Der Beitrag von lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen zur Ernährungstransformation in Bonn. Ziele und Strategien transformativer Akteur*innen


Thèse de Bachelor, 2020

90 Pages, Note: 1,1

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Ernährungstransformation in der Stadt
2.1. Technologischer und kultureller Wandel
2.2. Alternative Ernährungsnetzwerke und Initiativen
2.3. Transformationsräume und soziale Innovationen
2.4. Ziele und Strategien

3. Rahmenbedingungen in Bonn

4. Methodik
4.1. Vergleichende Fallstudie
4.2. Bestandsaufnahme der Nachhaltigkeitsinitiativen
4.3. Auswahl der Fälle
4.4. Expert*inneninterviews und Dokumentenanalyse
4.5. Konstruktion des Leitfadens
4.6. Datenauswertung: Qualitative Inhaltsanalyse

5. Ergebnisse
5.1. Vorstellung der Nachhaltigkeitsinitiativen in Bonn
5.1.1. Lebensmittelproduktion
5.1.2. Handel und Vermarktung
5.1.3. Konsum
5.1.4. Politisch-institutionelle Steuerung
5.2. Einzelfallanalysen: Transformative Akteur*innen
5.2.1. Gemeinschaftsgarten Vilich-Müldorf
5.2.2. Marktschwärmer Bonn Südstadt
5.2.3. Foodsharing Bonn
5.2.4. Initiative zur Gründung eines Ernährungsrats für Bonn und Umgebung
5.3. Vergleichende Fallanalysen: Ziele und Strategien
5.3.1. Ziele und Zeit
5.3.2. Ressourcen
5.3.3. Innere Praktiken
5.3.4. Äußere Praktiken
5.3.5. Ort

6. Diskussion der Chancen und Grenzen

7. Reflektion

8. Fazit

Literaturverzeichnis

Quellen der Online-Recherche

Anhang
Anhang A: Interviewleitfaden
Anhang B: Kategorienbaum für die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015)
Anhang C: Steckbriefe der 33 Nachhaltigkeitsinitiativen im Ernährungsbereich in Bonn
Anhang D: Fallprofile der vier untersuchten Initiativen
Anhang D-1: Fallprofil Gemeinschaftsgarten Vilich-Müldorf
Anhang D-2: Fallprofil Marktschwärmer Bonn Südstadt
Anhang D-3: Fallprofil Foodsharing Bonn
Anhang D-4: Fallprofil Initiative zur Gründung eines Ernährungsrats für Bonn und Umgebung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Allgemeines Ablaufmodell der strukturierenden Inhaltsanalyse

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Übersicht der geführten Interviews und gesammelten Dokumente

Tabelle 2 Übersicht der Initiativen im nachhaltigen Ernährungsbereich von Bonn nach Bereichen der Wertschöpfung

Tabelle 3 Ziele der Initiativen im Vergleich

„Eine Ernährungswende muss her. Wir müssen diese Krise jetzt für einen Umbau nutzen. Wir haben gesehen: Im Ernährungsbereich gibt es so viel Kreativität, Verbindungen, neue Formen – online und offline. Diese Kreativität wollen wir erhalten. (…) Nachdem wir all das im Überblick sehen, was wir vorher kannten und seit Corona kennen: Wir müssen in Zukunft anders leben, anders wirtschaften und uns anders ernähren.“

(Renate Künast, Sprecherin für Ernährungspolitik, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Rede am 28.05.2020)

1. Einleitung

Die COVID-19-Krise hat erneut Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft für die Notwendigkeit eines Wandels des aktuellen Ernährungssystems geschaffen, wie das Eingangszitat deutlich macht (vgl. Künast 2020). Von leeren Supermarktregalen bis zu fehlenden Erntehelfer*innen und Skandalen in Fleischbetrieben; spätestens seit diesem Jahr haben viele Menschen angefangen sich bewusster mit dem Thema Ernährung zu befassen. Laut dem Ernährungsreport 2020 hat für jede dritte befragte Person „die Landwirtschaft (…) in der Corona-Krise an Bedeutung gewonnen“ (BMEL 2020: 18).

Auch vor der COVID-19-Krise hat sich die Notwendigkeit eines Wandels der Wirtschaftsweise und Lebensstile bereits abgezeichnet. Der „Earth Overshoot Day“ (Erdüberlastungstag) zeigt jedes Jahr den Tag an, an dem die Ressourcen, die sich innerhalb eines Jahres regenerieren können, aufgebraucht sind (Earth Overshoot Day 2020). Der errechnete Tag, ab dem auf Kosten zukünftiger Generationen gelebt wird, befindet sich seit den letzten 15 Jahren zwischen Juli und August (ebd.). Zurückzuführen ist dies auf die Entwicklungslogik westlicher Gesellschaften, die Wohlstand und Fortschrittlichkeit als das Ergebnis kontinuierlichen (quantitativen) Wirtschaftswachstums verstehen. Damit einher gehen massiver Ressourcenverbrauch, Verlust der Biodiversität, steigende Umweltbelastungen und soziale Ungleichheit (Miegel und Brand 2012). Gleichwohl der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und steigender Umweltbelastung sowie einer ungleichverteilten Wohlstandsentwicklung bekannt ist (vgl. u.a. Schmid 2019), ändert sich bislang wenig. Brand und Wissen (2011) führen zur Begründung dieses Widerspruchs das Konzept der imperialen Lebensweise an, das von gefestigten Produktions- und Konsummustern im globalen Norden ausgeht, die auf Privilegien, Herrschaft und der Ausbeutung des globalen Südens beruhen. Urbane Produktions- und Konsummuster im Ernährungssystem sind durch die imperiale Lebensweise geprägt, die es aufzubrechen gilt. So heben sich im Ernährungsbereich aus der industrialisierten Landwirtschaft, enormen Flächenbeanspruchung, globalen Transport- und Warenströmen sowie internationalem Wettbewerbsdruck immer deutlicher Probleme hervor (Schneidewind 2018). Ernährung und Landwirtschaft sind nach dem Verkehrsbereich in Deutschland für die meisten Treibhausgasemissionen verantwortlich (SRU 2012) und tragen damit bedeutend zur Überschreitung der planetaren Grenzen der Erde bei. Nach dem Modell der planetarischen Grenzen gibt es sichere Bereiche für Funktionen des Erdsystems, innerhalb derer die Menschen leben können. Wenn die Grenze dieses sicheren Bereichs übertreten wird, sind die Auswirkungen irreversibel und unvorhersehbar (Rockström et al. 2009). In vier Fällen wurde der sichere Rahmen bereits verlassen: Klimawandel, biologische Vielfalt, Stickstoff- und Phosphorkreislauf und letztlich der Bereich der Landnutzung (Steffen et al. 2015). Die Überlastung der natürlichen Lebensgrundlage zeigt, dass neue, alternative und kreative Formen des Wirtschaftens, die urbane Produktions- und Konsummuster zu verändern suchen, notwendig sind (WBGU 2011).

Als Teil der Wirtschaftsgeographie präsentiert sich die Agrargeographie mit einem breiten Spektrum an Themenfeldern, wobei Forschungen sich häufig konventionellen Wirtschaftsformen sowie einzelnen Elementen der agrarwirtschaftlichen Produktionskette widmen (Klohn und Voth 2010). Des Weiteren sind für Ernährungsfragen wie Ernährungsgerechtigkeit, aber auch die Stärkung der Regionalentwicklung, bisher der globale Süden und der ländliche Raum im Fokus gewesen (Rosol 2015). In den letzten Jahren gewinnt jedoch das Ernährungsthema in der Stadt immer mehr an Bedeutung (Stierand 2014). In der englischsprachigen Literatur zu Alternative Food Geographies (AFG) oder „Geographien alternativer Ernährung“ wird sich zunehmend mit dem Aufbau neuer Produktions- und Konsumverhältnissen in urbanen Räumen im globalen Norden beschäftigt (Rosol 2018). Dieser Forschungszweig entwickelte sich seit Ende der 1990er Jahre aus den Agro-Food-Studies (oder auch Agri-Food-Studies), in denen Ernährung als komplexes System verstanden und dieses im Ganzen betrachtet wird (Ermann et al. 2018). In den AFG werden besondere, alternative Produkte, Vertriebssysteme oder Wirtschaftsweisen sowie explizit die Verbindung von produktions- und konsumorientierten Sichtweisen in den Fokus gerückt, so wie es auch in dieser Arbeit beabsichtigt ist. Zur Untersuchung alternativer Ernährungsstrukturen spielt der wirtschaftsgeographische diverse economies -Ansatz eine besondere Rolle. Dieser macht deutlich, dass ein Großteil der Wirtschaft nicht aus marktorientierten, kapitalistischen Unternehmen besteht, sondern es einen viel größeren Anteil an nicht-kapitalistischen Wirtschaftsformen gibt, der oft keine Beachtung findet (Gibson-Graham 2008). Diese Ansicht wird auch in der Postwachstumsdebatte geteilt, in der soziale und solidarische Ökonomien, ehrenamtliches Engagement, Selbstversorgung, private Aktivitäten (z. B. häusliche Pflege) und auf das Gemeinwohl ausgerichtete Tätigkeiten (Tauschen und Schenken) für eine Neubewertung von Wachstum miteinbezogen werden (Schulz 2017). Es geht darum, Wachstum und Wohlstand nicht nur an quantitativen Messgrößen wie dem BIP festzumachen, sondern ökologische Auswirkungen und sozialen Nutzen mit zu erfassen (Schmid et al. 2020). Erste aktuelle deutschsprachige Forschungen bauen bereits auf diesen Ansätzen auf und untersuchen transformative Wirtschaftsformen sowie neue Akteur*innen in der urbanen Ernährungsbewegung (Kropp und Müller 2018, Kropp und Stinner 2018, Rosol und Strüver 2018, Rosol 2018).

Vor diesem Hintergrund löst sich diese Arbeit vom traditionellen Wirtschaftsverständnis und legt den Fokus auf die Vielfalt der Ökonomien. Da das Ernährungssystem und dessen Transformation auf globaler Ebene ein komplexer Prozess ist, wird die Aufmerksamkeit auf die lokale Perspektive gerichtet. In diesem Rahmen wird lokalen Klima- und Nachhaltigkeitsinitiativen eine Schlüsselrolle zugeschrieben (WBGU 2011). In städtischen Experimentierräumen werden konkrete Lösungsansätze erprobt, die als Motor gesellschaftlichen Wandels dienen (ebd.). Diese Arbeit legt den Fokus auf den Experimentierraum der Stadt Bonn und Akteur*innen von lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen im Feld der Ernährung, die mit ihren Handlungsansätzen einen Beitrag zur Transformation leisten. Zur Untersuchung leiten die folgenden Forschungsfragen durch die Arbeit:

Wie können lokale Nachhaltigkeitsinitiativen einen Beitrag zur Ernährungstransformation in der Stadt Bonn leisten?

a) Welche Typen von Nachhaltigkeitsinitiativen existieren?
b) Welche Ziele und Strategien verfolgen diese?
c) Wie schätzen die Initiativen die Wirkung ihrer Ziele und Strategien ein?

In Form einer Fallstudie im Untersuchungsgebiet der Stadt Bonn erfolgt eine Bestandsaufnahme der Akteur*innen der urbanen Ernährungsbewegung, die nachhaltige Ziele verfolgen. Um die Vorgehensweise und Handlungsansätze detailliert zu analysieren und zu verstehen, werden vier Fallbeispiele näher betrachtet. Für das offene Erkenntnisinteresse werden leitfadengestützte Expert*inneninterviews mit Gründungsmitgliedern der Initiativen sowie unterstützende Dokumentanalysen durchgeführt. Die erhobenen Daten werden durch die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet und mit Orientierung an Flyvbjerg (2006) interpretiert, sodass Charakteristika herausgestellt und die Vielfalt der einzelnen Fälle erhalten bleibt. Zur Bewertung der Ansätze werden Selbsteinschätzungen der Befragten zur Wirkung und Grenzen der eigenen Arbeit herangezogen, die anhand themenbezogener Erkenntnisse diskutiert werden.

Übergeordnetes Ziel der Arbeit ist es, einen Beitrag zu der vorher beschriebenen Forschungslücke zu leisten und alternative Ökonomien der Ernährung im urbanen Raum in den Forschungsfokus zu stellen. Das Erkenntnisinteresse liegt dabei auf der Untersuchung der verschiedenen Bereiche, in denen die Nachhaltigkeitsinitiativen ansetzen, sowie der Art und Weise und den Voraussetzungen wie sie transformativ handeln und das Ernährungssystem nachhaltig verändern. Die kreativen und konkreten Ideen für gesellschaftlichen Wandel sollen aufgezeigt und verbreitet werden. Damit soll ein Beitrag dazu geleistet werden, vielfältige Wirtschaftsformen sichtbar zu machen, die in traditionellen Wirtschaftsbetrachtungen unsichtbar bleiben. Die Akteur*innen sollen die Wirkungen ihrer eigenen Arbeit reflektieren und Verbindungen zu anderen Initiativen erkennen, sodass das Engagement in einen größeren Rahmen gestellt werden kann.

Vor diesem Hintergrund wird im nächsten Abschnitt das dieser Arbeit zugrunde liegende Konzept der Großen Transformation in Bezug zur Stadt und Ernährung erläutert (Kap. 2). Dafür wird der Wandel hin zu einem industrialisierten Ernährungssystem beschrieben (Kap. 2.1), die urbane Ernährungsbewegung betrachtet (Kap. 2.2) und die neuen Wirtschaftsformen als soziale Innovationen in Transformationsräumen verstanden (Kap. 2.3). Am Ende des Theoriekapitels werden aus der Literatur Dimensionen hergeleitet, die zur Untersuchung der Forschungsfragen relevant sind (Kap. 2.4). Kapitel 3 begründet die Wahl des Untersuchungsgebiets und beschreibt Rahmenbedingungen in Bonn, bevor in Kapitel 4 die methodische Vorgehensweise ausgearbeitet wird. Im ersten Teil des Ergebniskapitels wird die erste untergeordnete Forschungsfrage beantwortet, indem die Bestandsaufnahme der Nachhaltigkeitsinitiativen vorgestellt wird (Kap. 5.1). Die weitere Präsentation der Ergebnisse dient der Beantwortung der zweiten untergeordneten Forschungsfrage, indem zuerst die Einzelfälle analysiert (Kap. 5.2) und anschließend die untersuchten Dimensionen fallübergreifend miteinander verglichen werden (Kap. 5.3). In der Diskussion wird die letzte Forschungsfrage beantwortet und Chancen und Grenzen der Ergebnisse bewertet (Kap. 6). Darauf folgen die kritische Reflektion des Forschungsprozesses (Kap. 7) und das abschließende Fazit (Kap. 8).

2. Ernährungstransformation in der Stadt

Städte müssen sich in Zukunft angesichts steigender Weltbevölkerung und zu erwartender Migration vom ländlichen in den städtischen Raum der Herausforderung eines massiven Bevölkerungswachstums stellen (WBGU 2011). Schon jetzt leben Schätzungen der UN DESA (2019) zufolge etwa 55 % der Weltbevölkerung im urbanen Raum, was sich laut Prognosen bis 2050 auf 68 % steigern wird. Städte sind damit nicht nur Lebensmittelpunkt von nahezu zwei Dritteln der Weltbevölkerung, sie sind auch in besonderem Maß Treiber und Betroffene des Klimawandels. Das produzierende Gewerbe, der hohe Ressourcenverbrauch und der Konsum in Städten sind für einen Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich (WBGU 2011). Angesichts des rasanten Wachstums, steigender Umweltprobleme und sozialer Ungleichheit, stellt sich auch die Frage einer zukunftsfähigen Versorgung für Städte. Allerdings findet diese bisher in der Forschung wenig Beachtung (Morgan 2015). In der (verloren gegangenen) Verbindung von Stadt und Ernährung liegt viel Potenzial, um sich diesen wachsenden Herausforderungen zu stellen und klimaverträgliche Konsum- und Produktionsmuster zu gestalten.

Vor diesem Hintergrund bekommt die Debatte um eine Große Transformation immer mehr Aufmerksamkeit, die nicht nur die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels beleuchtet, sondern nunmehr auch Kritik an der Gesellschaft und Wirtschaft formuliert. Es wird deutlich, dass Klimaschutz allein nicht mehr ausreicht, um innerhalb der planetaren Grenzen der Erde (s. Kap. 1) zu leben. Somit wird die Umweltdebatte erweitert durch die Forderung, dass die Wirtschaftsweise der Gesellschaft insbesondere der Industrienationen insgesamt ressourcenleichter werden muss (Schneidewind 2018). Um Klimaerwärmung, Umweltzerstörung, den massiven Ressourcenverbrauch, soziale Ungerechtigkeit und weitere Probleme in den Griff zu bekommen, ist das Konzept der Großen Transformation entstanden. Mit Bezug zu Polanyi (1944), in dessen Werk „Great Transformation“ mit dem Begriff der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft dargestellt wird, entwickelt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) im Jahr 2011 den „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“. In dem Hauptgutachten wird mit der Großen Transformation ein umfassender Wandel der Produktionsprozesse, Konsummuster und Lebensstile hin zu einer klimaverträglichen Gesellschaft von einer Größenordnung der Industriellen Revolution beschrieben (WBGU 2011). Das Konzept wurde zur Forschungsgrundlage zahlreicher Nachhaltigkeits- und Transformationsdiskurse. Die Abgrenzung zwischen Transformation und Transition stellt ein konzeptionelles Problem dar (Kropp und Müller 2018). Diese wird in der Fachdebatte nicht klar getroffen, sodass die deutschen Begriffe in den Sozialwissenschaften weitgehend synonym gebraucht werden. Reißig (2009: 9) definiert Transformation „als ein[en] eigene[n], ein[en] besondere[n] Typ sozialen Wandels“. In seinem Werk beschreibt er die zweite Große Transformation, in der sich die Gesellschaft gerade befindet, und die Herausforderung des 21. Jahrhunderts, diesen Umbruch nachhaltig, solidarisch und gerecht zu gestalten. Trotz der drängenden Zeit wird sich der Wandel aus vielen graduellen Transformationen im Laufe der nächsten Jahrzehnte zusammensetzen, die zu einer tiefgreifenden Veränderung führen und erst rückblickend erkennbar sein werden (Reißig 2009). Laut Schneidewind (2018: 15) muss die Große Transformation zeitgleich in einer Kombination aus folgenden „Arenen“ geschehen: 1) Wohlstands- und Konsumwende, 2) Energiewende, 3) Ressourcenwende, 4) Mobilitätswende, 5) Ernährungswende, 6) Urbane Wende und 7) Industrielle Wende. Dafür werden zahlreiche und vielfältige Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft benötigt, die diesen Prozess mitgestalten (Schneidewind 2018). Vor diesem Hintergrund wird die in dieser Arbeit betrachtete Ernährungstransformation als eine „Arena“ der Großen Transformation gesehen, mit deren Akteur*innen und Gestaltungsmöglichkeiten sich näher beschäftigt wird. Ernährungstransformation wird in dieser Arbeit wie der Begriff der Ernährungswende als ein umfassender Wandel der Produktions- und Konsummuster hin zu einem nachhaltigen, gerechten und zukunftsfähigen Ernährungssystem verstanden (vgl. zum Begriff der Ernährungswende Stierand 2014). Die Ernährungswende beginnt in der Stadt, weil die Gestaltung der Lebensmittelversorgung auf kommunaler Ebene großen Einfluss darauf hat, wie mit dem Thema auf Bundesebene, aber auch weltweit umgegangen wird. Die städtische Ebene bietet Bürger*innen die Möglichkeit, sich aktiv an dieser Gestaltung zu beteiligen (Stierand 2014). Das Ernährungssystem in der Stadt befindet sich ständig im Wandel und bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten, wie im nächsten Abschnitt deutlich wird.

2.1. Technologischer und kultureller Wandel

Mit Ernährung und ihrer Produktion wird heutzutage häufig als erstes der ländliche Raum assoziiert (Stierand 2014). Noch im 19. Jahrhundert gehörte Nahrungsmittelproduktion selbstverständlicher Weise auch in der Stadt zum Alltag dazu und landwirtschaftliche Flächen prägten das Stadtbild. Durch die folgende Industrialisierung und Urbanisierung hat sich das Stadtbild im globalen Norden stetig verändert, sodass eine externe Versorgung mit Lebensmitteln und die Landwirtschaft außerhalb der Stadt zur Normalität und modernen Lebensweise der Stadtbevölkerung des 21. Jahrhunderts wurden (Kropp und Stinner 2018). Ausschlaggebend dafür waren unter anderem eine ansteigende Verdichtung im urbanen Raum und eine daraus resultierende Preissteigerung der Produktionsflächen. Neue Technologien zum Kühlen und Konservieren sorgten dafür, dass Lebensmittel aus weiterer Entfernung geliefert werden konnten. Durch Globalisierungsprozesse liegt ein größerer Fokus auf internationalen Märkten und globalem Warenaustausch. Dadurch wurde Versorgung aus größerer Distanz möglich und auch kostengünstiger (Kropp und Stinner 2018; Stierand 2014). Einen weiteren wichtigen Grund für das veränderte Stadtbild stellt die enorme Produktivitätssteigerung dar, wodurch Selbstversorgung zum Überleben nicht mehr notwendig war. So wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch vier Landwirte eine weitere Person ernährt, während heutzutage ein Landwirt 130 Personen versorgt (Stierand 2014).

Die Delokalisierung des Ernährungssystems hat zur Folge, dass sich Städte von der externen Versorgung mit Lebensmitteln weitgehend abhängig gemacht haben. Der Lebensmitteleinzelhandel heute ist geprägt von Internationalisierung, orts- und saisonunabhängigen Lebensmitteln sowie Fertigprodukten (Kropp und Stinner 2018). Auf den ersten Blick halten die neuen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte viele Vorteile bereit, sodass beispielsweise Konsument*innen ein vielfältigeres und günstigeres Sortiment zur Verfügung steht. Außerdem wird auf die Steigerung der Produktivität in der Landwirtschaft zurückgeführt, dass die wachsende Bevölkerung ausreichend ernährt werden kann. Diese Vorteile beruhen jedoch auf Nachteilen für andere wie beispielsweise landwirtschaftliche (Klein-)Betriebe, die einem hohen Wettbewerbs- und Preisdruck ausgesetzt sind, dem viele nicht standhalten und schließen müssen. Zudem ist die Landwirtschaft bedeutend mitverantwortlich für eine steigende Klimagasbelastung und den Verlust der Biodiversität durch Pestizideinsatz, Monokulturen sowie vor allem Tierhaltung und Fleischproduktion (Schneidewind 2018, SRU 2012). Im gesamten Ernährungssystem fehlt es an Transparenz und Vertrauen, sodass es heute deutlich schwieriger ist, die Herstellung und den meist langen Weg der Produkte nachzuvollziehen. Durch die langen Transportwege und Produkten aus Übersee ist das moderne Nahrungssystem stärker mit Treibhausgasemissionen belastet (Stierand 2014). Die räumliche Trennung von Produktions- und Konsumstätten hat eine Entfremdung zwischen Produktion, Verarbeitung und Konsum begünstigt (Kropp und Müller 2018). Fehlender Austausch zwischen Landwirt*innen und Verbraucher*innen und das verloren gegangene Anbau- und Pflegewissen beeinflussen die Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln und der geleisteten Arbeit zur Produktion dieser negativ. Stadtbewohner*innen haben keine Vorstellung mehr davon, welche Mühe hinter der Feldarbeit steht (Kreutzberger 2017). Dies spiegelt sich auch in den Ausgaben für Lebensmittel wider. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland noch 60 % des Haushaltseinkommens für Lebensmittel ausgegeben, heutzutage sind es nur noch 14 % (Schneidewind 2018). Die fehlende Lebensmittelwertschätzung ist auch erkennbar an der großen Menge Lebensmittelabfälle, die in der gesamten Wertschöpfungskette anfallen und größtenteils vermeidbar wären (Rosenbauer 2011).

In Anbetracht der beschriebenen sozialen und ökologischen Folgen des industrialisierten Ernährungssystems muss schließlich festgestellt werden, dass die scheinbaren Vorteile mit großen Problemen verbunden sind. Die ökologischen Auswirkungen im Ernährungssystem sind laut Schneidewind (2018) vor allem Nebenprodukte der ökonomischen Erfolge, die durch Produktivitätssteigerung und technologische Fortschritte erzielt werden konnten. Dafür macht er nicht einzelne Akteur*innen verantwortlich, sondern „Konsumenten, Landwirte, Handel und Industrie sind vielmehr gefangen in einem Ernährungssystem, in dem die durch einen intensiven internationalen Wettbewerb niedrig gewordenen Preise den Ökonomisierungsdruck für alle Akteure in der Wertschöpfungskette hochhalten“ (Schneidewind 2018: 249f.). Es hat sich eine Spirale entwickelt, in der technologisch-ökonomischer Fortschritt dazu führt, dass ökologische Probleme wachsen. Die Ökonomisierung wird durch das vorherrschende System jedoch nicht hinterfragt, sondern weiter vorangetrieben, sodass auch die negativen Auswirkungen verheerender werden. Hier wird auch die imperiale Lebensweise im Ernährungssystem deutlich (Brand und Wissen 2011). Außerdem besteht immer noch oft die Annahme, dass Ökonomisierung nötig ist, um in der Zukunft eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Dabei sind Ernährungsunsicherheiten nicht auf das fehlende Vorhandensein an Nahrung zurückführbar, sondern auf Zugangs- und Verteilungsprobleme, die durch ungleiche Machtverhältnisse in Städten im globalen Norden entstehen (Morgan 2015). Es ist also nicht als sinnvoll anzusehen, an den aktuellen ökonomischen Trends des Ernährungssystems festzuhalten und ökologische sowie soziale Auswirkungen nicht zu berücksichtigen. Die Verbindung zwischen Stadt und Ernährung sowie auch zwischen Stadt und Land wiederherzustellen und Prozesse des Ernährungssystems wieder vermehrt in Städte zu verschieben kann dagegen als durchaus wünschenswert betrachtet werden.

Schneidewind (2018) schlägt als einen Teil der Lösung eine kulturelle Transformation unserer Ernährungsgewohnheiten vor. Da Gewohnheiten im Laufe des Lebens abhängig von der kulturellen und sozialen Umgebung angeeignet werden, sind diese über die Zeit veränderbar. Auch die Esskultur befindet sich stetig im Wandel. So ist aktuell zu beobachten, dass sich Bedürfnisse der Konsument*innen dahingehend verändert haben, dass neben dem Preis auch soziale und ökologische Kriterien beim Einkauf eine wichtige Rolle spielen (Kropp und Stinner 2018). Der Ernährungsreport 2020 bestätigt diese Beobachtung, da Verbraucher*innen „wissen [möchten], was in einem Lebensmittel steckt, woher es kommt und unter welchen Bedingungen es produziert wurde“ (BMEL 2020: 20). So interessieren sich 84 % der Befragten für Informationen zu artgerechter Tierhaltung, 83 % für faire Produktionsbedingungen und 76 % für eine umweltverträgliche Herstellung (BMEL 2020). Jedoch ist ein reiner Bewusstseinswandel und Ernährungswissen nicht ausreichend, da sich tatsächliches Ess- und Einkaufsverhalten immer noch stark von den neuen Präferenzen und Bedürfnissen unterscheidet. Damit sich neue Konsummuster und Ernährungsstile langfristig durchsetzen, muss das nachhaltige Angebot und besonders deren Verfügbarkeit im Alltag wachsen (Schneidewind 2018). Hierfür haben sich in den letzten Jahren verstärkt neue Formen der Nahrungsmittelbereitstellung entwickelt, die sich von den herkömmlichen Prozessen in ökologischen und/oder sozialen Aspekten unterscheiden. Stierand (2014: 199) beschreibt das Entstehen urbaner Räume für einen veränderten Alltag als „Food Lab“, indem „Lebensmittelproduktion, -handel und -konsum neu organisiert“ sowie „neue Lösungswege für Probleme des Ernährungssystems […] gesucht und getestet“ werden. In diesem Food Lab treten Menschen nicht nur als Konsument*innen auf, indem sie durch ihre Kaufentscheidungen Einfluss nehmen, sondern diese gestalten als Bürger*innen aktiv Veränderungsprozesse mit (Stierand 2014). Die Veränderung des Bewusstseins und der Handlungen bedingen und ermöglichen sich somit gegenseitig. Dies wird durch die Entstehung einer neuen urbanen Ernährungsbewegung deutlich.

2.2. Alternative Ernährungsnetzwerke und Initiativen

Die Geographische Ernährungsforschung beschäftigt sich zunehmend mit alternativen Nahrungsmittelinitiativen und Ernährungsnetzwerken, die in der englischsprachigen Literatur als „Alternative Food Initiatives“ (AFI) und „Alternative Food Networks“ (AFN) bezeichnet werden (Kreutzberger 2017, Kropp und Müller 2018, Kropp und Stinner 2018, Matacena 2016, Maye 2013, Rosol 2015, 2018, Watts et al. 2005). Die neuen Akteur*innen der urbanen Ernährungsbewegung setzen auf einer lokalen Ebene an und verbinden diese mit einer Kritik an globalen Verhältnissen wie dem industriellen Nahrungsmittelsystem und global agierenden Nahrungsmittelkonzernen. Um dieser Kritik Ausdruck zu verleihen, werden bei Rosol (2015: 57) drei Strategien benannt: 1) Proteste und Mobilisierung gegen einzelne (transnationale) Unternehmen, 2) Einwirken auf staatliche Institutionen auf verschiedenen politischen Ebenen und 3) zivilgesellschaftliche Schaffung von alternativen Nahrungsmittelsystemen. Innerhalb der Initiativen wird sich meist auf eins dieser Handlungsfelder beschränkt, wobei in den letzten Jahren zu beobachten ist, dass politische Forderungen oft durch transformative Praxen ergänzt werden (Kropp und Müller 2018). AFN stellen diese transformativen Praxen da, indem sie sich „als Kritik an und praktische Alternative zum derzeit dominanten industriellen Nahrungsmittel(vertriebs)system“ verstehen (Rosol 2018: 176). Dabei setzen sie stattdessen auf ein direktes Verhältnis zwischen Konsument*innen und Produzent*innen (vor allem Landwirt*innen) in besonderer Form sowie „ Short Food Supply Chains “ (SFSC). Diese kurzen Lebensmittelliefer- bzw. Vermarktungsketten können sich sowohl auf räumliche Nähe von Produktion und Konsum, aber auch funktional auf kurze Lieferketten ohne Zwischenhandel und besondere Vertriebswege beziehen (Rosol 2018). Weiterhin können AFN charakterisiert werden durch ein größeres Angebot an alternativen Produkten, die fair gehandelt, biologisch, lokal, regional oder qualitativ hochwertig sind. Hinzu kommen alternative Wege der Vermarktung wie Direktvermarktung, Wochenmärkte, Abokistensysteme, Vertragslandwirtschaft und Urban Gardening (Maye 2013). Rosol (2018: 177) ergänzt diese Typisierung durch einen dritten Punkt der alternativen Arbeitsformen und der ökonomischen (Betriebs-)Organisation, die sie als „alternative Ökonomien“ bezeichnet. Diese alternativen Ökonomien können weiterhin auf Wirtschaftlichkeit im Sinne der eigenen Existenzsicherung ausgerichtet sein, die zusätzlich soziale und ökologische Ziele verfolgen. Aber häufig handelt es sich hierbei um AFN, die gekennzeichnet sind durch andere ökonomische Organisations- und Finanzierungsformen (z.B. Genossenschaften), Arbeitspraktiken wie unbezahlte Freiwilligenarbeit oder die Schenken und Tauschen als ökonomische Transaktionen in ihre Konzepte einbinden (Rosol 2018). Diese gehören im Verständnis nach Gibson-Graham (2008) zu den diverse economies, die durch eine nicht-kapitalistische Ausrichtung charakterisiert werden und einen Großteil der Wirtschaft ausmachen, obwohl sie in traditionellen Wirtschaftsbetrachtungen unsichtbar bleiben.

Auch Kreutzberger (2017) benennt Projekte und Unternehmungen, die sich als Alternative zum konventionellen Lebensmittelsystem sehen und zu einer transitorischen Stadtlandschaft beitragen. So werden Formen für die Stärkung direkter Erzeuger*innen-Verbraucher*innen-Beziehungen beschrieben wie die Food Assembly und Community Supported Agriculture (CSA), die im deutschsprachigen Raum als Marktschwärmer und Solidarische Landwirtschaft (SoLawi) bekannt sind. Zudem werden altbekannte Konzepte wie Lebensmittelkooperativen zum gemeinsamen Einkaufen bei Großmärkten sogenannte Food Coops und Abo-Gemüsekisten oder -tüten wiederbelebt. Weitere Trends im urbanen Raum sind Gemeinschaftsgärten, Selbsterntegärten oder das Konzept der essbaren Stadt, bei dem auf öffentlichen Grünflächen Gemüse, Obst und Kräuter zur Benutzung für alle Bürger*innen angebaut werden (Kreutzberger 2017). Zur Vernetzung der verschiedenen Initiativen untereinander aber auch mit Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft auf lokaler Ebene ist das Konzept der Food Policy Councils 1982 in den USA entstanden, die in Deutschland als Ernährungsräte bezeichnet werden. Diese möchten Ernährungspolitik wieder auf kommunaler Ebene betreiben und dafür Akteur*innen des gesamten lokalen Ernährungssystems zusammenbringen. Praktisch umgesetzt wird dieses Bestreben in flexibler Form, angepasst an regionale Gegebenheiten sowie abhängig von der formalen Verankerung in der Kommunalverwaltung und Zusammensetzung der Mitglieder vor Ort. Ein Ernährungsrat kann als Austauschforum für Diskussionen von Ernährungsthemen und Beratung für kommunale Politik dienen. Das umfassende Ziel dabei ist, ein nachhaltiges, sozial gerechtes und ökologisches Ernährungssystem in der Stadt zu schaffen. Dafür erstrecken sich die Aufgaben der Ernährungsräte über das Recherchieren von Informationen, das Evaluieren der bisherigen Tätigkeiten bis zur Umsetzung eigener Programme und Maßnahmen. Ernährungsräte sind ein wichtiges partizipatives Instrument für lokale Veränderungsprozesse, auf die Bürger*innen einen großen Einfluss haben können (Stierand 2014, Kreutzberger 2017).

Die genannten urbanen Ernährungsprojekte und -unternehmungen sind durch eine Vielfalt an Zielen, unterschiedliche Organisationsstrukturen, Angebote und Selbstverständnisse geprägt (Kropp und Stinner 2018). Die Angebote gehen von der Produktion von Lebensmitteln, über Veranstaltungen zu Bildungsangeboten. Oft wird das praktische Handeln auf städtischer Ebene in der Öffentlichkeit als politische Praxis verstanden (Kropp und Müller 2018). In der Organisation gibt es eine breite Variabilität bezüglich Rechtsformen, Einbezug von Freiwilligenarbeit und Entscheidungsprozessen, bei den Zielen kann jedoch ein gemeinsamer Nenner ausgemacht werden. Zunächst besteht die Absicht, eine nachhaltige Lebensmittelversorgung im urbanen Raum zu ermöglichen und neue zukunftsfähige Wirtschaftsbeziehungen zu schaffen. Diese sollen als praktischer Beweis dienen, dass nachhaltige Ernährungsverhältnisse möglich sind und durch das eigene aktive Handeln dazu beigetragen werden kann. Die Leitbilder der neu entwickelten Ökonomien orientieren sich statt an Wachstum und Profitmaximierung an Fairness und Solidarität. Anonymen und intransparenten globalen Lieferketten werden lokale Wertschöpfungsketten und auf Vertrauen beruhende Beziehungen zwischen Produzent*innen und Verbraucher*innen entgegengesetzt. Die Organisationsform und Finanzierung der Projekte sind oft solidarisch und auf gemeinschaftliches Handeln ausgerichtet. Des Weiteren soll auch ein Bildungsauftrag erfüllt werden, indem transformatives Wissen und Kompetenzen aus den Projekten durch praktische Lernangebote weitergegeben werden (Kropp und Stinner 2018).

Ein weiteres bedeutsames Ziel der neuen bzw. wiederbelebten Konzepte ist die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe, was wiederum Arbeitsplätze in der Region sichert, lokale bäuerliche (Klein-)Betriebe und regionale Kulturlandschaften erhält. Zudem sparen regionale Kreisläufe Material und Energie durch kurze Transportwege und tragen somit in dieser Hinsicht zum Umweltschutz bei. Wichtig ist den Projekten vor allem Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Produktion für die Verbraucher*innen, wodurch diese mehr über Produktionszusammenhänge lernen und die geleistete Arbeit mehr wertschätzen können (Kreutzberger 2017).

Dabei ist zu beachten, dass die regionale bzw. lokale Maßstabsebene nicht zwangsläufig mit den positiven Merkmalen, die ihr allgemein zugeschrieben werden, übereinstimmt. Eine lokale Versorgung mit Lebensmitteln muss nicht mit umweltfreundlicher Produktion, hoher Qualität der Produkte oder fairen Arbeitsbedingungen einhergehen (Tregear 2011). Die Annahme, dass die lokale Ebene mit diesen positiven Merkmalen gleichgesetzt wird, wird von Born und Purcell (2006: 195) als „ local trap “ („lokale Falle“) bezeichnet. Sie belegen empirisch, dass lokale Betriebe nicht automatisch biologisch anbauen, die kurzen Transportwege nicht die ganze Produktion umweltfreundlicher machen und Arbeiter*innen auch auf lokaler Ebene ausgebeutet werden können (Born und Purcell 2006, Tregear 2011). Zusätzlich kritisieren sie, dass die Maßstabsebenen als Problem- und Lösungsursache angesehen werden, das heißt global wird als problematisch und lokal als zielführend betrachtet. Mit der Kritik soll nicht ausgesagt werden, dass die Produktion und Versorgung auf lokaler Ebene nicht wünschenswert seien und Vorteile für das Ernährungssystem bringen können. Jedoch ist die Umsetzung von normativen Zielen wie Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Qualität etc. nicht abhängig von der Maßstabsebene (auf jeder Ebene können diese Ergebnisse erzielt werden), sondern viel mehr von den Absichten der handelnden Personen, die diese Strategie auf einer bestimmten Ebene umsetzen (Born und Purcell 2006). Um regionale Lebensmittel zu „guten“1 Lebensmitteln zu machen, muss also nicht nur die räumliche Herkunft, sondern zusätzlich auch der Produktionszusammenhang betrachtet werden, der als inhaltliche Herkunft bezeichnet werden kann (Stierand 2014).

Die unterschiedlichen Organisationsformen wurden unter anderem in einer Untersuchung zu Graswurzel-Initiativen im urbanen Ernährungssystem von Gernert et al. (2018) näher betrachtet. Diese konnten eine interne Arbeitsteilung und einen hohen Grad an Selbstorganisation, die auf den Prinzipien der Solidarität und Demokratie aufbaut, feststellen. Der Erfolg der Initiative wird wesentlich von der Fähigkeit, Ressourcen zu mobilisieren, bestimmt. Als bedeutsame Ressourcen werden sowohl „gute Beziehungen zur Regierung, Förderern und den Medien als auch finanzielle Mittel, Infrastruktur und die Zeit von Mitgliedern und der Leitung“ identifiziert (Gernert et al. 2018: 10, eig. Übersetzung). Außerdem trägt die Größe der Gruppe, deren Bildungsstand sowie Fähigkeiten entscheidend zur Entwicklung bei. Die Struktur und Rechtsform der Gruppe (beispielsweise durch die Einbindung in ein größeres Netzwerk) können eine wichtige Hilfe sein, um den Zugang zu diesen Ressourcen zu erleichtern. Es wird als sehr wahrscheinlich angesehen, dass sich die Initiativen abhängig von der Verfügbarkeit der Ressourcen und der Aktivität der Mitglieder abwechselnd in positiven und kritischen Entwicklungsphasen befinden (Gernert et al. 2018).

2.3. Transformationsräume und soziale Innovationen

Die hier vorgestellte Ausgestaltung des Wandels bezieht sich vor allem auf individuelle und kollektive Akteur*innen, die sich aus der Gesellschaft herausgebildet haben, um Veränderung anzustoßen. In der Literatur wird beschrieben, dass Akteur*innen wie die urbane Ernährungsbewegung „Pfade für ein post-industrielles Ernährungshandeln“ bahnen (Kropp und Stinner 2018: 45). Sie schaffen eine Wiedereinbettung der Lebensmittelproduktion und -vermarktung in den städtischen Kontext, sowohl im sozialen als auch im räumlichen Sinne. Der direkte Kontakt zwischen Verbraucher*innen und nachhaltig wirtschaftenden Klein- und Familienbetrieben wird hergestellt und diese aufgewertet. Damit wird AFN zugeschrieben „Träger*innen eines transformativen Potenzials für ein gerechteres, gleichberechtigteres und nachhaltigeres Ernährungssystem“ zu sein (Matacena 2016: 49, eig. Übersetzung). Das Potenzial findet seine Grenzen jedoch unter anderem in der Tatsache, dass „ein Großteil der ernährungsbezogenen Arbeit unbezahlt geleistet [wird]“ und aus Freiwilligenarbeit besteht (Rosol 2018: 182). Des Weiteren kann den Mengen an Produkten und dem generierten Umsatz aus ökonomischer Sicht am Marktanteil keine tragende Bedeutung zugeschrieben werden (Kropp und Müller 2018). Die alternativen Konzepte beschränken sich bisher auf eine Marktnische, die nur von bestimmten Teilen der Bevölkerung bedient werden kann. Da es in den Ansätzen oft darum geht, den Erzeuger*innen ein faires Einkommen zu sichern und die Produkte dementsprechend teurer sind, werden Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen, deren finanzielle Kapazitäten eingeschränkt sind. Außerdem wird der Fokus auf den Konsum gelegt, sodass individuelle Kaufentscheidungen hauptsächlich entscheidend für Veränderungen im Markt sind. Dadurch wird jedoch nicht beachtet, dass gesamtgesellschaftliche Fragen, wie ein Zugang zu gesundem Essen für alle, nicht über Konsumentscheidungen gelöst werden können und zusätzliche Maßnahmen eingefordert werden müssen (Rosol 2018). Vor allem die Politik steht in der Verantwortung, gesetzliche Rahmenbedingungen auf europäischer und nationaler Ebene zu schaffen, um nachhaltige Entwicklungsziele zu unterstützen. Diese könnten zum Beispiel eine Umweltbesteuerung, Agrarsubventionen und Informationspflichten für Lebensmittelhersteller*innen umfassen (Schneidewind 2018). Eine tiefgreifende Transformation ist ein herausforderndes und vielschichtiges Unterfangen, das neben einer Neuausrichtung von Normen, Routinen sowie sozialen und wirtschaftlichen Verhaltensweisen auch unterstützende Regierungsziele erfordert (Matacena 2016).

Trotzdem darf die transformative Bedeutung der urbanen Ernährungsbewegung nicht unterschätzt werden (Kropp und Müller 2018). Von der angestrebten Systemveränderung sind die Aktivitäten noch weit entfernt, jedoch sind bei einzelnen Praktiken wie neuen Organisationsformen und alternativem Angebot von Produkten das Verlassen der Nischen zu beobachten, indem diese vom konventionellen Lebensmittelhandel und Akteur*innen der Stadtentwicklung aufgegriffen werden. Die alternativen Ansätze der Initiativen können als soziale Innovationen betrachtet werden, die sukzessive kleine Veränderungen in bestimmten Bereichen des Ernährungssystems hervorrufen, die sich wiederum auf andere übertragen (Kropp und Stinner 2018). Der offen gehaltene Begriff der sozialen Innovation kann definiert werden als „von bisher praktizierten Selbstverständlichkeiten und Routinen abweichende, neuartige Praktiken, die Lösungen für gesellschaftliche Probleme darstellen und weitreichende strukturelle gesellschaftliche Veränderungen zur Folge haben“ (Rückert-John et al. 2013: 7). Laut Keck et al. (2016: 23) braucht es dazu „Transformationsräume als konkrete Örtlichkeiten, an denen die neuen Praktiken verstanden, ausprobiert, verändert oder verworfen werden können“. Es reicht nicht aus, Pläne von neuen Praktiken nur zu erforschen, sondern es muss gezeigt und vorgelebt werden, dass diese praktisch umsetzbar sind. Da in der Stadt nur noch wenig freie Flächen vorhanden sind, ein großer Bebauungsdruck besteht und Räume viel nachgefragt werden, stellt die Suche nach konkreten Örtlichkeiten ein Problem für die neuen Praktiken da. Daher werden entweder ungenutzte Flächen wiederbelebt und aufgewertet oder aber es muss ein Rückbau nicht nachhaltiger Strukturen mit in den Wandel einbezogen werden, durch den ein Zugang zu neuen Räumen in der Stadt entsteht (Schmid et al. 2020).

2.4. Ziele und Strategien

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen lassen sich Kernpunkte der Literatur zu einzelnen Dimensionen zusammenfassen, die für eine empirische Untersuchung der urbanen Ernährungsbewegung besonders von Interesse sind.

Zuerst wird sich mit den umfassenden Zielen beschäftigt, die aufzeigen, in welche Richtung sich die Nachhaltigkeitsinitiativen entwickeln sollen und für welche Themen sie sich einsetzen. Als zweiten Punkt wird sich intensiv mit den vielfältigen Strategien auseinandergesetzt, die aufzeigen, wie die Akteur*innen ihr transformatives Potenzial praktisch entfalten. Um die Komplexität der Strategien greifbar zu machen, werden diese in weitere Dimensionen zur Analyse unterteilt. Strategie wird in dieser Arbeit wie in der „strategy as practice community“ als etwas, „was Leute tun“ verstanden, sodass die alltäglichen Praktiken der handelnden Akteur*innen relevant sind (Müller-Stewens und Lechner 2016: 13). Zur Untersuchung der Strategien dienen unter anderem die fünf Dimensionen von Strategieprozessen aus dem Strategischen Management: Ort, Beteiligte, Timing, Ressourcen und Praktiken (Müller-Stewens und Lechner 2016). Kropp und Stinner (2018) halten diese auch für wichtig, da sie in ihrer Arbeit zur transformativen Kraft der urbanen Ernährungsbewegung Motive und Strategien einzelner Projekte anhand der Dimensionen Beteiligte, Ziele, organisatorische Formate, Angebote und Selbstverständnisse untersuchen. Unter Einbezug dieser und weiterer Literatur, die sich mit transformativen Handlungsansätzen beschäftigt, werden daraus die folgenden für diese Arbeit interessanten Dimensionen erarbeitet:

1. Ziele

In der Literatur wird der bisherige Wirtschaftsbegriff, der vor allem kapitalistische Unternehmen mit Lohnarbeit und Produktion für den Markt umfasst (Gibson-Graham 2008), erweitert um (nicht-kapitalistische) soziale und solidarische Ökonomien, die auf Vertrauen, Kooperativen, Tauschen oder Schenken beruhen (Schulz 2017). Die ökonomischen Ziele der Wachstums- und Gewinnorientierung werden also erweitert um eine Ausrichtung auf ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Ernährungsinitiativen können dabei weiterhin ein wirtschaftliches Interesse haben (zum Beispiel für die Existenzsicherung von Landwirt*innen), für die Alternativität der Projekte werden diese jedoch um ökologische und soziale Zielen ergänzt oder es besteht gar keine Wirtschaftlichkeit mehr im traditionellen Sinne, da alternative ökonomische Modelle zum Einsatz kommen (Rosol 2018). Für die Ziele ist auch die persönliche Motivation der Gründer*innen von Interesse, die meistens intrinsisch motiviert nach einer sinnvollen Tätigkeit suchen, um sozial-ökologische Probleme zu lösen und nachhaltige Strukturen zu schaffen (Kropp und Stinner 2018). Außerdem sollen bestimmte Zielgruppen erreicht werden und sich an Akteur*innen auf der lokalen, regionalen, nationalen oder globalen Ebene gewendet werden. Mit der Skalierbarkeit der Ziele wird untersucht, inwiefern die Projekte über ihre lokale Verwurzelung hinaus eine übergeordnete Ebene anstreben, für eine langfristige Sicherung und Weiterverbreitung der Ansätze (Schmid et al. 2020).

2. Zeit

Die zeitliche Dimension lässt sich ermitteln, indem die Ausrichtung der Ziele und Praktiken der Initiativen auf kurz-, mittel- oder langfristige Veränderungen erörtert wird. Hierfür kann einerseits der zeitliche Verlauf seit der Gründung der Initiative und die Umsetzung bisheriger Projekte betrachtet werden sowie andererseits die Pläne für die Zukunft. Konkrete Projekte lassen sich kleinräumig in kurzer Zeit umsetzen, wohingegen Pläne einer Systemveränderung einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen (Müller-Stewens und Lechner 2016).

3. Beteiligte

Um den Fokus auf die Akteur*innen zu vertiefen, wird genauer analysiert, aus welchen Mitgliedern sich die Gruppen zusammensetzen und welchen Hintergrund diese haben. Dafür können die Diversität, Offenheit und Möglichkeiten der Beteiligung in den Initiativen näher betrachtet werden (Müller-Stewens und Lechner 2016). Es wird auch untersucht, welche weiteren Akteur*innen an der Entstehung, den alltäglichen Praktiken, den Angeboten und sonstigen Prozessen beteiligt sind.

4. Ressourcen

Die Mobilisierung und Verfügbarkeit von Ressourcen ist laut Gernert et al. (2018) entscheidend für den Erfolg der Initiative. Dazu zählen einerseits Merkmale wie Gruppengröße, Expertise oder Erfahrungen (z.B. Fähigkeiten im Verhandeln, Expert*innenwissen, persönliche Kontakte, die für das Engagement interessant sein können), Bildungsstand, zeitliche Verfügbarkeit und Aktivität der Mitglieder. Andererseits ist das Vorhandensein finanzieller Mittel und Infrastruktur (Räume, Organisationsplattformen etc.) wesentlich. Die Verfügbarkeit dieser Ressourcen wird für die Initiativen auch auf den Ursprung der Mittel geprüft. Dafür spielen Kontakte, Beziehungen und Netzwerke zu anderen Akteur*innen im Ernährungsbereich, aber auch in der Stadt generell als Ressource für Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung, Austausch und Kooperationen eine Rolle. Auch relevant ist die Einbettung in einen größeren Rahmen (z.B. Teil einer größeren Organisation oder überregionaler Netzwerke), durch die Informationen verbreitet werden oder sich politische Unterstützung geholt werden kann (ebd.).

5. Praktiken

Für den Handlungsansatz besonders relevant sind die alltäglichen Praktiken der Akteur*innen, die in innere und äußere Praktiken unterschieden werden können. Mit inneren Praktiken ist die Organisationsstruktur gemeint, die sehr unterschiedlich ausfallen kann (Kropp und Stinner 2018). Dafür wird sich mit der Rechtsform oder anderen ökonomischen Organisationsformen (Kooperativen, Genossenschaften) und den Entscheidungsprozessen innerhalb der Gruppe beschäftigt. Außerdem können die Initiativen hinsichtlich Formen der ökonomischen Transaktion (Geld, Tausch, Schenkung) und alternativen Arbeitspraktiken wie dem Einbezug von unbezahlter Freiwilligenarbeit geprüft werden (Rosol 2018). In der Literatur werden häufig die Werte Solidarität, Demokratie, Transparenz, Vertrauen und persönliche Interaktion als Kennzeichnung von transformativen Praxen benannt (Gernert et al. 2018, Kropp und Stinner 2018, Rosol 2018). Mit diesen wird sich für die inneren Praktiken auch auseinandergesetzt. Die äußeren Praktiken beziehen sich auf die Angebote und Aktivitäten der Gruppen, die sich beispielsweise auf Möglichkeiten der Lebensmittelproduktion, gemeinsame Veranstaltungen oder Bildungsangebote beziehen können (Kropp und Stinner 2018). Dabei soll die Vielfalt der Tätigkeiten, ihre Regelmäßigkeit und der organisatorische Ablauf dargestellt werden. In Bezug auf die Angebote werden Hürden ausgearbeitet, die von der Nutzung abhalten.

6. Ort

Grundlage für Graswurzel-Initiativen und AFN ist eine vorzugsweise nahräumliche Verankerung und Einbindung in die lokale Gemeinschaft (Gernert et al. 2018, Kropp und Müller 2018). Aktivitäten- und Handlungsräume der in dieser Arbeit behandelten Initiativen konzentrieren sich auf die Stadt Bonn und Umgebung. Innerhalb dieser Eingrenzung werden relevante Orte für die Praktiken der Initiativen und ihre räumliche Verteilung oder Schwerpunkte im Stadtgebiet untersucht. Da als Merkmal von AFN räumlich und funktional kurze Lebensmittelliefer- bzw. Vermarktungsketten gelten, wird zusätzlich die Verortung der beteiligten Akteur*innen für eine Bewertung der Lieferketten betrachtet (Rosol 2018). Dabei wird die lokale Ebene nicht als grundsätzlich wünschenswert, sondern als eine Strategie angesehen, aus der bestimmte Absichten entwickelt werden können (Born und Purcell 2006).

3. Rahmenbedingungen in Bonn

Die Stadt Bonn bietet eine Menge Potenzial für eine Fallstudienuntersuchung von Nachhaltigkeitsinitiativen im Feld der Ernährung. Gelegen am südlichen Rand von Nordrhein-Westfalen grenzt die Bundesstadt im Norden an die Kölner Bucht, im Osten und Südosten an das Siebengebirge sowie im Süden und Westen an Ausläufer der Eifel. Naturräumlich kann Bonn in die Haupteinheiten „Unteres Mittelrheingebiet“ im Süden und „Kölner-Bonner Rheinebene“ im Norden gegliedert werden. Das Klima der Stadt am Rhein ist ozeanisch mit meistens milden Wintern und mäßig warmen Sommern geprägt. Für die landwirtschaftliche Nutzung bietet das Bonner Klima mit relativ warmen Temperaturen im Vergleich zu anderen Gebieten von Nordrhein-Westfalen günstige Bedingungen für verschiedene wärmeliebende Kulturen. Die mittlere Tagestemperatur im Zeitraum Mai bis September liegt bei über 16 Grad Celsius (betrachtet über den Zeitraum 1990 – 2006). Durch die klimatischen Vorteile können Felder früher bestellt und beerntet werden als in anderen Regionen. Zusätzliche Bewässerung ist jedoch in der Regel zwingend erforderlich, da die mittlere Verdunstungsrate die Niederschläge in den Sommermonaten übersteigt. Bodenkundlich betrachtet, herrschen rechtsrheinisch stark lehmige bis lehmige Sandböden der Rheinaue vor, während linksrheinisch Braunerden und Parabraunerden bestehen. Besonders die Böden im Bereich Dransdorf-Endenich und das Messdorfer Feld bieten eine hohe bis sehr hohe Ertragskraft für die landwirtschaftliche Nutzung (Schmitz 2007). Insgesamt lässt sich festhalten, dass „die besonderen klimatischen Gegebenheiten und die überwiegend hoch ertragsfähigen Böden, (…) optimale Ausgangsbedingungen für eine produktive und wirtschaftliche landwirtschaftliche bzw. gartenbauliche Produktion im Raum Bonn [bilden]“ (Schmitz 2007: 17).

Die Bonner Stadtfläche hat eine Gesamtgröße von 141,1 km2, wovon ein Drittel bereits bebaut ist (46,7 km2) und ein weiterer Teil über 39,8 km2 von Waldfläche eingenommen wird (Bundesstadt Bonn 2020). Die Einwohner*innenzahl beträgt 330.224 (Stand Januar 2019), wobei ein Wachstum von 12,1% von 2018 bis 2040 prognostiziert wird. Damit gehört Bonn neben Köln, Düsseldorf und Münster zu den wachstumsreichsten kreisfreien Städten und Kreisen in Nordrhein-Westfalen (Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn et al. 2019).

Im Jahr 2019 wurde vom Bonner Stadtrat die Klimaneutralität bis spätestens 2035 beschlossen. Als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie wurde das Leitbild der Stadt Bonn zu Klimaschutz und Klimaanpassung erarbeitet, das eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 40 % bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Jahr 1990 beinhaltet (Bundesstadt Bonn 2020). Für die verschiedenen Maßnahmen müssen Akteur*innen wie Bürger*innen und städtische Einrichtungen zusammenarbeiten. Besonders dabei ist, dass im September 2020 das Mitwirkungskonzept „Bonn4Future – Wir fürs Klima“ vom Stadtrat beschlossen wurde. Dabei handelt es sich um einen innovativen und breit angelegten Beteiligungsprozess, in dem Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik gemeinsam Strategien und konkrete Vorschläge zum Umgang mit der Klimakrise erarbeiten. Die in Bonn gegründete Transition-Town-Initiative Bonn im Wandel e.V. koordiniert das Projekt bisher, welches von vielen weiteren Organisationen, Firmen und wissenschaftlichen Einrichtungen unterstützt wird (Bonn for Future 2020).

Darüber hinaus ist die Stadt Bonn seit 2019 Mitglied im Netzwerk der deutschen Bio-Städte, -Gemeinden und -Landkreise mit den Zielen biologische Versorgung in Kindertagesstätten, Schulen und öffentlichen Einrichtungen sowie ökologische Landwirtschaft zu erhöhen. Des Weiteren soll zu diesen Themen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit geleistet und Akteur*innen vernetzt werden (Bundesstadt Bonn 2020). Außerdem wurde vom Bonner Oberbürgermeister die „ 2013 Bonn Declaration of Mayors “ des World Mayors Council on Climate Change mitgezeichnet, in der dazu aufgefordert wird, ganzheitliche Ernährungssysteme in Städten zu entwickeln, die für Ernährungssicherheit sorgen, Armut mindern, Biodiversität erhalten und fördern, sodass ein resilientes und angepasstes System entsteht (World Mayors Council on Climate Change 2013).

Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass die Stadt Bonn optimale Voraussetzungen für eine Analyse der transformativen Nachhaltigkeitsinitiativen im Ernährungssektor bietet. Einerseits ist durch Lage, Klima und Böden die landwirtschaftliche Situation als günstig zu bewerten, wodurch ein hohes Potenzial für eine produktive regionale Landwirtschaft besteht. Andererseits steht die Stadt vor Herausforderungen wie Bebauungsdruck, steigender Bevölkerungszahl und Klimawandel. Die gesetzten Ziele der Stadt, die sich auf ein resilientes Ernährungssystem, Förderung biologischer Landwirtschaft und städtischer Versorgung sowie Klimaneutralität beziehen, bedürfen einer breiten Beteiligung, in der die Initiativen auch eine Rolle spielen können. Aus diesen Gründen wurde sich für die Stadt Bonn als Untersuchungsgebiet entschieden.

Als empirische Untersuchungen in der Stadt Bonn sind eine Fallstudie über Austrittsgründe der Solidarischen Landwirtschaft Bonn/Rhein-Sieg e.V. (Maschkowski et al. 2018), eine Diplomarbeit zum Thema „Neue Formen urbaner Landwirtschaft in Bonn – Akteure, Kooperationen, Perspektiven “ (Fiergolla 2013) sowie ein Fachbeitrag zu konventioneller Landwirtschaft (Schmitz 2007) bekannt.

4. Methodik

Nach der Beschreibung des Untersuchungsgebiets wird im Folgenden das methodische Vorgehen der vorliegenden Fallstudie genau erläutert. Im ersten Teil der Methodik wird die Festlegung des Untersuchungsgegenstands beschrieben, um darauf aufbauend im zweiten Teil die verwendeten Erhebungs- und Auswertungsmethoden darzulegen.

4.1. Vergleichende Fallstudie

Für die vorliegende Arbeit ist ein methodisches Vorgehen aus der qualitativen Forschung sinnvoll, da es um eine intensive Auseinandersetzung mit einzelnen Fällen geht, bei der verschiedene Perspektiven und Vielschichtigkeit von Interesse sind (Flick 2017). Um der Komplexität des Gegenstands im Alltag gerecht zu werden, sind qualitative Methoden „durch eine Offenheit gegenüber ihrem Gegenstand gekennzeichnet, die auf unterschiedliche Weise gewährleistet wird“ abhängig von der Methode (Flick 2017: 27). Außerdem wird die Kommunikation des*der Forscher*in mit den jeweiligen Beteiligten zum Bestandteil des Forschungsprozesses, sodass Handlungen, Beobachtungen, Einflüsse, Gefühle etc. reflektiert werden (Flick 2017). Für die Reflektion hat diese Arbeit ein eigenes Kapitel (s. Kap. 7).

In der empirischen qualitativen Forschung ist die Methodik der Fallstudie gut geeignet für eine realitätsnahe Untersuchung und detailreiche Informationen, die über den Untersuchungsgegenstand generiert werden können (Flyvbjerg 2006). In dieser Arbeit wird der Ansatz einer vergleichenden Fallstudie genutzt, um „die gewonnenen Erkenntnisse durch Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Fällen kritisch [zu] beleuchte[n]“, wodurch die Ergebnisse als „überzeugender, vertrauenswürdiger und robuster“ als von Einzelfallstudien gelten (Borchardt und Göthlich 2007: 36f.).

4.2. Bestandsaufnahme der Nachhaltigkeitsinitiativen

Für die Beantwortung der Forschungsfragen wurde zuerst der Untersuchungsgegenstand identifiziert. Dafür ist eine Erhebung der aktiven Initiativen, Vereine und Unternehmungen im nachhaltigen Ernährungssektor von Bonn erfolgt. Diese wurde explorativ eingesetzt und als notwendig erachtet, um einen Überblick über die Initiativen und ihre Verbindungen zu erhalten. Die Bestandsaufnahme wurde mittels einer Online-Recherche auf verschiedenen Seiten, die bereits eine Sammlung von nachhaltigen Akteur*innen und Netzwerken in Bonn vorgenommen haben, erstellt (Bonn im Wandel 2020, Bonn Sustainability Portal 2019, Karte von Morgen 2020). Weitere Projekte wurden durch Hinweise und Verknüpfungen auf den Webseiten der bereits gefundenen Initiativen ausfindig gemacht. Durch das Vorwissen der Autorin wurden teilweise Initiativen von der Liste bereinigt, die aktuell nicht mehr existieren, obwohl online noch Informationen zu finden sind.

Das angewandte Suchmuster beruht auf Kriterien aus der Fachliteratur. Der Schwerpunkt lag auf lokalen Ernährungsprojekten und -unternehmungen, die versuchen, urbane Ernährungs- und Versorgungsverhältnisse in nachhaltiger Weise zu verändern (Kropp und Stinner 2018). Dies kann in verschiedenster Form umgesetzt werden, beispielsweise durch (1) ein alternatives Angebot von Produkten, (2) alternative Produzent*innen-Verbraucher*innen-Beziehungen und Vertriebswege oder (3) alternative Formen der Arbeit und der ökonomischen (Betriebs-)Organisation (Watts et al. 2005, ergänzt durch Rosol 2018). Lokal bezieht sich dabei nicht zwingend darauf, dass die Idee der Initiative ihren Anfang lokal in Bonn gefunden hat, sondern darunter wird die Ebene verstanden, auf der gehandelt wird, auf der die Initiative zu verorten ist oder für die sie hauptsächlich einen Nutzen generiert (Gernert et al. 2018). Der Radius ist in dieser Arbeit auf das Stadtgebiet Bonn festgelegt, wobei dadurch nicht impliziert werden soll, dass das Umland nicht relevant für die Ernährungswende in der Stadt ist. Eine weitere Eingrenzung geschah in Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Projekte, da sich alternative Initiativen durch eine Orientierung auf Gemeinwohl statt Profit auszeichnen (Rosol 2018). So wurden unternehmerische Initiativen mit aufgenommen, wenn neben dem ökonomischen Zweck klare ökologische und/oder soziale Ziele erkennbar waren. Anhand dieser Kriterien konnten 33 nachhaltige Ernährungsprojekte und -unternehmungen in Bonn ausfindig gemacht werden.

Im weiteren Vorgehen wurden Steckbriefe dieser Akteur*innen erstellt, um einen konkreteren Einblick in deren Ansätze zu bekommen. Die Steckbriefe wurden mit Hilfe von Online-Auftritten wie Homepages, sozialen Medien, Blogs oder online veröffentlichten Dokumenten (z. B. Vision des Netzwerks Essbare Stadt & Urbanes Gärtnern) verfasst. Dafür wurden auf den Internetseiten die Einträge mit den Stichworten „Über uns“, „Unsere Idee“ oder „Was wir machen“ ausgewertet. Teilweise wurden die Texte durch Informationen aus der Diplomarbeit über urbane Landwirtschaft in Bonn von Fiergolla (2013) ergänzt. Der Aufbau der Steckbriefe ist an den Dimensionen Ziele, Zeit, Beteiligte, Ressourcen, innere und äußere Praktiken sowie Ort ausgerichtet (soweit online Informationen dazu auffindbar waren). Anhand der recherchierten Informationen wurden die Initiativen im Ernährungssystem verortet und Schwerpunktbereichen der Wertschöpfungskette zugeteilt. Die gesamte Wertschöpfungskette im Ernährungsbereich verläuft über die Lebensmittelproduktion, zur Verarbeitung, in den Handel, bis zum Konsum und der politisch-institutionellen Steuerung (Ermann et al. 2018). Dadurch haben sich Typen entwickelt, durch die auch erste Aussagen über Ziele und Strategien transformativer Praktiken getätigt werden konnten. Die Steckbriefe sind vollständig im Anhang C einsehbar, während sich im Ergebniskapitel eine Zusammenfassung der Initiativen und Erklärung der Typen befindet (s. Kap. 5.1).

4.3. Auswahl der Fälle

Für die Auswahl der Fälle wurde auf die Strategie nach Flyvbjerg (2006) zurückgegriffen, in der Fälle nach der Erwartung des Informationsgehalts ausgewählt werden. Dadurch kann der Nutzen der Informationen in der Fallstudie auch mit einer kleinen Stichprobe maximiert werden (Flyvbjerg 2006). In dieser Arbeit erscheint es passend, die Fälle nach einer größtmöglichen Variation auszuwählen, um möglichst viele verschiedene Typen von Initiativen und neue Handlungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen zu beleuchten. Durch eine Variation der für die Untersuchung zentralen Variablen wird die Erklärungskraft erheblich erhöht (Gläser und Laudel 2010). Dafür können Fälle ausgewählt werden, die sich in einer Dimension, wie zum Beispiel der Größe, Organisationsform, Lage oder Budget unterscheiden (Flyvbjerg 2006). Die Ernährungsinitiativen wurden nach der Dimension Stufe der Wertschöpfungskette in Typen unterteilt und anhand der Steckbriefe aus jedem Typ eine Initiative ausgewählt, bei der ein hoher Informationsgehalt in Bezug auf die relevanten Dimensionen für die Beantwortung der Forschungsfragen erwartet wurde. Für vertiefende Fallstudien wurden der Gemeinschaftsgarten Vilich-Müldorf, die Marktschwärmerei Bonn-Südstadt, foodsharing Bonn und die Initiative zur Gründung eines Ernährungsrats für Bonn und Umgebung ausgewählt, sodass jeder Typ abgedeckt ist und eine breite Variation gegeben ist.

4.4. Expert*inneninterviews und Dokumentenanalyse

Die ausgewählten Fälle wurden in einer Kombination qualitativer Methoden näher untersucht. Für das explorative Erkenntnisinteresse dieser Fallstudie hat sich ein offenes halb-strukturiertes Leitfadeninterview angeboten. Geeignet dazu waren Expert*inneninterviews, da der Fokus auf den Perspektiven, Erfahrungen und Handlungsweisen der Expert*in als Repräsentant*in einer Gruppe liegt und weniger auf der befragten Person an sich (Flick 2017). Expert*innen können beispielsweise „Mitarbeiter einer Organisation in einer spezifischen Funktion und mit einem bestimmten (professionellen) Erfahrungswissen“ sein (Flick 2017: 215). Dieses Erfahrungswissen wird von zentralen Akteur*innen erhoben, die durch eine langjährige Tätigkeit oder einen privilegierten Zugang zu Wissen die gewünschte Erfahrung über den Untersuchungsgegenstand erhalten haben. Zusätzlich wurde eine Dokumentenanalyse als Ergänzung der Interviews genutzt. Dafür wurden am Ende der Gespräche Dokumente erfragt und gesammelt, sodass diese auch zur Auswertung herangezogen wurden. Dokumente stellen „eine spezifische Version von Realitäten dar, die für bestimmte Zwecke konstruiert wurde“ (Flick 2017: 327). Für die Analyse ist es wichtig, die Autor*innen, den Zugang und Zweck der Dokumente zu wissen (Flick 2017).

Insgesamt wurden vier Interviews mit sechs Expert*innen online (über Skype oder Zoom) oder in einem Fall face-to-face im Gemeinschaftsgarten durchgeführt, die zwischen 90 und 150 Minuten gedauert haben (s. Tabelle 1). Sowohl im Interview mit foodsharing als auch im Gemeinschaftsgarten Vilich-Müldorf waren zwei Expert*innen gleichzeitig anwesend. In allen vier Fällen wurden Gründungsmitglieder befragt, die über persönliche Kontakte oder eine Mail an die online angegebene Kontaktadresse erreicht wurden. Die Interviews wurden in Absprache und Einverständnis mit den Interviewpartner*innen durch eine Smartphone-App aufgenommen und zum Datenschutz nach der vollständigen Transkription gelöscht. Zusätzlich wurden sechs Dokumente gesammelt (s. Tabelle 1), die von Mitgliedern selbst erstellt wurden und sich an die Öffentlichkeit oder an Interessierte für die Angebote der Initiativen richten. So sind alle Dokumente entweder öffentlich zugängig oder auf Anfrage zu erhalten.

Tabelle 1 Übersicht der geführten Interviews und gesammelten Dokumente (eigene Darstellung)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4.5. Konstruktion des Leitfadens

Generell dient der Leitfaden als Orientierung und Checkliste, um trotz des offenen Interviewcharakters an einzelne, genau bestimmbare Informationen zu kommen und die Antworten auf die Forschungsfragen auszurichten (Gläser und Laudel 2010). Bei der Auswahl, Formulierung und Anordnung von Fragen für den Leitfaden wurde sich an den Grundsätzen und Regeln von Gläser und Laudel (2010: 142ff.) orientiert. Die Fragen wurden in sechs Themenblöcke unterteilt: Entstehung und Ziele, Struktur und innere Praktiken, äußere Praktiken, Ressourcen, Netzwerke und Wirkung. Diese orientieren sich an den Fragestellungen der Arbeit und den definierten Dimensionen von Zielen und Strategien (s. Kap. 2.4). Der Leitfaden ist im Anhang A einsehbar. Bei der Form der Fragen wurde überlegt, wie auf verschiedene Typen von Interviewpartner*innen Rücksicht genommen werden kann, sodass einerseits nicht zu viel und am Thema vorbei oder andererseits zu wenig erzählt wird. Dafür wurden offene Erzählanregungen genutzt und bei Bedarf für Details nachgefragt. Die Blöcke wurden durch eine Einstiegsfrage und einen Abschluss gerahmt. Zur Kontrolle wurde der Leitfaden den Prüffragen nach Ullrich (1999: 436f.) unterzogen. Für jedes Interview wurde der Leitfaden an die Initiativen angepasst, sodass zum Beispiel beim Block Wirkung zusätzlich zu einer allgemeinen Abfrage auch speziell nach der Wirkung bei der jeweiligen Zielgruppe gefragt wurde (z.B. Wirkung auf Kund*innen bei der Marktschwärmerei). Durch den Prozesscharakter qualitativer Forschung konnte der Leitfaden nach jedem Interview optimiert und Fragen, die sich als ungünstig erwiesen haben, klarer formuliert werden (Mattissek 2013).

4.6. Datenauswertung: Qualitative Inhaltsanalyse

Das Verfahren der strukturierenden Inhaltsanalyse von Mayring (2015) wurde zur Aufbereitung, Sortierung, Kategorisierung und Zusammenfassung der Daten benutzt, um darauf aufbauend durch eine stärker qualitativ-interpretative Auswertung (in Anlehnung an Borchardt und Göthlich 2007, Flyvbjerg 2006) ergänzt zu werden (im Gegensatz zu quantitativen Analysen in Form von Häufigkeitsauszählungen wie von Mayring vorgeschlagen).

Im ersten Schritt der Auswertung erfolgte die Transkription der Interviewaufnahmen als Basis für die folgende interpretative Auswertung, indem die gesprochene Sprache in normales Schriftdeutsch übertragen wurde. Da Inhalte und nicht die Sprache der Interviews im Fokus stehen, wurden Dialekte bereinigt und der Stil weitgehend geglättet, um die Lesbarkeit zu verbessern. Zusätzlich sollen in geringem Maße Kommentare an auffälligen Stellen wie Pausen, Betonungen oder Lachen hinzugefügt werden, die Informationen für die spätere Interpretation liefern können (Mayring 2016). Dabei ist zu beachten, dass die Verschriftlichung des Gesagten eine erste Interpretation der Daten bedeutet (Flick 2017). Die Transkriptionsregeln werden im Anhang E-2 ausführlicher beschrieben.

Bei dem Interview mit Beteiligten des Gemeinschaftsgartens Vilich-Müldorf wurde eine Tonaufnahme als unangebracht angesehen, da es keine*n feste*n Gesprächspartner*in gab, sondern mehrere Beteiligte zeitgleich beim Gärtnern befragt wurden. Daher wurde zur Aufbereitung auf die Anfertigung eines Protokolls zurückgegriffen, indem während der Gespräche im Garten stichpunktartig und handschriftlich das Gesagte festgehalten und im direkten Anschluss das Protokoll am Computer ausformuliert wurde, um so wenig wie möglich Informationen zu vergessen (Mattissek et al. 2013: 197).

Zur Datenanalyse wurde sich als Technik der qualitativen Inhaltsanalyse an dem Ablaufmodell der inhaltlichen Strukturierung von Mayring (2015: 97ff.) orientiert. Diese verfolgt das Ziel Material zu bestimmten inhaltlichen Punkten herauszufiltern. Die Schritte des allgemeinen Modells der strukturierenden Inhaltanalyse wurden abgearbeitet (s. Abb. 1) und nach dem siebten Schritt durch die Schritte Paraphrasierung des extrahierten Materials, Zusammenfassung pro Kategorie und Zusammenfassung pro Hauptkategorie ergänzt (Mayring 2015). Die Kategorien zum Kodieren wurden deduktiv aus der Literatur hergeleitet (s. Kap. 2.4), die auch Basis für den Leitfaden waren. Weitere Kategorien, die als relevant für die Beantwortung der Forschungsfragen erschienen, wurden induktiv hinzugefügt, da Textpassagen teilweise nicht den deduktiven Kategorien zugeordnet werden konnten (Gläser und Laudel 2010). Das Kategoriensystem (s. Anhang B) wurde auf das Datenmaterial der drei Transkripte, des Protokolls und der sechs gesammelten Dokumente angewandt. Zur Unterstützung beim Kodieren und für einen vereinfachten Vergleich der kodierten Textstellen wurde das Programm MAXQDA Plus 2020 genutzt.

[...]


1 Im Sinne von nachhaltig, umweltfreundlich, qualitativ, gesund und fair hergestellt

Fin de l'extrait de 90 pages

Résumé des informations

Titre
Der Beitrag von lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen zur Ernährungstransformation in Bonn. Ziele und Strategien transformativer Akteur*innen
Université
University of Bonn  (Geographisches Institut)
Note
1,1
Année
2020
Pages
90
N° de catalogue
V1003881
ISBN (ebook)
9783346384027
ISBN (Livre)
9783346384034
Langue
allemand
Mots clés
Initiativen, Ernährung, Transformation, foodsharing, Marktschwärmer, alternatives Wirtschaften, Ernährungsrat, Urban Gardening, vergleichende Fallstudie, Expert*inneninterviews, qualitative Inhaltsanalyse, change agents
Citation du texte
Anonyme, 2020, Der Beitrag von lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen zur Ernährungstransformation in Bonn. Ziele und Strategien transformativer Akteur*innen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1003881

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