Ethnographie als literarisches Mittel in postmodernen Fantasy-Romanen


Hausarbeit, 2017

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ethnographie in der Literatur
2.1 Der Ethnologe auf fantastischen Reisen
2.2 Aufgaben und Darstellung der fiktiven Ethnologie

3. Die Wirkung klassische Ethnographie
3.1 Darstellungen von Ethnographie
3.2 Ethnographie als literarisches Mittel

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Ethnographie ist eine Methode der Ethnologie und der Kulturanthropologie. Die bei der Feldforschung gewonnenen Eindrücke der teilnehmenden Beobachtung des Forschers werden hierbei schriftlich festgehalten. Zumeist handelt es sich somit um die textliche Ausarbeitung der Feldtagebücher, die währen der Feldforschung geführt werden. Der Ethnologe versucht bei seiner Forschung das Zusammenleben, die soziale und politische Organisation und die kulturelle Ausprägung einer Gesellschaft festzuhalten und zu beschreiben. Allgemein ist hierbei jedoch die Objektivität der Aufzeichnungen stark umstritten, da es unmöglich scheint, die erlebten Begebenheiten aus einem nicht subjektiven Standpunkt wahrzunehmen und sie zu interpretieren. Auch in Ethnographien ist dies eine Tatsache, da hierbei nicht nur die individuellen Eindrücke aus den Feldtagebüchern festgehalten werden, sondern diese zudem durch Umschreibungen und mit Verwendung von literarischen Mitteln ausformuliert werden. Einige Ethnologen wie Clifford Geertz üben daher Kritik an der Umsetzung von ethnographischen Texten. So weist Geertz in Die künstlichen Wilden darauf hin, dass objektive Ethnographie nicht existiere und Ethnographen durch das schriftliche abbilden einer ‘fremden Welt’ zeitgleich auch eine Fiktion erschaffen. Seine Auffassung wird dadurch unterstützt, dass seit dem 20ten Jahrhundert zunehmend fiktionale Romane entstanden, die von ihrem textuellen Aufbau der Konzeption von ethnographischen Texten gleichen. Im Rahmen dieser Hausarbeit werde ich an den Beispielen Traurige Tropen von Claude Lévi-Strauss und der Rabenschatten Trilogie von Anthony Ryan der Frage nachgehen, ob und wie Ethnographie in modernen Fantasy-Romanen als literarisches Mittel genutzt wird und welche Leserwirkung damit erzielt werden soll.

2. Ethnographie in der Literatur

Der Begriff der Ethnographie lässt sich aus den altgriechischen Wörtern éthnos für ‘fremdes Volk’ und graphé für ‘Schrift’ ableiten und betitelt somit die schriftliche Völkerbeschreibung (vgl. Fischer 2003, 12). Bereits seit der Antike sind Aufzeichnungen über fremde Kulturen bekannt, diese wurden im Laufe der Zeit auf verschiedene Weisen erarbeitet, aus historischen Reiseberichten, alten Fotos oder mitgebrachten Gegenständen. Die Ethnographie als eigenständige Wissenschaft bildete sich hingegen schon zu Zeiten der deutschen und russischen Aufklärung.

Begründer der Ethnographie war unter anderem der Historiker Gerhard Friedrich Müller, der in den 1730er bis 1740er Jahren die zweite Kamtschatka-Expedition begleitete. Er führte im Rahmen dieser Expedition historische, geographische, ethnologische und linguistische Forschungen in Sibirien durch. Sein Forschungsprogramm betitelte er als Völker-Beschreibung. Ethnologische Gesellschaften, Museen und Zeitschriften bereiteten sich schließlich im 19. Jahrhundert aus und ebneten den Weg zur akademischen Disziplin (vgl. Fischer 2003, 12).

„Die Ethnologie hat die Beobachtung von Gesellschaften zum Gegenstand und die Kenntnis der sozialen Tatsachen zum Ziel. Sie speichert diese Fakten ab, bei Bedarf erstellt sie darauf eine Statistik; und sie veröffentlicht Dokumente, die ein größtmögliches Maß an Gewissheit bieten. Der Ethnograph muss darauf bedacht sein, genau und vollständig zu arbeiten; er muss einen Sinn für Fakten und ihre inneren Zusammenhänge haben sowie einen Sinn für Proportionen und Verknüpfungen.“ (Mauss 2013, 47). Die Methoden des Faches sind im weitesten Sinne geklärt und werden bereits als Grundlagen gelehrt. In zahlreichen Anleitungen zu einer erfolgreichen und vor allen Dingen professionellen ethnologischen Forschung werden einzelne Schritte und Anleitungen der teilnehmenden Beobachtung vorgegeben. Das Erlernen der Sprache zählt dabei zu den ersten Aufgaben eines Ethnologen und zur Vorbereitung für eine Feldforschung, da allein durch sprachliche Übersetzungen viele Probleme und Missverständnisse auftreten können. Das Wissen und Verständnis um Sitten, Regeln und Bräuche einer Ethnie wird meist während der eigentlichen Erforschung erworben, beziehungsweise erweitert. Von besonderer Relevanz ist die Interaktion mit den Mitgliedern des Feldes, diese wird durch die Übernahme der Sitten der fremden Ethnie ermöglicht und unterstützt. Es gibt somit zahlreiche Translationen auf sprachlicher und nonverbaler Ebene.

„Der junge Ethnograph, der ins Feld aufbricht, muss wissen, was er schon weiß, um das an die Oberfläche zu befördern, was man noch nicht weiß.“ (Mauss 2013, 48). Auch das Festhalten der gewonnenen Beobachtungen und Erfahrungen in einem Feldtagebuch, zählt zur fundierten Basis einer guten Arbeit. Das Ausformulieren dieser Notizen jedoch, ist eine Fähigkeit, welche erst durch die zunehmende Erfahrung des Ethnologen erworben wird. So verändert sich auch die ethnographische Arbeitsweise eines Ethnologen und wird zu einer Art Handschrift mit Wiedererkennungswert. Einige Ethnologen kennzeichnen sich durch die Verwendung von Vergleichen und Metaphern oder der zahlreichen Nutzung von literarischen Ausschmückungen. Barthes und Geertz versuchten daher die Unterscheidung zwischen écrivant und écrivain zu treffen, zwischen ‘Schreiber’ und ‘Schriftsteller’ (vgl. Geertz 1990, 25). Obwohl nämlich das Benennen und Aufzählen von Details eine positive Eigenschaft eines Ethnographen ist, ist die textuelle Ausschmückung der Begebenheiten für seine Forschungen negativ auszulegen (vgl. Geertz 1990, 19). So unterscheiden Barthes und Geertz auch die Arbeiten des Schriftstellers als hervorgebrachtes ‘Werk’ und die des Schreibers als produzierten ‘Text’ (vgl. Geertz 1990, 26). Die Grenzen zwischen Objektivität und subjektiver Betrachtung scheinen ebenso in der Ethnographie zu verschwimmen, wie Realität und Fiktion.

2.1 Der Ethnologe auf fantastischen Reisen

Handelt eine Ethnographie von der Reise eines Ethnologen in ein fremdes Land und von der Begegnung mit einer fremden Ethnie, so beschreiben eine Vielfalt von Science-Fiction- und Fantasy-Romanen von der Begegnung eines Protagonisten mit einer fremden Spezies oder Rasse. Oft kann der dramaturgische Handlungsbogen dieser Romane mit der klassischen europäischen Heldensage verglichen werden. In diesen Fällen umfasst die Handlung einen Spannungsverlauf, der Aufbruch, Reise und Prüfung, sowie die Rückkehr des Helden umfasst. Nicht selten handeln jedoch einige Science-Fiction-Romane von Forschungsreisen und dem Zusammentreffen mit extraterrestrischen Lebensformen. Auch Fantasy-Romane charakterisieren sich durch die Begegnung mit fremden oder zumindest unterschiedlichen Lebensformen. In beiden genannten Fällen handelt es sich um fiktive humide Lebensformen. Ihre Beschreibungen fundieren in bekannten oder erdachten realen Erscheinungen und kulturellen Begebenheiten. Durch die Anlehnung auf reale Ethnien, ihre Bräuche, Sitten oder religiösen Ansichten, erlangen die fiktiven Ethnien einen gewissen Grad an Authentizität und Glaubwürdigkeit. Die Interaktion der Protagonisten mit den ihnen fremden Ethnien kann mit der teilnehmenden Beobachtung verglichen werden. In manchen Fantasy-Romanen treten daher einige Parallelen mit ethnographischen Texten auf.

Ein modernes Beispiel bietet hier die Rabenschatten Trilogie von Anthony Ryan, da die Haupthandlung im Wesentlichem auf die Konfrontation und Begegnung verschiedener Ethnien fokussiert ist. Interessant hierbei ist die Tatsache, dass es sich bei den fiktiven Ethnien des Romans ausschließlich um menschliche Ethnien handelt, was für das Genre der Fantasy-Literatur eher selten ist. Die Haupthandlung verfolgt die Geschichte mehrerer Protagonisten, vier von ihnen sind der Handlung nach besonders hervorzuheben. Zu einem erzählt der erste Band der Trilogie von der Lebensgeschichte des Kriegers Vaelin al Sorna, der zweite Band fokussiert sich in wesentlichen Teilen zusätzlich auf seinen Ordensbruder Frentis, die Prinzessin Lyrna und eine junge Frau namens Reva. Die Handlung ist größtenteils auf den Krieg zwischen den verschiedenen fiktiven territorialen Gebieten des Alpiranischen Reiches, den Vereinten Königslanden und dem Volarianischen Kaiserreich ausgelegt. Jedes der Länder umfasst jedoch wiederrum verschiedene kleinere Territorien, die von unterschiedlichen Ethnien und Religionen bewohnt sind. Der Erste Band konzentriert sich zum Beispiel auf die kriegerischen Auseinandersetzungen in dem Vereinigten Königslanden und den dort Lebenden Volksgruppen und unterschiedlichen Religionen im Norden, Osten und Süden des Landes. Alle drei Bände umfassen in der Synopsis die Kriege zwischen den Ländern, die Bedrohung aller durch eine übernatürliche magische Macht und den Kampf der vier Hauptcharaktere gegen eben diese. Für den Vergleich der Fantasy-Reihe mit ethnologischen Texten sind jedoch die Nebenhandlungen, die Kriege sowie die unterschiedlichen Religionen und Kulturen der ethnischen Gruppen von Interesse. Ebenso wie ein weiterer Charakter, der „kaiserliche Geschichtsschreiber und Erster der Gelehrten“ (Ryan 2011, 16) Verniers Alishe Someren, der die Handlungsstränge der anderen vier Hauptcharaktere zu verbinden scheint.

Jeder der Bände beginnt mit einem der als Verniers ’ Bericht betitelten Unterkapiteln, diese finden sich auch vereinzelt in der fortlaufenden Geschichte wieder und unterbrechen die sonst vorhandene Erzählung. Zu einem sind sie, im Gegensatz zum restlichen Text, kursiv geschrieben und somit vom Autoren hervorgehoben worden, zum anderen wechselt die Erzählform von der auktorialen Perspektive in die Ich- Perspektive des fiktiven Charakters. Die Berichte erinnern an Tagbucheinträge oder wenden sich vereinzelt an den Kaiser des Alpiranischen Reiches und gleichen somit einem Brief. In jedem der Berichte schildert Verniers seine momentanen Erlebnisse kurz nachdem diese stattfanden, verweist auf andere geschichtliche Ereignisse oder Personen und hält seine Gedanken und Ansichten fest. Da er vom alpiranischen Kaiser beauftragt wurde, unter anderem Vealin al Sornas Geschichte aufzuschreiben und sich mit vereinzelten Personen wie Lyrna, der Prinzessin der Vereinigten Königslanden, zu unterhalten, gleicht er einem realen Ethnographen oder politischen Abgesandten. Auch seine Arbeitsweise und die Umsetzung seiner Beschreibungen erinnern an die Arbeitsweise ethnologischer Feldforscher. Den gewissen Grad an Subjektivität, der durch seine Bemerkungen in den Berichten entsteht, ist jedoch zu entnehmen, dass er eher unbeabsichtigt einer ethnologischen Arbeitsweise folgt.

2.2 Aufgaben und Darstellung der fiktiven Ethnologie

Die Relevanz des Charakters ist durch seine geringe aktive Rolle in der Hauptgeschichte schwer einsehbar. Jedoch wird die Relevanz vom Autoren selbst hervorgehoben, indem die fünf Hauptkapitel in jedem der drei Bänder, von einem Bericht Verniers’ eingeleitet werden. Insgesamt gibt es somit fünfzehn Berichte, die jeweils die Unterkapitel der verschiedenen Hauptcharaktere und ihre Handlungsstränge verbinden. Die Handlung in den Berichten ist anachronistisch zur Haupthandlung und bildet vielmehr einen Rahmen der Haupthandlung. An vereinzelten Pinkten der Geschichte überschneiden sich jedoch die Handlungen und die Hauptpersonen treffen auf Vernier.

Die besondere Relevanz seiner Rolle, liegt nicht in seinem eigentlichen Handeln, sondern darin, dass er den Leser mit zusätzlichen Informationen versorgt. Diese Informationen betreffen unter anderem die Hauptcharaktere, die Haupthandlung oder die sie unterstützen die Authentizität der fiktiven Welt mit Informationen über die Historie der Länder, den Personen oder ihre Völker, sowie deren Aberglauben und religiösen Ansichten. Diese Authentizität wird zudem unterstützt, indem einzelne Berichte mit fiktiven literarischen Quellen oder Karten versehen sind. „Somit muss sich der Gelehrte, um sich ein Bild von ihrer Gesellschaft zu machen, auf Augenzeugen aus den Königslanden beschränken, deren Betrachtungsweise von Vorurteilen und abstrusen Geschichten über die dunkle Gabe und grässliche Ungeheuer nur so wimmelt. Den Quellen lässt sich allerdings entnehmen, dass sich die Horde gegenüber allen, die nicht ihrem Stamm angehören, unvorstellbar grausam verhielt“ (Ryan 2014, 205). Ein Absatz, der einem von Verniers’ Berichten vorhergeht, ist beispielsweise mit der Quelle „Meister Olinar Nuren, dritter Orden, Die Nordlande: eine historische Skizze, Archiv des dritten Ordens“ (Ryan 2014, 205) gekennzeichnet. Außerdem werden einige Anspielungen auf historische Ereignisse oder Schriften in der Haupthandlung, sowie in Verniers’ Berichten erwähnt.

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Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Ethnographie als literarisches Mittel in postmodernen Fantasy-Romanen
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Kulturanthropologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
12
Katalognummer
V1007959
ISBN (eBook)
9783346396228
ISBN (Buch)
9783346396235
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethnographie, Fantasy-Romane, Das Lied des Blutes, literarische Mittel, Postmoderne, Ethnologie, Literturwissenschaft, Kulturanthropologie, Anthony Ryan, Rabenschatten, Fantasy, Fiction, Fiktion, Kultur, Ethnie, Kulturelle Begegnung, Feldforschung, Teilnehmende Beobachtung
Arbeit zitieren
Arleen Schäfer (Autor:in), 2017, Ethnographie als literarisches Mittel in postmodernen Fantasy-Romanen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1007959

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