Adornos Position im Positivismusstreit


Elaboración, 2000

14 Páginas, Calificación: 1


Extracto


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Begriffsdefinitionen
1.1.1 Positivismus und Positivisten
1.1.2 Wertfreiheit und Kritischer Rationalismus
1.1.3 Ideologie und Kritische Theorie

2 Hauptteil
2.1 Adornos Position
2.1.1 Gesellschaftskonzept
2.1.2 Erkenntnistheoretische und methodologische Konsequenzen
2.1.3 Wertbegriff und erkenntnistheoretische Konsequenzen
2.1.4 Kritikbegriff und erkenntnistheoretische Konsequenzen
2.1.5 Stellung der Soziologie in der Hierarchie der Humanwissenschaften
2.1.6 Bestimmung der Soziologie

3 Schluss
3.1 Adornos Argumentationsstrategie
3.1.1 Eindrücke anderer Teilnehmer
3.1.2 Mögliche Gründe für ein Missverständnis

Literaturverzeichnis

1 EINLEITUNG

Die moderne deutsche Soziologie vereint unter ihrem Namen eine kaum überschaubare Theorie- und Methodenvielfalt, die sich, wissenschaftstheoretisch betrachtet, vor allem durch den Grad ihrer Ausrichtung an den hermeneutisch verfahrenden (theoretischen) Geisteswissenschaften am einen und den experimentell überprüfenden bzw. messenden (empirischen) Naturwissenschaften am anderen Ende der Skala wissenschaftlicher Heuristik voneinander unterscheiden.

Am prägnantesten zeigt sich heute diese interne Polarität des soziologischen Diskurses in den zeitweise stark polemisierend geführten Auseinandersetzungen zwischen qualitativer und quantitativer Sozialforschung über die Adäquatheit des von den jeweiligen Anhängern favorisierten Forschungsdesigns; der gängige Begriff des „Methodenmixes“ präsupponiert ebenfalls die Existenz mindestens zweier voneinander verschiedener Herangehensweisen, schließt jedoch die Möglichkeit einer gegenseitigen Durchdringung der Ansätze mit unterschiedlicher Gewichtung nicht aus.

Der von Adorno so genannte „Positivismusstreit“, der auf einer Tübinger Arbeitstagung der deutschen Gesellschaft für Soziologie 1961 stattfand, bildet einen

Kristallisationspunkt, an dem die lange eher unterschwellig gebliebenen Differenzen zwischen den einzelnen Forschungsausrichtungen und Theorien, aber auch weltanschaulichen Tendenzen unter den deutschen Soziologen erstmals gebündelt zu Tage traten.

Im Zentrum der Diskussion standen die Referate des kritischen Rationalisten Karl R. Popper, der zu theoretischen und methodologischen Problemen der Soziologie Stellung nimmt, und Theodor W. Adornos, der ihm, im Rahmen der Frankfurter Schule argumentierend, mit einem dialektisch-kritischen Theorieentwurf für die Sozialwissenschaft antwortet.

Im Folgenden sollen die Hauptthesen aus Adornos Beitrag dargestellt und erläutert werden. Zunächst muss anhand einiger Begriffsklärungen das thematische Bezugsfeld des Positivismusstreits konstruiert werden, wobei im Rahmen dieser Ausarbeitung nur auf die gängigen Definitionen von „Positivismus“, „Ideologie“ und „Objektivität“ bzw.

„Wertfreiheit“ zurückgegriffen werden kann.

Diese Begriffe erscheinen wichtig, weil Popper von Adorno im Nachhinein als Positivist „beschimpft“ wird, Adorno dagegen unter beständigem Ideologieverdacht steht; in der Frage, ob die Sozialwissenschaft wertend oder objektiv verfahren soll, kumulieren die Standpunktdifferenzen.

Im nächsten Abschnitt sollen dann Adornos Thesen aufgeführt werden. Anstelle einer Diskussion der einzelnen Schritte, die den Anspruch dieser Ausarbeitung notwendig überschreiten würde oder andernfalls oberflächlich bleiben müsste, folgt anschließend ein kurzer Abschnitt über die Argumentationsstrategie Adornos.

Da der Positivismusstreit nicht nur eine Auseinandersetzung „auf den Punkt bringt“, deren Wurzeln bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückgehen, sondern gleichzeitig für den Beginn weitreichender Veränderungen und Aufspaltungen nicht nur des soziologischen Diskurses steht, soll in einem abschließenden Kapitel noch kurz auf die Eindrücke eingegangen werden; hier stützt sich die vorliegende Ausarbeitung vor allem auf den Diskussionsbericht Ralf Dahrendorfs, der an der Planung und Durchführung der Arbeitstagung maßgeblich beteiligt war und den Diskussionsbericht verfasste.

1.1 Begriffsdefinitionen

1.1.1 Positivismus und Positivisten

Beim Positivismus handelt es sich um einen Erkenntnis- und Denkstil, der vom epistemologischen Vorrang des Gegebenen bzw. Beobachtbaren ausgeht. Die positive Erkenntnis ist also gleichzusetzen mit der Erfahrungserkenntnis, deren Weg induktiv von der Beobachtung zur Theoriebildung führt.

Positionen, die die Möglichkeit des Erkennens von abstrakten Voraussetzungen bzw. aprioristischen Annahmen abhängig machen oder holistische Konzepte vertreten, werden vom Positivismus abgewiesen.

Der Positivismus ist aber keine eigenständige wissenschaftliche Disziplin, sondern eine in den einzelnen Bereichen und Ansätzen mehr oder weniger ausgeprägte Auffassung von Wirklichkeit im beschriebenen Sinn, aus der jeweils entsprechende methodologische Konsequenzen gezogen werden.

Bereits hier zeigt sich, daß die pejorativ zu verstehende Bezeichnung des „Positivisten“ eigentlich keine Entsprechung in der Realität findet; der häufig zu vernehmende Vorwurf an akribisch arbeitende Empiriker, positivistische „Erbsenzähler“ zu sein, basiert auf einer eigentlich unzulässigen Personifizierung eines Denkmodells, das tatsächlich nirgendwo in den Sozialwissenschaften in seiner Reinform zur Anwendung kommt.

Der „Neopositivist“ Karl Popper lehnt z.B. in Übereinstimmung mit Adorno die „szientistische“ Verfahrensweise der Naturwissenschaften, die dem oben beschriebenen positiven Erkenntnisweg folgt, für die Sozialwissenschaften ab und kann daher zumindest in diesem grundlegenden Punkt nicht als Positivist bezeichnet werden.

1.1.2 Wertfreiheit und Kritischer Rationalismus

Hinter der oben skizzierten positivistischen Denkrichtung verbirgt sich das Ideal wissenschaftlicher Objektivität, das dort seinen Platz hat, wo Sachverhalte unabhängig von subjektiven Erkenntnis- und Wahrnehmungsbedingungen beschrieben werden sollen als das, was sie „wirklich“ sind.

Die bei Max Weber erstmals geforderte Wertfreiheit in der wissenschaftlichen Arbeit, die selbst eine Wertvorstellung ist, soll eine Annäherung an ein weiteres (natur)wissenschaftliches Ideal ermöglichen, nämlich das der objektiven Genauigkeit bzw. der exakten Forschung.

Damit Wertfreiheit gewährleistet ist, müssen Seinsaussagen, die auf ontische Kategorien, d.h. auf die faktische Gegebenheit und Funktion des zu untersuchenden Gegenstands referieren, von Sollensaussagen getrennt werden, die den Gegenstand auf einer Werteskala verorten. Die graduell formulierbaren Sollensaussagen fallen damit aus dem Raster der klassischen zweiwertigen Logik der eindeutig feststellbaren Wahrheit und Falschheit von Aussagen über die Wirklichkeit heraus.

Der kritische Rationalismus, dem Popper anhängt, sieht das Falsifikationsprinzip als eine Möglichkeit an, die Trennung von Seins- und Sollensaussagen zu gewährleisten:

Wenn sich die Wissenschaftlichkeit einer Hypothese an ihrer empirischen Widerlegbarkeit erweist, können wertende Aussagen als per se nicht überprüfbare gar nicht erst in die Hypothesenbildung eingehen. Die klassische Logik trifft analog die Unterscheidung zwischen deskriptiven und präskriptiven Aussagen, wobei nur der Wahrheitswert der deskriptiven Aussagen eindeutig bestimmt werden kann; die „wahrheitswertfreien“ präskriptiven Sollensaussagen werden deshalb aus dem spezifischen Zuständigkeitsbereich einer Wissenschaft, deren Fundament diese und andere logischen Prinzipien bilden, ausgelagert und in wertend-subjektive Zusammenhänge eingeordnet.

Nach den bisherigen Ausführungen liegt es nahe, kurz auf das Konzept der Ideologie als des klassischen Gegenspielers einer rein objektiven Wissenschaft einzugehen.

1.1.3 Ideologie und Kritische Theorie

Die Ideologie versteht sich als wissenschaftliche Theorie, die ihre Aufgabe nicht ausschließlich in der objektiven Erkenntnis von Wirklichkeit sieht, sondern vor allen Dingen die Entwicklung einer Welt unterstützen will, wie sie aus einer bestimmten Denkrichtung angestrebt wird, was sprachlich nur durch den Einsatz von präskriptiven Sollensaussagen dargestellt werden kann. Adorno, als Angehöriger des Kreises um Max Horkheimer im Rahmen der kritischen Theorie der Frankfurter Schule argumentierend, baut sein Konzept von Soziologie entsprechend auf marxistisch-materialistischen Theoremen auf; jedoch ist auch Adorno kein kommunistischer Ideologe: als kritischer Aufklärer hegelianischer Provenienz sieht er im „emphatischen Begriff der Wahrheit (...) die richtige Einrichtung der Gesellschaft mitgedacht, so wenig sie auch als Zukunftsbild auszupinseln ist.“1

An anderer Stelle fordert er eine Forschungshaltung, die „weder sich verbeißt in Wertfreiheit, (...) noch vom abstrakten und statischen Wertdogmatismus sich leiten läßt.“2

Adorno unterscheidet popularisierte und erstarrte Verfallsformen vom eigentlichen Begriff der Ideologie als „gesellschaftlich notwendige(m) Schein“3, wobei deren Kritik an einen konkreten Nachweis der Unwahrheit eines Theorems oder einer Doktrin gebunden gewesen sei.

Diese spezielle Auffassung von Ideologie kommt in der Kritischen Theorie insofern zum tragen, als sie eine Kritik des soziologischen Objektes notwendig in ihre Aussagen über Gesellschaft einbezieht.

2 HAUPTTEIL

Der Positivismusstreit spielt sich auf dem Hintergrund des angedeuteten konzeptuellen Unterschieds zwischen Kritischem Rationalismus auf der einen und Kritischer Theorie auf der anderen Seite ab. Die Position Adornos soll nun anhand einiger seiner Kernthesen dargestellt werden.

2.1 Die Position Adornos

2.1.1 Gesellschaftskonzept

Grundlegend für Adornos weitere Argumentation ist seine Vorstellung von Gesellschaft.

Er begreift sie als ein zum Teil widersprüchliches Ganzes, wobei das System und seine einzelnen Bestandteile reziprok und nur in ihrer Reziprozität erkennbar sind:

So wenig aber jenes Ganze vom Leben, von der Kooperation und dem Antagonismus seiner Elemente abzusondern ist, so wenig kann irgendein Element auch bloß in seinem Funktionieren verstanden werden ohne Einsicht in das Ganze, das an der Bewegung des Einzelnen selbst sein Wesen hat.4 (127)

Diese dynamisch-dialektische Figur steckt in Adornos Begriff der „gesellschaftlichen Totalität“. In ihrer Vielschichtigkeit ist Gesellschaft für ihn „widerspruchsvoll und doch bestimmbar; rational und irrational in eins, System und brüchig“5.

Nach Adorno ergibt sich ein grundlegend problematischer Zustand der Gesellschaft daraus, dass sie sich im Fortschritt einerseits selbst erhält und erneuert, sich andererseits aber durch denselben Fortschritt und dessen Konsequenzen immer auch gleichzeitig selbst bedroht:

Hier könnte man als klassisches Beispiel die Erfindung der Kernspaltung anführen, die zwar die Entwicklung von Atomkraftwerken und mit diesen die Bereitstellung gewaltiger Mengen an Energie zu geringen Preisen ermöglicht hat, aber in ökologischer oder politischer Hinsicht durchaus als eine latente Bedrohung für die gesamte Menschheit angesehen werden kann.

Aus diesen Annahmen einer gesellschaftlichen Totalität einerseits und ihrer intrinsischen Widersprüchlichkeit andererseits zieht Adorno Konsequenzen für den epistemologischen Ansatz und die Methodik der Soziologie.

2.1.2 Erkenntnistheoretische und methodologische Konsequenzen

Nach Adorno können soziale Sachverhalte nur durch die Berücksichtigung der oben skizzierten Totalität adäquat erklärt werden. Eine Soziologie, die in kleinen Schritten quasi „Stück für Stück“ Gesellschaft mit streng logischen Verfahren analysieren will, läuft Gefahr, ihren Gegenstand zu verfehlen, da einzelne Beobachtungen „ohne die Antezipation jenes strukturellen Momentes des Ganzen, das in Einzelbeobachtungen kaum je adäquat sich umsetzen lässt“6 keinen eigentlichen Stellenwert besitzen.

Wenn der zu untersuchende Gegenstand komplex ist und darüber hinaus Widersprüche aufweist, kann eine logifizierende Betrachtungsweise nicht effizient genug sein, da im logischen System einem Widerspruch automatisch der Wahrheitswert „falsch“ zugewiesen wird und komplexe Strukturen durch schematische, „aufgepfropfte“ Untersuchungskategorien unzulässig vereinfacht werden könnten.

Er fordert in diesem Zusammenhang eine Ausdehnung des logischen Rationalitätsprinzips auf widersprüchliche gesellschaftliche Sachverhalte, ohne jedoch konkreter darauf einzugehen, wie ein solches auch sprachlich paradoxes Prinzip tatsächlich aussehen und für die sozialwissenschaftliche Methodenlehre fruchtbar gemacht werden könnte.

2.1.3 Wertbegriff und erkenntnistheoretische Konsequenzen

Die Untrennbarkeit einer sozialwissenschaftlichen Erkenntnis von der gleichzeitigen Wertung ihres Gegenstandes ist eine weitere zentrale These in Adornos Koreferat. Zunächst leitet er seinen Wertbegriff aus dem marxistischen Theorem des ökonomischen Tauschverhältnisses ab.

Da der Wert einer Sache nach dieser Auffassung im Laufe der Entwicklung der modernen Gesellschaft zu einem intrinsischen Element der Sache selbst und damit fungibel geworden ist, kann auf dem Hintergrund der Forderung nach einer gegenstandsadäquaten Methode auch die Erkenntnis von Gesellschaft aus Adornos Sicht nicht wertfrei sein, denn „der Gegenstand gesellschaftlicher Erkenntnis (,) ist so wenig ein Sollensfreies, bloß Daseiendes (...) wie die Werte jenseits an einem Ideenhimmel anzunageln sind“7.

Wie in 1.1.3 bereits angedeutet, führt Adornos Auffassung von Kritik zu ähnlichen Folgerungen bezüglich des sozialwissenschaftlichen "Erkenntnisdesigns".

2.1.4 Kritikbegriff und erkenntnistheoretische Konsequenzen

Eine Kritik, die auf einer vollständige empirische Überprüfbarkeit von Theorien durch Fakten fußt, lehnt Adorno ab und bleibt skeptisch gegenüber der Objektivität des wissenschaftlichen „Diskussionsspiels“ : die Soziologie sollte sich seiner Ansicht nach nicht ohne Vorbehalte auf die „organisierte Wissenschaft als Instanz von Wahrheit“8 verlassen, die als Institution selbst gesellschaftlich ist und demnach gesellschaftlichen Spielregeln unterliegt.

Adornos vielleicht markanteste Forderung ist die nach der Ausdehnung des Kritikbegriffs auf den Untersuchungsgegenstand:

Der kritische Weg ist nicht bloß formal, sondern auch material; kritische Soziologie ist, wenn ihre Begriffe wahr sein sollen, der eigenen Idee nach notwendig zugleich Kritik der Gesellschaft (...)9.

In der Gesellschaftskritik sieht er die eigentliche Aufgabe des Sozialwissenschaftlers, denn der Verzicht auf eine kritische Gesellschaftstheorie käme einer Kapitulation gleich: „Man wagt das Ganze nicht mehr zu denken, weil man daran verzweifeln muß, es zu verändern“10, bemerkt er nicht ohne Pathos am Ende seines Referates.

2.1.5 Stellung der Soziologie in der Hierarchie der „Wissenschaften vom Menschen“

In der Hierarchie der „Humanwissenschaften“ siedelt Adorno die Soziologie zwar über der Psychologie an, aber nicht etwa, weil sie kompetenter wäre; die von Adorno angeführte Begründung leitet sich vielmehr aus seiner Version des Totalitätsbegriffs ab: „Die Autonomie der Sozialprozesse ist selber kein An sich, sondern gründet in Verdinglichung; auch die den Menschen entfremdeten Prozesse bleiben menschlich.“11 Er übernimmt Durkheims These von der Ohnmacht des Individuums gegenüber der Gesellschaft, weshalb der Erforschung der Gesellschaft, also der Soziologie, eine Vorrangstellung vor der „Erforschung des Einzelmenschlichen“12 bzw. der Psychologie eingeräumt werden muss.

Autonom ist die Soziologie aber nicht; eine scharfe Abgrenzung von der Psychologie oder gar deren Liquidierung durch eine vollständige Transformation psychologischer Momente in situationslogische Handlungsbedingungen hält er für unmöglich, da der Mensch konzeptuell nie gänzlich von seiner Umwelt zu trennen ist:

Die Subjekte (...) werden nicht bloß, wie man das so nennt, von der Gesellschaft beeinflußt, sondern sind bis ins Innerste durch sie geformt. (...) Umgekehrt ist die sozial wirksame Umwelt (...) von der organisierten Gesellschaft produziert.13

2.1.6 Bestimmung der Soziologie

Insgesamt ergibt sich für Adorno eine aufklärerische Bestimmung der Soziologie: Sie soll als im beschriebenen Sine kritische Wissenschaft zur Entmythologisierung beitragen und auf diesem Wege die Gesellschaft vom „Bann menschlicher Verhältnisse“ befreien: Eine wissenschaftliche Aufklärung, „(...) die das vergißt, desinteressiert es beim Bann beläßt und sich in der Herstellung brauchbarer Apparaturen erschöpft, sabotiert sich selbst mitsamt jenem Begriff der Wahrheit (...)“14. Die Soziologie würde nach Adorno zum „Fortschritt in der Unfreiheit“ beitragen, wenn sie sich darauf beschränkte, lediglich „facts und figures im Dienste des Bestehenden“15 zu sammeln.

3 SCHLUSS

3.1 Adornos Argumentationsstrategie

Insgesamt verfährt Adorno in seinem Referat über weite Strecken dialektisch, indem er Poppers Thesen in seine eigene Argumentation integriert, um sie von verschiedenen Seiten zu beleuchten und gegebenenfalls abzuschwächen oder gar zu seinem eigenen Standpunkt zu machen.

3.1.1 Eindrücke der Teilnehmer

Da Adorno darüber hinaus einige der Punkte Poppers stillschweigend übergeht und direkte Angriffe auf seinen Gegner vermeidet, konnte leicht der Eindruck entstehen, aus der geplanten Diskussion zwischen Vertretern zweier verfeindeter Lager sei lediglich ein rücksichtsvolles „gentleman-agreement“ hervorgegangen; darüber hinaus wurde bemängelt, dass insgesamt eher erkenntnistheoretische als konkrete methodologische Aspekte angesprochen wurden.

Manche Teilnehmer waren sogar der Ansicht, die Kontrahenden hätten gar keine gemeinsame Diskussionsbasis gefunden.

Und tatsächlich handelte es sich nicht einfach nur um Standpunktdifferenzen, sondern, wie Adorno in seiner Einleitung zum Sammelband schreibt, um ein grundsätzliches kommunikatives Problem des wissenschaftlichen Diskurses: Wissenschaftliche Argumentationen sind auf der Basis logischer Verfahrensweisen aufgebaut, so dass auch eine Position, die die klassische Logik nicht vollständig anerkennt, ihre Theorie dennoch nach deren Prinzipien formulieren muss, um von der Wissenschaft als wissenschaftlich anerkannt zu werden.16

Bemerkenswert ist weiterhin, dass im Positivismusstreit, dessen Status als Streit ja bereits in Frage gestellt wurde, der Begriff des „Positivismus“ kaum auftaucht; in diesem Sinne ist bereits diese von Adorno gewählte Bezeichnung der Debatte missverständlich.

3.1.2 Mögliche Gründe für ein Missverständnis

Als möglichen Grund für dieses „Aneinandervorbeireden“ führt Dahms in seiner historisierenden Dissertation die Vermutung an, dass die Referenten im Vorfeld der Tagung kaum oder nur mangelhaft über die wissenschaftlichen Position ihres jeweiligen Gegenübers informiert waren und deshalb zwangsläufig „aneinander vorbeireden“ mussten;

Überdies sei die Auswahl Dahrendorfs mit Popper auf einen bislang kaum bekannten reinen Wissenschaftstheoretiker gefallen, der bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit empirischen Studien in Berührung gekommen war, während er mit Adorno einen damals bereits renommiertes Mitglied des Frankfurter Instituts auswählte - allerdings erklären diese Argumente nur, wie es zum Eindruck eines Missverständnisses gekommen sein könnte, nicht jedoch, warum auch Adorno nicht auf konkrete methodologische Fragestellungen zu sprechen gekommen ist.

Vielleicht könnte man vorsichtig unterstellen, Adorno habe als Koreferent auf die recht allgemein gehaltenen erkenntnistheoretischen Thesen Poppers mit ebenso allgemein gehaltenen Sätzen über die Soziologie reagiert.

Literaturverzeichnis

A. Primärliteratur

Theodor W. Adorno (e.a.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Neuwied und Berlin, 1972.

B. Sekundärliteratur

Hans-Joachim Dahms: Positivismusstreit. Die Auseinandersetzung der Fankfurter Schule mit dem logischen Positivismus, dem amerikanischen Pragmatismus und dem kritischen Rationalismus. Frankfurt a. M., 1994.

[...]


1 Theodor W. Adorno (e.a.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S. 143.

2 Ebd., S.140.

3 Ebd., S. 136.

4 Theodor W. Adorno (e.a.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S.127.

5 Ebd., S.126.

6 Theodor W. Adorno (e.a.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S. 127.

7 Theodor W. Adorno (e.a.) Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S. 138.

8 Ebd., S133.

9 Ebd., S.135.

10 Ebd., S.143.

11 Theodor W. Adorno (e.a.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S.141.

12 Ebd., S.141.

13 Ebd., S.140.

14 Ebd., S. 143.

15 Theodor W. Adorno: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S. 143.

16 Vgl. ebd., S. 9.

Final del extracto de 14 páginas

Detalles

Título
Adornos Position im Positivismusstreit
Universidad
University of Constance
Curso
Methoden der empirischen Sozialforschung
Calificación
1
Autor
Año
2000
Páginas
14
No. de catálogo
V100628
ISBN (Ebook)
9783638990530
Tamaño de fichero
350 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Adornos, Position, Positivismusstreit, Methoden, Sozialforschung
Citar trabajo
Anita Grbavac (Autor), 2000, Adornos Position im Positivismusstreit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100628

Comentarios

  • Zugegebenermaßen ohne das ganze Spektrum der Auseinandersetzungen im Zuge des Positivismusstreits betrachtet zu haben, bin ich sehr angetan von dieser Arbeit. Eine differenzierte und zugleich prägnante Ausführung, die sich nicht von der Komplexität der Adorno'schen Gedankenwelt gefangen nehmen lässt, sondern angemessen seine Postionen in den gegebenen Kontext einordnet, ohne ihm dabei etwas seiner kritischen Schärfe zu nehmen.

  • visitante el 5/2/2003

    Ist eine "objektive" Darstellung der Kontroverse möglich?.

    Die Auseinandersetzung der 60`er Jahre hat mich fasziniert, wobei auch ich gestehen muss, das ich, in Alberts Worten, ideologiesiert wurde.
    Es ist weniger die Kontroverse an sich,die mich beeindruckt, als vielmehr die Frankfurter Position. Gleichwohl sind Poppers und nicht zuletzt Dahms` Einwände gegen die Dialektiker nicht zu ignorieren, was mich aber überrascht,ist die (scheinbare) Unmöglichkeit derart über der Kontroverse zu stehen, dass sich der Betrachter weder der einen, noch der anderen Seite ,wenn auch nur implizit, zuordnet. Im Hinblick auf die
    subjektive Entscheidbarkeit des Positivismustreit deutet sich für mich
    an, dass dieses Kapitel der Soziologie ein unabschließbares ist, wer sich im Rausch wissenschaftlicher Objektivität wähnt, unterdrückt die eigene Subjektivität.
    Dieser Unentscheidbarkeit trägt deine Arbeit, wie ich finde, Rechnung und wird der Auseinandersetzung gerechter als Dahms` ausführliche Analyse, der jene für "Geschichte " hält.

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