"Does nature matter?" von Clare Palmer. Eine kritische Zusammenfassung und Beurteilung


Referat (Ausarbeitung), 2021

12 Seiten


Leseprobe


„Ethical discussion about climate change has focused on two highly significant sets of questions: questions about justice between existing peoples and nations, and questions concerning the moral responsibilities of existing people to future people."1

Mit diesen Sätzen beginnt der Text, in dessen Verlauf Clare Palmer versucht, eine neue Perspektive auf die ethische Debatte des Klimawandels einzuführen: Die der nichtmenschlichen Welt im Gegensatz zu der häufig diskutierten Perspektive, in der diese Welt höchstens indirekt, zum Beispiel über Methanausstoß von Interesse ist, meist aber auch ganz ausgelassen wird. Palmer betont wie rudimentär diese Perspektive noch ist. Daher ist Palmers Diskussion eher eine grundsätzliche, um verschiedene Möglichkeiten vorzuschlagen und vorzustellen, als eine, die das Thema hinreichend abdeckt und für einige den Abschluss der Debatte darstellen könnte. Das liegt nicht nur daran, dass die moderne, tierethische Debatte noch nicht so alt ist, sondern auch daran, dass in ihr oft komplett gegenteilige Meinungen als rational vertretbar gelten.

Eröffnende Annahmen

Palmer setzt, damit die Debatte in ihrem Themengebiet bleibt, drei Annahmen voraus. Erstens, dass Klimawandel wirklich existiert und die Menschheit größtenteils kausal dafür verantwortlich ist, denn wenn das erst aufgezeigt werden müsste, wäre es keine philosophische, sondern naturwissenschaftliche Arbeit mehr. Zweitens, dass Menschen eine moralische Verantwortung für das Problem des Klimawandels haben. Das ist ein Teil philosophischer Grundüberlegungen auf diesem Gebiet, ob Menschen überhaupt moralisch für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden können, da die Menschen, die kausal am meisten für den Klimawandel verantwortlich sind, alle nicht mehr leben. Es gab aber zu der Zeit, in der sie lebten, noch nicht die moralische Verantwortung, keine Treibhausgase auszustoßen, da in dieser Zeit noch nichts über Klimawandel bekannt war. Um ihrem Text einen spezielleren Charakter zu geben - nämlich den, der Tierethik und Klimaethik miteinander verbindet - setzt sie für diesen Text also fest, dass Menschen moralische Verantwortung für den Klimawandel haben. Als drittes nimmt Palmer an, dass die nichtmenschliche Welt überhaupt von moralischer Bedeutung ist; und zwar von Bedeutung in Harley Cahen's Verständnis, nach dem die nichtmenschliche Welt Interessen hat, bei denen es direkt und auf den ersten Blick falsch ist, diese zu verletzen. Damit stellt sie wieder fest, dass das Thema bei der Verbindung zwischen Tier- und Klimaethik bleibt und nicht zu stark in eine der beiden Richtungen tendiert. Der Grund dafür ist, dass sie nicht diskutieren will, ob und in welcher Weise Tiere moralisch bedeutsam sind oder sein können, da diese Debatte schon geführt wird. Jene Debatte geht allerding auch in Palmers Text mit ein, wie später zu sehen ist.2

Palmers Absicht ist also, die nichtmenschliche Welt direkt in den Diskurs der Klimaethik mit einbinden. Dafür spricht sie dieser Welt Interessen zu, die verletzt werden können. Dieser Punkt ist sehr wichtig, denn er bietet einerseits die Grundlage für Palmers Text, andererseits aber auch den Grund, warum die Perspektive nicht ausreichend geklärt werden kann. Die drei Voraussetzungen sind verständlicherweise nötig, um den Rahmen vorzugeben, so offensichtlich ist aber nicht jede Argumentation Palmers.

Schlüsselfaktoren

Der Text fährt damit fort, wichtige Elemente des weiteren Verlaufs zu benennen. Diese zeigen schon, in welche Richtung Palmer wohl argumentieren wird. Der erste dieser fünf Schlüsselfaktoren ist der vom Unterschied zwischen Schaden und Veränderung. Da es, wie später noch ausgeführt wird, nicht besonders klar ist, welche Interessen die nichtmenschliche Welt verfolgt, ist dieser Unterschied verwischt und bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit. Laut Palmer kann der Klimawandel auch als produktiv gesehen werden, da er Dinge in die Welt bringt, die es ohne ihn nicht gegeben hätte. Diese Dinge sind nach Palmer moralisch ebenso relevant. Auf diese Aussage und meine Kritik dazu werde ich im Verlauf des Textes noch näher eingehen. Des Weiteren erachtet Palmer Menge als moralisch relevant. Die totale Menge der individuell lebenden Organismen kann sich verändern, ebenso aber auch die Mengen von bestimmten Organismen oder von verschieden aufgebauten Organismen. All das kann in der weiteren Diskussion moralisch relevant sein, da die Interessen von nichtmenschlichem Leben (genauso wie von menschlichem Leben) nicht eindeutig bestimmt sind. Als nächsten Schlüsselfaktor nennt Palmer die „Non-identity questions". Der Klimawandel wird globale Ausmaße haben und man kann sicher sagen, dass in ein paar Jahren kein individueller

Organismus mehr existiert, der auch existiert hätte, wenn es keinen Klimawandel gegeben hätte. Somit ist von moralischer Relevanz, ob Organismen überhaupt von etwas geschädigt werden können, das eine notwendige Bedingung für die Existenz derselben darstellt. Auch zu diesem Argument möchte ich einige Probleme im Nachfolgenden erläutern. Der letzte Schlüsselfaktor ist, so finde ich, der stärkste, aber gleichzeitig der am schwierigsten aus der Welt zu räumende. Es geht darum, dass alles was in der Zukunft liegt, höchst ungewiss ist. Diese Ungewissheit resultiert darin, dass alle Diskussionen, ob und in welchem Ausmaß mutmaßliche Interessen von nichtmenschlichen Organismen verletzt werden, allein hypothetisch sind und nur auf Vermutungen und unsicheren Prognosen gründen.3

Objekte von moralischer Relevanz Spezies

Das erste von vier Objekten von moralischer Relevanz, das Palmer anführt ist die Spezies.

„Future climate change, involving alterations in the timing of seasons and in rainfall patterns, and increases in temperature, ocean acidificaon, and extreme weather events, is likely to have significant effects on the range, habitat, andti survival of many more species."4

Diese Aussage aus einer Veröffentlichung der IUCN Red List bekräftigt die Annahme, dass Spezies in der Zukunft sehr wahrscheinlich vom Klimawandel betroffen sein werden. Die Auswirkungen werden global nicht homogen sein und in unterschiedlichen Regionen unterschiedlich zu sehen sein. So ist es schon wahrscheinlich, dass weite Teile des afrikanischen und asiatischen Kontinents zu Wüstenland werden, aber ebenso kann eine Erwärmung der nördlichen Hemisphäre der Tundra und anderen Kaltgebieten mehr Artenreichtum in diesen Gebieten zur Folge haben. Hier sehen wir auch wieder Palmers Argument, dass der Klimawandel auch mutmaßlich produktiv sein kann. Doch wie eine globale durchschnittliche Erwärmung von soundso viel Grad sich auf die einzelnen Gebiete auswirken wird, ist zu wenig erforscht, um verlässliche Vorhersagen darüber zu treffen, wo für wen Lebensräume entstehen könnten, während die Zerstörung von Lebensräumen auf der anderen Seite schon seit ein paar Jahren gesichertermaßen ein sich immer weiter ausbreitendes Problem ist. So stirbt Schätzungen zufolge alle 20 Minuten eine Spezies durch die Erderwärmung, Abholzung oder Plastiknutzung aus5, und die Rate des Aussterbens ist jetzt schon schneller als die der neuen Bildung von Spezies, weswegen es wahrscheinlich ist, dass in Zukunft weniger Spezies existieren als in der Vergangenheit.6 Unter anderem aus diesem Grund bin ich nicht so optimistisch wie Palmer, dass der Klimawandel auch in einem relevanten Maße produktiv für nichtmenschliche Organismen sein kann. Auch die körperliche Form von zukünftig existierenden Zugehörigen einer Spezies kann durch die Klimaerwärmung direkt oder indirekt verändert werden.

Hier beginnt nun die Debatte über Interessen von Spezies. Welche Interessen verfolgt eine Spezies als Ganzes? Palmer ist der Meinung, die offensichtliche Antwort sei nicht das Überleben der Spezies, obwohl biologisch und evolutionär vieles darauf hinweist. Ihr Gegenargument ist ein Gedankenexperiment, in dem jedes zugehörige Individuum einer Spezies so sehr leidet, dass es in keinem individuellen Interesse ist, zu leben. Dieses Gedankenexperiment finde ich allerdings nicht hinreichend, um diese Antwort auf die Interessensfrage zu verwerfen. Einerseits bleibt der Fokus hier nicht auf der Spezies, sondern wird auf das bestimmte Individuum verschoben, das wieder andere Interessen hat oder haben kann. Das Interesse der Spezies - sofern es das überhaupt gibt - könnte immer noch das Überleben bleiben, auch wenn das Interesse der Individuen genau gegenteilig steht. Das würde evolutionär auch damit zu begründen sein, dass die Spezies auf eine Veränderung der äußeren Umstände oder eine Mutation wartet, um wieder ein „lebenswertes" Leben führen zu können. Weiter fragt Palmer, ob Spezies nicht sogar ein Interesse an Mutationen haben können, um ihr Genmaterial langfristig weiter geben zu können.7

Es gibt auf diese Fragen viele verschiedene Antworten. Wie bereits angesprochen ist der Rahmen Palmers Arbeit darauf begrenzt, die beiden Unterthemen der Tier- und Klimaethik zu verbinden, was ihr nicht viel Raum lässt, Argumentationen aus den beiden Fachbereichen nachzuvollziehen oder selbst eine aufzustellen. Sie stellt daher in aller Kürze ein paar Sichtweisen aus der Tierethik vor, um verschiedene Antworten auf die Frage nach Interessen bei Spezies aufzuzeigen. Die Optionen ähneln dabei denen für Interessen von menschlichem Leben. Es gibt zum Beispiel die Sichtweise, dass das Ziel sein muss, keiner Spezies zu schaden. Also genau das, was die dritte Anfangsannahme vorausgesetzt hat: Dass die nichtmenschliche Welt von moralischer Relevanz ist. In diesem Fall können aber Interessen nicht gegeneinander abgewogen werden, da sie so oder so nicht verletzt werden sollen. Die utilitaristischere Variante ist, dass das gesamte Ziel sein sollte, die Maximierung von allen Interessen aller Spezies zu erreichen. Palmer bezieht sich im Weiteren auf die zweite Variante und behauptet, dass Klimawandel für manche Spezies gut und für andere schlecht sein werde. Wie schon oben angeschnitten teile ich diese optimistische Einschätzung nicht, da es bis jetzt nur wissenschaftliche Daten über Zerstörung und Aussterben von Spezies gibt, nicht aber darüber, wie Spezies durch den Klimawandel bevorzugt werden oder wurden. Palmer selbst schreibt sogar, dass schon heute mehr Spezies aussterben als neu entstehen. Diese beiden tierethischen Sichtweisen auf Interesse lassen sich auch in der menschlichen Ethik einfach erkennen. Die deontologische Sicht ist, dass die Menschen Grundrechte haben, die nicht verletzt werden können, in der utilitaristischeren kann Wohl auch gegeneinander abgewogen werden.8

[...]


1 Palmer, Clare: Does nature matter? The place of the nonhuman in the ethics of climate change, S. 272, in: Arnold, D. (Ed.), (2011), The ethics of global climate change, Cambridge: Cambridge University Press, S. 272291. Im Folgenden: Palmer, 2011

2 Vgl. Palmer, 2011, S. 274

3 Vgl. Palmer, 2011, S. 275

4 Palmer, 2011, S. 276, aus Jean Christophe Vie, Craig Hilton-Taylor, and Simon N. Stuart, 2011, Species Susceptibility to Climate Change Impacts. Wildlife in a Changing World: An Analysis of the 2008 IUCN Red List of Endangered Species, S. 77-89

5 Vgl. pandoo GmbH, 2018, Zerstörung natürlicher Lebensräume von Lebewesen, pandoo, https://gopandoo.de/blogs/blog/zerstorung_naturlicher_lebensraume

6 Vgl. Palmer, 2011, S. 277

7 Vgl. Palmer, 2011, S. 278

8 Vgl. Palmer, 2011, S. 278

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
"Does nature matter?" von Clare Palmer. Eine kritische Zusammenfassung und Beurteilung
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Autor
Jahr
2021
Seiten
12
Katalognummer
V1005976
ISBN (eBook)
9783346389466
Sprache
Deutsch
Schlagworte
does, clare, palmer, eine, zusammenfassung, beurteilung
Arbeit zitieren
Jonathan Geisler (Autor:in), 2021, "Does nature matter?" von Clare Palmer. Eine kritische Zusammenfassung und Beurteilung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1005976

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