Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Konstruktivismus
2.1. Begriffs- und Gegenstandbestimmung
2.2. Kernaussagen des Konstruktivismus
3. Konstruktivismus und Didaktik- Didaktische und lerntheoretische Voraussetzungen
4. Theorie wird zur Praxis, Relevanz und Präsenz in der Schule
5. Schluss/ Fazit
6. Literatur und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Konstruktivismus auf dem Weg in die Schule. In der vorliegenden Arbeit möchte ich ein in der didaktischen Diskussion aktuelles Thema aufgreifen. Viele Pädagogen propagieren immer mehr für einen schülerorientierten Unterricht. Die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen erreichen, Alltagsbezüge darstellen, konstruktive Leistungen fördern, um effektives Lernen und langwieriges Wissen zu schaffen. Dies sind alles Gegenstände einer neu aufkommenden Didaktik, dessen Grundideen und Legitimationen sich aus einer langen Entwicklung aufzeigen. Der Trend geht in Richtung Konstruktivistische Didaktik. Zunächst ist deswegen erst einmal darzustellen, was der Konstruktivismus ist. Der erste Teil beschäftigt sich aus diesem Grund mit der Begriffs- und Gegenstandsbestimmung. Ziel dieses Abschnittes ist es, zu verdeutlichen, welche vielfältigen wissenschaftlichen Bereiche hinter dem Begriff des Konstruktivismus stehen, welche Urvorläufer hier schon implizit konstruktivistische Ansätze aufzeigen und welche konkreten Kernaussagen der Konstruktivismus trifft. Hier werde ich die wichtigsten darstellen. Der zweite Teil meiner Arbeit soll einen Bezug zwischen den vorweg aufgeführten Grundgedanken des Konstruktivismus und einer heutigen Didaktik herstellen. Hier soll deutlich werden, im welchen Ausmaß konstruktivistische Ideen in der traditionellen und heutigen Didaktik wieder zu finden sind. Hierbei werde ich mich zum größten Teil an Aussagen von Kersten Reich orientieren. Auch möchte ich hier aufzeigen, welche Schwerpunkte eine konstruktivistische Didaktik hat und welche Auffassungen bei einer solchen Lerntheorie[1] wichtig sind. Der letzte Abschnitt soll einen kleinen Einblick in die Umsetzung von konstruktivistischen Ideen im Unterricht aufzeigen und auftretende Probleme anreißen. Mit diesem Sprung von der Theorie in die Praxis möchte ich verdeutlichen in welchem Zusammenhang die Schülerorientierung mit dem Konstruktivismus steht. Ziel der gesamten Arbeit ist es, in konstruktivistischen Ansätzen die Begründung für die immer stärker auftretende Schülerorientierung zu finden.
2. Der Konstruktivismus
2.1. Begriffs- und Gegenstandbestimmung
Der Terminus Konstruktivismus birgt eine Komplexität in sich, die je nach wissenschaftlichen Bereichen und Disziplinen andere Kontexte und Schwerpunkte mit sich bringt. Schlägt man den Duden auf, findet man zwei Bereiche, die definiert werden. Zum einen findet man die Definition, die eine Kunstrichtung in den zwanziger Jahren bezeichnet. Zum anderen eine Definition, die sich auf verschiedene wissenschaftliche Bereiche (Math., Logik, Philos.) bezieht und den Konstruktivismus als eine Lehre bezeichnet.[2] Es erscheint zunächst einmal schwierig, eine einzige Definition für den Konstruktivismus zu finden. Um den Konstruktivismus als eine wissenschaftliche Theorie zu erklären, könnte man damit beginnen, implizite konstruktivistische Ansätze in der Vergangenheit zu suchen. Und tatsächlich findet man in der traditionellen Philosophie konstruktivistische Denkweisen. Die Rede ist hier von der Epistemologie. In diesem Diskussionsfeld der Philosophie geht es vordergründig darum, zu entschlüsseln, wie Wissen zu Stande kommt, welche Erkenntnisprozesse daran teilhaben und wie sich Wissen als Wahrheit aufklären kann. Schon die Sophisten und Skeptiker machten sich Gedanken zur dieser Nicht- Erkennbarkeit der Wirklichkeit. Xenophanes, ein Vorsokratiker, sagte bereits:
„Und das Genaue freilich erblickt kein Mensch und es wird auch niemand sein, der es weiß (erblickt hat)… denn selbst wenn es einem im höchsten
Maße gelänge, ein Vollendetes auszusprechen, so hat er selbst trotzdem
kein Wissen davon: Schein (meinen) haftet an allem.“[3]
Dieser Grundgedanke, das der Mensch die Welt nicht als objektive Realität erkennen kann, ist also keine Erfindung des Konstruktivismus.
Auch andere wissenschaftliche Ansätze im 20. Jahrhundert zeigen konstruktivistische Züge. Neben der Phänomenologie tragen Ansätze wie der Strukturalismus und der Pragmatismus zur Entstehung von expliziten konstruktivistischen Ansätzen bei.[4] Die Komplexität zeigt sich vor allen Dingen in den expliziten konstruktivistischen Ansätzen. An dieser Stelle möchte ich die wichtigsten nennen. Die konstruktiv- subjektive Psychologie von Kelly, die Systemtheorie von Luhmann, der methodische Konstruktivismus und Kulturalismus, der radikale Konstruktivismus und sozial- kulturtheoretische begründete Konstruktivismen.[5] Hieran ist nicht nur die Vielzahl zu erkennen, sondern auch die verschiedenen wissenschaftlichen Bereiche. Diese konstruktivistischen Perspektiven legitimieren sich auch durch wissenschaftliche Befunde[6] aus den Bereichen der Neurobiologie, Neurophysiologie und Kybernetik, um nur einige zu nennen. Es ist vielleicht zu überlegen, ob es sinnvoll ist, immer von dem einen Konstruktivismus zu sprechen, denn es scheint als gäbe es ihn nicht. All diese Ansätze arbeiten in dem Bereich der Erkenntnis- und Wissenstheorie und verfolgen schon die gleichen Kernthesen, trotzdem sind sie grundsätzlich voneinander zu unterscheiden, da jeder für sich einen neuen Aspekt ins Licht rückt.
Paul Watzlawick bevorzugt für dieses breite Feld die Bezeichnung der Wirklichkeitsforschung.[7] In dieser Forschung spielen Gedanken über die Außenwelt und Gedanken zum Erkennen dieser oder der Frage nach dem Wissen eine entscheidende Rolle.
2.2. Kernaussagen des Konstruktivismus
Diese Grundgedanken sind fast für alle Ansätze verbindlich. Im Folgenden möchte ich einen kurzen Überblick über diese verschaffen.
Eine zentrale Stellung in konstruktivistischen Positionen nimmt die Frage um das Erkennen von der Wirklichkeit ein. Paul Watzlawick beschreibt hierzu:
„Was wir wissen, gilt im allgemeinen für das Ergebnis unserer Erforschung der Wirklichkeit. […] Wie wir wissen, ist bereits ein viel schwierigeres Problem.“[8]
Die Beschäftigung mit dem Aufbau von Wissen ist nicht ohne weiterführende
Wissenschaften zu klären. So erklärt Paul Watzlawick, dass wir es bei dem „Wie- Prozess“ nicht mit scheinbaren Tatsachen zu tun haben, sondern mit geistigen Prozessen. Die Idee, die nun hinter dem Konstruktivismus liegt, ist mit der Objekt- Subjekt- Relation zu verdeutlichen. Hierbei handelt es sich um eine Auffassung, die beinhaltet, dass das Was immer vom Erkenntnisvorgang, dem Wie bestimmt wird und dass unsere Wirklichkeitsvorstellung nicht nur davon abhängig ist was uns die Außenwelt bietet, sondern wie wir dieses was erfassen.[9] Es gibt also keine vom Beobachter unabhängige Wirklichkeit. Das Erkennen der Wirklichkeit wird hier zu einem selbst begründeten Prozess, der individuell von dem Subjekt und seinen Erfahrungen abhängig ist. Der Konstruktivismus lehnt also eine dualistische Weltanschauung ab.[10] Eine neue Subjektorientierung tritt in den Mittelpunkt. Das Subjekt wird hier als Schlüsselfigur für die Bestimmung von Wirklichkeit und Wissen. Es stellt sich nun die Frage, wie man das Verhältnis zwischen Wissen und Wirklichkeit darstellen kann. Hierbei spielt die subjektabhängige Wahrnehmung im Verhältnis zu ihrer Kognition eine entscheidende Rolle.
„Die evolutionär ausgebildete Kognition konstruiert somit ein Wirklichkeitsmodell, das sich in langen phylo-, onto- und soziogenetischen Prozessen als überlebenssichernd oder viabel erwiesen hat.“[11]
In diesem Zitat werden viele neue wissenschaftliche Befunde ausgesprochen. Die menschliche Informationsverarbeitung konstruiert die Wirklichkeit, gerade weil sie abhängig von den menschlichen Entwicklungsstufen ist. Entwicklung ist geprägt durch Erfahrung. Diese individuelle Entwicklung des Menschen ist zwar geprägt durch Gesellschaft und Kultur, durchläuft ähnliche Phasen, ist aber niemals identisch. In konstruktivistischen Ansätzen ist Erkenntnis oder die Bestimmung von Wissen und Wirklichkeit nicht die Suche nach ikonischer Übereinstimung mit der ontologischen Welt, sondern die Suche nach passenden Verhaltensweisen und Denkarten.[12] Der Mensch nimmt die Welt individuell auf und handelt nach Erfahrung und Vernunft. Diese Art von Wahrnehmung wird als Anpassung gesehen, denn an dieser Stelle wird das ursprüngliche Verständnis der objektiv erkennbaren Welt durch evolutionstheoretisch orientiertes Denken ersetzt.[13] Da spätestens mit Kant und seiner „Kritik zur reinen Vernunft“ die Grundlage auf unverfälschte rationale Erkenntnis einer Welt, die unabhängig vom Beobachter steht, zerstört wurde, ist „Wissen“ eben nicht nur noch über die Tätigkeit der bloßen Wahrnehmung von Gegenständen hervorzubringen.[14] Die Interpretation jedes Menschen und auch seine Fähigkeiten zur Kognition spielen hier mit. Objekt und Subjekt sind nicht mehr voneinander zu trennen, denn ein Objekt ist immer von der Interpretation des beobachtenden Subjekts abhängig. Somit können wir festhalten, dass wesentliche Aspekte für die Bestimmung des Konstruktivismus die Subjektabhängigkeit und Erfahrungswirklichkeit, die Auffassung des Verhältnisses von Wissen und Wirklichkeit und die Ablehnung von der dualistischen Weltanschauung sind.
[...]
[1] Vgl. http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNEN/LerntheorienKonstruktive.shtml. Grundlagen einer Konstruktivistischen Lerntheorie.
[2] Vgl. Duden. Das Fremdwörterbuch. Mannheim 2007, Seite 556
[3] Ernst von Glasersfeld. Einführung in den radikalen Konstruktivismus. In: WATZLAWICK (2004), Seite 24
[4] Vgl. PFISTER, Jonas. Philosophie. Ein Lehrbuch. Stuttgart 2004
[5] Aufzählung nach Kersten Reich In: REICH, Kersten. Konstruktivistische Didaktik. Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool. Weinheim/ Basel 2006
[6] In der Hirnforschung ist ein Untersuchungsgegenstand „wie wir lernen“. Es liegen hier Befunde vor, dass Emotionen sehr viel wichtiger für das Lernen sind, als bisher angenommen. Diese unbewussten Prozesse regulieren auch ob ein Lerner etwas aufnimmt oder nicht: es ist die Rede von einem sog. körpereigenen Belohnungssystem. Dieser Befund bedeutet vielleicht, dass konstruktivistische Gedanken über die „Erfindung“ der Wirklichkeit nicht so abwegig sind, wie sie zunächst erstmal klingen mögen. (Vgl. www.wissenvomLernen.de)
[7] Vgl. WATZLAWICK, Paul. Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu glauben wissen? Beiträge zum Konstruktivismus. 17. Auflage. München 2004, Seite 10
[8] WATZLAWICK (2004), Seite 9
[9] Vgl. WATZLAWICK (2004)
[10] Hier werden Subjekt und Objekt als isolierte Einheiten gesehen.
[11] Klaus Müller. Der Pragmatische Konstruktivismus. Ein Modell zur Überwindung des Antagonismus von Instruktion und Konstruktion. In: MEXNER/ MÜLLER (2001), Seite 7
[12] Vgl. Glasersfeld. Einführung in den radikalen Konstruktivismus. In: WATZLAWICK (2004), Seite 37
[13] Es werden hier die menschlichen kognitiven Prozesse, als Begründung gegen die Ansichten des metaphysischen Realismus (Es gibt etwas, „Welt“ oder „Wirklichkeit“ genannt, was unabhängig von
menschlichem Geist, Denken, der Erkenntnis oder der Sprache existiert) eingesetzt. Die Kognition bekommt eine adaptive Funktion zugeschrieben, diese erzeugt passende Verhaltensweisen und geht gegen die Annahme von zu „entdeckenden Wahrheiten“ vor.
[14] Vgl.Ernst von Glasersfeld In: SERIE PIPER. Einführung in den Konstruktivismus, Seite 11
- Arbeit zitieren
- Sandra Bednorz (Autor:in), 2009, Konstruktivismus auf dem Weg in die Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/193197
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