Bedeutung des Rollenspiels für die kindliche Entwicklung in der Montessori Pädagogik. Das Rollenspiel als Spielform


Bachelorarbeit, 2020

41 Seiten, Note: 2,3

Dan Norben (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Rollenspiel als Spielform
2.1 Das Spiel
2.2 Das Rollenspiel
2.2.1 Definition des Rollenspiels
2.2.2 Die Bedeutung für die kindliche Entwicklung
2.2.3 Die Funktionen des Rollenspiels
2.2.4 Die Bedeutung der Fantasie

3. Maria Montessori und die Montessori-Pädagogik
3.1 Zur Person Maria Montessori und dem historischen Kontext
3.2 Die Montessori-Pädagogik
3.2.1 Das Welt- und Menschenbild - Die Kosmische Theorie
3.2.2 Das Bild vom Kind - Das Kind als Baumeister
3.2.3 Die pädagogischen Grundlagen
3.3 Die Fantasie und das Rollenspiel in der Montessori-Pädagogik

4. Diskussion

5. Resümee

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Erving Goffman schreibt in seinem Buch (2017) „Wir alle spielen Theater", dass jeder Mensch in unterschiedlichen sozialen Handlungssystemen unterschiedliche Rollen einnimmt und infolgedessen sein Verhalten an die Bezugsgruppe anpasst, ihnen gleichsam etwas vorspielt wie bei einem Theaterstück. Folgt man seinen Worten und Argumenten, so kann die Frage aufkommen, wann der Mensch diese Rollen wahrnimmt und beginnt aus seinem Alltag eine ununterbrochene Theateraufführung zu machen. Man mag annehmen, dass dies bereits im Kindesalter stattfindet und das Rollenspiel dem Kind die Bühne dafür bietet. Beschäftigt man sich näher mit pädagogischen Konzepten, genauer mit der Montessori Pädagogik, stellt man fest, dass das Rollenspiel dort nicht im Alltag vorgesehen ist. Maria Montessori war der Auffassung, dass Fantasie- und Rollenspiele für die Kinder nur eine Flucht in eine andere Welt seien, weil das Kind nicht die Möglichkeit hat, an der realen Welt der Erwachsenen teilzunehmen und diese Spiele das Kind daran hindern, sich mit der Realität auseinanderzusetzen und es hemmt. Das Kind sei erst mit ungefähr sieben Jahren in der Lage, sich mit Fantastischem auseinanderzusetzen.

Hat Montessori mit ihren Behauptungen recht? Hindern Fantasie- und Rollenspiele Kinder daran, sich zu entwickeln? Was genau sind ihre Begründungen für diese Aussagen und müssen sie in einem historischen Kontext gelesen oder können sie auch heute noch wörtlich für die pädagogische Arbeit übernommen werden? Die vorliegende Bachelorarbeit setzt sich mit der Frage auseinander, welchen Einfluss das Rollenspiel auf die kindliche Entwicklung nimmt und diskutiert anhand der Argumente Montessoris, ob die (professionelle) Realisierung von Rollenspielen in Kindertagestätten angemessen ist. Daraus ergibt sich folgende Forschungsfrage: Welche Bedeutung wird dem Rollenspiel innerhalb der Montessori-Pädagogik zugesprochen und inwiefern decken sich diese Ansicht mit denen des wissenschaftlichen Diskurses?

Um diesem Vorgehen nachkommen zu können, wird die vorliegende Arbeit in drei Teile gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit der Definierung des Rollenspiels und seiner Bedeutung für die kindliche Entwicklung. Dazu wird sich zunächst dem Begriff des Spiels als solches angenähert und in einen pädagogischen Kontext eingeordnet, um das Rollenspiel als kindliche Spielform ausmachen zu können. Daraufhin erfolgen eine Definierung des Rollenspiels, eine Darlegung der Bedeutung dessen für die kindliche Entwicklung, sowie eine Betrachtung der Funktionen des Rollenspiels. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird sich mit den Argumenten Maria Montessoris zur Fantasie und dem Rollenspiel auseinandergesetzt. Hierbei erfolgt zunächst eine Einführung in die Grundsätze der Pädagogik Maria Montessoris, um ihre Argumentation besser nachvollziehen zu können. Anschließend erfolgt die Diskussion der erarbeiteten Argumente für die Bedeutung und Funktion des Rollenspiels auf die kindliche Entwicklung und den Argumenten Maria Montessoris, sowie das Einnehmen einer Haltung zu der vorangegangenen Diskussion und eine kritische Betrachtung der vorliegenden Arbeit.

2. Das Rollenspiel als Spielform

In diesem Kapitel erfolgt zunächst eine Annäherung an den Begriff des Spiels sowie eine Darlegung der Bedeutung für die Pädagogik, um anschließend das Rollenspiel als spezifische Form des Spiels definieren und dessen Einfluss bzw. Bedeutung und Funktion für die kindliche Entwicklung darstellen zu können. Anschließend findet eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Fantasie statt um, in Verbindung mit der Beschreibung des Magischen Denkens, die Abgrenzung zum Rollenspiel, sowie die Gemeinsamkeiten und die gegenseitige Bedingung darzustellen.

2.1 Das Spiel

Der Begriff des Spiels, so alt diese Tätigkeit und die Auseinandersetzung mit ihr auch sein mag, lässt sich nicht allgemein und allumfassend definieren. Es kann sich ihm nur phänomenologisch angenähert werden. Bereits die Philosophen der Antike beschäftigten sich mit dem Spiel. So auch Platon, um ein Beispiel zu nennen, der im kindlichen Spiel eine Übung für die Gesellschaftsnormen und -regeln sah. Zu Zeiten des Römischen Reichs folgte das Spiel vor allem dem Zweck, durch Gladiatorenkämpfe, eine frühe Form des Wettkampspiels, das Volk zu belustigen. Eine ähnliche Form der Wettkampfspiele gab es auch im Mittelalter in Form der Ritterspiele, wenngleich öffentliches Spielen offiziell verboten war, weil das Spiel als reiner Zeitvertreib gesehen wurde und demzufolge der christlichen Bestrebung nach Tüchtigkeit zu widerstreben schien (Vgl. Renner 2008, S. 15ff).

Eine pädagogische Bedeutung wurde dem Spiel erstmals durch John Locke zuteil, der erkannte, aus dem kindlichen Spiel Ableitungen über Anlagen, Temperament und Interesse des Kindes vorzunehmen. Darin sah er die die Chance geboten, das kindliche Spiel in einem pädagogischen und erzieherischen Sinne anzuleiten, um dem Spiel einen sinnvollen Nutzen zuschreiben zu können (Vgl. Renner 2008, S. 17). Rousseau sah zwar, ähnlich wie Locke, im kindlichen Spiel Chancen und Nutzen für deren Entwicklung, doch kritisierte er die zu seiner Zeit üblichen Erziehungsmethoden und lastete den Pädagog*innen an, „das Spiel [zu] missbrauchen, um den Kindern die Arbeit zu versüssen [sic!]" (Renner 2008, S. 17). Er war der Auffassung, dass das Spiel frei von Zwängen, die er den Pädagog*innen in deren Realisierung vorwarf, die Entwicklungspotentiale des Kindes erst freisetzt und zu nachhaltigen Lernerfahrungen führt. Die Aufgabe der Pädagog*innen verstand Rousseau darin, die Kinder in ihrer Tätigkeit, entsprechend ihren Fähigkeiten zu unterstützen (Vgl. Renner 2008, S. 17f).

Im 19. Jahrhundert rückte das Spiel in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion und es entstanden erste Theorien dessen, was heute als Spieltheorie bezeichnet wird. Die Spieltheorien lassen sich in klassische und differentielle bzw. moderne Spieltheorie unterteilen. Zu den klassischen Spieltheorien zählen die Theorie des Kraftüberschusses, die Einübungstheorie, die Triebtheorie, die Funktionstheorie, die Erholungstheorie, die Theorie der Ich-Ausdehnung und die Theorie der Scheinbefriedigung (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 969f; Vgl. Grubbauer 2011, S. 21f). Ihnen gemein ist ein fehlendes Mitdenken der kindlichen Entwicklung und eine Fokussierung auf biologische Funktionen als Erklärungsansatz (Vgl. Grubbauer 2011, S. 21). Im Unterschied dazu werden in den Ansätzen der modernen Spieltheorien die kindliche Entwicklung mitgedacht. Sie können nochmals unterteilt werden in emotionale, kognitive und soziologische (Vgl. Grubbauer 2011, S. 22f). Prinzipiell ist zu sagen, dass diese Theorien, so verschieden sie auch sein mögen, nicht in Konkurrenz zueinanderstehen, sondern sich vielmehr ergänzen. Das liegt vor allem daran, dass die Forschungsschwerpunkte der einzelnen Theorien sehr different sind, somit jedoch ein ganzheitlicheres Gesamtbild dessen abzeichnen können, was das Spiel in all seiner Diversität und Komplexität darstellt (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 970).

2.2 Das Rollenspiel

2.2.1 Definition des Rollenspiels

Zunächst kann gesagt werden, dass das Rollenspiel mit dem Theater verwandt ist. Allerdings, und darin liegt die bedeutendsten Unterschiede, ist das Rollenspiel gekennzeichnet durch Flexibilität und der fehlenden existiert eines Publikums (Vgl. Freudenreich et al. 1991, S. 13). Anstelle des Publikums gibt es Beobachter*innen, die jederzeit selbst zu Akteur*innen werden können (Vgl. Freudenreich et al. 1991, S. 24). Dementsprechend kann das Rollenspiel im Allgemeinen als ein Zusammenspiel mehrerer Personen definiert werden, die (fiktive) Rollen bekleiden. Somit werden soziodra- matische Spiele aufgebaut und dem Rollenspiel ein soziodramatischer Charakter zuteil (Vgl. Freudenreich et al. 1991, S. 13). Rollenspiele können allerdings auch allein realisiert werden (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 401). Wann Kinder mit diesem soziodra- matischen Spiel beginnen, ist nicht ganz klar. In einschlägiger Literatur wird dargelegt, dass Kinder zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr beginnen, in anderen wird das zweite Lebensjahr als Beginn angegeben, mit der Begründung, dass Kinder ab dem zweiten Lebensjahr beginnen, Dinge nach ihrer eigenen Vorstellung zu nutzen (Vgl. Grubbauer 2011, S. 46). Diese Argumentation wird etwas deutlicher, wenn man die Entwicklung des kindlichen Spiels betrachtet. Piaget bezeichnet in seiner Einteilung der Spielkategorien innerhalb seiner Spieltheorie das Fantasie- und Rollenspiel als Symbolspiel, um die kognitive Entwicklungsfunktion des „So-tun-als-ob" in Unterscheidung zu den psychomotorischen Spielen deutlich zu machen (Vgl. Grubbauer 2011, S. 49). In der modernen Spielforschung gehören das Symbolspiel und das Rollenspiel zwar beide zur Kategorie des Phantasiespiels (Vgl. Schwarz 2014, S. 13), jedoch geht man hier davon aus, dass sich das Rollenspiel aus dem Symbolspiel entwickelt (Vgl. Grubbauer 2011, S. 47), welches sich, in terminologischer Abgrenzung, auf Objektsubstitution bezieht (Vgl. Grubbauer 2011, S. 48). Wenn man davon spricht, dass das Kind Objekte nach eigenen Vorstellungen nutzt (Objektsubstitution), meint das, das Kind schreibt dem Objekt die Bedeutung zu, die es ihm aus seinen aktuellen Bedürfnissen heraus, zuschreiben möchte. So kann aus einem Holzklotz für das Kind ein Auto oder ein Tier werden. Im späteren Verlauf werden für Kinder sogenannte „Kleine-Welt-Spielzeuge" interessant, da sie mit diesen ihnen bekannte alltägliche Situationen nachahmen oder nachspielen können (Vgl. Grubbauer 2011, S. 47). Wenn die Kinder nicht im Besitz solcher „Kleine-Welt-Spielzeuge" sind, werden sie von den Kindern mit Naturmaterialien nachempfunden, sowohl im freien als auch im reglementierten Rollenspiel (Vgl. Grubbauer 2011, S. 47). In der Entwicklung des Spiels finden Vermischungen von Spielformen statt. So können Elemente aus Holzklötzen konstruiert, Schilder gezeichnet oder Schmuck hergestellt werden, die in das Rollenspiel der Kinder integriert und verändert bzw. erweitert werden (Vgl. Grubbauer 2011, S. 48). Sobald das Kind über gewisse Sozial- und vor allem Sprachfähigkeiten (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 401) verfügt, kann es mit dem Rollenspiel beginnen. Diese Voraussetzungen sind wichtig, damit das Rollenspiel in der Interaktion mit den anderen Teilnehmer*innen stattfinden kann. Zunächst findet im Rollenspiel ein Nachahmen des Bekannten statt, bis dann nach einiger Zeit eine Identifikation mit einem Charakter stattfindet (Vgl. Franz 2016, S. 40). An dieser Stelle wird bereits deutlich, wie vielfältig das Rollenspiel ist. Es ist nicht nur ein reines Nachahmen des Verhaltens anderer Menschen oder das Spielen irrealer Ideen (Vgl. Grubbauer 2011, S. 48). Es ist auch das Einnehmen der Perspektive einer anderen Person in einer bestimmten Situation, die sich dann im Spielverlauf durch die Interaktion der Kinder verändert oder erst entwickelt. Diese Vielfalt des Rollenspiels macht es notwendig, es in Formen zu kategorisieren. Die aus der Praxis des Elementarbereichs wohl bekanntesten Formen sind die bereits erwähnten Formen: das freie bzw. spontane Rollenspiel und das reglementierte^]. Das spontane Rollenspiel zeichnet sich durch die ausbleibende Beteiligung und Einflussnahme der Erwachsenen bzw. der Erzieherinnen aus. Dabei kann das spontane Rollenspiel eine ungelenkte, einfache oder soziale Form annehmen. Jedoch ist es ebenso möglich, dass ein spontanes Rollenspiel zu einem gelenkten Rollenspiel werden kann. Eine Auswahl an angebotenen Spielmaterialien ist im Sinne des spontanen Rollenspiels nicht notwendig, aber durchaus möglich, da es einen Handlungsrahmen bietet, jedoch keinem direkten Einfluss gleichkommt (Vgl. Freudenreich et al. 1991, 16f). Im Unterschied zum spontanen Rollenspiel bedarf das gelenkte Rollenspiel der professionellen, pädagogischen Begleitung. Ganz gleich, ob es in offener Form, also ohne festgelegten Verlauf und Ende, oder in geschlossener mit im Vorfeld bestimmtem Verlauf und Ende. So wie aus einem spontanen Rollenspiel ein gelenktes werden kann, so kann aus dem offenen gelenkten Rollenspiel nach der gemeinsamen Festlegung des Handlungsrahmens ein geschlossenes gelenktes Rollenspiel werden, um eine Problembewältigung zu testen (Vgl. Freudenreich et al. 1991, S. 24).

Die Kategorisierung des Rollenspiels muss allerdings nicht immer nach der Frage geschehen, ob die Handlung sich spontan entwickelt oder bereits vorgegeben ist. Es kann auch die Frage in den Fokus gesetzt werden, welche Handlungen erfolgen bzw. welche inhaltlichen Schwerpunkte das Rollenspiel verfolgt. So beispielsweise das soziale Rollenspiel, das sowohl ein spontanes als auch reglementiertes sein kann. Hier geht es um die Darstellung von Handlungen, Geschichten, usw. In diesem Zuge genannt werden sollte auch das problemorientierte Rollenspiel. Das Rollenspiel fungiert hierbei als pädagogische Methode zur Problem- und Konfliktbewältigung. Realitätsnahe Situationen werden nachgespielt und dann in Gruppen besprochen, um Lösungsmöglichkeiten zur Konfliktbewältigung zu finden. Eingesetzt werden kann das problemorientierte Rollenspiel sowohl in Bildungsinstitutionen als auch in Familien oder bei Freundschaften (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 970). Der Einsatz des problemorientierten Rollenspiels in Kindertagesstätten kann zur Förderung der Problemlösungskompetenz und der Förderung der Konfliktbewältigung beitragen (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 970). Der Vollständigkeit halber möchte hier angemerkt werden, dass das problemorientierte Rollenspiel nicht nur eine pädagogische Methode darstellt, sondern auch eine Therapieform sein kann (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 759ff; Vgl. Wendlandt und Heckmann 1977, S. 16). Rollenspiele können für Kinder, wie bereits erwähnt, den Sinn besitzen, sich in andere Rollen zu begeben und diese zu erleben. Um nachvollziehen zu können, warum das wichtig ist muss sich näher mit der Rolle als solche auseinandergesetzt werden. Da die Rolle eine Elementarkategorie der soziologischen Analyse ist (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 778), lohnt sich vor allem der Blick aus dieser wissenschaftlichen Disziplin. Die Rollentheorie als Forschungsfeld dient der Soziologie vor allem zur Erklärung menschlichen Verhaltens (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 778). Interessant für diese Arbeit ist die soziale Rolle. Die soziale Rolle beschreibt in ihrer allgemeinen Definition die Erwartungshaltung und die Ansprüche seitens der Gesellschaft bzw. einer Gruppe an das (Rollen-)Verhalten und die Erscheinung (Rollenattribute) eines Individuums (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 778). Dabei muss betont werden, dass die soziale Rolle nicht an eine bestimmte Person gebunden ist, sondern an die soziale Position in einem Handlungssystem. Entsprechend existieren die Erwartungen und Ansprüche an diese Rolle auch ohne ein Individuum, welches diese Rolle gegenwärtig verkörpert. Damit ist die soziale Rolle ein Bestandteil der sozialen Realität (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 778). Die Rollen innerhalb eines Handlungssystems müssen jedoch zunächst in Interaktions- und Sozialisationsprozessen zugewiesen, gelernt und übernommen werden. Wenngleich sich der Mensch gemäß dem soziologischen Axiom immer rollengemäß verhält, sind Rollen das Ergebnis von kulturbedingter Typisierungs- und Interaktionsprozessen (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 778). Durch die unterschiedlichen Erwartungen an eine oder mehrerer Rollen und die gesellschaftliche Bedeutung, die dieser Konflikt und seine Folgen haben kann, kann es zu Intra- oder Interrollenkonflikten1 kommen. Untersucht werden diese Konflikte in Analysen von Rollenkonflikten als Orientierungsschwierigkeiten, die für die pädagogische Arbeit besonders interessant sind. Das Problem um die Frage der Handlungsspielräume sozialer Rollen und die Konsequenzen beim Überschreiten dieser hat ebenfalls eine hohe Bedeutung für die pädagogische Arbeit, da die Fähigkeit zur Rollenübernahme im Kindergarten durch das Rollenspiel erlernt wird (Vgl. Kreft und Mielenz 2017, S. 779). Weiter hat das Kind die Möglichkeit Rollen so lange auszuprobieren, bis es sich dieser sicher ist und beginnen kann mit ihr zu experimentieren (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 401) oder gar „eine Rolle in der Rolle“ (Kohnstamm 2006, S. 402) spielen.

2.2.2 Die Bedeutung für die kindliche Entwicklung

Nach dem nun das Rollenspiel definiert und durch den Blick auf die soziologische Bedeutung der Rolle gesellschaftlich eingeordnet und eingebettet wurde, kann nun die Bedeutung des Rollenspiels für die kindliche Entwicklung dargelegt werden.

Im Zuge der Definition wurde festgestellt, dass für Kinder bestimmte Sozial- und Sprachfähigkeiten als Voraussetzung für die Realisierung des Rollenspiels gelten. Diese Fähigkeiten werden jedoch nicht nur vorausgesetzt, sondern auch durch das Rollenspiel gefördert. Zu betonen gilt hierbei, dass es sich nicht alleinig um die verbale, sondern auch die nonverbale Kommunikation handelt (Vgl. Freudenreich et al. 1991, S. 25). Durch das Rollenspiel erwirbt das Kind wichtige soziale Grundfähigkeiten (Vgl. Grubbauer 2011, S. 47), die es zur Rollenübernahme in Handlungssystemen und damit zur Teilhabe an der Gesellschaft benötigt (Vgl. Freudenreich et al. 1991, S. 27). Ebenfalls bereits angesprochen wurden die Problemlösungskompetenz und die Konfliktbewältigung, die durch das (problemorientierte) Rollenspiel gefördert werden (Vgl. Freudenreich et al. 1991, 27f). Kinder lernen in diesem Kontext Konsensbildungen, Soziokognition und Erfahrungen mit interpersonellen Konflikten kennen (Vgl. Bechstein o.J., S. 12). Das Fehlen von „Kleine-Welt-Spielzeug" kann die Kreativität der Kinder fördern, ebenso, wie die Vermischung des Rollenspiels mit anderen Spielformen. Dabei kann auch die Fantasie der Kinder gefördert werden, wenn beispielsweise der Kreis aus blauen Holzklötzen um einen Turm herum der Burggraben mit gefährlichen Tieren um die Burg sind. Auch die Nutzung für Dinge nach eigenen Vorstellungen ist ein gutes Beispiel für die Förderung der Fantasie der Kinder. Gerade, wenn Kinder Situationen aus ihrem Alltag nachstellen, aber auch im reglementierten Rollenspiel, hinterfragen sie die Rolle, die sie einnehmen. Diese Hinterfragung der Rolle führt zu einer Förderung der Reflexionsfähigkeit der Kinder, was zeitgleich auch das Auseinandersetzen der Kinder mit den Gefühlen, die an die Rolle gebunden sind, bedingt (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 401). Weiter lernt das Kind sowohl die inneren Merkmale und Beziehungen als auch Beweggründe der Handlungsträger*innen kennen (Vgl. Bechstein o.J., S. 12). Es werden im Rollenspiel nicht nur die Rollen hinterfragt und im Idealfall reflektiert, die Kinder stellen ebenso Handlungen und Situationen in Frage. Sie reflektieren das Vorgehen, anstatt es schlicht zu übernehmen (Vgl. Freudenreich et al. 1991, S. 25). Kinder nehmen oft auch Rollen ein, die sie in der Realität nicht einnehmen können, weil sie zu gefährlich wären. So können sie bestimmte Rollen und Situationen nachempfinden, ohne sich in Gefahr zu bringen, wie beispielsweise die Teilnahme am Straßenverkehr als Autofahrer*in oder beim Fischen, ohne die Gefahr ins Wasser zu fallen und zu ertrinken (Vgl. Franz 2016, S. 40). Das Rollenspiel hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die kognitive Entwicklung von Kindern. So lernen sie verschiedene Standpunkte kennen und sich in andere hineinzuversetzen (Vgl. Bechstein o.J., S. 12). Dadurch können Kinder ein Einfühlungsvermögen und Verständnis für den*die andere*n entwickeln (Vgl. Bechstein o.J., S. 12), und somit ihre Empathiefähigkeit fördern. Das Kind lernt allerdings nicht nur diverse Standpunkte anderer kennen, sondern auch, den eigenen zu vertreten und eigene Ideen ins Spiel einzubringen. Dies wiederum kann dem Kind dabei helfen, die eigenen Wünsche und Vorstellungen gezielter artikulieren zu können. Durch die Auseinandersetzung mit sich selbst im Rollenspiel lernt das Kind sich selbst besser verstehen, die eigene Persönlichkeit auszuleben und diese zu entwickeln (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 370). Die Diskussionen der Kinder im Verlauf des Rollenspiels und die erfolgreiche Suche nach Lösungen in Form von Regeln führt seitens der Kinder zu einem Verständnis der Notwendigkeit von Regeln und in Folge dessen zu einer freiwilligen Tolerierung dieser (Vgl. Freudenreich et al. 1991, S. 25).

Für den Kontext der kindlichen Entwicklung wird damit deutlich, dass das Rollenspiel dem Kind helfen kann, sich selbst und seine Rolle(n) innerhalb einer Gesellschaft zu verstehen. Außerdem steht es dem Kind als Hilfsmittel zur Verfügung, mit den Erwartungen und Ansprüchen an seine*ihre soziale Rolle, sowie den eigenen Empfindungen und der anderer umzugehen und verstehen zu lernen. So ist es dem Kind möglich, im Rollenspiel neue Erfahrungen zu sammeln.

2.2.3 Die Funktionen des Rollenspiels

Das Rollenspiel erfüllt eine Vielzahl von Funktionen, wie beispielsweise die Verarbeitung von Wünschen und Ängsten (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 369) oder das Einhalten von Regeln (Vgl. Bechstein o.J., S. 11). Zur besseren Übersicht werden im Folgenden eine Auswahl an Funktionen vorgestellt und unterteilt in kognitive, kreative, emotionale und Kompensationsfunktion.

Kognitive Funktion

Wie bereits im Kapitel 2.2.1 erwähnt, wurden das Fantasie- und Rollenspiel von Piaget als Symbolspiel bezeichnet, um die Unterschiede zum psychomotorischen Spiel deutlich zu machen. Denn das Symbolspiel (Rollenspiel), welches für Piaget Assimilation ist (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 401), dient dem Kind zum Aufbau kognitiver Repräsentationen in Form von Symbolen. Dagegen verfolgt das psychomotorische Spiel den Zweck, Handlungsschemata einzuüben (Vgl. Grubbauer 2011, S. 49). Assimilation meint in diesem Kontext die Objektsubstitution. Das Kind ist fähig, eine an seinen Bedürfnissen orientierte Anpassung seiner Umwelt vorzunehmen (Vgl. Grubbauer 2011, S. 49). Somit ordnet sich das Kind die Wirklichkeit unter und verfügt „souverän über die alltäglichen Handlungen" (Grubbauer 2011, S. 49). Für Piaget stellt das Symbolspiel eine Form des Denkens des Übergangs von der sensomotorischen Ebene zur Ebene des repräsentativen Denkens dar, also den Übergang von der sensomotori- schen Intelligenz zum abstrakt-logischen Denken (Vgl. Grubbauer 2011, S. 49).

Kreative Funktion

Bretherton sah im Fantasiespiel, im Gegensatz zu Piaget, keine Rekonstruktion der Wirklichkeit und auch keine „Festigung kognitiver Strukturen" (Grubbauer 2011, S. 49), sondern die Möglichkeit für Kinder, ihre Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und Alternativen zur Realität zu schaffen. Das Fantasiespiel kann demzufolge beispielsweise zu „phantasievoller[en] Problemlösungen" (Grubbauer 2011, S. 50) führen. Laut Freudenreich et al. (1991, S. 24) stellt das Rollenspiel allerdings sehr wohl eine Rekonstruktion der Wirklichkeit dar. Jedoch mit reduzierten Bedingungen, in Abgrenzung zu einer Reproduktion und verstanden als eine Lernhilfe. In diesem Sinne können die Kinder der Wirklichkeit trotzen und sie ihren Bedürfnissen entsprechend anpassen.

Emotionale Funktion

Das Fantasiespiel kann für Kinder ein Hilfsmittel sein, die eigenen Wünsche, zu denen es nicht in der Lage ist, sie eigenständig zu erfüllen, realisieren zu können (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 369). Damit ist allerdings keine Befriedigung von kurzfristigen Wünschen gemeint. Im Fokus steht „eine Verallgemeinerung der Affekte" (Grubbauer 2011, S. 50), die sich im Spiel ergeben. Weiter kann ein Kind durch das Fantasie- und Rollenspiel emotionale Probleme verarbeiten (Vgl. Kohnstamm 2006, S. 370).

Kompensationsfunktion

Wie in der Betrachtung der Rollentheorie dargelegt, sind, seitens der Gesellschaft innerhalb eines Handlungssystems, an jede soziale Rolle Erwartungen und Ansprüche geknüpft. Das gilt auch für Kinder in ihrer Rolle als Familienmitglied, Geschwisterteil, Gruppenmitglied einer Kindertagestätte, usw. Die gestellten Erwartungen und Ansprüche an das Kind können einen hohen Druck ausüben, vor dem sich das Kind schützen kann, in dem es sich eine eigene Realität fernab der sozialen Wirklichkeit schafft (Vgl. Grubbauer 2011, S. 50; Vgl. Oerter 1993, S. 13f).

Die stark selektierte Übersicht, die hier vorgenommen wurde, zeigt bereits, dass das Rollenspiel eine Vielfalt von Funktionen unterschiedlicher Bereiche erfüllt. Die einzelnen Erkenntnisse scheinen sich zu widersprechen. Sie sollten jedoch, wie auch die Spieltheorien, mehr als eine Ergänzung verstanden werden, da die Ergebnisse der Beobachtungen, wie allgemein in der wissenschaftlichen Forschung üblich, immer in Abhängigkeit der Art der Fragestellung und der Weise der Beobachtung bzw. Untersuchung stehen.

[...]


1 Intrarollenkonflikte beschreiben Konflikte, bei denen an eine bestimmte Rolle Erwartungen gestellt werden, die sich widersprechen können. Bei Interrollenkonflikten handelt es sich um einen Konflikt, den eine Person mit mehreren Rollen, die diese Person inne hat, haben kann (Vgl. Joas 2007, S. 125f).

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Bedeutung des Rollenspiels für die kindliche Entwicklung in der Montessori Pädagogik. Das Rollenspiel als Spielform
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Note
2,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
41
Katalognummer
V1006141
ISBN (eBook)
9783346385598
ISBN (Buch)
9783346385604
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bedeutung, rollenspiels, entwicklung, montessori, pädagogik, rollenspiel, spielform
Arbeit zitieren
Dan Norben (Autor:in), 2020, Bedeutung des Rollenspiels für die kindliche Entwicklung in der Montessori Pädagogik. Das Rollenspiel als Spielform, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1006141

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