Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Fragestellung
Der Soziologische Neo-Institutionalysmus als theoretischer Bezugsrahmen
Die Makroinstitutionalistische Perspektive
Der Institutionenbegriff
Organisationen
Legitimationsprozesse- und Strategien
Lose Koppelung
Isomorphismus
Isomorphismus durch Zwang (coercive Isomorphism)
Isomorphismus durch Mimetische Prozesse (mimetic isomorphism)
Isomorphie durch normativen Druck
Profession als institutioneller Bezugsrahmen
Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, welche Möglichkeiten und Begrenzungen durch den Soziologischen Neo-Institutionalismus im Hinblick auf die Untersuchung Sozialer Organisationen eröffnet werden können. Organisationstheorien haben den Anspruch, die Existenz, sowie Funktionsweisen und enthaltenen Strukturen von Organisationen zu erklären, zu untersuchen und analysierbar zu machen. Während in den 1950er und 1960er Jahren vor allem marktorientierte Organisationstheorien vorherrschten, entwickelte sich in den 1970er Jahren eine andere Erklärungsperspektive. Diese eignet sich besonders gut für Soziale Organisationen, die vor allem Ziele auf (zwischen-)menschlichen Ebenen verfolgen und weniger ökonomischen und effizienzorientierten Zielen folgen. Institutionalistische Ansätze beziehen sich dabei auf kognitive, kulturelle und normative Faktoren, welche die Entstehung und Entwicklung von Organisationen nachhaltig beeinflussen. Untersuchungsgegenstand dieser Ansätze sind Institutionen (die ganz allgemein als (un-)bewusste Handlungsmuster oder Regelsysteme verstanden werden können). Grundlage dieser Ausarbeitung soll dabei der soziologische NI sein. In diesem Ansatz werden Organisationen als Teil einer organisationalen Umwelt verstanden, welche als soziale Systeme innerhalb einer durch Regeln, Normen und Anforderungen gestalteten Umwelt immer wieder Veränderungs- und Anpassungsleistungen vornehmen müssen und vorrangig durch Institutionen gestaltet werden. Ziel der Arbeit ist die Erarbeitung der theoretischen Grundlagen des NI. Daneben gilt es herauszustellen, welchen Einflüssen Organisationen Sozialer Arbeit unterliegen und welchen Einfluss eine zunehmende Effizienzorientierung zur Professionalisierung Sozialer Arbeit haben kann. Um dies umzusetzen werden zunächst die verschiedenen Grundströmungen und theoretischen Ansätze des soziologischen NI dargestellt, sowie auf grundlegende Begrifflichkeiten eben dieser eingegangen. Es werden immer wieder Bezüge zu der Profession Sozialer Arbeit hergestellt und am Ende der Ausarbeitung steht eine fundierte Diskussion zu der genannten Thematik. Abschließend soll die eingangs gestellte Fragestellung beantwortet werden.
Fragestellung
Stellt der Theoretische Zugang des soziologischen Neo-Institutionalismus eine geeignete Analysemöglichkeit dar um formale und non-formale Sturkturen der Organisationen Sozialer Arbeit zu untersuchen und den Einfluss der Profession Sozialer Arbeit auf diese sichtbar zu machen?
Der Soziologische Neo-Institutionalysmus als theoretischer Bezugsrahmen
Als Hauptwerke die zur Entstehung der Theorie beigetragen haben, können insbesondere die Autoren Lynn G. Zucker (1977) mit der mikroinstitutionalistische Perspektive, sowie die Autoren Meyer und Rowan (1977) und DiMaggio und Powell (1983) die sich mit einer makroinstitutionalistischen Perspektive auseinandergesetzt haben, genannt werden. Der Neo-Institutionalismus begründet sich in der Überarbeitung der bisher bestehenden theoretischen Ansätze des Institutionalismus, wobei das Neue des Ansatzes vorwiegend in der Schaffung neuer Erkenntnisse und Begrifflichkeiten liegt. Im Folgenden sollen die heterogenen Ansätze genauer differenziert werden. Hierfür wird neben den Makroinstitutionalistschen Perspektiven auch die bislang weniger populäre Perspektive des Mikroinstitutionalistischen Ansatzes aufgezeigt und diskutiert. Zum besseren Grundverständnis werden grundlegende Begrifflichkeiten, wie das organisationale Feld, lose Koppelung, Rationalitätsmythen und Legitimationsprozesse eingehend erläutert.
Eine Abgrenzung zu den bis dahin bestehenden Ansätzen des Institutionalismus erfolgte durch DiMaggio und Powell: „Organizational forms, structural components, and rules, not specific organizations, are institutionalized. Whereas the old institutionalism viewed organizations as organic wholes, the new institutionalism treats them as loosely coupled arrays of standardized elements.“ (DiMaggio und Powell. 1991, S. 14). Neu ist auch, dass neben formalen Institutionen wie z. B. der Organisationsstruktur (Aufteilung in Abteilungen, Hierarchien etc.) auch non-formale Strukturen wie Gewohnheiten und Routinen betrachtet werden (vgl. Hasse/Krücken, 2005:14). Neben einheitlichen Begriffsdefinitionen finden sich viele sich voneinander unterscheidende und teilweise auch widersprüchliche Auslegungen des Neo-Institutionalismus. Die wichtigsten Vertreter sollen mit ihren Ansätzen daher kurz vorgestellt werden. Die Betrachtungsweise des NI ist für die Soziale Arbeit hervorragend geeignet, denn: „Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Soziale Arbeit sich immer in Organisationszusammenhängen ereignet und sozialpädagogisches Handeln nicht spontan, sondern in organisierter Form erfolgt“ (vgl. auch Merchel 2005, S. 7). Eine Betrachtung der Organisationen Sozialer Arbeit soll in diesem Beitrag daher besonders berücksichtigt werden und anhand der Profession als Institution kurz beispielhaft illustriert werden.
Die Makroinstitutionalistische Perspektive
In Makroinstitutionalistischen Ansätzen steht die Betrachtung der Organisationsumwelt im Mittelpunkt der theoretischen Überlegungen. Hierbei wird den individuellen Akteuren (im Gegensatz zu mikroinstitutionalistischen Annahmen) nur wenig Bedeutung zugemessen. Die von außen an die Organisation gestellten Anforderungen der Umwelt werden als großer Einflussfaktor gesehen. Gleich ist verschiedenen makroinstitutionalistischen Ansätzen, dass sie die individuelle Perspektive der Akteur*Innen vernachlässigen, unterschiedlich jedoch welche Bedeutung und welchen Einflussgrößen sie verschiedenen umweltlichen Anforderungen beimessen. Beschäftigt man sich intensiv mit der Theorie wird klar, dass auch Anforderungen sehr heterogen sein können und sich je nach Organisation und dem Organisationssektor unterscheiden. Eine Unterteilung wird im späteren Teil des Kapitels vorgenommen. Grundsätzlich können aber gesetzliche Veränderungen oder sich verändernde Normen und Werte dazu führen, dass Organisationen sich verändern.
„Many of the positions, policies, programs, and procedures of modern organizations are enforced by public opinion, by the views of important constituents, by knowledge legitimated through the educational system, by social prestige, by the laws, and by the definitions of negligence and prudence used by the courts.” (Meyer, Rowan 1977, 343)
Für Organisationen Sozialer Arbeit könnten beispielhaft die Einführung der Menschenrechte oder die Schaffung des Kinder- Und Jugendhilfegesetztes herangeführt werden. Ein weiteres Beispiel stellt aber auch die zunehmende Effizienzorientierung dar. Veränderungen in Gesetzgebungen oder in gesellschaftlichen Haltungen haben also unmittelbare Auswirkungen auf formale Strukturen bestehender Organisationen oder führen sogar zu Neubildungen eben dieser. Eine stärkere Familienzentrierung in der Sozialen Arbeit, ebenso wie eine veränderte Gesetzgebung, haben unter anderem die Bildung von Organisationen der Sozialpädagogischen Familienhilfe gefördert und begleitet. Eine Adaption veränderter Umweltbedingungen in formale Strukturen beschreiben Meyer und Rowan schon in ihrem ersten Werk 1977 (vgl. Meyer/Rowan,1977: 345) und kann als Grundlage der theoretischen Weiterentwicklung gesehen werden. Zunächst sollen aber grundlegende Begriffe der Theorie eingehender beschrieben werden. Eine genauere Betrachtung der Mikroinstitutionalistischen Perspektive (nach Zucker) wird nicht vorgenommen. In ihr wird eine Organisation selbst als Institution angesehen, zudem wird der Fokus mehr auf die Beziehung zwischen den Akteur*Innen und Handlungen und den Institutionen gelegt. In der Literatur ist dieser Ansatz deutlich weniger vertreten, weshalb er zunächst vernachlässigt werden soll.
Der Institutionenbegriff
So vielfältig die verschiedenen theoretischen Ansätze auch sind, so vielfältig sind auch die Definitionen des Begriffes der Institutionen. Es sollen zwei Definitionen betrachtet werden. Eine kurze und doch passende Beschreibung wurde unter anderem von Hasse und Krücke 2005 verfasst. In ihrem Werk heißt es: „Institutionen lassen sich […] allgemein als übergreifende Erwartungsstrukturen definieren, die darüber bestimmen, was angemessenes Handeln und Entscheiden ist. […] Institutionen in diesem erweiterten Sinn prägen die Verhaltensweisen einzelner Gesellschaftsmitglieder und regulieren hierdurch das gesellschaftliche Miteinander.“ (Hasse, Krücken 2005, 15)
Eine deutlich umfassendere und ebenfalls sehr bekannte Definition einer Institution stammt von Scott (2001). In seinem Buch „Institutions and Organizations“ zeigt er mehrere Merkmale auf, welche Institutionen beschreiben:
„Institutions are social structures that have attained a high degree of resilience.
Institutions are composed of cultural-cognitive, normative, and regulative elements that, together with associated activities and resources, provide stability and meaning to so-cial life.
Institutions are transmitted by various types of carriers, including symbolic systems, re-lational systems, routines and artifacts.
Institutions operate at multiple levels of jurisdiction, from the world system to localized interpersonal relationships.
Institutions by definition connote stability but are subject to change processes, both in-cremental and discontinuous.” (Scott (2001), S. 48)
In seinen Definitionen bezieht er gleich mehrere Elemente ein, die aufzeigen, welch enormen Einfluss Institutionen als unbewusste Handlungsmotive, auf verschiedenen Ebenen, von der juristischen Ebene bis hin auf der Ebene der persönlichen Beziehungsgestaltung einnehmen. Interessant ist auch, wie sich Institutionen in symbolische Systeme übertragen (beispielsweise das Kreuzsymbol in Bild und Sprache bei christlichen Organisationen). Besonders hervorzuheben ist der zuletzt benannte Aspekt, welcher den Widerspruch der Sicherheiten sowie der Veränderungen durch Routinen gegenüberstellt. Genau dieser Konflikt soll in der Abschlussdiskussion- und Reflexion Berücksichtigung finden. Die Sicherheit, auch die Annahme das Institutionen zu Realitäten werden, an denen das Subjekt nicht vorbeikommt, kann im pädagogischen Arbeitsalltag der Entlastung aber auch zu einer Beschränkung professionellen und individuellen Handelns führen. 2014 ergänzt Scott seine Definitionen um folgende Aussage:
„Institutions comprise regulative, normative, and cultural-cognitive elements that, together with associated activities and resources, provide stability and meaning to social life.” (Scott 2014, 56)
Besonders bemerkenswert ist, dass er auch kulturell-kognitive Elemente miteinbezieht und die Bedeutung für das Soziale und Alltägliche Leben erneut herausarbeitet. Besonderheiten verschiedener kultureller Prägungen sind in Bereichen der Sozialen Arbeit gut reflektierbar. Beispielsweise in Bereichen, in denen sich Sozialarbeiter*Innen mit Migrationsprozessen und kulturellen Besonderheiten (in Form von interkulturellen Arbeitsgebieten) auseinandersetzen und wo gezielt das Aufeinandertreffen verschiedener kultureller Prägungen begleitet und thematisiert wird. Auch wenn sie hier durch die Mitarbeitenden vielleicht bewusster reflektiert werden, all diese Elemente nehmen in allen Bereichen des Zusammenlebens wie Arbeitens eine große Rolle ein. Wirken sie doch unbewusst in allen sozial-tätigen und ihren Adressat*Innen und beeinflussen Handlungsmotive- und Verhaltensweisen und können auch zu Irritationen oder abweichenden Meinungen und Einstellungen führen. Auf Grundlage der Begriffsbestimmung von Scott fasst Ehringer bestimmte Merkmale von Institutionen wie folgt zusammen: Institutionen (sind): Beständige Soziale Strukturen, welche aus kulturell-kognitiven, normativen und regulativen Elementen bestehen und mit den daraus resultierenden Aktivitäten und Ressourcen Stabilität und Sinn fördern. Sie werden durch Symbolsysteme, Artefakte und Routinen übermittelt und wirken von persönlichen zu weltlichen Ebenen. Sie werden außerdem dadurch charakterisiert, dass sie stabil aber nicht unveränderbar sind und unterliegen inkrementellen oder radikalem Wandel (Ehringer,2019, S.59).
Organisationen
Im ersten Abschnitt wurden also die der Theorie zugrundeliegenden Aspekte des Begriffs der Institution, sowie der Institutionalisierung beschrieben. Nun soll eine genauere Eingrenzung von Organisationen folgen, welche durch die Institutionen geprägt werden. In der Literatur wird je nach Kontext häufig eine eigene Definition des Begriffes der Organisation verwendet. Warum der organisationale Kontext sozialer Dienstleistungen so wichtig ist, beschreibt Merchel (2011) in seinem Aufsatz Organisation und Management sozialer Arbeit. „Ohne die Einbettung in einen Organisationskontext bleibt Helfen ein reiner Akt zwischenmenschlicher Nähe oder individuelle Nächstenliebe. Erst durch die Einbindung in einen Organisationskontext, in dem sich ein gesellschaftlicher Auftrag und damit eine über die individuelle Beziehung hinausreichende Bedeutung widerspiegeln, wird das Helfen zu einem Bestandteil Sozialer Arbeit.“ (Merchel, 2011 S. 4). Die Tatsache, dass das Helfen in organisierter Form stattfindet, ist also elementar um zwischen ehrenamtlichen und freundschaftlich Geprägten Hilfsdiensten und professionell geleisteter Hilfe zu unterscheiden. Durch die zunehmende Professionalisierung im sozialen Dienstleistungssektor, ist auch eine Zunahme an Organisationen zu beobachten. Es gibt immer differenzierte Aufgaben welche durch immer differenzierter arbeitende Organisationen übernommen werden müssen. Merchel geht in seinem Beitrag ebenfalls darauf ein, dass unsere Handlungen auch durch unsere Haltungen gegenüber den Organisationen bestimmt werden (vgl. ebd. S. 6). So macht es einen Unterschied, ob wir als Mitarbeitende der Organisation Jugendamt, privater Kinder- und Jugendhilfeträger oder aus Perspektive einer Beratungsstelle heraus agieren. In der praktischen Arbeit bedeutet dies, dass beispielsweise bei einer Fallkonferenz mehrere Vertreter*Innen der Sozialen Arbeit an der Konferenz teilnehmen, diese aber abhängig von der Organisationszugehörigkeit unterschiedliche Interessen und Perspektiven (die der Eltern, die des Kindes, die des Krankenhauses) vertreten. Dass hierbei immer auch ein Bezug der verschiedenen Organisationen zueinander besteht, wird in der Theorie des NI durch den Begriff des organisationalen Felds thematisiert. Genauer heißt das, Makroinstitutionalistische Ansätze gehen davon aus, dass sich Organisationen in einem Feld von ihnen ähnlichen Organisationen bewegen. Dieses Feld besteht aus Organisationen, die ein ähnliches Ziel oder eine ähnliche Aufgabe verfolgen, eine genauere Abgrenzung zu den Begriffen Netzwerk oder Standards fehlt, wie einige Autoren bemerken (vgl. u. a. Meyer (2009)) anmerken. Geprägt wurde der Begriff ebenfalls maßgeblich durch DiMaggio und Powell: „By organizational field we mean those organizations that, in the aggregate, constitute a recognized area of institutional life: key suppliers, resource and product consumers, regulatory agencies, and other organizations that produce similar services and products (DiMaggio and Powell 1991b, S. 64 f.). Eine Anlehnung An Bourdieus Feldtheorie wird nicht explizit benannt, aber weithin vermutet. Mit dem Organisationalen Feld wird eine Analysemöglichkeit geschaffen die Grundlage wissenschaftlicher Ausarbeitungen und Untersuchungen ist. Untersucht wird, wie die Organisationen innerhalb eines Feldes sich gegenseitig formen und welchen Einflüssen durch andere Organisationen sie unterliegen. Sinnhaft scheint, für jede Untersuchung explizit zu benennen, welche Organisationen in das Feld ein- oder ausgeschlossen wird. Regelhaft lassen sich aber direkte Kooperationspartner, Konkurrenzunternehmen sowie Auftrags- und Ressourcengebende Organisationen in das Feld einschließen. Kriterien die Organisationen ein- oder ausschließen sind hierbei sehr vielfältig. Gleich ist die grundlegende Annahme, dass das organisationale Feld Einfluss auf die einzelnen Organisationen und ihre Mitglieder hat und ihnen Spielräume der Anpassung bietet. Es werden Angleichungsprozesse untersucht und beschrieben, die nicht nur der Steigerung von Effizienz- sondern vielmehr Legitimationsprozessen dienen, welche ein Fortbestehen der Organisation rechtfertigen und sie gegenüber gesellschaftlichen Anforderungen absichern soll. Diese Angleichungsprozesse werden in der Literatur mit den Begriff der Isomorphie bezeichnet. Isomorphe Vorgänge können durch verschiedene „Auslöser“ begünstigt werden. DiMaggio und Powell unterscheiden zwischen der Angleichung durch Zwang (coercive isomorphism), mimetischen Angleichungsprozessen (mimetic isomorphism) und der Anpassung durch normativen Druck (normative isomorphism). Bevor intensiver auf die eben genannten Komponenten eingegangen wird, soll das Drei-Säulen-Modell von Scott genauer betrachtet werden. Es bietet neben einer Übersicht zu den Durchsetzungsmechanismen auch eine Einbindung der Indikatoren und der Legitimitätsgrundlagen auf verschiedenen Ebenen.
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