Die Anwendbarkeit des Person-In-Environment-Systems in der klinischen Sozialarbeit

Sind Klassifikationen sinnvoll?


Diploma Thesis, 2002

76 Pages, Grade: 2


Excerpt


Gliederung

1. Einleitung

2. Klassifikation in der sozialen Arbeit

3. Klassifikationen in der Psychiatrie
3.1. Verwendungsgrund für Klassifikationen
3.2. Gefahren von Klassifikationen unter dem Schwerpunkt von psychiatrischen Diagnosen
3.3. Umgang mit Klassifikationen
3.3.1. Aus der Sicht der KlientInnen
3.3.2. Aus der Sicht der TherapeutInnen
3.3.2.1. Umgang durch empathisches Vermitteln
3.3.2.2. Umgang durch Kompetenzwissen
3.4. Resümee für die klinische Sozialarbeit

4. Person-In-Environment System (PIE)- Ein Diagnose- und Klassifikationssystem sozialer Arbeit
4.1. Ursprung, Geschichte und Motivation des PIE
4.2. Vorstellung des PIE
4.2.1. Faktor 1
4.2.2. Faktor 2
4.2.3. Faktor 3 und 4

5. Exkurs: Fallbeispiel zur Kodierung nach dem PIE

6. Überlegungen zur Anwendbarkeit des PIE im deutschsprachigen Raum
6.1. Praktikable Notwendigkeit von sozialen Klassifikationen
6.2. Die Bedeutung der sozialen Rollen (PIE-Faktor 1) für die soziale Arbeit
6.3. Coping-Fähigkeiten der KlientInnen
6.4. Sozialer Grundversorgungsaspekt
6.5. Problemorientierter Aspekt
6.6. Ressourcenorientierter Aspekt
6.6.1. Soziale Netzwerke
6.6.2. Empowermentperspektive
6.6.3. Sozioökologischer oder sozialräumlicher Aspekt
6.7. Zusammenfassung und Zwischenergebnis

7. Ergänzung zur Anwendbarkeit des PIE im deutschsprachigem Raum
7.1. Verstärkte Aufnahme des Ressourcen-Aspektes
7.2. Veranschaulichendes Fallbeispiel

8. Positive und negative Anmerkungen zum PIE und Endergebnis zur Anwendbarkeit

9. Fazit

Literaturliste

1. Einleitung

Mit dieser Diplomarbeit soll die Anwendbarkeit des Person-In-Environment System (PIE) in der klinischen Sozialarbeit (KS) im deutschsprachigen Raum untersucht werden. PIE ist ein amerikanisches Klassifikationssystem[1] für soziale Probleme in der Methode des Case Management[2] (vgl. Adler 1998(b), S.190). Es fügt sich in den Bereich der Situationsanalyse[3] sozialer Arbeit ein (vgl. Stimmer 2000, S.117-122).

Mit KS ist das Aufgabenfeld gemeint, das sich mit KlientInnen jeden Alters beschäftigt, die unter psychischen und physischen Krankheiten, Beeinträchtigungen oder abweichendem Verhalten leiden (vgl. Stimmer 2000(b), S.391-392). Darunter zählen im psychiatrischen Aufgabenfeld z.B. psychische Störungen und Fehlanpassungen, Neurosen, Psychosen, Suchtkrankheiten (vgl. Feinbier 1997, S.23), die in dieser Arbeit durch entsprechende Fallbeispiele besonderer Beachtung zukommen wird. KS soll sich jedoch nicht auf ein stationäres (Psychiatrische Klinik z.B.) oder ambulantes (Sozialpsychiatrische Beratungsstellen z.B.) Tätigkeitsfeld reduziert sehen, sondern auf andere beratende und therapeutische Einrichtungen bzw. ambulante Stellen verweisen, wo solch abweichendes Verhalten ihres Klientels ebenfalls auftritt. Darunter fallen z.B. Therapie- und Rehabilitationseinrichtungen, Suchtkrankenhilfe, Krankenhaussozialarbeit, Familientherapie, Beratung- und Therapie in der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Wendt 2000(a), S.392). In diesem Zusammenhang ist außerdem hinzuzufügen, daß KS sich nicht durch ein bestimmtes Verfahren, als eigenständige Methode oder als ein abgrenzbares Handlungsfeld von der allgemeinen Sozialarbeit abhebt. Vielmehr tritt sie durch die speziell ausgerichtete Aufgabenstellung und den daran gebundenen Kompetenzen als Fachdisziplin hervor (vgl. Wendt 2000(b), [ONLINE]).

Der begleitende Gedanke meines Studiums findet seinen Abschluß in dieser Diplomarbeit wie folgt: Sozialarbeit soll für mich unabhängiger von anderen Berufsdisziplinen und deren Theorien werden. Das bedeutet zum einen, daß ich dies momentan so sehe, zum anderen der daraus folgende Schritt vollzogen werden muß, daß soziale Arbeit Eigenständigkeit und eine Stärkung der eigene Theorie erfährt. Gleichwohl schließt Sozialarbeit andere Berufsgruppen (z.B. Mediziner, Psychologen) für Teamarbeit nicht aus. Diese sind durch eine Fülle an Problemen am Klientel notwendig, um eine umfassende Lösung zu erzielen. Vielmehr stellt sich mir die Frage, was die einzelnen SozialarbeiterInnen, auf unterschiedlichen Aufgabenfeldern tätig, untereinander verbindet, wenn sie mit dem sozialarbeiterischen Hilfeprozeß anfangen. Haben dabei Streetworker mit den SozialarbeiterInnen in der Altenhilfe, im Betrieb oder Bewährungshilfe etwas gemeinsam? Sind sie an ähnlichen Problemen ihres Klientels interessiert? Diese Fragen richten sich an die Situationsanalyse sozialer Arbeit. Dort sollte sie nicht nur auf fremden Erkenntnissen anderer Berufsdisziplinen, wie z.B. psychologische und medizinische, fußen. Dafür ist insbesondere die KS ein Beispiel, wobei in diesem Aufgabengebiet mehr die medizinische Berufsgruppe als beeinflussender Faktor in den Vordergrund tritt. Medizinische Klassifikationen dominieren die KS in ihrer Situationsanalyse, die KlientInnen in einer bestimmten Form, nämlich krankheitsorientierten und somit defizitorientierten Sichtweise, zu sehen. Das Erkennen von Ressourcen im Klientel ist dagegen ein hervortretendes Schlagwort, das sich moderner Sozialarbeit bedient und als Gegenpol zu jener Betrachtungsweise auftritt (vgl. Wendt 1990, S.35). Dadurch wird die KS an dieser Stelle positioniert, das sich als Schritt in der Praxis jedoch nicht so einfach erweist. Deshalb stellt die KS für die Diplomarbeit eine Herausforderung dar, dabei zu helfen. Zum anderen ist die KS durch meine Berufstätigkeit im psychiatrischen Umfeld mir vertraut geworden und beschäftigte mich daher weiter in meinem Studium.

So stellte sich mir die Frage, sich einerseits eine Eigenständigkeit zuzulegen und andererseits sich nicht von jener medizinischen Sichtweisen in der KS bestimmen zu lassen. Diese Möglichkeit könnte vielleicht das PIE als soziales Klassifikationssystem bieten, da sie eine eigene Position, soziale Probleme in sozialarbeitsspezifischen Zusammenhängen zu erkennen, gefunden hat. Ob dies jedoch erfüllt und in den deutschsprachigem Raum transportiert bzw. angewandt werden kann, soll in dieser Diplomarbeit untersucht werden. In diesem Zuge bekommen für den deutschsprachigem Raum anerkannte Autoren aus der sozialen Arbeit Gehör. Unter einem daraus erstellten und zusammengetragenen „Anforderungskatalog für Situationsanalysen“ soll dies vollständig passieren. Er umfaßt aus meiner Sicht alle wichtigen Fragestellungen, die bei der Durchführung einer Situationsanalyse als wichtig gelten.

Mit dieser Arbeit soll gleichzeitig erkennbar werden, daß es nicht gilt, die defizitorientierte medizinische Klassifikation durch eine neue zu ersetzen, sondern daß sich die soziale von der medizinische Klassifikation zu unterscheiden hat. So soll kritischen Fragen, was denn überhaupt Sozialarbeit mit Klassifikation zutun haben könnte, begegnet und eine soziale Klassifikation unter einem für die soziale Arbeit notwendigem Licht gesehen werden. An dieser Stelle sollte sich die Überschriftsfrage klären, ob (soziale) Klassifikation für die Sozialarbeit sinnvoll ist.

Die Vorgehensweise dieser Diplomarbeit wird sein, daß einleitend eine Vertiefung zum Thema Klassifikationen in der sozialen Arbeit stattfindet. Unter Kapitel 2. soll dann, wie oben bereits beschrieben, geklärt werden, ob soziale Klassifikationen für sie generell sinnvoll ist.

In Kapitel 3. folgen die positiven wie auch negativen Erfahrungen der medizinischen Diagnosenstellung bzw. Klassifikationen mit Schwerpunkt Psychiatrie. Von ihnen soll profitiert und ein abschließendes Resümee bzw. Rückschlüsse für die KS gezogen werden. In diesem sollen die Ergebnisse des Kapitels 2. belegt oder widerlegt werden.

Unter Kapitel 4 wird das PIE vorgestellt. In Kapitel 5 folgt ein Fallbeispiel, das die praktische Handhabung des PIE`s verdeutlicht.

Kapitel 6. geht schließlich auf die schon angesprochene Anwendbarkeit und den damit verbundenen Anforderungskatalog für Situationsanalysen ein. Er beginnt mit der Untersuchung, ob das PIE überhaupt praktikabel ist (Kap. 6.1.). Im weiteren beschäftigt sich das PIE mit den sozialen Funktionen und den sozialen Rollen, die ihre KlientInnen einnehmen. Im PIE schlägt sich dies im Faktor 1 nieder (siehe dazu Kap. 4.2.1.). Was unter dem Begriff der sozialen Rollen im deutschsprachigem Raum konkret verstanden wird und in welcher Form dies im Faktor 1 auffindbar ist, soll dort eingehender behandelt werden (Kap. 6.2.). In Verbindung mit den sozialen Rollen treten die Bewältigungshandlungen der KlientInnen in Erscheinung, die ihnen helfen sollen, aus ihrer unmittelbaren sozialen Notlage, schwierigen Lebenslage etc. herauszukommen (Kap. 6.3.). Die soziale Grundsicherung, die für KlientInnen sozialer Arbeit als notwendig gilt, stellt eins der Hauptaugenmerke dar und folgt anschließend Kap. 6.4.). Wenn z.B. Mangel an der Grundsicherung vorherrscht, ruft das zu schneller sozialarbeiterischer Intervention auf. Er könnte sozusagen als eine soziale Notfallsituation umschreiben werden. Deshalb ist gerade dieser Notstand bei situationsanalytischer Betrachtung schnell abzuklären und zu beheben.

Der große Aspekt, das soziale Problem, aktiviert erst soziale Arbeit. Deshalb wird es im Umfang der Situationsanalyse zu einem Hauptthema gemacht (Kapitel 6.5.). Aber nicht nur die Erhebung der Probleme, sondern auch die der Ressourcen des Klientels werden, wie oben bereits angedeutet, in der sozialen Arbeit empfohlen (Kap. 6.6.). Die Konkretisierung des Begriffes der Ressourcen unter Hinzuziehen wichtiger Autoren soll an dieser Stelle vollzogen werden. Jene Konkretisierung soll sich in der Überprüfung der Netzwerke der KlientInnen (Kap. 6.6.1.), das Empowerment derselben (Kap. 6.6.2.) und die Betrachtung des sozioökologischen Raumes (Kap. 6.6.3.), in denen sich die KlientInnen befinden, widerspiegeln.

Insgesamt wird dabei so vorgegangen, daß eine bestimmte Abfolge in den Kapiteln bzw. Unterkapiteln durchgeführt wird, die den Überblick für den Leser erleichtern soll: im deutschsprachigem Raum gültige Erkenntnisse bzw. Sichtweise (a), PIE-Sichtweise (b) und anschließende(r) Bewertung bzw. Vergleich (c).

Eine abschleißende Zusammenfassung soll die Ergebnisses des gesamten Kapitels 6. bündeln (Kap. 6.7).

Unter Kapitel 7. erfolgt eine Ergänzung, die im Laufe der Diplomarbeit sich als notwendig erweist. In diesem Rahmen werden die PIE-Tabellen des PIE-Manual ins deutsche übersetzt (Kap. 7.1.). Ein Fallbeispiel des Kapitels 7.2. soll die Ergänzungsbedürftigkeit erhellen.

Am Schluß der Auseinandersetzungen werden die konkreten Stimmen zur Sprache kommen, die sich schon mit dem PIE auseinandergesetzt und positive bzw. negative Anmerkungen zum PIE abgegeben haben. Das Endergebnis sowie die Zusammenfassung aller Inhalte der Diplomarbeit fallen ebenfalls darunter (Kap. 8.).

Das Fazit soll die mögliche Zukunft des PIE und der Anfangsdiskussion, ob Klassifikationen für die klinische Sozialarbeit für mich persönlich als sinnvoll gelten, Stellung beziehen können (Kapitel 9.).

Diese Diplomarbeit grenzt sich allerdings vom folgenden Anspruch ab: Mit dieser Arbeit wird dem Leser kein ausführlicher „Einführungskurs“ über das PIE gegeben. Das Grundverständnis wird vorausgesetzt. An dieser Stelle sei der Leser auf eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Originallektüre (Karls 1994(a) und (b)) und/ oder den amerikanischen Einführungskursen verwiesen. Eine vollständige deutsche Übersetzung ist bisher nicht vorhanden. Eine deutsche Übersetzung der Anwendungstabellen, welche von Karls und Wandrei als Mini-PIE bezeichnet und in Kapitel 7.1 aufgenommen werden, dient zur besseren Veranschaulichung. Außerdem wird eine kurze Vorstellung des PIE unter Kapitel 4 vorgenommen. Falls keine Vorkenntnisse bestehen, sollte von daher mit diesem Kapitel begonnen werden.

2. Klassifikation in der sozialen Arbeit

Soziale Klassifikationen gliedern sich von ihrem Selbstverständnis in den Bereich der Situationsanalysen ein (vgl. Stimmer 2000, S.117-122). Mit ihnen sind all jene Prozesse umschrieben, die Einblick in einen Jetzt-Zustand (zur Zeit der Erhebung) des Klientels gewährleisten. Anamestisches Wissen ist hier wichtig, um auf ähnliche vorangegangenen Probleme sowie Ressourcen des Klientels aufmerksam zu werden (Stimmer 2000(a), S. 113). Autoren, wie B. Müller z.B., verbleiben eher bei einer medizinischen Begriffsumschreibung und formulieren die Situationsanalyse herkömmlicherweise mit Diagnose[4]. Er definiert den Prozeß der Diagnose allerdings wiederum fließend und hebt sich somit von der medizinischen Definition, Sichtweise und Struktur im Umgang einzelner Teilschritte (Anamnese, Diagnose, Klassifikation, und anschließend Intervention bzw. Behandlung) ab. Durch das Stellen der ersten situationsanalytischen Frage (Wer hat welches Problem?) bis zur letzten Frage (Wer hat welches Problem mit was, wer sollte intervenieren und wer bzw. was sollte noch hinzugezogen werden?) (vgl. Müller 1994, S.89-106) geht er automatisch schon in die sozialarbeiterische Intervention (bzw. Behandlung) über. Dies sieht J. Bango ähnlich: Eine Trennung von Problem und dessen Lösung durch die Intervention geschehe lediglich nur aus methodischen Gründen (vgl. Bango 2001, S.148-149).

Gerade in der Fachdisziplin der klinischer Sozialarbeit wird deutlich, wie sehr sie selbst von anderen Disziplinen (z.B. Medizin, Psychologie, Recht) im stationären und ambulanten Aufgabenfeld abhängig ist (Claussen 1997, S.108-111). Allzu schnell wird der vorherrschende defizitorientierte Krankheitsbegriff der Medizin übernommen und unter dieser Sichtweise versucht zu helfen. Abgesehen von „Konkurrenzgerangel“[5] wird dabei erkennbar, daß soziale Arbeit hier zu einem eigenen Selbstverständnis verpflichtet oder zumindest ermutigt sei, sich jener Dependenz zu erwehren (vgl. Klüsche 1999, S.58), selbst wenn das Setting der klinischen Sozialarbeit nicht auf den ersten Blick in ihrer Umgebung zu dieser Unabhängigkeit verhilft. Dies fordert schon die Entwicklung der Sozialarbeit der letzten Jahre, die individuelle Situation einzelner KlientInnen multiperspektivisch zu betrachten. Sie finden sich schließlich nicht nur mit Problemen, sondern auch mit Ressourcen in der Beratung ein (vgl. Wendt 1990, S.35).

Bereits im Studium widmen sich die angehenden SozialarbeiterInnen vielen Thematiken anderer Berufsdisziplinen. Sie werden oftmals sich selbst überlassen, aus der Fülle anderer Theorien sich eine eigene Theorie der Sozialarbeit zu bilden. Lüssi beschreibt diesen Zustand noch deutlicher, indem er jegliche Theorien anderer Disziplinen, mit denen man im Studium konfrontiert wird, nicht als hilfreich zur eigenen Theoriebildung der Sozialarbeit sieht. Allenfalls „blähen“ sie die angehenden SozialarbeiterInnen in ihrem Selbstverständnis nur auf, verhelfen jedoch nicht zu einem eigenem Selbstbewußtsein im späteren Berufsstand (vgl. Lüssi 1992, S.38-41). So stark braucht nicht pointiert werden, da eine Grob-Übersicht aus anderen Disziplinen (Medizin, Recht, Psychologie z.B.) gerade in der Praxis klinischer Sozialarbeit ein Verständnis für deren Vorgehensweise bewirkt. Außerdem benötigt speziell klinische Sozialarbeit deshalb ein disziplinübergreifendes Grundverständnis, da sie zum Verständnis über ihre KlientInnen (Psychologie, Soziologie), deren Krankheiten (Medizin), Notlagen (Rechtswissenschaften) beiträgt und somit als Ergänzung zu sozialarbeiterischen Wissen fungiert. Allerdings macht die Meinung Lüssi´s wiederum deutlich, welch teilweise düstereren Stimmungen über eine eigene Theorie der Sozialarbeit an sich vorherrschend sind. Eine soziale Klassifikation könnte nun auf dem Wege der Sozialarbeitsforschung zu dem Ziel der eigenen Theoriebildung verhelfen (vgl. Gehrmann 1993, S.176) und ebenso für die Praxis einen großen Beitrag leisten, indem eine Konkretisierung des Gegenstandes der Sozialen Arbeit stattfindet. Dieser Gegenstand „ Soziales Problem“, wie es Lüssi beschreibt (vgl. Lüssi 1992, S.79-80) oder die darauffolgende „ Problembewältigung“ (vgl. Puhl 1997, S.32) ist ein Versuch und mag in theoretischen Überlegungen viel Stoff zum Schreiben hergeben. In der Praxis könnten jedoch eine fehlende ausführliche Konkretisierung, Transparenz und entsprechende Umsetzung dieses Begriffes zu einer in Vergessenheit geratenden Diskussion werden. Eine exakt umschriebene Klassifikation einzelner sozialer Probleme geht, nach eigener Meinung, auf diese drei Forderungen ein und bietet sogar eine brückenschlagende Funktion zwischen Theorie und Praxis.

Dabei sollte angemerkt seien, daß es nicht alleiniger Grund ist, sich eine eigene soziale Klassifikation zuzulegen, nur um sich gegenüber anderen akademischen Berufsgruppen etablieren zu wollen. Vielmehr sollte der treibende Motor die multiperspektivische Sichtweise auf die Situationen der KlientInnen im Setting der KS sein. KS sollte sich nicht denselben Blickwinkel der Medizin aneignen bzw. beibehalten und sich auf die Kodierung von (sozialen) Problemen ihrer KlientInnen begnügen. Sie sollte einem höherem Anspruch verpflichtet sein: Probleme, besonders wenn sie Krankheitswert erreichen, diese unter dem Blickwinkel der Lebensfelder und Beziehungssysteme der KlientInnen zu sehen (vgl. Molitoris 1995, S.43 u. Wendt 2000(a), S.392). Dieses eröffnet das Feld des ressourcenorientierten statt defizitorientierten Blickwinkels, da sie den Unterstützungswert der Umgebung der KlientInnen mit einbindet (vgl. Bullinger 1998, S.99-101). Soziale Klassifikationen, wenn sie jene Unterstützungen berücksichtigt, wären ein sichtbares Mittel zur Umsetzung dieser ressourcenorientierten Perspektive. In diesem Punkt greifen die medizinischen Klassifikationen zu kurz, da sie lediglich das Problem bzw. die Krankheit bezogen auf ihr Klientel beschreiben.

Zum anderen könnten soziale Klassifikationen als Basis für einen gemeinsamen Informationsaustausch innerhalb der eigenen Profession der klinischen Sozialarbeit dienen (vgl. Karls 1994(a), S.7). In diesem Punkt wären Ähnlichkeiten zu dem medizinischen Modell der Klassifikationen zu finden. Dadurch wäre eine Kommunikation gefördert und der Bekämpfung von Mißverständnissen entgegengewirkt. Dieser gemeinsame Informationsaustausch gilt zumindest für das Case Management. Das Aufgabenfeld der Gruppenarbeit und die der Gemeinwesenarbeit bleiben hier außen vor.

Folgend sollen zunächst die unterschiedlichen Erfahrungen der Mediziner, KlientInnen und anderen Bezugspersonen mit dem medizinischen Klassifikationssystem des ICD[6] näher betrachtet werden. Diese könnten der KS helfen, gleiche Fehler möglichst zu vermeiden und daraus zu lernen, bevor ein eigenes System eingeführt werden soll. Unter Kapitel 3.4 soll dann der Weg zur KS wieder gefunden und gleichzeitig ein Resümee aus diesen Erfahrungen gezogen werden.

3. Klassifikationen in der Psychiatrie

Somatische und psychische bzw. psychiatrische Diagnosen unterscheiden sich zwar nicht in der Wiedergabe von aktuellem Wissen (vgl. Hunold 2000, S.81), dennoch ist eine gegensätzliche Diskussion über die Notwendigkeit aber auch Gefahren der Klassifikationen[7] gerade bei den psychiatrischen Diagnosen am eindeutigsten. Variationen von Klassifikationen und somit Diagnosen treten nicht selten auf. (Dies macht sie deshalb aber auch als Diskussionsgrundlage dieser Arbeit interessant.) Vielleicht mag es daran liegen, daß sie nicht über wesentliche technische Hilfsmittel (Röntgen, Labor z.B.) verfügen, wie die Allgemeinmedizin, sondern zuweilen nur über die persönliche Einschätzung eines Mediziners, Teams u.a. (vgl. Wing 1982, S.9) laufen. Ebenso sind psychiatrische Diagnosen, die auf somatische Ursachen fußen, nicht so einschätzbar, wie sie oft von Ärzten vertreten werden. Verlauf und Prognose sind unstet und somit nicht immer vorhersagbar (vgl. Dilling in Schneider 1993, S.7).

3.1. Verwendungsgrund für Klassifikationen

In Deutschland wurde am 21.4.1933 erstmals ein medizinisches Einteilungssystem nur für die psychiatrischen Klassifikation durch den „Verein für Psychiatrie“ unter dem Titel „Würzburger Schlüssel“ übernommen (vgl. Dörries in Beddies 1999, S.194-195). Es wurde zuvor theoretisch und praktisch von 1930-1932 in psychiatrischen Kliniken geprüft (vgl. ebd., S.190). 1948 übernahm die WHO die 6. Revision des ICD, in denen es um eine gesamte Einteilung von Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen ging. Die deutsche Bundesregierung entschloß sich 1967 diese erst mit der 8. Revision als verbindlich einzuführen, welche sich zu einem einheitlichen System inklusive den psychiatrischen Klassifikationen entwickelte (vgl. Dilling in Schneider 1993, S.17-18). Nun ist bereits der ICD-10 gültig.

Mit der Einführung des „Würzburger Schlüssels“ waren viele Diskussionen und Überlegungen verbunden. Unter den hauptsächlichen damaligen Gründen eine solches Klassifikationssystem einzuführen, galten die Hintergründe der finanziellen Engpässe durch die Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre. Die bisherige „Reichsirrenstatistik“ von 1901 bot durch neue Krankheitsbenennungen keine relevante Statistik mehr, welche aber als Qualitätskontrolle einzelner Kliniken nun verlangt wurde. Unter diesem äußeren Druck auf die behandelnden Psychiater, der ökonomisch bedingt war, schälten sich auch eigenmotivierte Gründe heraus. Das Einschätzen und Behandeln von Krankheiten sowie praktische kommunikative Zwecke wurden in Vorüberlegungen zu diesem Einteilungssystem genannt (vgl. Dörries in Beddies 1999, S.189-191).

Welche Aufgaben haben sich derzeitig nach dieser geschichtlichen Kurzbetrachtung für psychiatrische Klassifikationen entwickelt? Unter den nun folgenden Punkten nach Hunold soll dies umfassend und für den heutigen Stand deutlich werden (vgl. Hunold 2000, S. 99-125):

1. Übersicht , Klärung und Sicherheit:

Es erleichtert die Arbeit der Mediziner von einer Störung bzw. einem Problem zu sprechen und den jeweiligen Stand zu definieren. Dieser wiederum kann später hilfreich sein, um spätere Vergleiche zu ziehen und den Verlauf zu bestimmen. Ob eine Besserung eingetreten ist oder nicht, kann so mit Sicherheit beschrieben werden (vgl. ebd., S. 101-103).

2. Information, Verständnis und Kommunikation:

Dem behandelnden Mediziner ist durch die Diagnosenstellung eine hilfreiche Entlastung gegeben, die Erkrankung der KlientInnen medizinischen Kollegen und anderen Berufsgruppen (PsychologInnen, SozialarbeiterInnen z.B.) exakt wiederzugeben.

Diese Informationsweitergabe dient dem Verständnis über die Erkrankung. Die Berufskollegen wissen nun, welche Prognose hinsichtlich der Erkrankung erwartet wird und welche Therapie sich anschließt. Dies kann KlientInnen oder anderen Laien (z.B. Angehörigen) zum Ausräumen von Mißverständnissen dienen (vgl. ebd., S. 106-107).

3. Erwartungen und Prognose:

Nicht alle psychiatrischen Diagnosen liefern eine so schlechte Prognose, wie dies im allgemeinen in der Bevölkerung angenommen wird. So kann schon allein auf dieser Ebene Beunruhigung oder Hoffnungslosigkeit beseitigt werden. Bei einem zu erwartenden schlechteren Verlauf der Erkrankung kann jedoch auf die Mithilfe hingewiesen werden, die die KlientInnen aber auch die Angehörigen zeigen müssen, um diesen entsprechend entgegenwirken zu können oder eine Verschlimmerung zu vermeiden (vgl. ebd., S.120-121). In diesem Rahmen liegen z.B. chronische Erkrankungen.

4. Behandlung und Therapie:

Mit dieser genauso wünschenswerten Mitarbeit und dem zuvor gestellten Therapieplan bzw. Vorschlag, kann die erfolgreiche Behandlung beginnen (vgl. ebd., S. 121), die oftmals eine medikamentöse Therapie und somit Einsatz von Neuroleptika[8] beinhaltet. Eine Ablehnung aus Angst vor Nebenwirkungen[9] oder aufgrund bereits gemachter Erfahrungen, kann den Heilungsprozeß negativ beeinflussen.

5. Auswirkung auf das soziale Netz:

Von der Diagnose ist auch das soziale Umfeld (Angehörigen und Berufskollegen z.B.) betroffen. Dies sollte bei einer Diagnosenstellung genauso mit einbezogen werden. In diesem Zusammenhang sollte den TherapeutInnen die Frage gestellt werden, ob überhaupt den KlientInnen zu raten ist, eine umfassende Offenlegung der Diagnose zu empfehlen, da dieser Schritt in die Isolation führen und andere negative Auswirkung auf den Alltag (Beruf, Freizeit) nach sich ziehen kann (vgl. ebd., S. 121-125).

Dies leitet zum nächsten Punkt über: Gefahren der Klassifikationen. Neben den Vorteilen der Kodierung von Erkrankungen werden nun die negativen Aspekte näher beleuchtet.

3.2. Gefahren von Klassifikationen unter dem Schwerpunkt von psychiatrischen Diagnosen

Es kann weiterhin auf der Beispielebene der psychiatrischen Klassifikationen verblieben werden, da sie ein umfangreiches Anschauungsmaterial für negative Folgen und Gefahren durch Klassifikationen bieten. Solche sind aber auch auf der physiologischen Ebene zu verzeichnen, wenn z.B. von neuartigen Erkrankungen geredet wird, über die unter den Therapeuten und in der Öffentlichkeit noch Unsicherheit besteht (vgl. die Reaktionen auf die Entdeckung des AIDS-Virus vor zwanzig Jahren). Dieses Beispiel zusammen mit den psychiatrischen Diagnosen weist in eine Richtung:

KlientInnen können unter einer Stigmatisierung[10] oder zumindest unter der Angst vor einer Stigmatisierung leiden. Insbesondere bei den psychiatrischen Diagnosenstellung ist eine Ausgrenzung durch die Öffentlichkeit (Verwandtschaft, Freundeskreis, Arbeitskollegen) nicht unwahrscheinlich. Dies mag vor allen Dingen an der Unwissenheit in der Bevölkerung über die Erkrankungen liegen (vgl. Hunold 2000, S. 128-130). Unsicherheiten über Verlauf und Prognose der Erkrankungen, die sehr vielfältig sein können (vgl. Dilling 1993, S.7), können einerseits Hoffnung wecken, anderseits aber auch neue Ängste schüren. Die Angst z.B. vor einer Chronifizierung[11] wäre an dieser Stelle zu nennen. Dies alles kann wiederum zu einer gesteigerten Hoffnungslosigkeit seitens der KlientInnen führen und einen Therapieerfolg erschweren, wenn sie selbst durch eine aussetzende Mitarbeit nicht mehr dazu beitragen.

3.3. Umgang mit Klassifikationen

Ein vernünftiger Umgang mit solchen psychiatrischen Diagnosen macht nun dieser letztgenannte Zustand deutlich. Dies bezieht sich aber nicht nur auf die Klientenseite, sondern vor allen Dingen auf die der Therapeuten, da sie die Klassifikationen bestimmen. Diese Punkte werden nun genauso chronologisch betrachtet.

3.3.1. Aus der Sicht der KlientInnen

Die KlientInnen bekommen bei der Diagnosenstellung und dem Klassifikationsprozeß nur die passive Rolle. Das heißt jedoch nicht, daß sie sich gänzlich so verhalten sollten. Sie dürfen den Prozeß in dem Maße mitbestimmen, indem sie sich richtig, ausführlich und kritisch über ihre Erkrankungen bei dem jeweiligen Arzt informieren. Dasselbe gilt für alle Angehörigen oder anderen Bezugspersonen, wenn dies zuvor von dem bzw. der KlientIn genehmigt worden ist, um nicht die Schweigepflicht zu brechen (vgl. Faust 1996, S.31-32).

Zum anderen ist gerade im psychiatrischen Bereich aus der Sicht der KlientInnen nicht immer die Prognose so negativ und frustrierend, wie sie zunächst erscheint. Teilweise kann noch nicht einmal eine exakte Prognose, wie bereits gesehen wurde, abgegeben werden, welches genauso von der Mitarbeit der KlientInnen, der Wirkung der Medikamente und anderen Faktoren abhängig ist. Daraus ersichtlich, sollte statt der zwei extremen Reaktionen (Euphorie oder Hoffnungslosigkeit) gegenüber den Verlauf der Erkrankungen eher Gelassenheit resultieren.

3.3.2. Aus der Sicht der TherapeutInnen

Die Therapeuten spielen die Hauptrolle im Bereich der Klassifikationen und ihren Möglichkeiten bzw. Gefahren. Sie stellen die Diagnose, kodieren die Erkrankungen und spielen somit die aktive Rolle bei dem Verfahren.

Außerdem obliegt ihnen ein hohes Maß an Macht, in welcher sie der Gefahr unterliegen, diese zu mißbrauchen (vgl. Burkhardt-Neumann 1999, S.125-126). Deshalb lastet erstens die Verantwortung auf ihren Schultern, eine richtige Klassifikation vorzunehmen, um jene angesprochenen negativen Folgen möglichst zu vermeiden. Zweitens liegt die konkrete Forderung auf ihren Schultern, die medizinische Fachtermini für ihr Klientel verständlich zu machen (vgl. Wing 1982, S.8). Mißverständnisse können Mißverständnisse unter Umständen noch mehr Ängste auslösen.

Im folgenden soll noch ein genauerer Anforderungskatalog für die TherapeutInnen erstellt werden, mit dessen Hilfe negative Folgen für das Klientel möglichst vermieden werden sollen. Dabei spielen empathisches[12] Vermitteln und Kompetenzwissen eine wesentliche Rolle.

3.3.3.1. Umgang durch empathisches Vermitteln

Gerade im Bereich der Klinischen Sozialarbeit gehört eine ausführliche und kompetente Aufklärung zum Aufgabenfeld dazu. Dies mag teilweise nicht nur in den Händen der Mediziner liegen, sondern betrifft unter Umständen auch die klinische Sozialarbeit.

Zum nötigen Einfühlungsvermögen gehört empathisches Handeln, das die Diagnosen bzw. die Klassifikation und ihre Erwartungen richtig zu vermitteln weiß. Hier soll es nicht nur um eine genaue und vollständige Aufklärung gehen, sondern vielmehr der Frage nachgegangen werden: Wie soll die Diagnose, einschließlich die Prognose der Krankheit bzw. des Problems, richtig vermittelt werden? Lüssi umschreibt die Eigenschaften für den sozialarbeiterischen Bereich mit den dazugehörigen wichtigsten Merkmalen. Darunter fällt die Humane Tendenz, Kommunikationsfähigkeit und Soziale Intelligenz (vgl. Lüssi 1992, S.192-205) des Vermittlers von Diagnosenstellungen. Die Humane Tendenz sollte dem/ der SozialarbeiterIn innewohnen, um diesen Beruf „menschenorientierter“ ausüben zu können. Die Kommunikationsfähigkeit beinhaltet unter dieser Notwendigkeit das Zuhören, Verständnis zeigen (verbal und nonverbal) und erklären schwer verständlicher medizinischer Fachtermini. Die soziale Intelligenz ist schließlich die partielle Intelligenzart, die diese Kommunikationsfähigkeit unter anderem hervorbringt (vgl. ebd., S.203).

Diese Zusammenfassung wichtiger Eigenschaften des empathischen Vermittelns ist zwar gestützt auf Aussagen Lüssi`s, der der sozialarbeiterischen Berufsgruppe angehört, können aber auch für Mediziner als hilfreiche Ergänzung verstanden werden.

3.3.3.2. Umgang durch Kompetenzwissen für diagnostisches Handeln

Das Kompetenzwissen für diagnostisches Handeln beinhaltet die Kompetenzen[13], die eine theoretische Fundierung der TherapeutInnen liefern, um diagnostisches Handeln qualitativ hochwertiger zu betreiben. Nach E. W. Kleber lassen sich folgende 5 voneinander mehr oder weniger abhängige Kompetenzklassen unterscheiden (vgl. Kleber 1992, S.41-43). Sie entfernen sich zielgruppenmäßig ursprünglich ebenfalls von den Medizinern und beziehen sich mehr auf die psychosozialen und pädagogischen Berufsgruppen, obwohl auch Ärzte diese Kompetenzen verinnerlicht haben sollten:

1. Kompetenzwissen

Der Diagnostiker soll hier entscheiden können, ob er alleine eine ausreichende Diagnostik überhaupt betreiben kann, und inwieweit er befähigt ist, eine entsprechende Antwort geben zu können. Kann er letzteres nicht liefern, sollte er in der Lage sein, die KlientInnen zu einem entsprechenden anderen Professionellen zu überweisen.

2. Bedingungswissen

(zit. n. ebd., S.41): „Das Bedingungswissen umfaßt die Kenntnisse über mögliche Bedingungshintergründe von Verhaltensweisen, ...“. Im Rahmen dieses Wissens sind die Erkenntnisse wichtig, die aus den Verhaltensweisen des Klientels gezogen werden können.

3. Technologisch-kritisches Wissen

Welche Methoden zur Informationsgewinnung jeweils angewandt werden sollten, spielt hier die wesentliche Rolle. Dabei sind nicht nur das Wissen um einzelne Tests, deren Möglichkeiten, sondern auch deren Grad der Unzuverlässigkeit entscheidend.

[...]


[1] Unter Klassifikation sollte unter Bezugnahme der medizinischen Klassifikation die Kodierung der Krankheiten, Probleme in exakt umrissenen Definitionen sowie den dazugehörigen Kodierungsnummern verstanden werden. Das Klassifikationssystem PIE ist ähnlich aufgebaut. Siehe dazu Kapitel 4.

[2] (zit n. Wendt 1995, S.359): Im Case Management wird „...eine Einschätzung der Lage mit dem Klienten zusammen, Planung der Hilfestellung, Vermittlung von Dienstleistungen, eine Steuerung des Unterstützungsprozesses und die Evaluation gemeinsam mit dem Klienten...“ vollzogen.

[3] [3] Der Begriff „Situationsanalyse“, wie ihn Stimmer verwendet (vgl. Stimmer 2000(a), S.113), soll in der Diplomarbeit ebenfalls angewandt werden, da er nach Meinung des Autors mehr die Differenzierung der Sozialarbeit zum medizinischen Verständnis der Diagnose betont.

[4] Diese begriffliche Anlehnung an das medizinische Modell ist für die Sozialarbeit nicht neu, da sie in ähnlicher Form für den diagnostischen Prozeß im deutschsprachigen Raum von A. Salomon in Bezug auf die Problem- bzw. Notlagenerhebung der KlientInnen schon 1926 vorgelegt wurde. Darin wird eine Ätiologie, also Ursachenerhebung, des „Notstandes“, die individuellen Gegebenheiten, die möglichen Hilfen und die „Hemmungen“, die den Hilfeprozeß behindern könnten, vorgeschlagen (vgl. Salomon 1926, S.46). In dieser Arbeit soll jedoch der Begriff der Situationsanalyse verwendet werden, welcher nicht so sehr den Beigeschmack einer medizinischen Sichtweise hat.

[5] Darunter soll die teilweise nicht ganz abzuklärende Aufgabenverteilung im Gesundheitsbereich gemeint sein. Dies belegt auch die Gegenüberstellung von Aufgabenbereichen, die K-.H. Stange 1994 vorgelegt hat. Das macht z.B. die individual- und sozialpsychologische Dimension der Krankheiten deutlich (vgl. Stange 1994, S.57). Dies Gegenüberstellung verhilft aber zu einem guten Überblick, in welchen Funktionen speziell Sozialarbeit zum Einsatz kommt. Allerdings hat diese Einteilung sehr stark wieder den Überhang, Krankheiten und Problem einseitig negativ zu betrachten (vgl. Hey 2000, S.302).

[6] Abkürzung für die englische Bezeichnung der internationalen Einteilung von Krankheiten und heißt wörtlich übersetzt: I nternational C lassification of D iseases (vgl. Hoffmann-La Roche 1991, S.845).

[7] Die medizinischen Klassifikationen enthalten Codes und die dazugehörigen Krankheitsumschreibungen.

[8] Neuroleptika sollen die Symptome von Psychosen und anderen psychischen Störungen, welche beispielsweise jegliche Formen von Halluzinationen (z.B. optisch, akustisch) beinhalten, herabsetzen und gänzlich beseitigen (vgl. Hoffmann-La 1991, S.1233-1234).

[9] Gerade Neuroleptika haben erhebliche Nebenwirkungen. Dies kann Müdigkeit, Schwindel, Schwitzen, Blutdruckabfall, Kollapsneigung, Dyskenisien, symptomatisches Parkinson-Syndrom, Blutbildveränderung und Störung der Sexualfunktion sein (vgl. Haupt 1993, S.360).

[10] (zit. n. Stimmer 2000(b), S.711)Stigmatisierung „...bezeichnet den Prozeß, in dem ein Individuum dadurch sozial diskreditiert wird, daß ihm ein sozial negativ bewertetes Merkmal (=Stigma bzw. Etikett) zugeschrieben wird. Diese Zuschreibung kann es sich im Sinne einer self-fulfilling prophecy zu eigen machen.“

[11] Gerade im psychiatrischen Sinne herrscht die herkömmliche Meinung in der Öffentlichkeit vor, daß die Chronifizierung eine Nicht-Heilung, einen langfristigen Prozeß der Krankheit, Einschränkung im Sinne von Behinderung und eine permanente Abhängigkeit von Fachpersonal und Kliniken bedeutet (vgl. Hegemann 1995, S,116-117).

[12] Die „Empathie“ meint den Zustand des/ der TherapeutIn, die Gedanken und Gefühle des Klientels nachzuvollziehen und gewissermaßen mitzuleiden, ohne sich dabei ganz aufzugeben und die nötige Distanz zu verlieren (vgl. Zimbardo 1982, S.603).

[13] Kompetenz (lat.) bedeutet: Zuständigkeit. Damit ist das Wissen und die Fertigkeiten eines Professionellen in seinem Fach gemeint, das für ihn einen in Frage stehenden Sachverhalt zuständig erscheinen läßt. (vgl. Kleber 1992, S.41).

Excerpt out of 76 pages

Details

Title
Die Anwendbarkeit des Person-In-Environment-Systems in der klinischen Sozialarbeit
Subtitle
Sind Klassifikationen sinnvoll?
College
University of Applied Sciences Hanover  (FB Sozialarbeit)
Grade
2
Author
Year
2002
Pages
76
Catalog Number
V10022
ISBN (eBook)
9783638165846
ISBN (Book)
9783638796552
File size
691 KB
Language
German
Keywords
Sozialarbeit, Sozialpädagoik, Klinische Sozialarbeit, Klassifikation, Soziale Diagnose, PIE, Person-In-Environment System, Wandrei
Quote paper
Diplom Sozialarbeiter/ -pädagoge Marc Ehlerding (Author), 2002, Die Anwendbarkeit des Person-In-Environment-Systems in der klinischen Sozialarbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10022

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