Wenn sich die Eingeweide rühren . Überlegungen zu Richard Sennetts - Fleisch und Stein -


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Corrosion of Character
2.1 Der neue Kapitalismus
2.2 Flexibilität im Zwielicht
2.3 Der Körper und die Stadt: Fleisch und Stein

3. Die Geburtshelfer des Individualismus
3.1 Im Banne des Kreislaufs: Blut zirkuliert
3.2 Hygienik und städtische Architektur
3.3 Kreisläufe „moderner“ Ökonomie

4 Stationen auf dem Weg zur „taktilen Krise“ der Gegenwart
4.1 Das Trauma des „neutralen Raumes
4.2 Technologien der Bewegung
4.3 Der passive Körper der Neuzeit

5 Die Wiedergeburt der Stadt aus dem Schmerz
5.1 Der Schmerz
5.2 Mitleid und Widerstand

6 „Wenn sich die Eingeweide rühren.“ Bedenken gegenüber einer Mitleidsethik

7 Inkongruenzen: Ort und Raum

8 Be-rührende Blicke

9 Schluss

1. Einleitung

Seit langer Zeit und in immer größerem Umfang leben Menschen in urbanen Räumen. Dort wohnen sie, verrichten alltägliche Arbeiten und sehen ihre Kinder in gewohnter Umgebung aufwachsen. Die Stadt ist aber zudem der Schauplatz, an dem das Fremde und Andersartige in seinen vielen Gestalten begegnet.

Zentrales Thema in Richard Sennetts Buch „Fleisch und Stein“ ist eben dieses Fremde. Es geht um Konflikte im Rahmen von Widersprüchlichkeiten, denen Personen ausgesetzt sind, wenn sie Menschen aus anderen kulturellen Kreisen sehen, riechen, mit einem Wort: erleben. Eingebettet sind diese Problemstellungen, die zumal in der Neuzeit ihre Aktualität stets neu beweisen, in eine Stadtgeschichte, die ihr Gewicht durch Rekurs auf herrschende Körperbilder zu verschiedenen Zeiten gewinnt: Das Verhältnis des Menschen zur städtischen Architektur war und ist ein zutiefst gespaltenes und einen Überblick über Versuche, dieses zu bestimmen bzw. zu definieren, hat sich der amerikanische Soziologe zum Ziel gesetzt.

Deutlich schimmern in Sennetts Buch Vorschläge durch, Sozialität in städtischen Räumen, die sich scheinbar im Banne des modernen Individualverkehrs in ihrer Vielfältigkeit eingeschränkt zeigt, wiederzubeleben, um jene Spannung im zwischenmenschlichen Geschehen, die sich auf eine konfliktbehaftete Fremderfahrung gründet, nicht als zu umgehendes, gefahrvolles „Gebilde“ zu markieren.

Diese Arbeit versucht zunächst, sich in kritischer Auseinandersetzung um eine gebündelte Darstellung der „wichtigsten“ zeitlichen Geschehnisse im Ausgang sennettscher Gedanken zu bemühen, um im Anschluss den „Zustand“ beschreiben zu können, der sich zur Kennzeichnung heutiger Problemfelder im Rahmen innerstädtischer Sozialität heranziehen lässt.

Danach wird der Frage nachzugehen sein, inwieweit die Merkmale des modernen Menschen im Zwischenspiel mit der Architektur von Sennett treffend und detailliert geschildert worden sind um in einem weiteren Schritt mögliche Widersprüche im Argumentationsgang aufzudecken bzw. dort zu vertiefen, wo genauere Analysen nicht angeboten werden. Diesem Komplex sind die letzten vier Kapitel gewidmet, in denen einzelne innerhalb des Buches aufkommende Begriffsbestimmungen auf ihre Stichhaltigkeit geprüft und, wo nötig, falsifiziert werden sollen, genauer: Geht es zunächst um die schmerzlich-subjektive Erfahrung des Menschseins, die ihre Erweiterung in intersubjektive Regionen vor dem Hintergrund des, bei Sennett Christologisch begründeten, Mitleids erfährt, so wird sich zeigen müssen, inwieweit mitleidendes erleben adäquaten sozialen Umgang ermöglichen kann, vor allem in Hinblick auf ihre ethische Reichweite.

Die Rolle des Ortes in Abgrenzung vom Raum zu bestimmen, ist nicht minder notwendig, ist er doch der Unter- bzw. Hintergrund, vor dem menschliches Begegnen sich abhebt, wo es geschieht. Dabei soll besonders das Verhältnis in seiner diametralen Struktur beleuchtet und hinterfragt werden.

Letztlich wird zu diskutieren sein, inwiefern sich das „blickende“ Auge in seine von Sennett angenommene Funktion als „passives“ Rezeptionsorgan restlos einfügt oder ob es Eigenschaften aufweist, die jenseits von Mechanismen der Negation des Fremden liegen und Fremdes überhaupt erst als solches verständlich machen.

Zu beachten ist noch, das diese Unterteilungen keineswegs straff sind und Einflechtungen aus anderen Kontexten unterliegen. Natürlich nur dort, wo diese sich in den Gedankengang einfügen lassen. Begonnen wird jedoch mit einführenden Bemerkungen, die verdeutlichen sollen, aus welcher Perspektive der Text seine Interpretation erfährt.

2. „Corrosion of Character“

2.1 Der neue Kapitalismus

Die Überschrift dieses Kapitels stellt den Originaltitel des Buches dar, welches sowohl als Grundlage des Seminars „Globalisierung und Identität“ dient, das im WS 2001/02 an der Universität Bochum veranstaltet wurde, als auch als Bezugspunkt innerhalb dieser Arbeit fungieren soll. Wenn es schon nicht Kernthema der vorliegenden Überlegungen ist, so sind doch spezifische Problemkonstellationen innerhalb dieses Textes aufzugreifen, um sie letztlich in anderem Kontext deutlicher herauszuarbeiten, wie er in „Fleisch und Stein“[1] (Sennett,1997) geschildert wird.

In beiden Schriften gerät ein Konfliktfeld der Moderne in den Vordergrund, das sich, zunächst nur sehr unscharf, mit dem Begriff der „Sozialität“ bzw. der Identität umreißen lässt. Die Perspektive, von der Sennett sich diesem nähert, auch wenn bisweilen intertextuelle Verknotungen bzw. Überschneidungen existieren, sind jedoch nahezu grundverschieden: Geht es in „Fleisch und Stein“ um den Entwurf einer Stadtgeschichte, so schlägt er in „Der flexible Mensch“[2] (Sennett,2000) Ansätze vor, anhand derer die Auswirkungen des modernen Kapitalismus auf das Leben bzw. den „Charakter“ der Menschen in westlichen Industrienationen zu entschlüsseln sind. Im Folgenden wird einführend dargestellt, warum die Möglichkeiten der Charakterbildung heutzutage einer massiven Bedrohung gegenüberstehen könnten. Der Grund für diese Vorgehensweise liegt in dem Bestreben, ausgehend von der Seminargrundlage eine Brücke schlagen zu können, die einen Übergang zur Stadtgeschichte ermöglicht und um letztere mitunter als Akzentuierung gewisser Thesen begreiflich zu machen, die anderenorts jeweils angesprochen, aber nicht weiter ausgeführt werden.

Ausblicke auf den Bereich der Ökonomie, die Sennett bereits in älteren Schriften formuliert hat[3], erfahren in „Corrosion of Character“ eine eingehende Vertiefung. Das angloamerikanische Modell der Wirtschaft, oft auch als „Neoliberalismus“ bzw. „flexibler Kapitalismus“ (Sennett,2000:10) bezeichnet, zeitigt durch „sein“ Vorgehen eine radikale Veränderung der personalen Selbst- und Fremdverhältnisse. Um möglichst kurzfristig Tendenzen der Wirtschaft adäquat begegnen zu können, präsentiert sich die Maxime „sei flexibel“ als das Paradigma neuzeitlicher Ökonomie. Inwiefern trägt sie dazu bei, die „Bedeutung der Arbeit selbst zu verändern“? (Ebd.)

2.2. Flexibilität im Zwielicht

„Routine ist nicht geistlos“. (Sennett,2000:42) Trotzdem zeigt sich dieses diderotsche Diktum heute nur mehr in seiner Zerfallsform. Anstelle dessen tritt ein ausuferndes Flexibilitätsdogma, das dahin tendiert, Arbeitnehmern die Chance zu nehmen, eine annähernd bruchlose Lebensgeschichte zu entwerfen. Als Merkmale[4] dieses Arbeitsmarktideals begreift Sennett zunächst den „diskontinuierlichen Umbau von Institutionen“, (ebd.,59) der darauf abzielt, firmeninterne Strukturen schnell und effizient ändern zu können.[5] Um auf die wechselnden Anforderungen des Marktgeschehens antworten zu können, wird die Dauer der Produktionsumstellung mittels der „flexiblen Spezialisierung“ (Ebd.,64) entscheidend minimiert. Es geht dabei vornehmlich um die Anpassung an Marktnischen, die aufgrund ihrer kurzen zeitlichen Nutzbarkeit schnell besetzt werden müssen. Letztes „Charakteristikum einer flexiblen Ordnung“ ist die „Konzentration der Macht ohne deren Zentralisierung.“ (Ebd.,69) Dieser scheinbare Widerspruch garantiere Führungsetagen einen umfassenden Überblick über ihren Konzern, dessen Steuerung wird erleichtert, während immer kleineren Arbeitsgruppen Verantwortung übertragen wird, die sie oftmals nicht er-tragen können: Hierarchische Macht bleibt bei „dieser Produktionsform fest verankert“ (ebd.,70), allerdings unter dem Deckmantel ihrer scheinbaren Destruktion.

Welches sind nun die Auswirkungen dieser Unternehmenspraktiken? Zunächst steht das Individuum unter einem prekären Mobilitätszwang in Bezug auf den Arbeitsplatz und nicht nur das: Soziale Bindungen zu erhalten bzw. aufzubauen fällt schwer, wenn Menschen global ein- und ersetzbar sind. Im ständigen Wechsel des Arbeitsplatzes zeichne sich etwas ab, dass Sennett als „Drift“, als „das ziellose Dahintreiben.“, (ebd.,163) bezeichnet. Dem modernen Individuum fällt es zusehends schwerer, eigene Ziele nachhaltig zu verfolgen, wenn es zum Spielball der Wirtschaft degradiert wird. Die Zukunft, ohnehin stets vage, gerät so vollends aus den Fugen, Sicherheit wird zur Utopie. Die Beschwörung eines glorifizierten Risikos, welches einzugehen eine Forderung an immer mehr Arbeitnehmer darstellt, zerstöre nach Sennett „das Selbstverständnis“ (Ebd.,110) und auch der scheinbar so fortschrittlichen Teamarbeit wird konstatiert, sie sei die „Gruppenerfahrung der erniedrigenden Oberflächlichkeit.“ (Ebd.,133)

Kennzeichen dieser Folgenabschätzung ist die nahezu rein negative Charakterisierung der modernen Arbeitswelt. Der Versuch einer Kritik kann hier nicht unternommen werden, vielmehr stellt sich die Frage, was soziales Miteinander in seiner Vielschichtigkeit noch bedeuten kann. „»Wer braucht mich?« ist die pathetisch anmutende Frage, die sich im Schatten des modernen Kapitalismus stellt. „Das System strahlt Gleichgültigkeit aus.“ (Sennett,2000:201) Doch wo ist der Ort, an dem es Menschen ermöglicht wird, einander nicht gleichgültig gegenüber zu stehen, sondern gleich- gültig in dem Sinne, dass die Begegnung und der Umgang miteinander positiv auf das Selbst und auf Andere wirken? Ein Ort, an dem das Individuum die Zügel eher in der eigenen Hand hält, ein Raum, in dem es gelingen kann, „wirtschaftlichen Individualismus und Gemeinschaft miteinander zu verbinden.“ (FS,202) In „Fleisch und Stein“ wird der Versuch unternommen, die Stadt als unabdingbare Unterlage gesellschaftlicher Existenz in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen.

2.3. Der Körper und die Stadt: Fleisch und Stein

„Die räumlichen Beziehungen menschlicher Körper spielen offenbar eine enorme Rolle für die Reaktion von Menschen aufeinander, dafür, wie sie einander sehen und hören, ob sie einander berühren oder Distanz wahren.“ (Ebd.,23) Diese Bemerkung verdeutlicht, dass es immer schon Schnittpunkte zwischen innerstädtischer Architektur und menschlicher Sozialität gab: Das Arrangement der Straßen als auch die Art und Weise, wie Gebäude, Parks, ganz allgemein „Orte“[6] generiert bzw. strukturiert sind, um nur einige Beispiele anzuführen, geben mögliche Hinweise auf das Selbstverständnis der Bürger. Historisch betrachtet war die Beziehung Mensch-Stadt nicht immer eine „fruchtbare“ und der heutige Status Quo wäre nach Meinung des Autors eher einer Dürre vergleichbar: Sennetts Stadtgeschichte nimmt, wie zu zeigen sein wird, aus der Perspektive der Sozialität ein nahezu ausschließlich negatives Ende.

Das im Titel benutzt Wort „Fleisch“ legt Bezüge zur christlichen Askese nahe und in der Tat geht es Sennett darum, Urbanität aus der schmerzhaften Erfahrung menschlicher Leiblichkeit zu begründen. Dies erfolgt jedoch nicht als bruchloser Entwurf, vielmehr werden einige Großstädte der westlichen Welt herangezogen, die zu bestimmten Zeiten in ihrer Geschichte exemplarisch für das Verhältnis des Körpers zur Stadt gewesen sein sollen. Dieses „Wechselspiel von Situationen“ (Held,1996:Abs.7), beginnend im perikleischen Athen, mit Zwischenstationen in Rom, Venedig, Paris und London mündet im New York, wie es heute existiert. Dort greift die Kritik Sennetts an der neuzeitlichen Architektur am eindringlichsten, dort lässt sich das Ende einer Entwicklung festmachen, die nicht erst mit der industriellen Revolution begann: Urbane Dichte weiche mehr und mehr dem Individualverkehr, städtische Räume werden gleichsam zerschnitten, um dem konsumierenden Individuum Platz zu machen, dass sich widerstandsfrei in der Stadt bewegen möchte. Diese „einebnende“ Tendenz wird durch die neuen Technologien wie TV und das Automobil noch verstärkt: Raum sei „zur bloßen Funktion der Bewegung“ (Sennett,1997:24) verkommen, „sinnliche Wahrnehmung und körperliche Aktivität seien ... stark ausgehöhlt.“ (Ebd.,28)

Da das Thema dieser Arbeit die Problematik innerstädtischer Sozialität bzw. Identität des Menschen in „Fleisch und Stein“ ist, ist es nicht nötig, dessen sämtliche Kapitel erschöpfend zu behandeln. Die Kernthesen lassen sich in ihrer Historizität allein unter Mithilfe des dritten Teiles des Buches herausarbeiten. Etwaige Exkurse zu früheren Stellen der Schrift lassen sich aber nicht gänzlich vermeiden.

Die folgenden Zusammenstellungen zentraler Aussagen bilden eine Ausgangsbasis für die danach einsetzende Diskussion, die aufweisen soll, dass eine Vielzahl an Ungenauigkeiten innerhalb der Argumentationen Sennetts vorhanden ist. Die „Negativgeschichte eines Verlusts“ (Held,1996:Abs.9) beginnt zunächst im 17. Jahrhundert...

3. Die Geburtshelfer des Individualismus

3.1. Im Banne des Kreislaufs: Blut zirkuliert.

Im Jahre 1628 bahnte sich vor dem Hintergrund der Entdeckung des Blutkreislaufes durch den Mediziner William Harvey ein Wandel des Körperbildes an, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind. In seinem Werk „De motu cordis“ enttarnte er die bis dahin gültige Auffassung der Antike, das Blut sei ein durch Wärme transportierter Stoff, als haltlose Hypothese. An ihre Stelle tritt nunmehr der durch den Herzschlag gestützte Kreislauf, dessen Zirkulationsmechanik sowohl Vorstellungen einer hierarchischen Ordnung der Körperteile[7] untergrub, als auch für ein „säkuläreres Verständnis des Körpers“ (FS:324) sorgte: Die Seele (Anima) als Ursprung der Lebensenergie anzunehmen, wurde unmöglich.

Diese Theorie wies auf eine relative „Selbständigkeit einzelner Körperteile“ (FS,326) hin und in eins trat ein neuartiges Verständnis des gesunden Körpers hinzu: Stetiges Wachstum und Erhaltung der semiautarken Organe schien nur der „freie Fluss des Blutes“ (Ebd.) zu gewährleisten. Statt als Gottesgabe erfuhr der Einzelne seinen Leib als Ort persönlicher Sorge, dessen Gesundheit nunmehr selbst verantwortet werden muss, wenn auch die Annahme einer Seele von Harvey nicht bestritten wurde. (Vgl. FS,323) In welchen Gestalten äußerte sich nun dieses Paradigma in Bezug auf das Verhältnis von Körper und Gesellschaft?

3.2. Hygienik und städtische Architektur

In der Analogisierung der Rolle von Luft und Blut für die Funktionalität des Organismus entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zunächst ein Wandel der hygienischen Gewohnheiten, vorerst innerhalb der Mittelklasse.[8] Die Haut sollte atmen können und Folge dieser Überzeugung waren neben einer Häufung der Waschvorgänge ein Wandel modischer Gewohnheiten: Frauen wie Männer kleideten sich „leichter und schnürten ihre Körper weniger ein.“ (FS,328)

Anpassungen der urbanen Geographie sowie ein Wandel des gesellschaftlichen Verhaltens der Stadt gegenüber sind weitere Kennzeichen, die sich in diversen europäischen Städten seit 1740 verfestigten. Schmutz wurde aus den Straßen entfernt, Kanalisationen installiert und anstelle des runden Kopfsteinpflasters schmückten fortan fugenlose „Steinplatten aus Granit“ (Ebd.) große Flächen von London und Paris, deren Reinigung einfach war. „Arterien“ bzw. „Venen“[9] etwa, die als Begriffe für Verkehrssysteme herhalten mussten, wie auch „Grüne Lungen“, die als luftspendende Oasen recht bald erbaut wurden sowie das Königsschloss als „Herz des Plans“ (FS,330) veranschaulichen die Macht der Körpermetapher in Bezug auf Beschreibungen des architektonischen Umbruches der Zeit.[10] Stadtplanung richtete sich fortan auf die Schaffung gesunder Umwelten nach dem Vorbild dieses medizinischen Schemas: „Die Herrschaft des Kreislaufes“ (FS,320) manifestierte sich nicht nur im Konzept von Washington D.C., das nach Ideen des französischen Politikers L`Enfant als multizentrische Stadt jenseits einer Dominanz des strengen Gitterplanes mitentworfen wurde[11], wobei Eilande der Macht quasi „aufgesogen“ (FS,333) wurden, sondern auch an Orten wie dem einst schwer zugänglichen Place Louis XV[12] in Paris, der von „einem städtischen Dschungel“ (FS,334) hin zu einer allen zugänglichen, enormen Grünlage transformiert wurde, in der Straßen bzw. Fußwege weitgehend individuelle Bewegung ermöglichten.

[...]


[1] Dieser Titel wird fortan innerhalb bibliographischer Angaben mit FS und Seitenangabe abgekürzt.

[2] Diese Übersetzung des Titels wurde für die deutsche Ausgabe des Buches gewählt, auch wenn sie in gewisser Hinsicht unglücklich ist. Warum, wird sich weiter unten zeigen.

[3] So etwa in „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität.“ (Sennett, 1995)

[4] Sennett nennt weitere Kennzeichen, diese jedoch sind aus Platzgründen nicht aufgeführt.

[5] Die Verfahren, die effizientes Re-engineering ermöglichen, seien „inzwischen weit entwickelt.“ (Ebd., 60; vgl. zu diesem Thema auch 60f.)

[6] Ort ist kein banaler Begriff, der ein hier und dort „einfach“ Vorzufindendes beschreibt. Zu dieser Thematik siehe die Analyse in Kapitel 7, die den Zusammenhang zwischen Ort und Raum, sowie die Verschränktheit beider Topoi darzustellen versucht.

[7] Diese Position vertrat z.B. Johannes von Salisbury im 12. Jahrhundert. (Vgl. FS:31 ff., 198, 210 f.)

[8] Bauern erschien „dreckverkrustete Haut ganz natürlich“ (FS,327) und der Umgang mit Exkrementen war nicht, wie bei Bewohnern der Stadt, mit Ängsten besetzt.

[9] Arterien leiten Blut vom Herzen aus in die Organe, Venen dienen dem entgegengesetzten Prozess.

[10] Diese Metaphern haben sich in variierendem Umfang als feste Begrifflichkeiten des heutigen Sprachgebrauches niedergeschlagen.

[11] Sennett weist darauf hin, dass einige der „linearen Formelemente“ beibehalten wurden. (FS,335)

[12] Später , zu Zeiten der Revolution, wurde er in „Place de la Révolution“ umbenannt. (Vgl. Ebd.,373)

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Wenn sich die Eingeweide rühren . Überlegungen zu Richard Sennetts - Fleisch und Stein -
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (FB Soziologie)
Veranstaltung
Globalisierung und Identität
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
30
Katalognummer
V12853
ISBN (eBook)
9783638186469
Dateigröße
571 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Städte als Orte menschlichen Zusammenlebens wurden bis dato zuhauf untersucht. Richard Sennett versucht in seinem Buch -Fleisch und Stein - eine Darstellung ihrer Geschichte, beginnend mit der Antike und endend in der Neuzeit. Diese Untersuchung nimmt sich als Ziel eine kritische Lesart dieser sennettschen Schrift vor. Die gewählten Schwerpunkte dienen der Widerlegung zentraler Behauptungen Sennetts: Das Sprechen von einer taktilen Krise der Neuzeit ebenso wie der Ruf nach einer auf Mitleid beruhenden Ethik stoßen all zu schnell auf Widersprüche auch im Rahmen des Buches selbst. Auch liegt der Körper des neuzeitlichen Subjektes in keinem so passiven Schlummer, wie Sennett meint, sein Konzept des Raumes ist äußerst brüchig und reicht nicht hin, das Phänomen des Räumlichen annähernd plausibel zu machen, vor allem nicht in Abgrenzung zum Örtlichen. Zuletzt werden Technologien des Blickes angesprochen, denen Sennett eine nahezu ausschließlich abwehrende Funktion gegenüber Mitmenschen zuspricht, aber nicht auf ihre kommunikativen Einzigartigkeiten eingeht und somit sein eigenes Blickfeld sich als eingeschränkt erweist. Der Dozent urteilt: Eine vorzügliche Hausarbeit.
Schlagworte
Wenn, Eingeweide, Richard, Sennetts, Fleisch, Stein, Globalisierung, Identität
Arbeit zitieren
Marcus Reiß (Autor:in), 2002, Wenn sich die Eingeweide rühren . Überlegungen zu Richard Sennetts - Fleisch und Stein -, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12853

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