Hat die EU ein Demokratiedefizit? Standarddemokratie-Defizitthesen und deren Gültigkeit


Hausarbeit, 2020

18 Seiten, Note: 1.0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorgehen

3. Einordnung der EU
3.1. EU als internationale Organisation
3.2. EU als politisches System
3.3. EU als Staat

4. Demokratieanforderung an die EU als internationale Organisation mit supranationalen Kompetenzen
4.1. Demokratieanforderung des Völkerrechts an die EU?
4.2. Demokratieanforderung der EU-Rechtslage an die Europäische Union?
4.3. Demokratieanforderung des deutschen Grundgesetzes an die EU?

5. Demokratieanforderung an ein politisches System

6. Demokratiedefizit je nach Ansatz
6.1. Demokratiedefizit der EU aus Sicht des deutschen Grundgesetzes
6.2. Demokratiedefizit der EU aus Sicht der EU

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Fragt man die europäische Bevölkerung, welche Werte am besten die EU repräsentierten, so lautet die Antwort nach aktuellen Umfragen, dass die Demokratie am besten diese Werte der EU repräsentiere (Europäische Kommission 2019: 160). Doch wurde die EU nicht immer als politische Institution für Demokratie angesehen. Noch 1997 verbanden die meisten EU-Bürger eine wirtschaftliche Funktion mit der EU. Sie erhofften sich damals durch die EU einen wirtschaftlichen Aufschwung für ihr jeweiliges Land (Europäische Kommission 1997: 3).

Dieser Meinungswandel innerhalb der EU wird auch in deren Entstehungsgeschichte widergespiegelt. Die Gründungsväter der Europäischen Union hatten das Ziel, den Frieden und Wohlstand der europäischen Bürger zu sichern (vgl. Leinen und Kreutz 2011: 14). Dafür gründeten Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Luxemburg und Italien 1952 die “Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl”, kurz EGKS. Dieser Verband ermöglichte eine Freihandelszone für Kohle und Stahl. Auch konnten die Mitgliedsstaaten in diesen Bereichen die Politik der anderen Staaten mitbestimmen und damit die Einsetzung der Rohstoffe für einen Krieg verhindern. Dieser wirtschaftliche Fokus stand auch bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) im Vordergrund. Im weiteren Verlauf wurde die Landwirtschaftspolitik in die Gemeinschaft integriert und durch die Europäische Akte (1986) und den Vertrag von Maastricht (1993) kam es zum Aufbau eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes, der Wirtschafts- und Währungsunion und zur Freizügigkeit von Personen, Gütern, Kapital und Dienstleistungen. Heute wird der Großteil der Wirtschaftsleitlinien auf europäischer Ebene beschlossen. (Vgl. Leinen und Kreutz 2011: 13-19).

Mit der Zeit wurde den Mitgliedsstaaten bewusst, dass eine alleinige wirtschaftliche Linie die EU in der Bevölkerung nicht legitimieren würde. Deswegen setzten sie sich dafür ein, dass auch sozialpolitische Ziele in die Agende der EGKS aufgenommen wurden. Durch den Vertrag von Maastricht wurde schließlich die EU gegründet. Der Vertrag schaffte die Grundlage für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik, welche zu einer Politisierung der EU führte. Aufgrund dieser Politisierung setzte sich die Meinung durch, dass die EU dort Verantwortung übernehmen müsse, wo die Nationalstaaten dies im Alleingang nicht mehr schaffen. (Vgl. Leinen und Kreutz 2011: 13-19).

Durch den Vertrag von Lissabon (2009) wurde schließlich auch die Justiz- und Innenpolitik in den Kompetenzbereich der EU aufgenommen. Bekannt wurde der Vertrag von Lissabon aber vor allem als Meilenstein für die Demokratisierung der EU. Denn durch diesen wurden die Kompetenzen des Europäischen Parlamentes um ein Vielfaches erhöht. Das Europäische Parlament tagt seit 1952, hatte damals aber nur eine beratende Funktion inne. Es wurde am Anfang mit Abgesandten der nationalen Parlamente bestückt; direkt von den Bürgern wird das Parlament erst seit 1979 gewählt. Seitdem hat es immer mehr Kompetenzen dazugewonnen. Und ist von einem beratenden zu einem mitbestimmenden Organ geworden, welches bei den meisten europäischen Gesetzgebungsakten mitentscheidet. Auch wurde durch den Vertrag ein europäischer Bürgerentscheid eingeführt. (Vgl. Leinen und Kreutz 2011: 13-19).

Die Europäische Union hat sich so von einem zwischenstaatlichen Wirtschaftsverbund zu einer internationalen Organisation mit supranationalen Kompetenzen entwickelt, welche auf den meisten politischen Ebenen agiert. Mit der Kompetenzsteigerung folgte eine äquivalente Demokratisierung der EU und ihrer Institutionen. Parallel wurde die Debatte über die Umsetzung von demokratischen Prozessen in der EU und deren Defizite jedoch immer lauter. War diese Debatte am Anfang noch vor allem in der Wissenschaft präsent, ist sie seit dem Vertrag von Maastricht auch in die Bevölkerung und in die Medien gelangt. Seitdem prangern Wissenschaftler, Bürger und Medien die EU immer wieder wegen eines Demokratiedefizits an. Dabei wird die EU oft leichtfertig mit bestehenden politischen Systemen oder Organisationen verglichen. Doch was ist die EU eigentlich? Handelt es sich bei ihr um eine internationale Organisation oder um einen Staat oder ist es ein neues, davor nicht gekanntes politisches System? Diese Arbeit greift die Standarddemokratie-Defizitthesen auf und analysiert die Gültigkeit dieser.

2. Vorgehen

Um die Fragestellung dieser Arbeit beantworten zu können, wird die EU als erstes kategorisiert, um verstehen zu können, welche demokratischen Anforderungen an die EU gestellt werden können. Erst dann kann analysiert werden, ob die EU alle Kriterien erfüllt und ob ein Demokratiedefizit besteht. Dafür werden die Anforderungen an die demokratischen Prozesse in der EU aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert und abschließend erörtert, ob diese erfüllt werden.

3. Einordnung der EU

Im Folgenden wird versucht zu definieren, um was es sich bei der EU handelt. Dafür wird zunächst analysiert, ob die Definition einer internationalen Organisation auf die Europäische Union übertragbar ist und ob es sich bei der EU um ein politisches System und/oder einen Staat handelt.

3.1. EU als internationale Organisation

Laut Pevehouse, Nordstrom und Warnke (2004) definiert sich eine internationale Organisation durch drei Kriterien. So muss ein IO (1) mindestens aus drei Mitgliedstaaten bestehen, (2) ein permanentes Sekretariat und eine permanente Postadresse besitzen und (3) durch einen international anerkannten Vertrag gebildet worden sein (vgl. ebd.: 103-104). Die EU erfüllt diese Kriterien, da sie (1) 27 Mitgliedstaaten zählt und (2) über ein permanentes Sekretariat und mehrere permanente Postadressen verfügt. (3) Darüber hinaus wurde die EU durch einen völkerrechtlichen und international anerkannten Vertrag gebildet. Rittberger, Zangl und Kruck (2019: 4) fügen der Definition von Pevehouse et al. hinzu, dass es in der IO mindestens alle 10 Jahre zu einer Plenarsitzung kommen muss. Auch dieses Kriterium erfüllt die EU, da sich die Minister monatlich bis wöchentlich treffen.

Neben dieser Grunddefinition werden IOs in Untergruppen kategorisiert. So kann zwischen dezentralisierten und zentralisierten Organisationen unterschieden werden. Dezentralisierte Organisationen entscheiden im Konsens und die Mitgliedsstaaten sind selbst für die Umsetzung der Entscheidungen verantwortlich (vgl. ebd.: 6). Zentralisierte Organisationen entscheiden dagegen in Mehrheitswahlen und geben die Verantwortung für die Umsetzung an die Organe der internationalen Organisation ab (vgl. ebd.). Außerdem gibt es internationale Organisationen, die sich auf alle politischen Problemfelder spezialisieren und aufgabenspezifische internationale Organisationen (vgl. ebd.: 5). Da die Entscheidungen in der EU nicht per Konsens getroffen werden, handelt es sich bei ihr um eine zentralisierte IO. Außerdem beschäftigt sie sich mit allen politischen Problemfeldern. Ein weiteres Merkmal der EU ist die Eingrenzung der potenziellen Mitglieder durch die geografische Lage (Begrenzung auf europäische Staaten) und die Kopenhagener Kriterien. Es handelt sich also bei der EU um eine IO mit beschränkter Mitgliedschaft. Folglich lässt sich die EU problemlos durch die allgemeingültige Definition als IO kategorisieren.

Trotzdem gibt es Kritik an dieser Einordnung. Schmidt und Schünemann (2009: 44) merken an, dass die EU eine „neue Qualität“ (ebd.: 44) erreicht habe und über eine internationale Organisation herausgewachsen sei, da ihre Rechtsakten über dem einzelstaatlichen Gesetz stehen und sie eine Direktwirkung auf die Bevölkerung ausübe. Außerdem geben die Mitgliedsstaaten nationalstaatliche Hoheitsrechte an die EU ab (vgl. ebd.). Durch diese Eigenschaften muss die EU laut Schmidt und Schünemann (2009: 44) um das Attribut “supranational” erweitert werden. Doch die Autoren betonen zugleich, dass die EU nicht als rein supranational eingestuft werden kann, da eine supranationale Organisation rein „überstaatlich“ agiert (vgl. ebd.). Es handelt sich bei der EU also um eine als internationale Organisation gegründete Institution, welche mit der Zeit über eine internationale Organisation hinausgewachsen ist und nun auch über supranationale Kompetenzen verfügt. Für diese Form der Organisation muss eine neue Begrifflichkeit gefunden werden.

3.2. EU als politisches System

Ein politisches System ist per Definition eine Gesamtheit von Strukturen und Prozessen, welche verbindliche gesamtgesellschaftliche Entscheidungen bewusst beeinflussen, legitimieren, herbeiführen und durchsetzen (vgl. Rudzio 2014: 9-10). Da die EU bewusst verbindliche Entscheidungen in Form von Rechtsakten mittelbar und unmittelbar umsetzt, handelt es sich bei der EU um ein politisches System (vgl. Schmidt und Schünemann 2009: : 47).

3.3. EU als Staat

Der Staat definiert sich durch Territorialität, Souveränität, Legitimität und Staatsgewalt. Das erste Kriterium der Territorialität erfüllt die EU, da sie ein klar umgrenztes Gebiet besitzt, welches aus den Staatsgebieten der Mitgliedsstaaten besteht. Da es kein europäisches Volk gibt, die EU sich in ihrer Präambel zu den 27 europäischen Völkern bekennt und sie souveräne Entscheidungen nur begrenzt und vor allem in der Wirtschaftspolitik treffen kann, erfüllt die EU nicht das Kriterium der Souveränität. Die EU leidet unter einem Legitimitätsproblem und es kann deswegen nicht davon ausgegangen werden, dass die EU durch die europäischen Bürger legitimiert wird. Auch verfügt die EU über kein Gewaltmonopol, da die nationalen Staaten nur einen kleinen Teil ihrer Mach an die EU abgeben. (Vgl. Schmidt und Schünemann 2009: 53-54).

Außerdem verfügt die Europäische Union über keine Soldaten und Polizisten, sie kann deswegen keinen physischen Zwang auf ihre Bürger ausüben und verfügt somit über keine Staatsgewalt (vgl. Schmidt und Schünemann 2009: 54). Da die EU nur eines der vier Kriterien erfüllt, handelt es sich bei der EU um keinen Staat.

4. Demokratieanforderung an die EU als internationale Organisation mit supranationalen Kompetenzen

Die EU kann als internationale Organisation definiert werden. Deswegen ist es nun möglich zu betrachten, inwieweit eine internationale Organisation den Prinzipien der Demokratie verpflichtet ist. Da das Fundament der EU aus den von den Mitgliedsstaaten unterzeichneten völkerrechtlichen Verträgen besteht, wird im Folgenden analysiert, inwiefern das Völkerrecht und die Verträge zur Bildung der Europäischen Union Demokratieanforderungen an die EU stellen. Außerdem muss eine internationale Organisation mit supranationalen Kompetenzen dem rechtlichen Rahmen der Verfassungen der Mitgliedsländer entsprechen. Da der Umfang dieser Arbeit nicht ausreicht, um auf alle Verfassungen der Mitgliedsländer einzugehen, werden die Demokratieanforderungen des deutschen Grundgesetzes an die Europäische Union betrachtet.

4.1. Demokratieanforderung des Völkerrechts an die EU?

Da die Demokratie bestimmt, wie der Staat im Inneren verfasst ist, handelt es sich bei ihr um eine innere Angelegenheit des Staates. Genau diese inneren Angelegenheiten werden nicht durch das Völkerrecht geregelt, denn laut dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ist jedem Volk freigestellt, die Art der Regierung zu bestimmen und keine Einmischung von außen zuzulassen (vgl. Kirsch 2008: 54). Außerdem ist nach Kirsch (2008: 527) keine völkerrechtliche Definition von Demokratie vorhanden. Trotzdem argumentiert sie, dass „Demokratie [...] die Achtung der Menschenrechte [...]” [Anm. d. Verf.: voraussetzt]. Daraus ergibt sich als logische Folge ein völkerrechtliches Demokratiegebot.“ (ebd.: 526). Petersen (2008: 143) argumentiert in seinem Buch, dass das „alte“ Völkerrecht innere Angelegenheiten von Staaten nicht regelte, sich dies aber nach dem zweiten Weltkrieg änderte. Denn seitdem regelt das Menschenrecht Standards zwischen dem Staat und seinen Bürgern (vgl. ebd.). Im weiteren Verlauf stellt er aber fest, dass es kein striktes Menschenrecht auf Demokratie gibt (vgl. ebd.: 138). Es kann also festgehalten werden, dass die Demokratie als Instrument das Völkerrecht unterstützt, dieses aber keine Demokratie bedingt. Dadurch kann über das Völkerrecht kein Demokratiedefizit reklamiert werden.

4.2. Demokratieanforderung der EU-Rechtslage an die Europäische Union?

„[...] SCHÖPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben, [...] IN BESTÄTIGUNG ihres Bekenntnisses zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit [...] IN DEM WUNSCH, Demokratie und Effizienz in der Arbeit der Organe weiter zu stärken, damit diese in die Lage versetzt werden, die ihnen übertragenen Aufgaben in einem einheitlichen institutionellen Rahmen besser wahrzunehmen [...],,“ (Präambel EUV)

In der Präambel des Vertrags über die Europäische Union akzeptiert die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Demokratie als einen universellen Wert, zu welchem sie sich bekennen und welchen sie in ihren Organen stärken wollen. Daraus folgend ist es eins der wichtigsten Ziele der EU, die Demokratie in sich selbst und in ihren Mitgliedsstaaten zu bewahren und zu stärken. Um die Demokratie in den Mitgliedsstaaten bewahren zu können, befugt sich die EU in Art. 7 EUV Mitgliedstaaten zu sanktionieren, wenn gegen die Achtung der Demokratie verstoßen wird. Doch nicht nur nach innen ist es das Ziel der EU die Demokratie zu stärken, im Art. 21 EUV bekennt sich die EU dazu, dass sie sich beim Handel auf internationaler Ebene von demokratischen Grundsätzen leiten lässt. Neben diesen Bekenntnissen zur Demokratie setzt die EU ein demokratisches politisches System als Bedingung für Beitrittskandidaten voraus (vgl. Petersen 2008: 109). Im Art. 10 Abs. 1 EUV bestimmt die EU die repräsentative Demokratie zum Grundstein ihrer Arbeitsweise. Genauer wird das Europäische Parlament als direkte Vertretung der Bürger und der Bürgerinnen in Art. 10 Abs. 2 EUV benannt. Auch definiert Art. 10 EUV, dass die Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat und Rat der Europäischen Union durch ihre Staats- oder Regierungschefs und ihre Regierungen vertreten werden. Die Entscheidungen der EU sollen nach Art. 10 Abs. 3 EUV außerdem so offen und bürgernah wie möglich getroffen werden. Außerdem sollen die Parteien nach Art. 10 Abs. 4 EUV ein politisches europäisches Bewusstsein schaffen und den Willen der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union vertreten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Hat die EU ein Demokratiedefizit? Standarddemokratie-Defizitthesen und deren Gültigkeit
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Note
1.0
Jahr
2020
Seiten
18
Katalognummer
V1003679
ISBN (eBook)
9783346383457
ISBN (Buch)
9783346383464
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EU, Demokratiedefizit, Funktion der EU, Zukunft der EU
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Hat die EU ein Demokratiedefizit? Standarddemokratie-Defizitthesen und deren Gültigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1003679

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