aus ihrem Leben ausschließen könnte, eine Erfahrung die sie nicht mehr machen will. Effi hat ein großes Verlangen nach frischer Luft, die für sie die Freiheit verkörpert, die sie nie wird haben können, und wohl auch nie besessen hat.

Dennoch will Effi frei sein, sie macht viele Spaziergänge an der frischen Luft, was schließlich dazu führt dass sie krank wird und Fieber bekommt. Den Tod sieht sie als Ausweg, ihr Leben scheint zu Ende zu sein, da sich nichts mehr verändern, nichts mehr weiterbewegen kann. Sie lebt nur noch passiv: ,, Ich war immer eine schwache Christin, aber ob wir vielleicht doch von da oben stammen und, wenn es hier vorbei ist, in unsere himmlische Heimat zurückkehren zu den Sternen oben oder noch drüber hinaus! Ich weiß es nicht, ich will es auch nicht wissen, ich habe nur die Sehnsucht." Hier wird deutlich dass sie sich nach mehr sehnt, als ihr ihr Leben bieten kann. Sie hängt nicht mehr am Leben, an der Jugend, denn sie weiß, dass es für sie immer gleich bleiben wird. (S. 293) ,,Freilich bin ich noch jung. Aber das schadet nichts. Es war noch in glücklichen Tagen, da las mir Innstetten abends vor, er hatte sehr gute Bücher, und in einem hieß es: Es sei wer von einer fröhlichen Tafel abgerufen worden, und am anderen Tage habe der Abgerufene gefragt, wie's denn nachher gewesen sei. Da habe man ihm geantwortet: Ach, es war noch allerlei; aber eigentlich haben Sie nichts versäumt." Effi stirbt mit Innstetten versöhnt, der, ihrer Ansicht nach, ,,viel Gutes in der Natur hat und so edel ist wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist". Effi wählt ihren Tod selbst. Wenn sie auch keinen Freitod stirbt, so ist es doch sie, die durch ihr vieles Spazieren an der frischen Luft, die sie immer kränker macht, den Zeitpunkt ihres Todes bestimmt. Auch wenn es nicht ganz klar ist, ob sie es mit vollem Bewusstsein tut, so ist es trotzdem Effi, die die Entscheidung trifft und ihren Lebenswillen aufgibt.

Nachwort

Betrachtet man sich Effi Briests Leben unter dem Aspekt ob es ein selbstbestimmes Leben sei , so gelangt man zu dem Schluss, dass es in ihrem Leben kaum Raum für individuelle Freiheit gibt. Effi ist eine Marionette in der Gesellschaftsstruktur des 19. Jahrhunderts. Fast alle ihrer Schritte sind vorgezeichnet. Man findet kaum wichtige Entscheidungen, die die junge Frau, in dem Verlauf ihres Lebens, eigenständig trifft, Effi ist nie in der Lage gewesen die Regie über ihr Leben selbst zu führen, immer sind es andere, mal die Eltern, mal ihr Ehemann, die die Zügel in den Händen halten. Aber auch diese sind wiederum durch die gesellschaftliche

Moral fest gebunden, die ihnen kaum einen Freiraum für Handlungsalternativen zugesteht.

Literaturhinweise

1.Fontane, Theodor (1819 - 1898): ,,Effi Briest", vollständige, im Kommentar revidierte und mit einem Nachwort versehene Ausgabe, 4. Auflage Juni 1998, Deutscher Taschenbuchverlag München
2.Schopenhauer, Arthur (1788 - 1866): ,,Parerga und Paralipomena II", zweiter Teilband, 1977 Diogenes Verlag AG Zürich, S. 668 (Ueber die Weiber)
3.Beintmann, Cord: ,,Theodor Fontane", Originalausgabe, April 1998 Deutscher Taschenbuchverlag, Reihe dtv portrait, S.113/115
4.CD-Rom Bibliothek: ,,Xlibris" Stichwort: Theodor Fontane, herausgegeben von Martin Sauter und Thomas Schöllhammer, München 1996
5.Heuhaus, Stefan: ,,Fontane - ABC", 1. Auflage 1994, Reclam - Verlag Leipzig 1998, S. 181
6.Bildnachweis zu S.4: Max Liebermann: ,,Effi auf der Schaukel", Steinzeichnung, (In ,,Effi Briest" Jubiläumsausgabe der Maximilian-Gesellschaft, Berlin 1928)

[...]


1 Schopenhauer, Arthur (1788 - 1860): ,,Parerga und Paralipomena II", zweiter Teilband, 1977 Diogenes Verlag AG Zürich, S. 668 (,,Ueber die Weiber")

2 Beintmann, Cord: ,,Theodor Fontane" Originalaus gabe, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, April 1998 , Reihe: dtv portrait, S. 113 / 115

3 CD-Rom Bibliothek x-libris, Theodor Fontane, München 1996, herausgegeben von Martin Sauter und Thomas Schöllhammer

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Fontane, Theodor - Effi Briest - Ein selbstbestimmtes Leben?
Hochschule
Real Centro Universitario Maria Cristina
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2001
Seiten
11
Katalognummer
V99872
ISBN (eBook)
9783638983068
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fontane, Theodor, Effi, Briest, Leben, Thema Effi Briest
Arbeit zitieren
Julia Groß (Autor:in), 2001, Fontane, Theodor - Effi Briest - Ein selbstbestimmtes Leben?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99872

Kommentare

  • Gast am 11.9.2002

    ...Spitzenmäßig, einwandfreies Deutsch und wunderschön zu kopieren und als eigene Arbeit auszugeben...;-)) Aber dafür is das alles hier ja auch da oder irre ich mich? :-))

  • Gast am 14.6.2002

    super.

    erstklassige Arbeit geleistet

  • Gast am 4.6.2001

    supi!!!.

    Sehr gut dargelegt! Den Einbezug von Schopenhauers Frauenbild finde sehr unterstützend zur Erschließung des Werks.

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Titel: Fontane, Theodor - Effi Briest - Ein selbstbestimmtes Leben?



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