Klassenmusizieren mit Grundschülern (Jahrgangsstufe 4 bis 6). Das Stück "Wayfaring Stranger"

Ein musikalisches Arrangement


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

37 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Bedingungsanalyse

Sachanalyse

Begriffsumriss ‚Klassenmusizieren‘ und didaktische Überlegungen

Methodische Überlegungen

Kompetenzerwerb / Lernziele

Abschließende Überlegungen

Literatur

Anhang

Einleitung

Im Rahmen des Master-Seminars „Klassenmusizieren“ an der PH Heidelberg hatte jede StudentIn die Möglichkeit, nach und anhand von theoretischen Vorlagen und kleineren praktischen Übungseinheiten ein komplettes Klassenarrangement zu erstellen, das zwar mit den restlichen StudentInnen des Seminars simulativ durchgeführt werden sollte, aber für eine Schulklasse gedacht ist. So konnten Überlegungen zu Durchführung und Materialien eines Klassenmusizierstücks in der jeweiligen Schulart stattfinden, die in Teilen an die elitäre Probandengruppe angepasst worden waren, an denen sie getestet wurden. Das Ziel der Einheit sollte sein, dass gemeinschaftlich und möglichst ganzheitlich musiziert wird, jede/r sich auf eigene Weise einbringen kann und in der Gruppe Musik zum „Erscheinen“1 gebracht wird.

Diese Arbeit geht zunächst auf das Klassen- und Unterrichtssetting ein, in dem das Klassenarrangement stattfinden soll. Hier werden Überblicke über die gesamte Lerngruppe sowie einzelne Einschränkungen und Dispositionen gegeben, die bei der Durchführung aus Sicht der Lehrkraft besonderer Beachtung bedürfen.

Anschließend wird der Sachgegenstand – das geplante Stück – analysiert und auf sein unterrichtliches Potential untersucht, bevor die Unterrichtsmethode ‚Klassenmusizieren‘ einer begrifflichen und didaktischen Analyse unterzogen wird. Hier werden verschiedene Theorien einander gegenübergestellt und kontrastiert sowie Ausblicke auf Bezüge zum Bildungsplan und die vorgesehene Instrumentierung gegeben.

Im nächsten Abschnitt werden die einzelnen Arbeitsschritte der unterrichtlichen Durchführung erklärt und theoriegestützt begründet. Hier werden sowohl klassenspezifische als auch methodenspezifische Details genauer untersucht, bevor im letzten Kapitel ein Überblick über die abgedeckten Kompetenzbereiche, die zu erreichenden und erreichbaren Ziele und, abschließend, das Potential der Unterrichtsmethode gegeben wird.

Die vorliegende Unterrichtseinheit des Klassenarrangements ist m. E. so konzipiert, dass sie von Inhalt, Material und Umfang ab der vierten Klassenstufe eingesetzt werden könnte, sofern bereits gute bis sehr gute musikalische Kompetenzen vorhanden sind. Für die nachfolgende Analyse habe ich mich für eine fiktive fünfte Klasse einer allgemeinbildenden Gemeinschaftsschule entschieden. Teilweise wird auf mögliche Adaptionen und Differenzierungen „nach unten“ verwiesen, um auch weniger musikalisch kompetente SchülerInnen nicht im Vorfeld bereits auszuschließen. Die Dauer der Durchführung inklusive Auf- und Abbau ist auf einen Doppelstundenblock angesetzt.

Bedingungsanalyse

Die Klasse 5a besuchen 24 SchülerInnen, von denen genau die Hälfte Mädchen und die andere Hälfte Jungen sind. Die Klasse besitzt ein hohes Maß an Toleranz und Akzeptanz gegenüber individueller Vielfalt. Die Klasse pflegt insgesamt einen sehr respektvollen Umgang miteinander und ist sehr reflektiert im Umgang mit anderen. Sie sind sich größtenteils der Wirkung ihres eigenen (Fehl-)Verhaltens bewusst und falls nicht, lassen sie sich leicht auf eine rationale Ebene mitnehmen, sodass eine distanziertere Wahrnehmung aus anderer Perspektive möglich ist.

Die Lerngruppe ist motiviert, lernbereit und leistungsstark und verhält sich sowohl untereinander, als auch gegenüber Lehrkräften sehr sozial. Diese Einstellung schafft ein zumeist positives Lernklima und macht es aus Lehrperspektive vergleichsweise einfach, in dieser Klasse zu unterrichten.

Die Vorerfahrungen mit Musik sind bei den Kindern der Klasse eher überdurchschnittlich, sowohl ihre eigene Erfahrung mit einem eigenen Instrument, als auch das, was sie an Wissen über musikalische Werke oder Gesetzmäßigkeiten mitbringen. So befinden sich in dieser Klasse nicht nur viele aktive Musiker wie ChorsängerInnen, GitarristInnen, HolzbläserInnen und eine herausragende Geigerin, sondern auch solche, die bereits viel musiktheoretisches und -geschichtliches Hintergrundwissen angesammelt haben. Die musikalischen Prägungen und Vorerfahrungen seitens der Eltern, die dem Wohnort geschuldet zumeist der oberen Mittelschicht angehören, sind also deutlich zu spüren.

Abgesehen von drei SchülerInnen lernen alle Schülerinnen und Schüler Deutsch als Erst- bzw. Muttersprache auf gutem Niveau. Diese Voraussetzung erleichtert eine tägliche Zusammenarbeit, da sprachliche Strukturen bei den meisten Kindern weitgehend gefestigt sind und somit fast ausnahmslos keine Sprachbarrieren entstehen. Bei speziell diesen drei SchülerInnen ist Deutsch die Zweitsprache, deshalb muss für sie besonders darauf geachtet werden, dass Arbeitsaufträge auf einem einfachen sprachlichen Level formuliert werden.

Ein Schüler leidet unter beeinträchtigter auditiver Wahrnehmung und kann Geräusche nicht so gut voneinander unterscheiden. Bei großem Geräuschpegel ist seine gefilterte Hörverarbeitung also eingeschränkt. Aus diesem Grund sollte darauf geachtet werden, dass vor allem beim lehrerzentrierten Geschehen zum einen kein hoher Geräuschpegel vorherrscht, und zum anderen immer wieder Blickkontakt zu ihm aufgebaut wird und er sich tatsächlich darauf konzentriert, was gesagt wird. Er sollte aus diesem Grund auch eher in den ersten Reihen sitzen bzw. stehen.

Sachanalyse

Das ausgewählte Stück „Wayfaring Stranger“ wird als amerikanischer Spiritual- und Folksong aus dem frühen 19. oder gar 18. Jahrhundert gehandelt, vermutlich entlehnt aus Songvariationen von schottischen Einwanderern, doch über den tatsächlichen Ursprung kann nur spekuliert werden. Seither wurde es vielfach interpretiert und von verschiedenen Künstlern vertont (u.a. von Johnny Cash 2000, Emmylou Harris 1980, Burl Ives 1949 u.v.m.), was auch die teilweise sehr unterschiedlichen Textvarianten erklärt. Die meist sehr minimalistische instrumentale Begleitung mit Gitarre, Banjo, Akkordeon, Violine oder perkussiven Instrumenten verleiht dem Song den Charakter einer tristen Country-Hymne, die zuletzt auch als herzzerreißendes Acapella im Oscar-preisgekrönten Kriegsfilm „1917“ in einer spannungsgeladenen Szene vor der Schlacht die Hörer fesselt. Außerdem prägen ihn zumeist ein gleichförmiger, getragener Rhythmus und düstere Mollklänge, die sich mit kontrastierenden Dur- bzw. Dominantseptakkorden abwechseln und von sich wiederholenden Melodieelementen überlagert werden. Die Dynamik nimmt im Refrain spürbar zu, da sich auch die Melodiestimme nach oben bewegt und die Töne – je nach Version und Interpret – meist auch mit mehr Nachdruck gesungen werden.

Das Stück besteht aus zwei Strophen (A) und einem wiederkehrenden Refrain (B), woraus sich folgender Ablauf ergibt: Intro – A – B – Interlude – A – B. Der englischsprachige Originaltext beschreibt die Stimmungslage eines einsamen Reisenden („I’m just a poor, wayfaring stranger travelling through this world alone…“), der sehnsüchtig auf der Suche ist nach einer besseren Welt („there is no sickness, toil nor danger in that bright land to which I go…“) und damit möglicherweise das erlösende Jenseits meint („I’m only going over Jordan, I’m only going over home…“). Er (oder sie)2 klagt sein Leid, während er pessimistisch darüber ist, dass er überhaupt jemals sein Ziel erreichen würde („I know, dark clouds will gather over me, I know, my way is rough and steep…“). Insgesamt zeichnet sich in der musikalischen Gestaltung und dem Text dieses Stücks also eine eher dunkle Stimmung ab.

Die kompositorische Vorlage für dieses Klassenarrangement lieferte mit seiner Interpretation des Stücks Ed Sheeran 2011, womit automatisch eine gewisse Nähe zum jungen Publikum herstellt wird. Seine Version besteht aus zweitaktigen Vokal- und Beatbox-Spuren, die er mithilfe der modernen Loop-Technik „übereinanderschichtet“. Er schafft somit einen beliebig erweiterbaren, sich permanent wiederholenden Klangteppich und begleitet sich sozusagen selbst, indem er zunächst singt, dabei aufnimmt, abspielen lässt und gleichzeitig die nächste Stimme darüber singt, wobei die musikalische Fülle mehr und mehr zunimmt. Die musikalische Gestaltung des neuzeitlichen Pop-Künstlers gibt dem sonst traditionellen Lied mit moderner Technik und hippen Beats einen ganz neuen „Drive“. Die neumodische Interpretation, die musikalische Einfachheit der einzelnen Loop-Spuren und der daraus resultierende komplexe Klang bieten durchaus Kompatibilität für eine Schulklasse.

Begriffsumriss ‚Klassenmusizieren‘ und didaktische Überlegungen

Für die Durchführung und das Einstudieren des Stücks wurde die Methode des Klassenmusizierens gewählt, bzw. vorgegeben. ‚Klassenmusizieren‘ als solches ist ein vieldiskutierter, facettenreicher und nicht einheitlich definierter Begriff, der in Bezug auf Funktion, Zielsetzung und Durchführung im Folgenden etwas differenzierter betrachtet werden soll.

Im weitesten Sinn ist Klassenmusizieren eine „gemeinsame musikpraktische Aktivität aller Mitglieder einer Schulklasse in der allgemeinbildenden Schule“3, wie es beispielsweise im verpflichtenden (auch: erweiterten) Musikunterricht oder in Musik- bzw. Musizierklassen der Fall ist. Präziser formuliert es Christopher Wallbaum; für ihn ist es „eine über einen längeren Zeitraum unternommene musikalische Praxis, bei der jeder einzelne einen Teil des Gesamtklangs erzeugt“4. Diese beiden Definitionen begegnen der Kritik, der Musik als ästhetische Kunstform nicht vollständig gerecht zu werden, da sie gegenüber musikalischer Teilprozesse, musikalischer Umsetzungsformen und dem ganzheitlichen Charakter von Musik zu exklusiv formuliert sind. Johannes Bähr betrachtet Klassenmusizieren hingegen etwas weniger trennscharf als eine „didaktisch-methodisch geplante, gemeinsame Ausübung mit Gesang, Instrumentalspiel, Bewegung und Szene – einzeln bzw. in Kombination“5. Auch Jürgen Terhag sieht den Begriff ähnlich pragmatisch als ein „in der Regel […] instrumentale[s], vokale[s] und tänzerische[s] Gestalten einer ganzen Schulklasse“6, wobei „Gestalten“ auch Spielraum für nicht-musikalische und klanglose Aktivitäten der SchülerInnen lässt. Beide Definitionen müssen sich jedoch dem Vorwurf stellen, dass Klassenmusizieren aus diesem Betrachtungswinkel eher qualitätsferner „musikalischer Aktionismus“ und somit wenig sinnstiftend sei.7 Aber genau das sollte es nämlich sein, sodass nach Möglichkeit ein sinnfreies und stupides „Rumkloppen“ vermieden und stattdessen jede Geste bewusst durchgeführt und wahrgenommen wird.

Schaut man über die Differenzen der genannten Musikdidaktiker hinweg auf die Ziele, die aktive MusiklehrerInnen mit dem Klassenmusizieren verfolgen, so steht in einer Befragung die allgemeine „Stärkung der Musikpraxis“ an meistgenannter Stelle, gefolgt von „Aufbau musikalisch-praktischer Grundkompetenzen“ und „lebendiges Schulleben“8. Es soll also in erster Linie musikalisch, praktikabel und abwechslungsreich sein. Demzufolge sollte jedes Klassenmusizierstück so gestaltet sein, dass es von allen SchülerInnen ungeachtet ihrer musikalischen Fertigkeiten (voraussetzungslos!) in Musik umgewandelt werden kann. Außerdem müsste es möglichst auf unterschiedlichen Niveaus stattfinden können, sodass sich jede/r beteiligen kann. Eine weitere Möglichkeit, Abwechslung in die Methode zu bekommen wäre, und das spräche für die Definitionen von Bähr und Terhag, den ganzheitlichen Aspekt von Musik miteinzubeziehen, also auch andere Kunstformen wie Tanzen, Malen etc. kreativ und aktiv in Klassenarrangements zu fördern und einfließen zu lassen.

Ungeachtet der umsetzungsbezogenen Details sind sich DidaktikerInnen und PädagogInnen darüber einig, dass Klassenmusizieren praxisnah in im weitesten Sinn musikbezogene Tätigkeiten münden soll. Eine breite, aber dennoch gleichzeitige treffende Definition stammt m. E. nach von Michael Pabst-Krueger:

„Klassenmusizieren (bzw. Musizieren mit Schulklassen) ist ein Oberbegriff für Aktionsformen im Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen, bei denen alle Schüler musikbezogen handeln und ein überwiegender Teil der Klasse aktiv musiziert. Aktivitäten zur Klangerzeugung können hierbei auch mit anderen musikbezogenen Tätigkeiten wie z.B. Tanzen, Zeichnen, Lichtmalen, Dirigieren, [ja sogar] Zuhören kombiniert werden.“9

Damit, so Pabst-Krueger, kann „Klassenmusizieren gegenwärtig als überlegene Alternative zu einem als theorielastig, kunstmusikorientierten und für die meisten Schüler demonstrativ charakterisierten Musikunterricht dargestellt [werden]“10. Einleuchtend ist jedoch auch, dass dieses Unterrichtsprinzip nicht als Allzweckwaffe und Lösung aller Probleme im Musikunterricht angesehen werden kann und herkömmliche Formate auch nicht ersetzt, sondern allenfalls als wertvoll ergänzt. Denn auch hier treten Probleme auf, wie zum Beispiel die Gefahr, dass die Knappheit der Unterrichtszeit nicht ausreichend Raum für Entfaltung gibt und auch, dass „ein eklatanter Widerspruch existiert zwischen dem fachdidaktischen Anspruch und der Menge des vorliegenden Musiziermaterials auf der einen und der Unterrichtswirklichkeit des Klassenmusizierens auf der anderen Seite“11.

Es gilt also, oben genannte theoretischen Erkenntnisse möglichst allumfassend in die Tat umzusetzen. Die Auswahl des Stücks ist mit dessen relativen Schlichtheit gegenüber komplexen Stücken begründet. Der schichtartige, leicht überschaubare Aufbau der einzelnen, aus maximal vier Tönen bestehenden Einzelstimmen und die häufigen Wiederholungen der Loop-Turnarounds können selbst musikalisch weniger begabten SchülerInnen Sicherheit beim Üben geben und einen schnellen Zugang zum Musizieren verschaffen. So kann ihre Motivation direkt in melodisch-harmonische Musik umgewandelt und mit relativ wenig Einsatz ein toller Gesamtklang erzeugt werden. Einzelne Stimmen sowie die etwas anspruchsvollere Rhythmisierung können als musikalische Binnendifferenzierung angesehen werden.

In Anlehnung an ganzheitliche Definitionen des Klassenmusizierens wurde sich in diesem vorliegenden Fall für instrumental und gesanglich aktiv-musizierende Tätigkeiten in Verbindung mit Bewegung, Tanz und/oder Szenischem Spiel entschieden. Dabei ist der aktiv-musizierende Faktor selbsterklärend klanggebender Bestandteil des Gesamtarrangements und mit dem Bewegungs- und Inszenierungsaspekt wurde eine Form gewählt, die in Bezug auf die thematische Ebene des Stücks viel Potential beinhaltet. So steht das Reisen, das Fremde und gleichzeitig das Weltoffene im Vordergrund der Inszenierung und der Kreativität sind bei der Ausgestaltung dessen keine Grenzen gesetzt, wie im nächsten Kapitel näher erläutert wird. Diese Art von handlungs- und produktionsorientiertem Unterricht hat außerdem den Vorteil, dass es kein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt – die SchülerInnen werden zu divergentem Denken ermutigt und somit vielfältige Interpretationen möglich gemacht. Zudem können durch die aktive Verkörperung von Musik ein ganz eigener, vertiefter Zugang und eine neuartige Verbindung zu eben dieser geschaffen werden.

Die im Bildungsplan 201612 vorgegebenen Leitgedanken zum Kompetenzerwerb werden bei dieser ganzheitlichen Form des Klassenmusizierens zumindest inhaltlich zu einem Großteil abgedeckt, denn es wird „Musik gestaltet“, „Musik umgesetzt“ und in gewisser Weise auch „Musik gehört und verstanden“. Dabei wird an das Vorwissen der SchülerInnen angeknüpft und darauf aufgebaut, musikalische Fertigkeiten einstudiert, möglicherweise neue Ausdrucksformen geschaffen und quasi nebenbei der emotional-soziale Aspekt geschult. Im Detail werden auf die einzelnen inhaltlichen und prozessorientierten Kompetenzen in den Folgekapiteln eingegangen.

Zur Instrumentierung und musikalischen Ausgestaltung wird größtenteils auf das normalerweise in Schulen vorhandene Repertoire zurückgegriffen. Mit Triangel, Marimbaphonen, Glockenspielen, Trommeln (oder ggfls. Schlagzeug), Becken und Cowbell etc. liegt dieses auch in aller Regel nicht nur im Bereich des für die SchülerInnen Bekannten und Vertrauten, sondern auch des in Klasse fünf motorisch Machbaren. Zudem kommt mit den genannten Instrumenten meist schon ein in den meisten Fällen annehmbarer Grundklang zustande und zur Spielweise muss außer generellen Musizierregeln für die gesamte Klasse nicht viel erklärt werden. Es kann relativ leicht untereinander getauscht werden und die Instrumente sind sowohl schnell auf- und wieder abgebaut als auch nicht zu laut für die Räumlichkeit eines Klassenzimmers. Einzig die Geigerin sowie der E-Bassist wurden zuvor gebeten, ihre eigenen Instrumente mitzubringen und bekommen gesondert ein Instrumentalpart zugewiesen.

Methodische Überlegungen

Als Stundeneinstieg13 wurde eine performative Inszenierung des Stückes durch die Lehrperson14 gewählt. Die SchülerInnen15 sitzen hierbei an ihren Plätzen im für den Musikraum typischen zweireihigen „Kinositz“. Die LP kommt als Weltenbummler verkleidet (z.B. gelbes Friesennerz, Mütze, Wanderstiefel, Rucksack…) und spielt das Lied mit z.B. Gitarre und Gesang vor. Im Hintergrund kann per Beamer ein Bild von einer weitläufigen, tristen Landschaft oder einer langen Straße etc. auf Großleinwand angestrahlt werden, um die Atmosphäre des Weltreisenden bildlich zu untermalen und die Stimmung des Songs zu unterstützen. In Klasse vier und fünf sollte darüber nachgedacht werden, den Text zum besseren Verständnis zuvor ins Deutsche zu übertragen und statt des englischen Textes zu singen.

Ganz in ihrer Rolle steigt die LP im Anschluss daran in eine kurze, beispielhafte Erzählung über ihre zurückliegende Reise ein und beschreibt, wie schön die Welt an vielen Orten sein kann aber wie einsam der Weg auch oft ist. Sie schildert die fiktive Begegnung mit einem anderen „Reisenden“ (Ed Sheeran), der dieses Lied an sie weitergegeben hat um möglichst viele Menschen damit zu erreichen. Demnach können sich irgendwann alle zusammentun und niemand muss mehr einsam dieses Lied singen – so das Credo. Mit dieser Absicht zeigt die LP den Anfang (max. 2min) des Musikvideos von Sheerans geloopten Live-Performance16 und geht demonstrativ nach dem ersten Chorus metrisch auf der Stelle, damit es ihr die SuS gleichtun, sich etwas ins Lied „eingrooven“ und gleichzeitig das Gefühl des Wanderns verinnerlichen. Die SuS befinden sich immer noch in der Steh-und-Geh-Variante des „Kinositzes“, sofern sie genügend Platz zur VordersitzerIn haben. Bis hier hin sind etwa zehn Minuten vergangen.

Es folgt die Phase des Live-Arrangements, die gleichzeitig als Vorstufe und Warm-Up für die spätere Übungsphase gesehen werden kann. Das Live-Arrangement ist nach Jürgen Terhag ein „notenfreier Vermittlungsprozess“17 mit maximalen Variationsmöglichkeiten; eine Methode, die der Heterogenität der SuS entgegenkommt und sich ihrer Leistungsfähigkeit anpasst. Musik kann hier „live“ in der Probensituation geschaffen und „arrangiert“ werden.18 Sie ist außerdem durch hohe Aktivität der SuS geprägt, die die LP nicht mit der Grundhaltung „ich zeige euch, was ihr lernen sollt“, sondern „ich zeige euch, was ihr bereits könnt“ motivieren sollte. Im besten Fall herrscht eine angstfreie Atmosphäre, in der die Gruppe als „akustisches Versteck“ für unsichere SuS fungiert, diese sich zunächst auch am Rand für sich austesten können und eine differenzierte Wahrnehmung der eigenen Stimme in Beziehung zum Gesamtklang anbahnen.19 Hier dienen die endlos aneinandergereihten Turnarounds ohne Unterbrechung dazu, Übung und Sicherheit in der eigenen Stimme zu bekommen.

Die LP motiviert die SuS, sich zur Einstudierung des Live-Arrangements in einen Stehkreis zu begeben, reiht sich dort ein und beginnt, im Tempo des Songs metrisch auf der Stelle zu gehen (auf den Zählzeiten, ca. 90bpm). Sie bestimmt ein metrisch sicheres Kind als Takthalter mittels einer gut hörbaren Cowbell (alternativ auch Claves oder Cajon). So ist das Risiko minimiert, im Kollektiv deutlich langsamer oder schneller zu werden, und gleichzeitig fällt es leichter, im Takt gleichmäßig und zusammen zu bleiben. Daraufhin gibt die LP mit klaren, minimalistischen Gesten (meist nonverbal) Impulse über die Gruppe hinweg und leitet mittels Call-Call-Technik ein rhythmisches Body-Percussion-Pattern zur möglichst exakten Wiederholung ein.20 Das bedeutet, sie macht ein bis zwei Takte vor, während die SuS sich das Pattern einprägen und im Anschluss direkt und ohne Unterbrechung fortführen und die LP darauf achtet, dass es korrekt ausgeführt wird. Die Bewegung der Beine bleibt dabei nach Möglichkeit bestehen, um die metrischen Grundverhältnisse am ganzen Körper spürbar zu halten; der durchgehende Geh-Groove soll als spielerische Vorentlastung dienen.

Nachdem alle einstimmig begonnen hatten und rhythmisch präzise sind, werden die Stimmen nun geteilt. Eine Hälfte der SuS wird per Handzeichen und bedeutendem Blickkontakt der LP aufgefordert, die Ausführung des ersten Patterns zu stoppen und bekommt mittels derselben Technik wie zuvor ein komplementär-rhythmisches, oder wie in diesem Fall harmonisches Pattern als Ergänzung zum ersten, das von den restlichen SuS permanent fortgeführt wird. Dieser Prozess kann mit immer kleiner werdenden Grüppchen oder einzelnen SuS so lange fortgeführt werden, bis die musikalische oder aufmerksamkeitsbezogene Kapazität der Gruppe ausgeschöpft ist. Die Einführung weiterer Stimmen als musikalische Steigerung oder zur Differenzierung für leistungsstärkere SuS ist theoretisch unendlich möglich. Auch können gesangliche Parts hinzukommen, die zuvor als Zwischenschritt durch rhythmisches Sprechen (zunächst ohne Melodie) einstudiert werden. Ebenso könnten die Stimmen beliebig gewechselt, einzelne Stimmen per Handzeichen lauter, leiser oder „gemuted“ werden oder gar Instrumente zum Einsatz kommen. Letzteres ist für die Durchführung dieses Stücks zunächst jedoch nicht vorgesehen. Sind alle Stimmen eingeführt, macht es Sinn, noch einige Wiederholungen bei maximaler Lautstärke laufen zu lassen um die Wirkung zu genießen und den SuS zu verdeutlichen, zu welchem (im besten Fall) originellen Gesamtklang sie im Stande sind. Auf ein eindeutiges Zeichen der LP verstummen dann entweder alle Stimmen gleichzeitig oder nacheinander.

Die Reihenfolge der geplanten Einführung der Einzelstimmen ist in Anhang „Live-Arrangement“ von oben nach unten zu sehen. Für die schemahafte Durchführung im Seminar wurde hierfür ein Zeitrahmen von sieben Minuten anberaumt. In der Schule können hierfür auch gut zehn Minuten gefüllt werden, da davon auszugehen ist, dass Fünftklässler die einzelnen Parts nicht gleich auf Anhieb abnehmen und durchführen können.

Die nachfolgende Phase ist der nächste Schritt zu einer geplanten Endversion des Liedes. Hier sollen die SuS die eben musizierten Einzelstimmen auf Instrumente übertragen. Es ist enorm wichtig für das Gelingen dieser Phase, wenn der Übergang dahin zuvor gut vorbereitet wurde und währenddessen gewisse Richtlinien beachtet werden. Beim gemeinsamen Musizieren sollte auf folgende Regeln21 Rücksicht genommen werden, die unbedingt in der Klasse eingeführt und bekannt sein müssen:

1. Instrumente werden wie gute Freunde behandelt!
2. Beim Auf- und Abbauen helfen alle mit!
3. Ich spiele nur so laut, dass ich und Menschen direkt neben mir mich hören können (50cm-Regel).
4. Musik beginnt und endet in der Stille! Ich spiele nur, wenn ich dazu aufgefordert werde.
5. Wenn ich schneller fertig bin, helfe ich anderen, wenn sie das wollen.

Die Regeln können außerdem mit kindgerechten, ansprechenden Visualisierungen22, Symbolen und Gesten unterstützt eingeführt werden und sollten während der Musizierphasen gut sichtbar im Klassenraum hängen. Zudem ist es notwendig, den SuS eine fokussierte Musizierhaltung abzuverlangen, denn „[k]ünstlerische Aktivitäten verlangen eine Intensität, die die Regeln der Normalität aufheben, sich von alltäglichen Verrichtungen unterscheiden und dadurch ein Mehr an Aufmerksamkeit erheischen. Dieses über die Grenzen der Normalität und des Alltäglichen hinausgehende intensive Verhalten führt zu einer Sensibilisierung, die den alltäglichen Wahrnehmungshorizont aufbricht.“23

Die Einteilung der SuS auf die Instrumente sollte in der Praxis nicht den SuS oder dem Zufall überlassen werden. Sinnvoll ist es, die SuS an diejenigen Instrumente zu schicken, deren Stimme sie zuletzt im Live-Arrangement verkörpert haben. So haben sie die Melodie und/oder Rhythmus noch eher im Ohr und können die Klänge gegebenenfalls besser den Noten zuordnen, die sie in der Übungsphase an ihren präparierten Instrumenten vorfinden. Sollten sie keine Noten lesen können oder sehr schwach darin sein, empfiehlt es sich, auf andere Notationsformen als die traditionelle zurückzugreifen. Farbliche Kennzeichnungen auf dem Blatt und entsprechend auf dem Instrument (z.B. bunte Klebepunkte) können Hilfestellung geben, genauso wie Balkennotation anstatt Notenwerte, um die Tondauer zu verdeutlichen. Besonders für rhythmische Instrumente wäre auch eine Aufteilung in einzelne Patterns denkbar, die in Tabellenform dargestellt werden und ein übersichtliches Ablaufschema, das aufzeigt, wann welches Pattern gespielt werden soll.24 Diese Schreibweise ist in aller Regel auch ohne versierte Notenkenntnisse entzifferbar. So oder so sollten die Notationen groß und gut erkennbar, selbsterklärend und nicht zu komplex sein. Ein DIN A4-Blatt im Querformat ist möglicherweise ebenso anschaulich wie nur die Einzelstimmen abzudrucken anstatt der Partitur, um die SuS nicht unnötig zu verwirren. Andererseits könnte eine Partitur das „vertikale Hören“ („Wann spiele ich mit wem zusammen?“) visuell unterstützen und die SuS können während des Wartens die anderen Stimmen mitverfolgen.25 Auf welche Variante nun zurückgegriffen wird, muss wohl im Einzelfall entschieden werden. Um den SuS einen größeren Überblick zu verschaffen und das Spielen zu erleichtern, könnten unbenutzte Töne nach Möglichkeit entfernt werden (z.B. beim Xylophon).

[...]


1 Vgl. Khittl (2011), S. 130ff.

2 Der Autor bemüht sich, gendergerechte Sprache anzuwenden. Sollte das mal nicht der Fall sein, dient das fast ausschließlich der besseren Lesbarkeit und soll niemanden diskriminieren; Natürlich sind auch alle weiblichen und diversen Reisenden, Musikantinnen, Schülerinnen und Lehrerinnen mitgemeint.

3 Pabst-Krueger (2013), S. 158.

4 Ebd., S. 159.

5 Ebd.

6 Ebd.

7 vgl. Bähr (2009), S. 160.

8 Vgl. Bähr (2009), S. 164.

9 Pabst-Krueger (2013), S. 160.

10 Ebd., S. 166.

11 Bähr (2009), S. 159.

12 Vgl. Bildungsplan BW (2016), S. 5.

13 Vgl. Anhang 1

14 Im Folgenden mit „LP“ abgekürzt.

15 Im Folgenden mit „SuS“ abgekürzt.

16 Siehe Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=buAzVkcH4YI [zuletzt aufgerufen am 18.02.2020]

17 Terhag (2009), S. 167.

18 Vgl. ebd., S. 167ff.

19 Vgl. ebd.

20 Vgl. ebd., S. 169.

21 Vgl. Grohé/Jasper (2016), S. 160.

22 Vgl. Anhang 5.

23 Schneider (2017), S. 15.

24 Vgl. Frenzke/Hinz/Kruse (2010), S. 137.

25 Vgl. Grohé/Jasper (2016), S. 162.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Klassenmusizieren mit Grundschülern (Jahrgangsstufe 4 bis 6). Das Stück "Wayfaring Stranger"
Untertitel
Ein musikalisches Arrangement
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
37
Katalognummer
V1000208
ISBN (eBook)
9783346398642
ISBN (Buch)
9783346398659
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Musikdidaktik, Klassenmusizieren, Musikarrangement, Unterstufe
Arbeit zitieren
Tobias Heiß (Autor:in), 2020, Klassenmusizieren mit Grundschülern (Jahrgangsstufe 4 bis 6). Das Stück "Wayfaring Stranger", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1000208

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