Sine lege praevia? Der Wettlauf des Rechtsstaats gegen neue Designer-Drogen


Seminararbeit, 2018

35 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis/Gliederung

Literaturverzeichnis

Wissenschaftliche Ausarbeitung
A) Einleitung
I) Einleitende Vorbetrachtungen
II) Zielsetzung und Aufbau der vorliegenden Arbeit
B) Neue psychoaktive Substanzen
I) Begriffsbestimmungen und Substanzklassen
1. Definitionen
2. Stoffklassen und Wirkungen
II) Epidemiologie
1. Verbreitung
2. Produktion
3. Bezugsquellen, Handel und Vermarktung
4. Konsumverhalten und Konsummotive
5. Risiken und Folgen des Konsums
C) Rechtslage und rechtliche Entwicklung vor dem Inkrafttreten des NpSG
I) Betäubungsmittelgesetz (BtMG)
1. Das BtMG im Überblick
2. System der Positivliste
3. Voraussetzung einer Strafverfolgung
4. Anpassung des Drogenmarktes an die Gesetzeslage
5. Reaktionen des Gesetzgebers
a) Anpassung der Anlagen des BtMG
b) Frühwarnsystem
II) NPS als Arzneimittel
1. Rückgriff auf das Arzneimittelgesetz (AMG)
2. Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10.07.2014
a) Hintergrund
b) Entscheidung
c) Folgen
III) Notwendigkeit einer neuen gesetzlichen Regelung
1. Regelungs- und Strafbarkeitslücke
2. Grenzen des Rechtsstaats
3. Akuter Handlungsbedarf
D) Das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG)
I) Gesetzgebungsverfahren
II) Das NpSG im Überblick
1. Systematik des Gesetzes
2. Verbot von Stoffgruppen statt von einzelnen Stoffen
3. Stellungnahmen zum Inkrafttreten
a) Bundesministerium für Gesundheit
b) Drogenbeauftragte der Bundesregierung und Bundeskriminalamt
c) Weitere Stellungnahmen
III) Rechtsstaatliche Prinzipien und verfassungsrechtliche Bewertung
1. Bestimmtheitsgrundsatz
2. Wesentlichkeitsgrundsatz
3. Verhältnismäßigkeit
E) Rückwirkende Bewertung und Ausblick
I) Evaluation der Auswirkungen und Erfahrungen mit dem NpSG
1. Online-Studie kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes
2. Repräsentativen Schülerbefragung im Rahmen des lokalen Monitoring-Systems „MoSyD“
3. Fördermaßnahe durch das Bundesministerium für Gesundheit
4. Polizeiliche Kriminalstatistik
II) Erforderlichkeit weiterer Maßnahmen
1. Beendigung des Wettlaufs
2. Mögliche weitere Maßnahmen
3. Alternative Regelungsmöglichkeiten
III) Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wissenschaftliche Ausarbeitung

A) Einleitung

I) Einleitende Vorbetrachtungen

Seit Jahren nimmt die Ausbreitung von neuen psychoaktiven Substanzen (NPS) auf dem deutschen Markt stetig zu.1 NPS sind neue chemische Varianten bekannter Betäubungsmittel und psychoaktiver Stoffe.2 Sie sind aufgrund ihrer Verbreitung, der mit ihrem Konsum verbundenen teils schwerwiegen­den gesundheitlichen Folgen und der Frage ihrer rechtlichen Einordnung in den Fokus der Allgemeinheit gerückt.

Nach alter Rechtslage konnte der Umgang mit NPS so lange nicht bestraft werden, bis die konkrete Substanz durch eine Änderungsverordnung in die Positivliste des BtMG auf­genommen wurde. Sobald jedoch eine Substanz im BtMG gelistet war, modifizierten die Händler bzw. Hersteller einfach die chemische Struktur, wobei schon geringfügigste Änderungen ausreichend waren. Dadurch unter­lag die neue Substanz nicht mehr dem BtMG, die Wirkung blieb hingegen erhalten oder wurde sogar noch verstärkt.3

Mit dem am 26.11.2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe (Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz, NpSG)4 hat der Gesetzgeber versucht, dieser Entwicklung entgegen­zuwirken.

II) Zielsetzung und Aufbau der vorliegenden Arbeit

Im Rahmen dieser Arbeit wird zunächst der Begriff „Neue psychoaktive Substanz“ definiert, die verschiedenen Stoffklassen und deren Wirkung vorgestellt und ein Überblick über die Epidemiologie des Konsums von NPS gegeben. Anschließend wird die Rechtslage und die rechtliche Entwick­lung vor dem Inkrafttreten des NpSG dargestellt. Es wird gezeigt, mit welchen Mitteln der Rechtsstaat vor Inkrafttreten des NpSG vergeblich versuchte, die Lücken zu schließen. Dazu wird insbesondere auf das BtMG und dessen System der Positivliste eingegangen und es werden die Anpas­sung des Drogenmarktes an die Gesetzeslage und die Reaktionen des Ge­setzgebers dargestellt. In diesem Zusammenhang wird auch erörtert, wieso sich der Rechtsstaat so schwer tat, des immer stärker ausufernden Problems Herr zu werden. Ausgehend vom Urteil des EuGH vom 10.07.2014 wird danach dargelegt, warum sich die Notwendigkeit einer neuen gesetzlichen Regelung ergab.

Der Hauptteil der Arbeit stellt das NpSG und das Konzept des Verbots von Stoffgruppen statt von einzelnen Stoffen vor. In diesem Zusammenhang ergeben sich einige interessante rechtliche Fragestellungen, die im Über­blick dargestellt werden. Aufbauend darauf wird der Frage nachgegangen, ob das NpSG rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht wird.

Zum Abschluss der Arbeit wird eine rückwirkende Betrachtung vorgenommen, in der auch auf die Frage eingegangen wird, ob durch die Schaffung des NpSG der ständige Wettlauf beendet werden konnte oder ob weitere Maßnahmen erforderlich erscheinen.

B) Neue psychoaktive Substanzen

I) Begriffsbestimmungen und Substanzklassen

1. Definitionen

NPS sind meist synthetische Stoffe, die auch als „Designerdrogen“, „Legal Highs“ oder „Research Chemicals“ bezeichnet werden.5 Mit der Verwen­dung des Begriffs „Legal Highs“ soll werbewirksam zum Ausdruck ge­bracht werden, dass es sich bei den NPS um vermeintlich legale Rauschmittel handelt. NPS werden vorwiegend in der Absicht hergestellt, bereits kontrol­lierte Substanzen zu substituieren.6

In ihrem 2011 veröffentlichten Briefing „Drogen im Blickpunkt“ definiert die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) eine neue psychoaktive Substanz wie folgt:

„Neuer Suchtstoff oder psychotroper Stoff, in reiner Form oder als Zubereitung, der nicht nach dem Einheits-Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1961 über Suchtstoffe oder dem Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1971 über psychotrope Stoffe kontrolliert wird, welcher aber eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen kann, vergleichbar mit den Substanzen, die in diesen Abkommen aufgelistet sind (Beschluss 2005/387/JI des Rates).“ 7

2. Stoffklassen und Wirkungen

Die größten Stoffgruppen sind synthetische Cannabinoide8 und synthetische Cathinone9 (Amphetaminderivate).10 Weiterhin spielen syn­thetische Phenethylamine eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Aber auch zahl­reiche Derivate anderer Substanzklassen sind bekannt.11 Von den ver­schiedenen Gruppen werden in Deutschland synthetische Cannabinoide am häufigsten konsumiert.12 Zahlen des EU-Frühwarnsystems für 2017 legen nahe, dass zunehmend auch synthetische Opioide auf den Markt gekommen sind.13

II) Epidemiologie

1. Verbreitung

Die Vielfalt und die Menge von NPS auf dem europäischen Markt haben in den letzten 10 Jahren deutlich zugenommen. Die EBDD hat im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems bis zum Jahresende 2017 insgesamt mehr als 670 NPS ermittelt.14 Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist der Konsum von NPS in Deutschland unterdurchschnittlich weit verbreitet. In Bayern scheint sich jedoch ein regionaler Schwerpunkt abzuzeichnen.15

Werse und Müller haben herausgearbeitet, dass der Konsum von NPS mit der Verfügbarkeit und Qualität von illegalen Drogen zusammen­hängt und mit dem Grad der Repression assoziiert ist.16

2. Produktion

Die Reinwirkstoffe für die Herstellung von NPS werden überwiegend aus dem ostasiatischen Raum, vorwiegend aus China und aus Indien,17 geliefert und dann in europäischen Produktionsstätten, u.a. in Deutschland, für den Verkauf konsumfertig abgepackt.18 Es gibt aber auch Hinweise auf die Her­stellung dieser Substanzen in geheimen Labors in Europa.19

3. Bezugsquellen, Handel und Vermarktung

NPS werden in unterschiedlicher Form, z.B. als Pulver, Tabletten oder Kap­seln hergestellt. Sie werden oft in bunten, ansprechend gestalteten Tütchen zum Kauf angeboten und dabei auch als Kräutermischungen, Badesalze oder Lufterfrischer deklariert.20 Dabei wird von den Verkäufern gezielt der Eindruck vermittelt, die Produkte seien ungefährlich und gesundheitlich unbedenklich. Für den Vertrieb von NPS spielt das Internet eine bedeutende Rolle.21 Es existieren eine Vielzahl von Onlineshops, auf denen NPS angebo­ten werden22 und die die bestellten Substanzen in kürzester Zeit, z.T. in gerade einmal zwei Tagen, an die Empfänger liefern können.23

4. Konsumverhalten und Konsummotive

Das Phänomen NPS ist ein vergleichsweise junges. In Deutschland werden NPS – verglichen mit anderen Drogen und auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – nur in relativ geringem Maße konsumiert.24 Wenn­gleich es in Deutschland bisher nur wenig empirische Daten zu der ver­gleichsweise kleinen Gruppe regelmäßiger NPS-Konsumenten gibt, hat sich, vor allem aus den Ergebnissen einiger durchgeführter Online-Studien, folgendes Bild herauskristallisiert: Ein regelmäßiger NPS-Konsum wird vor allem von Personen im jungen bis mittleren Erwachsenenalter ausgeübt. Als Konsummotiv werden am häufigsten die Erzielung eines Rauschzustandes sowie Neugierde genannt. Es wird aber auch die vermeintlich legale Ver­fügbarkeit und die schwierige Nachweisbarkeit als Grund für den Konsum angegeben.25

5. Risiken und Folgen des Konsums

Der Konsum von NPS kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben.26 Besonders problematisch ist, dass zum einen bei NPS weder die genaue Zusammensetzung der Wirkstoffe noch deren Menge bekannt ist,27 und zum anderen die meisten Verbindungen zunächst noch nicht in der wissen­schaftlichen Literatur beschrieben sind, so dass vor dem erstmaligen Kon­sum keine Ergebnisse zu Wirkungen und Nebenwirkungen vorliegen.28 Die Symptome reichen von Übelkeit und Erbrechen bis hin zum Versagen von Vitalfunktionen.29 2017 wurden in Deutschland 28 Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme von NPS erfasst.30 Die Langzeit­wirkungen sind noch nicht ausreichend erforscht. Es gibt aber beispielsweise Hinweise darauf, dass synthetische Cannabinoide mit akuten Psychosen im Zusam­menhang stehen und ein hohes Suchtpotential aufweisen.31

C) Rechtslage und rechtliche Entwicklung vor dem Inkraft­treten des NpSG

I) Betäubungsmittelgesetz (BtMG)

1. Das BtMG im Überblick

Welche Stoffe und Zubereitungen vom BtMG erfasst werden, ist in den Anlagen I bis III geregelt.

Anlage I umfasst nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel. Es handelt sich dabei um gesundheitsschädliche Stoffe, die für medizinische Zwecke unge­eignet sind oder deren therapeutischer Wert in keinem vernünftigen Ver­hältnis zu ihrer Schädlichkeit steht.32 Hierunter fallen die meisten klassi­schen illegalen Drogen wie beispielsweise Heroin oder LSD.

Anlage II ent­hält verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel, die zwar gehandelt werden dürfen, deren Abgabe aber verboten ist.33

Anlage III erfasst verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungs­mittel. Sie dürfen von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung verschrieben werden.34

2. System der Positivliste

Dem BtMG liegt aus Gründen der Rechtssicherheit das Prinzip der Positiv­liste zugrunde. Alle verbotenen Stoffe und Zubereitungen werden in den Anlagen I bis III des Gesetzes aufgeführt. Zum einen hat diese Positivliste eine konstitutive Regelungswirkung, d.h. die Betäubungsmitteleigenschaft eines Stoffes oder einer Zubereitung wird allein durch die Aufnahme in die Positivliste der Anlagen I bis III begründet, ohne dass es zusätzlicher Feststellungen zu den spezifischen Eigenschaften, der konkreten Berau­schungsqualität oder der Konsumfähigkeit bedarf.35 Zum anderen hat die Positivliste aber auch eine abschließende Funktion: Alle Betäubungsmittel sind abschließend in den Anlagen I bis III aufgeführt.

3. Voraussetzung einer Strafverfolgung

Das System der Positivliste mit seiner abschließenden Regelung bedeutet im Umkehrschluss: Ist eine bestimmte Substanz nicht oder noch nicht in eine der Anlagen aufgenommen, so ist sie kein Betäubungsmittel. Eine ent­sprechende oder analoge Anwendung scheidet aus. Für die Anwendung der Strafvorschriften des BtMG in Bezug auf NPS muss die betreffende Ver­bindung also zur Tatzeit in einer der Anlagen aufgenommen sein. Andern­falls kann sie legal in Deutschland vertrieben werden, selbst wenn sie eine nachgewiesene psychoaktive Wirkung haben sollte.36

4. Anpassung des Drogenmarktes an die Gesetzeslage

Die Produzenten von NPS passten ihre Produktpalette durch Änderung der chemischen Struktur der Verbindungen immer wieder an. Auf diese Weise konnten sie das BtMG leicht umgehen. Im Ergebnis gelangten so ständig weitere NPS in den Umlauf.

5. Reaktionen des Gesetzgebers

a) Anpassung der Anlagen des BtMG

Der Gesetzgeber versuchte dem Problem der ständig neu auf dem Markt erscheinenden NPS zunächst dadurch zu begegnen, dass er die NPS jeweils einzeln in die Anlagen des BtMG aufnahm. Der Katalog der Betäubungs­mittel in den Anlagen des BtMG kann nach § 1 Abs. 2 BtMG durch die Bundesregierung nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsver­ordnung mit Zustimmung des Bundes­rates ergänzt oder geändert werden. Die Möglichkeit besteht, wenn dies

1. nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise eines Stoffes, vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit,
2. wegen der Möglichkeit, aus einem Stoff oder unter Verwendung eines Stoffes Betäubungsmittel herstellen zu können, oder
3. zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln oder anderen Stoffen oder Zubereitungen wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit

erforderlich ist. Dieser Nachweis sowie das Verordnungsverfahren benötigen jedoch Zeit. Zwar sieht § 1 Abs. 3 BtMG in dringenden Fällen ein be­schleunigtes Verfahren vor, jedoch wird auch hier der Nachweis der miss­bräuchlichen Verwendung und der Gefährdung der Gesundheit voraus­gesetzt. Außerdem tritt eine Verordnung nach § 1 Abs. 3 BtMG innerhalb eines Jahres außer Kraft, so dass innerhalb dieser Zeit die Aufnahme des betreffenden Stoffes nach § 1 Abs. 2 BtMG erfolgen muss.37

Überlegungen zur Einführung einer Stoffgruppenregelung in das BtMG wurden Ende der 1990er-Jahre angestellt, jedoch wegen rechtlicher Bedenken zunächst nicht weiterverfolgt.38 Ab 2011 wurde der Ansatz wieder aufge­griffen, nachdem ein vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebenes Gut­achten der Rechtsprofessoren Rössner und Volt vorgestellt wurde, das die Schaffung eines solchen Straftatbestandes vorschlägt.39

b) Frühwarnsystem

Auf europäischer Ebene gab der zwischenstaatliche Handel mit NPS bereits 1997 den Anlass zur gemeinsamen Maßnahme 97/396/JI.40 Zweck war „die Schaffung eines Mechanismus für einen raschen Informationsaustausch über neue synthetische Drogen und die Bewertung der mit diesen verbundenen Risiken, damit die in den Mitgliedstaaten für psychotrope Stoffe geltenden Kon­trollmaßnahmen gleichermaßen auf neue synthetische Drogen angewandt werden können.“ 41 Die Gemeinsame Maßnahme 97/396/JI wurde durch den Beschluss 2005/387/JI des Rates vom 10.05.2005 betreffend den Informationsaustausch, die Risikobewertung und die Kontrolle bei neuen psychoaktiven Substanzen42 ersetzt. Der Beschluss, welcher zum Zeitpunkt der Einführung des NpSG nach wie vor Gültigkeit hatte, behielt das System des raschen Austauschs von Informationen über NPS und der Bewertung der mit NPS verbundenen Risiken bei und legte darüber hinaus erstmals eine Frist fest, innerhalb derer die Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen zu ergreifen haben.43

II) NPS als Arzneimittel

1. Rückgriff auf das Arzneimittelgesetz (AMG)

Eine weitere Strategie bestand in dem Rückgriff auf das AMG. Der BGH hatte mehrfach44 entschieden, dass bestimmte Verbin­dungen, die noch nicht dem BtMG unterstellt sind unter den Begriff des Arzneimittels (§ 2 AMG) subsumiert werden können und ihr Inverkehr­bringen damit strafbar ist. In den Leitsätzen zum Urteil vom 03.12.1997 heißt es z.B.: „"Designer-Drogen" sind Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes.“ 45

2. Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10.07.2014

a) Hintergrund

Hintergrund des Urteils war ein in Deutschland anhängiges Verfahren, bei dem zwei Beschuldigten zu Last gelegt wurde, in den Jahren 2010 bis 2012 Kräutermischungen vertrieben zu haben, welche verschiedene synthetische Cannabinoide enthielten.46 Die in diesen Kräutermischungen enthaltenen synthetischen Cannabinoide fielen in dem maßgeblichen Zeitraum zwischen 2010 und 2012 noch nicht unter das BtMG. Die deutschen Gerichte subsu­mierten den Verkauf des fraglichen Erzeugnisses in Ermangelung einer aus­drücklichen Rechtsvorschrift unter das AMG, nämlich als Inverkehrbringen eines bedenklichen Arzneimittels.47

Der EuGH hatte im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des BGH darüber zu entscheiden, wie Arzneimittel und Drogen voneinander abzu­grenzen sind und ob für die Klassifikation einer Substanz als Arzneimittel ein therapeutischer Nutzen oder jedenfalls eine Beeinflussung körperlicher Funktionen zum Positiven hin gegeben sein muss.48

b) Entscheidung

Mit seiner Entscheidung im Jahr 2014 hat der EuGH bestimmte NPS aus dem Arzneimittelbegriff ausgeschlossen.49 Im Tenor des Urteils heißt es:

„Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass davon Stoffe nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind.“ 50

[...]


1 J. Patzak, NStZ 2017, 263 (263).

2 BR-Drs. 231/16, S. 1.

3 Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, NPS: Neue psychoaktive Substanzen (https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/arzneimittel/fachthemen/ psychoaktive_substanzen/index.htm; abgerufen am 09.12.2018).

4 BGBl. I 2016, S. 2615.

5 G. Duttge/M.-A. Waschkewitz, Festschrift für Dieter Rössner zum 70. Geburtstag, S. 737.

6 B. Stibernitz, RdM 2015/117, 180 (181).

7 Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union (Hrsg.), Drogen im Blickpunkt, 2. Ausgabe 2011, Luxemburg 2011, S. 1; vgl. BT-Drs. 18/2550, S. 2.

8 Zur Chemie, Pharmakologie, Synthese, Analytik und für weiterführende Literatur zu synthetischen Cannabinoiden siehe: EBDD, Synthetische Cannabinoide und Spice (http://www.emcdda.europa.eu/publications/drug-profiles/synthetic-cannabinoids/de; abgerufen am 09.12.2018).

9 Zur Chemie, Pharmakologie, Synthese, Analytik und für weiterführende Literatur zu synthetischen Cathinonen siehe: EBDD, Synthetische Cathinone (http://www.emcdda.europa.eu/publications/drug-profiles/synthetic-cathinones/de; abgerufen am 09.12.2018).

10 BMG, Drogen- und Suchtbericht 2018, S. 100.

11 Landes-Caritasverband Bayern e.V., Neue psychoaktive Substanzen in alphabetischer Reihenfolge (https://infoboerse-neue-drogen.de/category/substanzen/; abgerufen am 22.11.2018).

12 B. Werse/D. Egger, Neue psychoaktive Substanzen: Konsummuster, Konsummotive, Nebenwirkungen und problematischer Konsum; in: M. von Heyden/H. Jungaberle/T. Majic (Hrsg.), Handbuch Psychoaktive Substanzen, 1. Aufl., Berlin 2018, S. 217.

13 EBDD, Europäischer Drogenbericht 2017, S. 16.

14 EBDD, Europäischer Drogenbericht 2018, S. 32.

15 B. Werse/D. Egger, Neue psychoaktive Substanzen: Konsummuster, Konsummotive, Nebenwirkungen und problematischer Konsum; in: M. von Heyden/H. Jungaberle/T. Majic (Hrsg.), Handbuch Psychoaktive Substanzen, 1. Aufl., Berlin 2018, S. 222.

16 B. Werse/D. Müller, Suchttherapie 2017, 18, 200 (204).

17 EBDD, Europäischer Drogenbericht 2016, S. 19.

18 BKA, Rauschgiftkriminalität, Bundeslagebild 2017, S. 27.

19 K. Bublath, S. Schirmer, V. Simon, NZFam 2018, 487 (488).

20 J. Patzak, NStZ 2017, 263 (263).

21 BKA, Rauschgiftkriminalität, Bundeslagebild 2017, S. 15.

22 Ebenda, a.a.O., S. 32.

23 EBDD, Europäischer Drogenbericht 2016, S. 22.

24 B. Werse/D. Egger, Neue psychoaktive Substanzen: Konsummuster, Konsummotive, Nebenwirkungen und problematischer Konsum; in: M. von Heyden/H. Jungaberle/T. Majic (Hrsg.), Handbuch Psychoaktive Substanzen, 1. Aufl., Berlin 2018, S. 218.

25 K. Bublath, S. Schirmer, V. Simon, NZFam 2018, 487 (489).

26 Siehe z.B.: EBDD, Europäischer Drogenbericht 2014, S. 36 f.; EBDD, Europäischer Drogenbericht 2015, S. 58; Medizinische Literatur: V. Auwärter/S. Kneisel/M. Hutter/A. Thierauf, Rechtsmedizin 2012, 259, (261 f.); S. Grautoff/J. Kähler, J. Med Klin Intensivmed Notfmed 2014, 109, (271 ff.).

27 BMG, Drogen- und Suchtbericht 2018, S. 100.

28 BR-Drs. 231/16, S. 16.

29 Ebenda, a.a.O., S. 12.

30 BKA, Rauschgiftkriminalität, Bundeslagebild 2017 – Tabellenanhang, S. 17.

31 K. Bublath, S. Schirmer, V. Simon, NZFam 2018, 487 (490).

32 Vgl. J. Patzek, in: KPV BtMG, BtMG § 1 Rn. 7.

33 Ebenda, a.a.O., Rn. 8.

34 Ebenda, a.a.O., Rn. 9.

35 Vgl. M. Oğlakcıoğlu, in: MüKoStGB, BtMG § 1 Rn. 7.

36 Vgl. D. Rössner/W. Voit, Gutachten zur Machbarkeit der Einführung einer generischen Klausel im Betäubungsmittelgesetz, Marburg 2011, S. 4.

37 Vgl. J. Patzek, in: KPV BtMG, BtMG § 1 Rn. 4.

38 BT-Drs. 18/2550, S. 7.

39 BMG, Drogen- und Suchtbericht 2012, S. 145; Siehe auch: BT-Drs. 17/7706, S. 2 ff.

40 B. Stibernitz/J. Villotti, EuZW 2017, 798 (800).

41 ABl. 1997 L 167, S. 1 f.

42 ABl. 2005 L 127, S. 32 ff.

43 B. Stibernitz/J. Villotti, EuZW 2017, 798 (800).

44 BGHSt 43, 336; BGHSt 54, 243.

45 BGHSt 43, 336.

46 Schlussanträge des GA Y. Bot vom 12.06.2014, verb. Rs. C‐358/13 u. C‐181/14, ECLI:EU:C:2014:1927, Rz 4.

47 Ebenda, a.a.O., Rz 5; B. Stibernitz, RdM 2015/117, 180 (182).

48 EuGH verb. Rs. C‐358/13 u. C‐181/14, ECLI:EU:C:2014:2060, Rz. 24.

49 EuZW 2014, S. 742 ff. (m. Anm. R.-G. Müller).

50 EuGH verb. Rs. C‐358/13 u. C‐181/14, ECLI:EU:C:2014:2060, Tenor.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Sine lege praevia? Der Wettlauf des Rechtsstaats gegen neue Designer-Drogen
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Rechtswissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Die Grenzen des Rechtsstaats
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
35
Katalognummer
V1012063
ISBN (eBook)
9783346403582
ISBN (Buch)
9783346403599
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue psychoaktive Substanzen, NPS, NpSG, BtMG, Designerdrogen, AMG
Arbeit zitieren
Markus Funk (Autor:in), 2018, Sine lege praevia? Der Wettlauf des Rechtsstaats gegen neue Designer-Drogen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1012063

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