Gezielte Tötungen


Seminararbeit, 2009

41 Seiten, Note: 16 Punkte (1)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Prominente Opfer der targeted-killings-Politik

3. Israels Politik der gezielten Tötungen
3.1 Geschichte
3.2 Rechtfertigung aus der Sicht Israels

4. Amerikas präventive Interventionen

5. Effizienz der präventiven Exekutionen

6. Ablauf – wer gibt den Startschuss?

7. Rechtliche Bewertung
7.1 Internationale Regelungen
7.2 Peace or War (on terrorism)?
7.3 Bewertung unter dem Aspekt des internationalen Kriegsvölkerrechts
7.4 Selbstverteidigung nach Artikel 51?
7.5 Die Lehre vom gerechten Krieg
7.6 Sind präventive Operationen im Sinne der Just War Theory legitim?
7.7 Folter
7.8 Menschenrechtliche Unentbehrlichkeiten
7.9 Nationale Regelungen: Standpunkt Deutschlands

8. Diskussion

9. Anhang

10. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Selbst wenn der Terminus der gezielten Tötungen erst seit Präsident Bushs[1] erteilter „Legitimation“, derartige Taten im Krieg gegen den Terror durchzuführen, so richtig publik wurde, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die so genannten targeted killings schon lange zuvor Anwendung fanden.

Bereits zu Zeiten Stalins wurde diese Art der Ausmerzung von politischen Gegnern mehr oder minder erfolgreich praktiziert. Im Jahr 1940 wurde beispielsweise Leo Trotzki, Mitbegründer der Roten Armee und Gegner Stalins auf dessen Befehl hin mit einem Eispickel getötet.[2] Auch in Nazi-Deutschland wurden von der damaligen Hitler-Regierung politische Widersacher ohne vorherige Anhörung, geschweige denn Gerichtsverhandlung, „beseitigt“. Der Tyrannenmord, die Tötung eines für ungerecht an die Macht gelangten oder ungerechten bzw. tyrannisierenden Führungsstils beschuldigten politischen Herrschers, war sogar schon vor Christi Geburt ein vermeintlich wirksames Mittel, sich seiner Feinde zu entledigen. Der erste, lange Zeit weithin bekannte, Tyrannenmord geschah im Jahr 514 v. Chr.. Harmodios und Aristogeiton verübten ein Attentat auf die Tyrannen-Brüder Hippias und Hipparchos; Hipparchos kam dabei zu Tode. Der Anschlag gilt als Geburtsstunde der Demokratie in Athen.[3]

Heutzutage findet dieses politische Instrument zur Prävention vor gegnerischen Angriffen vor allem durch Israel, die USA und Russland Anwendung. Aber auch europäische Länder, wie z.B. Frankreich und England bedienten sich schon dieser Strategie. In den achtziger Jahren versuchte Frankreichs Regierung die Terroristen Ilich Ramírez Sánchez und Abu Nidal zu töten und die englische Regierung hatte Erfolg bei der Liquidation einiger Mitglieder der IRA. Viele andere Staaten, wie beispielsweise Kuba, China, Taiwan und Nordkorea bedienen sich dieses völkerrechtlich gesehenen höchst umstrittenen Instruments der Beseitigung von Gegnern.

Jedoch soll nun nicht der Eindruck erweckt werden, dass die bisher aufgeführten Beispiele und die derzeitige Praxis der gezielten Tötungen, welche vor allem durch die israelische Regierung ausgeführt werden, in vielen Weisen vergleichbar wären. Höchstwahrscheinlich sind die Unterschiede so facettenreich, dass ihnen eine eigene Arbeit gewidmet werden könnte. Es soll lediglich angedeutet werden, dass targeted killings kein neues Produkt der präventiven Sicherheitspolitik sind und auch kein Phänomen, welches nur im Nahen Osten zu finden ist.

Seit den fünfziger Jahren nutzt Israel dieses Instrument, um gezielt Gegner auszuschalten. Offiziere der ägyptischen Streitkräfte, die Einsätze arabischer Guerillakräfte koordinierten, wurden durch Briefbomben getötet. 1972 wurden bei den Olympischen Spielen in München durch Terroristen („Schwarzer September“) Geiseln genommen. Diese terroristische Gruppierung konnte durch die gezielte Ermordung einiger Mitglieder zerschlagen werden.

Nach dem 11.September 2001 fand auch die amerikanische Regierung Gefallen an dieser Art der „Konfliktlösung“. Diese „Lizenz zum Töten“ wurde kurz nach diesem Ereignis, welches die Amerikaner genau dort traf, wo sie es vermutlich am wenigsten erwartet hatten, durch den damaligen Präsidenten Bush weltweit erteilt. Im Jemen und in Pakistan wurden auf Erlass der USA hin einige Anführer von Al-Qaida gezielt umgebracht. Die gegenwärtige US-Führung unter Barack Obama bekennt sich auf der offiziellen Homepage des Weißen Hauses zwar nicht explizit zur Duldung bzw. Unterstützung der durch Israel immer wieder veranlassten targeted killings, möchte jedoch öffentlich klar machen, dass es eine starke Partnerschaft zu Israel sicherstellen möchte, Israels Recht zur Selbstverteidigung anerkennt und den Partner in jeglicher Hinsicht im Kampf gegen den Terror unterstützen wird.[4]

Selbst das bisher so zurückhaltende Deutschland ist in Sachen gezielte Tötungen kein unbeschriebenes Blatt und unterstützt somit die USA, um ihren Zielen bezüglich der Eliminierung terroristischer Akte näher zu kommen. Angehörige der Bundeswehr äußerten 2005 gegenüber deutschen Medienvertretern, sie hätten den Befehl gehabt, führende Mitglieder terroristischer Organisationen in Afghanistan gezielt zu liquidieren.[5] Im November 2007 tötete die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF[6] ), welche von Soldaten der NATO gebildet wird[7], den Taliban-Führer Abdullah Jan und weitere 13 Menschen in einem zuvor geplanten und durch alle NATO-Partner gebilligten Luftangriff.[8]

In der nun folgenden Arbeit soll zunächst anhand dreier bekannter Beispiele in die Thematik eingeführt werden, anschließend werde ich zur israelischen targeted killings -Politik übergehen und auch die amerikanische Praxis, welche im Vergleich zu Israel eine etwas kürzere Geschichte innehat, soll näher erläutert werden. Abschließend werde ich auf die Effizienz dieser Strategie, die vielfältigen rechtlichen Unzulänglichkeiten und die menschenrechtlichen Erfordernisse eingehen.

2. Prominente Opfer der targeted-killings-Politik

"Wir wählten diesen Weg, der mit dem Märtyrertum oder dem Sieg endet."[9]

Scheich Ahmed Yassin, der geistige Anführer der palästinensischen Hamas-Bewegung, fand am 22.März 2004 durch drei Hellfire-Raketen eines israelischen Kampfhubschraubers den Tod. Mit ihm starben sieben Begleitpersonen und weitere 17 Menschen wurden verletzt, darunter zwei seiner Söhne.

Der an den Rollstuhl gebundene Yassin, welcher die treibende Kraft hinter den Izz-ad-Dīn-al-Qassām-Brigaden, der militärischen Kraft der Hamas, war, fand sogleich den Tod.

Bereits am 14.März 2004, nach den zwei Selbstmordanschlägen auf den Hafen von Aschdod, so die israelische Verteidigungsarmee (IDF), war die Entscheidung, Yassin zu töten, gefallen. Über die übrigen Verluste an Menschenleben schwieg sich das israelische Verteidigungsministerium jedoch aus.

Der ranghöchste palästinensische Militante, der bis dato von Israel gezielt getötet wurde, war bereits 1989 wegen der Gründung der Hamas, Mord, Entführung und der Anstiftung zu Mord zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Unter Druck seitens des Königs Husseins von Jordanien wurde Yassin am 1.Oktober 1997 aus dem Tel-Mond-Gefängnis entlassen. Nur fünf Tage später kehrte er in den Gaza-Streifen zurück und wurde dort wie ein populärer Star gefeiert. Diese Popularität war es indes wahrscheinlich auch, die zehntausende Palästinenser dazu veranlasste, nach dem Tod des Hamasführers durch die Straßen zu laufen und Rache zu schwören. Die Hamasführung drückte ihren Unmut über die Tötung Yassins mit folgenden Worten aus: „Scharon hat die Tore der Hölle geöffnet. Und nichts wird uns daran hindern, ihn einen Kopf kürzer zu machen.“.

Ministerpräsident Ariel Scharon, der den Auftrag zur Tötung Ahmed Yassins gegeben hatte, wurde von seiner Regierung für diese „mutige Tat“ beglückwünscht. Der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan verurteilte diese Art der Konfliktlösung aufs Äußerste und bezeichnete sie als „unlawful killings“.[10]

Folge dieses Anschlages war unter anderem eine deutliche Verschärfung des palästinensisch-israelischen Machtkampfes.

Nur etwa einen Monat später, am 17.April 2004, wurde der für die Nachfolge Yassins eingesetzte Abdel Aziz Rantisi (oder auch Abd al-Aziz al Rantisi) auf ähnliche Weise getötet. Ariel Scharon machte am 20.April 2004 klar, dass Israel mit solchen gezielten Tötungen fortfahren werde. Wörtlich sagte er: „We got rid of murderer No. 1 and murderer No. 2, and the list is not short“.

Als drittes prominentes Beispiel möchte ich den früheren Chef und Mitbegründer der Hamas Scheich Salah Shehada anführen. Auf Salah Shehadas Konto gehen bis zu 52 Terroranschläge, bei welchen 220 Zivilisten und 16 Soldaten ihr Leben ließen.[11] Zunächst ersuchte Israel die Inhaftierung Shehadas durch die Palästinensische Autonomiebehörde. Als diese dieses Gesuch allerdings ablehnte, beschloss man den Hamasführer mit dem Allheilmittel, also durch gezielte Tötung, aus dem Weg zu räumen. Dies war allerdings ein etwas schwieriges Unterfangen, weil Shehada zu fast jeder Zeit durch seine Tochter begleitet wurde. Erst als feststand, dass er nicht von Unschuldigen umgeben war, wurde für die Operation von Seiten Shin Bets, des israelischen Geheimdienstes, grünes Licht gegeben. Allerdings müssen die Informationen nicht sehr genau gewesen sein, denn mit ihm wurden durch die 1000-Kilo-Bombe, die am 22.Juli 2002 von einem israelischen Kampfflugzeug abgeworfen wurde, weitere 14 Zivilisten, darunter seine Tochter und acht andere Kinder, getötet.[12]

3. Israels Politik der gezielten Tötungen

3.1 Geschichte

1967 wurden der Gazastreifen und das Westjordanland (West Bank) von Israel im so genannten Sechstagekrieg erobert. Diese Gebiete stehen seit diesem Zeitpunkt unter israelischer Besatzungsherrschaft. Nach mittlerweile fast 42 Jahren der Besetzung sind die Palästinenser der Auffassung, diese Gebiete, auch unter Anwendung von Gewalt, berechtigterweise zurückerobern zu können. Die erste Intifada, der erste Aufstand der palästinensischen Araber gegen Israel, begann am 8.12 1987. Ziel war die Errichtung eines eigenen Palästinenserstaates. In einer Kette relativ kleiner, aber täglicher Zwischenfälle griffen die Aufständischen (häufig Jugendliche) mit primitiven Kampfmitteln (z.B. Steine, Molotowcocktails) israelische Soldaten und Zivilisten an. Bis zum 28.09 2000 mussten 1.376 Palästinenser durch Einsätze israelischer Sicherheitskräfte ihr Leben lassen, wohingegen in derselben Zeit „nur“ 94 israelische Zivilisten durch palästinensische Militante getötet wurden.[13]

Kurz nach Beginn der zweiten Intifada (Al-Aqsa-Intifada am 29.09 2000) bekannte sich Israel offiziell zur Politik der targeted killings, welche zuvor auf Anfrage immer rigoros bestritten wurde.[14] Diese zweite Periode ist durch ein erhöhtes Maß an Intensität bezüglich der Gewaltakte beider Seiten und einer viel größeren Anzahl von teilnehmenden Organisationen (während die Hamas und der PIJ[15] bereits in der ersten Intifada aktiv waren, so kamen in der Al-Aqsa Intifada Gruppen wie die Fatah und die PFLP[16] hinzu) und Freiwilligen auf Seiten der Palästinenser gekennzeichnet.[17] Sind es auf Seiten der palästinensischen Militanten vor allem Selbstmordanschläge, welche den Kontrahenten in die Knie zwingen sollen, so sind gezielte Tötungsmaßnahmen seit Jahrzeiten ein festes Element der israelischen Sicherheitspolitik.

Hauptsächlich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts tötete die Regierung Israels Personen, von denen sie glaubte, sie würden eine Gefahr für das eigene Land darstellen. Der verlängerte Arm der israelischen Streitkräfte (IDF), der General Security Service (GSS) und der Mossad (der israelische Auslandsgeheimdienst) erreichten und überraschten somit viele Terroristen, die sich in anderen Ländern sicher geglaubt hatten.

Einige Zeit später, vor allem nach den Olympischen Spielen 1972, stellten targeted killings das geeignete Mittel dar, auch um Vergeltung zu üben. Das israelische Volk wurde durch eine Welle verschiedener Anschläge zunehmend demoralisiert und die Billigung dieser Politik verbreitete sich schnell unter der Bevölkerung.

Durch die immer besser strukturierte Organisation diverser terroristischer Gruppierungen und deren hauptsächliche Ansiedlung in arabischen Ländern, die sich ebenfalls im Disput mit Israel befanden, hatte die israelische Regierung kaum Handhabe beschuldigte Personen vor Gericht zu stellen. Entweder wollten oder konnten die Staaten die mutmaßlichen Terroristen nicht an Israel ausliefern. Die Politik der präventiven Liquidation ermöglichte es, Personen, die sich im Visier der israelischen Führung befanden, ohne langwierige Verfahren aus dem Weg zu räumen.

Ob dies nun wirklich der einzig richtige Weg war und ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt und ist gewiss auch nicht leicht zu beantworten. Laut Spiegel-Online vom 14.12 2006 erlaubt mittlerweile auch das Oberste Gericht Israels die gezielten Tötungen, jedoch müsse die Rechtmäßigkeit von Fall zu Fall entschieden werden.[18] Die Antragssteller, die gegen die Rechtmäßigkeit dieser Politik geklagt hatten, waren der Meinung, dass Tötungen immer, ohne Ausnahme, eine Verletzung der Menschenrechte darstellen. Der israelische Supreme Court hingegen war der Meinung, dass gezielte Assassinationen unter bestimmten Bedingungen rechtlich zulässig seien.[19]

3.2 Rechtfertigung aus der Sicht Israels

Viele Kritiker betrachten diese Operationen als militärisch sinnlos und illegal. Gezielte Tötungen werden deshalb als sinnlos betrachtet, weil angenommen wird, dass sie statt zu einer Verbesserung der Lage eher zu weiteren Auseinandersetzungen bzw. Anschlägen seitens der militanten Palästinensergruppen führen. Über die Effizienz bzw. Ineffizienz werde ich allerdings später noch ausführlicher referieren.

Auch wird den Israelis häufig unterstellt, sie würden die Probleme ihres Landes einseitig und selbstgerecht betrachten und sich dieses Recht aufgrund der Tatsache nehmen, dass sie ein von Verfolgung gekennzeichnetes Volk seien, welches sich seit jeher mit antisemitischen Anfeindungen auseinander setzen musste.[20]

Da Israel Besatzungsmacht im Westjordanland und im Gazastreifen ist, ist es auch rechtlich befugt, in den Bereichen Verteidigung, Außenpolitik und Bewaffnung der palästinensischen Sicherheitskräfte Kontrolle auszuüben.[21] Auch wenn die Unmittelbarkeit der Gefahr zur Selbstverteidigung im kriegsrechtlichen Sinne nicht unbedingt gegeben ist, so muss allerdings beachtet werden, dass die große Anzahl unberechenbarer terroristischer Anschläge für das Instrument der gezielten Tötungen spricht. Der Palästinensischen Autonomiebehörde wird immer wieder vorgeworfen, dass sie nicht genug Einsatz im Kampf gegen terroristische Gruppierungen zeigen würden.

Aus Sicht Israels werden solche Unternehmungen vor allem deshalb ausgeführt, um sich selbst vor weiteren Anschlägen unterschiedlicher radikaler Islamistengruppen zu schützen. An dieser Stelle muss auch betont werden, dass der „Pool“ an potentiellen Selbstmördern, welche auch als Istishhadis bezeichnet werden, seit der zweiten Intifada bedeutsam anwuchs und, mit dieser Tatsache in Einklang stehend, auch die Zahl der Palästinenser, welche dazu bereit sind, gegen Israel in den Krieg zu ziehen, signifikant anstieg.

Wie bereits erwähnt, kooperierte auch die Palästinensische Autonomiebehörde israelischen Vorstellungen nicht entsprechend, um dem Terror im Allgemeinen und die Selbstmordanschläge im Speziellen zu verhindern.[22] Daraufhin steigerte Israel die Frequenz der gezielten Tötungen, welche wiederum zu erneuten (Selbstmord-)Anschlägen führten. Somit war bzw. ist der Teufelskreis gemäß der in der Psychologie bekannten „Tit for Tat“-Strategie geschlossen.

Selbst wenn dieses Werkzeug zur Eliminierung politischer Gegner von Menschenrechtlern und Teilen der Weltöffentlichkeit verurteilt wird, so sieht sich die israelische Regierung nach wie vor in der Pflicht, ihr Volk durch diese radikale Politik vor feindlichen Angriffen zu schützen, auch wenn sie damit immer wieder mit Vergeltungsschlägen und dementsprechend vielen Opfern in ihren eigenen Reihen konfrontiert wird. Es wird nach wie vor darauf hingewiesen, dass das eigentliche Ziel die strafrechtliche Verfolgung beschuldigter Personen sei und dass die targeted killings nur dann Anwendung fänden, wenn diese Intention durch begrenzte Möglichkeiten in der Strafverfolgung nicht möglich sei, also um akute Gefahren abzuwenden.

Zudem wird von Seiten der Israelis, aber auch von Seiten der Palästinenser, psychologisch ausgedrückt, external attribuiert. Die Begründung für deren Verhalten wird immer durch die besonderen Umstände erklärt und es wird argumentiert, dass sich andere Personen, auch die moralisch einwandfreien Prinzipienreiter, in derselben Situation genauso verhalten würden. Ob sie damit richtig liegen, kann wahrscheinlich nur eingeschränkt beantwortet werden, denn auch die USA, die bisher als fortschrittliche Supermacht galten, sehen sich angesichts der Bedrohung ihres eigenen Landes ebenfalls in der Obliegenheit zu handeln und, wie in der Einleitung bereits angedeutet, nicht unbedingt humaner (beispielhaft sei das Thema Guantanamo Bay genannt). Dass durch diese instrumentalisierte Aggression[23] immer wieder so genannte „Kollateralschäden“, also die Mittötung Unschuldiger, in Kauf genommen werden muss, wird nur selten seitens der israelischen Verteidigungskräfte thematisiert. Die Ermordung von Menschen, die nicht eigentliches Ziel des Anschlages waren und somit nur „zur falschen Zeit am falschen Ort“ waren, spricht eigentlich gegen die Waffenreinheit der israelischen Streitkräfte. Allerdings darf man nicht vergessen zu erwähnen, dass bei den gezielten Einsätzen in der jüngsten Vergangenheit darauf geachtet wurde, „Kollateralschäden“ so gering wie möglich zu halten (z.B. Verzicht auf Jagdbomber zu Gunsten von Raketen mit geringerer Sprengkraft).[24] Nach dem bereits erwähnten Mordanschlag auf Scheich Salah Shehada und der überwältigend negativen Resonanz Seitens der Hamas[25] wollte die israelische Führung vorsichtiger werden. Wie jüngste Entwicklungen jedoch zeigen, gelingt ihr das nur sehr eingeschränkt.[26]

4. Amerikas präventive Interventionen

„Wir werden den Terroristen ihre Geldmittel abschneiden, sie gegeneinander aufbringen, sie von Ort zu Ort treiben, bis es für sie keine Zuflucht oder Ruhe mehr gibt. Und wir werden die Staaten verfolgen, die dem Terrorismus Hilfe zur Verfügung stellen oder ihm einen sicheren Hafen bieten. Jedes Land in jeder Region muss sich jetzt entscheiden – entweder es steht an unserer Seit oder an der Seite der Terroristen.“[27]

Der 11. September ist in vielen Köpfen der Weltbevölkerung noch immer präsent. Vermutlich wissen die meisten Menschen, auch wenn dieses Ereignis nun fast acht Jahre zurückliegt, genau, wo sie sich an diesem Tag bzw. zu diesem Zeitpunkt befanden. Jedoch war dieses Vorkommnis nicht, wie manch einer glauben mag, ein Novum in der amerikanischen Geschichte. Bereits im Jahr 1983 wurden 241 amerikanische Marinesoldaten durch eine detonierte Lastwagenbombe im Libanon getötet. Etwa fünf Jahre später, 1988, explodierte eine von lybischen Geheimdienstmitarbeitern versteckte Bombe in einem PanAm[28] -Flug während des Überflugs von Lockerbie in Schottland, wobei 259 Menschen ihr Leben verloren. Nicht vergessen werden dürfen bei diesem kurzen „Ausflug“ in die Geschichte der terroristischen Angriffe auf die USA die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im Jahr 1998, bei welchen 225 Personen ermordet und einige tausend Personen verletzt wurden. Schließlich wurden im Oktober 2000 siebzehn amerikanische Seemänner im Jemen umgebracht. Hinter dem Anschlag solle eine mit Osama Bin Laden verbündete Terrorgruppe stehen.

Man könnte nun meinen, dass anhand dieser Beispiele gezeigt werden kann, dass dem 11.September hinsichtlich der Brutalität und der Lokalität eine Sonderstellung zukommt. Sicherlich ist dieser Tag vor allem deshalb in Erinnerung geblieben, weil es sich nicht um einen Anschlag auf vom amerikanischen Militär bestellte Personen handelte und es die Amerikaner dort getroffen hat, wo sie es wohl am wenigsten erwartet hatten: Im eigenen Land.

[...]


[1] George W. Bush; Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Amtszeit: 2001-2009.

[2] Serge, Victor : Leo Trotzki. Leben und Tod, Europa-Verlag, Wien/München/Zürich, 1978.

[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Tyrannenmord

[4] http://www.whitehouse.gov/agenda/foreign_policy/

[5] http://www.focus.de/politik/deutschland/afghanistan-im-zweifel-toeten_aid_229838.html

[6] aus dem engl. International Security Assistance Force

[7] darunter auch deutsche Truppen

[8] http://www.focus.de/politik/deutschland/afghanistan-im-zweifel-toeten_aid_229838.html

[9] Zitat Scheich Ahmed Yassin

[10] Milanovic, Marko: Lessons for human rights and humanitarian law in the war on terror: comparing Hamdan and the Israeli Targeted killings case, in: International Review of the Red Cross 2007, Vol. 89 (866), S.375.

[11] Byman, Daniel: Do Targeted killings Work? In: Foreign Affairs 2006, Vol. 85 (2), Council: New York, S.95.

[12] Ebd.

[13] statistische Erhebung des israelischen Informationszentrums für Menschenrechte in den besetzten Gebieten B´Tselem. Eine Übersicht ist im Anhang zu finden. Quelle: http://www.btselem.org/English/Statistics/Index.asp

[14] Ben-Naftali, O. & Michaeli, K. R.: We must not Make a Scarecrow of the Law: A Legal Analysis of the Israeli Policy of Targeted killings, in: Cornell International Law Journal 2003, Vol. 36, S.233.

[15] Palestinian Islamic Jihad

[16] Popular Front of the Liberation of Palestine

[17] Schweitzer, Yoram: Palestinian Istishhadia: A Developping Instrument, in: Studies in Conflict & Terrorism 2007, Vol. 30, S.667.

[18] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,454442,00.html

[19] Milanovic, Marko: Lessons for human rights and humanitarian law in the war on terror: comparing Hamdan and the Israeli Targeted killings case, in: International Review of the Red Cross 2007, Vol. 89 (866), S.375.

[20] Nolte, Georg: Weg in eine andere Rechtsordnung, in Lutz, Dieter S.: Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren: politische und rechtliche Einwände gegen eine Rückkehr des Faustrechts in die internationalen Beziehungen, 1.Aufl., Nomos-Verl.-Ges.: Baden-Baden 2003, S.187.

[21] Nolte, Georg: Weg in eine andere Rechtsordnung, S. 194.

[22] Schweitzer, Yoram: Palestinian Istishhadia: A Developping Instrument, in: Studies in Conflict & Terrorism 2007, Vol. 30, S. 675.

[23] Eine Aggression, die als Mittel dient, um ein anderes Ziel zu erreichen, als nur Schmerz zuzufügen. Eine gute Einführung in das Thema der Attributionen ist z.B. bei Aronson, E., Wilson, T.D. & Akert, R.M.: Sozialpsychologie. Pearson Studium: München 2004, zu finden.

[24] Blumenfeld, Laura: „In Israel, a Divisive Struggle Over Targeted killing “, Washington Post, 27. August 2006.

[25]We will fight until Jews see their own body parts in every restaurant, every park, every bus and every street .“ Zit. nach Daniel Byman: Do Targeted killings Work? In: Foreign Affairs 2006, Vol. 85 (2), Council: New York, S.96.

[26] Gezielte Tötung des militärischen Kommandanten der Hamas Nizar Rayyan am 1.Januar 2009.

[27] George W. Bush in einer Rede von 20.September 2001. Zit. nach Stephan Bierling: Geschichte der amerikanischen Außenpolitik von 1917 bis zur Gegenwart, München, S.241.

[28] Die Pan American World Airways, kurz PanAm, war eine US-amerikanische Fluggesellschaft.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Gezielte Tötungen
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Max-Planck-Insitut für internationales und ausländisches Strafrecht)
Note
16 Punkte (1)
Autor
Jahr
2009
Seiten
41
Katalognummer
V147496
ISBN (eBook)
9783640588107
ISBN (Buch)
9783640588091
Dateigröße
718 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gezielte tötungen, targeted killings, isabella sing, präventiven Exekutionen, Amerikas präventive Interventionen, Israel, Peace or War (on terrorism), internationales Kriegsvölkerrecht, Selbstverteidigung, gerechter Krieg, Just War Theory, Folter
Arbeit zitieren
Isabella Sing (Autor:in), 2009, Gezielte Tötungen , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147496

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