Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Unterrichtsstörungen – Definition und Problemhorizont
2.1. Erscheinungsformen von Unterrichtsstörungen
2.2. Ursachen für Unterrichtstörungen
3. Präventionskonzepte im Schulalltag – Eine theoriebasierte Studie nach Christian Fesler
3.1. Aufbau und Fragestellung der Studie
3.2. Methodisches Vorgehen der Studie
3.3. Zentrale Ergebnisse der Studie
4. Classroom-Management – Begriffserklärung und theoretische Einordnung
5. Classroom-Management – Video-Recorderstudien nach Kounin
5.1. Aufbau und Fragestellung(en) der Studie(n)
5.2. Methodisches Vorgehen
5.3. Zentrale Ergebnisse der Studie
6. Konklusion der Studien bezogen auf das Präventionspotential von Classroom-Management hinsichtlich Störungen im Unterricht.
I. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Unterrichtsstörungen gehören zweifelsohne zum Schulalltag dazu und „rauben“ den Lehrkräften nicht nur wertvolle Unterrichtszeit, sondern auch viel Kraft und Energie. Es ist mittlerweile bekannt, dass viele Lehrer*innen aufgrund der häufigen Störungen einem hohen psychischen Druck und einer damit einhergehenden psychischen und emotionalen Überbelastung ausgesetzt sind (vgl. Balke, 2003, S. 30). Das Auftreten von Unterrichtsstörungen wird dabei seit jeher mit dem fehlerhaften Handeln des „frechen“, „schlechten“ und undisziplinierten Schülers erklärt (Winkel, 2011, S. 265). In den letzten Jahrzehnten findet jedoch ein Umdenken statt, das die Ursache von Unterrichtsstörungen nicht mehr nur beim Lernenden sucht, sondern sie als ein Problem in einem komplexen System identifiziert. So hat sich der schulpädagogische Konsens dahingehend entwickelt, die Betrachtung für Störungen im Unterricht unter anderem auf die Systeme Unterricht und Lehrkraft auszuweiten (vgl. Schäfer, 2012, S. 339). Schließlich sind es nicht nur Lehrkräfte, die unter den Unterbrechungen des Unterrichtes leiden, auch Schüler*innen müssen durch eine gestörte Klassenatmosphäre Einbußen beim Lernen hinnehmen (vgl. Balke, 2003, S. 28). Zudem rückt der Fokus weg von der Intervention und hin zur Prävention als sinnvolle Maßnahme zur Vermeidung von Störungen der Lernatmosphäre. Die Vorbeugung unerwünschter Situationen ist dabei in erster Linie von der Lehrkraft zu bewältigen und gestaltet sich als schwierige Aufgabe der Klassenführung. Mit dem Ziel, einen reibungslosen und störungsfreien Unterrichtsverlauf zu ermöglichen und damit die aktive Lernzeit zu steigern, entwickelt sich das so genannte Classroom-Management zum pädagogischen Trend: Durch Regeln, die Allgegenwertigkeit der Lehrkraft und einem angemessenen Umgang mit Unterrichtsstörungen, soll die Qualität des Unterrichtes fortan maximiert werden können (vgl. Helmke & Helmke, 2014).
In dieser Ausarbeitung gilt es zu überprüfen, in wie weit die Instrumente des Classroom-Managements als Präventionsmaßnahme zur Vermeidung von Unterrichtsstörungen fungieren können. Dabei wird unter Rücksichtnahme wissenschaftlicher Expertise sowohl das Classroom-Management, als auch das Thema Unterrichtsstörungen zunächst näher beleuchtet. In den einzelnen Kapiteln wird ergründet, was die Ursachen für Störungen des Unterrichtsverlaufes sein können und welche Ebenen dabei eine Rolle spielen. Mit Hilfe der Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien der Pädagogen Fesler und Kounin, wird das Potential des Classroom-Managements als Präventionsmaßnahme von Störungen untersucht. In einem Fazit wird abschließend die Frage beantwortet, inwiefern eine optimierte Klassenführung Unterrichtsstörungen entgegenwirken kann.
Eine formelle Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden ab sofort ausschließlich maskuline Formen (Lehrer, Schüler,…) verwendet. Dabei sind stets die femininen Entsprechungen mitzudenken.
2. Unterrichtsstörungen – Definition und Problemhorizont
Um den Lesern ein einheitliches Verständnis der verwendeten Begrifflichkeiten zu gewähren, gilt es zunächst einen festgelegten Konsens als Grundlage zu schaffen. Daher wird zuerst der Terminus Unterrichtsstörung definiert. Rainer Winkel hat sich dieser Aufgabe angenommen und formuliert eine mögliche Definition wie folgt.
Eine Unterrichtsstörung liegt dann vor, wenn der Unterricht gestört ist, d.h. wenn das Lehren und Lernen stockt, aufhört, pervertiert, unerträglich oder inhuman wird (Winkel, 2011, S. 29).
Das Hauptcharakteristikum besagt demzufolge, dass durch bestimmte Ereignisse eine Fortsetzung des Unterrichtes nicht oder nur bedingt möglich ist. Es fällt auf, dass Winkel die Ursache nicht bei bestimmten Protagonisten, wie dem Lehrer oder dem Schüler sucht, sondern das Problem allgemein formuliert. Somit hebt er sich vom pädagogischen Grundverständnis ab, das Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschte. Störungen des Unterrichtes waren zu dieser Zeit auf „Disziplinschwierigkeiten“, oder „Disziplinlosigkeit“ der Schüler zurückzuführen (vgl. ebd., S. 26). Wie mit disziplinarischen Mängeln umgegangen wurde, hing mehr von der Führung und Strenge der Lehrkraft ab, als von den methodischen und didaktischen Entscheidungen. Winkels Plädoyer, Ursachen von Unterrichtsstörungen nicht ausschließlich auf der Schülerseite zu suchen, trifft inzwischen auf Zustimmung. So bekräftigt Hans-Peter Nolting diese Ansicht, in dem er erklärt, dass Störungen ebenso die Folge eines defizitären Lehrerhandelns sein können (vgl. Nolting, 2002, S. 14). Da Unterrichtsstörungen folglich keiner Partei axiomatisch zugeschrieben werden können, erachtet Nolting folgenden Zusatz als sinnvoll. Eine Unterrichtsstörung kann vor allem als „Konflikt“ unterschiedlicher Interessen und Ansichten, bzw. „als das Aufeinandertreffen unvereinbarer Wünsche und Verhaltenstendenzen […] innerhalb eines Menschen oder zwischen verschiedenen Menschen“ betrachtet werden (ebd., S. 14). Mit dieser Erklärung geht einher, dass Unterrichtsstörungen nicht ausschließlich durch aktive Handlungen entstehen müssen. Darunter fallen z.B. das laute Sprechen mit den Sitznachbarn oder das Hereinrufen in den Unterricht. Ebenso kann eine zurückhaltende (passive) Unterrichtsbeteiligung aller Kinder den Unterricht beinträchtigen: Wenn die klasseninterne Normvorstellung die aktive Mitarbeit im Unterricht als Strebertum bewertet, wird ein Großteil der Klasse zurückhaltend agieren (vgl. Lohmann, 2015, S. 13). In diesem Fall ist die Störung als ein Konflikt unterschiedlicher Ansichten zu betrachten, die ein erfolg- und vor allem lernreiches Unterrichten unmöglich macht. Die Erkenntnis dieses Kapitels lautet also, dass Unterrichtsstörungen nicht bloß das unerlaubte Essen im Unterricht, oder das Hereinrufen in die Klasse bedeuten (auch wenn dies meist der ersten Assoziation entspricht). Ebenso kann die Fortsetzung des Unterrichtes durch passive Handlungen, wie unterschiedlicher Schüler- und Lehreransichten behindert werden. Es fällt auf, dass Unterrichtskonflikte sehr facettenreich in Form und zugrunde liegender Ursache sind. Folglich erweist sich eine nähere Auseinandersetzung mit diesen beiden Parametern als sinnvoll. Zunächst gilt es den Fokus auf unterschiedliche Erscheinungsformen zu richten, um Unterrichtsstörungen besser verstehen zu können.
2.1. Erscheinungsformen von Unterrichtsstörungen
Wie schon bei der Definition von Unterrichtsstörungen vorgekommen, vertreten einige Pädagogen unterschiedliche Ansichten, was die Erscheinungsformen anbelangt. Lohmann betrachtet die unterschiedlichen Störungen aus der Lehrerperspektive und nimmt damit eine einseitige Analyseposition ein. Folglich bezieht er sich bei der Kategorisierung ausschließlich auf Erscheinungsformen, die durch das Schülerverhalten hervorgerufen werden. Die vier Kategorien nach Lohmann lassen sich in „verbales Störverhalten“, „mangelnder Lerneifer“, „motorische Unruhe“ und „aggressives Verhalten“ unterteilen (vgl. Lohmann, 2015, S. 14). Diese Betrachtung scheint aus der Lehrerperspektive sinnvoll gewählt. Objektiv gesehen, betrachtet sie allerdings nur eine Ursachenquelle der Störungen. Winkel betrachtet die unterschiedlichen Formen aus einer mehrperspektivischen und damit fundamentaleren Sicht. So bezieht er beispielsweise auch externe Faktoren, wie den Außenbereich des Unterrichts, in seine Definition mit ein. Für diese Ausarbeitung scheint die Verwendung von Winkels Interpretation sinnvoller zu sein. Schließlich soll diese Arbeit die Fragestellung beantworten, inwiefern sich Unterrichtsstörungen jedweder Form durch Classroom-Management vorbeugen lassen. Winkel bezieht in seine Unterteilung sieben Erscheinungsformen mit ein, die ihren Ursprung sowohl auf personaler, unterrichtlicher, als auch externer Ebene (außerhalb des Unterrichts) finden (vgl. Winkel, 2011, S. 97).
Zunächst benennt er Konflikte, die als Disziplinstörungen in Erscheinung treten. Hierzu zählen beispielsweise der Verstoß gegen die Klassenregeln durch unerlaubte Zwischenrufe, oder das Betreten der Sportrasenfläche, obwohl ein Verbotsschild dies ausdrücklich untersagt. Winkel erklärt, dass disziplinbedingte Störungen meist fahrlässig und unbewusst begangen werden und ihre Ursache in dem „emanzipatorischen Bestreben junger Menschen“ liegt (Winkel, 2011, S. 99). Auf eine andere Art werden Störungen sichtbar, die durch Provokationen und Aggressionen ausgelöst werden. Hierbei wird der Unterricht durch einen Schüler bewusst unterbrochen, wohlwissend damit gegen Regeln zu verstoßen. Meist liegt dabei eine intrinsische Motivation vor, die Aufmerksamkeit der Klasse auf sich ziehen zu wollen (vgl. ebd., S.100). Die dritte Erscheinungsform bezieht sich nach Winkel auf akustische oder visuelle Dauerstörungen sowie auf allgemeine Unruhe und Konzentrationsprobleme. Vorfälle aus dieser Kategorie können das „Tuscheln“ und „ewige Schwatzen“ darstellen (Winkel, 2011, S. 101). Diese Form entspricht unter anderem der motorischen Unruhe und dem mangelnden Lerneifer nach Lohmann (Lohmann, 2015, S. 14). Wie im folgenden Kapitel genauer analysiert wird, liegt die Ursache allerdings vor allem in der didaktischen und methodischen Unterrichtsvorbereitung des Lehrers. Wie eingangs erwähnt, treten Unterrichtsstörungen allerdings nicht nur auf personaler oder unterrichtlicher Ebene auf, sondern können auch durch außerunterrichtliche Ereignisse bedingt sein. Darunter fallen Störungen, ausgelöst durch Aktivitäten auf dem Schulflur, auf dem Pausenhof oder bedingt durch die anliegende Verkehrsstraße (vgl. Winkel, 2011, S. 105). All die auftretenden Geräusche können das Unterrichten unmöglich machen. Des Weiteren machen Passivität und Lernverweigerung nach Winkel eine weitere Erscheinungsform aus, die sich z.B. durch fehlendes Mitarbeiten bemerkbar macht (vgl. Winkel, 2011, S. 105). Aus unterschiedlichen Gründen verweigert die Klasse die Unterrichtsbeteiligung, wodurch der Interaktionsprozess beträchtlich gestört wird. Ein Untergespräch zwischen Lehrer und Schüler, bzw. der Austausch zwischen Schülern und Schülern wird somit unterbunden, was die Planung der Lehrkraft zunichte machen kann. Dies kann sich ebenfalls in Form von Desmotivation bemerkbar machen, was nach Winkel die sechste Erscheinungsform ausmacht. Hier lassen sich erneut Parallelen zu dem Konzept nach Lohmann feststellen. Dieser bezeichnet die Störungsform als „mangelnden Lerneifer“, ausgelöst durch Desinteresse, geistige Abwesenheit und Unaufmerksamkeit (Lohmann, 2015, S. 14). Die letzte Erscheinungsform, die Störungen im Unterrichtsalltag annehmen können, sind neurotisch bedingte Störungen. Diese Kategorie kann dem Lehrer auf unterschiedlicher Weise begegnen und verlangt eine anschließende Auseinandersetzung mit der Ursache. Tics, „Nägelknabbern“, Erschöpfungssyndrome, Vandalismus, Appetitmangel, Einnässen und wiederkehrende Schmerzen sind nur einige Symptome, die im Zuge neurotischer Störungen auftreten können (vgl. Winkel, 2011, S. 106). Cathrin Rattay spricht bei oben genannten Beobachtungen von Indikatoren, die auf eine Verhaltensstörung der Schüler hindeuten können (vgl. Rattay, Schneider, Wensing, & Wilkes, 2018, S. 72). Um die mögliche Ursache zu ergründen, sollte in jedem Fall ein Fachmann konsultiert werden. Neurotische Störungen können nämlich unter anderem eine Folge manifestierter Ängste und Traumatisierungen sein (vgl. ebd., S. 72). Die Komplexität dieses Themas wird bei der Vielzahl der Erscheinungsformen deutlich. Alle Störungsarten haben gemein, dass die Qualität des Lernens und Lehrens beträchtlich vermindert werden kann. Zudem ist deutlich geworden, dass sich Unterrichtsstörungen nicht nur in Form klassischer Regelverstöße bemerkbar machen, sondern ursachenspezifisch in der Symptomatik variieren können. In diesem Kapitel liegt der Fokus besonders auf den Erscheinungsformen, im Folgenden sollen die auslösenden Ursachen ergründet werden.
2.2. Ursachen für Unterrichtstörungen
Die Meinung über mögliche Ursachen für Unterrichtsstörungen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Dies ist besonders der gestiegenen Aufmerksamkeit für schulpädagogische Angelegenheiten zuzuschreiben. Winkel beschreibt die weitläufige Meinung der Lehrkräfte bezüglich Störungen des Unterrichtes vor der Jahrtausendwende wie folgt: Unterrichtsstörungen galten zweifellos als Ergebnis mangelnder Schülerdisziplin. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass es der Lehrkraft an Durchsetzungsvermögen und Autorität mangelte (vgl. Winkel, 2011, S. 26). In den folgenden Jahren hat sich der Trend weg von Disziplin- und hin zu Verhaltensstörungen als Ursachenzuschreibung entwickelt. Der damit einhergehende Vorteil liegt nach Winkel darin, dass „Lehrer nicht länger schuldig [sind]“ und die Verantwortung für Unterrichtsstörungen gänzlich an die Schüler abgeben werden kann (Winkel, 2011, S. 28). Diese „Pathologisierung störenden Schülerverhaltens“ spricht den Lehrer als Verursacher frei und gibt die Verantwortung an andere Akteure weiter (Lohmann, 2015, S. 16). Therapeuten sollen in letzter Instanz den Defekt auf der Verhaltensebene der Schüler beheben (vgl. ebd., S. 16). Nachdem diese umstrittene Ansicht zunehmend in den Fokus von Bildungsforschern und Pädagogen gerückt ist, hat sich in den letzten Jahren ein neues Meinungsbild etabliert. So sind nicht mehr nur die Schüler für Unterrichtskonflikte verantwortlich, sondern auch die Schule als Institution und zuletzt die Lehrer, betreffend ihre pädagogischen Entscheidungen (vgl. Lohmann, 2015, S. 16). Die institutionelle Ebene mag auf Grund ihrer Rahmenvorgaben einen Einfluss auf Unterrichtsstörungen haben, allerdings liegt nach Lohmann keine ausreichende Korrelation vor (vgl. ebd., S.17). Demzufolge wird in dieser Arbeit ausschließlich die Schüler- und Lehrerebene betrachtet.
Entgegen der Chronologie der verwendeten Literatur, wird zunächst die Ursache von Unterrichtsstörungen auf der Ebene des Lehrerverhaltens analysiert. Inwiefern das Lehrerverhalten störend auf Schüler wirkt bzw. Unterrichtsstörungen begünstigen kann, können Schüler selbst treffend beantworten. Aus diesem Grund führen die Autoren Scherzinger, Wettstein und Wyler eine repräsentative Interviewstudie durch, in der Schüler nach den Ursachen für Unterrichtsstörungen befragt werden (vgl. Wettstein, Scherzinger, Berger, Schubarth, & Wachs, 2019). Als gravierendstes Problem wird mangelndes Vertrauen und fehlender gegenseitiger Respekt genannt (vgl. ebd., S. 39). Diese Erkenntnis deckt sich mit den Merkmalen Lohmanns. Demzufolge setzen Lehrkräfte häufiger auf sanktionierende, als auf integrative Maßnahmen (vgl. Lohmann, 2015, S. 24). Schüler wünschen sich einen einfühlsameren Umgang von Seiten der Lehrer, was gleichzeitig eine Verbesserung des Klassenklimas bewirken würde. Die Lernatmosphäre sei oft angespannt und aggressiv, was die Motivation der Schüler senke (vgl. ebd., S. 23). Weitere wesentliche Ursachen für Unterrichtsstörungen sind aus Schülersicht die „schlechte Unterrichtvorbereitung, uninteressante Themen, wenig Abwechslung, oder unklare Aufträge“ (Wettstein, Scherzinger, Berger, Schubarth, & Wachs, 2019, S. 39). Diese Antworten spiegeln die Merkmale guten Unterrichts nach Hilbert Meyer (2013) wider, der herausgefunden hat, dass eine klare Strukturierung des Unterrichts sowie eine methodische Vielfalt einen störungsfreien Unterricht begünstigen können. Viele Lehrkräfte scheinen der Studie zufolge ihre Stunden didaktisch und methodisch nicht ansprechend genug zu gestalten. Besonders häufig klagen Schüler über eine Unterforderung durch die Unterrichtsinhalte (vgl. Wettstein, Scherzinger, Berger, Schubarth, & Wachs, 2019, S. 39). Die logische Konsequenz ist ein Verlust der Aufmerksamkeit und das erhöhte Potential, sich von Unterrichtsstörungen mitreißen zu lassen. Zuletzt geben die Kinder an, dass sie unzufrieden mit der Klassenführung der Lehrer sind. So sei der Unterricht nicht flüssig genug, die Lehrkräfte würden zu unflexibel und zu streng agieren, und zuletzt haben sie keine Übersicht über das Unterrichtsgeschehen (vgl. ebd., S. 39). Diese Antworten spiegeln die Ursachen für Unterrichtsstörungen aus der Sicht der Schüler wider. Besonders auffallend ist, dass die Erklärungsansätze größtenteils deckungsgleich mit den Ansichten namhafter Pädagogen, wie Lohmann oder Hilbert Meyer sind. Demzufolge lässt sich als Zwischenfazit festhalten, dass eine Verbesserung dieser Bereiche die Abnahme von Unterrichtsstörungen zu Folge haben könnte.
Allerdings gilt es nicht nur die Ursachen für Unterrichtskonflikte aus Schülersicht zu betrachten, sondern auch die Perspektive der Lehrer zu beleuchten. Die Interviewstudie liefert Erklärungsansätze, die größtenteils deckungsgleich mit den Ansätzen von Winkel sind. So sehen Lehrer die häufigsten Ursachen im „Schwatzen, [der] Lautstärke im Klassenzimmer und [der] motorische[n] Unruhe einzelner Kinder“ (Wettstein, Scherzinger, Berger, Schubarth, & Wachs, 2019, S. 37). Winkel bezieht sich in seinem Punkt „Akustische oder visuelle Dauerstörungen sowie allgemeine Unruhe“ ebenfalls auf diese Aspekte. Auffallend ist zudem, dass die „Ursachen“ eher Erscheinungsformen, als Gründe für Störungen ansprechen. Demnach neigen die befragten Lehrer möglicherweise dazu, Symptomatik und Ursache zu verwechseln. Winkel geht indessen auch auf mögliche Gründe ein. Schüler beteiligen sich demnach häufig nicht am Unterricht oder tendieren zu störendem Verhalten, was auf ein Desinteresse und mangelnde Motivation zurückgeführt werden kann (vgl. Winkel, 2011, S. 98). Ferner sei der Schulalltag oft angstbesetzt und das Klassenklima lade nicht zum Lernen ein (vgl. ebd., S. 98). Bis hierhin deuten die Ursachen auf Variablen hin, die durch entsprechende Strategien korrigierbar sein dürften. Zuletzt darf jedoch der familiäre Aspekt nicht außer Acht gelassen werden. So sind die Gründe folglich nicht nur im unterrichtlichen Geschehen zu suchen, sondern auch im außerunterrichtlichen Bereich. In dem umfangreichen Handbuch „Wege zur Lösung von Unterrichtsstörungen“, erklärt Christa D. Schäfer welchen Einfluss das familiäre Umfeld auf das Schülerverhalten im Unterricht haben kann. So begünstigen eine falsche Erwartungshaltung, Druckausübungen der Erziehungsberechtigten oder häusliche Gewalt die Störungsbereitschaft der Kinder (vgl. Schäfer, 2012, S. 16). Diese Ursache ist deutlich schwerer zu verändern, als im Unterricht angesiedelte Konfliktpotentiale. Sowohl die Ursachen aus Schülersicht, als auch einige der Gründe für Unterrichtsstörungen aus der Lehrerperspektive erlauben die Formulierung eines Lösungsansatzes zur Verbesserung der Situation. Wäre es – sofern familiäre und außerunterrichtliche Gründe einmal außer Acht gelassen werden – nicht möglich, mit Hilfe präventiver Maßnahmen eine Lernumgebung zu schaffen, die obige Probleme behebt? Schließlich beziehen sich die Hauptargumente auf das Unterrichtsklima, die Unterrichtsführung und das unterrichtliche Gefüge im Allgemeinen. Diese Parameter sollten durch entsprechende, vorausschauende Maßnahmen zu verbessern sein. Den Wahrheitsgehalt dieser These gilt es im folgenden Kapitel zu überprüfen.
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