Die satisfaktionsfähige Gesellschaft


Skript, 2000

4 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Lars Hübner

Essay 2: Die satisfaktionsfähige Gesellschaft

Über die Bedeutung des Duells als einer Erscheinung um den „Komment“ wissender gesellschaftlicher Kreise der Wilhelminischen Epoche des Deutschen Kaiserreiches wird stark gestritten. Die mir vorliegenden Autoren sind sich darüber einig, dass diesem Phänomen, welches in seiner Ausgeprägtheit in dem Deutschen Kaiserreich erhebliche Ausmaße angenommen hat, eine besondere Signifikanz zukommt. Die Einordnung in einen historischen sowie gesellschaftlichen Kontext erscheint aber umso konfliktreicher. Daher werde ich kurz einen Überblick über die drei verschiedenen Erklärungsansätze geben, die jeweils einer eigenen Gewichtung folgen.

Ich möchte beginnen mit Dietmar Klenke, der Wert auf das „Zusammenwirken von klassenpolitischen Interessen und Außenpolitik“ legt1.

Klenke wendet sich von der vorherrschenden Meinung ab, man könne die deutsche Gesellschaft des 19. sowie frühen 20. Jahrhunderts klar abgrenzen, nämlich in „Militarismus und kämpferische Mannesehre auf der einen und ´Feudalisierung´ auf der anderen (der bürgerlichen) Seite“2. Er betont eine wesentlich aktive und souveräne Rolle des Bürgertums hinsichtlich einer Idealisierung eines „rigorosen Kriegerethos und einer spezifisch nationalen Mannesehre“. Seit der Rheinkrise 1840 habe es eine Vielzahl von Vereinigungen gegeben, deren elementares Bindeglied die „bürgerlich-nationale Integrationsidee“ mit der besonderen Gewichtung „kriegerisch-mannhafter Ehrvorstellungen“3 war, die ein Gegengewicht zur partikularistischen Herrschaftsklasse des Adels darstellten. Dieser „bürgerliche Nationalismus“4 war also laut Klenke der Grundstock für die Einigungskriege, die Reichsgründung, das preußische Militärsystem und auch, durch sein „paramilitärisches Gepräge“ sowie seine „Siegen-oder-Sterben-Mentalität“, wesentlicher Impulsgeber für den (späteren) „Kämpferhabitus der Duellkultur“.

Bis zur nationalen Einigung 1871 begriff sich das Bildungsbürgertum als „Sachverwalter der nationalen Interessen“5, das angesichts „potentieller (außenpolitischer) Feinde“ als „Hüter militärpolitischer Interessen der Nation gegenüber dem partikularistischen Adel“ auftrat. Das Duell fand in dieser Zeit keine allzu große Wertschätzung, galt es doch als sozial abklassifizierend, was nicht in das Bild einer nationalen Einheit passte; außerdem sollten die Kräfte der Duellanten eher für die nationale Sache aufgespart werden.

Vor dem Hintergrund der „Katastrophe des Napoleonischen Zeitalters“6 verstand es das Bildungsbürgertum mit entsprechender propagandistischer Polarisierung außen- und innenpolitische Spannungslagen mit dem Ziel der Vollendung der nationalen Einheit miteinander zu verzahnen. Die „nationalkriegerische Leistung“ als „bürgerliches Leistungskriterium“ war es schließlich, die das Militär und den Kaiser als „charismatische Bezugsgrößen“ im Kaiserreich in so besonderer Art etablierten. Der Kaiser war also durch seine persönliche militärische Leistung und nicht von Gottes Gnaden als Herrscher instruiert worden. Klenke sieht also das Bildungsbürgertum als geistigen Begründer des Deutschen Kaiserreichs.

Auf dieser Grundlage bewertet Klenke das Duell nach der Reichsgründung 1871 als das öffentliche Zuschaustellen von „militärischer Leistung und Aufopferbereitschaft“7 um den „Elitestatus des Bildungsbürgers“ als Träger „vaterländischer Mannhaftigkeit“ auch im Kaiserreich weiterhin geltend zu machen. Weiterhin bedeutete das Duell als einer Art nationalem Gelöbnis dem Vaterland bis in den Tod zu dienen. Der Kampf um die persönliche Ehre ist daher eher sekundär. Die „nationalkriegerischen Leistungskriterien“ zeugen davon, dass das Duell nichts mit „Feudalisierung im Sinne geburtsständischer Bevorrechtung“ zu tun hatte.

Anders als Klenke betrachtet Ute Frevert die Ehre als konstituierende Voraussetzung für ein Duellantentum der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts.8

Im Allgemeinen unterscheidet Frevert zwischen zwei Ehrbegriffen: Zum einen der „ständischen Ehre“ in einem gesellschaftlichen Kontext, zum anderen der „individuellen Ehre“ des Individuums. Zwar verhielt sich der Begriff der ständischen Ehre konträr zu bürgerlichen und liberalen Vorstellungen, die verstärkt auf eine „allgemeine bürgerliche Ehre“ hinwiesen, doch war dieses ständische Denken derart in der Gesellschaft verankert, dass selbst entsprechende Gerichtsbeschlüsse, die eben diese Klassifizierung aufheben sollten, ignoriert wurden9. Voraussetzung für die Teilhabe an einer ständischen Ehre war demnach neben einem „wirtschaftlichen und sozialen Fundament“ noch „Muße, Bildung und ein gewisser Comment“.

Die Austragung eines Duells erfolgte jedoch immer als Reaktion auf die Kränkung der individuellen Ehre, zum Beispiel durch Beleidigungen, Verleumdungen etc. Neben der Wahrung der „Manneswürde“ als der „symbolischen Repräsentation von Mut, Tapferkeit, und Selbstdisziplin“ gegenüber dem engsten familiären Kreis galt es vor allen Dingen die ständische Ehre, die einem als „Ehrenmann“ in einer „guten Gesellschaft“ gegeben war, zu verteidigen10.

Die Frage, warum ein mit ständischen, also anti-bürgerlichen Inhalten durchsetzter „Ehrbegriff“ des Duells solchen Anklang im Bürgertum gefunden hat, beantwortet Frevert mit der Sozialisation desselben durch Militär und studentische Verbindungen. „In Fragen des Ehrenpunktes“, der durch „Treue bis in den Tod, unerschütterlichen Muth, selbstverleugenenden Gehorsam“ etc. definiert wurde, galt der damals noch überwiegend adelige Offiziersstand als „oberste Autorität“, die er auch durch Duelle zu verteidigen wusste. Das Bürgertum, welches nach 1861 vermehrt Zugang zum Militär gefunden hatte, übernahm diese Wertevorstellungen mit den daraus sich ergebenden Konsequenzen mit gesteigertem Eifer. Den ungeheueren Prestigegewinn, welcher dem Militär widerfuhr, verdeutlicht die sich ausbreitende Mode des Reserveoffizierstum, welches militärische Tugenden und Ehrbegriffe in den bürgerlichen Alltag verankerte. Die studentischen Verbindungen als einer Art „militärischer Miniaturkopie“ standen dem mit ihrem Prinzip der „Unterordnung und Unterwerfung“, welches immer in der Mensur als Zeichen „kraftbewußter Männlichkeit“ kulminierte, in nichts nach11.

Das Duell war somit ein sichtbares Element eines in einer „satisfaktionsfähigen Gesellschaft fusionierten Adels und Bürgertums“. Diese Fusion wurde einerseits durch die Sozialisation des Bildungsbürgertums durch Militär und studentische Verbindung und der damit verbundenen Hervorhebung der ständischen sowie individuellen Ehre als gleichberechtigte Parameter, andererseits durch die Verbürgerlichung aristokratischer Werte und Einrichtungen wie des Duells begünstigt bzw. erst ermöglicht.

Frevert bestätigt implizit mit ihren Ausführungen über die studentischen „zweckgebundenen Contrahagen“ als den Mensuren um der Mensur Willen und der Okkupation des Bürgertums durch aristokratische Institutionen wie des Duells die Epochentheorie Norbert Elias`12, zu der ich weiter unten noch Stellung nehmen werde.

Kevin McAleer behauptet hingegen, das deutsche Bürgertum hätte im Wissen um die „aristokratische Suprematie“ sich einer „freiwilligen Kapitulation vor dem adligen Spiel und seinen Regeln“ unterworfen13.

Die Entwicklung des deutschen Bürgertums teilt McAleer in Anlehnung an Jürgen Kocka in drei Abschnitte ein14. In der ersten Phase ab dem späten 18. Jahrhundert versuchte das Bürgertum durch Bildung an den gesellschaftlichen Stand des Adels heranzukommen, während in der zweiten ab Mitte des 19. Jahrhunderts das Bürgertum zusammen mit dem Adel in einer Art Konsolidierung bestrebt den erreichten Stand gegenüber den Arbeitern und Proletariern zu sichern. In der dritten Phase ab 1880 erlosch das Bildungsbürgertum als „politische und soziale Kraft“, da alle seine Programmpunkte wie „gleiches Stimmrecht (der Männer), parlamentarische Vertretung“ etc. erfüllt worden waren. Als Kennzeichen dieser Phase lässt sich eine „Flucht in vorliberale Traditionen“ einhergehend mit einer „Aristokratisierung des Bürgertums“ nennen.

Dem Duell kamen in dieser Zeit bezüglich des Bürgertums zwei wesentliche Merkmale zuteil: Es war in keiner Weise demokratisch, sprich dessen Vertreter erhoben sich selbst moralisch über andere Klassen, z.B. den „Linksliberalen, Sozialisten“ etc. Zweitens diente es dem Bürgertum dazu so zu sein wie der Adel, dessen verehrungswürdigen Vorstellungen von „Ehrenhändel“ und einem „Duellkodex“ in dem Militär allgegenwärtig waren15. Letztendlich akzeptierte also das Bildungsbürgertum, nachdem es ein gewisses soziales Prestige erlangt hatte, „die aristokratische Moral in allen Angelegenheiten“, indem sie das Duell als Zeichen der „Satisfaktionsfähigkeit“ in einer durch „Standesehre“ geprägten Gesellschaft anerkannte16.

Eine Stellungnahme zu solch einem komplexen Thema und deren entsprechend kontroversen Deutungen erscheint mir recht schwer. Eigentlich kann ich mich mit keiner Erklärung hundertprozentig identifizieren und ich werde in aller Kürze meine Kritikpunkte darlegen.

Wir haben es mit drei Erläuterungen zu tun, die dem Bürgertum des Deutschen Kaiserreichs höchst unterschiedliche Bewertungen geben: Von einer höchst aktiven Rolle bei Klenke über eine recht ausgewogene Balance zwischen Adel und Bürgertum bei Frevert bis zu einer „Negation der Bürgerwelt“ bei McAleer.

Von all diesen Deutungen ist mir die McAleers am wenigsten aufschlussreich. Nicht nur, dass ich seinen polemischen und arroganten Stil recht merkwürdig finde; mir tun sich auch einige Widersprüche auf: Wenn das deutsche Bürgertum in einer ersten Phase versucht hat durch Bildung an den Adelsstand heranzukommen, dann in einer Art Fermate eine „Verteidigungsideologie“ gegenüber dem Proletariat zu entwickeln, warum hat es dann in der dritten Phase, in der wesentliche Forderungen des Bürgertums erfüllt worden waren, die `aufgeblasene Aristokratie` „inbrünstig umarmt“? Wäre es nicht menschlicher gewesen, wenn das Bürgertum im Wissen um seine Taten stolz eine `Anti-Gesellschaft` geschaffen hätte um sich offensichtlich zum `antiquierten Adel` abzuheben? Ich finde, auf diese Frage gibt McAleer mit der „Kapitulation“ vor der aristokratischen `Übermacht` hinsichtlich der staatlichen Macht eine nur ungenügende Antwort.

Die absolute Stellung des Bürgertums bei Dietmar Klenke finde ich zwar recht interessant, doch im Großen und Ganzen zu gewagt. Sicherlich, dem deutsche Bildungsbürgertum kam auf dem Weg zur Reichsgründung 1871 eine entscheidende nationale, anti-partikularische Rolle zu. Auf seine Rolle als `nationale Kraft` konnte das Bildungsbürgertum sicherlich stolz sein. Soweit stimme ich mit Klenke überein. Doch dass man dann Generäle und sogar den Deutschen Kaiser durch ihre „nationalkriegerische Leistung“ als vom Volke bestimmt darstellt, halte ich schlichtweg für übertrieben. Inwieweit der erste Deutsche Kaiser, Wilhelm I, kriegerische Leistungen im Deutsch-Französischen Krieg als dem Nationalkrieg schlechthin errungen hat, bleibe mal dahingestellt. Auch die bürgerlichen Duelle nach 1871 als Ereignisse einer bürgerlichen Elite darzustellen erscheint mir angesichts des offensichtlichen `Abguckens` bei dem Adel als zweifelhaft. Eine Elite hat es doch nicht nötig bei dem ehemaligen Gegenspieler Verhaltensweisen zu kopieren.

Ute Freverts Erläuterung der Verhaltensweise des deutschen Bildungsbürgertums durch die zweifache Ehre kommt meinen Vorstellungen am Nahsten. Erst die enge Verbindung von „individueller“ und „ständischer Ehre“ können eine solch perverse Verhaltensweise meiner Meinung nach erklären. Ich möchte mich hierbei auf den satirischen Roman „Der Untertan“ von Heinrich Mann berufen17. In ihm wird - stark überzogen, doch mit einem wahren Kern - die Sozialisation des Fabrikanten Dr. Diederich Heßling dargestellt. Geprägt durch die Institutionen und deren Regeln- hauptsächlich Verbindung und Militär - muss sich der innerlich labile, doch äußerlich stets mannhafte Heßling immer wieder seiner Ehre und seines Standes vergewissern. Dem Militär als dem ehrenvollsten Stand (nur übertroffen vom Kaiser) kommen die umfangreichsten Huldigungen zu und diese vorbildhafte ehrenvolle Haltung versucht Heßling im Alltag - mehr oder weniger erfolgreich - zu kopieren. Ich finde, dass sich diese Tendenzen in der von Frevert vermerkten „Fusion“ zwischen Adel und Bürgertum aufgrund der auf fragwürdigen Ehrvorstellungen beruhenden Kopie des Duells ausreichend sichtbar werden.

Inwieweit die durch diese Fusion bedingte von Elias geäußerte „Dominanz von militärischen Modellen in der deutschen Oberschicht“ und der damit einhergehende „nationale Habitus“ der Gesellschaft für eine nach außen hin aggressive Grundeinstellung des Deutschen Reiches verantwortlich ist bleibt zu diskutieren. Sie erscheint mir - zwar nicht als allumfassende Erklärung - aber zumindest als Deutung aus oben genannten Gründen als plausibel.

[...]


1 Dietmar Klenke: War der „Deutsche Mann“ im 19. Jahrhundert ´bürgerlich´ oder ´feudal´? Anmerkungen zu einer Kontroverse über Duell, Mannesehre und deutschem Sonderweg in: Werkstatt Geschichte 12, Seite 56-64, hier: Seite 64

2 ebd. Seite 57

3 ebd. Seite 58

4 ebd. Seite 59

5 ebd. Seite 60

6 Dietmar Klenke: War der „Deutsche Mann“ im 19. Jahrhundert ´bürgerlich´ oder ´feudal´? Anmerkungen zu einer Kontroverse über Duell, Mannesehre und deutschem Sonderweg in: Werkstatt Geschichte 12, Seite 56-64, hier: Seite 62

7 ebd. Seite 63

8 Ute Frevert: Die Ehre der Bürger im Spiegel ihrer Duelle. Ansichten des 19. Jahrhunderts. in: Historische Zeitschrift Band 249 (1989), Seite 545-582

9 ebd. Seite 549 f.

10 ebd. Seite 561 ff.

11 Ute Frevert: Die Ehre der Bürger im Spiegel ihrer Duelle. Ansichten des 19. Jahrhunderts. in: Historische Zeitschrift Band 249 (1989), Seite 545-582, hier: Seite 564 ff.

12 Friedhelm Guttandin: Das paradoxe Schicksal der Ehre. Zum Wandel der adeligen Ehre und zur Bedeutung von Duell und Ehre für den monarchischen Zentralstaat in: Schriften zur Kultursoziologie 13, Berlin 1993 Seite 28-29

13 Kevin McAleer: What Price Glory? in: Werkstatt Geschichte Heft 11, 4. Jahrgang, Juli 1995, Seite 55-63

14 ebd. Seite 59 f.

15 ebd. Seite 56 ff.

16 ebd. Seite 61 f.

17 Heinrich Mann: Der Untertan. Fischer Taschenbuch Verlag. 493 Seiten.

Ende der Leseprobe aus 4 Seiten

Details

Titel
Die satisfaktionsfähige Gesellschaft
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
4
Katalognummer
V99893
ISBN (eBook)
9783638983266
Dateigröße
333 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesellschaft
Arbeit zitieren
Lars Hübner (Autor:in), 2000, Die satisfaktionsfähige Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99893

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