Das Motiv des Doppelgängers im Film "Der Student von Prag". Ein Vergleich zur Motivik in E. T. A. Hoffmanns "Der Sandmann"


Term Paper (Advanced seminar), 2019

26 Pages, Grade: 1,7


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Gliederung

1. Einleitung

2. Die Schauerliteratur als Vorgänger des Horrorgenres Das Doppelgänger-Motiv in E.T.A. Hofmanns Der Sandmann

3. Der Student von Prag - Das Spiegelbild als intermediales Doppelgänger-Motiv der Romantik

4. Projektion des narzisstischen Selbst - Die Figur der Lyduschka als metaphorischer Doppelgänger

5. Schlussbetrachtung

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

At last we have been permitted to see the wild hope of the realists accomplished. We may look upon life moving without purpose, without beauty... The dominant lesson of Mr Lumière’s invention is this: the one real thing in life, art and literature, is unreality. (O. Winter. The Cinematograph 1896, 296.)

Die Romantik gilt als eine Epoche der Kunstgeschichte, deren Merkmale und Motive sich in den Kunstformen der Literatur, der Musik und der Kunst wiederfinden und die zudem auch Disziplinen wie die Philosophie und die Psychologie großteilig beeinflusste. Zeitlich lässt sie sich ungefähr in den Zeitraum des späten 18. Jahrhunderts bis hin zum Ende des 19. Jahrhunderts einordnen. In der Literatur wird ihre Dauer auf die Jahre zwischen 1795 und 1835 eingegrenzt und sie folgt damit den Epochen der Klassik, Sturm und Drang und der Aufklärung (vgl. Schweizer 2012, 63). Die Merkmale der Romantik als Literaturepoche kennzeichnen sich überwiegend an den Motiven des Unterbewussten, Fantastischen, Leidenschaftlichen und Abenteuerlichen, die die Grenzen des Bewussten und Bekannten erweitern sollten und sich damit gegen das Nützlichkeitsdenken der Industrialisierung richtete (vgl. Schweizer 2012, ebd.). Bedingt durch das Fortschreiten der Technik, Industrie und Wissenschaft wurden viele Mythen, Aberglauben und Bauernweisheiten aufgehoben und naturwissenschaftlich begründet. Zudem zeigten sich die Auswirkungen der Französischen Revolution 1789, die europaweit für gesellschaftliche und politische Umbrüche sorgte. Die Gesellschaftsform wechselte vom Feudalismus zu einem mehr und mehr selbstbestimmten Bürgertum. Dieser gesellschaftliche Wechsel verstärkte sich noch einmal durch die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 und wiederum durch die Kriege Napoleons von 1812 bis 1815. Die starken Umstrukturierungen veränderten auch die Werte und Normen der Bevölkerung und sorgte damit zu einem Umdenken in den Kunstformen. Die Romantik ist damit durchaus als eine Art Gegenbewegung zum fortschreitenden Industrialismus und Kapitalismus anzusehen (vgl. Schweizer 2012, 64).

Allen deutschen Romantikern ist die Hinwendung zur Geschichte gemeinsam und diese Bewegung ist zugleich konstitutiv für den romantischen Freiheitsbegriff. Generell kann man für die Epoche der Romantik festhalten, dass der sich in der Romantik exemplifizierende Prozess mit seinen Bewegungsgesetzen eher in geschichtsphilosophischen denn sozialgeschichtlich-analytischen Theoriemodellen erfasst werden könnte. (Schweizer 2012, 15-16).

So wurden in romantischen Literaturwerken oft das vernünftige Spießbürgertum verhöhnt und emotionale Träumer befürwortet. Mythen und Märchen, besonders aus der germanischen Kultur wurden von den Brüdern Grimm ab 1812 schriftlich an das Volk getragen, Volkslieder wurden mit der Naturpoesie neu aufgegriffen und in Deutschland kam ein gemeinsames nationales und kulturelles Bewusstsein stärker zum Vorschein. Romantiker wie E.T.A.

Hoffmann, Joseph von Eichendorff, Bettina von Arnim und Clemens Brentano brachten mit ihrer Lyrik, Poesie und Dramatik das Traumhafte und Fantasievolle in ihren Texten unter und die sogenannte Schwarze Romantik bewegte sich mit ihren Schwellenmotiven am Rande des Albtraumhaften. Diese Unterkategorie der Romantik war geprägt von unheimlichen Begebenheiten und der Faszination am Bösen und gilt als Vorläufer der heutigen Horrorliteratur. Die Grenzen zwischen realer Wahrnehmung und dem Unterbewusstsein wurden in einem Großteil der Werke E.T.A. Hoffmanns infrage gestellt und nicht selten setzte er sich mit den Themen der ungeheuren Sehnsucht und verdrängten Leidenschaft eines Menschen auseinander. In den dreizehn Jahren seines literarischen Schaffens setzte er sich vermehrt mit dem psychologischen Wissen seiner Zeit auseinander und nutze ihre Kenntnisse (vgl. Schweizer 2012, 57). Dabei inspirierten ihn auch die Schriften von Freud, der die Psychoanalyse maßgeblich beeinflusste und der zudem selbst Hofmanns Der Sandmann analysierte.

Auch in den Jahren des frühen Films zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden sich Motive der Romantik und der Schauerliteratur in dem neuentdeckten Medium. Ein Beispiel hierfür bietet der Film Der Student von Prag von Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye und Paul Wegener aus dem Jahr 1913. Besonders aufgegriffen wird hier das Motiv des Doppelgängers, das vor allem in der Schauerliteratur als Symbolik für Urängste verwendet wurde, wie beispielsweise für den Verlust der eigenen Identität. Der Doppelgänger kann direkt und optisch wahrnehmbar als Spiegelbild, Zwilling, Roboter oder auch als Klon auftreten oder aber als Motiv angewendet werden und in Form einer weiteren Figur verkörpert sein. Generell wird der Doppelgänger laut Herget als Umkehrung oder Erweiterung des Protagonisten genutzt (vgl. Herget 2009, S. 74-76). Häufig vereint der Doppelgänger die schlechten Eigenschaften des Protagonisten und weist damit auf die Dichotomie von Gut und Böse hin, die auch in den Charaktereigenschaften des Protagonisten auffindbar sind (vgl. ebd. S. 87). In manchen Fällen symbolisiert der Doppelgänger auch die innersten Begehren und Bedürfnisse des Protagonisten, die in dessen Unterbewusstsein verborgen sind und aus gesellschaftlichem Zwang oder eigener Scham verdrängt werden. In wissenschaftlichen Arbeiten tritt das Doppelgänger-Motiv zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorläufig in der Psychologie in den Fokus (vgl. Reber 1964, 19) und wird literaturwissenschaftlich 1904 von Emil Lucka in Verdopplungen des Ich und 1914 von Otto Rank in Der Doppelgänger aufgegriffen. Insbesondere Wilhelmine Krauss beschäftigte sich in ihrer Arbeit Das Doppelgängermotiv in der Romantik von 1930 epochenspezifisch mit dem Doppelgänger-Motiv.

Aufgrund der Verwendung des Doppelgängers in Der Student von Prag widmet sich diese Hausarbeit der These, dass es sich bei dem Film um eine mediale Übertragung der Motivik aus der romantischen Literatur handelt und damit um eine Anpassung der romantischen Thematik an die neue Technik des Films. Anhand einer Figurenanalyse von Der Sandmann von E.T.A. Hofmann werden die Merkmale der romantischen Literatur mit dem Fokus auf die Verwendung des Doppelgänger-Motivs dargelegt. Hierzu wird auf Sigmund Freuds Das Unheimliche und Mladen Dolars "I Shall Be with You on Your Wedding-Night": Lacan and the Uncanny zurückgegriffen. Anschließend soll anhand einer szenischen Filmanalyse von Der Student von Prag festgestellt werden, inwieweit eine Übereinstimmung der Motivsymbolik zutreffend ist und ob es sich damit um eine mediale Intertextualität handelt. Hierzu wird unter anderem auf die Analyse des Doppelgänger-Motivs im Film von Sven Herget zurückgegriffen und die Filmanalyse nach Oliver Keutzer, Sebastian Lauritz, Claudia Mehlinger und Peter Moormann angewandt. Demnach werden einzelne Szenen des Films im Hinblick auf ihre Visualität und ihre Montage analysiert und in den Kontext der Narrativen Analyse der Plotentwicklung gesetzt. Ein anschließender Vergleich der Analyseergebnisse soll darlegen, ob es intermediale Übereinstimmungen zwischen Der Student von Prag und den romantischen Motiven in Der Sandmann gibt.

2. Die Schauerliteratur als Vorgänger des Horrorgenres - Das Doppelgänger-Motiv in E.T.A. Hofmanns Der Sandmann

Der Begriff des Doppelgängers bezeichnet nach Frenzel zwei Personen, die durch Zufall oder durch Blutsverwandtschaft eine austauschbare physische Ähnlichkeit aufweisen (vgl. Frenzel 1988, 94). Obwohl diese Definition dem allgemeingültigen heutigen Verständnis des im Duden vermerkten „eine Person, die jemandem zum Verwechseln ähnlich sieht“ sehr nahekommt, ist sie im Hinblick auf das Verständnis der literarischen Romantik unzureichend. Als literarisches Motiv variiert der Doppelgänger vom rational erklärbaren Zwilling bis hin zum spukhaften Gespenst oder Spiegelbild das „von magischen Kräften „erzeugt wird und auf das Schicksal der Menschen Einfluss zu nehmen versucht“ (ebd. 94). Im zweiten Fall ist es der Aspekt der Projektion der Bewusstseinsspaltung eines Individuums, insbesondere des Protagonisten bedeutend. Zumeist handelt es sich dann um ein Produkt eines gespalteten Ichs aufgrund einer gesellschaftlich instabilen Situation sowie einer persönlichen inneren oder seelischen Gespaltenheit (vgl. Herget 2009, 78-79). Der Doppelgänger steht damit für die Wünsche, Ängste und Fantasien des Protagonisten. Wichtig ist hierbei die Auseinandersetzung des Protagonisten mit der Erscheinung des Doppelgängers weshalb insbesondere das Aufeinandertreffen des Ichs mit dessen Doppelgänger relevant ist.

War der Doppelgänger für Jean Paul deshalb schrecklich, weil er das endliche Abbild des eigenen, unendlich sein wollenden Ichs verkörperte, so wird bei Hoffmann der Doppelgänger zum Symbol des Schwebens des Menschen zwischen der Wirklichkeit und der Sehnsucht nach dem Irrationalen. (Krauss 1967, 90).

In E.T.A. Hofmanns Der Sandmann tritt das Doppelgänger-Motiv in metaphorischer Form auf und findet sich in der Gegenüberstellung der Figurenkonstellation des Nathanael und der Olimpia sowie in den Figuren des Coppola und dem Vater Nathanaels (vgl. Dolar 1991, 8). Laut Dolar ist die Begegnung von Nathanael und Olimpia mit dem Spiegelstadium nach Jacques Lacan zu vergleichen. Nathanael verfällt dem Anblick der puppenhaften Olimpia und ihren mechanisch-rhythmischen Antworten. Tatsächlich erscheint die Figur der Olimpia charakterlos und unmenschlich durch die Beschreibung als leblos, seelenlos und hölzern. Schon in der Tanzszene wird durch die Warnung Siegmunds deutlich, dass Olimpia ein künstlich erschaffener Automat ist (vgl. Hofmann 2015, 34). Obwohl die Vermutung erst im späteren Verlauf zunehmend bestätigt wird, machen die Reaktionen und Äußerungen anderer Figuren die unheimlichen und befremdlichen Eigenschaften der Olimpia deutlich. Einzig Nathanael sieht in ihr eine Person und behandelt sie menschlich. Dolar vermutet daher, dass Nathanael in Olimpia einen Teil von sich selbst sieht und diesen auf sie projiziert.

It takes so little to set up that blank screen from which he only receives his own message. The question arises as to who is the real automaton in the situation, for the appearance of the automaton calls for an automatic response, it entails an automatic subjectivation. (Dolar 1991, 9).

Demnach handelt es sich bei der automatischen Olimpia um eine Art Spiegel von Nathanael und damit eine Art Doppelgänger. In ihr sieht er seine bessere Hälfte, die ihn ergänzen könnte, sich aber als materialisierter Todestrieb herausstellt (vgl. ebd. 10). Auch Olimpias Augen spielen in der Erzählung eine wichtige Rolle. Sie werden anfangs von Nathanael als „seltsam starr und tot“ beschrieben und wirken erst durch seine längere Betrachtung und das Mondlicht lebendiger (ebd. 28). In der Tanzszene wirkt schon nur noch ihre Berührung „eiskalt“ und „durchbebt von grausigem Todesfrost“ wohingegen ihre Augen ihn „voll Liebe und Sehnsucht“ entgegenblicken (ebd. 31). Weiter scheint es, dass Olimpia einzig durch Nathanael zum Leben erweckt wird, ein weiteres Indiz für Dolars Vermutung. Zudem verbindet Olimpia die Vaterfiguren in Der Sandmann miteinander, da sie einen kausalen Zusammenhang des Augen-Motivs herstellt. Nathanael wurde in seiner Kindheit bei seinen Nachfragen über den Besucher seines Vaters von seiner Mutter und seinem Kindermädchen vor dem Sandmann gewarnt, der angeblich den Kindern, die nicht schlafen wollten Hände voll Sand in die Augen warf, damit diese aus den Höhlen springen und er sie an seine Kinder verfüttern könne (vgl. Hofmann 2005, 4-5). Tatsächlich handelte es sich bei dem nächtlichen Besucher um den Advokaten Coppelius, der sich gemeinsam mit Nathanaels Vater mit geheimen Machenschaften beschäftigte. Nachdem Nathanael dem geheimnisvollen Treiben nachspioniert und von Coppelius erwischt wird, will dieser ihn mit heißen Kohlen blenden, doch Nathanaels Vater greift ein. Bei einem späteren letzten Besuch von Coppelius wird Nathanaels Vater durch eine Explosion im Arbeitszimmer getötet. Daher manifestiert Nathanael in der Figur des Coppelius nicht nur den Sandmann, sondern auch alle negativen Ängste und Erfahrungen seiner Kindheit (vgl. Freud 1919, 10). Außerdem sieht Freud in dem Augen-Motiv eine Metapher für die Kastrationsangst (vgl. ebd, 9). Dadurch zieht Dolar die Verbindung nach Lacans L-Schema, dass es sich bei den Figuren des Coppelius und Nathanaels Vater ebenfalls um eine Spiegelung und somit um eine Art des Doppelgängers handelt (vgl. Dolar 1991, 8). Nathanaels Vater symbolisiert daher den guten Vater, den Beschützer des universellen Gesetzes, und Coppelius den schlechten Vater, die bedrohliche und eifersüchtige Gestalt (vgl. ebd. 10). Coppelius will Nathanael blenden und wird ausschließlich mit negativen Erfahrungen in Verbindung gebracht, während Nathanaels Vater diesen beschützt und um die Verschonung seiner Augen bittet. Da sich Coppelius später als der Coppola Spalanzani herausstellt, verbindet Olimpia alle Vaterfiguren miteinander.

She is his sister image, the realization of his essential ambivalence in relation to the father figure-the attempt to identify with the father on one hand, and to make oneself an object for him, to offer oneself as the object of his love on the other (what Freud calls the "feminine attitude"): "Olympia is, as it were, a dissociated complex of Nathaniel's which confronts him as a person.” (Dolar 1991, 9).

Nach Freud tritt der böse Vater, somit Coppelius und der Coppola, als Störer der Liebe auf (vgl. Freud 1919, 3). Er entzweit Nathanael von Clara und ihren Bruder, Nathanaels besten Freund, unterbricht die Szenen mit Olimpia und zerstört diese sogar. Zuletzt treibt er Nathanael sogar kurz vor seiner Wiedervereinigung mit Clara in den Selbstmord (vgl. ebd.). Hier wird der zerstörerische Aspekt des Doppelgänger-Motivs deutlich, der dem Protagonisten entgegenhandelt (vgl. Dolar 1991, 14). Auch wenn es sich bei der Figur des Coppelius nicht um einen Doppelgänger Nathanaels handelt, werden doch viele Aspekte von Nathanaels Kindheitstrauma auf ihn als Sandmann übertragen. Diese Projektion entspricht wiederum dem romantischen Motiv des Doppelgängers. Auch die gespensterhafte und unheimliche Beschreibung des Sandmanns sowie dessen Zusammenhang zum Kastrationskomplex nach Freud sind typisch für die romantische Literatur, insbesondere für die Schauerliteratur der Schwarzen Romantik (vgl. Forderer 1999, 21-22). Hofmann verwendet ein für die Romantik gängiges Konzept von Bekanntem oder nach Freud „heimlichen“ und Unbekannten und damit „unheimlichen“ (vgl. Freud 1919, 1-2). Diese Kombination führt zu einer Vermischung von Realität und Fantasie, was nicht nur die Glaubwürdigkeit Nathanaels als Erzähler infrage stellt, sondern auch den Leser selbst verwirren soll (vgl. Vieregge 2008, 30). Ebenso handelt es sich bei dem Augen-Motiv und Olimpia als einen künstlich geschaffenen Menschen um gängige Motive der Romantik, die gegen das Nützlichkeitsdenken der Industrialisierung sprechen (vgl. Vieregge 2008, 244-245).

Das Unheimliche der Fiktion - der Phantasie, der Dichtung - verdient in der Tat eine gesonderte Betrachtung. Es ist vor allem weit reichhaltiger als das Unheimliche des Erlebens, es umfasst dieses in seiner Gänze und dann noch anderes, was unter den Bedingungen des Erlebens nicht vorkommt. Der Gegensatz zwischen Verdrängtem und Überwundenem kann nicht ohne tief greifende Modifikation auf das Unheimliche der Dichtung übertragen werden, denn das Reich der Phantasie hat ja zur Voraussetzung seiner Geltung, dass sein Inhalt von der Realitätsprüfung enthoben ist. (Freud 1919, 15).

Der Sandmann kann aufgrund seiner zahlreichen Motive der Schwarzen Romantik, seines unzuverlässigen Erzählers Nathanael, der übernatürlichen und unheimlichen Ereignisse innerhalb der Erzählung und seiner Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche durchaus als ein Vorgänger der heutigen Horrorliteratur angesehen werden. Obwohl sich die literarischen Motive teilweise über die Zeit verändert haben, werden auch in der modernen Horrorliteratur Aspekte des Unheimlichen aufgegriffen, die schon in der Schauerliteratur auftraten. Dies zeigen auch andere noch heute beliebte Werke der Romantik wie Mary Shelleys Frankenstein or The Modern Prometheus von 1818 oder Robert Louis Stevensons The Strange Case of Dr. Jekyll und Mr. Hyde von 1886 die ebenfalls die Motive des künstlichen Menschen oder des Doppelgängers aufgreifen.

3. Der Student von Prag - Das Spiegelbild als intermediales Doppelgänger-Motiv der Romantik

Bei dem Stummfilm Der Student von Prag handelt es sich um ein gemeinschaftliches Projekt von Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye und Paul Wegener aus dem Jahr 1913. Da der Film dem französischen Vorbild des Film d’Art folgte und keine bekannte literarische Vorlage hat, gilt er als einer der ersten Kunst- und Autorenfilme und erhielt dank seiner filmischen Stilmittel wie Montage, Bildgestaltung, Belichtung und Schauspiel besondere künstlerische Bedeutung (vgl. Dahlke, Günther & Karl, Günter 1988, 18-20). Seit dem Jahr 1926 existiert keine deutsche Originalfassung von 1913 mehr, jedoch wurde mithilfe einer japanischen und amerikanischen Version aus den Jahren 1990 und 2010 im Jahr 2012 eine neue und möglichst originalgetreue Version von Wilfried Kugel in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum München rekonstruiert (vgl. Der Student von Prag 00:00:01-00:01:04). Der Film handelt von dem jungen Studenten Balduin, der einen zwielichtigen Handel mit dem mysteriösen Scapinelli eingeht und unwissentlich sein Spiegelbild für 100.000 Gulden an diesen verkauft. Während Balduin versucht, durch die Beziehung zur Komtesse Margit seinen sozialen Status zu verbessern, wird sein Vorhaben durch sein Spiegelbild und die Handlungen des Zigeunermädchens Lyduschka behindert. Untersucht man Der Student von Prag finden sich verschiedene Motive der romantischen Literatur wieder. Im Vordergrund steht dabei das Spiegelbild selbst, welches durch den magischen Handel mit Scapinelli ein Eigenleben entwickelt. Schon der Handel erinnert an Goethes Faust. Eine Tragödie. von 1808, in dem der Protagonist Heinrich Faust mit dem Teufel Mephisto einen Pakt in Form einer Wette abschließt. Ein daher als mephistophelischer Handel bezeichneter Tausch betitelt einen meist unvorteilhaften Handel mit einem dämonischen oder teuflischen Wesen. Untersucht man einzelne Szenen des Films nach Oliver Keutzer, Sebastian Lauritz, Claudia Mehlinger und Peter Moormann im visuellen Zusammenspiel von beispielsweise Licht, Schatten, Kamera und der Montage, werden die Aspekte des Unheimlichen aus der Schauerliteratur deutlich wahrnehmbar. Auch die Figur des Scapinelli weist typische Eigenschaften eines dämonischen oder teuflischen Wesens auf. Seine Figur bewegt sich meist gebückt im Hintergrund und ist vollständig in Schwarz gekleidet. Schon bei seinem ersten Auftreten trennt sein Erscheinen mit der Kutsche Balduin räumlich von den anderen Studenten ab und auch seine Gestik weist ihn als zwielichtige Figur aus. Nachdem Balduin ihm von seinem finanziellen Problem berichtet hat, reibt sich Scapinelli vielsagend die Hände und beugt sich verschwörerisch und einnehmend zu Balduin hinüber.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[Der Student von Prag (1913) 00:06:28]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[Der Student von Prag (1913) 00:07:27]

Ähnlich wie der Coppelius bei Der Sandmann erscheint Scapinelli als unheimliche und dämonische Figur, die den Protagonisten ins Unheil treibt. Was im späteren Verlauf des Films auffällt, ist die Tatsache, dass Scapinelli bis auf eine Szene nur mit Balduin interagiert und im Zusammensein mit anderen Figuren schattenhaft in den Hintergrund verschwindet. Dies zeigt sich vor allem in der Jagdszene, in der Balduin auf Margit trifft. Während Balduin die Komtesse aus dem See zieht, erscheinen die anderen Reiter und eilen zur Hilfe. Scapinelli der zuvor mit Balduin unterwegs war, versteckt sich währenddessen hinter den Reitern im Hintergrund des Bildes und verliert sich durch seine dunkle Kleidung und gebückte Haltung fast gänzlich in der Szene. Anschließend verfolgt Scapinelli Balduin aus dem Bild und wirkt durch seinen ausladenden Gang und die schwungvollen Bewegungen seines Gehstocks freudig und fast vergnügt. Diesen plötzlichen Wechsel seiner Gestik kann darauf hinweisen, dass er sich in seinem Erfolg bestärkt sieht. Ausschlaggebend für den späteren Verlauf des Films ist schließlich das Medaillon, das die Komtesse Balduin als Dank zusteckt. Dieses bekommt eine zunehmende symbolische Bedeutung für die Liebschaft der beiden Figuren, da es Balduin bestärkt die Gunst der Komtesse zu erlangen und schließlich als Beweis für die Liebschaft von Lyduschka an Margits Vater den Grafen weitergereicht wird.

[...]

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Details

Title
Das Motiv des Doppelgängers im Film "Der Student von Prag". Ein Vergleich zur Motivik in E. T. A. Hoffmanns "Der Sandmann"
College
University of Bremen
Grade
1,7
Author
Year
2019
Pages
26
Catalog Number
V1007793
ISBN (eBook)
9783346398482
ISBN (Book)
9783346398499
Language
German
Keywords
Romantik, Literatur, Doppelgängermotiv, Doppelgänger, Der Student von Prag, Film, Stummfilm, E. T. A. Hoffmann, Sandmann, Literaturwissenschaft, Filme, Filmwissenschaft, Literarisches Motiv, Frühe Filme
Quote paper
Arleen Schäfer (Author), 2019, Das Motiv des Doppelgängers im Film "Der Student von Prag". Ein Vergleich zur Motivik in E. T. A. Hoffmanns "Der Sandmann", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1007793

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