Die Adaptation von Liedtexten


Hausarbeit, 2008

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der audio-multimediale Text – die Diskussion um den Begriff

3. Die Problematik beim Übersetzen von Liedtexten – theoretische Aspekte

4. Die Problematik beim Übersetzen von Liedtexten anhand ausgewählter praktischer Beispiele
4.1 Betrachtung von Kinderliedern
4.2 Betrachtung von aktueller Populärmusik
4.3 Betrachtung eines Liedermachertextes
4.4 Betrachtung einer Opernszene

5. Schluss

Bibliographie

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Problemen, die bei der Adaptation von Liedtexten auftreten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Translationswissenschaft eine relativ junge Disziplin ist, findet sich für viele Bereiche ausführliche und detaillierte Literatur. Für die Problematik, die bei der Adaptation von Liedtexten auftritt trifft dies jedoch nicht zu. Dieser Teilbereich wurde lange Zeit vernachlässigt. Klaus Kaindl wollte diesem Umstand abhelfen. Für Liedtexte im Allgemeinen und Operntexte im Besonderen gilt, dass die sich die Übertragung von einer in die andere Sprache nicht auf den Text beschränkt. So sagt Klaus Kaindl:

Die Problematik der Übersetzung für das Musiktheater resultiert aus der multimedialen Beschaffenheit des Textes.[1]

Damit spricht er das Kernproblem an, auf das in dieser Arbeit detailliert eingegangen werden soll. Zur Annäherung an die Problematik wird zunächst kurz auf die Diskussion eingegangen, die die Einführung des Begriffs „audiomedialer Text“ bzw. „multimedialer Text“ durch Katharina Reiß ausgelöst hat. Danach nähern wir uns der Problematik theoretisch, unter besonderer Berücksichtigung der Arbeit von Klaus Kaindl, der sich mit den Schwierigkeiten bei der Übersetzung von Opern auseinandergesetzt hat, an. Schließlich werden wir uns anhand praktischer Beispiele von Liedtexten unterschiedlichen Niveaus konkrete Schwierigkeiten anschauen.

2. Der audio-multimediale Text – die Diskussion um den Begriff

Katharina Reiß hat 1971 in ihrem Buch Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungskritik den drei geläufigen Texttypen nämlich 1. dem inhaltsbetonten, oder wie sie ihn später nennt, informativen Text, 2. dem formbetonten, oder expressiven Text und 3. dem appellbetonten oder operativen Text als vierte Gruppe den audio-medialen Text hinzufügt. Sie hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits überlegt, dass diese Gruppe möglicherweise den drei vorher genannten Texttypen subsumiert werden könnte, fand die Einführung dieser Gruppe jedoch unumgänglich, da hier die Sprache durch zusätzliche Elemente gesteigert und ergänzt wird. Diese Erweiterung hat in der Fachwelt eine lebhafte Diskussion ausgelöst, so dass sie 1995 in Grundfragen der Übersetzungswissenschaft zu folgender Erkenntnis kommt:

Schrifttexte, die erst zusammen mit bildlichen oder graphischen Darstellungen (Bilderbücher, Comicstrips, Begleittexte für Dias) oder mit Musik (Lieder, musikalische Bühnenwerke etc.) das vollständige Informationsangebot ausmachen, weisen alle eine Interdependenz der verschiedenen Medien bei der Textgestaltung auf. Ohne Beachtung dieser Interdependenzen können solche Texte nicht adäquat übersetzt werden. Wir fassen solche Texte in dem Begriff der multimedialen Varianten der drei Grundtypen zusammen. Diese Varianten überlagern die drei Grundtypen, denn sowohl informative als auch expressive und operative Texte können in der Gestalt multimedialer Varianten auftreten.[2]

Sie wählt hier den Begriff der multimedialen Varianten, der insgesamt wohl eine bessere Akzeptanz erfahren hat, da die anderen Texttypen allesamt in dieser Variante auftauchen können.

Mary Snell-Hornby trägt zu dieser Diskussion im Handbuch Translation folgende Anmerkung bei:

Diese “audio-medialen Texte”, die Reiß damals noch als vierten Texttyp verstanden hat, lösten in der Fachliteratur eine lebhafte Diskussion aus, so dass sie sich veranlasst sah, ihren Standpunkt zu modifizieren. Zum einen räumte sie (1990) ein, es handle sich bei solchen Texten doch nicht um einen gesonderten Texttyp in ihrem ursprünglichen Sinne, (…). Und zum anderen änderte sie die Bezeichnung “audio-medial” in “multi-medial” um, wobei auch das Medium der bildlichen Darstellung einbezogen wurde, wie etwa bei Comics. () In der Übersetzungswissenschaft ist der Terminus audiomedial inzwischen durch multimedial völlig verdrängt worden. Allerdings gibt es Textsorten, die zwar schriftlich fixiert, aber in gesprochener Form an das Ohr des Empfängers gelangen, jedoch nicht multi medial sind. Es sind Texte, die gezielt zum Sprechen geschrieben bzw. verwendet werden und somit sehr wohl als audio medial bezeichnet werden könnten: politische Reden, wissenschaftliche Vorträge, auch Textstellen aus der Bibel, die zu liturgischen Zwecken vorgelesen werden. Sie gelangen akustisch über die menschliche Stimme an den Rezipienten statt visuell über das gedruckte Wort. (...) Im audiomedialen Text werden solche Elemente - im Gegensatz zum spontanen mündlichen Diskurs - gezielt eingesetzt, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen, und sie variieren mit den verschiedene Sprachen und Kulturräumen. (...)[3]

3. Die Problematik beim Übersetzen von Liedtexten – theoretische Aspekte

Die intensive theoretische Auseinandersetzung mit der komplexen Problematik der Opernübersetzung beginnt eigentlich erst mit Klaus Kaindl. Davor wurde diese Disziplin eher vernachlässigt. Das Desinteresse an dieser Thematik resultiert seiner Meinung nach daraus, dass sich insbesondere für die Oper eine Reihe von Einzeldisziplinen verantwortlich fühlen. So wird das Libretto von der Literaturwissenschaft als Teil ihrer Disziplin gesehen, die Musikwissenschaft sieht in der Analyse der Notenpartitur ihre Aufgabe, während sich die Theaterwissenschaft mit der szenischen Umsetzung auseinandersetzt. Klaus Kaindl löst die Oper aus dieser einzeldisziplinären Betrachtung heraus und beschäftigt sich mit ihrer kulturellen Komplexität, um sie so zu einem Gegenstand fachwissenschaftlicher Untersuchung zu machen.

Es verwundert ihn auch, dass die Übersetzungswissenschaft selbst für dieses Gebiet wenig Interesse gezeigt hat. Er vermutet, dass der Grund dafür in der Tatsache zu suchen sei, dass die Übersetzungswissenschaft bis in die 80-er Jahre hinein vor allem durch die Linguistik dominiert wurde, deren primärer Untersuchungsgegenstand die Sprache war und welche mit ihrem systemhaften Theorieanspruch der komplexen Realität der Opernübersetzung auch nur schwerlich gerecht geworden wäre.

Zur Annäherung an die Thematik hat sich Klaus Kaindl zunächst auf die Suche nach einer für seine Zwecke geeignete Textdefinition gemacht. Er hat sich hierzu einige Modelle kritisch angeschaut, wurde hierzu aber zu seiner Verwunderung in der Textlinguistik nicht fündig. In der Literaturwissenschaft jedoch fand er eine Definition von Text als Schichtenmodell, das von Ingarden (1931) entwickelt wurde. Dieses Modell erschien Kaindl insofern als relevant, als Ingarden den Textbegriff explizit auf den Theatertext ausweitet. Ingarden geht in seinem Textmodell vom „fertigen literarischen Werk“ aus, das heißt, er klammert zunächst sowohl die Produktionsbedingungen, unter denen sich das Werk konstituiert, als auch das Verstehen des Werkes durch den Leser aus, um den Aufbau des Werkes als ein „aus mehreren heterogenen Schichten aufgebautes Gebilde“ zu untersuchen. Ingarden unterscheidet konkret vier Schichten, die den polyphonen Charakter eines Werkes ausmachen, nämlich 1. die Schicht der Wortlaute und Lautgebilde; 2. die Schicht der Bedeutungseinheiten; 3. die Schicht der mannigfaltigen schematisierten Ansichten; 4. die Schicht der dargestellten Gegenständlichkeiten. Nicht alle Aspekte, die bezüglich dieses Modells diskutiert wurden, erschienen Kaindl als für seine Arbeit relevant. Wesentlich erschien ihm jedoch die Feststellung Ingardens, dass im Unterschied zum schriftlichen Werk in der Theateraufführung andere Darstellungsmittel verwendet werden, die es zum Teil ermöglichen, die in der Schriftfassung intentional entworfenen Gegenständlichkeiten in reale Gegenständlichkeiten der Bühnenwirklichkeit zu verwandeln, wodurch auch die einzelnen Schichten im Vergleich zum literarischen Kunstwerk im Theatertext eine etwas modifizierte Rolle spielen. Die Schichten als Teile eines übergeordneten Ganzen lösen sich als solche im Werk nicht auf, jede von ihnen wird auf ihre eigene Weise in dem Ganzen sichtbar und trägt etwas Eigenes zu dem Gesamtcharakter des Ganzen bei, ohne dadurch der phänomenalen Einheit des letzteren Abbruch zu tun. Hatte sich Ingarden zu Beginn für die Werksgestalt eines Stückes und ihrer Werksgestalt interessiert, so wendet er sich später auch dem Verhältnis zwischen Text und Rezipient zu. Dieser Kontakt mit dem Rezipienten wird für ihn insofern notwendig, als jedes literarische Werk von ihm „Unbestimmtheitsstellen“ enthält, die erst im produktiven Akt der Rezeption aufgefüllt werden. Dieses Konzept der „Unbestimmtheitsstellen“ bieten nach Kaindl für die Übersetzungswissenschaft einen wertvollen Beitrag zur Beschreibung konkreter Textvorkommen, da es hier nicht mehr nur um die allgemeinen Bedingungen der Textkonstitution geht, sondern auch um die individuelle Gestalt, die der Text für den Rezipienten mit seinen spezifischen Voraussetzungen und Bedingungen annimmt (vgl. Klaus Kaindl, Die Oper als Textgestalt, Tübingen 1995, S. 19ff). Ingarden spricht in dieser Betrachtung nicht vom Rezipienten sondern vom Leser, der Begriff Rezipient erschien jedoch im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand treffender.

Klaus Kaindl stellt seinem Buch Das Lied von den Ganzen und den Teilen voran, welches obige Ausführungen noch einmal unterstreichen und deshalb hier Erwähnung finden soll:

Das Lied vom Ganzen und den Teilen

Das Ganze und die Teile

Die hatten großen Streit,

Wer wohl das Früh're wäre

In Logik nicht in Zeit

Es sprachen keck die Teile:

"Wir setzen dich zusamm

Und nirgends gibt es ganze,

Die keine Teile hamm."

Voll Pathos rief das Ganze:

"Pfui, dass ihr noch nicht wisst,

Dass jeder von Euch Teilen

Kraft meiner Ganzheit ist."

Ein Logiker der hört es

Und sprach: "Der Streit ist schief,

Denn keines ist das Frühre,

Ihr seid korrelativ."

(Aus: F. Kaufmann, Ausgewählte Miseskreislieder, zit. in: Smith, 1988:50)

Die Frage „das Ganze oder seine Teile“ ist für Klaus Kaindl keine Prinzipienfrage, sondern eine Frage der Untersuchungsperspektive und stellt sich somit in der hier vertretenen übersetzungswissenschaftlichen Konzeption nicht als Entweder-oder-Entscheidung. Wenn man also vom Text als Ganzheit, wie er jeder Übersetzung zugrunde liegt, ausgeht, so bedeutet dies keineswegs eine Vernachlässigung der Mikrostruktur zugunsten der Makrostruktur (vgl. Klaus Kaindl, Die Oper als Textgestalt, Tübingen 1995, S. 10). Klaus Kaindl sagt hierzu:

Um die Oper als komplexe Textgestalt zu erfassen, genügt die Tatsache allein, dass an ihrer Konstitution mehrere Medien beteiligt sind, nicht, da sich das eigentliche Textgebilde erst aus den vielgestaltigen Relationen der einzelnen Teile zueinander ergibt. Wesentlich für unsere Zwecke ist daher die Feststellung, dass die am Gesamttext beteiligten Medien nicht nebeneinander ablaufen, sondern sich durch simultane Wahrnehmung zu einer Ganzheit fügen. Durch das Aufeinandertreffen von musikalischen, sprachlichen und szenischen Zeichengestalten entsteht etwas qualitativ Neues, das nicht mit der Summe seiner Teile ident ist (vgl. Dahlhaus, 1967:107). Wenn sich die eigentliche Textgestalt erst aus der Wechselwirkung der in unterschiedlicher Gewichtung am Gesamttext beteiligten Medien ergibt, so kann das Schwergewicht einer Textbetrachtung nicht auf den einzelnen Teilen liegen, sondern muss das Relationsgefüge, die Beziehungen verbaler und non-verbaler Teiltexte zum Gegenstand haben, mit anderen Worten, die Bedeutung der am Textganzen beteiligten Komponenten lässt sich nicht aus deren jeweiligen Einzeleigenschaften ableiten, sondern nur im Hinblick auf die zwischen ihnen bestehenden funktionalen Zusammenhänge erschließen.[4]

[...]


[1] Klaus Kaindl in Handbuch Translation, 1999, S. 258

[2] Katharina Reiß, Grundfragen der Übersetzungswissenschaft, Wien 20002 ,S. 87

[3] Mary Snell-Hornby et al., Handbuch Translation, 1999, S.273

[4] Klaus Kaindl, Die Oper als Textgestalt, Tübingen 1995, S. 39 f

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Adaptation von Liedtexten
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Fachbereich für angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft Germersheim)
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V125852
ISBN (eBook)
9783640313709
ISBN (Buch)
9783640317448
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adaptation, Liedtexten
Arbeit zitieren
Sibylle Heising (Autor:in), 2008, Die Adaptation von Liedtexten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125852

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