Entwicklung der Disparitäten zwischen Nord- und Süditalien


Pre-University Paper, 2000

13 Pages, Grade: 11 Punkte


Excerpt


Strukturelle Defizite in Süditalien - von Thomas Limberg -

1. Italiens Volkswirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts

1987 gab das italienische Zentralinstitut für Statistik bekannt, Italien habe Großbritannien in seiner Wirtschaftsleistung überholt und stehe im internationalem Vergleich nun an fünfter Stelle der großen Industrienationen.1[1] Diese Leistung konnte bis heute kontinuierlich ausgebaut werden und so ist es kein Wunder, dass sich Italien über ein gegenwärtiges Haushaltsdefizit von nur 1,9 Prozent freuen darf. Zweifelsfrei ein Land im Aufschwung, was sich auch an den 270.000 neuen Arbeitsplätzen festmachen lässt, die 1999 geschaffen wurden.2[2]

Bei dieser positiven Entwicklung profitiert Italien mehr und mehr von der zunehmenden Globalisierung, die wesentlich dazu beiträgt, dass sich die exportorientierten Großkonzerne, wie FIAT, Pirelli oder Olivetti, dank ihrer modernsten Produktionsverfahren auf den Weltmärkten gut behaupten können und damit das BIP in die Höhe treiben.3[3] Zu diesem erfreulichen Bild Italiens gesellen sich allerdings auch einige Schönheitsfehler, so wurde der Süden des Landes noch immer nicht von diesem Aufschwung erreicht und das Gefälle zwischen Nord und Süd durch die zunehmende Industrialisierung noch weiter ausgedehnt. Während die Großkonzerne des Nordens bedeutende Gewinne erzielen, kann sich der Mezzogiorno von der weit verbreiteten Landwirtschaft kaum große Einnahmen erwarten, da diese sich im EU Vergleich durch starke Ambivalenz auszeichnet.

Auch der Arbeitsmarkt weißt ein großes Defizit zum Norden auf, wo mittlerweile vor allem in den Regionen Lombardei, Emilia-Romagna und Friaul-Julisch-Venezien Arbeitslosenquoten von unter 4 Prozent erreicht werden. Demgegenüber stehen in den südlichen Regionen Arbeitslosenquoten um die 23 Prozent zu Buche, wobei die vielen Kurzzeitbeschäftigten und Niedriglohnarbeiter noch nicht einmal berücksichtigt sind.4[4] Hinzu kommt, dass viele Kleinbetriebe des Südens in die Schattenwirtschaft abwanderten, um sich der staatlichen Belastung durch Steuern, Sozialabgaben, unüberschaubarer Gesetzesfluten und einer lähmenden Bürokratie zu entziehen. Diese Entwicklung wurde von einer weitesgehend korrupten Politikerklasse zusätzlich unterstützt, was auch dazu führte, dass viele Arbeitsplätze an Billigarbeiter aus dem Ausland verloren gingen, wenngleich man nicht vergessen darf, dass angesichts einer Zahl von geschätzten 3 Mio. Arbeitern in der Schattenwirtschaft, teilweise auch ein beträchtliches regionales Reichtum entstanden ist, das fiskalisch nicht greifbar ist.5[5] Dies sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch bei der sozialen Versorgung und dem Bildungsstand eklatante regionale Disparitäten zu erkennen sind.

Zwar gab es seit Beginn der Fünfziger Jahre eine Reihe gigantischer Investitions- und Förderprogramme für den Mezzogiorno, jedoch konnten damit kaum entscheidende Verbesserungen erzielt werden, was zum einen an der Uneffizienz der Verwaltung und zu anderen an der mangelnden Investitionsneigung der Unternehmer gelegen hat.6[6] Sollte die gesamtwirtschaftlich positive Entwicklung Italiens weiter vorangetrieben werden, gilt es, gerade zu Zeiten des europäischen Wirtschaftsraumes mehr denn je, die Probleme des Südens so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen. Um sich auf den globalisierten Märkten behaupten zu können, ist es für die italienische Wirtschaft und Politik unabdingbar, die Strukturprobleme so schnell wie möglich endgültig zu beseitigen und ein wirtschaftlich einheitliches Italien zu schaffen. Ansonsten droht der Mezzogiorno strukturell völlig zu verfallen und ähnlich bedrohliche Lebensstandards zu erreichen, wie sie heute in Ländern der dritten Welt gegeben sind.

2. Ausmaße der Unterentwicklung im Mezzogiorno

Der Mezzogiorno steht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wirtschaftlich auf der Schattenseite Italiens. Dies spiegelt sich in den einschlägigen Statistiken ernüchternd wieder. Ob es sich um das Bruttoinlandsprodukt, die Einkommenshöhe, die Arbeitslosenquote, die soziale und kulturelle Versorgung handelt, der Süden Italiens steht in allen Punkten weit hinter dem Norden zurück. Besonders deutlich zeigen dies die Angaben, die sich auf das tägliche Leben der Bevölkerung beziehen. Wohnraum, Verbrauch bestimmter Lebensmittel und elektrischer Energie, sowie Bildung und Ausstattung mit öffentlichen Verkehrsmitteln sprechen dabei Bände. (vgl. Tabelle7[7] )

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Noch heute - zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind ca. 8 %8[8] der Bevölkerung Analphabeten. Viele Gebiete sind ohne Strom und fließendes Wasser, von einer ausreichenden Versorgung mit Arbeit ganz zu schweigen. Auch Fernseher und Radios sind ebenso Mangelware, wie elementarste hygienische Einrichtungen. Ein nicht zu verachtender Teil der Unterentwicklung ist die eklatante Wohnungsnot. Ungefähr ein Viertel der Süditaliener sind derzeit auf der Suche nach einer angemessenen Wohnung, mit einer für sie bezahlbaren Miete. Soziale Sicherung ist auch hier kaum gegeben; fast alle Mietverträge sind jeweils bis zum Monatsende befristet. Kündigungsfristen existieren schlichtweg nicht. Viele Menschen leben auf der Straße oder in Höhlen und versuchen irgendwie zu überleben. 23 % suchen nach Arbeit, Tendenz steigend.

Hinzu kommt, dass Geheimbünde, wie die Mafia oder Camorra sich diese Umstände zunutze machten und die ohnehin schon stark belastete Bevölkerung mehr und mehr in eine ausweglose Lage brachten. Eine selbstständige ökonomische Entwicklung wurde so praktisch unmöglich gemacht. Paolo Borsellino, der wohl größte Kämpfer gegen die Mafia beschrieb in einem offenen Brief die Lage wie folgt: ,,Die Mafia übt über das Territorium dieselbe Souveränität aus, wie sie der Staat ausübt oder ausüben sollte. Cosa Nostra versucht sich den ganzen Reichtum, der auf einem bestimmten Territorium produziert wird, anzueignen. Sie tut dies, indem sie Schutzgeld erhebt oder indem sie sich öffentliche Aufträge sichert. Zugleich übt sie gewisse Funktionen aus, die äußerlich denen der Justiz, der öffentlichen Ordnung, der Arbeitsbeschaffung ähneln - und die selbstverständlich eigentlich nur vom Staat geleistet werden dürfen."9[9] Ohnehin war und ist die in ganz Italien weit verbreitete Korruption ein entscheidendes Hemmnis für jeglichen konjunkturellen Aufschwung.10[10] Fast alle öffentlichen Baumaßnahmen, die dazu verwendet wurden einen Teil des Wohlstandes aus dem Norden in den Süden zu transferieren sind dort wegen der vielen Korruptionsskandale zum Stillstand gekommen. Viele der mafiosen Bauunternehmen existierten nur auf dem Papier und sobald der Vorschuss der Bausumme aus Rom bezahlt war, lösten sich die Firmenattrappen auf.11[11]

Viele der Gelder aus den Entwicklungsmaßnahmen erreichten somit nie ihren Adressaten und sowohl die wirtschaftliche, als auch die sozioökonomische Lage im Mezzogiorno verschlimmerten sich mehr und mehr.

3. Entwicklung der Disparitäten zwischen Nord- und Süditalien

Untersucht man die Ursachen für diesen Dualismus, stößt man in der Literatur auf vielfältige Begründungen. Es wird entweder rassistisch oder historischpolitisch, geopolitisch, bzw. sozioökonomisch argumentiert.

Angesichts der gebotenen Kürze dieser Arbeit können und sollen hier nicht alle Erklärungsansätze detailliert erläutert werden. Deshalb können die empirischen Ergebnisse aus der Literatur nur überblicksartig dargestellt werden, da eine tiefer gehende Analyse es erfordern würde, alle verschiedenen Erklärungsversuche vergleichend darzustellen und somit eine hier nicht zu leistende Detailuntersuchung erforderlich würde.

3.1. Die geographische Begründung

Nach dieser Begründung werden die geographischen Gegebenheiten, besonders die Bodenverhältnisse für die Unterentwicklung verantwortlich gemacht. Da der Boden schon seit römischer Zeit traditionell landwirtschaftlich genutzt wird, ist er besonders anfällig für die extremen Klimabedingungen. Dies führt unweigerlich zu einem relativen Anstieg der Produktionskosten in der Landwirtschaft, da dürrebedingte Ertragsminderungen die Folge dieser geographisch ungünstigen Lage sind.12[12] Bei einem nivellierten Preisniveau innerhalb der EU ist demzufolge mit Vorteilen konkurrierender Anbaugebiete zu rechnen.

3.2. Die ethnische These

Diese These geht von einer naturgegebenen Minderwertigkeit der südlichen Bevölkerung aus und findet vor allem durch die Formulierung weit verbreiteter Vorurteile einen großen Zuspruch, der sich besonders in den Wahlerfolgen der regionalistisch orientierten Leghe 13 [13] wiederspiegelt.14[14] Heute ist dieser populäre Rassismus besonders in der Lombardei und Ligurien zu finden. Die Erfolge der Parteien rechts der Mitte bei den Regionalwahlen im April dieses Jahres sind ein eindeutiges Zeichen hierfür.

3.3. Die historisch-politische Begründung

Die historisch-politische Begründung geht davon aus, dass bereits vor der Zeit der italienischen Einigung eine vielversprechende und positive wirtschaftliche Entwicklung im Süden zu beobachten war, die durch Industrielle des Nordens ebenso, wie durch die im Mezzogiorno regierenden Bourbonen gebremst wurde, da beide ein großes Interesse an der Unterentwicklung gehabt hätten.15[15]

Nach dieser These hätte für die Bourbonen z.B. der Erhalt des Feudalsystems in der Landwirtschaft der eigenen Macht- und Ertragsstärkung gedient, was dazu führte, dass von ihnen sämtliche Reformversuche blockiert wurden. Infolge dieser Blockade entstand eine wirtschaftliche Unterentwicklung, deren Folgen wiederum große Armut und Kapitalflucht waren.

Ebenso hätte der bereits im starken Maße industrialisierte Norden von je her aus einer ökonomischen Rückständigkeit des Südens großen Nutzen gezogen, da er zum einen konkurrenzlos blieb und zum anderen selbst billige Arbeitskräfte des Mezzogiorno hätte bekommen können.16[16]

4. Die wichtigsten Maßnahmen zur Entwicklung des Mezzogiorno

4.1. Bodenreformen

Nachdem die dringendsten Maßnahmen zum Wiederaufbau der im 2. Weltkrieg zerstörten Städte Italiens getroffen worden waren, stand die Regierung vor der Aufgabe, die Entwicklung des Südens in Angriff zu nehmen.

Eine tragende Rolle spielte dabei die Bodenreform, die die unbefriedigenden Besitzverhältnisse in der süditalienischen Landwirtschaft neu regeln sollte. Durch die Verteilung des enteigneten Landes an selbstständige Bauern erhoffte man sich eine grundlegende Veränderung der Agrarstruktur sowie der Produktions- und Absatzmethoden.17[17] Im Klartext hieß dies, das Einkommen der Beschäftigten in der Landwirtschaft zu heben und den Beitrag der süditalienischen Landwirtschaft zum Sozialprodukt Italiens zu erhöhen.

Eingeleitet wurde die Bodenreform, als sich im Jahre 1949 erste Bauern unter kommunistischer Führung organisierten und unter Hinweis auf Artikel 4418[18] der italienischen Verfassung begannen die Ländereien der Großgrundbesitzer zu besetzen. Die Regierung sah sich so gezwungen eine umfassende Agrarreform durchzuführen. Insgesamt wurden in den Jahren 1950 bis 1960 ca. 750000 ha Land enteignet und an 100000 besitzlose Tagelöhnerfamilien weitergegeben. Diese Umverteilung sicherte ihnen zunächst einmal das Existenzminimum.19[19] Entscheidende Verbesserungen der Lebensverhältnisse konnten jedoch nicht erzielt werden.20[20]

4.2. Cassa per il Mezzogiorno

Ebenso wie von der Bodenreform, erhoffte man sich von der Cassa per il Mezzogiorno eine grundlegende Verbesserung der süditalienischen Verhältnisse. Im Vordergrund stand dabei die Steigerung des Volkseinkommens und der Beschäftigung. Gleichzeitig sollte ein Prozess der Präindustrialisierung in Gang gebracht werde, um einen elementaren, sozialen und zivilisatorischen Unterbau zu schaffen, ohne den keine industrielle Entwicklung möglich ist. Sie gewährte neben Zuschüssen zur Verbilligung von Krediten Subventionen für bestimmte Investitionen, die die Industrialisierung in Gang bringen sollten. Bis zum Jahre 1971 verteilte die Cassa per il Mezzogiorno 21000 Milliarden Lire an Subventionen, die nach dem Prinzip des Finanziamenti a Pioggia (,,Gießkannenprinzip") verteilt wurden.21[21] Die Cassa war ermächtigt, Kredite für bestimmte Projekte zu gewähren, die die Entwicklung im Mezzogiorno erleichtern sollten. Wegen mangelnder Planung wurden hierbei keine gezielten Projekte finanziert, sondern vielmehr die Subventionen an private Unternehmer verteilt oder zur Verbesserung der Infrastruktur eingesetzt. Die Verteilung der Gelder wurde dabei zum größten Teil vom Keynesschen Gedanken getragen, der nur selten kritisch hinterfragt wurde. Man erhoffte sich so bei der Ausschüttung dieser immensen Summen eine Steigerung der Nachfrage, die letztendlich auch für einen industriellen Aufschwung sorgen sollte.22[22]

4.3. Förderung der Industrialisierung

4.3.1. Förderung durch Kreditvergabe

Im Jahre 1947 erließ die italienische Regierung eine Verordnung, die die Abteilungen für Industriekredite bei den drei wichtigsten süditalienischen Banken in den Dienst der Entwicklungspolitik stellte. Die Banken wurden demnach ermächtigt, bis zur Höhe von insgesamt 10 Milliarden Lire Kredite zu Vorzugsbedingungen an Betriebe im Mezzogiorno zu gewähren, so sollte die unternehmerische Initiative geweckt werden und vor allem kleine und mittlere Betriebe des Nordens sollten animiert werden, neue Standorte im Süden zu suchen. Der Staat übernahm dabei die Bürgschaft für bis zu 70 % der eventuellen Verluste. Außerdem gewährte die Regierung eine Zinssubvention, da man bemüht war die Zinslast möglichst niedrig zu halten.

Da die Banken schon bald den enormen Kreditwünschen nicht mehr nachkommen konnten, wurde die Industriefinanzierung durch die Gründung von drei Sonderinstituten23[23] regionalen Charakters neu geordnet. Sie übernahmen sowohl die Aktivitäten der Casa per il Mezzogiorno, als auch die Arbeit der Sektionen für den Industriekredit der süditalienischen Banken.24[24]

4.3.2. Schaffung von Entwicklungspolen

Da die bisherigen Erfolge gering und die Arbeitslosigkeit unverändert hoch geblieben waren, begann man 1963 mit einer neuen Phase der Entwicklungsförderung. Sie wurde konzentriert auf bestimmte Gebiete mit dem Ziel, mehrere Branchen zu integrieren. Die geschaffenen Industrien sollten die Funktion haben, weiterverarbeitende Unternehmen nach sich zu ziehen und mit dieser Kettenreaktion eine eigenständige Expansion von regionalen Arbeitsmärkten bewirken.25[25]

Da sich trotz umfassender finanzieller Anreize die Privatindustrie weites gehend zurückhielt und eine Multiplikatorwirkung von dieser Seite ausblieb, wurden zunehmend die Betriebe mit Staatsbeteiligung sowie staatliche Unternehmen26[26] verpflichtet einen Teil ihrer Investitionen im Mezzogiorno zu tätigen.

Daraus ergab sich allerdings das Problem, dass vorwiegend die Grundstoffwirtschaft das erste Glied in der Kette darstellen sollte. Diese Unternehmen siedelten sich vornehmlich an den für sie besonders günstigen Küsten an, da sie dort eine verkehrsbedingte Kostenminimierung von Rohstoffzufuhr und Abtransport der Halbfertigprodukte erwarten konnten. Eine genaue Analyse der ökonomischen Standortbedingungen blieb jedoch in den meisten Fällen aus und so wirkten die Meisten Ansiedlungen, funktional wie isolierte Fremdkörper. Es stellte sich schnell heraus, dass eine Weiterverarbeitung in den meisten Fällen, trotz der Transportkosten, im Norden bei weitem günstiger war als bei Unternehmen in der Region. Es bildeten sich so zwar betriebswirtschaftlich rentable Unternehmensbereiche, neue Arbeitsplätze wurden aber kaum geschaffen, da die privaten Folgeinvestitionen praktisch ausblieben.

4.4. Bildungspolitik

Das bereits erwähnte eklatante Bildungsdefizit ist, gerade heute zu Zeiten der Technisierung und Automatisierung, ein entscheidendes Hemmnis für die Entwicklung der Ökonomie im Mezzogiorno. Ohne die elementarste Schulbildung ist es für die Arbeitssuchenden unmöglich sich die benötigten Spezialkenntnisse anzueignen. Dies gilt sowohl für den Bereich der Industrie als auch für die Landwirtschaft, wo die moderne Agrartechnik und die Anpassung der Produktion an die Absatzmöglichkeiten ein hohes Maß an Flexibilität erfordern. Aber auch der tertiäre Sektor ist weitesgehend an den Bildungsstand der Arbeitnehmer geknüpft. Private Unternehmen haben wahrscheinlich auch wegen des Bildungsstandes im Mezzogiorno und den damit verbundenen Mangel an Fachkräften, vor einer Unternehmensgründung in Süditalien abstand genommen. Einige Firmen, wie z.B. Olivetti haben allerdings mit einem betriebseigenen Ausbildungsprogramm neueingestellte Arbeiter zu spezialisierten Kräften ausgebildet. Die angesprochene Firma Olivetti ereichte so in ihrem Werk bei Neapel ca. 20 % mehr Arbeitsproduktivität, als das Hauptwerk in der Lombardei.

Dass dies allerdings nur eine Ausnahme ist, haben die Erfahrungen der Vergangenheit deutlich gemacewähht. Für die italienische Regierung wurde es so unabdingbar die Ausbildung neu zu koordinieren und eine vielseitige Grundausbildung für die gesamte Bevölkerung zu grleisten, um die Verwendbarkeit in verschiedenen Berufen offen zu halten. In den fünfziger Jahren wurde so ein Plan für die Entwicklung des Schulwesens aufgestellt. Er beinhaltete neben dem Bau von Schulgebäuden die Bereitstellung von Lehrmaterial und die Ausbildung einer größeren Zahl von Lehrkräften. Dieser Plan bezog sich auf ganz Italien, sollte aber den Süden die Möglichkeit geben, den Rückstand gegenüber Norditalien aufzuholen.27[27] Darüber hinaus wurde auch die Schulpflicht auf acht Jahre durchgesetzt.

5. Ergebnisse der Entwicklungsmaßnahmen

5.1. Infrastruktur

Heute ist der Mezzogiorno infrastrukturell weitestgehend erschlossen: sowohl auf dem Gebiet der Verkehrsinfrastruktur, wo sich sogar das Hinterland über ein dichtes Straßennetz und gut ausgebaute Autobahnen freuen kann, als auch im Bereich der Energieversorgung und der Telekommunikation wurden große Fortschritte erzielt. Ebenso wurden größere Wohnflächen und ein höherer Bildungsstand geschaffen. Auch der Tourismus, der in den Regionen des Mezzogiorno eine beträchtliche Summe von Privatinvestitionen induziert, profitierte von den Subventionen aus Rom. So konnte durch den gezielten Bau von Gaststätten, Tankstellen und Hotels, bzw. der Förderung von Ausgrabungen oder der Restaurierung kultureller Erben ein Touristenstrom in den Mezzogiorno ausgelöst werden, der heute nicht mehr wesentlich hinter dem des Nordens zurückliegt.

Trotzdem lassen die übrigen Bereiche der Infrastruktur vielfältige Lücken erkennen.. So ist z.B. bei der flächendeckenden Gesundheitsversorgung und beim mittleren Einzelhandel immer noch ein großes Defizit zu erkennen.28[28]

5.2. Die Entwicklung der Landwirtschaft

Wie auch viele andere Bereiche der Strukturförderung litt die Bodenreform unter einen Mangel an Koordination. Hier wirkten sich die Fehlplanungen jedoch besonders stark aus, da sie nicht nur zur Verschwendung von Finanzmitteln führten, sondern vor allem soziale Auswirkungen hatten, die dem beabsichtigten Effekt oft genau entgegengesetzt waren. Die Auflösung der Latifundien sorgte zunächst dafür, dass das Existenzminimum vieler Bauern gesichert war. Jedoch wurde das enteignete Land an zu viele Bewerber verteilt. Für die flächenmäßig stark begrenzten Einzelhöfe war und ist es praktisch unmöglich sich auf dem internationalen Markt zu behaupten, da dort gerade in Zeiten der Automatisierung, modernste Maschinen auf großen Höfen viel effektiver eingesetzt werden können, als auf den kleinen und zersplitterten landwirtschaftlichen Betrieben des Mezzogiorno. Diese Zersplitterung führte mehr und mehr dazu, dass die Bauern zunehmend auf Holdings bzw. Subventionen durch den Staat angewiesen waren, um einen angemessenen Ertrag zu erwirtschaften.29[29]

Genau das Gegenteil von der erhofften Wirkung war damit eingetreten, anstatt selbstständig und produktiv zu wirtschaften; gerieten die Bauern in ein ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis, das wiederum einen übersteigerten Klientelismus nach sich zog. Dieser Klientelismus und die damit verbundenen Zahlungen an einzelne Bauern mag zwar für den ein oder anderen Betrieb mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden sein, doch kann und darf dies keine Lösung für das Mezzogiorno-Problem sein, da die süditalienische Volkswirtschaft im Ganzen stark unter dieser Korruption zu leiden hat und ein wirtschaftlicher Aufschwung somit in weite Ferne rückt.

Des weiteren führte die Landreform auch zu keiner nennenswerten Einkommenssteigerung für die nunmehr scheinselbstständigen Bauern. Wie bereits die Zahlen von 197030[30], der Zeit unmittelbar nach der Bodenreform, eindeutig belegen. Die Hälfte der Bauern waren keine Vollzeitbeschäftigten und somit gezwungen, ausreichend Geld entweder mit weiteren Arbeiten oder aus der Sozialhilfe zu beziehen. Auch diese Tatsache war wiederum eine ideale Vorraussetzung für das Aufkeimen eines bereits erwähnten entwicklungsfeindlichen Klientelismus. Die bereits in unzählige Korruptionsskandale verwickelte DC erhöhte in den Jahren zwischen 1954 und 1971 die Sozialhilfe für Kleinbauern von 50 Billionen Lire auf über 1400 Billionen Lire. Auch hier gilt Gleiches, wie für das genannte Beispiel: zwar waren diese immensen Sozialhilfeerhöhungen eine kurzfristige willkommene Einkommensaufbesserung und zugleich eine Produktionsmaschine für DC- Wählerstimmen31[31], jedoch konnte dieser hohe soziale Standard auf Dauer nicht gehalten werden und die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich zunehmend.

5.3. Die Entwicklung der Industrie

Wie in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben wurde, wurden vor allem an den Küsten, besonders im Bereich Pescara, Cagliari, Catanzaro, Neapel, Salerno und Brindisi, Gewerbe mit beachtlichen Produktivitäts- und Einkommensniveau geschaffen. Trotzdem liegen auch heute große Teile Kalabriens, Siziliens und Sardiniens ökonomisch weit zurück. Verantwortlich zumachen ist hierfür vor allem, neben der angesprochenen Investitionsbereitschaft kleiner Unternehmen, die Ineffizienz der Verwaltung im Mezzogiorno. Wie gesagt, wurde ein Großteil der Entwicklungsgelder nach dem Finanziamenti a pioggia verteilt. Man rechtfertigte sich dabei in den meisten Fällen, indem man auf Keynesschen Gedankengut verwies. Das Problem, das sich daraus ergab war, dass man von einer planlosen Ausschüttung von Finanzmitteln einen konjunkturellen Aufschwung erwartete, der allerdings nie oder nur im geringen Ausmaß eintrat, fehlte es doch an den industriellen Grundlagen. Für das Eintreten dieses gewünschten Effekts hätte es zunächst einer abgeschlossenen Phase der Präindustrialisierung bedurft, die die nötigen Grundvoraussetzungen für eine Industrielandschaft geschaffen hätte.

Aus diesen Gründen entstanden die weit über die italienischen Grenzen bekannten Cathedrali nel deserto (Kathedralen in der Wüste) - Großindustrien, die weitere Betriebe nach sich ziehen sollten, jedoch immer noch isoliert in der Landschaft stehen, da ihr Standort überwiegend nicht überdacht wurde und Kleinbetriebe sich der Herausforderung der teils schlechten ökonomischen Standortbedingungen nicht annehmen wollten bzw. nicht annehmen konnten.

In diesem Zusammenhang immer wieder genannte Beispiele sind zum einen der Tiefseehafen von Sibari an der ionischen Küste, der keine Großtanker anzog, sondern in dem heute nur einige Fischerboote liegen und zum anderen die petrochemischen Anlagen in Brindisi und Siracusa. Auch hier blieben die Geplanten Industrieansiedlungen fast gänzlich aus.32[32]

6. Langfristige Entwicklungstendenzen

Viele Verbesserungen wurden im Mezzogiorno erreicht: So ist die Industrialisierung - wenn auch noch in bescheidenem Umfang - in Gang gekommen und auch die Infrastruktur hat weite Fortschritte gemacht. Ebenso haben sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung verbessert.

Dennoch ist die Produktionsstruktur im Mezzogiorno noch längst nicht dahingehend entwickelt, dass in Süditalien ein autonomer33[33] Entwicklungsprozess ablaufen könnte. Wie beschrieben, wurden vor allem bei der Finanzierung von Entwicklungsprojekten große Fehler gemacht. Diese Erfahrungen zeigen deutlich, dass die Entwicklungspolitik ihre Maßnahmen grundlegend modifizieren muss. Um auf diesem Gebiet eine effiziente Politik zu betreiben, ist es notwendig, den Glauben an einen in seinen ökonomischen und sozialen Gegebenheiten einheitlichen Mezzogiorno zu überwinden und eine konkrete, den Möglichkeiten der einzelnen Zonen angepasste Regionalplanung zu erarbeiten. Das gilt sowohl für die Förderung der Industrie, als auch bei der Erhöhung der Agrarproduktion.

Interessant ist vor allem die Frage, wie der Mezzogiorno sich vor diesem Hintergrund in Zukunft weiterentwickeln wird. Wird er die Rahmenbedingungen für den Disparitätenabbau nutzen können und seine Probleme in den Griff bekommen? Werden die hohen Sozialausgaben und Steuervergünstigen auf Dauer aufrechterhalten werden können? Und vor allem werden aus Rom und Brüssel34[34] auch weiterhin Subventionen in den Mezzogiorno fließen? Eins steht jedenfalls fest, ohne diese Gelder wird es Süditalien sehr schwer haben, die eigene Entwicklung voranzutreiben, da immer noch die Grundvoraussetzungen für eine eigenständige Entwicklung mangelhaft sind.

Besorgniserregend ist jedenfalls, dass die Arbeitslosigkeit und auch der Anteil des Mezzogiorno am italienischem Bruttoinlandsprodukt weiterhin auf erschreckend niedrigem Niveau verharren. Angesichts dieser Tatsachen ist davon auszugehen, dass die zentralen Agglomerationsgebiete ihren Rückstand nicht aufholen werden, wenn es ihnen nicht gelingt die eigenständigen regionalen Kräfte zu beleben und zu stabilisieren.

Als problematisch erweisen sich auch die in Italien schon fast alltäglichen Regierungskrisen und Neuwahlen. Mitentscheidend für die weitere Entwicklung ist so auch die Frage, inwieweit es Italien gelingen wird eine dauerhaft stabile Regierung zu bilden, um eine effiziente und wirkungsvolle Planung der Entwicklungspolitik zu garantieren. Der Entwicklungsplan der derzeitigen Regierung sieht beispielsweise Anstoßinvestitionen unter Mitfinanzierung der EU, in Infrastruktur, Humankapital und Flexibilisierung vor, die es den südlichen Regionen ermöglichen sollen, bis 2004 eine doppelt so hohe Wachstumsrate wie der EU-Durchschnitt zu erreichen.35[35]

Grundvoraussetzung für den Erfolg solch optimistischer Schätzungen ist jedoch, eine deutliche Verbesserung der Effizienz der regionalen Verwaltung bei der Konzeption und Umsetzung jeglicher Entwicklungsprojekte. Sollte dies gelingen wäre es durchaus nicht unrealistisch, den Mezzogiorno ökonomisch und strukturell weiter an den Norden heranzuführen. Der Erfolg von ähnlichen Entwicklungsmaßnahmen in vergleichbar strukturschwachen Regionen Europas, wie z.B. in Andalusien sprechen dafür.

[...]


1 [1] vgl. Heinz-Joachim Fischer: Richtig Reisen - Italien, Frankfurt am Main 1990 S.139

2 [2] vgl. Financial Times Deutschland: 15.03.2000

3 [3] vgl. Wolfgang Benz / Hermann Graml: Das Zwanzigste Jahrhundert II, Augsburg 1998 S. 332 ff

4 [4] vgl. Richard Brütting: Italienlexikon, München 1997, S. 491 ff

5 [5] vgl. Italienlexikon a.a.O., S. 493

6 [6] vgl. Alan B. Mountjoy: The Mezzogiorno, Oxford 1973, S. 36 ff

7 [7] Tabelle aus: W. Benz / H. Graml u.a.: Weltgeschichte - Das Zwanzigste Jahrhundert II, Augsburg 1998, S. 176

8 [8] Alle statistischen Angaben in dieser Arbeit entstammen, soweit nicht anders gekennzeichnet der Firma Euorostat: http://www.eurostat.com

9 [9] Zitat von Paolo Borsellino, entnommen aus: Valeska v. Roques: Die Stunde der Leoparden, München 1994, S. 137

10 [10] vgl. dazu Kapitel 5.2.

11 [11] vgl. Michael Braun: Italiens politische Zukunft, Frankfurt am Main 1994, S.79 f

12 [12] vgl. Alan B. Mountjoy: The Mezzogiorno, Oxford 1973, S. 13 f

13 [13] politische Gruppierungen mit separatistischen Zielsetzungen

14 [14] vgl. Italienlexikon a.a.O., S. 449 f, S. 486

15 [15] vgl. Italienlexikon a.a.O., S. 486

16 [16] vgl. Chiellino u.a.: Italien, München 1989

17 [17] vgl. Francesca Schinzinger: Die Mezzogiorno-Politik, Berlin 1970, S. 126 ff

18 [18] Artikel 44: Um eine rationelle Bewirtschaftung des Bodens zu erreichen und um gerechte soziale Verhältnisse zu schaffen, legt das Gesetz dem privaten Grundbesitz Verpflichtungen und Beschränkungen auf; [...] fordert und verordnet die Bodenverbesserung, die Umbildung der Latifundien und die Wiederherstellung der Produktionseinheiten und hilft dem Klein- und Mittelbesitz.

19 [19] vgl. Chiellino, a.a.O., S. 220f.

20 [20] vgl. Kapitel 5.2.

21 [21] vgl. Chiellino, a.a.O., S. 221ff.

22 [22] a.a.O. Schinzinger, S. 107f

23 [23] Gemeint ist das ISVEIMER (Instituto per lo Sviluppo Economico dell´Italia Meridionale), das IRFIS (Instituto Regionale per il Finanziamento delle Industrie in Sicilia) und das CIS (Credito Industriale Sardo)

24 [24] vgl. a.a.O. Schinzinger S. 174ff

25 [25] vgl. Wagner, a.a.O., S. 32f

26 [26] Gemeint ist z.B. der IRI Konzern, eine der größten Holdings der Welt im Bereich der Schwerindustrie

27 [27] vgl. a.a.O. Chiellino, S. 353 ff

28 [28] vgl. Mario B. Mignone: Italy Today, New York 1995, S. 142ff / Italienlexikon a.a.O., S. 492ff

29 [29] vgl. Mario B. Mignone, a.a.O., S. 102 f

30 [30] entnommen aus Mario B. Mignone, a.a.O. S.102 f

31 [31] vgl. Michael Braun a.a.O., S. 75 ff

32 [32] vgl. Italienlexikon, S. 163

33 [33] d.h. von weiteren massiven Förderungsmaßnahmen unabhängig

34 [34] gemeint ist der Europäische Sozialfonds, der das wichtigste Instrument der EU zur Förderung der nationalen Beschäftigungspolitik darstellt.

35 [35] vgl. Financial Times Deutschland vom 15.03.00

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Title
Entwicklung der Disparitäten zwischen Nord- und Süditalien
Grade
11 Punkte
Author
Year
2000
Pages
13
Catalog Number
V101268
ISBN (eBook)
9783638996860
File size
424 KB
Language
German
Keywords
Entwicklung, Disparitäten, Nord-, Süditalien
Quote paper
Thomas Limberg (Author), 2000, Entwicklung der Disparitäten zwischen Nord- und Süditalien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101268

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