Heinrich Mann (1871-1950)
Es war im Jahre 1931, als Heinrich Mann seine Stimme für einen bedeutenden deutschen Dichter erhob. Sie galt HEINRICH HEINE. Noch 75 Jahre nach dessen Tode waren die politischen Machthaber und Wortführer der Weimarer Republik nicht bereit, ihm sein Heimatrecht zu gewähren. In seiner Vaterstadt Düsseldorf sollte ihm ein Denkmal gesetzt werden, doch den reaktionären Mächten des Jahres 1931 war er nicht minder verhaßt als denen des Jahres 1848. Dagegen fühlten sich ihm die progressiven Kräfte in gleicher Weise verbunden wie die von einst, so daß Heinrich Mann mit vollem Recht für ihn und von ihm sagen konnte: ,,Wäre er da, er würde dieselben Kämpfe führen wie wir. Ungerechtigkeit und Entwürdigung des Menschen müßten ihn bewegen wie je. Sein Ziel wäre immer noch Vermenschlichung der Welt, Vergeistigung des Lebens. Er hat um uns und unsere Not gewußt. Er war unter den Ersten, die soziale Gedichte schrieben. Er hat dabei das Land, das ihm die Sprache schenkte, männlich und ohne Redensart geliebt... Auch zu den überlieferten Mächten, die er angriff und die ihn bis in die Verbannung verfolgten, stehen wir Deutsche unserer Tage nicht anders als er.,, Dieses Bekenntnis Heinrich Manns zur revolutionären Tradition der deutschen Literatur ist zugleich ein Bekenntnis zur Macht des kämpferischen Dichterwortes, das weit über seine Zeit hinausreicht. Denn von dem beißenden Spott, mit dem Heine den preußischen Militarismus bedacht hatte, mußten sich auch später die Krieger Wilhelms II., die Revanchisten in der Weimarer Republik und schließlich auch Hitlers Gefolgsleute getroffen fühlen. Ihnen haftete nach wie vor jener lächerliche und gefährliche Dünkel an, gepaart mit strammer Untertanengesinnung, die der Dichter des ,,Wintermärchens,, schon damals an ihnen entdeckt und verlacht hatte.
Satire auf den Untertan des Kaiserreiches
Nicht minder schonungslos urteilte Heinrich Mann die Ewiggestrigen in seinem Roman ,,Der Untertan,, ab. In der Schlußszene seines Buches, der Denkmalsweihe, ließ er die ordengeschmückten und mit der preußischen Pickelhaube behelmten Militärs vor einem Unwetter in panischer Flucht davoneilen. Diese Satire erinnert an die spöttischen Verse von HEINRICH HEINE aus dem ,,Wintermärchen,,:
Nur fürcht' ich, wenn ein Gewitter entsteht, zieht leicht so eine Spitze herab auf euer romantisches Haupt des Himmels modernste Blitze! Früher und schärfer als viele seiner bürgerlichen Zeitgenossen durchschaute Heinrich Mann, wie sehr das aus ,,Blut und Eisen,, geschmiedete ,,Bismarck-Reich,, sich nach außen hin immer kriegerischer gebärdete. Gleichzeitig galt seine satirische Kritik jenem widerwärtigen Bourgeois-Typus, den er uns in dem Roman mit dem bezeichnenden Titel ,,Der Untertan,, (1914) in der Gestalt Diederich Heßlings vorgestellt hat. Diese Satire auf den Untertanen erreichte eine lang anhaltende Wirkung. Mit Unbehagen und Verwunderung bemerkte der bekannte deutsche Schriftsteller HEINRICH BÖLL im Jahre 1968: ,,Ich war erstaunt, als ich den ,,Untertan,, jetzt wieder las, erstaunt und erschrocken: fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen erkenne ich immer noch das Zwangsmodell einer untertänigen Gesellschaft.,, HEINRICH MANN begnügte sich aber nicht mit einer kritischen Bestandsaufnahme seiner Zeit. Er strebte die Einheit von Wort und Tat an. Bereits im letzten Kapitel seines Romans ,,Der Untertan,,, als er die feudalbürgerliche Festgesellschaft samt ihren schwarz-weiß-roten Fahnen durch Blitz und Donner auseinanderjagen ließ, kündigte er an: ,,Der Umsturz der Macht von seiten der Natur war ein Versuch mit unzulänglichen Mitteln gewesen,,. Dieser Satz enthält nicht nur eine Feststellung, sondern auch eine Forderung, die der Dichter gleichsam an sich selbst richtete. Doch sie konnte von ihm erst später erfüllt werden, als er sich an die Seite jener Klasse stellte, die sich nicht damit zufriedengibt, die gefährlichen Spukgestalten einer überlebten Vergangenheit von einer festlich geschmückten Tribüne zu vertreiben, sondern vielmehr in der Lage ist, sie für immer von der Bühne der Geschichte hinwegzufegen. Diese Macht heißt Arbeiterklasse. Aber ehe Heinrich Mann ihre historische Rolle zu erkennen vermochte, mußte er, der 1871 in Lübeck geborene Patriziersohn, noch so manchen Irrtum und auch so manche Illusion überwinden. In einer Frage jedoch nahm Heinrich Mann im Unterschied zu anderen bürgerlichen Schriftstellern sehr bald eine entschiedene und kompromißlose Haltung ein. Sie betraf das Verhältnis des Schriftstellers zur Politik. Sowohl in seinen gesellschaftskritischen Romanen als auch in seinen streitbaren Essays bekannte er sich offen zur Einheit von literarisch-künstlerischer Tätigkeit und politischer Aktivität. Bereits im Jahre 1900 unterzog er in dem Buch ,,Im Schlaraffenland,,, dem er den ironischen Untertitel ,,Roman unter feinen Leuten,, gab, die Lebensweise der sogenannten ,,besseren Leute,, einer treffenden Kritik. Aufgebläht von schnell erworbenem Reichtum, aber ungebildet und prunksüchtig, so läßt er die Bankiers, Spekulanten und Emporkömmlinge der sogenannten Gründerzeit an uns vorüberziehen. Mit dem Roman ,,Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen,, (1905) richtete der Autor seinen kritischen
Blick auf das preußisch-deutsche Gymnasium. Der Unterricht ähnelte Exerzierübungen, und über den Schulaufsatz vermerkte Heinrich Mann sicherlich auf Grund eigener Erfahrungen: ,,Das Thema ging einen nichts an; aber man schrieb. Die Dichtung, der es entstammte, war einem, da sie schon seit Monaten dazu diente, einen ,,hineinzulegen,,, auf das gründlichste verleidet; aber man schrieb mit Schwung.,, Die Gipfelleistung seines literarischen und politischen Angriffs auf das Wilhelminische Reich, der Roman ,,Der Untertan,,, war bereits 1914 abgeschlossen. Einige Fortsetzungen waren sogar in einer Zeitschrift erschienen, doch mit dem Ausbruch des ersten imperialistischen Weltkrieges wurde der Abdruck abgebrochen. Der Roman konnte als Buch erst im Jahre 1918 erscheinen. Heinrich Mann ließ sich aber nicht mundtot machen. Seine Auffassungen vertrat er nun mit Hilfe eines anderen literarischen Genres, nämlich mit dem Essay. - Der Essay ist ein literarisches Genre, das dem Verfasser dazu dient, seine Ansichten über Politik, Kunst und Kultur in einer anregend und ansprechend geschriebenen Abhandlung darzulegen. - Das große Vorbild des berühmten französischen Romanautors EMILE ZOLA (1840-1902), der das ungesetzliche Vorgehen der reaktionären Kreise seines Landes schonungslos und unerschrocken angeprangert hatte und sich als Schriftsteller zum offenen politischen Bekenntnis verpflichtet fühlte, ermutigte und veranlaßte Heinrich Mann zu seinem berühmt gewordenen ,,Zola- Essay,,. Er schrieb ihn im Jahre 1915, also in jener Zeit, als viele Deutsche den damals noch siegreichen Armeen des preußisch-deutschen Kaiserreiches zujubelten. Er wagte es, unberührt von dem chauvinistischen Taumel, zu Beginn des zweiten Kriegsjahres die Niederlage des imperialistischen Deutschland vorauszusagen, ja ausdrücklich zu wünschen: ,,Ein Reich, das einzig auf Gewalt bestanden hat und nicht auf Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit, ein Reich, in dem nur befohlen und gehorcht, verdient und ausgebeutet, des Menschen aber nie geachtet wird, kann nicht siegen, und zöge es aus mit übermenschlicher Macht.,, Die Gültigkeit dieser Sätze traf nicht nur auf den ersten imperialistischen Weltkrieg zu, sie haben im faschistischen Raubkrieg noch an Aktualität und Bedeutung gewonnen. Es waren Worte, die aus einer tiefen Liebe zum eigenen Volke und aus leidenschaftlichem Haß gegen seine Verderber entsprangen. Diese hatten unter Mißbrauch der Begriffe Vaterland und Nation immer wieder versucht, Gedankenlose, Unwissende und Leichtgläubige vor ihren Karren zu spannen. Mit gezielter Absicht machten sie viele Menschen mitschuldig an ihrem Verbrechen und nahmen ihnen damit die moralische Kraft, sich gegen sie zu erheben. Diese Erkenntnis Heinrich Manns von der persönlichkeitszerstörenden Macht des Imperialismus hat bis in unsere unmittelbare Gegenwart nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Mit dieser bitteren Anklage wandte sich der Dichter auch gegen diejenigen, die zwar dem deutschen
Imperialismus kritisch und sogar ablehnend gegenüberstanden, die nun aber glaubten, angesichts des Krieges dem Ruf des vermeintlichen Vaterlandes folgen zu müssen. Selbst ein schon damals so bekannter Autor wie THOMAS MANN, der Bruder unseres Dichters, erlag zeitweilig solchen Parolen. Das zeigt uns, daß Heinrich Mann in dieser Zeit unter den bürgerlichen Schriftstellern nur wenige Verbündete fand, statt dessen aber vielen Schmähungen und Verdächtigungen ausgesetzt war. Im gleichen Jahr, in dem der ,,Zola- Essay,, erschienen war, erhob auch KARL LIEBKNECHT seine Stimme gegen den Hauptfeind des deutschen Volkes. In einem Flugblatt vom Mai 1915 schrieb er: ,,Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie. Diesen Feind im eigenen Land gilt's für das deutsche Volk zu bekämpfen, zu bekämpfen im politischen Kampf, zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gege n seine heimischen Imperialisten geht.,, Wenn wir die Worte des Arbeiterführers mit denen Heinrich Manns vergleichen, dann fällt uns auf, daß beide die Phrase von der Bedrohung des Vaterlandes durch einen neidischen Feind durchschaut haben und daß beide, wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht, ihren Patriotismus mit einer internationalistischen Haltung verbinden. Doch während sich Heinrich Manns Protest vorerst im zornigen Wort erschöpfte, rief Karl Liebknecht zur revolutionären Tat auf.
Illusionen eines streitbaren Demokraten
Heinrich Mann vertraute in dieser Zeit noch darauf, daß nach dem Sturz des Kaiserreiches allein die Vernunft genügend Macht besäße, eine demokratische Republik zu begründen. Sie sollte unter maßgeblicher Führung der Intellektuellen zur Versöhnung des alten Gegensatzes zwischen Geist und Macht beitragen. Dieser ehrlichen und gut gemeinten Absicht widmete er auch seine vielfältige öffentliche Tätigkeit in den ersten Jahren der Weimarer Republik. Er war der Meinung, daß die ,,besten Demokraten,, Brücken zwischen den Klassen schlagen könnten. Diese Position brachte ihn in einen zeitweiligen Gegensatz zu den proletarisch- revolutionären Schriftstellern, die ihm jedoch als dem Verfasser des ,,Untertans,, und des ,,Zola-Essays,, große Achtung entgegengebracht hatten und ihm für ihr eigenes Schaffen auch wertvolle Anregungen verdankten. Als Heinrich Mann im Frühjahr 1932 aber dafür eintrat, den nationalistisch und monarchistisch gesinnten Feldmarschall von Hindenburg erneut zum Reichspräsidenten zu wählen, weil er ihn wie die rechten sozialdemokratischen Führer gegenüber Hitler als das ,,kleinere Übel,, betrachtete, forderte diese Haltung den entschiedenen Protest der proletarisch-revolutionären Schriftsteller heraus. In einem ,,Offenen Brief,,, der in der ,,Linkskurve,,, der Zeitschrift des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, veröffentlicht wurde, wandte sich JOHANNES R. BECHER in scharfen Worten gegen diese Entscheidung Heinrich Manns. Heinrich Mann hat diese Haltung sehr bald korrigiert. Trotz so mancher Irrtümer und auch Illusionen hat Heinrich Mann im Gegensatz zu vielen Intellektuellen aus dem Bürgertum die Entwicklung des jungen Sowjetstaates vorurteilsfrei und mit wachsender Zuneigung verfolgt. Anläßlich des fünften Todestages W. I. LENINS gab er seiner Bewunderung für den großen Revolutionär öffentlich Ausdruck, als er schrieb: ,,Lenin ... bleibt die stärkste Konzentration des revolutionären Gedankens. Er ist der Anfang, niemand hat ihn überwunden, und so viele sich auf ihn berufen, so viele erhöhen seine Macht.,, Große Verehrung brachte er auch der Persönlichkeit und dem Werk MAXIM GORKIS entgegen. So hoffnungsvoll und zuversichtlich sein Blick auf den jungen Sowjetstaat gerichtet war, so besorgt beobachtete er zugleich den Niedergang der einst von ihm herbeigesehnten Weimarer Republik. Er mußte erleben, wie Nationalismus und Militarismus ungestraft ihr Haupt erhoben, wie die Justiz und die Universitäten sich nach wie vor in der Hand von Gegenrevolutionären befanden und wie schließlich der Faschismus die wenigen noch verbliebenen bürgerlichen Freiheiten beseitigte. Heinrich Manns Hoffnung auf die Vernunft hatte den Machtantritt Hitlers nicht aufhalten können. Er selbst wurde nun einer der ersten Verfolgten und Verfemten des blutigen Naziregimes. Nach 1932 hatte er als Mitglied der Preußischen Akademie der Künste gemeinsam mit dem Schriftsteller ALFRED DÖBLIN (1878-1957) ein Schullesebuch verfaßt, ,,sein Inhalt sollten die Arbeiten des Volkes und seine Freuden sein, die Geschichte Deutschlands sollte nicht länger beschränkt werden auf Schlachten, auf den Ruhm von Feldherren und Fürsten... Die Vernunft und die Menschlichkeit, wenig angewandte Begriffe, sollten eine Handhabe bekommen.,, Doch dieses Buch fand nicht mehr den Weg in die Schulstuben. Denn sehr bald mußte der Dichter mehr um seine eigene Sicherheit als um die Veröffentlichung dieses Buches besorgt sein. Gemeinsam mit der bekannten fortschrittlichen Künstlerin KÄTHE KOLLWITZ wurde er wenige Monate später, im Februar 1933, von den faschistischen Machthabern zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste gezwungen, nachdem er unmittelbar zuvor mit ihr und dem berühmten Physiker ALBERT EINSTEIN (1879-1955) einen mutigen Aufruf gegen den immer brutaler vorgehenden Faschismus unterzeichnet und gleichzeitig SPD und KPD zur Einigung aufgerufen hatte. Die Folge: Die Wohnung Heinrich Manns wurde bewacht. Der unmittelbar bevorstehenden Verhaftung entzog er sich allein dadurch, daß er, wie ein Spaziergänger, nur mit einem Regens chirm in der Hand, am 21. Februar 1933 zur nächsten Straßenbahnhaltestelle ging, um unauffällig zum Bahnhof zu gelangen. Über Frankfurt am Main fuhr er nach Frankreich und vereitelte damit den bereits geplanten Zugriff seiner Häscher.
Entscheidung für den Sozialismus Doch er verzweifelte nicht, obwohl es sich als Illusion erwiesen hatte, daß die Vernunft allein genügend Macht besäße, die Mächte der Unterdrückung und des Krieges zu zügeln. Im Unterschied zu anderen bürgerlichen Schriftstellern, die sich enttäuscht und verbittert von ihrer Heimat abwandten, wußte Heinrich Mann einerseits zwischen den Verderbern und andererseits zwischen den Opfern, vor allem aber den mutigen Kämpfern in seinem Lande zu unterscheiden. Ohne zu zögern, zog er weitreichende Lehren aus der jüngsten Vergangenheit. In den ,,Szenen aus dem Nazileben,, (1933) führte er der Welt nicht nur die Grausamkeiten des Faschismus, sondern auch den Mut und die Entschlossenheit der Gegner des Faschismus vor Augen. Der Dichter fühlte sich mit den Häftlingen der faschistischen Konzentrationslager aufs engste verbunden. Und JOHANNES R. BECHER, der ihn noch wenige Jahre zuvor hart und heftig kritisiert hatte, lenkte als Sprecher auf dem l. Unionskongreß der Sowjetschriftsteller im August 1934 die Aufmerksamkeit der Delegierten auf ihn, als er sagte: ,,Heinrich Mann hat angesichts des Grauenhaften, das der Nationalsozialismus über Deutschland gebracht hat, die Feder des Romanciers mit der des politischen Streiters vertauscht. Er hat mit manchem klaren und kühnen Wort festgestellt, daß die Hitlerdiktatur aus den Eingeweiden der bürgerlichen Republik selbst hervorgewachsen ist Das sind Worte, die in die Waagschale fallen, Worte der echten Vernunft, Worte eines tiefen Ernstes...,,
Heinrich Mann wies bereits im Jahre 1915 in seinem ,,Zola-Essay,, auf den untrennbaren Zusammenhang von Literatur und Politik hin. Aus dieser wichtigen Erkenntnis zog er weitere Schlußfolgerungen für seine eigene politische Tätigkeit. Er stellte sich an die Spitze des Ausschus ses zur Schaffung der deutschen Volksfront, der auf Initiative des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale in Moskau (25. 7.-20. 8. 1935) und der Brüsseler Parteikonferenz vom 13. bis 15. Oktober 1935 gebildet wurde. Der Dichter wurde nicht müde, seine streitbare Feder in den Dienst des unmittelbaren politischen Kampfes zu stellen. Seine Achtung galt GEORGI DIMITROFF, den er als einen Mann kennzeichnete, der die Volksfront geschaffen ,,und die Faschisten als angreifbar und verwundbar gezeigt habe,,. Er arbeitete mit WILHELM PIECK und JOHANNES R. BECHER und mit dem französischen Schriftsteller und Revolutionär HENRI BARBUSSE zusammen und vertiefte seine Einblicke in die gesellschaftlichen Zusammenhänge. Mit dem Gefühl inniger Verbundenheit und Solidarität richtete er brüderliche Worte an den eingekerkerten ERNST THÄLMANN und gedachte er des von den Faschisten ermordeten EDKAR ANDRÉ.
Die politische Arbeit des Dichters schärfte seinen Blick für die Aufgaben und Probleme seiner Zeit, schärfte aber auch seinen Sinn für das Verständnis der Vergangenheit. Nicht nur neben, sondern in unlösbarer Verbindung mit seiner verantwortungsvollen gesellschaftlichen Aktivität setzte er unentwegt die Arbeit an seinem großen historischen Roman fort, dessen beide Teile die Titel ,,Die Jugend des Königs Henri Quatre,, (1935) und ,,Die Vollendung des Königs Henri Quatre" (1938) tragen. In einer Zeit der Verfälschung des Geschichtsbildes durch die Faschisten schuf er damit die bedeutendsten historischen Romane der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er gestaltete das Leben und den Kampf des großen französischen Königs Henri Quatre (1553-1610) um eine einheitliche bürgerliche Nation. Heinrich Mann war freudig und erwartungsvoll bereit, das ihm angetragene hohe Amt des ersten Präsidenten der Akademie der Künste der damaligen DDR zu übernehmen. Schon war der Zeitpunkt seiner Rückkehr festgesetzt. Am 26. April 1950 wollte er mit dem polnischen Schiff ,,Batory" im Hafen von Gdynia eintreffen, um von dort nach Berlin heimzukehren. Sein Arbeitszimmer im Akademiegebäude am Robert-Koch-Platz war für ihn bereits sorgfältig vorbereitet. Da verstarb der große Dichter unerwartet am 12. März 1950 in Santa Monica/USA im Alter von 79 Jahren. Elf Jahre später fand er seine letzte Ruhestätte auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin neben Bertolt Brecht und Johannes R. Becher.
Bibliographie
Romane
,,Im Schlaraffenland,, 1900
,,Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy,, 3 Bde. 1903 ,,Die Jagd nach Liebe,, 1903
,,Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen,, 1905 ,,Zwischen den Rassen,, 1907
,,Die kleine Stadt,, 1909
,,Der Untertan,, 1914 (veröffentlicht 1918) ,,Die Armen,, 1917
,,Der Kopf,, 1925
,,Mutter Marie" 1927
,,Eugenie oder die Bürgerzeit,, 1928 ,,Ein ernstes Leben,, 1932
,,Die Jugend des Königs Henri Quatre,, 1935
,,Die Vollendung des Königs Henri Quatre,, 1938 ,,Lidice,, 1943
,,Der Atem,, 1949
,,Empfang bei der Welt,, 1956
Novellen, Dramen
,,Madame Legros,, 1913
,,Der Weg zur Macht,, 1919
,,Das gastliche Haus,, 1924
,,Szenen aus dem Nazileben,, 1933
Essays
,,Eine Freundschaft. Gustave Flaubert und George Sand,, 1905 ,,Zola,, 1915
,,Geist und Tat,, 1931
,,Der Sinn dieser Emigration,, 1934
Autobiographie
,,Ein Zeitalter wird besichtigt,, 1945
Der Untertan
Das Wilhelminische Kaiserreich, in das Heinrich Mann zwei Monate nach der Gründung hineingeboren wurde, war der Hintergrund, vor dem sich seine Jugend- und Entwicklungsjahre abspielten, sein Werden und Wachsen zum Schriftsteller. Schon in seinen ersten Romanen, ,,lm Schlaraffenland,, (1900) und ,,Professor Unrat,, (1905), erwies sich Heinrich Mann als ein unerbittlicher Darsteller, als Enthüller und Ankläger gegen gesellschaftliche Tendenzen, die schädlich, ja sogar gefährlich waren und die er mit den Mitteln der Satire bekämpfte. Da er das Wilhelminische Kaiserreich bewußt erlebte, sah er vieles, erlebte er manches, wie z. B. die Hinausweisung eines Arbeiters aus einem Café unter den Linden, als der Kaiser vorbeiritt: Dies und anderes an bedenklichen gesellschaftlichen Symptomen konzentrierte sich in einer Figur, füllte das Handlungsgeschehen eines neuen Werkes. Ab 1908 mehrten sich die Skizzen, die Vorübungen zu dem neuen Roman (die Erzählungen ,,Gretchen,, und ,,Abdankung,, gehören dazu) und ab 1910 begann der Verfasser ausschließlich daran zu arbeiten, und er konnte die Niederschrift kurz vor Kriegsausbruch beenden, dem Roman den Titel geben: ,,Der Untertan,,, die Buchausgabe erschien 1918. In einer glänzenden Rezension, im Jahre 1919 in Heft 13 der ,,Weltbühne,, veröffentlicht, hat KURT TUCHOLSKY das Buch gelobt, war überrascht, daß das ,,Herbarium des deutschen Mannes,, in aller Hände sei und hat den Inhalt des Romans großartig in einem Satz zusammengefaßt: ,,Ein Buch Lebensgeschichte eines Deutschen wird aufgerollt: Diederich Heßling, Sohn eines kleinen Papierfabrikanten, wächst auf, studiert und geht zu den Korpsstudenten, dient und geht zu den Drückebergern, macht seinen Doktor, übernimmt die väterliche Fabrik, heiratet reich und ze ugt Kinder.,, Daß sein Leben, trotz einiger Klippen, so gradlinig und vor allem erfolgreich verläuft, hat Heßling seinem Verhalten als Untertan zu verdanken: vor den Großen und Mächtigen (ganz gleich, ob es die Lehrer, die Offiziere oder der Regierungspräsident sind) zu katzbuckeln, die Schwachen, die Untergebenen (seine Mitschüler, Mitstudenten, die Arbeiter) aber zu treten und zu demütigen. In dem Prozeß, den er und einige andere Nationalgesinnte wegen einer angeblichen Majestätsbeleidigung gegen den Fabrikanten Lauer angestrengt haben, charakterisiert Heßlings Gegenspieler, der Rechtsanwalt Buck, den Typ des ,,Untertanen,,: ,,Sie haben ihn gesehen! Ein Durchschnittsmensch mit gewöhnlichem Verstand, abhängig von Umgebung und
Gelegenheit, mutlos, solange hier die Dinge schlecht für ihn standen, und von einem großen Selbstbewußtsein, sobald sie sich gewendet haben.,, Nun kann er triumphieren, kann seine Fabrik vergrößern um ein Denkmal für Kaiser Wilhelm errichten lassen, wobei er eine große Rede hält. Tucholsky hat richtig erkannt: wieviel von Kaiser Wilhelm II. (nicht nur äußerlich der gezwirbelte Schnurrbart) in Diederich Heßling steckt, in seiner Großsprecherei in seiner Übertreibung und der Anbetung der Macht! Weiterer Verdeutlichung dient auch ein besonderer Einfall H. Manns, Aussprüche Wilhelms II., wenngleich etwas verändert, in die Reden Heßlings einfließen zu lassen. Nebenbei sei hier Heßlings autoritäres Verhältnis zu den Frauen erwähnt, die ihm Untertan zu sein habe wie seine Mutter und die beiden Schwestern, aber auch die mollige Gusti Daimchen, die er ehelicht. Im Widerstreit von Heßling und dem alten Buck hat der Autor den Gegensatz zwischen Untertanengesinnung und wahrhaft demokratischer Anschauung, die sich der Revolution von 1848 bewährt hatte, jedoch nicht erfolgreich war, hervortreten lassen, in diesem Roman sind die anständigen Menschen, wie der alte Buck, sein Sohn Wolfgang, der Schneidermeister Göppel, in der Minderzahl, es geben sich die Karrieristen, die Nationalisten, die Ewig-Gestrigen ein Stelldichein: Ob es sich nun um den Regierungspräsidenten von Wulckow handelt - eine dummdreiste Gestalt - oder um den Gymnasialprofessor Kühnchen - einen Hasser und Verachter alles Französischen, den konservativen Pastor Zillich, der von dem ruchlosen Treiben seiner Tochter Käthe nichts ahnt, oder den gewissenlosen Leutnant von Brietzen, der Heßlings Schwester Emmi verführt hat, aber nicht heiratet.
Auch der Schriftsteller ARNOLD ZWEIG würdigte den Roman und seinen Autor mit den Worten: ,,Auf die beherrschten Schichten des deutschen Volkes blickten damals viele Könner des Wortes, mehr oder weniger mit der Fähigkeit begabt, das Wahrheitsgetreue zu sehen und zu zeichnen. Die führende Klasse aber sah und maß von der Helmspitze bis zur Schuhsohle kaum eine r so unerbittlich wie der Dichter des Buches ,,Der Untertan,,.,, Welche künstlerische Meisterschaft der Verfasser erreicht hat, das zeigt sich u. a. in der Schilderung des Prozesses, durch den die Gestalten ausgezeichnet charakterisiert werden. Großartig ist die Aufführung des Stückes ,,Die heimliche Gräfin,,, verfaßt von der Frau des Regierungspräsidenten, mit der Haupthandlung verbunden. Selbst die satirische Interpretation der ,,Lohengrin,,-Oper von R. Wagner dient zugleich der Enthüllung und Verdeutlichung der handelnden Personen und der Zeit. Deshalb war es nicht überraschend, daß der Roman, als er endlich im November 1918 erscheinen durfte, ein großer verlegerischer Erfolg wurde, wenn er auch viel Empörung bei den Nationalgesinnten hervorrief, der größte Erfolg, den Heinrich Mann, sonst immer im Schatten seines Bruders stehend, erleben durfte.
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- Christina Ledong (Autor:in), 1998, Mann, Heinrich - Der Untertan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99878