Soziale Arbeit: Überschuldung, Schuldnerberatung und aktuelle Schuldensituation in Deutschland


Hausarbeit, 2007

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen von Kredit, Schulden und Überschuldung

3. Aktuelle Überschuldungssituation in Deutschland

4. Entwicklung des Insolvenzrechts und aktuelle Neuerungen

5. Die Arbeit der Schuldnerberatung

6. Die Menschen hinter den Schulden
6.1 Überschuldungsauslöser
6.2 Psychosoziale Folgen von Überschuldung
6.3 Überschuldung als Vermittlungshemmnis am Arbeitsmarkt

7. Schuldnerberatung und Soziale Arbeit

8. Schuldnerberatung im Landkreis Sigmaringen

9. Zukunftsgedanken zu Schuldnerberatung und Schuldenprävention

10. Resümee

11. Tabellenverzeichnis

12. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„Schulden“ und „Schuld“ – beide Begriffe unterscheiden sich lediglich durch die Endsilbe „-en“. Doch sind von Schulden betroffene Menschen tatsächlich immer an ihrer Misere schuld? Und falls das so sein sollte, gibt es dann trotzdem einen Anspruch auf Unterstützung durch den Sozialstaat? Lange Zeit war man wohl der Ansicht, dass Menschen ihre Schuldenprobleme selbst zu regeln hätten, sofern sie nicht aufgrund anderer sozialer Schwierigkeiten ohnehin Zugang zu staatlichen Hilfen fänden. Erst seit 30 Jahren gibt es spezialisierte Schuldnerberatungsstellen und seither besteht auch das Problem, welche Einschränkungen und Gegenleistungen dem Schudner bei der Aufarbeitung seiner finanziellen Notlage zumutbar sind.

Mit der Einführung der Insolvenzordnung vor acht Jahren wurde zudem eine heiße Diskussion über die neue Möglichkeit der Restschuldbefreiung entfacht. Während einige Fachleute darin vor allem die vielleicht einzige Chance für masselose bzw. massearme Schuldner sehen, jemals wieder ein „geordnetes Leben“ zu führen, fürchten andere, sie könnte erst einen Anreiz zur Überschuldung schaffen, da sie eine zu bequeme Alternative zur jahrelangen Abzahlung verspricht.

In der folgenden Hausarbeit möchte ich zunächst einige allgemeine Grundlagen-informationen zu Überschuldung, Schuldnerberatung und der aktuellen Schulden-situation in Deutschland zusammentragen. Dabei stehen Vergleichszahlen aus dem Landkreis Sigmaringen zur Verfügung, die einen Eindruck der Überschuldungssituation im Raum Oberschwaben vermitteln. In einem weiteren Schritt soll die Entwicklung des Insolvenzrechts inklusive der aktuellsten Diskussionen betrachtet werden. Davon ausgehend wird die Arbeit der Schuldnerberatungsstellen – ihre Entstehung, Ziele, Prinzipien und Herausforderungen – ins Visier genommen. Doch auch die Charakteristika der Menschen hinter den Schulden und ein Blick in die Zukunft basierend auf gegenwärtigen Überlegungen sollen Beachtung finden. Im abschließenden Resümee werden die wichtigsten Aspekte nochmals zusammengefasst und aus meiner persönlichen Sichtweise heraus kommentiert.

2. Definitionen von Kredit, Schulden und Überschuldung

Die Begriffe „Kredit“ und „Schulden“ werden umgangssprachlich oft synonym benutzt. „Kredit“ kommt jedoch vom lateinischen Verb „credere“ und bedeutet so viel wie „glauben, vertrauen“. Das Vertrauen bezieht sich dabei auf die Rückzahlung der geliehenen Summe und ist somit eher positiv besetzt.

Die bereits erwähnte negative Konnotation von „Schulden“ mit „Schuld“ besteht dagegen nur im deutschen Sprachgebrauch. Der englische Begriff „debt“ hat ebensowenig den negativen Beiklang von „guilt“ wie die französische Entsprechung „dette“ von „culpabilité“.

(Reiter 1991: 23)

Weiterhin gilt zu beachten, dass ein Kredit stets mit Schulden gleichgesetzt werden kann, während Schulden hingegen nicht automatisch Kreditcharakter besitzen.

„Unter Schulden werden alle Geldverbindlichkeiten verstanden, die einem Privathaushalt entstehen können.“

Der Begriff „Schulden“ kann sowohl weit (sämtliche Verbindlichkeiten) als auch eng (fällige Verbindlichkeiten) gefasst werden, weshalb sich eine Unterscheidung latenter und akuter Schulden anbietet.

(Reiter 1991: 24)

„Verschuldet ist jemand dann, wenn er z.B. einen Kredit aufgenommen hat, den er aber ordnungsgemäß tilgen kann.“ (Groth 1988: 16)

Da der Übergang von Ver- zur Überschuldung schwer feststellbar und fließend ist, gestaltet sich eine genaue Definition schwierig und ist oft unbefriedigend.

„Ein Privathaushalt gilt als überschuldet, wenn sein Haushaltsnettoeinkommen nach Abzug der existenziellen Lebenshaltungskosten für unabsehbare Zeit nicht mehr ausreicht, um seinen wiederkehrenden finanziellen Verpflichtungen nachzukommen und seine bereits aufgelaufenen Schulden abzutragen. Über Vermögen, das den Liquiditätsengpass überwinden könnte, verfügt der Privathaushalt nicht (mehr).“

(SchuldRep 2006: 16)

Eine ähnliche, doch etwas vereinfachte Definition kennt auch der Gesetzestext,

§17 Abs.2 der Insolvenzordnung: „Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.“

(ebd.)

Übrigens wurde „Überschuldung“ bereits vor knapp 20 Jahren auf ähnliche Weise definiert: „Überschuldung liegt dann vor, wenn nach Abzug der fixen Lebenshaltungskosten (Miete, Energie, Versicherungen etc. zzgl. Ernährung) der verbleibende Rest für zu zahlende Raten nicht ausreicht.“ (Groth 1988: 16)

Davon abweichend existiert allerdings auch eine abgeschwächte, eher psychologisch ausgerichtete Definitionsform: „Als überschuldet ist (demnach) derjenige zu bezeichnen, der sich momentan oder für die nahe Zukunft nicht in der Lage sieht, seine finanziellen Verbindlichkeiten zu begleichen.“ (Reiter 1991: 30)

Abschließend lässt sich also festhalten, dass die Differenzierung von Ver- und Überschuldung mit dem Eintrittszeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners einhergeht. Davon ausgehend wollen wir nun einen Blick auf die gegenwärtigen Überschuldungsstatistiken in Deutschland werfen.

3. Aktuelle Überschuldungssituation in Deutschland

Einer aktuellen Studie zufolge waren zu Beginn des Jahres 2003 rund 3,13 Mio Privathaushalte in Deutschland überschuldet, was einem prozentualen Anteil von 8,1% aller Privathaushalte entspricht. Dies bedeutet auch im europäischen Vergleich einen Spitzenwert. (SchuldRep 2006: 18)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Anzahl überschuldeter Privathaushalte in Deutschland (nach GP Forschungsgruppe) [SchuldRep 2006: 17]

Wie bereits in dem kleinen Ausschnitt der Tabelle erkennbar, ist die Tendenz auch weiterhin steigend.

Schulden haben allerdings wesentlich mehr Menschen. Woran also misst man Überschuldung und wie ermittelt man die Anzahl der als überschuldet eingestuften Privathaushalte? Um die Überschuldung zu erforschen, gibt es einige allgemein gültige Überschuldungsindikatoren. Die Kündigung eines Kreditvertrages wegen Zahlungsverzug, die Abgabe einer Eidesstattlichen Versicherung, Miet- und Energieschulden sowie Lohn-, Gehalts- und Kontopfändungen sind bespielsweise eindeutige Hinweise auf eine Überschuldung. Haushalte gelten dann als überschuldet, wenn einer oder mehrere der gemessenen Indikatoren im Untersuchungszeitraum auf einen Haushalt zutreffen. Mehrfachzählungen weden dabei durch Überschneidungskoeffizienten relativiert. (SchuldRep 2006: 18)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Entwicklung der Eidesstattlichen Versicherung [SchuldRep 2006: 29]

Die Eidesstattliche Versicherung (EV) ist die öffentliche Kundgabe eines Schuldners, dass er über keinerlei pfändpares Vermögen oder Einkommen verfügt. Die EV entspricht dem früheren Offenbarungseid und bedeutet die „Abgabe eines Vermögensverzeichnisses auf einem vom Amtsgericht zugeschickten Vordruck, der an »Eides statt« unterschrieben werden muss.“ (Groth 1988: 49) Eine EV wird meist dann verlangt, wenn alle Pfändungsversuche erfolglos verliefen. Verweigert der Schuldner die Abgabe der EV, kann sogar Haftbefehl gegen ihn erlassen werden. (a.a.O.: 50) Während die Anzahl der abgegebenen EVs aufgrund der damit verbundenen Eintragungen im Schuldnerverzeichnis und bei der Schufa leicht zu ermitteln ist, sind die anderen Überschuldungsfaktoren nicht so offensichtlich und können oft nur durch Umwege oder gesonderte Stichproben herausgefunden werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Inanspruchnahme des Verbraucherinsolvenzverfahrens [SchuldRep 2006: 20]

Verglichen mit den 3,13 Mio überschuldeten Haushalten haben bisher nur 4,83% der betroffenen Haushaltsvorstände von der Möglichkeit der Restschuldbefreiung Ge-brauch gemacht.

(SchuldRep 2006: 21)

Als Gründe hierfür werden mangelnde Kenntnis über das Verfahren, Scheu vor öffentlicher Bekanntgabe der Privatinsolvenz und Zweifel am eigenen Durchhaltevermögen der Schuldner vermutet. (a.a.O.: 22)

Eine mangelnde Kenntnis der Rechtslage ist jedoch kaum verwunderlich, angesichts der zahlreichen Änderungen und Änderungsvorschläge, denen die Insolvenzordnung seit ihrer Einführung unterworfen war.

4. Entwicklung des Insolvenzrechts und aktuelle Neuerungen

Bis zum 31.12.1998 waren überschuldete Privatpersonen praktisch von einem Neuanfang ausgeschlossen, denn die Gläubiger hatten nach Abschluss eines Konkursverfahrens 30 Jahre lang das Recht auf Zwangsvollstreckung. Jede Vollstreckungshandlung unterbrach außerdem die Geltungsdauer des Titels und verlängerte somit die Phase, in der Gläubiger Forderungen an ihre Schuldner stellen konnten. Dies änderte sich erst ab dem 01.01.1999 mit der Einführung der Insolvenzordnung (InsO), die zunächst nur wenig Beachtung fand. Das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2001 (InsOÄndG 2001) ermöglichte dann erstmals, die Stundung der Verfahrenskosten, was augenblicklich zu einer deutlichen Zunahme der Anträge auf Privatinsolvenz führte. (SchuldRep 2006: 125)

Das noch junge Gestetz sorgte allerdings für so manche Kontroverse und so stellte der Diskussionsentwurf vom April 2003 folgende Forderungen:

- Stärkung des außergerichtlichen Einigungsverfahrens, um öffentliche Kassen zu entlasten
- Zusammenführung von außergerichtlichen Einigungsversuchen und gerichtlichem Schuldenbereinigungsverfahren
- Gültigkeit des Schuldenbereinigungsplans auch für nicht darin erwähnte Gläubiger
- Verfahrenserleichterung für Gläubiger, die die Redlichkeit des Schuldners in Frage stellen wollen

Diese Vorschläge stießen jedoch auf geteilte Ansichten. (SchuldRep 2006: 128-130)

Daher wurde bereits im September 2004 ein Referentenentwurf vorgelegt, in dem folgende Überlegungen thematisiert wurden:

- Der Schuldenbereinigungsplan soll nicht für Gläubiger gelten, die darin nicht benannt werden
- Der außergerichtliche Einigungsversuch soll aus Kostengründen nicht obligatorisch durchgeführt werden, wenn ein Fall bereits im Vorfeld als aussichtslos klassifiziert werden kann
- Nicht nur Gläubiger sondern auch Dritten soll das Recht zustehen, die Redlichkeit eines Schuldners gerichtlich zu bestreiten

Die Kritik an diesem Entwurf beschränkte sich weitgehend auf die mangelnde Flexibilität des Schuldenbereinigungsplans sowie eine unzureichende Information der Gläubiger im Verfahrensablauf. (SchuldRep 2006: 130-132)

Daraufhin befassten sich die Reformüberlegungen vom Sommer 2005 mit einem alternativen Restschuldbefreiungsverfahren für masselose und massearme Schuldner. Dieses sollte für die Schuldner kostenfrei sein und ihnen nach 8 Jahren das Recht einräumen, diejenigen Gläubigerforderungen zu verweigern, welche sie zu Beginn des Verfahrens im Forderungsverzeichnis hatten aufführen lassen. Darüber hinaus sahen die Reformüberlegungen ein modifiziertes Verbraucherinsolvenzverfahren für Schuldner mit Masse vor, zu dem nur solche Schuldner Zugang erlangen sollten, welche in der Lage sind, die Verfahrenskosten zuzüglich mindestens 10% der Gläubigerforderungen zu leisten.

(SchuldRep 2006: 145/146)

Die folgende Grafik stellt diesen Vorschlag, auf dem auch die aktuelle Rechtslage ruht, in seinen Einzelheiten dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 4: Modell eines Entschuldungs- und Insolvenzverfahrens auf der Basis des

BMJ-Eckpunktepapiers

(SchuldRep 2006: 146/147)

Dieses Modell lässt allerdings befürchten, dass Gläubiger durch die Verjährungsfrist einen erhöhten Druck auf die Schuldner ausüben könnten und diese dadurch erst recht nicht in der Lage sind, wieder ein geordnetes Leben zu führen oder Motivation für eine Erwerbstätigkeit aufzubringen. Unberücksichtigt blieben außerdem die Folgekosten des Entschuldungsverfahrens. Weitere Kritikpunkte betreffen die Mindestquote von 10% Sanierungspotential als Zugangsvoraussetzung sowie die 35%-Stufe, da bei derartigen Ressourcen eher eine außergerichtliche Einigung angestrebt werden sollte.

(SchuldRep 2006: 147-149)

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Soziale Arbeit: Überschuldung, Schuldnerberatung und aktuelle Schuldensituation in Deutschland
Hochschule
Hochschule Ravensburg-Weingarten
Veranstaltung
Aktuelle Probleme der Sozialpolitik
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
27
Katalognummer
V77258
ISBN (eBook)
9783638826518
ISBN (Buch)
9783638827270
Dateigröße
1592 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schuldnerberatung, Kontext, Sozialer, Arbeit, Deutschland, Aktuelle, Probleme, Sozialpolitik
Arbeit zitieren
Sandra Deichmann (Autor:in), 2007, Soziale Arbeit: Überschuldung, Schuldnerberatung und aktuelle Schuldensituation in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77258

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