Optimierung von Netzwerkstrukturen in der Palliativarbeit. Chance für die Verbesserung der Koordination und Versorgung schwer kranker und sterbender Menschen


Masterarbeit, 2018

56 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung, Ziele und Fragestellung

2. Bedeutung von Palliative Care in der heutigen Gesellschaft
2.1 Aufgabenbereiche und Ziele
2.2 Möglichkeiten und Grenzen von Palliative Care
2.3 Hospiz- und Palliativgesetz
2.4 Schnittstellenproblematik in der palliativen Versorgung

3. Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der palliativen Praxis
3.1 Konzept: Total Pain
3.2 Palliative Studien
3.3 Möglichkeiten und Grenzen der interdisziplinären Zusammenarbeit

4. Modelle und Konzepte aus anderen Ländern und Bereichen
4.1 Palliativversorgung in der Schweiz
4.2 Palliativversorgung in den Niederlanden
4.3 Theoriekonstrukt: Netzwerkbildung am Beispiel der Frühhilfen/ Kindeswohlgefährdung
4.4 Konzept: Advance Care Planning

5. Diskussion

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

Anlageverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Palliativmedizinische Angebotsstrukturen in Deutschland

Abb. 2 Gewünschter und tatsächlicher Sterbeort

Abb. 3 Total Pain nach Cicely Saunders

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung, Ziele und Fragestellung

Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der zeitgleichen Zunahme der zu versorgenden multimorbiden Menschen, gewinnt die Palliativversorgung zunehmend an Bedeutung. Nicht nur die alternde Bevölkerung, sondern auch soziale, politische, ökonomische, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen und Probleme stellen das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen. Der Wandel der Gesellschaftsstruktur und die sinkende Geburtenrate führen dazu, dass die Zahl pflegebedürftiger und schwerkranker Menschen, die eine umfassende Betreuung und Begleitung bedürfen zunimmt, wobei der Anteil der jungen Menschen und Jener, die die ältere Bevölkerung versorgen sollen, bedingt dadurch und durch den Fachkräftemangel, sinkt. Die Versorgungen werden insgesamt schwieriger und komplexer, wenn es darum geht unheilbar kranken Menschen eine umfassende Betreuung am Lebensende zukommen zu lassen und ihnen ganzheitlich mit ihren Bedürfnissen und die ihrer Zugehörigen zu sehen. Aufgrund der hohen Mobilität leben die verschiedenen Generationen einer Familie heute häufig nicht mehr an einem Ort, weswegen die professionell-pflegende Versorgung durch ein neues Netzwerk aus Pflegedienst, Arzt, Zugehörigen und verschiedenen anderen Akteuren zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Komplexe Problemlagen medizinischer, pflegerischer, sozialer und spiritueller Art treten häufig in der Palliativpflege auf und machen eine gute Unterstützung erforderlich.

Diese Ausgangssituation ist die Grundlage für diese Masterarbeit, die sich mit der Thematik „Optimierung von Netzwerkstrukturen in der Palliativarbeit als Chance für die Verbesserung der Koordination und Versorgung schwer kranker und sterbender Menschen" beschäftigen soll und richtet sich sowohl an Beschäftigte der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege sowie an Altenpflegepersonal, Studenten des Gesundheits- und Sozialsektors und an alle anderen medizinischen, sozialen und gesundheitsfördernden Berufe und deren Interessenten. Durch meine berufliche Erfahrung als Palliativfachkraft in der ambulanten Pflege und meinem derzeitigen Aufgabenbereich als Hospiz- und Palliativkoordinatorin bin ich mit dem Thema vertraut. Täglich bin ich in der Versorgung schwer kranker und palliativer Menschen involviert und berate sowohl im häuslichen, wie auch im (teil-)stationären Sektor hingehend dazu, wie eine Versorgung in einer palliativen Situation aussehen kann. Ich erlebe häufig, dass Betroffene und ihre Angehörige nicht wissen, welche Leistungen ihnen zustehen und welche Dienstleistungen sie in Anspruch nehmen können. Leider komme aber auch ich in meiner Arbeit an meine Grenzen, vor allem dann, wenn vorhandene Netzwerkstrukturen nicht funktionieren, was für mich einen Grund mehr darstellt mich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Die Auseinandersetzung mit der Thematik bietet mir die Möglichkeit mich intensiver mit möglichen Versorgungskonzepten in der Palliativarbeit zu befassen, um bestenfalls Verbesserungspotentiale für meinen Aufgabenbereich herausarbeiten zu können und zu überprüfen, ob diese zu einer Optimierung der Palliativversorgung beitragen könnten. Evidenzbasierte Inhalte aus Fachliteraturen und -zeitschriften, Expertenmeinungen, Studien und Informationsbroschüren aus der öffentlichen Arbeit sind gleichermaßen Bestandteil der Arbeit, wie Fortbildungsinhalte und fachspezifisches Wissen aus Kursbüchern.

Einleitend soll es um die Bedeutung von Palliativ Care in der heutigen Gesellschaft gehen. Dabei wird das Konzept mit seinen Aufgaben und Zielen, sowie seinen Möglichkeiten und Grenzen thematisiert. Nächster inhaltlicher Schwerpunkt ist anschließend die Schnittstellenproblematik in der Palliativversorgung aus der Koordinatorenperspektive, um ausgehend von meinem Arbeitsbereich auf die Schwachstellen in der Versorgung hinzuführen.

Im dritten Kapitel wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der palliativen Praxis behandelt und in diesem Zusammenhang das „Total Pain Konzept" nach Cicely Saunders thematisiert. Anhand verschiedener Studien wird auf die Auswirkungen einer Palliativversorgung auf den Patienten1 und seine Angehörigen eingegangen und anschließend daran werden die Möglichkeiten und Grenzen der interdisziplinären Zusammenarbeit aufgezeichnet.

Auf der Grundlage einer umfassenden Literaturrecherche befasst sich das folgende Kapitel mit der Palliativarbeit unserer Nachbarländer und behandelt dabei beispielhaft die Palliativversorgung in der Schweiz und in den Niederlanden, um eine Idee zu gewinnen, wo unsere Arbeit evtl. künftig hingehen könnte.

Angeknüpft daran folgt ein Theoriekonstrukt zum Thema Netzwerkbildung am Beispiel der Frühhilfen/ Kindeswohlgefährdung und die Vorstellung des Konzeptes „Advance Care Planning" als mögliche Hilfestellung für die Implementierung neuer Strukturen in der palliativen Praxis.

Nach der Diskussion, bildet dann die Zusammenfassung, die rückblickend auf die Thematik eingeht und einen Ausblick für die Zukunft gibt, den Schluss dieser Arbeit. Das Hauptziel meiner Masterarbeit besteht darin, die nachfolgende Frage zu klären und zu prüfen, ob es in anderen Bereichen Konzepte und Strukturen gibt, deren Implementierung zu einer Optimierung der Arbeit mit schwer kranken und sterbenden Menschen führen würde:

- Könnte durch die Verbesserung der Netzwerkstrukturen eine bessere Qualität des Sterbens in der Palliativversorgung erzielt werden?

2. Bedeutung von Palliative Care in der heutigen Gesellschaft

Durch den demografischen Wandel in Deutschland ist nicht nur eine niedrigere Geburtenrate zu verzeichnen, sondern auch der Rückgang der Bevölkerungszahl. Zeitgleich gibt es einen erfreulichen Anstieg der Lebenserwartung und damit verbunden eine alternde Bevölkerung, aber auch gerade in Deutschland einen stark wachsenden Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund. Insgesamt hat der demografische Wandel „vielfältige Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche der Menschen in Deutschland und wird die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten erheblich beeinflussen“ (Demografiebericht 2017).

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gemacht, pflegebedürftigen Menschen auch in Zukunft eine angemessene Pflege zukommen zu lassen, durch die sie würdevoll gepflegt und betreut werden. Konkret heißt das, dass ambulante Strukturen soweit ausgebaut und gestärkt werden müssen, dass pflegebedürftige Menschen entsprechend ihren Wünschen möglichst lange zu Hause betreut werden können. Demnach kommt auch der Versorgung am Lebensende eine immer größer werdende Bedeutung zu.

Das liegt laut neusten Erkenntnissen u.a. auch an den heterogenen Versorgungsstrukturen in Deutschland. „Schwerkranke und sterbende Menschen benötigen besondere Zuwendung, Versorgung und Pflege. Wie ein Mensch am Lebensende versorgt wird und ob seinem Wunsch entsprochen werden kann, hängt auch von seinem Wohnort ab. Bei den palliativmedizinischen Angebotsstrukturen zeigen sich nämlich erhebliche regionale Unterschiede - von Bundesland zu Bundesland, aber auch zwischen den 402 Stadt- und Landkreisen“ (vgl. Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abb. 1 Palliativmedizinische Angebotsstrukturen in Deutschland; Quelle: Faktencheck 2015)

Der Quelle nach sterben in den blau eingefärbten Regionen weniger Menschen im Krankenhaus als im Bundesdurchschnitt. Im Gegensatz dazu zeigen orange eingefärbte Städte und Kreise überdurchschnittlich hohe Sterbequoten im Krankenhaus.

Weiterhin verbringen 49% der älteren Menschen aus Nordrhein-Westfalen allein ihre letzten Lebenstage im Krankenhaus und versterben dort. Gründe dafür sind, dass die Krankenhäuser es häufig verpassen, den Patienten zum Sterben nach Hause zu entlassen, aber auch, dass häufig kein ausreichendes Angebot an Hospizen, Palliativstationen und ambulanten Versorgungsmöglichkeiten besteht. Das führt laut den Ergebnissen der im Jahr 2015 durchgeführten Bertelsmann Stiftung dazu, dass nur jeder dritte Sterbende die notwendige Palliativversorgung erhält. Das widerspricht der Aussage der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, die eine entsprechende Versorgung für bis zu 90% aller Menschen am Lebensende fordert (vgl. Faktencheck 2015).

Menschen bei denen, aufgrund ihres Alters oder aufgrund einer schweren Erkrankung, eine Heilung nicht mehr möglich ist, bedürfen einer palliativen Versorgung. Dabei steht nicht mehr die Lebenserhaltung oder -verlängerung im Vordergrund, sondern der bestmögliche Erhalt der Lebensqualität. Die Lebensqualität ist für den Patienten und seine Angehörigen ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem auf die physischen, psychischen, sozialen, und spirituellen Betreuungsbedürfnisse (weitere Erläuterungen in Kapitel 3.1) eingegangen wird. Deswegen ist es von großer Bedeutung eine Palliativversorgung frühzeitig einzuleiten. Nicht selten geschieht dies allerdings erst in den letzten Lebenstagen schwer erkrankter Menschen, wenn in therapeutischen Interventionen keine Erfolgschancen mehr zu sehen sind. Kurative und palliative Behandlungsformen widersprechen sich nicht, sondern können auch parallel zueinander stattfinden, wenn noch Chemo- oder Strahlentherapien gemacht werden. Dies ist häufig bei der Versorgung von Patienten mit bösartigen Neubildungen der Fall.

Deswegen wird die Palliativversorgung mittlerweile zunehmend als Ansatz verstanden, der bei entsprechender Diagnose früher einzubeziehen ist. Denn der palliative Ansatz widmet sich den Symptomen und deren Linderung, was auch die Behandlung von Nebenwirkungen bestimmter Therapieformen mit einschließt (vgl. WHO Definition 2002).

Ausgehend von den Ergebnissen der Bertelsmann Stiftung, die 2015 über 1.000 Menschen in einer Studie zur Palliativmedizin befragt hat, würden gerne 76 Prozent der Menschen in Deutschland zu Hause sterben, doch nur bei jedem Fünften ist das der Fall. Dagegen möchten nur sechs Prozent ihre letzten Tage im Krankenhaus verbringen und tatsächlich stirbt dort jeder Zweite (vgl. Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abb. 2 Gewünschter und tatsächlicher Sterbeort; Quelle: Faktencheck 2015)

Diese Zahlen machen deutlich, dass es Veränderungen in den Strukturen der Palliativversorgung bedarf und ein Ausbau der palliativmedizinischen Betreuung in Deutschland unumgänglich ist.

2.1 Aufgabenbereiche und Ziele

Ausgehend von der Definition ist Palliative Care die „Behandlung von Menschen mit einer nicht heilbaren, progredienten2, weit fortgeschrittenen Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung, für die das Hauptziel die Lebensqualität ist" (Kayser et al. 2013: 36). Eine regelmäßige Symptomkontrolle und eine psychosoziale Begleitung durch den Arzt und die Palliativfachkraft, um quälende Beschwerden und belastende Symptome der fortgeschrittenen Erkrankung zu lindern und eine möglichst beschwerdefreie letzte Zeit verbringen zu können, ist das Ziel jeder Palliativvversorgung. Eine palliative Behandlungsform kommt demnach dann zum Einsatz, wenn kurative3 Maßnahmen durch den Patienten nicht mehr gewünscht oder nicht mehr möglich sind. Das ist oftmals der Fall, wenn Diagnostik und Therapie zu belastend werden oder die Erkrankung bereits so weit fortgeschritten ist, dass keine Heilung mehr erzielt werden kann. Dabei werden lebensverlängernde Maßnahmen4 nicht komplett außer Acht gelassen, sondern kommen nur dann zum Einsatz, wenn sie für den schwerkranken Patienten von Vorteil sind.

Ziel ist und bleibt in der Palliativversorgung immer der Erhalt und die Förderung der bestmöglichen Lebensqualität des Patienten und seiner An- und Zugehörigen. Schonende Therapieformen und Wohlfühlangebote sollen dazu führen, dass Leid und Beschwerden gelindert werden und trotz schwerer Krankheit eine möglichst hohe Funktionsfähigkeit und Zufriedenheit erreicht wird, um dem Betroffenen zu ermöglichen im familiären und sozialen Umfeld versorgt zu werden und sterben zu können. Das kann neben der häuslichen Umgebung auch in einem Alten- und Pflegeheim, in einer Wohngemeinschaft oder einer Wohngruppe sein. Nach Kostrzewa et al. fordert „Sterbebegleitung ... von den Sterbebegleitern mehr als nur die von ihnen erlernten sozialen und kommunikativen Verhaltensweisen. Sterbebegleitung fordert die ganze Person" (Kostrzewa, Kutzner 2009: 55f.) und aus meiner Sicht sogar das gesamte Umfeld des Betroffenen, mit allen Dienstleistern und Akteuren, die ihn versorgen.

2.2 Möglichkeiten und Grenzen von Palliative Care

Den Lehrbüchern nach ist die Palliativversorgung eine ganzheitliche, ummantelnde Fürsorge und Pflege, bei der die Heilung der Erkrankung nicht im Fokus steht, sondern die Linderung bestehender Beschwerden, sowie der Erhalt und die Förderung der Lebensqualität. Eine umfassende Versorgung eines Patienten durch einen Menschen alleine ist nach diesen Vorstellungen schwierig und für eine Berufsgruppe alleine oft nicht möglich.

In meiner praktischen Arbeit erlebe ich viele Betroffene, die überfordert sind und mit der Diagnosestellung nicht mehr weiter wissen. Sie wissen um ihre begrenzte Lebenszeit, haben aber keinerlei Vorstellungen dazu, wie eine Versorgung am Lebensende aussehen soll.

An dieser Stelle berate ich als gelernte Gesundheits-und Kinderkrankenpflegerin und ausgebildete Hospiz- und Palliativkoordinatorin zu möglichen Dienstleistungen und Hilfestellungen, die dem schwer kranken Menschen zustehen und von den gesetzlichen Krankenkassen getragen werden. Da gibt es neben der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV) auch eine seelsorgerische oder hospizliche Begleitung und die Versorgung mit Medikamenten und Hilfsmitteln.

Die AAPV ist eine behandlungspflegerische Leistung, die von ambulanten Palliativpflegediensten erbracht und bei den Krankenkassen abgerechnet werden kann. Sie beinhaltet neben der Symptomkontrolle auch die psychosoziale Begleitung des Betroffenen und seiner Angehörigen. So kann bis zu drei Mal täglich der Palliativpflegedienst in Anspruch genommen werden, der im Rahmen seiner Einsätze Zeit für Gespräche mitbringt, um Fragen und Unsicherheiten zu klären, um mit dem Hausarzt Rücksprache treffen zu können, aber auch um eine Notfallversorgung zu gewährleisten.

Jeder Pflegedienst hat eine Pflegenotrufnummer, um neben den geplanten Einsätzen auch rund um die Uhr Notfalleinsätze abdecken zu können.

Bei der häufigen Vielfalt an Beschwerden bedarf es optimaler Weise der Zusammenarbeit im Team und die Betrachtung des Patienten aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln und beruflichen Perspektiven.

Gerade weil der Patient oftmals nicht nur an einer Krankheit und einem Symptom leidet, sondern z.B. neben dem Tumorleiden häufig noch andere Erkrankungen und Beschwerden mit in Betracht gezogen werden müssen, bietet es sich an in einem multiprofessionellen5 Team im Sinne des Patienten zusammen zu arbeiten. Laut der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen, hat „[j]eder Mensch ... ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen“ (Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland 2010: 7).

Demnach heißt es weiterhin in der Literatur, dass ein würdevoller Umgang zwölf Elemente eines „guten Todes“ beinhaltet. Diese werden nachfolgend aufgeführt:

1. Zu wissen, wann der Tod kommt und zu verstehen, was zu erwarten ist.
2. Die Kontrolle über das Geschehen zu behalten.
3. Würde und Privatsphäre zugestanden zu bekommen.
4. Eine gute Behandlung der Schmerzen und anderer Symptome.
5. Die Wahl zu haben, wo man sterben möchte (zu Hause oder anderswo).
6. Alle nötigen Informationen zu bekommen.
7. Jede spirituelle und emotionale Unterstützung zu bekommen.
8. Hospizbetreuung überall, nicht nur im Krankenhaus.
9. Bestimmen zu können, wer beim Ende dabei sein soll.
10. Vorausbestimmen zu können, welche Wünsche respektiert werden sollen.
11. Zeit zu haben für den Abschied.
12. Gehen zu können, wenn die Zeit gekommen ist, und keine sinnlose Lebensverlängerung zu erleiden (vgl. Buchmann, K.E. 2017: 18f.).

Dass die Charta mit ihren Leitsätzen und die zwölf Elemente „eines guten Todes“ eine Diskrepanz zur Praxis darstellen, erlebe ich leider noch zu häufig in meiner täglichen Arbeit.

Beispielhaft dafür wäre meine Arbeit im Palliativmedizinischen Konsiliardienst (PKD), in dem ich als Koordinatorin tätig bin.

Dieser besteht aus fünf Palliativmedizinern und einer Koordinatorin und stellt einen unterstützenden und beratenden Dienst für alle Hausärzte und Pflegekräfte aus unserer Region (bestehend aus fünf Gemeinden) dar. Die Hausärzte haben durch eine Einschreibung in das Palliativprogramm die Möglichkeit kollegialen Austausch zur Behandlung ihres Patienten zu erhalten und profitieren zeitgleich von der 24- Stunden palliativärztlichen Rufbereitschaft, die vertretungsweise für den Hausarzt einspringt, sofern dieser nicht erreichbar ist. Durch die Einschreibung willigt der Patient darin ein, dass der Hausarzt persönliche Daten, aber auch seine Diagnosen und Informationen zum Krankheitsbild seines Patienten an den PKD weitergeben darf. Dadurch können die Palliativmediziner und ich als Koordinatorin uns einen ersten Überblick zum Patienten und seiner Versorgungssituation verschaffen. Im Austausch mit dem Hausarzt wird dann besprochen, ob eine Vollversorgung durch den PKD stattfinden soll, ein Hausbesuch durch die Koordinatorin sinnvoll ist oder das Palliativteam nur für Rückfragen und in Vertretungssituationen im Hintergrund zur Verfügung stehen soll (vgl. KVWL 2013). In anderen Bereichen Deutschlands (jenseits der Grenze Westfalen-Lippe) gibt es anstatt den PKD die sogenannte SAPV (spezialisierte ambulante Palliativversorgung). Diese Teams übernehmen die Versorgung eines Patienten, sobald dieser aufgrund einer lebensbegrenzenden Diagnose palliativ versorgt werden soll. Bestehend aus eigenen Ärzten, Pflegekräften und anderen Berufsgruppen wird der Patient dann von einem spezialisierten Team in seiner gewohnten Umgebung versorgt. Dieses Versorgungsmodell ist eher für die Städte als für den ländlichen Versorgungsbereich ausgelegt, da die räumliche Distanz zwischen den Patienten nicht so groß ist und die Hausärzte in den Ballungsgebieten oftmals nicht die Möglichkeiten haben ihre Patienten in Form von Hausbesuchen zuhause weiter zu betreuen (vgl. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. 2014).

Theoretisch gibt es Strukturen, die gesetzlich geregelt sind und eine gute ambulante Palliativversorgung ermöglichen - aber nur, wenn diese auch in den verschiedenen Settings implementiert und genutzt werden, kann der Patient davon profitieren.

2.3 Hospiz- und Palliativgesetz

Mit dem Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) wurde am 8.12.2015 vom Bundestag ein Gesetz verabschiedet mit großer Bedeutung und Tragweite für die Hospiz- und Palliativarbeit. Dieses Gesetz dient der Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland und enthält „viele Maßnahmen, die die medizinische, pflegerische, psychologische und seelsorgerische Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase verbessern und einen flächendeckenden Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung fördern soll" (Bundesministerium für Gesundheit 2017). Demnach soll die Palliativversorgung nicht nur zuhause, sondern auch im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz erbracht werden können und wurde somit “ausdrücklich Bestandteil der Regelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dies beinhaltet auch zusätzlich vergütete Leistungen zur Steigerung der Qualität der Palliativversorgung, zur Zusatzqualifikation der Haus - und Fachärzte sowie zur Förderung der Netzwerkarbeit. Außerdem wird die Palliativversorgung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege gestärkt“ (Hospiz- und Palliativgesetz 2015).

Nachfolgend sind Ergänzungen, bzw. Veränderungen aus dem fünften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) zu finden, die ausschnittsweise genannt werden: „Zur Krankenbehandlung gehört auch die Palliative Versorgung der Versicherten“ (§ 27 Abs.1 Satz 2) „Die häusliche Krankenpflege umfasst auch die ambulante Palliativversorgung (§ 37 Abs. 2a). Der gemeinsame Bundesausschuss erhält den Auftrag, in seiner Richtlinie über die Verordnung häuslicher Krankenpflege die behandlungspflegerischen Maßnahmen und Leistungen der Palliativpflege näher zu konkretisieren.“ Ein Schiedsverfahren für entsprechende Versorgungsverträge wurde eingeführt, um den Ausbau der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) zu beschleunigen. Zudem wurde festgelegt, dass die allgemeine und die spezialisierte Palliativversorgung auch gemeinsam vereinbart werden können (§ 37 Abs. 4 / §132 d). Die Finanzierungsgrundlagen stationärer Hospize wurde verbessert und gesetzlich geregelt, (§ 39 a Abs. 1), und ambulante Hospizdienste können auf Grundlage des Gesetzes für Versicherte in Krankenhäusern Sterbebegleitung erbringen (§ 39a Abs.2). Zudem können die ambulanten Hospizdienste jetzt zu den Personalkosten auch die Sachkosten abrechnen und ihre Leistungen refinanzieren.

Die Vernetzung verschiedener Angebote zur Hospiz- und Palliativversorgung von den Vertragspartnern soll vor allem in stationären Pflegeeinrichtungen sichergestellt werden. Ergänzend dazu wird angeführt: „... dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine hospizliche Begleitung Angehöriger ... auch über den Tod hinaus notwendig sein kann“.

Eine weitere Neuerung ist auch der gesetzliche Anspruch auf eine Hospiz- und Palliativberatung durch die Krankenkassen (§ 39b). Laut dem HPG sollen alle Versicherten individuell informiert werden über die regional verfügbaren Beratungs- und Versorgungsangebote und deren Ansprechpartner. Außerdem sollen die Krankenkassen auch bei der Kontaktaufnahme und der Leistungsinanspruchnahme helfen. Auch über die Möglichkeiten der persönlichen Vorsorge für die letzte Lebensphase und insbesondere zu den Themen

Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung sollen die Versicherten informiert werden (§ 7a SGB XI).

Die gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase, die auch für stationäre Pflegeeinrichtungen und für Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gilt, wurde in § 132g geregelt. Demnach sollen „Versicherte ... über die medizinisch- pflegerische Versorgung und Betreuung in der letzten Lebensphase beraten werden, und ihnen sollen Hilfen und Angebote der Sterbebegleitung aufgezeigt werden. Im Rahmen einer Fallbesprechung soll nach den individuellen Bedürfnissen des Versicherten insbesondere auf medizinische Abläufe in der letzten Lebensphase und während des Sterbeprozesses eingegangen, mögliche Notfallsituationen besprochen und geeignete einzelne Maßnahmen der palliativ-medizinischen, palliativ-pflegerischen und psychosozialen Versorgung dargestellt werden. Die Fallbesprechung kann bei wesentlicher Änderung des Versorgungs- oder Pflegebedarfs auch mehrfach angeboten werden" (§ 132g Abs.1). Der Hausarzt oder sonstiger Leistungserbringer der vertragsärztlichen Versorgung, auf Wunsch auch die Angehörigen, sind immer an der Versorgung zu beteiligen (§ 95 Abs.1 Satzl). „Für mögliche Notfallsituationen soll die erforderliche Übergabe des Versicherten an relevante Rettungsdienste und Krankenhäuser vorbereitet werden. Auch andere regionale Betreuungs- und Versorgungsangebote sollen einbezogen werden, um die umfassende medizinische, pflegerische, hospizliche und seelsorgerische Begleitung nach Maßgabe der individuellen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase sicherzustellen." Den Pflegeeinrichtungen ist freigestellt, ob sie Beratungsangebote selbst oder in Kooperation mit anderen regionalen Beratungsdiensten durchführen wollen (§ 132g Abs. 2).

Zur Steigerung der Qualität und für die Koordination und Kooperation mit anderen Leistungserbringern, sowie für die Beteiligung an Fallbesprechungen in Pflegeheimen werden zusätzliche Vergütungen vorgesehen (§ 87 Abs.1 b und § 119b Abs.2).

Das Hospiz- und Palliativgesetz umfasst auch Änderungen in der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI), wozu auch die Pflege in die Sterbebegleitung zählt (§ 28). Ziel des HPG ist u.a. das Recht aller Menschen auf ein würdiges Sterben und auf eine umfassende medizinische, pflegerische und spirituelle Betreuung und Begleitung in der individuellen Lebenssituation. Dazu gehören auch die pflegerischen Maßnahmen der Sterbebegleitung in stationärer und ambulanter Pflege. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, den Begriff der Sterbebegleitung um „hospizliche Begleitung und palliativ ausgerichtete Pflege" zu ergänzen. Auch eine Regelung für eine weitere finanzielle Unterstützung der Pflegebedürftigen und der Träger der Sozialhilfe wird in weiteren Gesetzesentwürfen gefordert. Auch die Finanzierung der besonderen medizinischen Behandlungspflege in der letzten Lebensphase in Pflegeheimen soll überprüft werden.

Demnach sollen Pflegeheime mit Hospiz- und Palliativnetzen, mit Ärzten und mit Apotheken zusammenarbeiten und darauf hinweisen (§ 115 Abs. 1b).

Insgesamt verfolgt das Hospiz- und Palliativgesetzes folgende Ziele:

- Alle Menschen sollen an den Orten, an denen sie ihre letzte Lebensphase verbringen, auch im Sterben gut versorgt und begleitet sein
- Verwirklichung eines flächendeckenden Angebots in der Palliativ-und Hospizversorgung
- Verankerung von Sterbebegleitung in der Regelversorgung
- Verbesserung von Information und Beratung zu den Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung und der Selbstbestimmung am Lebensende
- Verbesserung von Koordination und Vernetzung in der Hospiz- und Palliativversorgung
- Evaluation und Monitoring der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Bayerisches Hospiz- und Palliativbündnis 2015).

Zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativarbeit und für den flächendeckenden Ausbau sieht das HPG vor, die alten und sterbenden Menschen auf ihr Lebensende vorzubereiten. Es ist die Aufgabe der beteiligten Akteure sich auf die Wünsche und Vorstellungen der Patienten einzulassen, um ihnen Sicherheit zu vermitteln und eine würdevolle Begleitung in der letzten Lebensphase zu ermöglichen. Dafür wird eine vorausschauende und vorausplanende Kommunikation benötigt, um in Notfall- oder Krisensituationen entsprechend dem Willen des Patienten handeln zu können. Das Ergebnis ist eine individuelle und an den Bedürfnissen orientierte, für alle Beteiligten verbindliche, Planung der Versorgung. Gute Absprachen und ausgesprochene Ängste des Betroffenen und seiner Angehörigen oder des Teams können zu vermeidbaren Krankenhauseinweisungen und Therapien führen, die vom Patienten nicht gewollt waren. Im Hospiz- und Palliativgesetz werden viele Elemente genannt, die aus dem Case Management (weitere Erläuterungen in Kapitel 3.3) bekannt sind. Netzwerke sollen gebildet und eine vorausschauende Planung und damit verbunden der individuelle Hilfeplan in den stationären Einrichtungen eingeführt werden.

2.4 Schnittstellenproblematik in der palliativen Versorgung

Laut dem aktuellen Demografiebericht wird sich der Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland elementar verändern. Prognostiziert wird, dass der Anteil der älteren Bevölkerung bereits in den kommenden zwei Jahrzehnten steigen wird. „Heute besteht die Bevölkerung mit jeweils einem Fünftel noch fast zu zwei gleichen Teilen aus Kindern und jungen Menschen unter 20 Jahren und aus 65Jährigen und Älteren. Im Jahr 2030 werden die 65-Jährigen und Älteren bereits etwa 29% der Bevölkerung ausmachen. 2060 wird dann jeder Dritte (34%) mindestens 65 Lebensjahre durchlebt haben" (Demografiebericht 2017).

Als PKD-Koordinatorin sehe ich häufig Probleme und Barrieren, die nicht überall eine gute und patientenorientierte Versorgung am Lebensende zulassen. Besonders gravierend ist es dann, wenn der schwer kranke Patient ohne jegliche Unterstützung ganz auf sich alleine gestellt ist. Gerade bei den veränderten gesellschaftlichen Strukturen und der Tatsache, dass die Frauen unserer heutigen Gesellschaft zum Großteil genauso im Berufsleben stehen wie die Männer, ist es nicht selten so, dass die häufig hochbetagten multimorbiden Menschen ihre letzte Lebenszeit fernab von der Familie verbringen und gerade deswegen umso mehr auf externe Hilfe angewiesen sind.

Dazu kommt, dass es Hausärzte gibt, die unsere Strukturen lediglich dafür nutzen, außerhalb der Sprechstundenzeiten und an den Wochenenden von einer Vertretungsregelung zu profitieren und sich ganz darauf verlassen, dass der Palliativmediziner Notfalleinsätze abdeckt und Krisen kompensiert. Das sind leider auch häufig die Ärzte, die nicht vorausschauend planen und keine Bedarfsmedikation verordnen bzw. auch keine Notfallmedikamente vor Ort lassen, weil sie der Meinung sind, dass diese ihr ärztliches Budget strapazieren.

[...]


1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text ausschließlich die männliche Form gewählt, es sind jedoch immer weibliche und männliche Personen gemeint. Zudem wird die im Case Management übliche Bezeichnung „Klient" und der in den stationären Einrichtungen gebräuchliche Begriff „Bewohner" durch die Bezeichnung „Patient" ersetzt, der dem Sprachgebrauch im palliativen Kontext entspricht.

2 In der Medizin spricht man von progredienten Erkrankungen, wenn diese fortgeschritten sind und aufgrund dessen einen zunehmend schweren Verlauf zeigen.

3 Kurative Maßnahmen zielen auf die Heilung einer Erkrankung ab.

4 Zu lebensverlängernden Maßnahmen zählen nicht nur Reanimation, künstliche Ernährung und Beatmung, sondern auch (invasive) Diagnostik und Therapie, aber auch die Gabe von Antibiotika.

5 Von Multiprofessionalität spricht man bei der Zusammenarbeit von verschiedenen Berufsgruppen. Im Team versucht man nicht nur Synergieeffekte zu nutzen, sondern auch durch die verschiedenen Perspektiven zur Problemlösung beizutragen.

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Optimierung von Netzwerkstrukturen in der Palliativarbeit. Chance für die Verbesserung der Koordination und Versorgung schwer kranker und sterbender Menschen
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
56
Katalognummer
V1008095
ISBN (eBook)
9783346395887
ISBN (Buch)
9783346395894
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Palliativ, Palliative Care, Lebensqualität, Netzwerkarbeit, Networking, Schnittstellenarbeit, Palliativarbeit
Arbeit zitieren
Sonja Graf (Autor:in), 2018, Optimierung von Netzwerkstrukturen in der Palliativarbeit. Chance für die Verbesserung der Koordination und Versorgung schwer kranker und sterbender Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1008095

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