Die Haltung von Staat und Religion zur Familienplanung in Israel. Theoretische Grundlagen und empirische Daten


Bachelorarbeit, 2015

61 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2.1. Einblicke in den Staat Israel
2.1.1. Die Abgrenzung Israels zu Palästina
2.1.2. Die Verfassung Israels
2.1.3. Die Gesundheits- und Sozialpolitik
2.2. Religionen und deren Einstellungen zum Thema Familienplanung
2.2.1. Religionsrecht und Religiosität
2.2.2. Judentum
2.2.3. Islam
2.2.4. Religiöse Minderheiten

3. Familienplanung in Israel
3.1. Rechtliche Aspekte in Hinsicht auf Familienplanung
3.1.1. Ehe
3.1.2. Verhütung
3.1.3. Abtreibung
3.1.4. In-vitro-Fertilisation
3.2. Statistiken über Familienplanung
3.2.1. Familienstrukturen
3.2.2. Ehe
3.2.3. Geburten
3.2.4. Verhütung
3.2.5. Abtreibung
3.2.6. In-vitro-Fertilität
3.3. Öffentliche Meinungen zum Thema Familienplanung

4. Diskussion
4.1. Beantwortung der Fragestellung
4.2. Ausblick

Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis

Anhang A: Fragebögen
1) Interview questions
2) Interview questions
3) Interview questions
4) Interview questions
5) Interview questions

Anhang B: Gedächtnisprotokoll

1. Einleitung

Israel hat eine erstaunliche demografische Entwicklung hinter sich. Waren es im Jahr der Gründung des Staates Israel, 1948, noch circa 806.000, so sind es im Jahre 2015 circa acht Millionen Menschen. Dies liegt vor allem an den hohen Zuwanderungszahlen von Menschen jüdischen Glaubens aus anderen Ländern (vgl. Übers. Verf., Elis, 2014, o.S.), sowie unter anderem auch an der hohen Geburtenrate. Im Durchschnitt gebärt jede Frau drei Kinder (vgl. Übers. Verf., Central Bureau of Statistic, 2012, S.6). Ein weiterer großer Einflussfaktor ist die neue Fortpflanzungstechnologie. Mit etwa 22.449 künstlichen Befruchtungen im Jahr 2003 (vgl. Übers. Verf., Birenbaum-Cameli/Dirnfeld, 2008, S.184) ist Israel das führende Land mit der höchsten Geburtenrate per In-vitro-Fertilisation-Behandlungen (Übers. Verf., IVF-Israel, 2015, o.S.). Familie, Tradition, Religion und staatliche Förderungen scheinen einen großen Einfluss auf den Alltag und auf die Familienplanung zu haben. Diese Entwicklungen sollen in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Die Ausarbeitung ist als eine Einführung in die Materie zu verstehen, welche sehr umfangreich ist und weiterer Forschungen sowie Untersuchungen bedarf. Bis dato gab es nur sehr wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu dem Thema.

Aufgrund dessen lautet die Forschungsfrage: „ Welche Haltung nehmen sowohl Staat als auch Religion im Hinblick auf die Familienplanung ein?“ Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, zu untersuchen ob der israelische Staat mit seiner Gesundheits- und Familienpolitik einen pro-natalistischen Ansatz verfolgt, welcher eine menschliche Reproduktion befürwortet und wie dies umgesetzt wird. Zweitens wird untersucht, ob ein pro-natalistischer Ansatz mit den zwei Hauptreligionen vereinbar ist. Drittens soll die Familie und die Familienplanung näher betrachtet werden, sowie die Geburtenraten. Dabei wird besonders auf die Religionen eingegangen und deren Haltung zur Fortpflanzung.

Dazu soll zunächst ein Einblick in die staatlichen Regelungen der Familienplanung in Israel gegeben werden. Hierzu wird kurz die Geschichte des Landes aufgegriffen und der Begriff „Palästina“ und „Israel“ definiert. Hinzu kommen die rechtlichen Grundlagen der Verfassung und der Gesundheits- und Sozialpolitik (Kapitel 2.1). Im weiteren Verlauf werden die Religiosität und die verschiedenen religiösen Ansichten in ausgewählten Themenbereichen wie Familie, Ehe, Geburtenregulation, Abtreibung und künstliche Befruchtung betrachtet (Kapitel 2.2). In Kapitel 3 soll konkreter auf die Fragestellung eingegangen werden. Dazu werden die rechtlichen Bedingungen zu den Themen Ehe, Verhütung, Abtreibung und künstliche Befruchtung geklärt (Kapitel 3.1). Um die Auswirkungen der rechtlichen und religiösen Bedingungen zu untersuchen, werden gezielt Statistiken zu den oben genannten Themen ausgewertet und beschrieben (Kapitel 3.2). Damit das Thema nicht nur theoretisch und abstrakt beleuchtet wird, werden Gedächtnisprotokolle und Interviews einiger israelischer Bürger_innen mit einbezogen, dort werden konkrete Fragen gestellt und von Erfahrungen gesprochen (Kapitel 3.3). Abschließend soll die Beantwortung der Fragestellung im Vordergrund stehen (Kapitel 4.1) und ein Ausblick in die Zukunft gegeben werden (Kapitel 4.2).

Zur Bearbeitung dieser Arbeit wurden empirische und theoretische Methoden genutzt. Das Thema wurde theoretisch erarbeitet mit Hilfe von Literaturrecherche und der Verarbeitung von Fachliteratur. Ebenfalls wurden qualitative Einzel- und Experteninterviews, die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurden, als explorative Untersuchung angelegt. Somit wird ein möglichst offener erster Einblick in die Thematik ermöglicht welcher einer ersten Hypothesengenerierung dient. Da es sich bei der Forschungsfrage um ein individuelles und sensibles Thema handelt, wurden die Interviews per E-Mail mit Hilfe von leitfadengestützten und strukturierenden Interviews durchgeführt. Dies gewährleistet, dass alle relevanten Aspekte der Forschungsfrage mit einbezogen werden. Ergänzend werden Gedächtnisprotokolle der Autorin hinzugefügt und amtliche Statistiken ausgewertet.

In dieser Arbeit verwendet die Autorin den Begriff Palästina mit dem Hintergrundwissen, was der Begriff „Palästina“ impliziert. Die Bezeichnung verdeutlicht die geografische Lage im historischen Kontext und die Benennung eines Landes. Dies hat den Hintergrund, dass einerseits auf die Selbstbezeichnung der Palästinenser_innen eingegangen wird und andererseits die politischen Grenzen der „Green Line“ von 1949 als Grundlage genommen werden, zwei Staaten in Koexistenz zu sehen. Die israelischen Siedler_innen welche in Palästina leben, sind in den Statistiken und Beschreibungen nicht mit inbegriffen. Die Autorin kann nicht im Ganzen auf voreingenommene Quellen verzichten. Der politische, soziale und kulturelle Hintergrund kann in dieser Arbeit nicht vollständig erfasst werden, da dies zu komplex wäre. Deswegen werden auch das Judentum und der Islam im Vordergrund stehen. Andere Religionen, welche ebenso in Israel bedeutsam sind, werden nur kurz betrachtet.

2. Theoretischer Hintergrund

Im Folgenden sollen theoretische Hintergründe zu dem Staat Israel vermittelt werden. Nach einem kurzen geschichtlichen Einblick soll die Abgrenzung und die Begriffsbestimmung zwischen Israel und Palästina definiert werden. Anschließend werden die wichtigsten politischen Instrumente zum Thema Familienplanung erläutert. Im speziellen sollen die Verfassung und das Gesundheitssystem näher betrachtet werden. Hinzu kommt als zweiter wichtiger Punkt die Erläuterung einiger bedeutender Religionen in Israel und deren Kontext zur Familienplanung.

2.1. Einblicke in den Staat Israel

Nach einigen Diaspora blieb Palästina von 1517 bis 1917/18 unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches. 1882 beginnt die erste zionistische Einwanderungswelle von russischen und polnischen Juden und später im Jahr 1896 veröffentlicht Theodor Herzl aus Österreich sein Buch „Der Judenstaat“ und begründet damit den Zionismus[1]. 1904 und 1914 folgen weitere Einwanderungswellen und damit auch die Entstehung des ersten Kibbuz[2]. Infolge des ersten Weltkrieges erobern die Engländer 1917 Palästina. 1937 legt Großbritannien einen ersten Teilungsplan vor, dieser wird von dem zionistischen Weltkongress und von der Bevölkerung Palästinas unterstützt, jedoch lehnt der Anführer der Palästinenser den Vorschlag ab (vgl. Küntzel, 2002, o.S.). Aufgrund des Holocaust gibt es während des zweiten Weltkrieges erneut Einwanderungswellen von jüdischen Flüchtlingen. Die Hauptversammlung der UNO beschließt 1947 eine Teilung des Landes. Der Plan (Abbildung 1) sieht vor, der jüdischen Bevölkerung den Teil zu übergeben, in dem mehrheitlich Juden leben und die überwiegend arabischen Gebiete an das Königreich Jordanien abzugeben. Jerusalem soll unter internationale Kontrolle gestellt werden (vgl. Tondek/Bock, 2010, S. 78 f.). Erneut lehnen das arabische Lager, sowie auch einzelne Nationalisten von Israel diesen Teilungsplan ab (vgl. Küntzel, 2002, o.S.). Am 14.Mai 1948 verkündete David Ben Gurion den unabhängigen Staat Israel. Die Länder Jordanien, Ägypten, Syrien, Libanon und Irak erklären Israel den Krieg, dieser endet 1949 wobei ein großer Teil von Palästina unter israelische Kontrolle kommt. 1950 annektiert das Königreich Jordanien die Westbank (vgl. Tondok/Bock, 2010, S. 78f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: The United Nations Partition Plan, 1947

1956 erobert Israel den Gazastreifen, wie auch die Sinai. Im Jahr 1964 gründet die palästinensische Bevölkerung die Palestine Liberation Organisation (PLO), ihr Anführer ist Arafat. Der 5. Juni 1967 geht als Sechstagekrieg in die Geschichte ein. Nach kurzer Waffenruhe folgt nach sechs Jahren wieder ein Krieg mit Ägypten. 1979 folgt dann endlich der Friedensvertrag mit Ägypten. Seit der Besetzung der Westbank von Israel werden immer mehr jüdische Siedlungen gezählt, im Jahr 2007 sind es knapp 500.000 Bewohner_innen. 1987 bricht im Gazastreifen die erste Intifada (Palästinensische Widerstandsbewegung) aus, darunter Massendemonstrationen, Streiks und Boykottmaßnahmen. Der Gazastreifen, Jericho und kleinere Gebiete kommen 1994 unter palästinensische Verwaltung. Im selben Jahr wird der Friedensvertrag mit Jordanien unterzeichnet. Doch im Jahr 2000 beginnt die zweite Intifada (Al-Aqsa-Intifada). Im Jahr 2002 beginnt Israel mit dem Bau der Mauer zur Westbank, jedoch einige Kilometer auf palästinensischem Boden (vgl. Tondok/Bock, 2010, S. 80 f.).

2.1.1. Die Abgrenzung Israels zu Palästina

Am 15.November 1988 wurde der Staat Palästina von der PLO ausgerufen (vgl. Tondok/Bock, 2010, S. 88). Die Palästinenser selbst wählen den Begriff Palästina für ihr Land. International werden auch die Begriffe „besetzte Gebiete“ oder „palästinensische Territorien“ genutzt (vgl. Übers. Verf., Shaffermann, 2008, S.1). Jüdische Siedler_innen bevorzugen den Begriff „Westjordanland“, abgeleitet von dem Fluss Jordan, auch unter dem biblischen Namen Judäa und Samaria bekannt. In den europäischen Ländern werden die Begriffe „Palästinensische Autonomiegebiete“ und „West Bank“ bevorzugt (vgl. Robinson/Kohn/Savery Raz, 2012, S. 278 f.). Gemeint ist damit die geografische Lage von Westjerusalem bis zur Grenze nach Jordanien und zum Toten Meer, sowie der Gazastreifen. Die Westbank (siehe Abbildung 2) ist zudem, seit dem Oslo-II-Abkommen, in drei Zonen (A, B und C) aufgeteilt, welche unterschiedlichen politischen Kontrollen unterliegen. Ungeklärt ist der Status von Jerusalem. Bisher ist diese Stadt in Ost- und Westjerusalem geteilt (vgl. Tondek/Bock, 2012, S. 90 f.). Aufgrund der politischen und geografischen Situation in Israel und Palästina, hat sich die Autorin bewusst nur für den Staat Israel, einschließlich Westjerusalem, entschieden. Nicht zu Israel zählen für die folgende Arbeit die West Bank (einschl. Ostjerusalem) und der Gazastreifen (Abbildung 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Occupied Palestinian Territory

Dies hat zwei Gründe. Einerseits ist die Bevölkerung in der Westbank sehr verschieden und zu komplex, sodass die Autorin befürchtet, nicht dem Anspruch gerecht zu werden, jede Bevölkerungsgruppe zu analysieren. Dabei soll aber nicht vergessen werden, dass auch jüdische Siedler_innen in der Westbank leben, welche mit der jüdischen Bevölkerung in Israel nicht verglichen werden können. Dies gilt auch für die arabische Bevölkerung und andere Nationalitäten, welche sich zwischen Israel und Westbank grundsätzlich unterscheiden. Zweitens hat es politische Gründe. Damit wird der Ansatz der Zweistaatenlösung vertreten und ebenfalls die Anerkennung Palästinas von 135 Staaten (vgl. Palästinensische Mission, 2015, S.1) berücksichtigt.

2.1.2. Die Verfassung Israels

Nach der Unabhängigkeitserklärung 1948 wurde zunächst ein „Übergangsgesetz“ abgestimmt, dies wurde in der ersten Knesset (Versammlung) niedergeschrieben und sollte die legislative Körperschaft des Staates darstellen. Insbesondere bestand die Absicht, eine Verfassung zu formulieren. 1949 gab es die Entscheidung, dass die Knesset Gesetze verabschieden darf, jedoch wurde nicht festgehalten, ob ein verabschiedetes Gesetz als verfassungswidrig gelten darf oder nicht (vgl. Wolffsohn, 1983, S. 712 f.). Am Ende einer langen Debatte, gab es den Kompromiss einer Verfassung aus einzelnen Abschnitten. Diese einzelnen Abschnitte stellen für sich allein ein Grundgesetz dar, später wurden diese Abschnitte dann in ihrer Gesamtheit zu einer Verfassung zusammengefasst. Dafür gab es mehrere Gründe (vgl. ebd., 1983, S.712 ff.). Der größte Teil der politischen Abgeordneten_innen war der Meinung, dass es unzulässig sei, wenn nur ein kleiner Teil der in Israel lebenden jüdischen Gemeinde über eine verbindliche Verfassung entscheidet. Des Weiteren argumentierten viele Personen damit, dass ein demokratischer Staat auch ohne Verfassung existieren könnte, da das Staatsgebiet bisher noch nicht festgelegt worden ist und daher eine Verfassung nicht auf Israel passt. Nicht zuletzt war ein wichtiges Argument für den Verzicht auf eine Verfassung die Beziehung zwischen Staat und Religionen. Die Politiker_innen rechneten mit großem Widerstand von Seiten religiöser Menschen. Denn wenn es eine Verfassung gäbe, dann müsste sie auch festlegen, wie das Verhältnis zwischen Religion und Staat ist (vgl. Dreier, 1988, S.1291 ff.). Somit entschied sich Israel für ein „Grundgesetz“, ein sogenannter Zusammenschluss von „Basic Law“ als zukünftige „Verfassung“. Dies ist aber nicht mit dem deutschen Grundgesetz zu vergleichen. Im Rechtssystem von Israel gibt es keinen höheren Rang von Grundgesetzen. Das erklärt sich damit, dass die Knesset und die Legislative in einem vereint sind (vgl. ebd., 1988, S. 1295). Seitdem hat die Knesset vierzehn weitere Grundgesetze verabschiedet, aber bis heute gibt es keine niedergeschriebene Verfassung in Israel (vgl. Dreier, 1988, S.1295). Es gibt noch einen zweiten wichtigen Punkt, neben der nicht festgehaltenen „Verfassung“, die Bezeichnung des Staates. Israel selbst bezeichnet sich als „Staat des jüdischen Volkes“ oder auch „jüdischer Staat“. Somit ist fraglich, ob dieser Staat auch die nicht-jüdischen Bürger_innen mit einbezieht und ob demokratische Grundsätze neben religiösen Grundsätzen bestehen können. Die Meinungen darüber gehen weit auseinander, je nach religiöser beziehungsweise politischer Positionierung (vgl. Moyal, 1997, o.S.). Ein Grundgesetz der Knesset im Jahre 1988 hat daher beschlossen: "The existence of the State of Israel as the State of the Jewish people does not negate its democratic character, just as the Frenchness of France not negate its democratic character (The State of Israel, 2015, o.S.)". Somit werden ein jüdischer und ein demokratischer Staat nicht als Widerspruch verstanden (vgl. ebd., 1997, o.S.).

2.1.3. Die Gesundheits- und Sozialpolitik

Laut Gesetz (1995) ist jede_r israelische Bürger_in in einer der vier großen Krankenversicherungen versichert. Diese übernehmen die Kosten für grundlegende ärztliche Behandlungen. Durch das Kaufen von privaten Zusatzversicherungen kann die Bandbreite der Leistungen vergrößert werden (vgl. Übers. Verf., Israel Ministry of Foreign Affairs, 2002, o.S). Das Gesundheitssystem besteht aus einer Mischung von privaten, halbprivaten und öffentlichen Einrichtungen. Das Ministry of Health (israelisches Ministerium für Gesundheit) ist für die Finanzierung und Organisation zuständig. Es befasst sich unter anderem mit den Themen der physischen und psychischen Gesundheit, Operationen, Behandlungen, Forschungen, Krankenhausaufenthalten, gesunde Ernährung und Prävention. Einen großen Stellenwert hat das Thema Mutterschaft, Schwangerschaft und Geburt (Übers. Verf., Ministry of Health, 2015b, o.S.). Das Gesundheitsministerium betreibt eine erfolgreiche Gesundheitsfürsorge für Mütter und Kinder in einem flächendeckenden öffentlichen Netzwerk aus 850 „mother-and-child-care-centers“, diese sind kostenlos und leicht zugänglich (vgl. Übers. Verf., Israel Ministry of Foreign Affairs, 2002, o.S.). Diese sogenannten „Tipat Halav“- Family Center, welche in ganz Israel vorhanden sind, werden von den Stadtbezirken, dem Gesundheitsministerium und den HMO´s (Health Maintenance Organisation), sprich staatliche Gesundheitsorganisationen, bereitgestellt. Ziel ist die Gesundheitsförderung und Prävention für schwangere Frauen, Säuglinge und Kinder. Insgesamt wird die medizinische Versorgung von HMO´s oder sogenannten „Clalit Health Service“ (Netzwerk aus Krankenhäusern) durchgeführt (vgl. Übers. Verf., Ministry of Health, 2015b, o.S).

In Israel wird ein Kindergeld gezahlt. Das „National Insurance Institute“ bietet ein monatliches Kindergeld für jede_n israelische_n Staatbürger_in bis zum 18.Lebensjahr an. Dies zählt ab der Geburt. Ab Juni 2003 sind es jeden Monat 140 NIS (vgl. Übers. Verf., National Insurance Institut, 2015, o.S.). In den Jahren zuvor gab es noch mehr Unterstützungen. Zum Beispiel in den 1950er Jahren setzte sich Ben Gurion dafür ein, dass es Belohnungen für Mütter gab, welche mehr als 10 Kinder gebaren (vgl. Übers. Verf., Yuval-Davis, 2013, o.S.). Im Jahr 1970 führte Israel zusätzlich das „Veterans Child Allowance Scheme“ (Veteranen Kindergeldmaßnahme) ein. Jedoch schloss dieses Gesetz unter anderem palästinensische Bürger_innen aus. Nur jüdische Israelis bekamen Zertifikate von der israelischen Armee, welche als Grundlage zur Beantragung des Kindergeldes dienten (vgl. Übers. Verf., King, 2000, S. 308 f.).

Einen weiteren großen Stellenwert hat das Thema „Fertility Treatments“ (Behandlung gegen Unfruchtbarkeit). Die Behandlung von Unfruchtbarkeit, egal ob Mann oder Frau, soll als etwas ganz natürliches verstanden werden. Das Ministerium für Gesundheit gibt Auskunft über vier Varianten. Das „egg preserving“ oder auch „egg freezing“ genannt, ermöglicht ein Einfrieren von Eizellen, welche der Frau entnommen werden und später unter Verwendung der In-Vitro-Fertilisation wieder eingesetzt werden. Die IVF ist eine der am häufigsten angewendeten fortschrittlichen Methoden. Unter Laborbedingungen wird eine initiierte Verbindung zwischen einer Eizelle und einem Spermium hergestellt. Das damit entstandene Embryo wird dann mit einer unterstützenden Hormonbehandlung in die Gebärmutter eingesetzt (vgl. Übers. Verf., Ministry of Health, 2015c, o.S.).

Auf der Internetseite findet man derzeit keine weiteren Informationen über Beratungsangebote im Hinblick auf Schwangerschaftskonfliktberatungen oder Ähnliches. Diese Beratungen übernehmen oftmals nicht staatliche Organisationen. Israels Family Planning Association (IFPA) „Open Door“ ist Mitglied bei der IPPF (International Planned Parenthood Federation) und will das Menschenrecht auf sexuelle Gesundheit fördern. Das Netzwerk besteht aus 14 Beratungs- und Informationszentren, welche sich zum Beispiel mit den Themen Adoleszenz, verantwortungsbewusstes Sexualverhalten oder Prävention befassen. Einzigartig ist das umfassende Programm eines Zertifikatskurses (300 Stunden) für Sexualpädagogen - mehr als 2000 Fachkräfte wurden daraufhin geschult. IFPA bereitet Workshops, Lehrvideos, Präsentationen, Gruppenaktivitäten, Vorträge und Seminare zur Förderung sexueller Gesundheit in Schulen, Universitäten und Armeen vor(vgl. Übers. Verf., IPPF, 2013, o.S). Andere NGO´s wie zum Beispiel „Efrat“ bekennen sich zu einer Pro-Geburt- Haltung. Eine weitere nennenswerte Einrichtung ist das „Israeli demographic centre“, dies ist seit dem Jahr 1967 an das Büro des Ministerpräsidenten (Israeli prime minister's office) angegliedert. Gegründet wurde es zur Schaffung einer Familienpolitik und zur Förderung der Geburtenrate (vgl. Übers. Verf., Yuval-Davis, 2013, o.S.).

Die Sozialpolitik Israels ist von Zionismus und Nationalismus geprägt, welche auch die Rolle der Frau festlegen. Einige der zionistischen Grundhaltungen sind die Gleichberechtigung der Frau, die Wehrpflicht und die Wichtigkeit der jüdischen Religion im Staat. Die Gleichberechtigung der Frau kann durch zwei Gesetze näher betrachtet werden. Zum einen in dem Gesetz des „security service“ (1949) (Wehrdienst) und zum anderen in dem Gesetz der „women´s equal rights“ (1951) (Gleichberechtigung der Frau). In beiden Gesetzen wird die Frau als Mutter gesehen. Die Rolle als Mutter leistet den Beitrag zur Gesellschaft. Das Hausfrauendasein, die Mutterschaft und der Militärdienst zählen zur jüdisch israelischen Tradition und rechtfertigen somit die Gleichberechtigung der Frau. Obwohl eine Mutterschaft zum Beispiel keine Gleichberechtigung im Beruf bedeutet (vgl. Übers. Verf., Berkovitz, 1999, S.278 f.).

2.2. Religionen und deren Einstellungen zum Thema Familienplanung

In Israel leben in etwa acht Millionen Menschen. Diese Angaben stammen aus dem Statistikamt Israel, welche die besetzten Gebiete wie Ostjerusalem und Golan mit einbeziehen, was wiederum international nicht anerkannt ist (vgl. Auswärtiges Amt, 2015, o.S.). Davon waren 2015 etwa 75 Prozent Juden und 20,7 Prozent Araber_innen, welche sich in unterschiedliche Religionen aufteilen (vgl. ebd, 2015, o.S.). Die arabische Bevölkerung ist wie folgt unterteilt. Im Jahr 2011 waren etwa 82 Prozent muslimisch, 9 Prozent Christen und 8 Prozent Drusen (vgl. Dachs, 2013, S.21). Das Judentum hat in dieser Arbeit aufgrund der prozentualen Mehrheit von etwa 75 Prozent einen größeren Stellenwert. Die zweitgrößte prozentuale Mehrheit bildet die muslimische Bevölkerung, daher wird der Islam ebenfalls näher betrachtet und auf die Minderheiten nur knapp eingegangen. Die restliche Minderheit sind nicht-arabische Christen, nicht-arabische Muslime, Familienangehörige von Juden welche nicht registriert sind oder keine religiöse Klassifizierung haben (vgl. Übers. Verf., Central Bureau of Statistic, 2014, S.1).

In diesem Abschnitt sollen diese beiden religiösen Identitäten und deren Einstellung zum Thema Familie, Ehe, Verhütung, Abtreibung und Reproduktion betrachtet werden.

2.2.1. Religionsrecht und Religiosität

Das israelische Religionsrecht bezieht sich auf die Artikel des britischen Mandatsmanifestes, welches den Status einer jeden Religionsgemeinschaft gewährleistet und somit die Wahrung religiöser Interessen. Auch in der „Palestina Order in Concil“ wird festgehalten, dass den Muslimas und Muslimen ein muslimisches religiöses Gericht errichtet wird, sowie den jüdischen Gemeinschaften ein Rabbinatsgericht und der christlichen Religionsgemeinschaft eine christliche Gerichtsbarkeit zugewiesen wird (vgl. Schirer, 1998, S. 38 f.).

In den Jahren 2004 und 2008 kam es dann zu neuen Regierungsformen und somit zur Änderung des Religionsrechtes. Die Ministerien der Religionen wurden aufgelöst. Dies diente dem Zweck der Trennung zwischen Staat und Religion beziehungsweise den religiösen Gemeinschaften (vgl. Günzel, 2008, S.7). Ab 2004 ging die Zuständigkeit des ehemaligen Ministeriums der Religionen von dem Oberrabbinat der jüdischen Gemeinschaft auf den Ministerpräsidenten über. Alle jüdische Gerichte, sowie Richter sind nun dem Justizminister untergeordnet. Die jüdischen Räte übernehmen nur noch eine Vielzahl religiöser Dienstleistungen, welche seit 2008 dem Ministerium für religiöse Dienste innewohnen. Dies gilt auch für die muslimischen, christlichen und drusischen religiösen Gerichte. Als Endergebnis bleibt festzuhalten, dass die Reformen eher zu einer Zunahme von jüdisch religiösen Einflüssen geführt hat, weil den jüdischen Gemeinschaften oft mehr Rechte zugesprochen werden als anderen Glaubensgemeinschaften (vgl. Günzel, 2008, S. 12ff.).

Tatsächlich gibt es laut israelischem Religionsrecht keine Staatsreligion. Auch gibt es weder politische Erklärungen dazu, noch ein Grundgesetz dafür. Jedoch ist die jüdische Gemeinschaft dem Staat etwas näher gestellt, als andere Religionsgemeinschaften (vgl. ebd., 2008, S.6 f.). Und der Staat Israel ist laut „Verfassung“ ein „jüdischer Staat“ (vgl. Moyal, 1997, o.S.). Die fehlende Trennung zwischen Staat und Religion unterstützen die geschlechterspezifische soziale Hierarchie.

Das Familienrecht in Israel wird seit der Gründung des Staates Israel durch Religionsgemeinschaften durchgesetzt. Daher gibt es in der „Verfassung“ kein einheitliches, ziviles und staatliches Familienrecht (vgl. Marx, 2005, S.6 f.). So gibt es religiöse Gerichte, welche ihre eigene Familienrechtsordnung besitzen, aber „keine zivile Eheschließungsbehörde oder ein ziviles Scheidungsgericht“ (Marx, 2005, S.7).

Die logische Schlussfolgerung daraus ist, dass jede_r Staatsbürger_in Israels einen religiösen „Status“ hat. In Israel hat kein_e Bürger_in das Recht auf Religionsbefreiung. Das bedeutet im Fall von Israel, entweder eine Religionszugehörigkeit als jüdisch, muslimisch, christlich, drusisch oder „religions-less“ Person. „Religions-less“ ist in dem Fall eine Person, welche einer Religion zugehörig ist, die nicht anerkannt ist, zum Beispiel Hinduismus, Buddhismus oder Shinto. Es gibt auch „doppelte“ Religionszugehörigkeit. Das Ministerium für religiöse Dienste entscheidet dann über den Status der Person. Dieser „Status“ ist wichtig für die weiteren Erläuterungen, denn er bestimmt Rechte wie Eheschließung, Scheidungsrechte, Fortpflanzungsrechte, Adoption, Besteuerung, Erbe und so weiter (vgl. Übers. Verf., Rosenblum/ Tal, 2004, S. 39).

Neben der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit ist der zweitwichtigste Faktor, bei den Betrachtungen, die Religionsausübung. Sie hat einen entscheidenden Einfluss auf die Familiengröße (Übers. Verf., Friedlander/Goldscheider, 1978, S.230), auf politisches Verhalten und die Lebensweise (Übers. Verf. Shamir/Arian, 1999, S.276). Die jüdische israelische Gesellschaft ist in dieser Hinsicht tief gespalten zwischen der jüdischen säkularen Mehrheit[3] und den Ultra-Orthodoxen (vgl. Übers. Verf., Bystrov, 2012, S.7).

Das „Israel Central Bureau of Statistics“ hat 2009 eine Studie über die Einstellungen der Gesellschaft zu Religionen in Israel veröffentlicht. Etwa 12 Prozent der israelischen jüdischen Gesellschaft bezeichneten sich als „religiös“, circa 13 Prozent als „traditionell religiös“, 25 Prozent als „traditionell nicht – religiös“ und fast die Hälfte als „nicht religiös/ weltlich“. Bei den Unterscheidungen der Religionen definierten sich selbst 8 Prozent als „Ultra Orthodox“. Bei den Muslimen sieht die Verteilung anders aus. Circa 10 Prozent bezeichneten sich selbst als „sehr religiös“, 51 Prozent als „religiös“, 29 Prozent als „nicht so religiös“ und 11 Prozent als „nicht religiös“ (vgl. Übers. Verf., Bystrov, 2012, S.7).

2.2.2. Judentum

Der Begriff Judentum bezeichnet „einerseits die Religion, die Tradition und Lebensweise, die Philosophie, sowie die Kulturen der Juden und andererseits aber auch die Gesamtheit der Juden (Wahrig-Burfeind, 2001, S. 794)“. Derzeit leben circa sechs Millionen Juden in Israel, weltweit sind es etwa 18 Millionen (vgl. Robinson/Kohn/Savery Raz, 2012, S. 441). Die Thora bezeichnet die gesamte jüdische Lehre, auch Pentateuch genannt (vgl. Rosenthal/ Homolka, 1999, S. 198). Es wird unterschieden zwischen verschiedenen Gruppierungen und Strömungen. Die vier wichtigsten Strömungen sind das orthodoxe Judentum (eine Untergruppe bildet das Ultraorthodoxe Judentum mit etwa 8 Prozent der gesamten Juden), das Reformjudentum, das konservative Judentum und der Rekonstruktionismus – die jüdische Erneuerungsbewegung (vgl. Rosenthal/ Homolka, 1999, S.182 ff.). Das nicht-orthodoxe Judentum hat ein anderes Verständnis von der Offenbarung, welche in ihrem Sinne ein „fortschreitender Prozess des Dialogs mit Gott und seinem Volk ist“ (Rosenthal/ Homolka, 1999, S. 6). Etwa 10 Prozent der orthodoxen Juden glauben daran, dass das Jüdische Volk von Gott auserwählt wurde. Sie leben nach insgesamt 613 Geboten und sehen den Staat Israel als heiliges Land des jüdischen Volkes an (vgl. ebd., 1999, S. 188). Ultra-orthodoxe Juden sind eine Gruppierung des orthodoxen Judentums. Oberste Pflicht eines jedes Mannes ist es sich der Thora, den heiligen Büchern, zu widmen. Sie selbst lehnen im Gegensatz zu den Orthodoxen den Staat Israel ab. Sie glauben, dass ein Judenstaat nur von einem Messias gegründet werden kann (vgl. Dachs, 2013, S. 166).

2.2.2.1. Familie

Das Familienleben ist vor allem durch die Religion und die Tradition geprägt. In der Familie spiegelt sich „das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen“ (Marx, 2005, S.5) wieder. Hierzu wird oft der Vergleich gezogen, dass Gott, als Vatergestalt, auf die Bedürfnisse der Menschen Rücksicht nimmt (vgl. ebd., 2005, S.5). Daher strahlt das Familienleben ein „hohes Maß an Nestwärme und Solidarität“ (Marx, 2005, S.6) aus. Falls jedoch eine Person gegen die Gesetze oder Grundlagen verstößt ist mit strengen Konsequenzen zu rechnen (vgl. Maier, 1988, S.566). Der sogenannte häusliche Frieden steht an oberster Stelle und wird symbolisch durch das Anzünden der Sabbatlichter (jeden Freitag) von der Ehefrau verdeutlicht. Die Aufgabenverteilung in der Familie ist so vorgeschrieben, dass die Erziehung der Söhne dem Vater obliegt, sowie die Mitgift und die Verheiratung der Töchter. Für die Kinder ist die Ehrfurcht vor den Eltern in der Thora fest vorgeschrieben (vgl. Marx, 2005, S.6).

[...]


[1] Zionismus ist eine jüdische Nationalbewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand, mit dem Ziel einen selbstständigen Nationalstaat für Juden in Palästina zu gründen. Zudem gilt Zionismus heute als eine politische Strömung innerhalb des Judentums, welche eine Vergrößerung Israel durchsetzen will (vgl. Alexander, 2013, S.13 f.).

[2] Kibbuz (hebräisch „Sammlung“, „Siedlung“) ist eine gemeinschaftliche und landwirtschaftliche Siedlung, welche genossenschaftliches Eigentum besitzt und auf kollektive Arbeit und demokratischen Strukturen basiert (vgl. Dachs, 2013, S. 156).

[3] Etwa 43 Prozent der Bevölkerung bezeichnet sich selbst als nicht religiös, aber identifiziert sich ethnisch, ethisch, kulturell oder politisch als Juden (vgl. Jestice, 2004, S. 454).

Ende der Leseprobe aus 61 Seiten

Details

Titel
Die Haltung von Staat und Religion zur Familienplanung in Israel. Theoretische Grundlagen und empirische Daten
Hochschule
Hochschule Merseburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
61
Katalognummer
V314900
ISBN (eBook)
9783668159419
ISBN (Buch)
9783946458197
Dateigröße
1016 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Familienplanung, Israel, Religion, Sexuelle Rechte, In-Vitro-Fertilisation, künstliche Befruchtung, Judentum, Islam, Gesundheitspolitik, Familienpolitik, Frauen, Geburten, Abtreibungen, Ehe, Verhütung, IPPF, pro-natalistisch, Pro Geburt
Arbeit zitieren
Sophie Schurig (Autor:in), 2015, Die Haltung von Staat und Religion zur Familienplanung in Israel. Theoretische Grundlagen und empirische Daten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314900

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