Die Freiheitsproklamation von 196 v. Chr.

Motive, Praxis und Scheitern der römischen Griechenlandpolitik zwischen 198 und 190 v. Chr.


Masterarbeit, 2020

69 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung - Theoretischer Hintergrund

2. Das Konzept der Freiheitspolitik
2.1. Die „Erfindung“ der Freiheit
2.2. Der Freiheitsbegriff
2.3. Titus Quinctius Flamininus

3. Praxis
3.1. Die Isthmischen Freiheitsproklamation und die Neuordnung Griechenlands
3.2. Kampf um die öffentliche Meinung in Griechenland
3.3. Der Feldzug gegen Nabis von Sparta

4. Scheitern
4.1. Der Streit mit den Ätolern
4.2. Der Beginn des Antiochoskrieges
4.3. Das Ende des Antiochoskrieges - Die Aufgabe der Freiheitspolitik

5. Die Motive der Freiheitspolitik
5.1. Streben nach Ruhm und Anerkennung
5.2. Realpolitik

6. Fazit

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

App. Mak.: Appian, Macedonike.

Liv.: Livius, Ab urbe conita.

Plut. Flam.: Plutarch, Vitaeparallelae (TitusFlamininus).

Pol.: Polybios, Historiae.

BMCRev: Bryn Mawr Classical Review, Bryn Mawr.

CPh: Classical Philology, Chicago.

CR: Classical Review, Oxford.

DNP: Der neue Pauly, Stuttgart.

Gnomon: Gnomon: kritische Zeitschrift für die gesamte klassische Altertumswissenschaft, München.

GRBS: Greek, Roman and Byzantine Studies, Durham.

Hist. Z.: Historische Zeitschrift, München.

Historia: Historia: Zeitschrift für Alte Geschichte / revue d'histoire ancienne, Wiesbaden.

JHS: Journal of Hellenic Studies, London.

JRS: Journal of Roman Studies, London.

Klio: Klio: Beiträge zur alten Geschichte, Berlin.

Latomus: Latomus: revue d'études latines, Bruxelles.

RE: Paulys Realenyclopädie der classischen Altertumswissenschaften, Stuttgart.

REG: Revue des études grecques, Paris.

1. Einleitung - Theoretischer Hintergrund

Die römische Expansion zur Zeit der Republik ist eine der meistdiskutiertesten Gegenstände, sowohl in der althistorischen Forschung als auch in populärwissenschaftlichen oder auch popkulturellen Beiträgen. Hinsichtlich des Ausgreifens Roms in den hellenistischen Osten nimmt dabei die sogenannte Freiheitspolitik, die verbunden ist mit der schillernden Persönlichkeit des Titus Quinctius Flamininus, einen besonderen Platz ein. Nachdem die Römer die Makedonen unter Philipp V. besiegt und ihn zur Aufgabe seiner griechischen Besitzungen gezwungen hatten, entließen sie diese in die Freiheit. Diese Freiheit wurde 196 v. Chr. feierlich im Zuge der Isthmischen Spiele von Flamininus verkündet. Die anschließende Freude bei den Griechen über diese Botschaft schien grenzenlos. Sie bezeichneten Flamininus als „Erretter“ und „Vorkämpfer“ für die Freiheit der Griechen. Flamininus, der wie viele seiner römischen Zeitgenossen die griechische Kultur schätzte, wird auch in der althistorischen Forschung des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts nachgesagt, er habe die Griechen aus seiner philhellenistischen Grundüberzeugung befreit.1 Dieses Narrativ wurde mittlerweile schon mehrfach dekonstruiert. Dass es jedoch nichtsdestoweniger lange reproduziert wurde, hat auch mit der Quellenlage für die Flamininische Griechenlandpolitik zu tun.

Quellenlage

Die Quellenlage ist im Ganzen gesehen günstig. Die literarische Überlieferung gründet sich jedoch nahezu gänzlich auf Polybios. Grundsätzlich gehört Polybios zu den glaubwürdigsten und seriösesten römischen Geschichtsschreibern.2 Er selbst formuliert den Anspruch, Historiker müssten unparteiisch und objektiv bleiben und weist dem Wert der Wahrheit eine außerordentlich große Bedeutung zu.3 Dennoch war auch Polybios nicht unbefangen von seinem Umfeld, weswegen immer wieder seine Sympathie zu Rom durchscheint.4 Darüber hinaus berichtete Polybios über die Ereignisse in der untersuchten Phase der römischen Politik zwischen 198 und 190 v. Chr. in überaus geringem zeitlichen Abstand. Das ist Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite konnte sich Polybios aus erster Hand über die Vorgänge und aus unterschiedlichen Perspektiven informieren und hatte damit eine ungewöhnlich gute Informationsgrundlage. Auf der anderen Seite war er biographisch bedingt in die Ereignisse im Nachgang an die Periode römischer Außenpolitik selbst involviert, was seine Sicht gezwungenermaßen beeinflusst haben musste. Er selbst war in jüngeren Jahren im Achäischen Bund politisch und militärisch tätig. 167 wurde er jedoch als Konsequenz des Perseuskrieges als einer von 1000 Geiseln nach Rom gebracht, wo er den Hauptteil seines Lebens verbrachte und unter anderem mit Teilen der Scipionenfamilie eng befreundet war.5 Durch seine eigene Geschichte beschrieb er seine Heimat, den Achäischen Bund häufig in einem etwas verklärten Licht, während er die Feinde der Achäer, wie Nabis oder die Ätoler, in einem weniger guten Licht dastehen lies. Zudem hatte er durch Verschleppung nach Rom bittere Erfahrungen mit der aktuellen Politikergeneration gemacht und schildert daher Flamininus mit nostalgischer Wehmut als „Griechenfreund“, als ehrlichen Befreier der Griechen und daher als vorbildlichen Römer.

Da von Polybios' Werk nur weniger als ein Drittel erhalten ist6 und auch zu dem betreffenden Zeitraum nur Fragmente überliefert sind, muss auf seine „Nachfolger“ zurückgegriffen werden, um die Ereignisse zu rekonstruieren. Es sind Werke zahlreicher späterer Geschichtsschreiber erhalten, die hauptsächlich auf Polybios' Historien zurückgegriffen haben. Für den Themenbereich dieser Arbeit ist neben Appian und Plutarch hier hauptsächlich Livius zu nennen. Der etwa 140 Jahre nach Polybios geborene Livius griff insbesondere für die Ereignisse im östlichen Mittelmeer ab 200 v.Chr.7 auf Polybios zurück und schrieb ziemlich wortgetreu bei ihm ab.8 Livius' Werk ist für den Gegenstand dieser Arbeit also vertrauenswürdiger als für andere Perioden.9 Livius übersetzte Polybios' Werk jedoch nicht bloß, sondern ging mit einer anderen Zielsetzung an das Schreiben seines Geschichtswerkes heran. Er wollte ein lebendig geschriebenes Geschichtswerk erstellen, das bei den Lesern Emotionen hervorruft und vertrat die Grundüberzeugung, die Römer hätten als das von den Göttern auserwählte Volk das Schicksal, die Welt zu beherrschen.10 Grundsätzlich war jedoch auch Livius kein massiver Geschichtsfälscher, sondern bemühte sich, in den von ihm gesteckten Grenzen die Wahrheit zu berichten.11 Verfälschungen und (interpretierende) Veränderungen des Originals waren beiläufig und nicht prinzipiell motiviert.12 Zwar muss der Hintergrund der beiden Geschichtsschreiber berücksichtigt werden, jedoch sollte aus den genannten Gründen nicht prinzipiell jede Begebenheit angezweifelt werden. Es kann nur die in den Quellen gespiegelte Geschichte aufgearbeitet werden und es sollte keine Geschichte gegen die überlieferten Quellen geschrieben werden.13

Theoretischer Hintergrund

Die Arbeit dockt an die Forschungsdiskussion um die Instrumente und Konzepte der römischen Expansion, hauptsächlich in der republikanischen Zeit, an. Bereits Polybios beschrieb, wie im zweiten und dritten Jahrhundert die beiden Mittelmeerhälften zusammenwuchsen:

„ Von diesem Zeitpunkt aber, wird die Geschichte ein Ganzes, gleichsam ein einziger Körper, es verflechten sich die Ereignisse in Italien und Afrika mit denen in Asien und Griechenland, und alles richtet sich auf ein einziges Ziel aus. Daher haben wir auch diesen Zeitpunkt als Anfang unseres Geschichtswerkes gewählt. Denn nachdem die Römer in dem erwähnten Krieg die Karthager besiegt hatten und damit den größten, den entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Weltherrschaft glaubten getan zu haben, da wagten sie es, ihre Hände nach dem übrigen auszustrecken und mit Heeresmacht nach Griechenland und Asien hinüberzugehen. “14

Auf der einen Seite scheint diese Beobachtung hinsichtlich der Bedeutung der Zeit der Punischen Kriege und dem Zeitpunkt des Zusammenwachsens beider Mittelmeerhälften zu einer Symploke erstaunlich treffend. Auf der anderen Seite wird in der modernen Forschung das Bild eines linearen, geplanten Weges zur Weltherrschaft als Ergebnis eines zielgerichteten Willens rundum abgelehnt. Die Dynamiken und Triebkräfte, dessen Ergebnis die römische „Weltherrschaft“ war, waren Inhalt zahlreicher Forschungsbeiträge.

Als die Römer den Zweiten Makedonischen Krieg eröffnete, sahen sie ihn keineswegs als eine Etappe auf dem Weg zur Herrschaft über Griechenland. Die präventive Absicht, keinen Gegner auf Augenhöhe zuzulassen, im Zusammenspiel mit dem Nichtwillen zur direkten Herrschaft, mündeten schließlich in Flamininus' Freiheitspolitik, in der sich Rom in der Rolle eines Schiedsrichters wiederfand. Diese Rolle überforderte jedoch die Römer und mündete in weiteren Kriegen.15 In den jeweiligen Friedensordnungen wurde die Freiheitspolitik nicht mehr durchgesetzt, der letzte Ausweg aus den teilweise chaotischen Zuständen in der Mitte des zweiten Jahrhunderts in Griechenland war die Errichtung einer direkten Herrschaft in Makedonien und Griechenland16 im Jahre 146.17 Diese Entwicklung jedoch nur als aneinander gereihte Ereignisse zu sehen, die unweigerlich in der römischen Herrschaft über den gesamten Mittelmeerraum gewissermaßen enden musste, greift definitiv zu kurz und ist sachlich auch nicht korrekt. Es muss nach Mechanismen, Triebkräften und Ursachen gefragt werden, die dieser Entwicklung zu Grunde lagen und sie befeuerten. Auch wenn jeder einzelne Krieg und jede einzelne Machtausdehnung ihre eigenen Eigenheiten und Ursachen hatte, muss dennoch die Basis, die all diesen Einzelfällen zu Grunde lag, so gut es geht offengelegt werden.

Zu dieser Basis gehört mit Sicherheit die soziopolitische Struktur der römischen Gesellschaft in der Republik. Harris untersuchte diese und stellte fest, die römische Gesellschaft sei extrem militaristisch gewesen und sowohl Elite als auch Volk seien auf Kriegführung ausgerichtet.18 Harris betont die Maßlosigkeit der Republik, seiner Ansicht nach war die römische Gesellschaft zur Expansion getrieben19 und süchtig nach ihr. Auch wenn Harris selbst darauf hinweist, dass die römische Gesellschaft ein hohes Aggressionspotential hatte, was nicht immer in der Außenpolitik realisiert wird, ist die Dissonanz in dem Fall der Freiheitspolitik doch besonders augenscheinlich. Davon, dass die Römer getrieben waren kann hier nicht die Rede sein. Im Gegenteil scheint hier auf den ersten Blick eine ablehnende Haltung zur Annexion der Fall zu sein. Es wird erneut deutlich, dass die Expansion von verschiedenen in der Intensität wechselnden Ursachen geprägt war. Deswegen bleibt es nicht aus, jede Periode der römischen Außenpolitik im Einzelnen genau zu untersuchen.20 Im Gegensatz zum eher offensiven Modell von Harris wurde schon wesentlich früher von Mommsen das Modell eines defensiven Imperialismus etabliert. Die dem Modell zugrunde liegende These geht davon aus, dass der Gedanke der Sicherheit, der sich in kritischen Situationen auch als Angst oder Furcht äußere, der Motor der Ausdehnung der römischen Macht gewesen sei, ohne dabei jedoch anderen Faktoren wie dem Ehrgeiz und dem Interesse individueller Akteure bzw. Gruppen an Herrschaftsausdehnung die prinzipielle Wirksamkeit abzusprechen.21

Schon vor Harris hat insbesondere Badian die Bedeutung der römischen Aristokratie für die römische Expansion herausgestellt. Im Laufe der Zeit wurden mehrere Konzepte entwickelt, die der römischen Griechenlandpolitik zu Grunde gelegen haben könnten. Badians Modell der foreign clientelae liefert bis heute die Grundlage der soziopolitischen Analyse der römischen Aristokratie und die damit verbundenen Auswirkungen auf die römische Außenpolitik.22 Er setzt nicht die römischen Verträge in den Mittelpunkt, sondern die inoffiziellen Beziehungen zwischen Patron und Klienten.23 Der Patron gewährte dem Klienten beneficia, hat im Gegenzug officia zu erwarten.24 Dieses System übertrug Badian auf die römische Außenpolitik. Rom nimmt an dieser Stelle die Rolle des Patrons25 ein und auswärtige Staaten die des Klienten. Im zu untersuchenden Fall war die Gewährung von Freiheit ein gewaltiges beneficium und die Römer erwarteten im Gegenzug eine selbstverständliche Loyalität der Griechen. Wenn jedoch dieses Verständnis von gesellschaftlichem Umgang bei den Griechen in der Form nicht existent war, scheinen die sich daraus ableitenden Konflikte vorprogrammiert zu sein. Badians Modell ist das gängigste Modell der römischen Expansion über den Mittelmeerraum, wurde jedoch auch seiner Bedeutung entsprechend oft mehr oder minder erfolgreich angegriffen. Ansatzpunkt der Kritik ist, dass ein Klientelmodell als Erklärung für sich entwickelnde Vormachtstellung nicht mit den Fakten, die uns überliefert seien, übereinstimme.26 Das Prinzip der Gewährung von Privilegien und der Erwartung von Loyalität im Gegenzug sei weder auf Rom noch auf die Antike beschränkt. Entkleide man das Konzept seiner lateinischen Terminologie, verberge sich dahinter bloß ein völlig übliches Konzept informeller Abhängigkeitsverhältnisse.27

Gruen legte das relevanteste Gegenkonzept gegenüber Badians Theorie vor. Dieses konzentriert sich vor allem auf den Hellenismus und stellt Rom als eher passiven Akteur ohne Ziele dar. Gruen stellt in seiner Analyse fest, dass sich die Römer in erstaunlichem Umfang den Konventionen der griechischen Politik angepasst und deren formelle und informelle Instrumente für zwischenstaatliche Beziehungen adaptiert hätten. Er stellt fest, dass der römischen Expansion keine grundlegende Strategie zugrunde gelegen habe und betont die Unterschiedlichkeit der Motive für das militärische Eingreifen Roms. Der gemeinsame Nenner sei bloß, dass das römische Handeln geprägt war von dem Wunsch, sich soweit wie möglich aus dem Osten herauszuhalten. Er stellt die Römer zurückhaltend und ohne echte Ziele in der Ostpolitik dar. In der Periode um 200 sei den Römern der Kampf gegen die Kelten im Norden Italiens wichtiger als die wenig existentiellen Fragen im Osten gewesen. Die Freiheit beschreibt Gruen in dem Zusammenhang als Vehikel, um die Übernahme neuer Verpflichtungen nach dem Ende des Makedonischen Krieges zu vermeiden und so den römischen Abzug zu rechtfertigen.28 Die sehr defensive Darstellung Roms als in sich gekehrter Gigant, der keine wirklichen eigenen außenpolitischen Ziele verfolgte und von den Griechen zu seinem außenpolitischem Handeln quasi gezwungen wurde, stieß jedoch auf Kritik und scheint nicht besonders glaubwürdig.

An dieser Stelle soll ein drittes Konzept erläutert werden, dass 1988 von Ferrary etabliert wurde.29 Er vertritt im Gegensatz zu Badian und Gruen keine übergeordnete These,30 teilt jedoch nicht die von Gruen aufgestellte These der zurückhaltenden Römer. In der Auseinandersetzung mit Badian erkennt er die grundsätzliche Bedeutung informeller gegenseitiger Verpflichtungen zwischen Rom und Griechen an, wertet jedoch die Freiheit auf und setzt sie an Stelle des Klientelkonzepts als wichtigstes Instrument zur Wahrung der militärisch erkämpften Hegemonie.31 In Bezug zu Flamininus betont Gruen, dass das Streben nach Ruhm, was sowohl in römischer als auch in hellenistischer Tradition stand, sein wichtigstes Motiv war. Es habe ein gewisses Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Ruhm, was beispielsweise Ausdruck in der Durchsetzung des Krieges gegen Nabis und im Abzug der Legionen fand, und den realpolitischen Überlegungen Flamininus', wie etwa der Eindämmung der Ätoler, die drohten zu mächtig zu mächtig zu werden, bestanden. Ferrary betont, - und hier wird der Bezug zu Badian offensichtlich - dass die Römer die Freiheit als Gabe für Loyalität im Gegenzug gewährt hätten. Da sich jedoch nicht alle Staaten mit der Freiheit unter römischer Hegemonie abgefunden hätten32, sei Flamininus' Politik schlussendlich gescheitert und der Senat setzte in Zukunft mehr auf Realpolitik als auf den Ruhm der Freiheit.33

Für die allgemeine Forschung über die römische Expansion besitzt das Werk von Pfeilschifter nicht die Relevanz wie die bereits genannten Werke. Jedoch ist seine umfassende Abhandlung über Flamininus und die römische Griechenlandpolitik in dem eng umfassten Themengebiet dieser Arbeit von großer Bedeutung. Das Ergebnis seiner Untersuchung fällt für die Römer und ihre Freiheitspolitik vernichtend aus. Er beschreibt die römische Ostpolitik in der Phase als äußerst konzept- und ziellos.34 Die Befreiung Griechenlands sei nie besonders ernst genommen worden und die Römer hätten es verpasst, das Potential zu einer positiven Ausgestaltung ihrer Herrschaft über Griechenland auszuschöpfen. Dass Pfeilschifters Werk nicht dieselbe Relevanz wie beispielsweise die von Badian oder Gruen besitzt, liegt neben der Verdichtung des Untersuchungsbereichs - zum einen auf eine zeitliche Periode und zum anderen auf die Person des Flamininus - auch an gewissen Teilen seiner Argumentation. Bloy zeigt, dass Pfeilschifter einige mehrdeutige Beweise bewusst in die eigene Richtung interpretiert, um das eigene Argument (das im Kern durchaus schlüssig ist) zu untermauern.35 Dadurch wird ein etwas zu einseitig negatives Bild von Flamininus und der römischen Außenpolitik erzeugt. Dem gegenüber steht das zwei Jahre später veröffentlichte Werk von Dreyer. In seiner Analyse der römischen Nobilitätsherrschaft hauptsächlich in Bezug zu Antiochos, nimmt auch die Griechenlandpolitik einen bedeutenden Platz ein. Dreyer kommt dabei zu Ergebnissen, die denen von Pfeilschifter teilweise diametral entgegenstehen. Er kommt insbesondere in Bezug zur Politik des Flamininus zu wesentlich positiveren Schlüssen und beschreibt seine Politik als strukturiert und konstruktiv.36 Dreyer hebt sich dabei insbesondere durch seine tiefe Analyse der Neuordnung Griechenlands ab, die in der originellen These mündet, dass der Kern der Neugestaltung in der gezielten Förderung bzw. Neuausrichtung bundesstaatlicher Organisationen und ihres repräsentativen Verfassungssystems liege.37 Der offensichtliche Gegensatz in diesen beiden Werken ergibt sich jedoch auch aus den unterschiedlichen Fragestellungen. Während Pfeilschifter hauptsächlich Flamininus' Freiheitspolitik dekonstruiert, arbeitet sich Dreyer nicht so sehr an der Freiheitspolitik ab, sondern ist auf der Suche nach positiven, konstruktiven Elementen in der römischen Griechenlandpolitik. Sowohl Pfeilschifters als auch Dreyers Positionen in der Forschungsdebatte wird in dieser Arbeit Rechnung getragen.

Neben Untersuchungen zu Einzelfällen der römischen Expansion, sind auch eine Reihe von größeren Überblicksdarstellungen für das gewählte Forschungsgebiet relevant. Hier sind insbesondere die betreffenden Stellen in den Werken von Heftner38 und Bleicken39 zu nennen.

Als gemeinsamen Nenner der aktuellen Forschung konstatiert Pfeilschifter zwei zentrale Merkmale in Bezug auf Flamininus und die Freiheitspolitik. Zum einen, dass der Freiheitspolitik eine hohe Bedeutung für die Ausgestaltung der römischen Hegemonie eingeräumt wird und zum anderen, dass sie eine herausgehobene Stellung in der Geschichte hat, da sie so zuvor nicht eingesetzt wurde und auch später, zwar nicht aufgegeben, aber doch sehr viel zurückhaltender eingesetzt wurde.40

Aufbau und Fragestellung der Arbeit

Diese Arbeit soll die römische Griechenlandpolitik unter Flamininus in die skizzierte Forschungsdebatte sowohl über Triebkräfte als auch Instrumente der römischen Expansion einordnen. Dabei ist die Frage nach den Motiven der Griechenlandpolitik von herausragender Bedeutung. Nur wenn die Motive der Akteure herausgearbeitet sind, lassen sich

Schlüsse über Mechanismen und Triebkräfte ziehen. Dabei wird diese Arbeit aufgrund der Begrenztheit der Untersuchungsperiode keinen herausragenden Beitrag für die Forschungsdebatte um die römische Expansion leisten können. Vom Einzelfall ist nicht auf die Gesamtheit zu schließen. Vielmehr soll geprüft werden, welche Theorien auf diesen Einzelfall plausibel angewendet werden können.

Obwohl Flaminius eine Schlüsselfigur für das Verständnis über die Freiheitspolitik ist, handelt sich diese Arbeit nicht an seiner Person ab. Der besonderen Relevanz seiner Person wird dennoch Rechnung getragen, indem immer wieder auf seine eigenen Beweggründe rekurriert wird und im Kapitel 2.3. auch einige biographische Elemente zum Tragen kommen.

Wie aus dem Titel hervorgeht, ist das Subjekt in drei Hauptteile aufgeteilt; Motive, Praxis und Scheitern. Diesem ist ein eigener Bereich zur Herkunft und Konzeption der Freiheitspolitik und der Person des Flamininus vorgestellt, der zum gesamten Verständnis unerlässlich ist. In einer chronologischen Logik stünden die Motive zu Beginn der Analyse. Jedoch lassen sich nur durch die Untersuchung der Geschehnisse Schlussfolgerungen über die Motive der handelnden Akteure fällen. Auch das schlussendliche Scheitern der Freiheitspolitik muss dabei berücksichtigt werden. Nach dem vorangestellten Kapitel über das Konzept der Freiheitspolitik wird sich also zunächst der tatsächlichen Praxis dieser Politik gewidmet. Darauf folgt das Scheitern dieser. Im Zentrum dieses Abschnitts steht der Krieg mit Antiochos, da dieser augenscheinlich die Freiheitspolitik hat scheitern lassen, und da bei der Ordnung der Verhältnisse im Nachgang dessen offensichtlich keine Freiheitspolitik mehr durchgeführt wurde. Das Kapitel der Motive hat insofern einen Fazit-ähnlichen Charakter, beschränkt auf die engere Thematik an sich. Darauf folgt das eigentliche Fazit, in der die Freiheitspolitik in den größeren Kontext und die Forschungsdebatte eingeordnet wird.

Da diese Arbeit nicht durchgängig chronologisch aufgebaut ist, sondern unterschiedliche Aspekte aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, sind Sprünge zwischen den Ereignissen nicht zu vermeiden. Um Doppelungen zu reduzieren, werden Ereignisse, die bereits an anderer Stelle eingehend erläutert wurden, aber für die Argumentation wichtig sind, nur angeschnitten und es wird auf die betreffende Stelle verwiesen.

Zuletzt müssen Begrifflichkeiten geklärt werden. In der Forschung hat sich der Begriff der „Freiheitspolitik“ etabliert, obwohl in Frage steht, ob es sich um eine tatsächliche Freiheitspolitik im eigentlichen Sinne handelt. Pfeilschifter verwendet aus diesem Grund überwiegend den Begriff der Freiheitspropaganda. Der Kontroversität in der Frage, ob Flamininus „echte“ Freiheitspolitik betrieben hat, wird in dieser Arbeit inhaltlich durchaus Rechnung getragen. Auf der begrifflichen Ebene bezieht sich Freiheitspropaganda hier auf die Art und Weise, wie die Freiheit vermittelt und verkündet wurde. Die Politik in deren Rahmen die Freiheitspropaganda stand, wird in dieser Arbeit als „Freiheitspolitik“ bezeichnet.

2. Das Konzept der Freiheitspolitik

Ausgangspunkt für die Untersuchung der Freiheitspolitik muss der zweite römisch-makedonische Krieg sein. Diesen Krieg führten die Römer im Wesentlichen aus zwei Gründen: Zum einen aus Rache für das punisch-makedonische Bündnis, dass abgeschlossen wurde als sich Rom noch akut durch Hannibal bedroht sah. Das Bündnis war zwar nicht sehr wirkungsvoll, - es kam nie zu einer Landung makedonischer Truppen in Italien - dennoch wurde den Makedonen diese Parteinahme sehr übelgenommen.41 Zum anderen handelte es sich beim zweiten makedonischen Krieg um einen klassischen Präventivkrieg.42 Philipp hatte zuvor einen Teilungsvertrag mit Antiochos abgeschlossen und ging mit beträchtlichem Erfolg in Kleinasien hauptsächlich gegen Pergamon und Rhodos vor. Gesandte dieser beiden Staaten beklagten sich beim Senat über Philipp und die Römer sendeten daraufhin ein Ultimatum an Philipp, was schließlich zum Krieg führte. Durch das Engagement in Kleinasien und auch durch den gegen das Ptolemäerreich gerichteten Teilungsvertrag drohte Makedonien seine hegemoniale Stellung über Griechenland auszubauen und langfristig ein für Rom gefährlicher Kontrahent im Osten zu werden.

Während des Krieges verbündeten sich die Römer mit zahlreichen griechischen Staaten und Städten, der wichtigste Verbündete war der Ätolische Bund. Nach dem Ende des Krieges wollten diese Verbündeten einen möglichst großen Anteil des makedonischen Reiches für sich in Anspruch nehmen. Rom sah sich in einer Situation, in der es entscheiden musste, wie es mit dem geschlagenen Makedonien verfährt. Die Entscheidung musste so gefällt werden, dass sich die Verbündeten einerseits nicht enttäuscht von den Römern abwenden und andererseits kein neuer Hegemon in Griechenland entsteht. Zusätzlich musste sich Rom mittelfristig auf einen Konflikt mit Antiochos III. einstellen. Dieser hatte im Krieg gegen die Ptolemäer das begehrte Koilesyrien gewonnen und engagierte sich nun ebenfalls in Kleinasien.

Im Folgenden wird erläutert, wie die Römer in dieser Situation das Konzept der Freiheitspolitik entwarfen. Maßgeblich ist dabei die Person des Titus Quictius Flamininus, der als Konsul die Armee von Philipp besiegte und auch für die Friedensbestimmungen ausschla- gegebend war.

2.1. Die „Erfindung“ der Freiheit

Badian vertritt die These, die Römer hätten im Zuge der Freiheitspolitik ihren eigenen, schon längst erprobten Freiheitsbegriff auf die hellenistische Welt angewandt.43 Er verneint zwar nicht, dass die Römer insofern durch griechische Beispiele wie die Freiheitserklärungen von Polyperchon (319) oder Antigonos (315) beeinflusst wurden, als dass sie Flamininus zumindest bekannt waren. Flamininus habe das bereits bestehende Konstrukt der civitas libera auf die griechische Welt angewendet. Der Freiheitsbegriff, der hier angewendet worden sei, unterschiede sich jedoch nicht von früheren, weniger spektakulären Freiheitserklärungen wie denen für Segesta oder der illyrischen Küste. Eckstein stimmt mit Badian darin überein, dass die Beispiele Polyperchon und Antigonos nicht maßgeblich für die römischen Entscheidungsträger sein könnten, da sie zu abstrakt und schon zu lange vergangen gewesen seien.44 Eckstein nennt jedoch eine Reihe anderer Beispiele für die Freiheitspolitik aus dem hellenistischen Raum45. Insbesondere die Kriegserklärung der makedonisch-achäischen Symmachie gegenüber dem ätolischen Bund46 von 220 hätte entscheidend als Vorbild gedient. Eckstein zeigt, dass Ähnlichkeiten in der Sprache der beiden Erklärungen existieren, sodass davon auszugehen ist, dass die Kriegserklärung von 220 zumindest großen Einfluss auf die Freiheitserklärung von 196 gehabt haben muss.47 Ferrary geht so weit zu behaupten, dass sie als direktes Vorbild gedient habe und Flamininus Rom in der hellenistischen Tradition der Symmachie sähe, die er mit Rom statt Makedonien an der Spitze wiederbeleben wolle.48 Ob Flamininus Ambitionen in diese Richtung hatte, muss offen gelassen werden, dennoch scheinen die Vorbilder aus der hellenistischen Welt, im Besonderen das von 220, entscheidender als die von Badian angeführten Beispiele aus der römischen Herrschaftsbereich. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die angewandte Vorstellung von Freiheit griechischen Ursprungs war. Durch die enorme Bedeutung der Freiheit für die Polis schon in klassischer Zeit, die im Hintergrund schwelenden Freiheitserklärungen von Polyperchon und Antigonos und den neueren Präzedenzfällen, wie dem Kriegsbeschluss von 220, lässt sich durchaus eine gewisse hellenistische Tradition von Freiheitserklärungen als politisches Instrumentarium feststellen.49

Die Herkunft des Freiheitsbegriffes erklärt jedoch noch nicht, wer denn der „Urheber“ der Freiheitspolitik war. Flamininus war derjenige, der sie schließlich durchsetzte, trotzdem bleibt zu fragen, wie er dazu inspiriert worden ist. Ein bloßes Referieren auf die philhellenischen Tendenzen von Flamininus reicht hier nicht aus.

Zwischen Kynoskephalai und dem Friedensschluss mit den Makedonen ersuchte der Ä- toler Alexandros Isios Flamininus darum, vom Friedenschluss abzulassen und den Krieg bis zum endgültigen Sturz von Philipp fortzusetzen. Flamininus lehnte das mit einer ausführlichen Antwort ab, in der er auf die Kriegsziele rekurrierte, Philipp ganz aus Griechenland heraus zu drängen.50 Flamininus versprach zwar den Friedensvertrag so zu gestalten, dass Philipp keine Gelegenheit mehr bekommen würde, den Griechen Unrecht zu tun, von den Freiheitsplänen war jedoch keine Rede.51 Pfeilschifter weist darauf hin, dass Flamininus' Pläne bzgl. der griechischen Freiheit entweder noch nicht existent oder aber noch nicht so weit gereift waren, dass er seine Verbündeten in sie einweihte.

Es wäre möglich, dass Personen aus dem Senat Flamininus in diese Richtung lenkten, nachdem Gesandte der Alliierten ein halbes Jahr zuvor im Senat vorstellig wurden, um Rom zu einer Fortführung des Krieges zu überzeugen. Dabei baten sie ausdrücklich darum, die Hoffnungen der Griechen auf Freiheit nicht zu enttäuschen, verbunden mit der Möglichkeit auf den „schönsten Ruhm“ für die Römer.52 Auch wenn es unwahrscheinlich scheint, dass das gesamte Konzept der Freiheitspolitik bei den Römern auf diese Begegnung gründet, scheint es zumindest plausibel, dass einige Senatoren so auf das Potential der griechischen Freiheit aufmerksam wurden.

Es wäre auch möglich, dass Flamininus in der Zwischenzeit von seinen Alliierten auf die Idee der Freiheitspolitik gebracht wurde. Wenn angenommen wird, dass sich das Konzept maßgeblich auf den Präzedenzfall von 220 gründet, fallen hierbei die Ätoler als Initiatoren aus, da es unwahrscheinlich scheint, dass sie diese Deklaration, deren Leidtragende sie selbst ursprünglich waren, zu Rate ziehen. Eckstein führt aus, dass die Achäer als hellenistische Quelle für Flamininus' Konzept der griechischen Freiheit sehr wahrscheinlich seien.53 Die persönlich guten Beziehungen von Flamininus zu führenden achäischen Staatsmännern wie Aristainos54 und die Tatsache, dass die Achäer als große Profiteure der Deklaration von 220 dieselbe für Polybios verwahrten und ihm offensichtlich mit großem Stolz zur Abschrift vorlegten55, lassen tatsächlich einen bedeutenden achäischen Einfluss plausibel erscheinen. Laut Walsh sei die von den Römern angewandte Freiheitspropaganda das Ergebnis eines „hands on crash course“ in der politischen Rhetorik des Hellenismus, den Flamininus während seiner Zeit in Griechenland genossen habe.56 Nichtsdestotrotz lässt sich nicht festlegen, woher genau Flamininus schlussendlich die entscheidende Inspiration für sein Konzept der griechischen Freiheit genommen hat. Pfeilschifter führt an, dass die Freiheitspolitik gewissermaßen auch als Konsequenz des römischen Präventivkrieges gesehen werden könne.57 Das Ziel dieses Präventivkrieges lag in der Beschränkung der makedonischen Macht und keineswegs in eigenen Annexionen. Dadurch entsteht zwangsweise ein Herrschaftsvakuum, das gefüllt werden muss. Gepaart mit der hellenistischen Tradition der Freiheitspolitik scheint so die Idee, die griechischen Städte für frei zu erklären, nicht sehr fern zu liegen. Pfeilschifter konstatiert in diesem Zusammenhang: „Die Rückzugsforderung war die negative Seite der Medaille, die Freiheit die positive.“58

2.2. Der Freiheitsbegriff

Wie im vorigen Kapitel erläutert, wurde hier von den Römern ein griechischer Freiheitsbegriff angewandt. Selbst wenn die Römer wie von Badian angenommen ihr eigenes Konzept von Freiheit bei den Griechen angewandt haben, so hatten doch die Rezipienten der Freiheitsproklamation ihre eigene Vorstellung von Freiheit, die sich aus der griechischhellenistischen Geschichte gebildet hat.59 Die Freiheitserklärung bestand aus vier Bestandteilen. Im Wortlaut heißt es in der Proklamation: „Der römische Senat und der Konsul Titus Quinctius, die Sieger über König Philipp und die Makedonen, gewähren [1.] Freiheit [=Eleutheria], [2.] Verzicht auf Besatzungen, [3.] Verzicht auf Tribut und [4.] den Gebrauch der väterlichen Gesetze [...]“.60 Heidemann bezeichnet diese viergliedrige Freiheitsformel als Prototyp einer nach den griechischen Vorstellungen vollständigen Freiheitsformel.61 Pfeilschifter erläutert, dass Freiheit bzw. Eleutheria als Ober- und Gesamtbegriff stehe und am ehesten als außenpolitische Souveränität zu verstehen sei.62 Der Verzicht auf Besatzung und Tribut scheint klar, während der vierte Punkt einer Erklärung bedarf. Mit dem Gebrauch der väterlichen Gesetze sei die Selbstverwaltung und Verfassungsfreiheit umschrieben, die sich unter dem Begriff der Autonomina fassen lässt. Diese Begriffe sind aber nicht immer trennscharf. Auch Autonomina kann als Gesamtbegriff eintreten. Desweiteren können auch Eleutheria und Autonomina in einer zweigliedrigen Formel stehen, in der Eleutheria für äußere und Autonomina für innere Freiheit steht.63 Es wird also deutlich, dass Freiheit im Hellenismus interpretierbar war.64

Pfeilschifter erläutert, dass hellenistische Herrscher ihren Griechenstädten üblicherweise keine vollständige Freiheit gewährten, sondern lediglich bestimmte Freiheitsprivilegien, die nur Teilaspekte der Freiheit umfassten.65 Bei einer völligen Freiheit wären die einzelnen Poleis aus dem Machtbereich des jeweiligen hellenistischen Reiches ausgeschieden, was aber nicht im Interesse der hellenistischen Herrscher läge, da die Polis auch im Hellenismus die mit Abstand effizienteste Organisationsform blieb. Eine Polis habe aber grundsätzlich nach Freiheit gestrebt, daher sei hier ein grundsätzlicher Gegensatz angelegt gewesen, der nur überdeckt und abgemildert werden konnte. Die Poleis waren mit ihrer Wirtschaftskraft und Manpower unverzichtbar für die hellenistischen Herrscher. Gleichzeitig boten die großen Reiche Schutz gegen äußere Bedrohungen für die Polis. Es war also eine Beziehung, die einerseits von teilweise gegenläufigen Interessen, andererseits aber auch von gegenseitigem Nutzen geprägt war. Da sie nicht ohne ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme auskamen, lag es durchaus im Interesse des hellenistischen Herrschers, die Poleis zu befreien.66 Als Gegenleistung für die gewährten Freiheitsprivilegien wurde ein Mindestmaß an Wohlverhalten erwartet, im Grunde also das Gegenteil von Freiheit. Pfeilschifter betont, wie unscharf der Begriff der Freiheit von daher im hellenistischen Griechenland gewesen sei und dass Polisbürger daher genau gewusst hätten, dass bei der Gewährung von Freiheit eine große Differenz zwischen Ideal und Realität herrschen konnte.67 Wenn all die genannten Punkte berücksichtigt werden, wird deutlich, dass Freiheitspolitik im hellenistischen Griechenland eine durchaus konventionelle Politik war. Diese Politik war von der Gewährung völliger Freiheit genau so weit entfernt wie von der völligen Negierung von Freiheit. Bei der Freiheitsproklamation bei den Isthmischen Spielen wurde die Politik jedoch keineswegs als üblich aufgenommen. Der große Jubel der Griechen68 hat schon viele Schlussfolgerungen mit sich gezogen. Denkbar wäre, dass es bei der von den Römern verkündeten Freiheitsparolen keineswegs um ein gängige Art der von den hellenistischen Herrschern oft praktizierten Freiheitspolitik gehandelt habe, sondern dass hier eine neue, radikale Art der völligen Freiheitsgewährung vorlag, oder die Griechen es zumindest als eine solche auffassten. Ein anderer Grund könnte die Überraschung der Griechen gewesen sein. Sie hatten möglicherweise aufgrund der harten römischen Kriegsführung oder anderen Beispielen harter römischer Außenpolitik gehört und rechneten nicht mit einer solchen Freiheitsproklamation.

2.3. Titus Quinctius Flamininus

Die römisches Freiheitspolitik ist untrennbar mit dem Namen des römischen Prokonsuls Titus Quictius Flamininus verbunden. Das wird allein durch die Dauer seines Imperiums deutlich. Er war insgesamt vier Jahre Prokonsul, sein Kommando wurde also dreimal prorogiert. Das war eine außergewöhnlich lange Zeit in diesem Amt, das normalerweise höchstens einmal prorogiert wird.69 Wenn also die römische Freiheitspolitik Untersuchungsgegenstand ist, muss zwangsweise die Person des Flamininus näher betrachtet werden. Das umfasst im Groben auch die Zeit vor und nach seinem Imperium, wichtiger ist jedoch die Frage, warum er sich so lange im Amt halten konnte und zu welchen Motiven er generell neigte.

[...]


1 Stier (vgl. Stier, H. E., 1957, S. 151) und Lehmann (vgl. Lehmann, G. A., 1967, S. 165 ff.) sind zwei der letzten Vertreter dieser, seitdem kaum mehr geäußerten Ansicht. Ein Überblick über die frühere Rezeption und Forschung zu Flamininus ist mit Badians Aufsatz von 1973 erschienen, in dem Badian Philhellenismus und Realpolitik als Motive gegenüberstellt und zu dem Ergebnis gelangt, dass Flamininus als ein „sentimental philhellene“ gänzlich abzulehnen ist (vgl. Badian, E., 1973, passim, zur Einordnung der älteren Forschung s. insb. S. 273-297, zu seinem inhaltlichen Fazit vgl. S. 323-327; Zit. S. 327).

2 vgl. Walbank, F. W., 1957, S. 16.

3 Pol. 1,14,1-7.

4 vgl. Manz, G., 2017, S. 9.

5 zu seinem Leben vgl. Dreyer, B., 2011, S. 7 ff.

6 Von diesem Drittel entfällt ein Großteil auf die ersten fünf Bücher, die vollständig überliefert sind. Diese streifen den Gegenstand jedoch nur im Zuge eines Vorspanns. Von den restlichen Büchern sind nur Exzerpte erhalten. vgl. Dreyer, B., 2011, S. 30 Für diese Arbeit sind insbesondere die erhaltenen Teile von Buch 18 relevant. Buch 17 ist hingegen schon sehr früh verloren gegangen, weshalb auch die Erkenntnisse daraus größtenteils nicht rekonstruierbar sind.

7 d.h. ab Buch 31.

8 vgl. Dreyer, B., 2011, S. 34 f.

9 Livius lobt Polybios als einen zuverlässigen Schriftsteller, dem er bei allen nicht nur Rom, sondern insbesondere auch Griechenland betreffenden Ereignissen folge (Liv. 33,10,10; vgl. Halfmann, H., 2013, S. 50).

10 Zu beachten ist auch der Kontext, in dem Livius lebte: Seiner Ansicht nach, habe der römische Staat kurz nach den schrecklichen Erfahrungen der Bürgerkriege seine Vorbilder in der großen Vergangenheit zu suchen. Daher rührt seine zur Idealisierung neigende Tendenz in Bezug auf die Republik und ihren Personen und Charakteren (vgl. Halfmann, H., 2013, S. 53).

11 vgl. Manz, G., 2017, S. 16 f.

12 vgl. Dreyer, B., 2011, S. 35.

13 Aufgrund von fehlenden Kenntnissen des Autors der altgriechischen Sprache, sind Zitate griechischer Geschichtsschreibung in der deutschen Übersetzung von Drexler wiedergegeben. Zitate lateinischer Geschichtsschreiber werden dagegen im Lateinischen wiedergegeben, um möglichst wenig Verzerrungen durch Übersetzungen abzubilden. Die sich daraus ergebene Inkonsistenz ist dem Autor bewusst, kann jedoch nicht vermieden werden. Zur Verdeutlichung der herausgehobenen Stellung werden Zitate der antiken Geschichtsschreiber grundsätzlich kursiv geschrieben, Zitate aus der modernen Forschung hingegen nicht.

14 Pol. 1,3,3-6.

15 Hier ist insbesondere der Dritte Makedonische Krieg gegen Perseus 171 - 168 v. Chr. zu nennen, in dessen Nachgang sich die Römer zu einem heftigen Vergeltungsschlag gegen viele der griechischen Staaten entschlossen.

16 In Zusammenhang mit den Ereignissen im griechischen Raum steht auch der Übergang zur direkten Herrschaft in Afrika und (auch wenn die Bereitschaft zur direkten Herrschaft hier wesentlich früher gegeben war) in Iberien. Die engen zeitlichen Abstände zwischen den Zerstörungen von Karthago, Numantia und Korinth waren sicherlich kein Zufall.

17 vgl. den inhaltlichen Überblick von Bleicken, J., 2014, S. 133 f.

18 vgl. Harris, W. V., 1979, S. 41 ff.

19 Dabei würden laut Harris im Wesentlichen die Institutionen, die Macht der Aristokratie, das Wirken von Patronage und die Sklaverei die Eroberungen begünstigen und den Staat stabilisieren. Harris ist auch einer derjenigen, die die Bedeutung ökonomischer Motive herausstellen (vgl. Harris, W. V., 1979, S. 34 ff.). Mittlerweile wird jedoch vom überwiegenden Teil der Forschung angenommen, dass wirtschaftliche Motive den politischen Motiven immer nachstanden (vgl. bspw. Badian, E., 1980, S. 34 ff.)

20 vgl. Bleicken, J., 2014, S. 159.

21 vgl. Mommsen. T., 1855, S. 781 f.

22 Badian, E., 1958, passim.

23 vgl. Badian, E., 1958, S. 41 f.

24 In der röm. Aristokratie waren die Beziehungen maßgeblich davon geprägt, dass der höher Gestellte (Patron), dem niedriger Gestellten (Klient) officia gewährte, die dem Klienten in der Karriere weiterhalfen. Beispielsweise könnte der Patron sich bei einer Wahl zu einem Amt für den Klienten einsetzen. Dann war im römischen Selbstverständnis der Klient dem Patron zur Gewährung von officia, gewissermaßen ewiger Treue und Folgsamkeit verpflichtet. Ein möglichst großes Netz an Klientelbeziehungen war die Grundlage jeden politischen Aufstiegs innerhalb der römischen Aristokratie.

25 Zum Konzept gehören neben den Klientelbeziehungen auf staatlicher Ebene auch Patronate einzelner Senatoren über auswärtige Gemeinden (vgl. Badian, E., 1980, S. 32 f.). Diese sind jedoch erst im ausgehenden zweiten Jahrhundert bezeugt (vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 18, Anm. 9).

26 vgl. Gruen, E. S., 1984, S. 199.

27 vgl. Gruen, E. S., 1984, S. 158 ff.

28 vgl. Gruen, E. S., 1984, S. 156 f.; Briscoe, J., 1986, S. 95 f.

29 vgl. Ferrary, J.-L., 1988, passim.

30 Im Gegensatz zu Gruen und Badian, beschreibt Ferrary nur einen Ausschnitt der Begegnung zwischen den Römern und den Griechen, nämlich die Periode der Freiheitspolitik. Daher ist es nur bedingt sinnvoll, ihn mit den beiden Erstgenannte auf eine Ebene zu stellen. Die zentrale Bedeutung der Freiheit erschließt sich eben auch aus dem Umstand, dass er die Freiheitspolitik als Untersuchungsschwerpunkt wählte.

31 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 21 f.

32 Hier ist hauptsächlich an die Ätoler zu denken, die Auslöser für den Antiochoskrieg waren und damit den römischen Willen zur Freiheitspolitik zum Einsturz gebracht hätten.

33 vgl. Ferrary, J.-L., 1988, S. 99 ff.; Pfeilschifter, R., 2005, S. 22.

34 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 389 ff.

35 vgl. Bloy, D., 2006, o.S.

36 vgl. Dreyer, B., 2007, passim, insb. S. 198ff. Siehe hierzu u. S. 57.

37 vgl. Schulz, R., 2009, S. 331.

38 vgl. Heftner, H., 1997, S. 329 ff.

39 vgl. Bleicken, J., 2014, S. 152 ff.

40 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 22 f.

41 Liv. 31,1,6-10.

42 Dieses wiederkehrende Motiv der Römer hat Must anschaulich anhand des 3. Punischen Krieges, des 3. Makedonischen Krieges und der Zerstörung Numantias gezeigt (Must, T., 2016, passim).

43 vgl. Badian, E., 1958, S. 73 f.

44 vgl. Eckstein, A. M., 1990, S. 66.

45 Eckstein verweist auf die von Gruen angelegte Liste (vgl. Gruen, E. S., 1984, S. 138 ff.)

46 Kriegsziele: Pol. 4,25,6-7: „[...] sie würden den Verbündeten alles Land und alle Städte zurückgeben, die die Aetoler seit dem Tode Philipps leiblichem Vater Demetrios in Besitz genommen hätten; ebenso, daß sie allen denen, die, durch die Umstände genättigt, wider ihren Willen Mitglieder des Aetolischen Bundes geworden seien, ihre angestammte Verfassung wiederherstellen würden, so daß sie im Besitz ihres Landes und ihrer Stadt ohne Besatzung , ohne Tributleistungen und frei in den staatlichen Ordnungen und nach den Gesetzen der Vorfahren leben könnten.“

47 Ob sie tatsächlich als Vorbild diente, muss offengelassen werden. Pfeilschifter bezweifelt, dass Flamini- nus ausgerechnet eine von Philipp verfasste Freiheitsdeklaration als Vorbild nahm, wegen dessen schlechtem Leumund (vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 283 f., Anm. 9). Walsh hingegen zeigt, wie oft Philipp die gleiche viergeteilte Freiheitsformel benutzte, wie sie in der Isthmischen Proklamation zu finden ist. Daher mache es durchaus Sinn, dass Flamininus etwas von der Anwendung der Freiheitspropaganda bei Philipp gelernt habe. Philipp sei im Gegensatz zu den anderen griechischen Einflüssen auf Flamininus der einzige gewesen, der die Freiheitspropaganda aus der Position eines großen Monarchen einsetzte. Diese Position erbte Flamininus gewissermaßen (vgl. Walsh, J. J., 1996, S. 362). Ob Flamininus dabei bewusst oder unbewusst lernte muss offengelassen werden.

48 vgl. Ferrary, J.-L., 1988, S. 88 ff.

49 Trotz des Argumentes der Bedeutung der Freiheit für die Polis aus klassischer Zeit, wird bewusst der Begriff einer hellenistischen und nicht hellenischen Tradition verwendet. Die Bedeutung der Freiheit für die Polis schwelte nur im Hintergrund, als Überbau für die generelle Relevanz griechischer Freiheit. Begründer der Tradition waren die hellenistischen Freiheitserklärungen von Polyperchon und Antiogonos.

50 Pol. 18,36,6-37,12.

51 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 280.

52 Pol. 18,11,2-12; vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 281.

53 Eckstein betont, dass die Achäer weniger die Deklaration von 220 als spezifisches Modell für die Freiheiterklärung beworben hätten, sondern dass die allgemeine achäische Sichtweise stark von der Freiheitslehre geprägt war. Die allgemeine Betonung der Freiheit durch die Achäer, verbunden mit der Ähnlichkeit der 220er Deklaration mit der 196er Proklamation reichen für Eckstein aus, um die Wahrscheinlichkeit zu stützen, dass achäische Staatsmänner die wichtigste griechische Quelle für Flaminius' Ideen der griechischen Freiheit gewesen seien (vgl. Eckstein, A. M., 1990, S. 67). In Pol. 2,42,4 spricht Polybios zudem von der Freiheit jeden Staates als einzige Forderung der achäischen Politik, die sie für ihre enthusiastische Hilfe einfordern und untermauert damit die generelle Bedeutung von Freiheit in der achäischen Politik. Eckstein dazu in seinem Fazit: „Polybios asserted, that the ideals of eleutheria formed the core of Archaen policy throughout the history of the league; it was the Achaean tradition.“ (Eckstein, A. M., 1990, S. 70 f.)

54 Die Beziehungen zeigen sich beispielhaft in der erfolgreichen achäischen Vermittlung des römisch-böo- tischen Konfliktes (Siehe u. S. 26).

55 Vor allem Walbank sieht die Deklaration von 220 als Triumph für die Achäer und legt nahe, dass eine Kopie der Deklaration in Achaia für Polybios zur Einsichtnahme zur Verfügung gestanden habe (vgl. Walbank, F. W., 1967, S. 471 f.).

56 vgl. Walsh, J. J., 1996, S. 345.

57 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 279.

58 Pfeilschifter, R., 2005, S. 279.

59 Zu den unterschiedlichen Konzepten von Freiheit bei Griechen und Römern vgl. Forte, B., 1972, S. 26 ff.

60 Pol. 18,46,5.

61 vgl. Heidemann, M.-L., 1966, S. 6.

62 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 282.

63 vgl. Heidemann, M.-L., 1966, 94f., Anm. 4/5.

64 vgl. Schmitt, H. H., 1964, S. 98.

65 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 283.

66 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 284.

67 vgl. Pfeilschifter, R., 2005, S. 284.

68 Pol. 18,46,7-12.

69 vgl. Gruen, E. S., 1984, S. 215 Der cursus honorum war jedoch zu der Zeit noch nicht so formalisiert, wie in der späten Republik. Die Karrieren von Scipio Africanus und Flamininus waren ein Grund, warum das Bedürfnis nach einer Formalisierung des cursus honorum größer wurde (vgl. Beck, H., 2005, S. 141 ff.).

Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Die Freiheitsproklamation von 196 v. Chr.
Untertitel
Motive, Praxis und Scheitern der römischen Griechenlandpolitik zwischen 198 und 190 v. Chr.
Hochschule
Westfälische Wilhelms-Universität Münster  (Seminar für alte Geschichte)
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
69
Katalognummer
V1006224
ISBN (eBook)
9783346388308
ISBN (Buch)
9783346388315
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rom Griechenland Freiheit Freiheitspolitik Flamininus Römische Expansion Römische Republik
Arbeit zitieren
Richard Wissing (Autor:in), 2020, Die Freiheitsproklamation von 196 v. Chr., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1006224

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