Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die frühe Buchhandelszeit in Deutschland
3. Der Niedergang der Buchmesse in Frankfurter - die „Reichs- 8 buchhändler“
3.1. Die kaiserliche Buchhandelskommission
3.2. Die sonstigen Gründe für den Niedergang Frankfurts
3.2.1. Die Verlegung der Frankfurter Messe
3.2.2. Instabile politische Verhältnisse und Attraktivität der Waren
4. Der Aufstieg der Leipziger Büchermesse im 17. und 18. Jahrhun- 13 dert
4.1. Der Buchhandel in Leipzig im Allgemeinen - Sortimentshandel und Messkataloge
4.2. Weiter Formen des Buchhandels in Leipzig
4.2.1. Die Druckverleger
4.2.2. Die Buchbinder
4.2.3. Die Auchbuchhändler
4.3. Der eigentliche Buchhandel in Leipzig - Kriterien des Aufstiegs
5. Leipzig - Innovationszentrum des deutschen Buchhandels
5.1. Das Problem des Nachdrucks - das Privilegienwesen in Sachsen
5.2. Die Entstehung des modernen Buchhandels - Aufklärung und Konditions- und Kommissionshandel
5.3. Phillipp Erasmus Reich - Fürst und Revolutionär des Buchhan- dels
6. Leipzig - Marktplatz Europas
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„ Im Jahre 1440 ist ein großund fast göttlich Wohltat dem ganzen Erdenboden widerfah ren, von Johanne Guttenberg, einem Straßburger, mit Erfindung einer neuen Art zu schreiben. Denn derselbe hat erstlich die Druckerkunst in der Stadt Straßburg erfunden, darnach ist er gen Mainz kommen und hat dieselbe glücklich vollendet. “ 1
Diese „Lobpreisung“ Gutenbergs durch den zeitgenössischen Gelehrten Jacob Wimpfe- ling zeigt, auf welche Bedeutung die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg, wahr- scheinlich im Jahr 1440, für die damalige Zeit hatte. Es kam faktisch einer Revolution gleich, die zudem mehr oder weniger durch den Geist des Humanismus und der Renais- sance, durch Unsicherheiten in der kirchlichen Hierarchie (Schisma), von wachsender Experimentierfreudigkeit in der Technik und von politischen und sozialen Kämpfen um die Vorherrschaft in den Städten beeinflusst wurde. Zum ersten Mal wurde mit der ma- schinellen Buchherstellung ein intensiv arbeitsteiliges Produktionssystem erfunden, für welches Schriftgießer, Schriftsetzer, Drucker und Korrektoren benötigt wurden. Zudem waren vor allem Papierhersteller, die Hersteller der Druckfarbe und unzählige Hilfsarbei- ter für die niederen Aufgaben gefragt, da die Auflagen und die Seitenzahlen der Druck- werke kontinuierlich zunahmen.
Auf der anderen Seite wurden durch die Ausbreitung des Buchdrucks in ganz Europa hunderte von „Schreibern“, die bis dato die Bücher mittels abschreiben vervielfältigt hat- ten, arbeitslos. Selbst die Schreibstuben in den Klöstern stellten ihre Produktion auf den maschinellen Druck um, auch wenn das gedruckte Werk, zumindest in der ersten Zeit, nie die Qualität eines abgeschriebenen und handverzierten Buches erreichen konnte. Dies än- derte sich jedoch mit den Jahrzehnten, in denen die Produktion und die Produktionsmittel ständig verändert und verbessert wurden. Mit der angesprochenen Erweiterung der Buch- produktion in Europa, die im ersten Jahrhundert primär in Süddeutschland, Italien, Frank- reich und der Schweiz erfolgte, wurde es für die Produzenten im Sinne einer effektiven und gewinnträchtigen Produktion interessant, die Ware Buch auf den regelmäßig stattfin- denden Märkten/Messen anzubieten. Erstmals sind so Zeugnisse aus dem Jahre 1481 überliefert, die besagen, dass in Frankfurt am Main gedruckte Bücher zum Kauf angeboten wurden. Für Leipzig ist ein solches Ereignis erst für 1517 nachweisbar.2
Frankfurt am Main und Leipzig, beides zentrale und wichtige Messeorte für fast alle Han- delswaren der damaligen Zeit, entwickelten sich infolgedessen auch zu wichtigen Han- delsorten für Bücher. Diese Konkurrenz zwischen den beiden Handelsstädten, die letzt- endlich für Leipzig als Zentralort des europäischen Buchhandels ausging, wurde in den vergangenen zwei Jahrhunderten umfassend erforscht. Besonders im 19. Jahrhundert machte sich der Historiker Albrecht Kirchhoff darum verdient, dass er unzählige Leipzi- ger Raths- und Gerichtsakten aufarbeitete und so, besonders über das „Archiv für Ge- schichte des deutschen Buchhandels“, seine Forschungsergebnisse dem interessierten Publikum bekanntgab. Auch wenn seine Aufsätze den heutigen wissenschaftlichen Stan- dards nicht mehr ganz genügen, so ist es für die Aufarbeitung des Buchhandels und der Buchproduktion in Leipzig und Frankfurt unumgänglich seine Werke in Augenschein zu nehmen und zu verarbeiten. Zusammen mit zahlreichen anderen Historikern des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es Kirchhoff durch eine intensive Förderung durch den Börsenverein des deutschen Buchhandels gelungen, die Geschichte des Buch- handels in Leipzig und Frankfurt fast lückenlos aufzuarbeiten. Auch heute, nachdem 40 Jahre Sozialismus die Leipziger Buchmesse und ihre unbeschreiblich wertvolle Tradition fast völlig ruiniert haben, kommt keine historische Darstellung des Buchhandels und des Buchdrucks ohne eine umfassende Beschreibung der Messen in Leipzig und zumindest bis ins 18. Jahrhundert auch Frankfurts, aus. Es steht daher für die Aufarbeitung der Ent- wicklung Leipzigs zum zentralen Buchhandelsplatz und damit zu einem Kommunikati- onsmittelpunkt innerhalb Europas eine kaum zu überblickende Zahl an wichtigen und um- fassenden Büchern zur Verfügung. Von daher wäre es illusorisch, auch nur annähernd alle Themen, die mit der Entwicklung der Leipziger Buchmesse bis ins 18. Jahrhundert zu- sammenhängen, in dieser Arbeit darstellen zu wollen.
Aus diesem Grund werde ich mich, nachdem ich kurz auf die frühe Buchhandelszeit ein- gegangen bin, darauf konzentrieren, den Niedergang Frankfurts zu erklären, um schließ- lich Besonderheiten Leipzigs im 18. Jahrhundert anzuführen. Übergeordnetes Ziel dieser Arbeit soll es sein, die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten des Kurfürstentums Sachsen und der Handelsstadt Leipzig herauszuarbeiten, die letztendlich den entscheidenden Vorschub für die Entwicklung zur europäischen Buchhandels- stadt gaben.
2. Die frühe Buchhandelszeit in Deutschland
Die frühe Buchhandelszeit beginnt in Frankfurt am Main nachweislich 14813 und in Leip- zig wahrscheinlich einige Jahrzehnte bzw. Jahre später. D.h. man findet heute in der Lite- ratur sehr unterschiedliche Jahresangaben über den offiziellen Beginn des Buchhandels in Leipzig. So spricht man einerseits vom Jahr 15144, andererseits wird in der Wissenschaft vermutet, dass das erste in Leipzig gedruckte Buch „Die künftigen Siege der Christen über die Türken und Sarazenen“ von Johannes Annius (italienischer Dominikaner) geschrieben und von Marcus Brandis gedruckt, auf der Michaelismesse 1481 angeboten wurde.5 Die letztere Zahl basiert auf einer Quelle die besagt, dass in diesem Jahr in der Stadt Leipzig zwei Buchführer steuerpflichtig ansässig waren und erste sogenannte „Bücherkammern“ existierten, die durch Leipziger Kaufleute betreut wurden.6 Gleichwohl kann man aber davon ausgehen, dass in Leipzig ein mit Frankfurt am Main vergleichbarer Buchhandel, d.h. mehrere Buchhändler bieten ihre Ware an, erst um 1514 begründet wurde.
In diese Zeit fällt auch der für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und insbe- sondere für die Messen in Frankfurt und Leipzig so wichtige „Ewige Landfriede“ des Wormser Reichstages von 1495. Die darin festgeschriebenen Schutzvorschriften für die umherziehenden Kaufleute betonten besonders die Geleitspflicht der regionalen Herrscher und sollten die Straßen, die oftmals von Räubern u. ä. unsicher gemacht wurden, zu siche- ren Transportwegen für den Handel machen. Gleichwohl lebten und fuhren die Kaufleute und im Speziellen die hier interessierenden Buchhändler in ständiger Gefahr ausgeraubt zu werden, da sich viele, besonders verarmte Adlige, nicht an die königlichen Weisungen hielten.7 Aber auch diese Gefahren, mit denen man schon in den vergangenen Jahrhunder- ten leben musste, konnten die Entwicklung des Buchhandels und die damit verbundenen Messebesuche der Buchhändler bzw. der Buchführer nicht verhindern. So ist das oben genannte erste gedruckte Buch aus Leipzig bereits 1482 in Köln und Gouda nachweisbar, wo es nachgedruckt wurde.8
Bereits um 1500 findet man in Frankfurt sogenannte Niederlagen zahlreicher ausländi- scher Händler aus Venedig, Frankreich und anderen europäischen Regionen, die sich in Leipzig erst in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts nachweisen lassen. Frankfurt am Main kann aus diesem Grund bereits früh eine international ausgeprägte literarische Kul- tur entwickeln, welche aber primär auf lateinischen Büchern aufbaute. Dazu kam die zent- rale Lage Frankfurts. Einerseits lag die Stadt am Main, der als Transportweg für Waren und Bücher, zumal er mit dem Rhein als internationalen Fluss verbunden war, eine große Bedeutung hatte. Andererseits waren die Straßenverbindungen in die und von den damals führenden „Buchdruckerzentren“, wie z.B. Wien, Venedig, Paris usw., relativ kurz. Und je größer die Auflagen der Bücher wurden, desto mehr Buchführer, d.h. Angestellte der Druckverleger, nutzten diese Verkehrswege und kamen mit ihrer Ware in die Messestadt. Darüber hinaus entwickelten sich, zuerst 1480 in Leipzig und Augsburg, sogenannte Sor- timenter. Dies waren selbständige Buchhändler, die allein dem Erwerb und Verkauf von Büchern nachgingen und dazu von Buchmesse zu Buchmesse zogen. Im einzelnen bedeu- tete dies, dass sich diese Händler „ mit fremden Verlag beschäftigten, welchen sie von anderen Sortimentern mit Beziehung eines gewissen Rabatts nach mehreren Exemplaren von jedem Artikel eigenthümlich erwirbt und verkauft. “ 9
In Frankfurt wurde, wie bereits kurz angesprochen, bis zum Niedergang der Buchmesse fast ausschließlich mit lateinischer Gelehrtenliteratur gehandelt. Diese Literatur stammte zumeist aus den katholischen Universitätsstädten des Westens. D.h. Frankfurt verstand nicht die Zeichen der Zeit und versuchte künstlich die mittelalterliche Kultur des lateini- schen Schrifttums aufrecht zu erhalten. Trotzdem konnte sich Frankfurt an Main noch mindestens bis um 1680 als führender europäischer Buchhandelsplatz behaupten.10
Leipzig hingegen, wo bis zum Tod Herzog Georg des Bärtigen 1539 ebenso die lateini- schen Bücher dominierten, entwickelte sich mit der Machtübernahme der lutherischen Fürsten kontinuierlich zum Zentrum des Handels mit deutschsprachiger Literatur. Es hatte sich bekanntermaßen seit der Reformation und dem Wirken Martin Luthers ein neuer Markt entwickelt, der nach deutscher Literatur Ausschau hielt und diese auch intensiv vertrieb und konsumierte. Dass Leipzig jedoch erst relativ spät darauf reagieren konnte, lag in der Zensurpolitik des Sachsenherzogs Georg. Dieser verteidigte mit allen Mitteln die katholische Tradition und versuchte, unbeirrt den Handel mit reformatorischen Schriften auf Leipzigs Märkten zu unterbinden. D. h. der Buchmarkt in Leipzig passte sich anfangs langsamer als z. B. Wittenberg, das damalige Zentrum des reformatorischen Buchhandels, an die neuen politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten an. Letztendlich begann aber nach 1539, unter der Herrschaft des berühmten Kurfürsten Moritz von Sachsen, die Entwicklung zum zentralen Buchhandelsplatz in Europa.
Letztlich muss an dieser Stelle noch ein Problem angesprochen werden, wovon im 15. und 16. Jahrhundert wahrscheinlich alle Buchdruckerstädte gleichermaßen betroffen waren. Dieses Problem, welches bis zur Umstellung auf den reinen Sortimentshandel bestand, waren die schnellen Pleiten der Buchdrucker, die damals noch zum größten Teil in Perso- nalunion mit den Buchhändlern existierten. So existierten die meisten nicht mehr als10 Jahre und waren danach hoch verschuldet, was zumeist zu einer Flucht aus den Heimat- städten bzw. zur völligen Verarmung führte. Die Gründe dafür lagen in der neuen Produk- tionsweise. So forderte das frühkapitalistische Gewerbe einen beträchtlichen finanziellen Einsatz für die Druckwerkstatt und den Verlag. Andererseits konnten die eingesetzten Mittel nur sehr langsam wieder erarbeitet werden, da viele Verleger und Händler auf Kre- dite angewiesen waren. Und schließlich wurde die Zahl der Konkurrenten stetig größer, was zur Folge hatte, dass sich das Angebot an Neuerscheinungen ständig erweiterte, die Preise hingegen fielen.
Es ist also in der frühen Buchhandelszeit festzustellen, dass sich der Buchhandel auf dem Leipziger Markt relativ spät etablieren konnte. Nachdem dies aber geschehen war entwi- ckelten sich die Märkte in Frankfurt am Main und in Leipzig in Bezug auf das Angebot von Anfang an auseinander. D. h. Leipzig wurde zum Handelsplatz deutschsprachiger Bücher, die kaiserlich kontrollierte Reichsstadt Frankfurt hingegen konzentrierte sich wei- terhin auf den lateinischen Büchermarkt. Diese „Bibliopolische Zweiteilung“ des deut- schen Büchermarktes sollte schließlich in den kommenden Jahrhunderten dazu führen, dass Leipzig als moderne, aufgeklärte, landespolitisch und durch geschäftstüchtige Räte geförderte Stadt, Frankfurt als Buchhandelszentrum in Europa überholen sollte. Dazu soll im nächsten Kapitel einiges gesagt werden.
3. Der Niedergang der Buchmesse in Frankfurt - Die „Reichsbuchhändler“
Mit dem 16. Jahrhundert und insbesondere der Reformation, die sich, gestützt auf die Buchdruckerkunst in ganz Deutschland sehr rasch ausbreiten konnte, beginnt für den Buchdruck und den Buchhandel der unaufhaltsame Aufstieg, was insbesondere auch an den immer größer werdenden Auflagen abzulesen ist. Waren es im 15. Jahrhundert insge- samt etwa 24 Auflagen mit 10.000 Stück des ersten gedruckten Buches, so konnte allein Martin Luthers „An den christlichen Adel deutscher Nation“ in den ersten fünf Tagen eine Stückzahl von 4.000 erreichen. Gleichwohl dies ein Ausnahme in dieser Zeit darstellt, erfährt in der Folgezeit besonders die protestantische Literatur eine riesige Nachfrage, selbst wenn diese in einem Land wie dem Herzogtum Sachsen anfangs verboten war. Die- se Entwicklung, die in der Literatur oftmals als „Kulturwanderung des deutschen Geistes“ aus dem Süden (Reichsbuchhändler) in den Norden bezeichnet wird, ist ausschlaggebend für die Entwicklung des deutschen und internationalen Buchhandels und umgekehrt, pro- fitierte der Buchhandel und -druck von dieser Kulturwanderung.11 Im Resümee bedeutet dies im Zusammenhang mit einigen anderen Gründen, die im Folgenden kurz dargelegt werden sollen, den Niedergang des Buchhandelsstandortes Frankfurt am Main.
3.1. Die kaiserliche Buchhandelskommission
Mit der Ausbreitung der Reformation im gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation begann auch die deutschsprachige protestantische Literatur, den Buchhandel zu beeinflussen bzw. zu dominieren. Und so konnte auch Frankfurt als zentraler europäischer Buchhandelsplatz dieser Entwicklung nicht aus dem Wege gehen. Die Zahl der Bücher mit lutherischen Inhalten stieg an und insbesondere die mitteldeutschen Verlage vertrie- ben diese auf den Frankfurter Messen. In Verbindung mit humanistischen Inhalten hatte der Protestantismus große Erfolge auf dem Büchermarkt zu verzeichnen, so dass Rom nach dem eigenen Verständnis vom richtigen Glauben schnellstens reagieren musste. Und so wurde am 01. August 1569 auf Anraten des Papstes12 die katholisch-kaiserliche Bü- cherkommission durch Kaiser Maximilian II. in der Reichsstadt Frankfurt am Main einge richtet.13 Ihre Hauptaufgaben, so die kaiserliche Anordnung, sollten in der Verhinderung der Ausbreitung aller „ketzerischen“ Schriften sowie in der Wahrung des kaiserlichen Rechts auf Freiexemplare, die ihm für die Privilegierung (Nachdruckschutz) abzuliefern waren, liegen. Diese Kommission sollte planmäßig durch den Frankfurter Rat besetzt werden, der sich jedoch außer Stande sah, eine solch umfangreiche Arbeit ausführen zu können, zumal er jedweden Ärger mit dem Kaiser aus dem Weg gehen wollte. Deshalb wurde die Kommission auf Wunsch des Frankfurter Rates mit kaiserlichen Räten besetzt. Die sich daraus ergebende Autonomie der Kommission führte zu einem rigorosen Re- giment, wodurch mehr und mehr, teilweise alteingesessene, Messebesucher der Frankfur- ter Buchhandelsmesse fern blieben. Der Frankfurter Rat, der sehr schnell merkte, dass er mit dieser Kommission und deren Besetzung zuungunsten der gesamten Entwicklung Frankfurts entschieden hatte, konnte und wollte letztendlich nicht gegen die Maßnahmen dieser Zensurbehörde vorgehen und gab den relativ schwachen Widerstand bald auf. Ganz im Gegensatz dazu regierte in Sachsen ein Herrschergeschlecht, welches die Bedeutung der Messe in Leipzig sehr früh erkannte. In enger Zusammenarbeit mit dem Leipziger Rat (Exekutive) und der Leipziger Universität (Legislative) versuchte die sächsische Regie- rung deshalb auch, etwa ab der Mitte des 16. Jahrhunderts, eine vergleichsweise liberale Zensur aufrechtzuerhalten.14 Die Zensur in Sachsen wurde dadurch zwar nicht beseitigt, aber die Toleranzschwelle sehr niedrig angesetzt. So kamen in Leipzig Bücher zum Ver- kauf, die in Frankfurt am Main nie hätten gehandelt werden dürfen, was besonders die osteuropäischen Händler, die großen Wert auf die Vollständigkeit des Angebots legten, nach Leipzig zog. Erklärtes Ziel der Sachsen und insbesondere der Leipziger war es, selbst die entferntesten und durch die Zensur geplagten Buchhändler, zu stimulieren, in Sachsen zu handeln und natürlich auch drucken zu lassen.15
Ein weiterer „Verdienst“, den sich die kaiserliche Bücherkommission zurechnen kann, war die Festlegung von 1655, dass für Bücher gleichen Formats und entsprechend der verwendeten Bogenzahl ein einheitlicher Preis bezahlt werden musste.16 Der geistige Wert, die Herstellungskosten und die Absatzfähigkeit eines Buches spielten bei dieser „Buchpreisbindung“ keine Rolle. Obwohl auch Sachsen 1623 eine solche Regelung eingeführt hatte, konnte sich dieser Tauschhandel nicht durchsetzen. So wurde zwar in der Pra- xis der Tauschhandel (Sortimentshandel) betrieben, jedoch wurden die Kosten der getauschten Bücher nach Inhalten, Ausstattung und Herstellungskosten gegeneinander aufgerechnet. Entsprechend dieser Anordnung der Kommission, die im Gegensatz zu Leipzig mit allen Mitteln versuchte, diese durchzusetzen, kam es 1655 zu einer Beschwerde der Buchhändler, die in diesem Zusammenhang zum ersten Mal öffentlich androhten der Frankfurter Messe fernzubleiben.17 Insbesondere die holländischen Bücher, die sich durch eine äußerst hohe Qualität auszeichneten, waren von dieser Regelung betroffen, weshalb auch die Niederländer die Ersten waren, die den Besuch der Frankfurter Messe zugunsten von Leipzig und andern Messeplätzen aufgaben.
Als schließlich ab 1685 die Messekataloge von der kaiserlichen Zensurbehörde verlegt und unliebsame Schriften vollständig aus dem Index verbannt wurden, begann für Frank- furt der endgültige Niedergang. Bereits 1697 finden sich in den Ratsakten zu Frankfurt Hinweise darauf, dass Leipzig europäische Buchhandelszentrale wird, wenn nicht schon ist, wenn der Kaiser seine „Schikanen“ über die Bücherkommission nicht einstellt.18 Dies lehnte jedoch der Kaiser ab und hatte spätestens mit dem fernbleiben des letzten Protes- tanten im Jahr 1765 sein Ziel erreicht. Der Preis dafür war aber hoch, es war das Ende der Frankfurter Buchhandelsmesse.
3.2. Die sonstigen Gründe für den Niedergang Frankfurts
3.2.1. Die Verlegung der Frankfurter Messe
Mit der Einführung des gregorianischen Kalenders in den protestantischen Gebie- ten im Jahr 1700 wurde das System der bis dato sorgfältig aufeinander abgestimm- ten Messetermine, welches aus dem Mittelalter stammte, zerstört. War vor 1700 zwischen den einzelnen Messen genügend Zeitraum eingeplant, die beschwerli- chen Reisen von Ort zu Ort pünktlich zu bewältigen, lagen nunmehr einige Messen in ihren Terminen so dicht beieinander - die Ostermesse in Frankfurt wurde um 11 Tage vorverlegt, so dass nur noch mit größten Anstrengungen ein Besuch der an- schließenden Leipziger Messe zu bewältigen war. So entschieden sich bis 1711 bereits zahlreiche Buchhändler dafür, persönlich nur noch in Leipzig, was um diese
Zeit in einigen Fachbereichen Frankfurt bereits überholt hatte, anwesend zu sein. Nach Frankfurt dagegen wurden, wenn überhaupt, Beauftragte (Buchführer) ge- schickt bzw. Commissionäre beauftragt, die zudem nur ein begrenztes Angebot mit sich führten.19
Als schließlich der Frankfurter Rat die Ostermesse um weitere zwei Wochen nach vorn verschob, war es unmöglich geworden, beide Messen zu besuchen. Der Grund dafür, so der Frankfurter Rat, lag in den schlechten Witterungsbedingungen des Frühjahrs, die fast jährlich eine Überschwemmung des Mains und damit der Mes- sestände an dessen Ufer bewirkten. Aber auch wenn der Fluss nicht über die Ufer trat so führte er jährlich Hochwasser, was den Transport der Bücher erschwerte bzw. ganz verhinderte. Aber auch die schlechten Straßenverhältnisse um Frankfurt beeinflussten den Transport der Bücher und die Reisegeschwindigkeit der Händler. Die Folge davon war für Frankfurt verheerend, besonders weil sich Leipzig dage- gen wehrte, der Aufforderung Folge zu leisten, die eigene Messe nach hinten zu verschieben. Insbesondere die internationalen Kaufleute gaben die Frankfurter Messe ganz auf oder besuchten sie nur kurz und mit nur wenigen Waren. Der Ein- kauf für die Leipziger Messe erfolgte nicht mehr in Frankfurt sondern anderenorts. Und die süddeutschen Händler, die Frankfurt meist noch treu geblieben waren gin- gen nach Leipzig, weil sich mit den nord- und osteuropäischen Händlern, die hier verkehrten, ein riesiges Absatzgebiet auftat, welches man unbedingt ausnutzen wollte und musste.
3.2.2. Instabile politische Verhältnisse und Attraktivität der Waren
Neben den im vorhergehenden Abschnitt angesprochenen Terminproblemen beein- flussten den Niedergang Frankfurts vor allem auch instabile politische Verhältnis- se, vor allem im Hause Habsburg, und die fehlende Attraktivität der angebotenen Waren.
Zum einen ist in diesem Zusammenhang der 30jährige Krieg zu nennen, der einen bedeutenden Rückgang der Pflege von Wissenschaft und Kultur mit sich brachte. So ging der Bedarf und die Nachfrage an lateinischer Gelehrtenliteratur dramatisch zurück und die Herausbildung nationaler Buchmärkte schritt unaufhaltsam voran.
D. h. neben der deutschen Literatur wurden auch französische, niederländische und englische Bücher bevorzugt gehandelt. Dementsprechend wurde die Zahl der latei- nischen Neuerscheinungen so gering, dass sich eine eigene Messe dafür nicht mehr lohnte.20
Zum anderen forderte der deutsch-französische Krieg und der spanische Erbfolge- krieg von den Frankfurtern bedeutend mehr Opfer als von Leipzig. Einerseits musste Frankfurt höhere finanzielle und personelle Opfer leisten. Andererseits wurde aufgrund der kaiserlichen Verbote, mit Frankreich Handel treiben zu kön- nen, ein bedeutender Handelspartner von Frankfurt ferngehalten, was in dieser Kri- senzeit für die Buchhandelsmetropole sehr schmerzlich war und zum Niedergang einen weiteren Beitrag leistete.
Aber auch die politische Unterstützung der Frankfurter Messe durch den Rat, der aufgrund der politischen Stärke der Kommission faktisch entmachtet war, und ins- besondere die Unterstützung durch den Kaiser fehlte fast vollständig. So musste der Kaiser sich regelmäßig um die kriegerischen Auseinandersetzungen der Habs- burger Erblande kümmern, die ihm das Auskommen sicherten. Andererseits war er ständig in die Auseinandersetzungen zwischen Territorialherrschern oder auch mit Rom verwickelt.
Im Gegensatz dazu wurde Leipzig durch die Sachsenherrscher aufgrund der fiska- lischen Vorteile, die die Messen boten, und der guten Beziehungen zwischen den Leipziger Händlern und der sächsischen Regierung enorm gefördert.21 Besonders August der Starke nutzte die Messestadt und die Messen für seine gesellschaftli- chen und politischen Veranstaltungen. Daneben brachte die Stadt Leipzig viel Geld in die kurfürstliche Kasse, welches für sein ausschweifendes und kriegerisches Le- ben stets vonnöten war. So feierte er zur Michaelismesse 1699 mit einem großen Hofstaat die Hochzeit eines Verwandten. Zudem fiel sein Geburtstag (12. Mai) oftmals in die Zeit der Leipziger Ostermesse, die er dann auch besuchte und dort die Feierlichkeiten stattfinden ließ.22 Dass dabei der Kontakt zwischen dem Herr- scher und den reichsten Bürgern der Stadt, zu denen ohne Zweifel auch einige Buchhändler gehörten, sehr gepflegt wurde, tat ein übriges zur Förderung Leipzigs.
Ein positiver Nebeneffekt der kurfürstlichen Reisen nach und von Leipzig waren die zahlreichen Mandate23 zur Verbesserung und Erhaltung der Straßen, Brücken und zur Versorgung der Reisenden, was wiederum den reisenden Buchhändlern zugute kam und insbesondere während des Frühjahrs von Vorteil war.24 Schließlich hatte sich in der Fachwelt sehr schnell herumgesprochen, dass in Leip- zig fast nur Drucker, Kupferstecher und andere mit der Buchherstellung beschäf- tigte ansässig waren, die die damals beste Ausbildung genossen hatten. D.h. sie waren nach ihrer eigentlichen Ausbildung in Deutschland noch einmal mehrere Jahre nach Holland gegangen und hatten vor Ort die hohe Kunst des niederländi- schen Buchdrucks gelernt. Entsprechend war die Qualität der Leipziger Ware, die nur noch selten auf der Frankfurter Messe angeboten wurde. Hinzu kommt, dass gerade um die Jahrhundertwende zum 18. Jahrhundert in keiner anderen Stadt mehr und wichtigere Bücher editiert wurden als in Leipzig, so dass ein Händler, der etwas auf sich hielt und nur beste Qualität anbieten wollte nach Leipzig gehen musste.25
4. Der Aufstieg der Leipziger Büchermesse im 17. und 18. Jahrhundert
4.1. Der Buchhandel in Leipzig im Allgemeinen - Sortimentshandel und Messkataloge
Der „urzeitliche“ Wanderhandel der Buchhändler, d.h. der Buchhandel des 15.Jahrhunderts, war aufgrund der schnell wachsenden Zahl an Neuerscheinungen spätes- tens ab 1550 nicht mehr praktikabel und die Zeit des Mess- und Tauschhandels begann - zumal die kleinen Messen ihre Bedeutung gegenüber Leipzig und Frankfurt völlig einbüß- ten.26 Die Produzenten traten nun nicht mehr direkt mit dem Abnehmer in Geschäftsbe- ziehungen, sondern vertrieben über den Stand der Handeltreibenden ihre Ware.
Die Praxis des Buchhandelsgeschäfts änderte sich dahingehend, dass sich die Buchhändler auf den jeweiligen Messen, bevorzugt in Leipzig und Frankfurt, durch Buchtausch versorgten, wobei die getauschte Ware auf den regionalen Märkten und Messen angeboten wurde. Diese zweite Phase des Buchhandels, die 1764 durch das Konditionsgeschäft bzw. der Kommissionshandel abgelöst wird, bezeichnet man allgemein als Tauschzeitalter und beginnt in Leipzig bereits im 15. Jahrhundert.27 Die Besonderheit dieses Epoche liegt im geldlosen Warenverkehr, d.h. es wird auf den Messen Buch gegen Buch und Bogen für Bogen getauscht - sie „nehmen fremden Verlag auf“. Der sich aus dieser Handelsform ergebende Vorteil für die Buchhändler sei hier nur kurz erwähnt.
Der Buchhandel, der auf dem Ex- und Import beruhte, war durch die damals existierende Staatsdoktrin des Kameralimus ein äußerst benachteiligter Wirtschaftszweig. D.h. staat- lich wurde der Export wurde subventioniert und der Import durch Handelsschranken be- grenzt. Diese Einschränkungen wurden durch den Change- bzw. Tauschhandel umgangen, indem auf der Messe in Frankfurt oder Leipzig alle Neuerscheinungen ohne Rücksicht auf deren Inhalt, auf der Basis des gleichen Papierwertes bogenweise getauscht wurden. Es war also kaum Geld im Umlauf. Der Hauptvorteil dieser Handelsart war, dass das Be- triebskapital relativ gering gehalten werden konnte und man trotzdem, aufgrund eines un- geschriebenen Gesetzes, stets ein umfangreiches Sortiment anbieten konnte. Dieses Ge- setz besagte, dass alle seriösen Buchhändler mindestens 4 - 6 Exemplare einer Neuer- scheinung abnehmen musste, für jedes weitere Exemplar wurden zudem hohe Rabatte, die in ihrer Blütezeit bis zu 50 % betrugen, gewährt. Und diejenigen, die diesen Sortiments- handel betrieben, waren die sogenannten Verlegersortimenter, die als die regulären Buch- händler der damaligen Zeit galten. Sie lebten vom Sortimentshandel und waren dazu auf allen wichtigen Messen präsent. Insgesamt gesehen existierte Mitte des 17. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation pro 96.000 Einwohner ein ständig mess- besuchender Verlegersortimenter.28 Bei ihren zahlreichen Reisen zu den Messen handel- ten sie lange Zeit mit lateinischer Gelehrtenliteratur, die im Laufe der Zeit mehr und mehr durch überregional absetzbare deutsche Produktionen abgelöst wurden. Auf den Messen mieteten sie sich meist große Lagerräume, in denen sie ihre Ware in großen Ballen lager- ten und zum Tausch anboten. Das Problem dabei war, dass mit jedem Monat, in dem die Ware nicht abgesetzt werden konnte der Wert dieser Ware sank. Es war zudem die Regel, dass jeder dieser Händler einige Lager besaß, in denen mit der Zeit tausende ungebundene Bögen lagerten, die man nicht mehr los wurde.29
Eine Übersicht über die damals gehandelten Bücher erhält man durch eine besondere Quellenart - die Messkataloge. Der erste bekannte Katalog dieser Art wurde in Frankfurt 1564 gedruckt. Leipzig folgte 1594 mit der Herausgabe eines eigenen Messkatalogs durch den Buchhändler Henning Groß. Diese Kataloge stellen eine Übersicht über alle wichtigen überregionalen Bücher dar, die auf den Messen gehandelt wurden. Auch wenn bis 1603 in Leipzig nur ein Abdruck des Frankfurter Kataloges erfolgte und diese insgesamt unvoll- ständig waren30, zeigte sich ab diesem Zeitpunkt, dass die hier stattfindende Messe jähr- lich durch eine große Zahl an Neuerscheinungen bereichert wurde. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass mit der Steigerung der Neuerscheinungen auch die Zahl der Händler stetig anstieg. Insbesondere der Anteil west- und osteuropäischer Händler nimmt augen- scheinlich sehr rasch zu und verhilft der Leipziger Messe zu wachsendem Ansehen.31 Wa- ren es 156432 nur 19 nationale und internationale Verlagsorte mit insgesamt 256 Büchern aus den verschiedensten Fachrichtungen33 und 159434 80 Verlagsorte mit 659 Büchern, konnte man 1800 allein in Leipzig insgesamt 125 Verlagsorte mit insgesamt 4.012 Neuer- scheinungen verzeichnen.35 Da aber auch mit älteren und gut absetzbaren Titeln sowie mit Kleinliteratur gehandelt wurde, die in den Katalogen leider nicht aufgeführt waren, kann die Zahl der angebotenen Bücher ohne Übertreibung auf ein vielfaches schätzen. Neben diesen Gesamtzahlen ist aber auch die Entwicklung der deutschen und lateinischen Bü- cher interessant. Man erkennt so in welcher Weise und wie schnell die deutschsprachige Literatur auf den Messen in Leipzig die Oberhand gewinnt. Sind es 1564 insgesamt 183 lateinische und 73 deutsche Bücher, und im Jahr 1594 insgesamt 427 lateinische und 215 deutsche Bücher, die hauptsächlich in Frankfurt gehandelt wurden, sind es im Jahr 1765 in Leipzig alles in allem 1061 deutsche und nur noch 270 lateinische Neuerscheinungen. Diese Zurückdrängung der lateinischen Schriften wird zusätzlich durch das Erscheinen von ausländischer Literatur unterstützt - 1765 allein 174 französische Neuerscheinungen - und führte schließlich dazu, dass die Auswahl der angebotenen Bücher in Frankfurt am Main als Zentrale des lateinischen Buchhandels so gering war, dass sich eine eigene Mes- se für diesen Bereich nicht mehr lohnte - etwa ab 1760.
4.2. Weitere Formen des Buchhandels in Leipzig
Neben den im letzten Abschnitt erwähnten Verlegersortimentern hatten sich in den großen Buchdruckerorten noch weitere Formen des Buchhandels herausgebildet, so auch in Leip- zig. Diese Händler lebten und arbeiteten meist nur in sehr bescheidenen Verhältnissen, was sich auch in ihrem Sortiment niederschlug. Zugleich waren sie es, die die ländlichen Regionen mit Literatur versorgten und dadurch auch die Lesekultur und ihre Entwicklung in diesen Regionen beförderten. Insbesondere in der Blütezeit des Nachdrucks konnten diese Händlerkreise qualitativ hochwertige, durch den Nachdruck aber preiswerte, Litera- tur auf dem Lande an den Mann bringen, die sonst keinen Weg zu diesen Abnehmern ge- funden hätte und im Prinzip auch nicht für diese Käuferschicht bestimmt war.
4.2.1. Die Druckverleger
Die Druckverleger waren in ca. 330 deutschen Druckorten, neben Leipzig, vertre- ten. Sie arbeiteten meist ohne großes Absatzrisiko hauptsächlich für den regionalen und lokalen Bedarf. In diese Gruppe einzuordnen sind u.a. die Hof-, Kanzlei-, Uni- versitäts- und Ratsbuchdrucker, die im Auftrag der jeweiligen Behörde oder Ein- richtung Veröffentlichungen druckten, welche von Jahrmarktsliteratur bis hin zu Flugblättern reichte. Die Besonderheit dieser Drucker lag darin, dass sie von ihren Herren besondere Druckprivilegien erhielten und sich durch Bücher auszeichneten, die meist einer bestimmten Person, dem Herren, zum Lobpreis dienten. Auf den Messen waren sie eher selten vertreten und wenn doch, dann machte ihr geringes Tauschkontingent den Barankauf notwendig. Der regionale Vertrieb ihrer Werke erfolgte meist durch Hausierer und Marktschreier, die die Ware auf Regionalmärk- ten anboten. Ab 1700 werden diese Druckverleger durch ihre kirchenkritischen und mystischen Schriften bekannt.36
4.2.2. Die Buchbinder
Die Buchbinder sind innerhalb des Berufszweiges der Buchhändler die einzige Gruppe gewesen, die straff zunftmäßig organisiert waren und korporativ auftraten. Neben ihrer Haupttätigkeit, dem binden der Bücher, traten sie oftmals als Verleger von Kleinliteratur auf und besaßen das verbriefte Recht auf Messen alleiniger An- bieter gebundener Bücher zu sein. So vertrieben sie vor allem Bibeln, Gebets- und Gesangsbücher, Kalender, kleine deutsche Romane und ähnliche Werke mehr. Gleichwohl ging ihr Ehrgeiz soweit, dass sie sich den großen Verlegersortimentern als eine Art Filiale anboten und auf diese Weise am Messverkehr in Leipzig und anderenorts teilnahmen. Eigentlich waren sie aber diejenigen, die den Wanderhan- del des 15. und frühen 16. Jahrhunderts aufrechterhielten, wodurch die Buchbinde- rei oftmals in den Hintergrund trat.37
4.2.3. Die Auchbuchhändler
Schließlich sind in diesem Kontext noch die Auchbuchhändler zu nennen. Dies wa- ren meist Geistliche, Studenten, Angehörige verwandter Berufe, wie Kupferste- cher, Schriftgießer usw. aber auch kleinere Kaufleute, die als Wanderhausierer von Ort zu Ort zogen und die Ware Buch an den Mann brachten. Dabei handelte es sich in der Regel um damals eher anstößige und sektiererische Werke, wodurch sich ih- re Namen immer wieder in den Gerichtsakten der einzelnen Gerichtsbezirke wie- derfinden lassen. Besonders häufig traten sie kurz nach dem Ende des 30jährigen Krieges auf und machten den eingesessenen Buchhändlern starke Konkurrenz, die in dieser Zeit selbst zum Teil auf den Wanderhandel angewiesen waren. Da die Auchbuchhändler aber meist billigere Ware anboten, ging ihr Geschäft insgesamt besser.
4.3. Der eigentliche Buchhandel in Leipzig - Kriterien des Aufstiegs
Der eigentliche Buchhandel in Leipzig fand bis ins 18. Jahrhundert, mit einigen Ausnah- men zur Neujahrsmesse, regelmäßig zu Ostern und Michaelis statt. Nachdem 1497 und 1507 zwei königliche Privilegien die Märkte der Stadt zu Messen erhoben hatten, begann der unaufhaltsame und dennoch unstete Aufstieg zum europäischen Buchhandelszent- rum.38 1514 wird zudem durch eine päpstliche Bulle bestimmt, dass die Kleriker in Mei- ßen, Merseburg und Leipzig die Messe in Leipzig zu fördern und eventuelle Konkurrenz zu unterbinden hätten.
Während der Messen fanden sich, neben den unterschiedlichsten Händlern (Rauchwaren, Metalle usw.) auch die Buchhändler aus vielen deutschen und später auch den europäi- schen Verlagsorten in Leipzig ein und tauschten ihren Verlag mit dem der Berufskollegen. Waren es im 16. Jahrhundert nur wenige ausländische Verlage aus Frankreich (Lyon) oder Italien, die in Leipzig handelten39, so änderte sich dies im 17. und 18. Jahrhundert. Beson- ders die nord-, mittel- und osteuropäischen Buchmärkte (Berlin, Hamburg, Königsberg, Breslau, Stockholm usw.) versorgten sich mit Literatur von der Leipziger Oster- und Mi- chaelismesse.40 D.h. je mehr ausländische Buchhändler der Frankfurter Messe fernblieben, desto mehr fand man auf der Leipziger. Insbesondere für den Osthandel wurde die sächsi- sche Buchhandelsmetropole zum wichtigsten Umschlagplatz und Leipzig erhielt den Cha- rakter eines Zwischenhandelsplatzes gen Osten. Obgleich dieser Vorteil gegenüber Frank- furt erkannt und gefördert wurde, war die Konkurrenz der ausländischen Buchhändler zu Beginn der Entwicklung nicht gern gesehen. Noch im Jahr 1728 verwehrte man ihnen z.B. sächsische Privilegien gegen den Nachdruck, selbst wenn die Bücher in Leipzig gedruckt worden waren. Letztlich wollte sich der Stadtrat nicht mehr gegen diese ausländischen Buchhändler stellen, zumal ihr Angebot das der Leipziger zumeist erweiterte und nicht, wie von den Einheimischen immer propagiert, mit den eigenen konkurrierte.41
Etwa ab dem Jahr 1680 hatte die Leipziger Messe die Frankfurter in einigen Bereichen überholt. Betrachtet man allein die deutsche Literatur, so kann man sagen, dass Leipzig in dieser Zeit bereits der führende Markt in ganz Europa war. Zuvor hatte sich Leipzig be- reits mit der Einführung des Leipziger Messkataloges im Jahr 1594 auch von seiner regionalen Konkurrenz abgehoben, so dass die Buchmärkte in Wittenberg, Magdeburg, Jena oder Erfurt das Nachsehen hatten und in die Bedeutungslosigkeit versanken. Aber auch die Titelangaben der Leipziger Händler, die nunmehr im Katalog mit den größten Buch- händlern auf der Messe konkurrierten, brachten der Leipziger Messe einen bedeutenden Aufschwung. Firmennamen, wie Henning Groß und Conrad König standen neben den größten und berühmtesten europäischen Händlern des 16. und 17. Jahrhunderts und er- reichten mit den Jahren annähernd das gleiche Niveau (Angebot und Qualität), wie die alteingesessenen Händler.
Weitere wichtige Faktoren, die den Aufstieg Leipzigs zur führenden Buchhandelsstadt Europas förderten, waren das aufstrebende wirtschaftliche Hinterland, die entsprechend ausgebildeten Arbeitskräfte sowie eine sich ständig erweiternde Autorenschaft, welche sich auf die zunehmende Buchproduktion und den Buchhandel der Stadt einstellten.42 Der zunehmende Buchdruck und -handel schaffte aber nicht nur für die Stadt, sondern auch für das weitere Umland zusätzliche Arbeit, wodurch wiederum auch dort die Konjunktur angekurbelt wurde. Vor allen Dingen war es der zunehmende Papierverbrauch und andere für den Druck benötigten Materialien, die z. B. aus den thüringischen Landen herbeigeholt werden mussten. Andererseits wurde hier schon erwähnt, dass viele hochqualifizierte und durch die holländische Schule gegangenen Kupferstecher, Schriftsetzer und Drucker in Leipzig das Bürgerrecht erhielten. So lebten und arbeiteten z.B. im Jahr 1739 20 Buch- handlungen, 15 Druckereien, 22 Buchbinder, 11 Kupferdrucker, 8 Kupferstecher und 3 Schriftgießereien allein in Leipzig.43 D.h., wenn man alle Zahlen zusammennimmt, dass auf ca. 359 Einwohner der Stadt Leipzig eine Person kam, die Besitzer einer Firma war bzw. die direkt aus dem Buchdruck profitierte - nicht mitgerechnet die zahlreichen Ange- stellten und Arbeiter.
Was schließlich die Autoren der zu handelnden Ware betrifft, so hatte die Leipziger Uni- versität einen großen Anteil am Aufschwung des dortigen Buchgewerbes. Besonders seit Mitte des 17. Jahrhunderts versuchten die Leipziger Verleger möglichst viele hochdotierte Autoren nach Leipzig zu locken bzw. Recht früh Talente aus der Universität zu filtern. Obwohl man ihnen lange Zeit nur sehr niedrige Honorare bot, der Verleger selbst verdien- te ein vielfaches an den Werken, standen die Gelehrten bald auf der Gewinnerseite. So führte der ständig zunehmende Konkurrenzdruck zwischen den Verlegern seit dem Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu einem raschen Anstieg der Verfasserhono- rare, was andererseits wiederum die Buchpreise in die Höhe trieb. Jedoch konnten die Leipziger auch weiterhin einen guten Absatz verzeichnen, da die qualitativ hochwertige Autorenschaft fast jeder Händler in seinem Repertoire haben und auf diese Bücher nicht verzichten wollte.
5. Leipzig - Innovationszentrum des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert
5.1. Das Problem des Nachdrucks - das Privilegienwesen in Sachsen
Mit dem Niedergang Frankfurts und dem Aufstieg Leipzigs verschob sich, wie in den vorhergehenden Kapiteln bereits dargestellt, auch die Buchproduktion aus dem Süden nach Mittel- und Norddeutschland. Hier, wo die Zensur milder und der Absatz der protes- tantischen Literatur gefördert wurde, fanden die Buchhändler ihre Märkte und insbesonde- re ein neues Zentrum für den „modernen“ Buchhandel.44 Zugleich konnte mit dem zu- nehmenden Messbetrieb der Buchhändler in Leipzig ein Anstieg der Qualität der gehan- delten Bücher, die nicht mehr nur für Gelehrte, sondern auch für die einfachen Kunden hergestellt wurden, festgestellt werden. Dieser Qualitätsanstieg hatte natürlich seinen Preis, obwohl das Preis-Leistungs-Verhältnis immer noch gewahrt blieb. Gleichwohl wollten und konnten sich vor allem süddeutsche Buchhändler die neue Qualität nicht leis- ten, da ihre eigene Ware einerseits kein Händler nehmen wollte und andererseits, wenn sie tauschen konnten, nicht mehr der Einheitswert des Papiers galt - für einen Leipziger bzw. nord- und mitteldeutschen Bogen mussten meist mehrere süddeutsche Bögen abgegeben werden.45 So kam es dazu, dass die süddeutschen Händler, wenn sie sich nicht ruinieren wollten, die Leipziger Messe unverrichteter Dinge verlassen mussten bzw. gar nicht erst erschienen.
Diese unbefriedigende Situation, dass man sich den teuren aber oft sehr guten Verlag nicht leisten konnte, von der besonders die vielen Klein- und Kleinsthändler betroffen waren, führte bereits seit dem 16. Jahrhundert und verstärkt nach 1648 dazu, dass man die begehrte Ware einfach nachdruckte. Dies war vor allem darin begründet, dass bis ins 19.
Jahrhundert hinein kein Urheberrecht existierte und der Grundsatz des freien Verkehrs der Ware Buch galt.46 Waren es nach 1648 vor allem die begehrten holländischen und französischen Bücher, die aufgrund ihrer Beliebtheit nachgedruckt wurden, änderte sich dies ab ca. 1680. Nunmehr waren es überwiegend die Leipziger Bücher, die den Markt aufgrund der „Raubkopien“ überschwemmten, andererseits dadurch aber auch den finanziell schlechter gestellten Schichten zugänglich waren.
Die Ursache für dieses gewichtige Problem innerhalb des Buchhandels, welches im 18. Jahrhundert überhand nahm, lag in den uneinheitlichen Regelung zum Urheberrecht und den fehlenden Möglichkeiten zur Kontrolle der Druckprivilegien.47 Anlehnend an die Kleinstaaterei kann man sagen, dass die Zahl der Nachdruckverordnungen fast der der unzähligen deutschen Staaten entsprach. Neben dem kaiserlichen Privileg ein bestimmtes Buch alleinig drucken zu dürfen, gab es auch in fast jedem deutschen Staat eine eigene Regelung. So wurde z.B. im Kurfürstentum Sachsen bereits am 27. Februar 1686 ein ers- tes umfassendes Mandat gegen den Nachdruck erlassen, welches sich auf alle Bücher be- zog, die in Leipzig oder einer anderen sächsischen Stadt gedruckt wurden. Die sich aus diesem Mandat ergebenden Privilegien, die man für ein Buch nach dessen Zensur erhielt, zählten danach für das Land Sachsen und für die Zeit der Herrschaft desjenigen, welcher das Privileg ausgesprochen hatte. Kam man jedoch in ein anderes Herzog- oder Kurfürs- tentum, oder ein neuer Kurfürst kam an die Macht, besaß man dort kein Privileg allein dieses Buch drucken zu dürfen bzw. man musste sich ein neues Privileg durch den neuen Herrscher ausstellen lassen. Letztlich war man selbst im eigenen Land nicht sicher ein alleiniges Privileg auf ein Buch haben zu können. Hugo Lorenz berichtet in seinem Buch über einen Streitfall bei dem es um eine doppelte Privilegvergabe ging48:
„ Henning Große der Ältere hatte das Kegelsche Gebetbuch unter seinem Generalprivileg einige Male gedruckt und hatte sogar einen durch Francke in Magdeburg bei Lamberg hergestellten Nachdruck ruhig hingehen lassen; Große erwarb dann für das Werk ein Spezialprivileg, das er Lamberg insinuieren ließ, der nichts eiligeres zu tun hatte als gleichfalls um ein Spezialprivileg - in einigen anderen Formaten, die Große zum Teil auch benutzt hatte - einzuholen, und zwar unter Hinweis auf seinen Druck. “
Diese Nachricht über die Vergabe mehrerer Privilegien auf ein und dasselbe Buch schei- nen heute recht unglaublich zu sein, waren aber für die damalige Zeit nicht selten. Immer wieder kam es aus diesem Grund zu Streitigkeiten vor dem Leipziger Gericht, welche meist nie ganz geregelt werden konnten. Und selbst das kurfürstlich-sächsische Mandat gegen den Nachdruck von 1686 konnte hier keine Abhilfe schaffen. Die Buchhändler mussten deshalb bis weit in das 18. Jahrhundert hinein mit großen Verlusten durch den Nachdruck wirtschaften.
Erst mit dem Auftreten des sogenannten „deutschen Buchhandelsfürsten“ Phillipp Erasmus Reich begann sich in diesem Zusammenhang einiges zu ändern.49 Während der 7jährige Krieg Sachsen und den Buchhandel der Stadt Leipzig in eine Krise gestürzt hatte, waren es vor allem die süddeutschen Buchhändler, die immer noch nicht den Niedergang der Frankfurter Buchmesse akzeptieren wollten, welche die bedeutendsten Leipziger Bücher in Großproduktion nachdruckten und vertrieben. Diese unhaltbare Situation führte Reich und seine Kollegen endlich dazu, bei der sächsischen Regierung zu intervenieren und darauf zu drängen, ein neues Mandat gegen den Nachdruck einzufordern. Unterstützt durch den Leipziger Stadtrat und die guten Beziehungen, die nach jahrelanger Zusammenarbeit mit der Regierung aufgebaut werden konnten, wurde 1773 ein erweitertes Mandat gegen den Nachdruck erlassen. Darin heißt es u.a.:
„ Es ist zwar bereits Inhalts Mandats vom 27. Februar 1686 der Nachdruck, zum Schaden derer, welche Bücher von den Autoribus redlicher Weise an sich gebracht, auch wohl darüber Privilegia erlanget, verboten gewesen, gleichwohl aber zeithero wahrgenommen worden, wie das unbefugte nachdrucken zum Nachtheil des Buchhandels und der Drucke- reyen hiesiger Chursächsischer Lande auswärts immer mehrüber Hand nehme, auch wohl die nachgedruckten Bücher in hiesige Lande selbst ohngescheuet eingeführte wer- den. Diesem nach ist verordnet, dass allen und jeden in- und ausländischen Buchhänd- lern, in Ansehung ihrer in denen gesammten Chursächsischen Landen gedruckten Bü- chern aller Art, gegen die Nachdrucker so ihre Waare in hiesige Lande einbringen, und damit ihr Gewerbe stören, auf Implorationen der ordentlichen Obrigkeit des Orts, wo sol- ches geschiehet, schleunige Justitz administriret, der Verkauf des Nachdrucks sofort un-
tersaget, und die Nachdrucker zum Ersatz des ihnen zugefügten Schadens durch die bereitesten Zwangsmittel angehalten werden sollen. “ 50
Weiterhin heißt es sinngemäß, dass jedes Buch, welches auf der Leipziger Messe gehan- delt wird, in das sogenannte „Leipziger Protokoll“ (Bücherrolle) bei der Bücherkommis- sion eingetragen werden musste.51 Dadurch war den Leipziger Verlegern zwar noch keine deutschlandweite Sicherheit gegen den Nachdruck garantiert, aber auf der Messe in Leip- zig selbst konnten keine Bücher mehr gehandelt werden, die eventuell bereits in die Bü- cherrolle eingetragen waren. Leipzig besaß damit wahrscheinlich eines der modernsten Nachdruckgesetze, welches bis ins 19. Jahrhundert hinein den einzigen Schutz des Verle- gers gegen diese Unsitte war.
5.2. Die Entstehung des modernen Buchhandels - Aufklärung, Konditions- und
Kommissionshandel
Die allgemeine politische Entwicklung in England und den USA hatte im 18. Jahrhundert auch Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft in vielen anderen Staaten Eu- ropas. Die Aufklärung, die sich in diesen Jahren mehr und mehr in ganz Deutschland ver- breitete, gehörte zu diesen neuen Entwicklungen. Im Fall der Leipziger Buchmesse zählte das 18. Jahrhundert zu den innovativsten Zeiten des Buchhandels. Für Leipzig, wo sich zu den Messen regelmäßig zahlreiche - durch den Beruf bedingt - weltoffene und religiös tolerante Kaufleute trafen und mit den Bürgern der Stadt kommunizierten, war es die logi- sche Konsequenz, dass sich die Stadt sehr bald zu einem deutschen Zentrum der Aufklä- rung entwickelte.52 Das neue Lebensgefühl, dass die reichen Kaufleute aus ganz Europa in die Messestadt hineintrugen, wirkte sich so auf die Leipziger Bürger aus und wurde in der gesamten Stadtentwicklung nach außen getragen. U.a. sammelten sich an der Leipziger Universität zahlreiche Aufklärer, die hier ein besseres Arbeiten und Studieren erwarteten. Diese potentiellen Autoren der Aufklärung waren für die Leipziger Verleger eine Gold- grube, die es zu heben galt. Und so reagierten die Buchhändler auf diese Entwicklung und richteten sich nach den Wünschen des neu hinzugewonnenen und aufgeklärten Lesepubli- kums. Besonders Nationalliteratur, die überregional und interkonfessionell absetzbar war, wurde zu den Verkaufsschlagern der Leipziger Messen. Hinzu kamen ganz neue Fachbe- reiche, wie z. B. Pädagogik, Geographie, Politik und sogenannte „schöne Literatur, wobei besonders letztere für ein anonymes bürgerliches Lesepublikum geschrieben worden war.53 Die Produktion dieser neuen Literatur fand ausschließlich in Sachsen, Preußen und den übrigen norddeutschen Druckorten statt und wurde in Leipzig vertrieben. Für die süddeutschen Händler, die mit dieser Ware handeln wollten; war deshalb die Leipziger Messe notwendiger denn je geworden.
Auf der anderen Seite war Anfang des 18. Jahrhunderts die Zeit erreicht, wo der Tausch- handel und die faktisch wertlosen überfüllten Lager jeglichen Fortschritt im Buchhandel behinderten. Der Brief eines Buchhändlers von der Leipziger Messe, den er zusammen mit dem Messkatalog an einen Gelehrten in Berlin schickte, legte diese Situation deutlich dar. Darin heißt es u. a., dass es ihm, den Buchhändler, unmöglich ist von jedem Werk auch nur ein Exemplar mit nach Hause zu bringen. Auch, und dies wird in dem Brief be- sonders betont, fehlt es vielen Neuerscheinungen an inhaltlicher Qualität. Hervorgehoben werden besonders die, die mit reißerischen Sprüchen angeboten werden und meist nur
Lobeshymnen auf „ anderthalb Dutzend Fürsten und Prinzen, wovon einige sogar
schon längst gestorben sind; “ waren. 54 Dieser Qualitätsverlust, der mit der stetig an- steigende Zahl an Neuerscheinungen einherging, machte es für viele Händler unmöglich weiterhin von jeder Messe jede Neuerscheinung einzutauschen und einzulagern. Insbe- sondere, da die inhaltliche Qualität und die Ausstattung der mittel-, nord- und osteuropäi- schen Bücher bedeutend größer waren. Die Leipziger Buchhändler, die im Laufe der Zeit zu den sogenannten „Buchhandelsfürsten“ aufgestiegen waren, erkannten diese Misere sehr schnell und suchten eine neue Geschäftsweise, die es erlaubte, nutzlose Ladenhüter gar nicht erst aufnehmen zu müssen bzw. nach Ablauf einer Frist wieder an den Verleger zurückgeben zu können. Dieser sogenannte Konditionshandel war jedoch noch immer kein Abschied vom Tauschhandel, obwohl man als Händler maximal ein Jahr (von Oster- zu Ostermesse) auf dem fremden Verlag sitzen bleiben konnte. Er stellte ein Zwischen- ding zwischen Sortimentshandel und Kommissionshandel dar, verringerte aber das Ab- satzrisiko des Sortimenters spürbar.55 In ähnlicher Art wurde die Zusendung unverlangter Bücher gehandhabt. Ziel dieses Handels war es Neuerscheinungen schnellstmöglich und ohne auf eine Messe warten zu müssen zu verbreiten und ihnen ein weites Absatzgebiet zu verschaffen.56 Gleichzeitig konnte durch diese Vorgehensweise die Zensur umgangen werden. Dazu zählten in dieser Zeit vor allem die Gelegenheits- und Streitschriften, die aktuelle politische und gesellschaftliche Themen ansprachen und diskutierten. Zu einem Problem wurden diese Schriften allerdings dann, wenn sie nicht abgesetzt werden konnten und auf Kosten des jeweiligen Händlers zurückgeschickt wurden. Zudem kam die zurück- geschickte Ware oftmals beschädigt zurück, so dass sie der Verleger nicht mehr verkaufen konnte.
Zu guter letzt muss in diesem Kontext noch auf den Kommissionshandel hingewiesen werden, der sich bereits im 17. Jahrhundert herausgebildet hatte. Dieser Handel war eben- so wie der Konditionshandel von Leipzig bestimmt und hat sich bis weit ins 19. Jahrhun- dert hinein behaupten können - Leipzig war „Centralcommissionsplatz“.57. Die Hauptak- teure des Kommissionshandels waren die sogenannten Commissionäre, d.h. Beauftragte der auswärtigen Verleger, den sogenannten Committenten. Der Hauptvorteil dieses Han- dels lag darin, dass der Geschäftsverkehr vereinfacht wurde, indem Leipziger Bürger, oftmals auch schutzgeldzahlende Ausländer, die Committenten aufgrund einer Vollmacht in allen Rechtsangelegenheiten vertraten und den Kauf und Verkauf des Verlages betrie- ben.58 Dadurch waren zwar seltener die Verleger selbst auf den Messen vertreten, aber das jeweilige Sortiment konnte das ganze Jahr über bezogen werden. Wenn die Commissionä- re Vollbürger der Stadt waren, durften sie auch Immobilien erwerben, in denen sie im Auftrag des Committenten deren Bücherlager, d.h. eine feste Niederlassung auch außer- halb der Messen betrieben - Ausländer hatten kein Recht auf diesen Grundbesitz bzw. auf Niederlassungen außerhalb der Messen.59 Gleichzeitig gründeten im 18. Jahrhundert eini- ge ausländische Verleger, u.a. die holländischen Verleger, „Assoziationen“ mit Leipziger Verlegern, deren Zweck die gemeinsame Herausgabe von Titeln war.
Diese neuen formen des Buchhandels, die sich zumeist zu Anfang des 18. Jahrhunderts herausgebildet hatten, stellten zwar eine Verbesserung der Geschäftsverhältnisse dar, aber der auf der Geldwirtschaft funktionierende Warenhandel selbst, der in allen anderen Wirt- schaftsbereichen seit Jahrhunderten existierte, war dadurch immer noch nicht möglich geworden. Dies und weitere Reformen sollten sich erst mit dem Wirken des Leipziger
Verlegers Phillipp Erasmus Reich verwirklichen, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahr- hunderts den Buchhandel revolutionieren sollte.
5.3. Phillipp Erasmus Reich - Fürst und Revolutionär des Buchhandels
Am 1. Dezember 1717 wurde Phillipp Erasmus Reich als Sohn eines angesehenen Hofbe- amten und Arztes geboren. Nachdem er eine für die damaligen Verhältnisse sehr gute Schulausbildung genossen hatte, begann er im Jahre 1732 eine Buchhandelslehre bei dem bekannten Frankfurter Buchhändler Franz Varrentrapp. Seine Lehr- und Gesellenzeit dau- erte insgesamt 13 Jahre, in denen er die Praxis des Buchhandels u.a. auch in London und Stockholm erlernte. 1745 übernahm er, wahrscheinlich mit der Unterstützung seines Lehrmeisters, der sehr gute Beziehungen nach Leipzig pflegte, die Geschäftsführung der Weidmannschen Buchhandlung in Leipzig, 1762 wurde er Teilhaber. Dieses ehemals so blühende Unternehmen hatte zu dieser Zeit kaum noch eine Bedeutung, so dass Reich fast ein Jahrzehnt brauchte, bis er die Buchhandlung wieder an die Spitze führen konnte. Diese Sanierung bedeutete die Schließung der unrentablen Zweigstellen in Stockholm, War- schau und Frankfurt am Main sowie die Expansion des Verlages durch den Groß- und Kommissionsbuchhandel. Die Zahl der Neuerscheinungen stieg kontinuierlich an und das Vertriebsnetz wurde auf ganz Europa sowie nach Amerika und Asien ausgedehnt.60 1781, sechs Jahre vor seinem Tod, war Reich zu den produktivsten deutschen Originalvertretern mit durchschnittlich 71 Neuerscheinungen pro Jahr herangewachsen.61 Nicht zuletzt da- durch erhielt Phillipp Erasmus Reich den inoffiziellen Titel „Fürst des deutschen Buch- handels“.
Ein sehr wichtiger Meilenstein in seiner Entwicklung war die Übernahme des Druckes des Messkataloges im Jahr 1759. Damit war es ihm möglich stets der Erste zu sein, der erfuhr welche „Trends“ das neue Buchhandelsjahr mit sich bringen würde. Auf dieser Grundlage konnte Reich stets auf diese Trends reagieren und seinen eigenen Verlag entsprechend anpassen. Dadurch hatte er aber auch die Möglichkeit, Literatur in englischer oder franzö- sischer Sprache zuerst zu sichten und sich die Übersetzungsrechte, ohne das ein Konkur- rent eine Chance dazu gehabt hätte, in die Bücherrolle eintragen zu lassen.62 Dies war ein wichtiger Vorteil, da die Nachfrage und das Angebot ausländischer Literatur kontinuier- lich anstieg.
Die intensive Pflege der Beziehungen zu den Autoren seines Verlages und die ständige Suche nach neuen erfolgsversprechenden Schriftstellern, zeichnete ihn besonders aus. Im Gegensatz zu den Jahrhunderten vorher, zahlte er entsprechend höhere Honorare, was vie- le berühmte und beliebte Schriftsteller anzog. Dies war in der zweiten Hälfte des 18. Jahr- hunderts um so wichtiger geworden, da gute Autorennamen Garanten für den Absatz der Bücher waren und im Zeitalter der bürgerlichen Emanzipation einen Marktwert besaßen.63 Er war auch einer der ersten seines Berufsstandes, der sich in dieser Zeit der kapitalisti- schen Industrialisierung strikt an markt- und umsatzsteigernde Kriterien orientierte.64 Um jedoch seine extensive Wirtschaftspolitik erfolgreich durchführen zu können, musste der Buchhandel, so war es seine Überzeugung, anders als bisher geführt werden. Eine rasche Anpassung an sich verändernde Marktsituationen erlaubte es insbesondere nicht mehr den Sortimentshandel zu betreiben. Auf Grund dessen begann unter maßgeblicher Führung von Phillipp Erasmus Reich die Umstellung von der Tausch- zur Geldwirtschaft, d.h. vom Sortiments- zum Nettohandel.65
Dieser Nettohandel, der die strikte Trennung zwischen Sortimentern und Verlegern be- deutete, brachte nunmehr den endgültigen Niedergang der Frankfurter Buchmesse. Nicht zuletzt war Reich einer der letzten auswärtigen Händler, die 1764 zum letzten Mal die dortige Messe besuchten. Zugleich mussten er und seine Kollegen erkennen, dass sich weitere Besuche in Frankfurt am Main in keinster Weise lohnten.66 Zum einen fehlten die Handelspartner, zum anderen wollte man von althergebrachten Sortimentshandel nicht abgehen. Folglich waren es vor allem die „Reichsbuchhändler“, die zur Leipziger Oster- messe 1788 gegen diese neue Praxis des Nettohandels protestierten. Die fehlenden Geld- mittel, unattraktive und schwer absetzbare Titel des eigenen Verlages sowie die Dominanz ost-, mittel- und nordeuropäische Buchhändler in Leipzig führten sie dazu in der „Nürn- berger Schlussnahme“ des Jahres 1788 niederzuschreiben, dass die praktizierenden Netto- händler das ganze Jahr über ihren Verlag ausliefern und handeln, also einen umfassenden Kommissionshandel etablieren sollten. Weiterhin forderten sie die Abrechnung der Ware, wenn dies schon auf der Basis des Nettohandels geschehen musste, nach einem gerechteren Umtauschkurs, in einer noch einzurichtenden Buchhandelsbörse.67 Der Abrechnungs- stichtag sollte jährlich zur Ostermesse festgelegt werden. Nach zahlreichen Versuchen, eine solche Institution zu etablieren kam es erst 1825 zur Gründung des „Börsenvereins der deutschen Buchhändler“, der geordnete Verhältnisse in das Abrechnungswesen des Buchhandels bringen sollte. Der Grund für den Streit über die Abrechnung lag in der von 1760 durch Phillipp Erasmus Reich und seine Kollegen (Großverleger) neu eingeführte „Reichs-Cours“, der eine eklatante Verteuerung der Leipziger Verlagswerke mit sich brachte und besonders für die finanzschwachen „Reichsbuchhändler“ eine fast vollständi- ge Handelsunfähigkeit bedeutete. Der Hauptgrund dieser Verteuerung lag aber nicht nur in der „Cours-Umstellung“ sondern in einem Krieg, der das Kurfürstentum Sachsen stark in Mitleidenschaft zog. Der 7jährige Krieg hatte das Papier und die anderen Druckmateri- alien, deren Produktion stark zurückgegangen waren, verteuert, und gleichzeitig hatte die sächsische Münze an Wert verloren. Um einerseits diese Entwicklung auszugleichen und andererseits die eigene Ware am gewinnbringendsten verkaufen zu können, hatte man, ausgehend von Leipzig, diese Preiserhöhung durchgesetzt und damit den Unmut der Reichsbuchhändler hervorgerufen.
Trotz aller Proteste der Reichsbuchhändler, die ursprünglich auf dem veralteten Solidari- tätsideal der Sortimentszeit beruhten, wurden die Reformen des Buchhandels nicht wieder zurückgenommen. Allerdings wurde der reine Nettohandel, wie bereits erwähnt, noch bis in das 19. Jahrhundert hinein durch den Kommissionshandel ergänzt. Auch die dadurch bedingte Zeit des extensiven Nachdrucks, der in Süddeutschland sogar eine eigene „Nachdruckmesse“ hervorbrachte, konnte die Leipziger Buchhändler nicht davon abbrin- gen den Weg des modernen Buchhandels weiter zu gehen. Ausgehend von der Reform der Weidmannschen Buchhandlung unter Reich hatten sich allein in Leipzig bis 1795 13 gro- ße und 21 kleine reine Nettobuchhandlungen herausgebildet.68 Ein Rechnungsjahr dauerte entsprechend 12 Monate und jährlich zur Ostermesse wurde die Abrechnung vorgenom- men. Und so konnte sich noch unter Reichs Führung, der am 03.12.1787 starb, Leipzig zum zentralen Abrechnungsplatz entwickeln. Parallel dazu erhielt die Stadt im Laufe des
19. Jahrhunderts den Rang einer europäischen Geschäftsstadt, die weniger vom eigentlichen Buchaustausch und mehr vom Geldaustausch lebte.
6. Leipzig - Marktplatz Europas
Jahrhunderte hindurch haben die privilegierten Messen der Stadt Leipzig, die der dortige Rat immer aufs neue bestätigen ließ, den Lebensrythmus Leipzigs und der in Handel und Wandel darauf ausgerichteten Wirtschaftsräume bestimmt oder doch mitbestimmt. Wäh- rend der Neujahrs-, Jubilate- und Michaelismesse standen in Leipzigs Straßen, Gassen, Höfen und Gewölben jährlich hunderte von Händlern, die aus allen Regionen Europas und der Welt Waren anboten. Neben russischen Pelzen gab es Tiere jeder Art, Metalle, Kunst- gegenstände und natürlich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts auch Bücher. D.h. die Dru- cker und Verleger, die Anfangs noch in Personalunion auftraten, boten in großen Ballen und Paketen gebündelt ihr Druckwerk ungebunden an. Waren in den Anfangsjahren nur wenige Buchhändler, die zumeist noch mit anderen Waren handelten, bildeten sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts reine Buchhändler heraus. Schließlich verwandelten sich während der Messen bestimmte Teile der Stadt in ein „großes Buchgeschäft“.
Diese Händler, die zuerst nur aus den deutschen Landen kamen, recht bald aber durch einzelne französische und italienische Händler ergänzt wurden, kauften ihre Ware, teil- weise bis in das 17. Jahrhundert hinein, einzig und allein auf der Frankfurter Buchmesse. Sie war eine lange Epoche der wichtigste Buchhandelsort, wo jeder Buchhändler kaufen bzw. tauschen musste, um jährlich die aktuellsten Bücher anbieten zu können. In Leipzig selbst wurden die so erworbenen Bücher weiterverkauft. Nicht zuletzt die Kriegslust eini- ger sächsischer Kurfürsten verursachte in dieser Entwicklung ein langsameres Vorwärts- kommen, als dies vielleicht ohne die Kriege hätte stattfinden können. Andererseits waren es stets die guten Beziehungen, die die Leipziger Buchhändler zur sächsischen Regierung und ihren Landesherren aufgebaut hatten, die die Stadt und ihre Buchmesse zu dem mach- ten, was sie bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts gewesen sind - ein deutscher und europäischer Spitzenstandort für Messen jeder Art. Neben der wohlwollenden politischen Förderung durch den Rat und die Landesherren, die sehr früh den wirtschaftlichen Nutzen der Messe erkannten, waren es vor allem auch gesellschaftliche Entwicklungen, die zum Aufstieg Leipzigs führten.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war es die Reformation und ihre Begleiter- scheinungen, die in Leipzig auf fruchtbaren Boden fielen. Hervorzuheben sei in diesem Zusammenhang die Umstellung von der lateinischen zur deutschen Literatur und der dar- aus resultierende Handel, den Frankfurt bekämpfte und Leipzig förderte. Relativ tolerante sächsische Landesherren standen den reformationsfeindlichen Kaiser gegenüber. Zensur war nicht gleich Zensur, was dazu führte, dass in Frankfurt am Main eine kaiserliche Bü- cherkommission agierte, die jegliche protestantischen Bücher verbot und die damit han- delnden Buchhändler vertrieb. Es dauerte aber immerhin bis in das Jahr 1764 bis Frank- furts Buchmesse jegliche Bedeutung verloren hatte und kein protestantischer Händler mehr erschien. Auf dieser Tatsache aufbauend war es den Frankfurter Bürgern und deren Rat lange Zeit nicht möglich in Kontakt mit humanistischen, aufklärerischen und anderen fortschrittlichen geistigen Strömungen zu kommen. Im Gegenteil dazu lebten und arbeite- ten die Sachsen und besonders die messeerfahrenen Leipziger mit diesen neuen Bewe- gungen, was die innere Einstellung und das Auftreten nach außen hin stark beeinflusste. Aufgeschlossen und trotzdem kritisch gegenüber fast jeder neuen Entwicklung wurde Leipzig ebenso wie es als Zentrum der Reformation und deren Schriften angesehen wur- de, zum Zentrum der Aufklärung. Nicht zuletzt waren es die fortschrittlich eingestellten Leipziger Bürger und im Speziellen auch die expansionsorientierten Buchhändler und Verleger, die die Leipziger Buchmesse und ihre Stadt zum Marktplatz Europas machten. Namentlich beförderte das 18. Jahrhundert diese Entwicklung, die maßgeblich durch eine Person bestimmt wurde. Der Leipziger Buchhändler und Verleger Phillipp Erasmus Reich, auch „Fürst des deutschen Buchhandels“ genannt, wurde wie kaum ein anderer zum Symbol für Leipzigs Aufschwung. Speziell die Einführung des Nettobuchhandels, die er maßgeblich vorantrieb, bedeutete für den deutschen und europäischen Buchhandel eine einschneidende Veränderung gegenüber dem Tauschhandel. Die großen und finanz- starken Händler konnten nun erstmals nach rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeiten, für die kleinen und finanzschwachen Händler jedoch war es nunmehr unmöglich ein umfassendes Sortiment der jährlichen Neuerscheinungen aufzunehmen. Die folge die- ser Situation war ein inflationärer Anstieg des Nachdrucks, dessen größter Gegner Phil- lipp Erasmus Reich war. In zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen kämpfte Reich gegen den teilweise ruinösen Handel mit nachgedruckten Büchern. Schließlich konnten die Leipziger Großhändler unter Führung Reichs die sächsische Regierung dazu bewegen, ein modernes und den aktuellen Gegebenheiten angepasstes Nachdruckgesetz zu verabschieden. Dieses Gesetz garantierte erstmals, dass auf der Leipziger Messe keine Nachdrucke mehr gehandelt werden durften. Dazu trug auch die „Leipziger Bücherrolle“, in der jedes in Leipzig gehandelte Buch eingetragen werden musste, bei.
Des Weiteren versuchte Reich durch die Gründung einer Buchhändlergesellschaft in Leipzig das organisatorische „Chaos“ seiner Berufsgruppe in kontrollierbare Bahnen zu lenken. Auch wenn er dieses Ziel während seines Wirkens nicht realisieren konnte, weil die Meinungen über die Organisationsform und Kompetenzen der Gesellschaft zu weit auseinandergingen, war dieser Versuch der entscheidende und erste Anstoß für die Gründung der Börsenverein der deutschen Buchhändler im Jahr 1825. Erst dieser Börse gelang es in ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit geordnete Verhältnisse in den Buchhandel zu bringen und nach außen geschlossen aufzutreten. Lang ersehnte, aber aufgrund der unkoordinierbaren Auffassungen nie erreichte Gesetze, wie z. B. das Presse-, Nachdruck- oder Handelsgesetz des Buchhandels konnten so erst realisiert werden.
Literaturverzeichnis
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7. Denzel, Markus A.: Zahlungsverkehr auf den Leipziger Messen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. In: Topfstedt, Thomas & Zwahr, Hartmut u.a. (Hrsg.): Leipzigs Messen 1497 - 1997. Teilband I 1497 - 1914. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 149 - 165. 8. Gerhard, Claus W.: Die 3 Revolutionierungen der Buchherstellung - Am Anfang war das Wort. In: Nickel, Holger & Gillner, Lothar (Red.): Johannes Gutenberg - Regiona- le Aspekte des frühen Buchdrucks - Vorträge der internationalen Konferenz zum 550 Jubiläum der Buchdruckerkunst am 26. und 27. Juni 1990 in Berlin. Wiesbaden 1990, S. 126 - 129.
9. Giesecke, Michael: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit - Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt am Main 1991.
10. Kape, Albert: Über den Zeitpunkt der Erfindung der Buchdruckerkunst in Europa. In: Nickel, Holger & Gillner, Lothar (Red.): Johannes Gutenberg - Regionale Aspekte des frühen Buchdrucks - Vorträge der internationalen Konferenz zum 550 Jubiläum der Buchdruckerkunst am 26. und 27. Juni 1990 in Berlin. Wiesbaden 1990, S. 9 - 14.
11. Kirchhoff, Albrecht: Beiträge zur Geschichte der Preßmaßregelungen und des Ver- kehrs auf den Büchermessen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels (AfGddB), Band II, 1879, S. 33 - 67.
12. Kirchhoff, Albrecht: Die Leipziger Büchermesse und der internationale Verkehr im 16. Jahrhundert. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels (AfGddB), Band XIII, 1890, S. 97 - 102.
13. Kirchhoff, Albrecht: er ausländische Buchhandel in Leipzig im 18. Jahrhundert. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels (AfGddB), Band XIV, 1890, S. 155 - 182.
14. Lehmstedt, Mark: „Ein Strom der alles überschwemmet“. Dokumente zum Verhältnis von Phillipp Erasmus Reich und Johann Thomas von Trattner - Ein Beitrag zur Ge- schichte des Nachdrucks in Deutschland im 18. Jahrhundert. In: Bibliothek und Wis- senschaft, Band 25, 1991, S. 176 - 267.
15. Löffler, Katrin: Aufklärerische Kommunikationsformen in der Stadt Leipzig. In: Topfstedt, Thomas & Zwahr, Hartmut (Hrsg.): Leipzig um 1800 - Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte. Beucha 1998, S. 17 - 42.
16. Lorenz, Hugo: Beiträge zur Geschichte des Leipziger Buchhandels im 16. und 17. Jahrhundert. Leipzig-Reudnitz 1915.
17. Meyer, Hermann: Der deutsche Buchhandel gegen Ende des 18. Jahrhunderts und zu Anfang des 19. Jahrhunderts. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels (AfGddB), Band VII, 1882, S. 199 - 249.
18. Neuhaus, Helmut: Die Begründung der Leipziger Messe und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in den Jahren 1497/1507. In: Topfstedt, Thomas & Zwahr, Hartmut u.a. (Hrsg.): Leipzigs Messen 1497 - 1997. Teilband I 1497 - 1914. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 51- 60.
19. Nickel, Holger & Gillner, Lothar (Red.): Johannes Gutenberg - Regionale Aspekte des frühen Buchdrucks - Vorträge der internationalen Konferenz zum 550 Jubiläum der Buchdruckerkunst am 26. und 27. Juni 1990 in Berlin. Wiesbaden 1990.
20. Sada, Anne: Das französische Buch in den Messkatalogen. In: Topfstedt, Thomas & Zwahr, Hartmut u.a. (Hrsg.): Leipzigs Messen 1497 - 1997. Teilband I 1497 - 1914. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 271 - 285.
21. Schmieder, Gottfried (Hrsg.): Der Churfürstlich Sächsischen allgemeinen, der Residencstadt Dresden besonderen Policeyverfassung. Dresden 1774.
22. „Schreiben eines Buchhändlers von der Leipziger Ostermesse“ In: Berlinische Mo- natsschrift, Band 4, 1784, S. 63 - 73.
23. Schroeder, Felix von: Die Verlegung der Büchermesse von Frankfurt am Main nach Leipzig. Leipzig 1904.
24. Schürmann, August: Leipzig als Centralpunkt des deutschen Buchhandels. Leipzig 1895.
25. Schwetschke, Gustav (Hrsg.): Codex nundinarius Germaniae Literatae Bisecularis - Mess-Jahrbücher des deutschen Buchhandels von den Erscheinen des ersten Messkat- loges 1564 bis zur Gründung des ersten Buchhändlervereins im Jahr 1765. Nachdruck der Ausgabe Halle 1850 - 1877. Nieuwkoop 1963.
26. Straube, Manfred: Die Leipziger Messe zur Zeit der Privilegierungen als Mittler nach Osteuropa. In: Topfstedt, Thomas & Zwahr, Hartmut u.a. (Hrsg.): Leipzigs Messen 1497 - 1997. Teilband I 1497 - 1914. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 121 - 132.
27. Topfstedt, Thomas & Zwahr, Hartmut (Hrsg.): Leipzig um 1800 - Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte. Beucha 1998.
28. Topfstedt, Thomas & Zwahr, Hartmut u.a. (Hrsg.): Leipzigs Messen 1497 - 1997. Teilband I 1497 - 1914. Köln, Weimar, Wien 1999.
29. Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels - Ein Überback. Mün- chen 1991.
[...]
1 Jacob Wimpfeling: „Epitoma Germanorum“ zitiert aus Kape in Nickel & Gillner (1993), S. 9
2 Schwetschke (1963), S. VII.
3 Lorenz (1915), S. 9.
4 Schwetschke (1963), S. VII.
5 Altmann in Czok (1981), S. 14.
6 Ebenda S. 23.
7 Neuhaus in Zwahr & Topfstedt (1999), S. 57.
8 Altmann in Czok (1981) S. 15.
9 Meyer in AfGddB, VII, S. 201.
10 Schroeder (1904), S. 44.
11 Schwetschke (1963), S. VII.
12 Die kirchliche Bücherzensur fand bereits seit dem Jahr 1479 statt, als Papst Pius IV. erste Ermächtigung zur Ausübung kirchlicher Zensur über gedruckte Bücher aussprach.
13 Schroeder (1904), S. 19.
14 Lorenz (1915), S. 65 f..
15 Wittmann (1991), S. 138.
16 Schroeder (1904), S. 22.
17 Ebenda.
18 Ebenda S. 24.
19 Beyer in Topfstedt & Zwahr (1999), S. 193.
20 Schroeder (1904),S. 29 f..
21 Kirchhoff in AfGddB, II, 1879, S. 36. Blaschke in Topfstedt & Zwahr (1999), S. 61 ff..
22 Czok in Topfstedt & Zwahr (1999), 183 ff..
23 U.a. von 1691 Mandat zur Verbesserung und Erhaltung der Straßen sowie zur Versorgung der Reisenden und 1706 das Mandat zur Trockenlegung von Sümpfen, Verbreiterung von Straßen.
24 Siehe dazu die Ausführungen zur Verlegung der Frankfurter Messe, wo die Infrastruktur äußerst schlecht ausgebaut (schlammige Straßen usw.) und dementsprechend schwierig zu nutzen war. Czok in Topfstedt & Zwahr (1999), S. 189.
25 Beyer in Topfstedt und Zwahr (1999), S. 201.
26 Debes in Czok (Hrsg.), S. 28. Lorenz (1915), S. 12.
27 Wittmann (1991), S. 75.
28 Wittmann (1991), S. 79.
29 Ebenda S. 91.
30 Regionale Literatur und bestimmte Sonderarten, wie z.B. Predigten, Komödien, Reden und Gedichte, waren ausdrücklich verboten in die Messkataloge aufgenommen zu werden
31 Schwetschke (Hrsg.); 1963.
32 1564 war es noch der Katalog von Frankfurt, der in Leipzig veröffentlicht wurde.
33 Protestantische und katholische Theologie, Jurisprudenz, Geschichte, Philosophie, Poesie und Musik.
34 Dieser Katalog ist der erste, der in Leipzig veröffentlicht wurde und wo die Frankfurter zahlen durch Leipziger ergänzt wurden.
35 Schwetschke (1963), S. 31 - 245.
36 Wittmann (1991), S. 81.
37 Ebenda S. 82.
38 Neuhaus in Topfstedt & Zwahr (1999), S. 52.
39 Kirchhoff in AfGddB, XIII, 1890, S. 98.
40 Wittmann (1991), S. 88.
41 Kirchhoff in AfGddB, XIV, S. 158
42 Straube in Topfstedt Zwahr (1999), S. 131.
43 Wittmann (1991), S. 88.
44 Schroeder (1904), S. 44.
45 In den folgenden Ausführungen werden ich aufgrund meines Themas allein auf Leipzig eingehen.
46 Lorenz (1915), S. 62.
47 Giesecke (1991), S. 451 f..
48 Lorenz (1915), S. 64.
49 Zu Reich werde ich in den folgenden Abschnitten noch näher eingehen.
50 § 3 Chursächsische Nachdruck- und Zensurverordnung in Schmieder (1774), S. 515.
51 Ebenda § 5.
52 Löffler in Topfstedt & Zwahr (1998), S. 18.
53 Wittmann (1991), S. 112.
54 „Schreiben eines Buchhändlers von der Leipziger Ostermesse“ in Berlinische Monatsschrift, 4, 1784, S. 63 ff..
55 Wittmann (1991), S. 115.
56 Schroeder (1904), s. 68
57 Schürmann (1895), S. 11 f..
58 Lorenz (1915), S. 49 f..
59 Kirchhoff in AfGddB, XIV, S. 158.
60 Lehmstedt in Bibliothek und Wissenschaft, 25, 1991, S. 185 f..
61 Debes in Czok (1981), S. 39.
62 Wittmann (1991), S. 119.
63 Ebenda S. 40.
64 Wittmann (1991), S. 115.
65 Ebenda S. 116.
66 Debes in Czok (1981), S.41.
67 Ebenda S. 126.
68 Schroeder (1904), S. 72.
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- Markus Praprotnick (Autor:in), 2000, Die Entwicklung der Stadt Leipzig zur Zentrale des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99890