Das Motiv des Gauchs als Beizvogel in Sebastian Brants "Narrenschiff" und Thomas Murners "Die Narrenbeschwörung". Eine Untersuchung


Hausarbeit, 2016

39 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Einleitende Gedanken zu Brants Narrenschiff und zu Murners Narrenbeschwörung
2.1. Das Narrenschiff von Sebastian Brant
2.2. Brants Ständekritik
2.3. Thomas Murners Narrenbeschwörung
2.4. Murners Ständekritik

3. Bedeutungstragende Hintergründe zum behandelten Gegenstand der Falkenjagd
3.1. Falkenjagd als Beschäftigung des Adels
3.2. Zur Symbolik des abgerichteten Falken bzw. der Falkenjagd
3.2.1. Der abgerichtete Falke als Symbol des Adels
3.2.2. Der abgerichtete Falke als Minnesymbol
3.2.3. Der abgerichtete Falke und die Falkenjagd als Vanitas-Symbol
3.2.4. Der abgerichtete Falke und die Falkenjagd und die sieben Hauptlaster
3.2.5. Der abgerichtete Falke und die Falkenjagd als Symbol der Erziehung der Jugend zur Tugend

4. Der Gauch / Kuckuck als Parodie des abgerichteten Falken bei Brant und Murner
4.1. Brant, NS 13 Von buolschafft
4.2. Brant, NS 8 Nit volgen gutem ratt
4.3. Brant, NS 44 Gebracht in der kirchen
4.4. Murner, NB 12 Fantasten beitzen

5. Schluss

Literatur

Quellen:

Wörterbücher

Sekundärliteratur

Anhang

1. Einleitung

Eine Bezeichnung für den Narren ist in Brants Hauptwerk Das Narrenschiff und in den Werken Murners Narrenbeschwörung und Schelmenzunft ˮgouch“, neben den Denominationen Tor, Schelm, Esel und Affe. Unter gouch verstand man damals auch den Kuckuck. In den behandelten satirischen Werken tritt er allerdings ebenso als Beizvogel auf, was für die Interpretation der Texte weitgehende Auslegungsmöglichkeiten öffnet, da die Falkenjagd / Beizjagd im europäischen Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine bedeutungstragende Insignie des Adels war und zudem von weitreichendem Bedeutungswert ist. Für die Interpretation erweist sich dies als umso bedeutender, weil in der Satire Tierdarstellungen ohnehin schon nicht nur aufgrund ihrer Symbolik auf ganz bestimmte gesellschaftliche Umstände oder individuelle Makel hinweisen.

Bezüglich des spezifischen Aussagewerts von Tierdarstellungen sei angemerkt, dass eine ausgiebige Untersuchung der Tiergestalten im Hauptwerk von Brant und ebenso in Murners NB und SZ ein Desiderat bleibt und bisher weitgehend unberücksichtigt geblieben ist.1

In Anbetracht der Tatsache, dass Tiere bei Brant und Murner oft in Phraseologismen vorkommen, die nicht immer für die einzelnen Texte von zentraler Bedeutung sind, müsste zunächst einmal ein Schwerpunkt nach der Relevanz, genauer nach dem Bedeutungsgehalt für den jeweiligen Einzeltext und damit zusammenhängend für die Holzschnitte, der Tierdarstellungen gelegt werden. Einer synoptischen Betrachtung aller Tierdarstellungen in Brants NS und in Murners NB und SZ kann wegen des beschränkten Umfangs dieser Arbeit, nicht nachgegangen werden. In vorliegender Arbeit wird, von der Motivwelt des Mittelalters ausgehend und einer literaturhistorischen und ikonographischen Betrachtungsweise folgend, spezifisch das Motiv der Beizjagd und der parodierenden Beizjagd mit einem Kuckuck (Gauch) untersucht. Es soll nebenbei berücksichtigt werden, ob Brant und Murner anhand des benutzten Motivs eine bestimmte Ständekritik auszusprechen gedachten.

2. Einleitende Gedanken zu Brants Narrenschiff und zu Murners Narrenbeschwörung

2.1. Das Narrenschiff von Sebastian Brant

Das von Sebastian Brant (1458–1521) im Jahre 1494 gedruckte satirische Werk Das Narrenschiff, eines der großen Klassiker der deutschen Literatur, das durch etliche Übersetzungen (nicht nur ins Lateinische) in jener Zeit in Europa bekannt wurde, gilt als der größte deutsche Bucherfolg vor Goethes Werther.2 Der humanistisch gebildete Brant bezog in sein Werk verschiedene spätmittelalterliche (Gattungs-)Elemente aus „Zeitklage, Ständesatire, moralisierender Lehrdichtung, Totentanz, Schwankdichtung und Fastnachtsbrauchtum“3 mit ein. Darüber hinaus bediente er sich des abstrakteren Konzepts der sieben Todsünden, die man im Mittelalter als Personifikationen darstellte.4

Die Appellfunktion des Werkes liegt darin begründet, dass Narren sich durch Selbsterkenntnis von diesem Übel, das aus der Sünde der Unwissenheit erwächst, befreien können.5 Darüber hinaus soll diese Selbstüberwindung zu einer Loslösung von den mit der Vanitas zusammenhängenden Lebensaspekten irdischen Daseins und dem Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit führen.6 Brant geht somit von der Vorstellung aus, man könne durch Weisheit zur Einsicht gelangen, und so bedient er sich „bewußt einer negativen Sittenlehre.“7 Diese Vorstellung gibt er im NS selbst kund, wenn er sagt: „ Dann wer sich für ein narren acht / Der ist bald zü eym wisen gmacht.8

Was die Zielgruppe anbelangt, so reihe Brant nach Bohnert das Werk „in die der Unterhaltung dienende Gebrauchsliteratur ein, die in der Stadt, wo das Lesepublikum im wesentlichen zu Hause war,“9 gelesen wurde. Aufgrund der Aussage in der Vorrede, dass die Narren auf Straßen und Gassen sind, ist ein städtischer Hintergrund anzunehmen.10 Mit der Verwendung der Volkssprache verfolgte Brant wohl das Ziel auch diejenigen Städter zu erreichen, die des Lateins nicht mächtig waren. Zur Funktionalität der Buchillustrationen, die dem humanistischen Sinne nach einem didaktischen Ziel folgen, hat sich Brant in der Vorrede zum NS selbst geäußert, indem er den Bildern den Wert beimisst, dass sie für jedermann einen inhaltlichen Lehrgedanken verständlich machen sollen.11 Dass Brant die Komposition und die Inhalte der Holzschnitte vorgab oder anders ausgedrückt „ordinierte“,12 davon geht die Brant-Forschung weitgehend aus.13

2.2. Brants Ständekritik

Die mittelalterliche Gesellschaft ließ sich in die drei Stände Aristokratie, Klerus und Bauernstand unterteilen. Bezüglich des Ständebegriffs im NS sei angemerkt, dass Brant „die Topoi des dreistufigen Ordo mit der Teilung des dritten Standes in Bauern, Handwerker und Kaufleute neben der Anklage bestimmter Berufsgruppen“ verwendet.14 Von der thomistischen Lehre der naturrechtlichen Gegebenheit der ordo weicht Brant hierbei nicht ab. In Bezug zum adligen Stand setzt er allerdings insofern Akzente, als er den Gedanken, dass Adel aus der Tugend erwächst, betont.15 Ansonsten richtet Brant seine Kritik auch gegen jenen Typ des Bauern bzw. Bürgers, der von der Superbia geleitet und durch seinen Aufstiegsdrang motiviert nur nach Geld trachtet, dasselbe gilt für Handwerker und Kaufleute und allen voran für den Klerus.16 Zum Aufstiegsdrang bestimmter Vertreter der verschiedenen Stände hat sich Brant in seinen Schriften geäußert (vgl. Bohnert 1985, S. 636).17

Eine gewisse Kontextbezogenheit zum damaligen Ständegedanken kommt letztlich auch im letzten Kapitel (Kap. 112) mit dem Titel Der wis man zum Ausdruck, in welchem allgemeine Verhaltensweisen und Einstellungen eines weisen Mannes wiedergegeben werden und wo es folglich heißt: „ Er acht nit / was der adel spricht / Oder des gemeynen volcks geschrey.18 Brants literarischer Anspruch bewegt sich hier auf dem literarischen Parcours einer Ständesatire, die im Hochmittelalter ihren Anfang nahm und danach zuvörderst im Schwank und im Fastnachtsspiel hervortrat, als „Verspottung sowohl des Bauern als auch des gesellschaftl[ichen] Ritterethos durch e[in] selbstbewußtes Bürgertum.“19

2.3. Thomas Murners Narrenbeschwörung

Während Brants Leitgedanke im NS von der Vorstellung getragen wurde, man könne einem Narren durch Selbsterkenntnis zum rechten Wege verhelfen, vertrat Thomas Murner (1475–1573) die Ansicht, man müsse die Narrheit wie das Böse herausexorzieren oder herausbeschwören, wie schon der Titel seines Werkes Narrenbeschwörung (1512) zu erkennen gibt.20

Murners NB knüpft thematisch und formal an Brants NS an und baut zudem auf kleine lateinische Predigt- und deutsche Kanzelreden auf, die er vermutlich 1511 / 1512 in Frankfurt a. M. hielt.21 Kennzeichnend an der NB ist, dass Murner sich in den satirischen Anklagen (als Autor) selbst zu den Narren zählt „[u]nd damit beginnt die Selbstreflexion des Satirikers, die in der mittelalterlichen Satire ja noch unbekannt ist.“22

2.4. Murners Ständekritik

In der NB gerät an erster Stelle unverkennbar die Geistlichkeit ins Kreuzfeuer der satirischen Kritik Murners, die im Gegensatz zu jener Brants nicht ganz latent erscheint und direkter anklagt.23 Seinem Hohn und Spott ausgesetzt sind die Geistlichen aufgrund ihres anrüchigen Verhaltens – das vielfach bereits von Brant angedeutet wurde –; so beklagt Murner „die spätmittelalterliche Benefizien- und Fiskalpraxis, die Pfründenjagd, das Zehntwesen, die vielfachen Geldleistungen für geistliche Dienste und die Geldgeschäfte des Klerus.“24 Gegen den Adel hat Murner einzuwenden, dass dieser seiner gesellschaftlichen Stellung und der damit zusammenhängenden Verantwortung nicht adäquat nachkommt.25

3. Bedeutungstragende Hintergründe zum behandelten Gegenstand der Falkenjagd

3.1. Falkenjagd als Beschäftigung des Adels

Unter Falkenjagd, auch Beizjagd genannt, ist die Jagd mit abgerichteten Falken – oder anderen Greifvögeln wie Habicht und Sperber – auf Reiher, Enten, Wachteln, Rebhühnern, Hasen und auf anderes Hoch- und Niederwild zu verstehen. Im Mittelalter, besonders im Hochmittelalter, war sie eine beliebte Tätigkeit, die der Zerstreuung diente. Sie wurde allmählich zu einer sozialen Etikette, die den Status und die Zugehörigkeit zu einer Elite markierte.26

Die Falkenjagd galt wegen ihrer aufwendigen „Beschaffung, Abrichtung und Haltung der Raubvögel zu den besonders teuren, aber auch höchst geschätzten Jagdvergnügen.“27 Zahlreiche Darstellungen des Hoch- und Spätmittelalters belegen zudem, dass die abgerichteten Beizvögel von den Adligen (Damen und Herren) stets mit sich getragen wurden und auch in der Zimmerischen Chronik (Mitte 16. Jh.) wird davon berichtet, dass die Herren ihre Falken mitnahmen, wenn sie auf der Straße waren, in der Stadt oder auch im Wald, vor Gericht oder sogar beim Karneval.28 Die Neubelebung „[r]itterlicher Ausdrucksformen wie Turniere und Hoffeste“29 bewirkte natürlich eine Aufwertung der Falkenjagd und erhielt die aus dem Hochmittelalter fortwirkende Symbolhaftigkeit aufrecht. Belege aus Süddeutschland aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zeigen, dass die aufwendige Beizjagd gleichfalls von wohlhabenden (Stadt-)Bürgern betrieben wurde, die in den Städten die Lebensweise der Adligen nachahmten.30

3.2. Zur Symbolik des abgerichteten Falken bzw. der Falkenjagd

3.2.1. Der abgerichtete Falke als Symbol des Adels

Wenn man bedenkt, dass die Falkenjagd und ebenso der abgetragene Falke der Repräsentation des Adels diente, erscheint es naheliegend, dass der Falke nicht nur zum reellen Statussymbol wurde, sondern auch zum Symbol in Kunst und Literatur. Als solches tritt er nämlich in Erscheinung in der fiktionalen Literatur des Mittelalters und in den ikonographischen und emblematischen Darstellungen.31 Auch in non-fiktionalen Texten (v.a. in Falkentraktaten) wird stets betont, dass die Falkenjagd ein Privileg des Adels war, wobei die Bedeutung dieser sozialen Exklusivität zum Spätmittelalter hin anwächst.32 So wird in dem englischen Jagdbuch The Boke of Saint Albans (1486) eine gesellschaftliche Rangordnung anhand von verschiedenen Greifvogelarten wiedergegeben, die den Vertretern des jeweiligen Ranges als Attribut zugeordnet wurden. Der Adler blieb bspw. dem Kaiser (als Attribut) vorbehalten, der Gerfalke dem König, der Wanderfalke dem Grafen, der Sakerfalke dem Ritter und der Sperber dem Pfarrer.33 Auch im Nibelungenlied erscheint der Falke in der Bedeutung des edlen Mannes. In der ersten Âventiure deutet Ute, die Königin, ihrer Tochter Kriemhild den Traum, in welchem sie, wie sie ihrer Mutter bereits erzählt hatte, „ züge einen valken, stárc scóen und wilde “, unter anderem mit der Gleichsetzung des Falken mit einem Edelmann und antwortet ihrer Tochter „ der valke den du ziuhest, daz ist ein edel man.34

3.2.2. Der abgerichtete Falke als Minnesymbol

Ende des 12. Jahrhunderts nimmt der Falke innerhalb des Minne-Diskurses immer mehr die Bedeutung des Liebhabers, seltener der Geliebten, ein, was sowohl in der mittelalterlichen Ikonographie als auch und insbesondere in der höfischen Literatur zum Ausdruck kommt.35 Hierbei wurde neben anderen semantischen Beziehungen u.a. die Treue des Falken gepriesen, die sich in der Rückkehr des Falken zu seinem Besitzer metaphorisch deuten lässt.36

3.2.3. Der abgerichtete Falke und die Falkenjagd als Vanitas-Symbol

In der mittelalterlichen Ikonographie wird die Falkenjagd allerdings auch kritisch beäugt und tritt so auch im Zusammenhang des Vanitas-Gedankens auf. Die bildliche Darstellung „Drei Lebende und drei Tote“ (Anfang 14. Jh.), die drei Edelleute abbildet, die auf der Falkenjagd drei Toten begegnen, von denen sie vor den vergänglichen Tätigkeiten des Lebens gewarnt werden, ist diesbezüglich das bekannteste Beispiel.37 Doch auch in Texten des 13. und 15. Jahrhunderts wird dieser Sinngehalt thematisiert.38

3.2.4. Der abgerichtete Falke und die Falkenjagd und die sieben Hauptlaster

Darüber hinaus personifizierte die Falkenjagd im Mittelalter die zu den sieben Hauptlastern zählende Superbia (Stolz)39 und der Falke repräsentierte das Laster der Gula (Gefräßigkeit) und der Luxuria (Wollust),40 Letzteres ebenso der Habicht.41 Nachdem die Falkenjagd im ausgehenden Mittelalter ihre ritterliche Etikette allmählich abgelegt hatte und als kurzweilige Beschäftigung weitgehend zur Lebenswelt des Adels und des höheren Bürgertums gehörte, trat die Darstellung des Falken / Habichts nun auch in der Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts als Symbol der Luxuria (Wollust) auf.42

3.2.5. Der abgerichtete Falke und die Falkenjagd als Symbol der Erziehung der Jugend zur Tugend

Ende des 15. Jahrhunderts bis Ende des 17. Jahrhunderts stellen Bilder von Knaben mit Beizvögeln in übertragenem Sinne die Erziehung der Jugend zur Tugend dar.43

4. Der Gauch / Kuckuck als Parodie des abgerichteten Falken bei Brant und Murner

4.1. Brant, NS 13 Von buolschafft

Bei Brant und Murner wird die Beizjagd parodiert, indem an Stelle von Beizvögeln auch Gäuche, also Kuckucke als solche erscheinen. Doch wodurch wurde diese Wahl motiviert?

Gouch ist bereits in der mittelhochdeutschen Literatur mit der Bedeutung des Narren belegt44 und ist keine neue Bedeutungszuweisung, die auf Brant zurückgeht. Als parodierender Beizvogel ist er ebenfalls schon vorher belegt, nämlich in einem Spruchband zu einem Kupferstich des Meisters der Weibermacht (um 1480), in dem die Worte der Venus wiedergeben werden sollen („[…] Eyn gauch dar is myn federspil […]“),45 die auf einem Esel reitend angebundene Affen hinter sich her zieht und einen Gauch (Kuckuck) als Beizvogel in ihrer Hand hält (siehe Abb. 1). Die Parallelen, die zwischen oben genanntem Holzschnitt und jenem zu NS 13 (siehe Abb. 2) bestehen, sprechen dafür, dass sich Brant v.a. für den Holzschnitt von NS 13 hat inspirieren lassen.46 Der buhlerische Aspekt des Kuckucks lässt sich dabei dem Sujet von NS 13, das den Titel Von buolschafft trägt, gut unterordnen.47 Und so sagt Venus – die in der spätmittelalterlichen Tradition der Luxuria-Bilder48 steht und zugleich mit vielen Attributen der Jagdgöttin Diana erscheint –, wenn sie vom Kuckuck spricht, dass sie aus wem sie wolle einen Gauch, sprich einen Narren, machen könne.49 Der Narr, der auf der pictura zu NS 13 abgebildet ist, trägt dabei einen Beizvogel auf seiner linken mit einem Falknerhandschuh versehenen Hand (siehe Abb. 2, Detail). Die skelettartige Todesfigur der Vanitas, die der Venusfigur schon fast zur Seite steht, kann hier auch als Hinweis auf die mittelalterliche ikonographische Symbolik der Beizjagd als Vanitas-Symbol gedeutet werden, neben der Tatsache, dass hier ein Totentanzmotiv vorliegt, der zugleich ebenfalls eine besondere Relevanz innewohnt, nämlich jene, dass ein jeder Stand vom Tode heimgesucht wird, und gerade hierin ließe sich das Falkenjagdmotiv beim Narren funktionell als Ständerepräsentation deuten. Ein Aspekt, der in der bildlichen Darstellung des Meisters der Weibermacht (um 1480) nicht vorliegt und darüber hinaus im Textkapitel von NS 13 auch angesprochen wird („ Die bůolschafft ist eym yeden stand50 ).

4.2. Brant, NS 8 Nit volgen gutem ratt

In diesem Kapitel des NS steht die Falkenjagd nicht im Mittelpunkt der Betrachtung. Brant gibt, wie aus dem vorangestellten Motto und vor allem aus dem Titel (Nit volgen gutem ratt) unschwer zu erschließen ist, die allgemeine Verhaltensmaßregel, gutem Rat zu folgen und sich dabei nicht selbst als klug und weise zu dünken, die in Form von sprichwörtlichen Aussagen ausformuliert wird,51 neben den exemplarischen Beweisstücken aus der Bibel, die ebenfalls vorkommen.52

Der Gauch als Beizvogel

Was in diesem Kapitel allerdings auffällt, ist die einzige bildliche Stilfigur, die im ganzen Kapitel vorkommt, nämlich jene in der ersten Sentenz des beginnenden Textes des Gauchs / Kuckucks als Jagdvogel, der bei Brant noch als Federspiel 53 bezeichnet wird.54 Da heißt es: „ Der ist ein narr der wys will syn || Vnd weder glympf / noch moß důt schyn || Vnd wenn er wysheit pflegen will || So ist ein gouch syn fäderspyl.“ 55 Hieraus wird deutlich, dass sich ein Einfluss vom oben erwähnten Kupferstich des Meisters der Weibermacht (um 1480) (siehe Abb. 1) nicht nur auf den Holzschnitt von NS 13 (siehe Abb. 5) bemerkbar macht, wie in den einschlägigen Forschungsarbeiten auch richtig betont wird, sondern auch im Kapitel 8 des NS, das hingegen von der Aussage Eyn gauch dar is myn federspil des Kupferstichs inspiriert scheint und somit eine hypertextuelle Beziehung zu NS 8 aufbaut. Nur hat Brant die Erneuerung vorgenommen, den gouch als Beizvogel hier dem Narren als Attribut anzuheften. Er baut dabei auf die semantische Kohärenz auf, die zwischen dem früher belegten Beizvogelgeschirr (Falkenhaube und Bellen / Schellen) und den Narrenattributen (Narrenkappe und Schellen) besteht.56

Die Bedeutung des Verses, in dem der Kuckuck als Beizvogel erwähnt wird, wird textuell wohl auch dadurch hervorgehoben, dass er die Bildseite abschließt, und wie Raupp hierzu anmerkt, den Rest der Bildseite an die Illustration anbindet.57

In dieser Passage wird allgemein der individuelle Umgang mit Weisheit angesprochen und der Ratschlag gegeben, dass man gutes Benehmen zeigen und Maß halten muss,58 wenn man „ wysheit pflegen will.59 Doch dies wird als unmöglich betrachtet und trifft für den Narren nicht zu. Denn sollte dies auch zutreffen, dann käme dies dem Umstand gleich, als würde man einen Kuckuck als Jagdvogel benutzen wollen und diese Absicht zeichne eben einen Narren aus. Diese Umschreibung, die Brant einsetzt, ist mit der rhetorischen Figur des Adynaton zu erklären. In der Darstellung des Holzschnitts fällt ebenso der Kuckuck in der Hand des Narren auf, der einen Falknerhandschuh an hat (siehe Abb. 5). Daneben erscheint der Narr, der am Pflug zieht, als aussagekräftiger Inhalt des Bildes, der jedoch im Text nicht erwähnt wird.60

[...]


1 „Eine Untersuchung der Tierdarstellungen in Bild und Text des Narrenschiffes steht noch aus“ (Eckhardt, Holger: Totentanz im Narrenschiff. Die Rezeption ikonographischer Muster als Schlüssel zu Sebastian Brants Hauptwerk, Frankfurt a. M. u.a. 1995, S. 174, Anm. 496). Lediglich Leibbrand greift in einem Kapitel (5.1.5.) diese Thematik bezogen auf Brants NS auf (vgl. Leibbrand, Jürgen: Speculum bestialitatis. Die Tiergestalten der Fastnacht und des Karnevals im Kontext christlicher Allegorese. München 1989, S. 221–227). Zu den Tiergestalten im NS hält er fest, dass, während „[b]ei den bekannteren Tierarten wie Affe, Esel, Fuchs, Hund, Schnecke, Schwein oder Wolf […] eine der traditionellen Grundbedeutungen zum Tragen“ kommt, das NS „als Individualdichtung eine Fülle eigener Akzente [zeigt], die nur einem Publikum, das mit der gängigen Tierallegorese vertraut war, in ihrer pointierten Nuancierung deutlich werden konnten“ (ebd., S. 226). Auf Lefftz sei hingegen in Bezug auf Murners Werke verwiesen, der im Kapitel 4.2.8. eine Auflistung der Tierbelege gibt, ohne jedoch auf deren Symbolik und literaturhistorische Relevanz einzugehen (vgl. Lefftz, Joseph: Die volkstümlichen Elemente in Murners Satiren. Straßburg 1915 (= Einzelschriften zur Elsässischen Geistes- und Kulturgeschichte 1), S. 157–163).

2 vgl. Stoll, Christoph: Das Narren Schyff. In: Kindlers Literatur Lexikon, Bd. 8. München 1986, S. 6619f.

3 ebd., S. 6619a.

4 vgl. ebd.

5 vgl. ebd.; vgl. Aker, Gudrun: Narrenschiff. Literatur und Kultur in Deutschland an der Wende zur Neuzeit. Stuttgart 1990. (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 216), S. 91.

6 vgl. Singer, Karin: Vanitas und Memento Mori als Grundzüge des „Narrenschiff“ und seines Dichters. Motive und Metaphern. Würzburg 1967, S. 212.

7 vgl. Stoll, Das Narren Schyff, S. 6619a.

8 NS Vorrede, vv. 41f.; vgl. hierzu: NS Vorrede, vv. 65–67; NS 11, vv. 87–89. Im Grunde genommen geht Brant hierbei der Auffassung Aristoteles’ nach, in der Dichtung nicht nur eine mimetische Funktion zu sehen, sondern auch als Ausdrucksform zu betrachten, die ebenso „das Allgemeine in singulären Ereignissen zeige“ (Kaul, Susanne: Erzählen als Erkenntnisform. In: Handbuch der Erzählliteratur. Theorie, Analyse, Geschichte. Hrsg. von Matías Martínez. Stuttgart, Weimar 2011, S. 98a; vgl. hierzu ebenso: Knape, Joachim: Einleitung. In: Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Mit allen Holzschnitten des Drucks Basel 1494. Hrsg. von Joachim Knape. Stuttgart 2011, S. 42).

9 Bohnert, Christiane: Sebastian Brants ’Narrenschiff‘. Satire und Wirklichkeit an der Schwelle zur Neuzeit. In: Daphnis 14 (1985), S. 620.

10 vgl. ebd., S. 621.

11Wer yeman der die gschrifft veracht / Oder villicht die nit künd lesen / Der siecht jm molen wol syn wesen / Vnd fyndet dar jnn / wer er ist “ (NS Vorrede, vv. 26–29).

12 „Dieses „Ordinieren“ ist offenbar als eine Art ikonographischer Beratung zu verstehen, mit der Brant den Illustratoren den humanistischen und moral-philosophischen Gehalt der Stoffe […] erklärte“ (Schneider, Das Narrenschiff, S. 120). Unter den Nicht-Gelehrten war in jener Zeit zudem die Praxis des lauten Lesens üblich, des Vortragens, damit den Analphabeten das geschriebene Wort vermittelt wurde (vgl. Aker, Narrenschiff, S. 89; vgl. Bohnert, Sebastian Brants ’Narrenschiff‘, S. 620).

13 vgl. Schneider, Das Narrenschiff, S. 110–120. Der Anlass, der die germanistische Forschung dazu angeregt hat, ist Brants Aussage in der Vorrede zum NS „ Der bildniß jch hab gar gemacht “ (NS Vorrede, v. 25).

14 Bohnert, Sebastian Brants ’Narrenschiff‘, S. 633.

15 vgl. ebd., S. 634. Seine Ständekritik ist auch gegen die Fürsten gerichtet, die er für den Niedergang des Reiches mitverantwortlich macht, die ihren Pflichten nicht nachgehen und den Schutz ihrer Untertanen nicht mehr gewährleisten (vgl. ebd., S. 635).

16 vgl. ebd., S. 635f. Der Umstand, dass sich in dieser neuen bürgerlichen Epoche die Stadt als Lebenskern eines neuen Bürgerideals herausbildete, in der sich u.a. auch eine „neue, primär auf den Intellekt ruhende Geistigkeit“ bildet, die „nicht aus irgendeiner Klosterzelle stammt“, hat diese Distanzhaltung gegenüber dem Klerus gefördert (von Martin, Alfred: Humanismus als Romantik und Restauration. In: Wege der Literatursoziologie. Hrsg. von Hans-Norbert Fügen. Neuwied, Berlin 21971, S. 144).

17 In den italienischen Städterepubliken hatte sich diese Entwicklung bereits vorher abgezeichnet, dass Großkaufleute den Beschäftigungen des Adels nachgingen, denn sie hatten „neben dem Geschäft noch die Zeit und Sinn für Vergnügen, Sport, Genuß des Lebens“ (von Martin, Humanismus als Romantik und Restauration, S. 147).

18 NS 112, vv. 8f.

19 von Wilpert, Gero: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 82001 1955, S. 718b. Arntzen interpretiert die Abfolge der 112 Kapitel im NS, die keinem festen Prinzip folgt, dergestalt, dass sich darin eine Inkohärenz zur hierarchischen Struktur der Moral- und Ständesatire zeige, was bedeute, „daß es letztlich keine hierarchische Struktur der Tugenden und Laster mehr gibt“ (Arntzen, Helmut: Satire in der deutschen Literatur. Geschichte und Theorie. Bd. 1: Vom 12. bis zum 17. Jahrhundert. Darmstadt 1989, S. 117). Das NS kann ebenso als Narrenkatalog aufgefasst werden, das, neben der Tatsache, dass es ein willkürliches Anordnungsprinzip aufweist, „zunächst nicht als Buch, sondern als Folge von losen Flugblättern geplant gewesen sein mag“ (Stoll, Das Narren Schyff, S. 6620a). Zur Ständesatire im MA siehe: Rosenfeld, Helmut: Die Entwicklung der Ständesatire im Mittelalter. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 71 (1951 / 1952), S. 196–207.

20 vgl. Arntzen, Satire in der deutschen Literatur, S. 126.

21 vgl. Kawerau, Waldemar: Thomas Murner und die Kirche des Mittelalters. Halle 1890 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 30), S. 53f.

22 Arntzen, Satire in der deutschen Literatur, S. 125.

23 „Auch Geiler hatte selbst an den eigenen Standesgenossen scharfe Kritik geübt: Murner übertrumpft ihn darin und steigert die pessimistische Stimmung bis zu Hohn und Verachtung“ (Kawerau, Thomas Murner und die Kirche, S. 67).

24 Smolinsky, Herbert: Thomas Murner und die katholische Reformation. In: Thomas Murner. Humaniste et théologicien alsacien (1475–1537). Exposition de la Bibliothèque Nationale et Univiversité Strasbourg et de la Badische Landesbibliothek Karlsruhe. Karlsruhe 1987, S. 44.

25 vgl. ebd.

26 vgl. Oggins, Robin S.: Falconry and Medieval Social Status. In: Mediaevalia 12 (1989), S. 50f. Von den verschiedenen Jagdarten wurde in der höfischen Kultur des Hochmittelalters insbesondere die Falkenjagd als edle Jagdart aufgefasst, die eine edle Gesinnung der Ritterlichkeit nach außen trug und der Repräsentation einer höheren Standeszugehörigkeit diente (vgl. Wolter-Von dem Knesebeck, Harald: Aspekte der höfischen Jagd und ihre Kritik in Bildzeugnissen des Hochmittelalters. In: Jagd und höfische Kultur im Mittelalter. Hrsg. von Werner Rösener. Göttingen 1997 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 135), S. 500f.; Rösener, Werner: Adel und Jagd. Die Bedeutung der Jagd im Kontext der adeligen Mentalität. In: La chasse au moyen âge. Société, traités, symboles. Hrsg. von Agostino Paravicini Bagliani und Baudouin Van den Abeele. Florenz 2000 (Micrologus’ Library 5), S. 141). So merkte zur Einordnung der Falkenjagd als edler Jagdart bspw. auch Jacob Grimm an: „Es kann keine edlere jagd ersonnen werden, als wenn der jäger ausreitend durch die wälder den falken auf der hand hielt und den hund vor sich her laufen hatte“ (Grimm, Jacob: Geschichte der deutschen Sprache. Bd. 1. Leipzig 21853, S. 31).

27 Peters, Heinz: Falke, Falkenjagd, Falkner und Falkenbuch. In: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte (RDK), Bd. 6, München 1973, Sp. 1279.

28 vgl. Peters, Falke, Falkenjagd, Sp. 1317f.

29 Rösener, Adel und Jagd, S. 144.

30 vgl. hierzu: Seidenader, Robert: Kulturgeschichte der Falknerei, mit besonderer Berücksichtigung von Bayern, Bd. 1: Von Augustinus bis Kurfürst Maximilian I. München 2007, S. 174f.

31 vgl. Van den Abeele, Le faucon sur la main, S. 95f.; Walz, Falkenjagd – Falkensymbolik, S. 352f.; vgl. Peters, Falke, Falkenjagd, Sp. 1316f. Ein Beispiel aus der fiktionalen Literatur wäre z.B. die Darstellung des Falken im Werk La prima veste de‘ discorsi degli Animali (1541) des toskanischen Dichters Firenzuola (1493–1543) aus der Renaissancezeit, der den Falken als Vogel aus dem wilden Gebirge beschreibt, der aufgrund seines edlen Mutes von allen edlen Herren und Rittern geschätzt, ja sogar zum Zeichen des alten edlen Rittertums geworden sei (Opere di Messer Agnolo Firenzuola Fiorentino, Bd. 1. Mailand: Società Tipografica de‘ classici italiani, 1802, S. 118).

32 vgl. Van den Abeele, Le faucon sur la main, S. 96.

33 vgl. Berners, Juliana: The Boke of Saint Albans, containing treatises on hawking, hunting, and cote armour. Saint Albans 1486, S. 52f. (im Werk ohne Seitennummerierung).

34 Das Nibelungenlied. Nach der Handschrift C der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. Hrsg. u. übers. von Ursula Schulze. Düsseldorf, Zürich 2005, 1. Âventiure, Strophe 13f.

35 vgl. Van den Abeele, Le faucon sur la main, S. 98; vgl. hierzu ebenso: Walz, Falkenjagd – Falkensymbolik, S. 353–355.

36 Zum Falken als Minnesymbol sei zudem auf folgende Arbeiten verwiesen: Ermes-Körber, Antonia Gertruda: Zwei Künste beflügelt von einem Ideal: eine Untersuchung des Falkenmotivs in der Lyrik, Epik und Minneallegorie des 12.–14. Jahrhunderts. Amsterdam 1995; Erfen-Hänsch, Irene: Von Falken und Frauen: Bemerkungen zur frühen deutschen Liebeslyrik. In: Minne ist ein swaerez Spil. Göppingen 1986 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 440), S. 143–168.

37 vgl. Peters, Falke, Falkenjagd, Sp. 1341; Van den Abeele, Le faucon sur la main, S. 106. Im Missale von Amiens von 1323 erscheint der Tod auf einem Ochsen reitend einem Beizjäger (vgl. Eckhardt, Holger: Totentanz im Narrenschiff. Die Rezeption ikonographischer Muster als Schlüssel zu Sebastian Brants Hauptwerk. Frankfurt a. M. u.a. 1995, S. 179, S. 490, Abb. 52). Interessant erscheint hierbei, dass zu dieser Zeit die Totentanzgattung noch nicht existierte (vgl. ebd., S. 179, Anm. 516).

38 vgl. Van den Abeele, Le faucon sur la main, S. 106. Religiöse Schriften aus England und Frankreich des 13. Jahrhunderts rücken die Falkenjagd ebenso in das Licht der Vanitas, was ferner auch für die Illustrationen der Bible moralisée (Frankreich, 13. Jh.) zutrifft (vgl. ebd., S. 107).

39 vgl. Van den Abeele, Le faucon sur la main, S. 108.

40 vgl. Zerling, Clemens: Lexikon der Tiersymbolik. Mythologie, Religion, Psychologie. Klein Jasedow 2012, S. 97.

41 vgl. ebd., S. 126; Leibbrand, Speculum bestialitatis, S. 212.

42 vgl. Dittrich, Sigrid und Lothar: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.–17. Jahrhunderts. Petersberg 2004, S. 122.

43 vgl. ebd. Dies lässt sich aus zwei Gründen erschließen: erstens wird in den Bildern keine reelle Jagd abgebildet, da die Knaben zu jung dafür sind, zweitens werden die Knaben auch mit Greifvögeln abgebildet, die man für die Beize meidet (z.B. Turmfalke) (vgl. ebd.). Außerdem sei hierzu noch angemerkt, dass diese Symbolik wohl von der Vorstellung der ritterlich-höfischen Erziehung des Hochmittelalters herrührt, die die Falkenjagd als eine der zu erlernbaren Tätigkeiten miteinschloss.

44 vgl. DWB = Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961, Bd. 4, Sp. 1528, Gauch 2.d.

45 Ob man ferner mit dieser Substituierung eines Beizvogels an den antiken Volksglauben, dass der Kuckuck ein verwandelter Falke sei (vgl. Peters, Falke, Falkenjagd, Sp. 1344), anknüpfen wollte, ist schwer nachzuweisen. Später weist Burkhard Waldis in seinen in Versen gesetzten Äsopfabeln (1548) auf die Ähnlichkeit, die zwischen Kuckuck und Habicht besteht, hin (vgl. Weick, Reiner: Der Habicht in der deutschen Dichtung des 12. bis 16. Jahrhunderts. Göppingen 1993 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 589), S. 101f.). Für die verspottende Bezeichnung des Habichts als gouch zieht Weick in Erwägung, dass sich in der Volkskunde Parallelen finden lassen (vgl. ebd. S. 102).

46 vgl. Eckhardt, Totentanz im Narrenschiff, S. 177f.; Rosenfeld, Hellmut: Sebastian Brants „Narrenschiff“ und die Tradition der Ständesatire, Narrenbilderbogen und Flugblätter des 15. Jahrhunderts. In: Gutenberg Jahrbuch 1965, S. 242–248; Janson, Horst W.: Apes and Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance. London 1952 (= Studies of the Wartburg Institute 20), S. 204–208. Siehe zu diesem Sachverhalt ferner: Zimmermann, Hans Joachim: Der alte Affe zu Heidelberg. In: Weber, Wilm u.a.: Der Heidelberger Brückenaffe. Heidelberg 1979, S. 63–69.

47 Denn der Kuckuck, dem Selbstgefälligkeit und Eitelkeit nachgesagt wird, symbolisierte in der spätmittelalterlichen Malerei das Laster der Luxuria (Wollust), was darin begründet liegt, dass er seine Eier in fremde Nester legt (vgl. Zerling, Lexikon der Tiersymbolik, S. 183; Dittrich, Lexikon der Tiersymbole, S. 279). In der Emblematik des 16. und 17. Jahrhunderts steht er für Untreue und Ehebruch (vgl. ebd.). Als Inbegriff des Buhlers versinnbildlicht der Gauch den Liebesnarren in Murners und in Gengenbachs Geuchmatt (vgl. DWB, Bd. 4, Sp. 1527f.). In den Holzschnitten zu Murners Werk Geuchmatt sind die Gäuche als Beizvögel als Narrenattribut und hierbei besonders als Kennzeichen der Liebesnarren charakterisiert (siehe Abb. 3 u. 4).

48 Dieser spätmittelalterliche Ikonografie-Typus der Luxuria ist zum einen direkt aus der Minnelyrik und zum anderen über die satirische Minne-Allegorie (bspw. bei Ulrich von Winterstetten) beeinflusst (vgl. Blöcker, Susanne: Studien zur Ikonographie der sieben Todsünden in der niederländischen und deutschen Malerei und Graphik von 1450–1560, Münster, Hamburg 1993 (= Bonner Studien zur Kunstgeschichte 8), S. 118–121).

49 vgl. NS 13, v. 4.

50 NS 13, v. 83.

51 vgl. NS 8, Motto, vv. 1–10, 27–32.

52 vgl. ebd., vv. 33f. Erwähnenswert erscheint diesbezüglich ein womöglich wiederkehrendes Motiv des Kuckucks als Beizvogel. Seidenader vermutet einen Zusammenhang zwischen dem Holzschnitt Dürers im NS und der Darstellung von Adam und Eva in einem Goldrelief aus Nürnberg, das nach dem Kupferstich „Adam und Eva“ von Albrecht Dürer (1504), dem Gestalter des Holzschnittes im NS, konzipiert wurde und aus dem späten 16. Jahrhundert stammt (vgl. Seidenader, Kulturgeschichte der Falknerei, S. 394f.). Vermutlich halte Adam, anders als im Kupferstich Dürers, einen Kuckuck in seiner Hand, einen „Gauch, in der Bedeutung von Nichtsnutz, Narr“ (ebd., S. 395). Übereinstimmend wäre bei diesem Vergleich das Nichtbefolgen eines guten Rats von Seiten Adams.

53 In der Falknersprache des Mittelalters war Federspiel eine Bezeichnung des Beizvogels selbst, bevor diese Bedeutung im 16. Jahrhundert immer mehr zurücktritt und dann ausschließlich die Bedeutung des Lockluders annimmt (vgl. Schmidt, Hermann: Die Terminologie der deutschen Falknerei. Freiburg im Breisgau 1909, S. 64, S. 103f.).

54 Brant erwähnt einen Kuckuck als Beizvogel nebenbei in Kapitel 51 des NS in der Redensart „ Das man merckt / wo er ätzt den gouch “ (NS 51, v. 18). Ätzen, heute atzen, das in der Falknersprache ʼfüttern, zu Essen gebenʽ heißt (vgl. Schmidt, Die Terminologie der deutschen Falknerei, S. 48), wird hier natürlich im übertragenen Sinne gebraucht und bedeutet ʼsich durch Prahlerei selbst verratenʽ (vgl. Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Erneut von H.A. Junghans. Leipzig 1877, S. 92, Anm. 1).

55 NS 8, vv. 1–4.

56 Die Bellen der Beizvögel sind in (Mittel-)Europa sowohl schriftlich als auch archäologisch vor dem 13. Jahrhundert nicht belegt (vgl. Spindler, Konrad: Falknerei in Archäologie und Geschichte. Unter besonderer Berücksichtigung der Beizjagd in Tirol. Innsbruck 1998, S. 29f., S. 38). Die Falkenhaube wurde in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts höchstwahrscheinlich durch den Stauferkaiser Friedrich II. in Europa bekannt gemacht (vgl. Peters, Falke, Falkenjagd, Sp. 1270). Mit Schellen ausstaffierte Narren sind Anfang des 15. Jahrhunderts sichergehend attestiert und gelten da bereits als typische Narrenkennzeichen, während dies für die Narrenkappe (Eselsohrenkappe) seit etwa 1450 gilt (vgl. Mezger, Werner: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur. Konstanz 1991 (= Konstanzer Bibliothek 15), S. 214–216, S. 237, S. 239).

57 vgl. Raupp, Hans-Joachim: Zum Verständnis von Text und Illustration in Sebastian Brants ’Narrenschiff‘. In: Bibliothek und Wissenschaft 19 (1985), S. 164.

58 vgl. NS 8, v. 2.

59 vgl. NS 8, v. 3.

60 Im zu Beginn des 18. Jahrhunderts herausgegebenen Werk mit dem Titel Wol-geschliffener Narren-Spiegel, das womöglich als Neuausgabe des Narrenschiffs oder als Bildausgabe mit Begleitversen geplant war (vgl. hierzu: Lemmer, Manfred: Nachwort. In: Jocoserius, Wahrmund (Pseudonym): Wol-geschliffener Narren-Spiegel. Mit 115 Merianschen Kupfern. Leipzig 1968 [Anfang 18. Jh.], S. 141, S. 146), besteht eine Text-Bild-Kohärenz nur bezüglich des Pflugs, der Beizvogel findet im Text (6 Begleitverse), obgleich er im Kupferstich abgebildet ist, nicht mehr Erwähnung.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Das Motiv des Gauchs als Beizvogel in Sebastian Brants "Narrenschiff" und Thomas Murners "Die Narrenbeschwörung". Eine Untersuchung
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
39
Katalognummer
V1005337
ISBN (eBook)
9783346389510
ISBN (Buch)
9783346389527
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Falkenjagd, Narren, Beizjagd, Gauch, Kuckuck, Beizvogel, Literatur
Arbeit zitieren
Paolo Parisi (Autor:in), 2016, Das Motiv des Gauchs als Beizvogel in Sebastian Brants "Narrenschiff" und Thomas Murners "Die Narrenbeschwörung". Eine Untersuchung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1005337

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