Die Hochzeit - zu Gesichtspunkten der allegorischen Dichtung im historischen Kontext


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2000

28 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einordnung in den historischen Kontext
2.1 „Die Hochzeit“ als Teil der „Millstätter Sammelhandschrift“
2.2 „Die Hochzeit“ - Allgemeines
2.3 Das Hohelied des Salomo

3. Zur Allegorese und Exegese in „Die Hochzeit“
3.1 Begriffsklärung
3.1.1 Exegese
3.1.2 Allegorese
3.2 Die Bedeutung von Exegese und Allegorese für die Heils- und
Bußdichtung im Allgemeinen und für „Die Hochzeit“ im Besonderen
3.3 Die Bedeutung von Einleitung und Erzählung
3.4 Die Verknüpfung verschiedener verwendeter Motive im Bezug zur
Bibel
3.4.1 Himmelsrichtungen
3.4.2. Das Bild des Reichen
3.4.3 „Die Hochzeit“

4. Schlussbemerkung

1. Einleitung

Im Rahmen der Dichtung des Mittelalters nimmt die Heils- und Bußdich- tung des 11. und 12. Jahrhunderts einen wichtigen Rang ein. Aufgrund des historischen Kontexts (siehe Punkt 2) soll auch die geistliche Dichtung eine breitere Rezipientenschaft erreichen.

Dies wurde unter anderem mit Werken wie „Die Hochzeit“ realisiert.

Innerhalb dieser Art von Dichtung nimmt die Technik der Allegorese einen besonderen Stellenwert ein.

In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass in der „Hochzeit“ eine große Fülle von allegorischen Elementen zu finden ist. Dadurch erscheint es uns sinnvoll, das Gedicht in seinem historischen Kontext zu betrachten und eine Auswahl an allegorischen Ausdeutungen mit deren Bezug zur Bibel zu analysieren.

Für uns ist dabei relevant, in wie weit sich Bezüge zur Bibel herstellen lassen und wie die einzelnen Textabschnitte miteinander verknüpft sind. Weiterhin ist für uns interessant, wie sich einzelne Textstellen in den religiöshistorischen Kontext einordnen lassen.

Wir werden zuerst auf den geschichtlichen Hintergrund eingehen um danach festzustellen, wie „Die Hochzeit“ in das Gesamtwerk der „Millstätter Sammelhandschrift“ einzuordnen ist. Um den Bezug zur Bibel herzustellen, werden wir zeigen, dass die Grundanleihen aus dem „Hohelied Salomos“ stammen. Der letzte Teil beinhaltet die Betrachtung ausgewählter allegorischer Motive im Bezug zur Bibel.

2. Einordnung in den historischen Kontext

Das allegorisches Gedicht „Die Hochzeit“ lässt sich in die Epoche des Mit- telalters/ Beginn der frühen Neuzeit einordnen. Wir werden im folgenden versuchen, einen kleinen Überblick über die Geschehnisse der damaligen Zeit zu geben.

Eines der wichtigsten charakteristischen Merkmale des Mittelalters ist die Grundherrschaft, welche auch als Herrschaft über Land und Leute be- zeichnet wird. Sie wird als zentraler Rechts- und Ordnungsbegriff definiert. An dieser Stelle ist auch der Begriff der Dreifelderwirtschaft zu erwähnen. Wegen dieser fortschrittlichen, landwirtschaftlichen Technik konnten die Kleinbauern sehr bald nicht mehr mithalten. So kam es, dass sie ihren kleinen Besitz dem Grundherrn verkauften und diesen dann, als eine Art Leihgabe, zurück erhielten. Auf diese Art und Weise war zwar ihr beschei- dener Lebensunterhalt gesichert, gleichzeitig waren die Bauern aber auch zum Frohndienst verpflichtet, was nicht selten in Knechtschaft endete. Die Gesellschaft des Hochmittelalters ließ sich ganz klar in drei Stände kategorisieren: den Adel, die Freien und die Unfreien.

Kommen wir kurz zu Kirche und Staat im Mittelalter. Neben Dingen wie die Grundherrschaft oder Lehenswesen war die Epoche des Mittelalters ge- prägt vom Neben-, Mit- und Gegeneinander von Kirche und Staat. Am An- fang hatte das Ottomanische Reichskirchensystem eine enge Verbindung zwischen Kaiser und Papsttum geschaffen, doch wie wir aus dem Verlauf der Geschichte wissen, entstand unter König Heinrich IV. und dem kirchli- chen Oberhaupt eine schwere Krise, die wir heute als Investiturstreit ken- nen.

Im Jahr 1073 wurde der Mönch Hildebrand zu Papst gewählt, da er schon über Jahre als treibende Kraft und geistiger Kopf der Kirche galt. Dabei rückten drei Reformideen in den Mittelpunkt: das Zölibat als striktes Ge- bot; die Abschaffung der Simonie (Käuflichkeit der geistlichen Ämter und Würden) sowie die Beseitigung der Laieninvestitur. D.h. dem König sollte das Recht genommen werden, Bischöfe nach seiner Wahl einzusetzen und Adligen wurde es verboten, die Wahl der Priester für die Grundherr- schaft selbst zu bestimmen. Im März 1075 verkündete Gregor VII. sein Programm, das als „Dictatus papae“ den König beinahe zum Statisten de- gradierte. Somit war natürlich ein Kampf um Vormachtsstreben vorprogrammiert.

Es kam also zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen dem König Heinrich IV und dem Papst. Im Januar 1076 ließ der König auf dem Reichstag zu Worms den Papst absetzen, worauf der Papst zurückschlug und den König verfluchte, ihm die Regierungsgewalt abnahm und alle sei- ne Untertanen aus dem Treueid erlöste. Auch die weltlichen Gegner Hein- richs ignorierten diese Tatsache nicht. Er befand sich in einer misslichen Lage: einerseits die römische Kirche und auf der anderen Seite die fürstli- che Opposition. Der König traf eine Entscheidung. Er ritt dem Papst ent- gegen und bat um Absolution (siehe: Gang zu Canossa). Der Investiturstreit konnte erst durch das Wormser Konkordats beigelegt werden. Doch auch in der darauffolgenden Zeit blieb das Verhältnis von Kirche und Staat nicht ohne Konflikte (vgl.1).

Die Machtstellung der Kirche ist auch in der „Hochzeit“ zu erkennen, da sehr starke Anleihen zur Bibel vorhanden sind und der Rezipient zu einem christlichen Leben angehalten werden soll (siehe ab Punkt 3) vgl.

2.1„Die Hochzeit“als Teil der„Millstätter Sammelhandschrift“

Mit der „Millstätter Sammelhandschrift“ wird eine der ältesten, annähernd vollständigen und rein deutschsprachigen Handschriften betitelt, auf deren Seiten sich neben den religiösen Gedichten auch zahlreiche Illustrationen befinden. Sie entstand im südbairisch - österreichischen Raum und er- hielt ihren Namen, weil sie sich im 17. Jahrhundert im Besitz der „Millstät- ter Societas Jesu“ befand, welche im Jahr 1598 das vor 1088 gegründete Millstätter Benediktinerkloster übernommen hatten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt findet man die „Millstätter Sammelhandschrift“ im Klagenfurter Archiv. Die zahlreichen enthaltenen Zeichnungen deuten auf eine Entste- hungszeit um 1200 hin, da diese sich stilistisch zur „Salzburger Malschule“ (1188-1210) zuordnen lassen. Heute zählt man die „Millstätter Sammel- handschrift“ zu den wichtigsten Schriften, die aus dem Mittelalter überlie- fert sind.

Sie befand sich vor ihrer Restaurierung 1935 ohne Einband in einem ein- fachen Pappkarton. Die ehemals im Kleinformat (122 x 199 mm) vorlie- gende Schrift existiert heute nur noch als Fragment mit 21 Lagen zu je 4 Pergament - Doppelblättern, wobei das letzte Blatt der 21. Lage vollkom- men fehlt. An anderer Stelle sind sogar Wasserschäden, sowie Moder-, Wurm- oder Mäusefraß festzustellen. Aber nicht nur das ist ein Grund da- für, warum eine eindeutige Interpretation schwer möglich ist. Ein anderer resultiert aus fehlenden Angaben über Autor, Zeit, Ort oder Anlass der

Entstehung, womit nur noch die Deutung am Text selbst bleibt. Die Hand- schriften der Verfasser lassen auch keine eindeutige Zuordnung zu, da sie ihre Werke meist von Schreibern zu Papier bringen ließen. Die „Millstätter Sammelhandschrift“ besteht inhaltlich aus insgesamt 8 Ein- zelwerken. Diese sind:

- die Genesisdichtung

- die deutsche Bearbeitung des griechisch-lateinischen „Physiologus“ · dichterische Bearbeitung der biblischen Exodus (eine Reihe kürze- rer Gedichte)

- das Gedicht „Vom Rechte“, welches von den Pflichten, die sich nach der göttliches Rechtsordnung für den Menschen ergeben, handelt

- „Die Hochzeit“, eine allegorische, religiöse Dichtung von einer mys- tischen Hochzeit

- „Die Millstätter Sündenklage“, die ihre Wurzeln in den Sündenkata-

logen der althochdeutschen Beichte hat

- „Auslegung des Vaterunser“ als eine strophische Dichtung

- „Himmlisches Jerusalem“ eine allegorische, religiöse Dichtung.

Neben dieser inhaltlichen, lässt sich aber auch noch eine formale Gliede- rung finden. So betrachtet, besteht die „Millstätter Sammelhandschrift“ aus zwei Teilen, welche durch eine Leerseite innerhalb der 13. Auflage ge- trennt sind. Den ersten Abschnitt bilden die „Genesis“ und der „Physiolo- gus“ und der zweite umfasst den „Exodus“ und ihm nachfolgende Schrif- ten. Während hier rote Initialen ausschließlich eine optische Gliederung vornehmen, unterteilen diese im ersten Teil den Text in Segmente, mit insgesamt 119 Federzeichnungen, welche sich auf die jeweilige Dichtung beziehend direkt dort befinden. Schon allein die „Genesis“ enthält 135 sol- cher roten Zwischenüberschriften, welche partiell in Verbindung mit der Illustration stehen oder die Textsegmente unterschiedlicher Länge einlei- ten. Die mit den Texten einhergehende Bebilderung dient nicht nur der Verzierung, sondern ist inhaltlich sehr eng mit diesem verbunden. Die Zeichnungen stehen dem Geschriebenen voran und übernehmen die Auf- gabe von Zwischenüberschriften. Die „Millstätter Sammelhandschrift“ diffe- renziert sich aber nicht nur hinsichtlich der Auswahl, sondern auch durch die Anordnung grundlegend, von den Werken weltlicher Dichtung. Da in den geistlichen Dichtungen fortlaufend Gedichte anonymer Autoren zu finden sind, ist eine mögliche Einteilung in literarische Gattungen kaum möglich. Bemerkenswert ist aber, dass diese Dichtungen, bestimmt durch ihre religiöse Thematik und ihre Anordnung nach einem heilsgeschichtli- chen Konzept, in einer Beziehung zueinander stehen. Als ein Beispiel da- für ist auf den Anfang, mit der Schilderung des Engelsturzes in der „Gene- sis“ und in Beziehung dazu das Ende mit der Jenseitsversion des „Himmli-

schen Jerusalems“ zu verweisen. Ein weiteres Merkmal ist die alemanni-

sche Dialekteigentümlichkeit, welche in fünf von acht Gedichten auftritt

(„Physiologus“, „Exodus“, „Vom Rechte“, „Die Hochzeit“ und „Die Millstät- ter Sündenklage“) und uns so Rückschlüsse auf die Herkunft (alemanni- scher Raum) zulassen. Einige dieser Texte waren sogar schon vor ihrer Aufnahme in die Handschrift weit über ihre Regionen hinaus bekannt. Ei- gentümlich sind aber auch verschiedene Dialektmischungen innerhalb der Mehrzahl der Texte, welche wiederum auf den Austausch/ die Zusam-

menarbeit verschiedener Regionen des literarischen Wirkens verweisen. Trotz allem bildet die „Millstätter Sammelhandschrift“ kein ganzheitliches Werk, da die Verfasser auf bereits vorgeformte, reduzierte Einzeltexte zu- rückgriffen.

Außerdem kann man feststellen, dass die in der Handschrift auftretenden Einzeltexte sich hinsichtlich Entstehungszeit und -ort gravierend unter- scheiden, was sicherlich bei der Erstellung zu einigen Problemen geführt haben könnte. Wenn wir uns jeweils die älteste („Genesis“) und die jüngs- te Dichtung („Die Hochzeit“) näher ansehen, so ist von einem Altersunter- schied von etwa 100 Jahren auszugehen (1060/1080 und 1160).

Eine weitere Schwierigkeit lässt sich an der Verschiedenheit in sprachli- cher und stilistischer Hinsicht festmachen. Betrachtet man den ersten Teil der „Millstätter“ Sammelhandschrift, so lassen sich deutliche Spuren von Überarbeitungen finden. Das betrifft unter anderem Sprache, Metrik und Reimbearbeitung, ganz im Gegensatz zum zweiten Teil. In diesen kürze- ren Gedichten lassen sich keinerlei Aussagen über bestimmte Vorlagen treffen, da die des Autors nicht bekannt sind. Trotzdem zeichnen sich zwi- schen den Einzeltexten Verbindungen auf, wie das in „Genesis“ und „Phy- siologus“ durch Versifizierung geschieht. Ein auffallendes Merkmal der „Millstätter Sammelhandschrift“ ist, dass sich die verschiedenen Texte in unterschiedlichem Grade hinsichtlich Inhalt oder Thema ergänzen, sogar überschneiden, wodurch wiederum eine Verbindung der Einzelwerke auf-

gezeigt wird. Ein Beispiel dazu ist, dass die beiden aufeinanderfolgenden Gedichte „Vom Rechte“ und „Die Hochzeit“ durch annähernd ähnliche Formulierungen gekennzeichnet sind und was inhaltlich in der „Hochzeit“ angeschnitten wird, wurde bereits ausführlich in „Vom Rechte“ themati-

siert. Das betrifft die im Zentrum stehende Erörterung der gottgegebenen,

christlichen Rechtsordnung. Das Komplementärbeispiel in der „Hochzeit“ ist in den Versen 580-617 bzw. 819-840 zu finden wo Beschreibungen und Deutungen des Adlers und des Pelikans auftauchen. Hier wird die Verbindung zur „Physiologus“-Tradition deutlich.

Durch solche Sammelhandschriften wie etwa der „Millstätter“ wurde ver- sucht, zwischen den Klerikern der gelehrten, lateinischen Schriftkultur und der mündlichen, volkssprachlichen Laienkultur zu vermitteln. In den ein- zelnen Werken ist eine Anknüpfung an die Tradition der volkssprachlichen Dichtung erkennbar, was nicht zuletzt durch die Wahl der Volkssprache an sich geschieht. Mit dieser sprachlichen Gestaltung geht die dichterische einher, welche verbunden ist mit den geistlichen Inhalten. Die Wahl von religiösen aber in Volkssprache verfassten Themen, lassen auf ein litera- risch weniger anspruchsvolles Publikum schließen. Also Menschen, die Literatur nur optisch und akustisch wahrnehmen.

Die zu einer Herstellung von Sammelhandschriften benötigten Mittel, so- wohl geistig finanziell als auch technisch, verweisen auf die Zeit etwa um 1200 sowie und auf Klöster. An dieser Stelle muss allerdings angemerkt werden, dass ein finanziell abgesicherter, sehr gut lebender, religiös und vielseitig interessierter Adliger seinen Beitrag dazu hätte leisten können. Als Beleg dafür könnte man anführen, dass scheinbar mehrere Gedichte der Sammelhandschrift an den Adel adressiert sind. So z.B. die Anrede mine herren2im „Exodus“.

Interessanterweise gibt es in der Literatur Angaben, die die „Millstätter Sammelhandschrift“ als einen „...für Frauen angefertigte(n) und von Frau- en rezipiert(en)...“3Text bezeichnen. Hinweis dafür soll sein, dass die reli- giöse, volkssprachliche Dichtung des gesamten Mittelalters - ganz im Ge- gensatz zur weltlichen - überwiegend in Frauenklöstern ihr Zuhause hatte (vgl.4)

2.2„Die Hochzeit“- Allgemeines

Wie oben angeführt kann die „Die Hochzeit“ als ein allegorisches, geistli- ches Gedicht bezeichnet werden. Es folgt in der Handschrift dem Gedicht „Vom Rechte“ direkt und es ist nicht ausgeschlossen, dass diese beiden Werke den gleichen Schöpfer hatten. Grundlagen für „Die Hochzeit“ liefer- te das „Hohelied Salomos“ aus dem Alten Testament. Inhaltlich lässt sich das Gedicht in zwei Einheiten teilen. Den Rahmen bilden zum einen die relativ lange Einleitung in Form eines Gleichnisses, in dem der Dichter ein gottgefälliges Leben anpreist und zum andere ein Schlussgebet. Realis- tisch und anschaulich wird im ersten Teil die Hochzeit (und deren Vorbe- reitung) eines mächtigen Mannes aus dem Hochgebirge mit einem Edel- fräulein aus dem Tal beschrieben. Dabei macht der Dichter auch Angaben über den Hochzeitszug und das Hochzeitsmahl. Diese Episode wird im zweiten Teil in zwei Exegesen allegorisch ausgedeutet. Darauf werden wir an späterer Stelle noch einmal ausführlicher eingehen.

„Die Hochzeit“ ist gekennzeichnet durch einen unregelmäßigen Versbau und reine Reime, wie sie der frühmittelhochdeutschen Technik entspra- chen. Vgl.5

2.3 Das Hohelied des Salomo

Im Hohelied Salomos preisen und beschwören sich zwei Liebende. Das Paar beschreibt seine Liebe in Dialogen, in welchen sie aber nie direkt auf die Fragen und Anrufe des anderen eingehen.

Auffällig ist, dass das Mädchen neben vielen anderen Namen unter ande- rem als Braut bezeichnet wird, der Mann wird aber nie Bräutigam genannt wird.

Die beiden sind Hirten und genießen ihr Leben in der lebhaft und wunderbar beschriebenen Natur.

Das Hohelied ist eine lyrische Dichtung, die keinen geschlossenen Aufbau besitzt, sondern locker wohl aber geordnet ist. Die einzelnen Teile sind durch Verse verknüpft, welche refrainartig sind. Das Hohelied gehört wohl zur bilderreichsten Lyrik seiner Zeit. Erotisches wird ohne jegliche Obszö- nität dargestellt, die fünf Sinne werden dabei immer angesprochen und in Metaphern herangezogen.

Das Grundaussage des Hohenliedes ist, dass die Liebe so stark wie der Tod. Dies kristallisiert sich nur an einer Stelle heraus, was einen etwas düsteren Anschein hat.

Schon Herder und Goethe wussten um die Einzigartigkeit dieses Gedichts und rühmten diese. Man geht davon aus, dass das Hohelied wohl etwa 300 v.Chr. in der Gegend um Jerusalem entstanden ist. Die Wissenschaft ist sich einig, dass diese Gedicht- und Liedsammlung mit ca.25-38 Stücken, von einem wohl hochbegabten Dichter geschrieben worden ist. Die Meinungen über Zahl und Identität der handelnden Perso- nen gehen aber auseinander.

Salomo wurde aus dem Grund als Verfasser angesehen, weil er mit seinen 700 Haupt- und Nebenfrauen in „Liebesangelegenheiten“ als besonders zuständig galt (es werden in der Antike oftmals anonyme Literaturwerke historischen Persönlichkeiten zugeschrieben).

Das Hohelied gehört zu den fünf Textrollen (Megilloth), die an den jüdi- schen Hauptfesten gelesen werden. Heute wird es hauptsächlich als Pas- sahliturgie geführt. Das Hohelied wird den Lehrbüchern zugeordnet und ist somit ein fester Bestandteil des Bibelkanon. Dies gilt sowohl für die Vulga- ta, als auch für die Lutherbibel. Das Hohelied wurde auch bei Hochzeiten zur Unterhaltung gesungen. Dies hatte zur Folge, dass es von einigen Würdenträgern der jüdischen Kirche sogar mit einem Fluch belegt worden ist.

Erst nach der Kanonisierung begann man, das Gedicht allegorisch auszu- deuten, was aber seinem zweifellos weltlichen Charakter widerspricht. Die Liebe zwischen einem Mädchen und ihrem Freund wurde als Gleich- nis für die Beziehung zwischen Jahwe und Israel gedeutet. Die wurde a- ber im 3. Jahrhundert modifiziert und für christliche Zwecke gebraucht, nämlich als geistige Vereinigung von Christus und der Kirche bzw. des Heiligen Geistes und der Seele eines jeden einzelnen Gläubigen. Im 13./14. Jahrhundert verfasste aber ein unbekannter alemannischer Dichter nach den einzelnen Versen des Hohenliedes „Minnelieder Salo- mos zu Ehren seiner Geliebten“. 1778 wurden diese dann von Herder ver- öffentlicht.

Doch offiziell blieb bis ins ausgehende 18. Jahrhundert die allegorische Ausdeutung maßgebend. Daran änderte auch die Reformation nichts. Jedoch nachdem es Herder 1778 auch in seinem Sammlung „Lieder der Liebe“ (weltliche Sammlung von Liebesgedichten) aufgenommen hatte, war zumindest im nichtkatholischen Bereich die allegorische Ausdeutung beendet.

In der katholischen Religionsforschung will man heute dem Hohelied keine höhere Bedeutung zuweisen. Man sieht es als Textbuch zu einer palästinischen Hochzeitsfeier (Paradetanz der Braut, Beschreibungslieder der Partner, Königswoche des Brautpaares, d.h. sie werden eine Woche lang als Königin und König gefeiert) vgl.6

3. Zur Allegorese und Exegese in „Die Hochzeit“

3.1 Begriffsklärung

3.1.1 Exegese

Der Bergriff der Exegese leitet sich aus dem griechischen Wort „exegesis“ ab und bedeutet im ursprünglichen Sinne soviel wie „Auseinanderlegung, Erklärung“7. Dies gilt besonders für Texte mit Gesetzes- oder Verkündi- gungscharakter mit juristischem oder biblischem Inhalt. Im späten Mittelalter wird das Verfahren auch auf nichtbiblische Texte an- gewendet.

Dabei ist das Verhältnis von historischen und in ihm verborgenem geistigen Sinn systematisiert.

Seit dem 5. Jahrhundert existieren Handbücher über die allegorische Aus- deutung von Bibelstellen. Diese Tradition hat Nachwirkungen bis in das Zeitalter des Barock, denn sie beeinflussen auch die Exegese nichttheolo- gischer Texte. Mit Luther und den Humanisten beginnt die eigentliche his- torisch-philologische Exegese. In der heutigen Literaturwissenschaft ist der Begriff Exegese durch den der Interpretation abgelöst worden. Darbietungsformen der Exegese sind im Mittelalter oft Lehrgespräche o- der Predigten.

3.1.2 Allegorese

Dieser Terminus steht für ein hermeneutisches Verfahren, welches hinter dem Wortsinn eines Textes eine nicht direkt erklärliche tiefere Bedeutung darlegt.

Die älteste bekannte Allegorese ist die von Homer. In der späteren Antike wurde das Verfahren von dem Juden Philon von Alexandrien genutzt und auf das Alte Testament angewendet. Hier vor allen Dingen auf die jüdi- sche Auslegung des „Hohen Liedes“ wo das Mädchen für das Volk Israel steht und ihr Freund für Jahwe. Augustin „nimmt diese hermeneut. Traditi- on auf und bezieht das Schema von doppelten Schriftsinn auf das Ver- hältnis von Sache(res)und Zeichen(signum)als dem Symbol der wahren Sache der den Wortlaut transzendierenden Wirklichkeit.“8 Die ursprünglich heilsgeschichtliche Ausdeutung wurde dann im Mittelalter zur „... Grundlage [...] relig.-philosoph. , dicher. u. a. profaner Werke.“9 Der „Physiologus“ als naturkundliches Werk wurde ebenfalls allegorisiert. Das Verfahren der Allegorese findet man häufig in mystischen Schriften.

3.2 Die Bedeutung von Exegese und Allegorese für die

Heils- und Bußdichtung im Allgemeinen und fürDie Hochzeitim Besonderen Die hier relevante Anwendung der Exegese in der Buß- und Heilsdichtung des 11. und 12. Jahrhunderts bezieht sich auf die Auslegung der Heiligen Schrift. Die Absicht der Exegeten, bestimmte Zeichen, Bräuche oder gar Lebensweisen zur Bibel in Beziehung zu setzen und dabei die Rezipienten zu gottgefälligem bzw. bibelgetreuem Leben zu animieren, kann zwar nur vermutet, anhand von Schriften, wie zum Beispiel „Die Hochzeit“, jedoch auch belegt werden. Der Autor der Dichtung nimmt nach einer Einleitung (vv. 1-144) und einer Erzählung (vv. 145-324) zwei Exegesen (A: vv. 325- 786 und B: vv. 787-1061) vor, in denen Einleitung und Erzählung unter- schiedlich betrachtet und mit verschiedenen Bibelbezügen unterlegt wer- den.

Der grundlegende Bezug für „Die Hochzeit“ stammt, wie oben erwähnt, vom Hohelied Salomons. Dies mag auf den ersten Blick merkwürdig er- scheinen, da im Hohelied der Weg zweier Liebenden besungen wird und eindeutig erotische Passagen zu finden sind und dies nicht als selbstver- ständlich für die geistliche Dichtung dieser Zeit anzunehmen ist. Freytag sagt hierzu jedoch: „Die Tatsache, dass das Hohelied Salomons, das

buchstäblich Liebeslyrik enthält, in den Kanon der heiligen Bücher aufge- nommen wird, erlaubt es, auf sein allegorisches Verständnis schon im frü- hen Judentum zu schließen.“10Der Autor der „Hochzeit“ hat es sich also zur Aufgabe gemacht, den verborgenen Sinngehalt des Liedes exegetisch per Allegorese auszudeuten. Um die Bedeutung der Allegorie für das Mit- telalter zu verdeutlichen hat Jauss11den Versuch unternommen, die Alle- gorie als literarische Gattung zu erfassen. Die von ihm aufgestellten Ge- sichtspunkte lassen sich auf die Bedeutung der Allegorie und damit auch der Allegorese für die Heils- und Bußdichtung und demnach ebenso für

„Die Hochzeit“ anwenden. Danach möchte ein „schriftkundiger Exeget“ einem Laienpublikum einen Text durch Allegorese auslegen. Dabei be- nutzt er „die Welt als Schauplatz der Heilsgeschichte, deren Ereignisse auf die gegenwärtige Zeit bezogen“ sind. Er zeigt „menschliches Handeln im heilsgeschichtlichen Rahmen von Fall und Erlösung“, wobei „der Mensch gegenüber Gott und den Mächten der Welt“ im Mittelpunkt steht und dabei der Frage nachgeht: „Was muss ich tun, um vor Gottes Gericht zu bestehen?“ Es werden „Normen christlicher Lebensführungen“ aufge- zeigt, um damit eine „Befestigung des orthodoxen Glaubens“ zu erreichen. Wie dies konkret in „Die Hochzeit“ realisiert wurde, soll an ausgewählten Beispielen in den folgenden Abschnitten verdeutlicht werden.

3.3 Die Bedeutung von Einleitung und Erzählung

Um ein Verständnis für die beiden Exegesen zu bekommen, muss vorab sowohl die Einleitung, als auch die Erzählung betrachtet werden, da der Autor auf in diesen Teilen getätigte Aussagen immer wieder zurückgreift. Weiterhin ist es unumgänglich bestimmte Einzelausdrücke zu untersu- chen, da auch durch den Gebrauch gezielt gewählter Worte in einem be- stimmten Kontext beim Rezipienten die belehrende Wirkung erzielt wer- den soll und der Autor demsensus spiritualis, dem höheren geistigen Sinn12gerecht wird.

Bemerkenswert ist, dass zu Beginn des Werkes eindeutig auf seine allegorische Bedeutung hingewiesen wird, es handelt „umbe manich schone zeichen, / da michil sin an stat.“ (vv. 4/5)

Der Verfasser verlangt von seinem Publikum erhöhte Aufmerksamkeit und umschreibt gleichzeitig seine eigene Vorgehensweise, denn: „Swer diu zeichene wil began, / der sol guoten list haben,/ also der smit vil guot/ die wiere in daz golt tuot./ Daz insigile er furleit,/ als erz gelernt hat,/ deiz vil herlichen stat/ unde niht zergat.“ (vv. 7-15)

Weiterhin gibt er kurz danach ein Beispiel dieser Arbeitsweise, indem er die Bilder der Verse 15-39 gleich darauf in den Versen 43-64 exegetisch ausdeutet und zugleich auch mit der Aussage „da mugent ir lernen liste,/ swelhi·rÒ so welle,/ von einem heren spelle“ (vv. 40-42) seine Absicht, den Rezipienten zu belehren darlegt. Im weiteren Verlauf der Einleitung wird, recht allgemein, die Bedeutung der Verbindung Gott - Mensch bzw. die Folgen der Missachtung der Worte Gottes oder des Rechts dargelegt.

Interessant ist die Verwendung des Ausdrucks „unz er den tot gewinnet“ in Vers 114. Ihm geht der Vergleich eines unrechten Mannes mit einem toll- wütigen Hund voraus, der an seiner Tollwut stirbt. Die positive Konnotation von „gewinnen“13wird hier auch in Verbindung mit dem Tod beibehalten, da es im Verständnis des Autors für einen solchen Menschen, einen „reh- ten hellezagen“ (v. 123), von Vorteil erscheint, nicht mehr zu leben.

Die Erzählung beginnt mit einer Allegorie zum Fall Luzifers. Etwas verwir- rend erscheint das Auftreten von zwei Herren, von denen einer ein „vil hoch gebirge“ (v.148) sein eigen nennt und der andere sich dorthin begibt. Wendet man nun aber die Allegorese im historischen Sinne an, was im Übrigen für die gesamte Erzählung gilt, und deutet sowohl „wirt“ (v.151) als auch „herre“ (v.157) als Gott, so kommt man zu dem Schluss, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt. Im ersten Fall Gott als Schöpfer und Gebieter über das Himmelreich und im zweiten Fall als Gott der Herr mit seinem himmlischen Gefolge, der sich dieses Reich erst erschließt. Der weitere Verlauf der Erzählung beschreibt die Verlobung und Vermäh- lung des Herrn mit einer von ihm gewählten Braut. Dabei verwendet der Autor Bibelstellen, in denen die jeweiligen Vorgänge beschrieben und von ihm .ausgeschmückt werden. Als Beispiel seien hier die Verse 280-284 genannt, die das Schmücken der Braut zum Inhalt haben. Dafür können Jesaja 61,10 bzw. Offenbarung 21,2 (a, c)14als Ausgangspunkt ange- nommen werden.

3.4 Die Verknüpfung verschiedener verwendeter Motive im Bezug zur Bibel

3.4.1 Himmelsrichtungen

Die Erwähnung der Himmelsrichtungen in den Versen 407-436 lässt eine Fülle von Deutungen zu, da der Autor sie mit Personen, Tätigkeiten, Ta- ges- und Jahreszeiten in Bezug setzt. Diese wiederum sind bei näherer Betrachtung in ihrer Bedeutung so weitverzweigt miteinander verwoben, dass ich hier nur auf vordergründig sichtbare Beziehungen eingehen möchte.

3.4.1.1 Personen

Als Personen begegnen dem Leser vier verschiedene Gruppen - „osten schulen diuwestirbarn(v.409) und „anderiu diu chint(v.411),diu des morgens choment(v.413), „westent choment die unde<r none>(v.421) und schließlich „gahe<nt sume norden>(v.431). Die Zuordnung der Gruppen zu verschiedenen Himmelsrichtungen und Tageszeiten zeigt die Komplexität der Verknüpfungen auf. Die Tatsache, dass nicht jeder Grup- pe eine Richtung und eine Zeit zugeordnet sind, erklärt sich aus der An- nahme, dass „der Komplementärbegriff durchaus implizit mitgemeint“15ist. Die Verbindung der Tageszeiten mit speziellen Personengruppen lässt auf die Lebensalter des Menschen schließen, wobei einerseits die Gruppen selbst für ein Alter stehen (westirbarnundchintfür frühs/ Kinder), andere erst durch die Tageszeit benannt werden (morgens/ Jugend undnone/ Erwachsene). Das Alter als vierte Gruppe muss weder durch eine Tages- zeit noch durch die explizite Benennung beschrieben werden, da es bei dieser chronologischen Betrachtung als Letztes kommen muss.

Es ergeben sich also folgende Zuordnungen: Osten - Kind - Früh; Süden - Jugend - Vormittag; Westen - Erwachsene - Mittag; Norden - Alter- Abend. In dieser Darstellung sind auch jeweils die natürlichen Gegeben- heiten gewahrt - die Reihenfolge der Himmelsrichtungen in Verbindung mit dem Lauf der Sonne, der wiederum als Allegorie für die Menschenalter gebraucht wird.

Andererseits sind die Personengruppen mit den dazugehörigen Tageszei- ten und Himmelsrichtungen Allegorien für verschiedenen Zeitebenen. Die westirbarnundchintkönnen dabei als solche auch direkt angenommen werden, bzw. als die, die im Jetzt leben. Setzt man die Verse 413-420 und 421-426 in unmittelbare Beziehung, ergibt sich eine interessante Konstel- lation. Wenn für den erstgenannten Versblock eine präteritale Bedeutung angenommen wird, so entsteht das Bild derliute, die vorher da waren, al- so der Väter oder Propheten des Alten Testaments. Dies würde sich mit den Versen 423-424 decken, in denen dann die Personen des Neuen Tes- taments beschrieben werden, die den vorigen helfen, also deren Arbeit im gewissen Sinne fortsetzen. Durch die Erwähnung landwirtschaftlicher Tä- tigkeiten lässt sich außerdem ein direkter Bezug zum Gleichnis des Sä- mannes im Matthäus-Evangelium (Matthäus 13,3ff (b)) herstellen. Die vier- te Gruppe schließlich sind diejenigen, die noch folgen werden. Bei dieser Darstellung wird die chronologische Verbindung der Himmelsrichtung mit den Tageszeiten und Personengruppen bzw. Menschenaltern vermeintlich gelöst. Dieser ergibt sich jedoch, wenn man die Bedeutung der Jahreszei- ten in die Betrachtung einfließen lässt.

3.4.1.2. Jahreszeiten

Dass die Jahreszeiten in die Exegese des Autors einfließen, lässt sich nur anhand weniger Worte aus den oben erwähnten Versen festmachen. Au- ßerdem scheinen die Begriffe eher dem landwirtschaftlichen Bereich ent- nommen zu sein -arnot, wetir, riuten, wingarten. Diese Tatsache lässt jedoch den Schluss zu, dass der Zusammenhang und die allegorische Bedeutung des Bildes der Feldarbeit mit den Jahreszeiten den Rezipien- ten allgemein bekannt war.

Wie Maurmann-Bronder16in ihrer Arbeit feststellt, wird die Verbindung der Himmelsrichtungen mit den Jahreszeiten sehr vielfältig und unterschied- lich genutzt. Die jeweilige Bedeutung lässt sich oft nur aus dem Kontext erschließen. Ich möchte zum besseren Verständnis noch einmal auf die oben angeführte Feststellung hinweisen, dass bei der Nennung eines Ter- minus oftmals die Gegensätze des Komplementärbegriffs mitgemeint sind und nicht genannt werden. Weiterhin hat Maurmann-Bronder festgestellt, dass in älteren, besonders hebräischen Schriften der Frühling und der Herbst keine Beachtung finden17bzw. sind deren Eigenschaften Sommer und Winter mit zugeordnet.

Durch die Verwendung bzw. der Andeutung von Jahreszeiten, Himmels- richtungen und Tageszeiten gelingt es dem Autor der „Hochzeit“, diese Textstelle in mehrere Richtungen ausdeutbar zu gestalten. So schafft es der Autor, ohne die Jahreszeiten zu nennen und durch das Benutzen des Sämanngleichnisses (Matthäus 13,3ff (b)) und dessen Deutung (Matthäus 13,18 (b)), einen Bezug zu den Himmelsrichtungen herzustellen. Durch die Himmelsrichtungen werden die verschiedenen Wege aufgezeigt, durch welche man zu Gott finden kann. Einschränkend muss hierbei angenom- men werden, das der Autor anders als im Gleichnis zulässt, dass jeder der genannten vor Gott bestehen kann. Es ergeben sich folgende Konstellati- onen: Osten/ Westen - Frühling/ Sommer - Samen auf dem Fels und Weg, der schnell erblüht, die „Neulinge“; Norden/ Süden - Herbst/ Winter - Samen auf gutem Boden und unter Dornen, die „Reifen“ und Vollkommenen im Glauben.

Die Jahreszeiten können andererseits auch als Glaubensprobe ausgelegt werden. Hierbei gilt der Winter als das irdische Sein, die winterliche Kälte als Erstarrung des Menschen in seinem Glauben oder das Erkalten seines Glaubens. Die Priester und Propheten (des alten Bundes) gelten nun als Vorboten einer besseren, wärmeren Zeit, als Frühlingsboten. Der Frühling wird mit dem Erblühen des Lebens, insbesondere des geistig-geistlichen gleichgesetzt. Jesus bringt den Menschen den Glauben. Der Sommer er- weist sich als Glaubensprobe, als Vorstufe des Jüngsten Gerichts. Hier findet wieder das Gleichnis vom Sämann Anwendung. Die Gräser mit ih- ren kurzen Wurzel, ergo die Menschen, die schwach im Glauben sind, werden verdorren. Die Bäume aber haben tiefe Wurzeln, diese Menschen haben Kraft und Glauben „gespeichert“. Der Sommer erprobt also Schein und Sein. Danach kommt es unausweichlich zum Herbst und damit zu Gottes Ernte. Führt man das Bild der Gräser und Bäume weiter, so erntet Gott die Früchte der Bäume, das verdorrte Gras aber wird gebunden und den Tieren zum Fraß vorgeworfen oder als Brennmaterial benutzt. Diese düstere Auslegung entspricht auch den Darstellungen des Jüngsten Ge- richts in „Die Hochzeit“: „Daz gewurme ungehiure, / daz cholete si mit fiu- re; / von den eren si chomen, / diu fiurinen bant si namen .“ (vv.176-179) und „Do daz teidinch ergat, / dehein gebet ferre stat. / den got da verteilet / unde in der viant geseilet,“.

Die Fülle von Auslegungen, die der Autor mit dieser vergleichsweise kurzen Textstelle der Beschreibung der Himmelsrichtungen zulässt bzw. selbst vornimmt, lässt die Möglichkeiten erahnen, die sich durch das Anwenden der Allegorese eröffnen.

3.4.2 Das Bild des Reichen

Da der Autor durch sein Werk alle sozialen Schichten ansprechen will, gibt er mehrfach direkte, schon praktisch zu nennende Anleitungen, wie auch ein reicher Mann gottgefällig leben kann. Am deutlichsten geschieht dies in den Versen 482-509, wobei er gleich darauf Gott selbst als Beispiel gibt: „Wande hie teilte ein housherre / sinen richtuom vil verre / undir sine chnechte, / die dienent im mit rehte.“(vv. 520-524). Aber auch hier werden alle Rezipienten angesprochen, denn die Verse 482-509 enthalten sowohl Bezüge zu den zehn Geboten (2. Mose 20:1-17 (d)) als auch den Taten Jesu, die sich alle Christen zum Vorbild machen sollten. Die Modifizierung der Gebote, die der Autor in den Versen 496-507 vornimmt, lässt die Ver- mutung zu, dass es sich bei ihm eventuell um einen Vertreter der Kirche handelte. Als Beispiele seien hier folgende Textstellen angeführt: „sinen zehenten willichlichen geben“ (v. 500); „er selbe christenlichen leben“ (v.501); „diu gotes hous sol er zieren“ (v. 505) und „den ewarten eren, / der uns diu gotes wort sol leren.“ (vv. 506f). Der Besitzstand und Status der Kirche soll gewahrt werden.

Die Beschreibung der „<fun>f phunt“ (v.524ff), aus denen der Schatz Got- tes besteht, enthält gleichzeitig wieder eine direkte Lebensanleitung, wie der gläubige Christ alle fünf Sinne Gott zuwenden solle. Der Autor deutet dies auch sogleich aus, indem er deutlich macht, welche Bestimmung je- der einzelne Sinn hat.

Der Reiche wird in dieser Textpassage stellvertretend für alle Menschen genommen, wobei von ihm eher materielle Werte erwartet werden(s.o.). Demgegenüber wird verlangt, dass „<swer> des guotes nine hat, / der helfe mit sine<m rate> / unde sinem muote / unde wurche im <drate< / <mit> handen guote / unde habe ze got vil guoten <willen> / unde ile den mit werchen erfullen.“ (vv. 163-169).

3.4.3 „Die Hochzeit“

Die allegorische Bedeutung des Hochzeitsmotivs lässt sich mehrfach bestimmen. Während in Einleitung und Erzählung die Vorgänge einer Hochzeit vordergründig eher als Rituale beschrieben werden und einen Einblick in die zeitgenössischen Bräuche geben, erfährt das Motiv durch die zwei Exegesen weitere allegorische Ausdeutungen. In der Exegese A wird die Hochzeit auf die Heimholung der Seele durch Christus bezogen (vv. 325-776). Hierbei werden sowohl die beteiligten Personen, als auch die Gegenstände mit allegorischen Bedeutungen be- dacht, deren Zusammenhänge der Autor erläutert. Dieser Abschnitt ist jedoch verhältnismäßig kurz, was darauf schließen lässt, dass auch dieser allegorische Sinngehalt den Rezipienten hinlänglich bekannt war. Viel wichtiger erscheint das Verhalten und Leben der Menschen bzw. die Art und Weise, wie sie der Bedeutung dieser Verbindung gerecht werden können. Es werden also, wie oben schon festgestellt, Anleitungen für ein gottgefälliges Leben ausgesprochen, die sich aber auf alle Bereiche geist- lichen Lebens beziehen. Als Beispiele seien hier die Verse 407-434 (Ge- langen zu Gott), 490-509 (der Reiche), 518-561 (fünf Sinne Gott zuwen- den), 562-569 (der Arme) und 618-708 (Beichte). Interessant ist, dass das Motiv der Frauen mit den Öllampen (Matthäus 25,1-12 (b)) gleich zweifach auftaucht, und zwar in Vers 435f nach der Beschreibung der Himmelstore und in den Versen 714-716 nach der Bedeutungsklärung der Beichtarten. Die Textstellen sind zwar schon durch die Verse „Swer die bihte hat getan, / der mach vrolichen gan, / da diu werlt elliu sol vor got stan.“ (704-706) miteinander verbunden. Doch durch das Wiederaufgreifen des Motivs wird die Dringlichkeit verstärkt, schnellstmöglich den Weg zu Gott zu finden. Die Exegese B beinhaltet eine neue heilsgeschichtliche Interpretation. Im Mittelpunkt steht Maria, der Lebens- und Leidensweg, sowie die Erlösung der Christen durch den in Jesus menschgewordenen Gott. Die Hochzeit gilt jedoch auch hier als die Vermählung des Herrn mit seinem auserwähl- ten Volk. Es wird aber im historischen Sinne das Handeln Gottes be- schrieben und gedeutet. Dafür benutzt der Autor Stellen aus dem Alten und dem Neuen Testament. In den Versen 807-818 gibt er gewisserma- ßen eine Vorschau auf die gesamte Exegese B. Der Grund und die Aus- führung der Erlösung wird gleich dreifach ausgedeutet. In Anlehnung an die Gleichnisse, in denen Jesus sprach, wendet er die Allegorie des Peli- kans, der sich selbst verletzt, um dem von ihm selbst getöteten jungen neues Leben einzuhauchen (vv 819-840). Die folgenden Verse (841-878) stellen eine direkte Ausdeutung des Gleichnisses dar, um dann nochmals die Handlungsweise Gottes zu beschreiben. Diese intensive Beschäfti- gung mit diesem Thema ist als Erklärung oder Begründung die Aussagen zu Beginn der Exegese B zu werten, in denen es heißt,“... daz der gotes man / niht gemaiton sol stan. / der sole ie singen, / daz lop ze got bringen.“ Um den Sinn der Dankbarkeit des Menschen zu Gott nach der dreifachen Auslegung noch einmal zu unterstreichen, übernimmt der Autor eine kom- plette Bibelpassage aus Johannes 13 (c) (vv. 913-939), in der Jesus sei- nen Jüngern die Füße wäscht. Diese direkte Übernahme setzt sich kurz darauf in der Beschreibung des Abendmahles (Matthäus 26 (b)) fort (vv958-960). Der Autor unterlässt hier eine nochmalige Deutung, wohl auch, um die Wichtigkeit dieser Passagen zu unterstreichen.

4. Schlussbemerkung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Fülle der allegorischen Bedeutungen in „Die Hochzeit“ heute nur noch vermutet werden kann. Klar herauszuarbeiten ist allerdings die Grundaussage, dass das Ge- samtwerk die Verbindung des Christenvolkes mit Gott zum Inhalt hat. Auf sehr eindringliche Weise werden dem Leser die Folgen des eigenen Han- delns vor Augen geführt und gleichzeitig Hinweise für ein rechtes Leben gegeben. Das Instrument der Allegorie erweist sich als probates Mittel, um den Rezipienten die Zusammenhänge des täglichen Lebens mit den Schriften der Bibel zu erläutern, da sich das Hochzeitsmotiv in seiner geistlichen Bedeutung auch an verschiedenen Stellen der Bibel wiederfin- det. Durch die beiden Exegesen, die zwar das gleiche Thema zum Inhalt, in ihrer Ausführung jedoch verschiedene Schwerpunkte haben, war es möglich, in einem Werk gleichzeitig die heilsgeschichtliche wie auch die alltägliche Bedeutung des Motivs deutlich zu machen.

Literaturverzeichnis

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Metzler-Literatur-Lexikon: Begriffe und Definitionen/ hrsg. von Günther und Irmgard Schweikle-2., überarbeitete Auflage, Stuttgart 1990.

Schade, Peter/ Hans Joachim Starke: Geschichte der Gegenwart. Lehrund Arbeitsbuch für Geschichte und Gemeinschaftskunde/ Sozialkunde in der gymnasialen Oberstufe. Bad Homburg: Verlag Gehlen. 1998.

Watch Tower Bible and tract society of Pennsylvania: Neue-Welt- Übersetzung der Heiligen Schrift. Übersetzt nach der revidierten englischen Ausgabe 1984 unter getreuer Berücksichtigung der hebräischen, aramäischen und griechischen Ursprache, revidiert 1986, verantwortlicher Hrsg. für die Bundesrepublik Deutschland: Wachturm Bibel- und TraktatGesellschaft Deutscher Zweig e.V.. Selters/ Taunus 1989.

[...]


1Schade, Peter/ Hans Joachim Starke: Geschichte der Gegenwart. Lehr- und Arbeits-

buch für Geschichte und Gemeinschaftskunde/ Sozialkunde in der gymnasialen Oberstufe. Bad Homburg: Verlag Gehlen S.55 ff

2Jackson, Thimoty R./ Nigel F. Palmer/ Almut Suerbaum: Die Vermittlung geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter. Internationales Symposium Roscrea 1994.Tübingen: Max Niemeyer Verlag.1996, S. 95

3ebd., S. 96

4ebd., S. 96

5Kindlers neues Literaturlexikon. Hrsg: Walter Jens (1988). Band 18, 759f

6Kindlers neues Literaturlexikon. Hrsg: Walter Jens (1988). Band 18, S.256ff.

7Metzler-Literatur-Lexikon: Begriffe und Definitionen/ hrsg. von Günther und Irmgard Schweikle-2., überarbeitete Auflage, Stuttgart, Metzler, 1990, S. 141

8ebd. S. 9

9ebd. S. 9

10s. Freytag, Hartmut, S.29

11Jauss, Hans Robert: Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956-1976, München 1977, Annex S. 46f

12vgl. Ohly, Friedrich: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, in: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S.3

13 Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. In der Ausgabe letzter Hand, 2. Nachdruck der 3. Auflage. Leipzig 1885, S. 79

14Die verwendeten Bibelangaben werden von jetzt an nur noch mit der entsprechenden Kurzangabe und einem Kleinbuchstabe (a, b, c) belegt. Die Auswahl der verschiedenen Bibelübersetzungen ist dem Interesse geschuldet, die Ausdeutungen verschiedener Strömungen in die Arbeit einfließen zu lassen. Den Buchstaben sind folgende Ausgaben zugeordnet:

a) Deutsche Bibelgesellschaft: Die Bibel. Die Gute Nachricht des Alten und Neuen Testaments mit den Spätschriften des Alten Testaments (Deuterokanonische Schrif- ten/Apokryphen), zweite, durchgesehene Auflage, Stuttgart 1990

b) Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft zu Berlin und Altenburg: Das Neue Testament nach der Übersetzung Martin Luthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984, hrsg. vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und von der Evangelischen Kirche in Deutschland, Berlin Altenburg 1985

c) Watch Tower Bible and tract society of Pennsylvania: Neue-Welt-Übersetzung der

Heiligen Schrift. Übersetzt nach der revidierten englischen Ausgabe 1984 unter getreuer Berücksichtigung der hebräischen, aramäischen und griechischen Ursprache, revidiert 1986, verantwortlicher Hrsg. für die Bundesrepublik Deutschland: Wachturm Bibel- und Traktat- Gesellschaft Deutscher Zweig e.V.. Selters/Taunus 1989

d) Privileg. Württembergische Bibelanstalt: Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des Alten u. Neuen Testaments nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers. Neu durchgesehen nach dem vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß genehmigten Text, Taschenausgabe, Privileg. Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart, o.J.

15Maurmann-Bronder, Barbara:Tempora significant. Zur Allegorese der vier Jahreszei- ten, in: Verbum et Signum. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung. Erster Band, hrsg. von Fromm, Hans / Harms, Wolfgang / Ruberg, Uwe, München 1975, S.75 wendet diese Aussage zwar auf die Jahreszeitenallegorese an, erweitert sie aber in der Fußnote, weshalb sie meiner Meinung nach im obigen Zusammenhang genauso berech- tigt ist.

16s. Fu. 9 S.69-101

17s. Fu.9

Fin de l'extrait de 28 pages

Résumé des informations

Titre
Die Hochzeit - zu Gesichtspunkten der allegorischen Dichtung im historischen Kontext
Université
Technical University of Chemnitz
Cours
Seminar: Geistliche Dichtung des 11. und 12. Jahrhunderts
Auteurs
Année
2000
Pages
28
N° de catalogue
V100667
ISBN (ebook)
9783638990929
Taille d'un fichier
415 KB
Langue
allemand
Mots clés
Hochzeit, Gesichtspunkten, Dichtung, Kontext, Seminar, Geistliche, Dichtung, Jahrhunderts
Citation du texte
Freia Hofmann (Auteur)Daniel Kaden (Auteur)Janine Rind (Auteur), 2000, Die Hochzeit - zu Gesichtspunkten der allegorischen Dichtung im historischen Kontext, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100667

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