Leseprobe
Inhalt
1. Problemstellung
2. Stabilisierende und destabilisierende Spekulation
2.1 Spekulation bei flexiblen Wechselkursen
2.2 Spekulation bei fixen Wechselkursen
2.3 Spekulation in einem einfachen spieltheoretischen Modell
3. Ökonomisches Modell einer spekulativen Attacke
3.1 Aufbau und Analyse des Grundmodells
3.2 Grundzüge der Tobin-Steuer
3.3 Analyse des Grundmodells unter Berücksichtigung der Tobin-Steuer
4. Kritische Beurteilung der Tobin-Steuer
4.1 Trennung von destabilisierenden und stabilisierenden Transaktionen
4.2 Optimale Höhe und Geltungsbereich der Tobin-Steuer
4.3 Verwaltung und Verwendung der Einnahmen der Tobin-Steuer
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Abstract
Die Ursache spekulativer Attacken ist ein in der jüngeren ökonomischen Literatur umfangreich diskutiertes Phänomen. Im Laufe der Zeit wurden unterschiedliche Modellansätze zur Erklärung spekulativer Attacken verfolgt und verschiedene Möglichkeiten zu deren Vermeidung präsentiert. Einen wichtigen Vorstoß stellt in diesem Zusammenhang die Tobin-Steuer dar, bei der Finanztransaktionen mit dem Ausland mit einer geringen Steuer belegt werden. Indem im Rahmen dieser Arbeit traditionelle Modellansätze hinsichtlich der Tobin-Steuer modifiziert und analysiert werden, wird gezeigt, dass die Tobin-Steuer zwar ein geeignetes Instrument darstellt, Einnahmen zu erwirtschaften, die zum Beispiel zur Entwicklungshilfe verwendet werden können, jedoch zur Vermeidung spekulativer Attacken nur sehr bedingt geeignet ist.
1. Problemstellung
Im Zuge immer häufiger werdender Finanz- und Währungskrisen in den letzten Jahren und Jahrzehnten wird immer wieder der Ruf nach einer Tobin-Steuer laut. Viele der Währungskrisen, die sich - beispielsweise innerhalb der Krise des Europäischen Währungssystems (EWS) 1992/93 - ereignet haben, scheinen auf den ersten Blick unerklärlich zu sein und werden daher in erster Linie auf den enormen Anstieg des Handelsvolumens auf den Devisenmärkten zurückgeführt1 ). Nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems2 ), in dem die Wechselkurse der wichtigen Währungen gegeneinander fixiert waren, stieg die Nachfrage nach Sicherungsmöglichkeiten bei offenen Fremdwährungspositionen (Hedging). Deshalb kam in den siebziger und achtziger Jahren eine Vielzahl von Währungsderivaten auf den Markt. Zu nennen sind hier z.B. Devisentermingeschäfte, wo ein Vertrag über den zukünftigen Kauf/Verkauf einer Währung zu einem in der Gegenwart festgelegten Wechselkurs geschlossen wird, oder Optionen, welche das Recht beinhalten, eine Währung in der Zukunft zu einem in der Gegenwart festgelegten Kurs zu kaufen/verkaufen. Durch diese Sicherungsmöglichkeiten entsteht allerdings gleichzeitig die Möglichkeit, mittels einer einseitigen „Wette“ gegen eine Währung beträchtliche Gewinne zu erzielen, während die Verlustmöglichkeiten begrenzt sind. Zusätzlich wurden in den achtziger Jahren vielerorts die damals bestehenden Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben. Dies führte zu einer starken Zunahme der spekulativen Transaktionen.
Das Konzept der Tobin-Steuer versucht, der destabilisierenden Wirkung dieser Spekulationsgeschäfte entgegenzutreten, indem es Währungstransaktionen mit einer geringen Steuer (<2%) belegt3 ). Auf diese Weise soll die Anteil der Spekulationsgeschäfte an den Währungstransaktionen verringert werden.
Diese Arbeit untersucht insbesondere, ob die Einführung einer Tobin-Steuer spekulative Attacken gegen ein Festkurssystem verhindern bzw. abmildern könnte. Im zweiten Kapitel werden zunächst die Grundlagen der Währungsspekulation dargestellt und wichtige Begriffe eingeführt. Im dritten Kapitel folgen differenziertere Modelle, die den möglichen Beitrag der Tobin-Steuer zur Beibehaltung eines fixen Wechselkurses im Vorfeld einer spekulativen Attacke analysieren. Im vierten Kapitel wird die Durchführbarkeit der TobinSteuer kritisch betrachtet. Im fünften Kapitel folgt eine Zusammenfassung, die die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit komprimiert darstellt.
2. Stabilisierende und destabilisierende Spekulation
In diesem Kapitel werden zunächst die Unterschiede zwischen stabilisierender und destabilisierender Spekulation und deren Auswirkungen aufgezeigt, indem kurzzeitig von flexiblen Wechselkursen ausgegangen wird. Anschließend werden die Grundlagen einer Fixierung des Wechselkurses dargestellt und die Rolle der Zentralbank hierbei erklärt. Dazu wird das Modell der destabilisierenden Spekulation bei flexiblen Wechselkursen auf eine Situation mit fixen Wechselkursen übertragen. Anhand dieses Modells wird das Zustandekommen spekulativer Attacken hergeleitet.
2.1 Spekulation bei flexiblen Wechselkursen
Spekulation kann wechselkursstabilisierend und -destabilisierend sein. Im Folgenden wird kurz auf beide Formen eingegangen4 ).
Unter Spekulation soll hier jede kurzfristige, auf Gewinnerzielung gerichtete, zeitliche Ausnutzung von erwarteten Devisenkursunterschieden verstanden werden. Sie ist aufgrund des zeitlichen Aspekts immer risikobehaftet.
Stabilisierend ist die „natürliche“ Spekulation, die nahezu immer auftritt, und die zu einer Reduzierung der Währungsschwankungen führt. Sie hat eine positive Wirkung auf die Wohlfahrt einer Volkswirtschaft, da sie zu einer beschleunigten Anpassung der Devisenkurse an veränderte marktwirtschaftliche Bedingungen führt. Diese beschleunigte Anpassung wird in Abbildung 1 dargestellt:
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Abbildung 1: Stabilisierende Währungsspekulation
Es handelt sich bei der Abbildung um eine zweiperiodige Darstellung eines Devisenmarktes, in dem der Anteil der Spekulanten klein ist. Zu Beginn der Periode 0 liegt der Wechselkurs bei e0 . Nun erwarten die Spekulanten für die kommende Periode 1 steigende Wechselkurse5 ) (bzw. eine Abwertung der Inlandswährung), und fragen Devisen im Umfang X nach, um diese, wie bereits oben beschrieben, nach der Abwertung der Währung mit Gewinn zurück zu tauschen. Diese Nachfrage verschiebt die Nachfragekurve nach Devisen auf N0s , der Wechselkurs steigt auf e0s .
In der nächsten Periode steigt die Nachfrage nach Devisen an - die Spekulanten haben also die Marktentwicklung korrekt antizipiert - die Nachfragekurve verschiebt sich nach N1 . Nun verkaufen die Spekulanten ihre Devisenbestände, die sie in Periode 0 erworben haben, wieder, und verschieben daher die Angebotskurve - wiederum um den Betrag X -nach rechts auf A1s . Ohne die Spekulation läge das Devisenmarktgleichgewicht in Periode 0 bei Punkt A (e0 ), und in Periode 1 bei Punkt B (e1 ). Durch die Spekulation liegt das Gleichgewicht am Ende der Periode 0 bei C (e0s ), und in Periode 1 bei D (e1s ). Da gilt e0 <e0s <e1s <e1 , wurden durch die Spekulation die Wechselkursschwankungen verringert. Sie „nivelliert“ also die Währungsschwankungen zwischen den Perioden.
Es ist auch der umgekehrte Fall einer wechselkursdestabilisierenden Spekulation denkbar. Sie kann dann auftreten, wenn der Anteil der Spekulanten im Markt sehr hoch ist und/oder diese unzureichend informiert sind (Mitläuferspekulanten).
In diesem Fall stellt sich die Abbildung aus dem vorigen Abschnitt wie folgt dar:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Destabilisierende Währungsspekulation
Offensichtlich hat hier die Spekulation einen gegenläufigen Effekt, da die Spekulanten die bevorstehende Nachfragesteigerung überschätzen (N0s > N1 ). Die Argumentation erfolgt analog zur Abbildung 1. Da gilt e0s < e0 < e1 < e1s , hat die Spekulation eine wechselkursdestabilisierende Wirkung. Sie vergrößert die Wechselkursschwankungen noch zusätzlich. Im Gegensatz zur stabilisierenden hat die destabilisierende Spekulation eine Verschlechterung der Wohlfahrt einer Volkswirtschaft zur Folge. Sie erfordert häufig das Eingreifen des Staates, um ein Marktversagen zu vermeiden.
2.2 Spekulation bei fixen Wechselkursen
Die Zentralbank hält neben inländischem Geld auch eine bestimmte Menge an ausländischen Devisen, die so genannten Devisenreserven R . Diese Devisenreserven setzt sie ein, um den fixen Wechselkurs (e = e ) zu „verteidigen“. Steigt die Nachfrage nach Devisen an, ginge dies bei flexiblen Wechselkursen mit einer Abwertung der Inlandswährung einher (steigende Wechselkurse). Bei fixen Wechselkursen jedoch verkauft die Zentralbank einen Teil Ihrer Devisenreserven, um den Wechselkurs auf dem festgelegten Niveau zu halten. Umgekehrt kauft sie bei einem bestehenden Überangebot an Devisen den Überschuss auf. In Abbildung Nachfrageerhöhung nach Devisen dargestellt:
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Abbildung 3: Verteidigung des Wechselkurses durch die Zentralbank
Das ursprüngliche Gleichgewicht liegt bei A, der Wechselkurs liegt bei e . Die ursprüngliche Nachfragekurve N0 verschiebt sich nun durch die gestiegene Devisennachfrage nach rechts (N1 ). Bei flexiblen Wechselkursen würde das neue Gleichgewicht bei gestiegenem Devisenkurs e1 im Punkt B erreicht. Da der Wechselkurs jedoch auf seinem ursprünglichen Niveau fixiert werden soll, deckt die Zentralbank die gestiegene Devisennachfrage durch Verkäufe aus ihren Devisenreservebeständen. Das verschiebt die Angebotskurve von A0 nach A1 . Im neuen Gleichgewicht C liegt der Wechselkurs auf seinem ursprünglichen Niveau e . Die Zentralbank hat also den Wechselkurs erfolgreich verteidigt.
Die Devisenreserven der Zentralbank sind allerdings nicht unerschöpflich. Sie muss immer einen gewissen Mindestbestand R an Devisenreserven in ihrem Bestand halten6 ). Wenn dieser Mindestbestand erreicht wird, kann der Wechselkurs nicht länger verteidigt werden und muss freigegeben werden. Normalerweise folgt auf eine erfolgreiche spekulative Attacke ein Zeitraum, in dem die Wechselkurse flexibel sind. Oft wird der Wechselkurs jedoch auch (nach einer gewissen Zeit) neu fixiert.
Die Währungsspekulation bezieht sich bei fixen Wechselkursen nicht - wie unter flexiblen Wechselkursen - auf dessen kurzfristige Schwankungen, da der Wechselkurs auf dem Niveau e fixiert ist. Stattdessen wird in Bezug auf die Höhe der Devisenreserven bzw. auf die Beibehaltung des fixen Wechselkurses spekuliert.
Die Spekulanten haben eine bestimmte Erwartungshaltung bezüglich der Höhe der Devisenreserven. Erwarten sie eine Steigerung der Devisennachfrage, die so hoch ausfällt, dass die Devisenreserven erschöpft werden und der Wechselkurs freigegeben werden muss, können sie davon profitieren, indem sie kurz vor der Freigabe des Wechselkurses Devisen kaufen, und diese nach der Abwertung des Wechselkurses wieder verkaufen. Wenn die Devisenreserven so gering sind, dass allein die Nachfrage der Spekulanten die Devisenreserven der Zentralbank erschöpft, und die Spekulanten dies antizipieren, werden sie die Währung „attackieren“. Man spricht in diesem Fall von einer spekulativen Attacke.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Entwicklung des Wechselkurses und der Devisenreserven bei einer spekulativen Attacke
In Abbildung 4 wird das Zustandekommen einer spekulativen Attacke schematisch dargestellt. Zum Zeitpunkt t0 ist der Wechselkurs auf e fixiert, es sind ausreichend Devisenreserven vorhanden. Im Zeitverlauf sinken die Devisenreserven stetig (die Gründe hierfür können unterschiedlich sein, je nach zugrundegelegtem Modell). Bei Erreichen einer bestimmten unteren Grenze der Devisenreserven antizipieren die Marktteilnehmer, dass der fixe Wechselkurs nicht mehr unbegrenzt aufrechterhalten werden kann, und es erfolgt eine spekulative Attacke. Im Zeitpunkt ta werden sofort alle restlichen Devisenreserven aufgebraucht, so dass der Wechselkurs freigegeben werden muss. Ohne die spekulative Attacke wären die Reserven erst im Zeitpunkt tr erschöpft, der Wechselkurs hätte also etwas länger (tr - ta ) aufrechterhalten werden können.
2.3 Spekulation in einem einfachen spieltheoretischen Modell
Nun sollen anhand eines spieltheoretischen Modells die Auswirkungen von Spekulation bei fixen Wechselkursen erläutert werden7 ). In diesem Modell wird zunächst von der Anwesenheit dreier Spieler ausgegangen. Es gibt zwei Spekulanten und die Zentralbank auf dem Devisenmarkt. Die beiden Spekulanten sind unterschiedlich gut informiert. Während Spekulant 1 die Höhe der Devisenreserven der Zentralbank kennt, da es ihm möglich ist, sich darüber zu informieren, kann Spekulant 2 deren Höhe nur unzureichend schätzen, da er weniger gut informiert ist. Spekulant 1 kann auch als „Berufsspekulant“ bezeichnet werden, Spekulant 2 als „Mitläuferspekulant“. Es soll hier der Einfachheit halber R=0 gelten (d.h. die Zentralbank verwendet alle ihre Devisenreserven, um den Wechselkurs zu verteidigen). Es gibt zwei Länder, das Inland und das Ausland8 ). Die Währung des Inlandes sei Euro, die des Auslandes Dollar. Der Wechselkurs zwischen den beiden Ländern ist zunächst auf einem bestimmten Niveau fixiert, sei es hier e = 1 €/$.
Die Spekulanten haben 5 0 € zur Verfügung, die sie jederzeit bei der Zentralbank in ausländische Devisen tauschen können. Es entstehen ihnen beim Umtausch lediglich Transaktionskosten i.H.v. 1 € .
Es wird nun zur Vereinfachung davon ausgegangen, dass bei einer erfolgreichen spekulativen Attacke der Euro um 10% gegenüber dem Dollar abwertet. Im folgenden werden vier Fälle unterschieden, in denen es zwei Mal zu spekulativen Attacken auf die Währung kommt.
1. Fall: R = 4 9 (tatsächlicher Wert), R = 1 0 0 (Schätzung durch Spekulant 2):
Annahmegemäß ist Spekulant 1 über die Höhe der Devisenreserven korrekt informiert. Er hält selbst 5 0 € , so dass er alleine die Devisenreserven der Zentralbank erschöpfen kann, indem er 4 9 € verkauft (er muss 1 € Transaktionskosten bezahlen). Die Zentralbank kann nun den Wechselkurs nicht mehr weiter verteidigen, er wird freigegeben und der Euro wertet sofort um 10% ab (e = 1 , 1 0 €/$).
Der Spekulant hält jetzt also 4 9 $ . Wenn er diese nun wiederum mit der Zentralbank tauscht, bekommt er für 4 9 $ bereits 52,90 € (= 1,10 €/$·49 $-1 € ).
[...]
1 ) Das Handelsvolumen auf den Devisenmärkten hat sich im Zeitraum 1972-1995 mehr als vervierzehnfacht (Haq, Kaul, Grunberg (1996), S.3).
2 ) Das Bretton-Woods-System brach im August 1971 mit der Ankündigung der USA, die Golddeckung des Dollars nicht weiter aufrechterhalten zu wollen, zusammen. Die Golddeckung des Dollars - und damit aller teilnehmenden Währungen - war ein zentraler Bestandteil dieses Festkurssystems.
3 ) Vgl. z.B. Tobin (1974),Tobin (1978), und Eichengreen, Tobin, Wyplosz (1995)
4 ) Vgl. zu preisstabilisierender und -destabilisierender Güterspekulation Aschinger (2001).
5 ) Der Wechselkurs wird hier immer als Preis einer Einheit der ausländischen Währung in Inlandswährung (Preisnotierung) verwendet.
6 ) Dieses R kann positiv, null oder sogar negativ sein, wenn die Zentralbank den Wechselkurs mit Hilfe von Krediten verteidigt.
7 ) Ein ähnliches spieltheoretisches Modell findet sich bei Aschinger 2001.
8 ) Das Ausland kann auch als die Aggregation aller Länder bis auf das Inland verstanden werden.